Читать книгу Queer*Welten 06-2021 - Nora Bendzko - Страница 5
ОглавлениеMessy Learning: Positive Tags
Liebe Leser*innen,
bei den Geschichten dieser Ausgabe wird euch sicher auffallen, dass vor den Texten nicht nur (wenn nötig) Inhaltshinweise stehen, sondern noch eine zweite Sammlung von kurzen beschreibenden Begriffen. Dabei handelt es sich um sogenannte positive Tags, und weil diese vielleicht nicht allen von euch geläufig sind, erklären wir an dieser Stelle kurz, was sich dahinter verbirgt.
Sowohl Inhaltshinweise als auch positive Tags entstanden zuerst in Online-Communities, vor allem im Fanfiction-Bereich. Die Fanfiction-Plattform Archive Of Our Own (AO3) hat 2019 sogar einen Hugo gewonnen, unter anderem für dieses Tagging-System. Dabei nehmen die Tags eine Doppelfunktion ein: Sie beschreiben sowohl Dinge, die Lesende vielleicht nicht sehen möchten, als auch Dinge, die sie besonders gern sehen möchten. Die Tags weisen beispielsweise auf Themen wie explizite Gewalt oder Drogenkonsum hin, aber auch auf Dinge, vor denen viele Menschen eine Phobie haben (wie z. B. Spinnen oder Insekten) oder die sie belasten oder ekeln können (Body Horror, bestimmte Arten von Verletzungen, usw.). Dieser Aspekt von Tags ist in Form von Inhaltshinweisen inzwischen bei einigen deutschen Verlagen ebenfalls angekommen, wird teilweise auch vor Filmen oder Serienfolgen eingeblendet und ist bei Queer*Welten schon immer ein Teil des Konzepts.
Auf AO3 gehen die Tags aber darüber hinaus und geben auch plotbezogene Hinweise, wie z. B. Tod einer Hauptfigur oder tragisches Ende, oder Hinweise zur Stimmung und Ausrichtung des Textes. Und, im Gegensatz zu reinen Warnungen vor bestimmten Inhalten, sind dort auch weitere Angaben zu Themen, Plots und bestimmten Tropes üblich. Ob nun die Beschreibung von Beziehungen (wer mit wem, was für eine Art von Beziehung, gibt es ein Happy End?), die Angabe, welche Repräsentation der Text enthält, die enthaltenen Themen (z. B. Freundschaft, Found Family, Magie, Rebellion) oder die Verwendung von bestimmten Tropes (Fake Married Spies, There Was Only One Bed): Positive Tags geben einen Ausblick auf das, was die Lesenden in einer Geschichte erwartet.
Damit sind diese Tags eine ganz andere und neue Art, um Texte einzuordnen und zu bewerben. Sie können eine Alternative oder Ergänzung zu klassischen Klappentexten sein. Natürlich haben nicht alle Lesenden Interesse daran, schon so viel zu Handlung, wichtigen Themen und Inhalten zu erfahren, manche sehen es sicherlich schon als Spoiler an. Andere haben aber durchaus Lust, ein bisschen mehr zu erfahren, was in einer Geschichte auf sie wartet und welche Stimmung die Autor*innen damit einfangen, weil es so leichter möglich ist, den Text zu finden, auf den sie gerade Lust haben. Nicht alle von uns können jede Art von Geschichte an jedem Tag und in jeder Stimmung ertragen; und manchmal ist ein Text mit garantiertem Happy End eben genau das, was wir suchen. Außerdem sind positive Tags auch längst nicht immer so inhaltsbezogen, dass die Handlung vorweggenommen wird. Ein weiterer Vorteil: Durch solche Tags wird es auch leichter zu erkennen, ob beispielsweise in einer Erzählung überhaupt queere Figuren enthalten sind, oder ob andere Marginalisierungserfahrungen verarbeitet wurden. Diese Angaben sind auf klassischen Klappentexten oft nicht enthalten.
Wir Queer*Welten-Herausgeber*innen sind jedenfalls schon länger große Fans des Tagging-Systems. Und da das hier unser Magazin ist und wir ebenso große Fans davon sind, Dinge einfach mal auszuprobieren – Stichwort Messy Learning! – probieren wir es in dieser Ausgabe einfach einmal aus. Ihr findet also vor allen drei Geschichten neben Inhaltshinweisen auch positive Tags. Wir sind gespannt, wie euch das gefällt. Schreibt uns doch gerne eure Meinung dazu auf Twitter oder per E-Mail!
Und jetzt aber wirklich: Viel Spaß mit den Texten der Ausgabe!
Eure Queer*Welten-Redaktion