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Gott und die Welt

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Wer Religion hat, redet Poesie

Ich las, dass die Menschen in Urzeiten, als sie noch in Höhlen lebten und sich von Kräutern, anderen Pflanzen und vom Fleisch erlegter Tiere ernährten, eine Vorstellung von einer unbegreiflichen Macht entwickelten, die Blitz und Donner, Kälte und Hitze sowie andere gewaltige Ereignisse über ihre Gegend, ihre Behausung brachte, irgendwo über den Wolken wohnte. Und Frau und Kinder erlebten, dass der Vater imstande war, die Hütte vor Wettereinbrüchen zu schützen, wilde Tiere zu jagen und zu erlegen und damit den Schutz der Familie zu gewährleisten. Konnte er aber auch Sturm, Hitze, Unwetter und anderes Ungemach von ihnen fernhalten? Da müsste eine andere Macht im Spiel sein, eine, die über alles, was geschah, verfügte.

Da der Vater imstande war, viel Bedrohliches von ihnen abzuwenden, müsste diese Macht noch größer sein als seine. Und sie nannten diese Macht Gott. Und so entstanden in den verschiedenen Erdteilen möglicherweise unterschiedliche Religionen, die aber eins gemeinsam hatten: Es musste ein „höheres Wesen“ geben.

Und wir Heutigen? Wir hier im christlichen Abendland?

Wir berufen uns auf Gott, den Schöpfer Himmels und der Erden. Und uns wurden Schriften geschenkt: das Alte und das Neue Testament, die uns viele Botschaften und ein Vermächtnis hinterlassen haben.

Die Bibel ist eine Sammlung von heiteren, lebensnahen und fast unglaublichen Geschichten, voller Tragik und voller Hoffnung.

Und sie ist ein Fundus an Poesie. Psalmen wie z. B. „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser. Er erquicket meine Seele“. Auch die Sprache des Apostels Paulus ist an vielen Stellen hochpoetisch, z. B. im ersten Brief an die Korinther im 13 Kapitel: „Wenn ich mit Menschen- und mit Engelszungen redete und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönend Erz oder eine klingende Schelle…“ Vergessen will ich auf keinen Fall die Kirchenliederdichter, etwa Paul Gerhardt, Martin Luther, Mathias Claudius, Johannes Falck und viele andere, die sich auf die Sprache der Poesie verstanden und uns zusammen mit den Komponisten wunderbare tief berührende Lieder geschenkt haben.

Eines Tages lag ich wegen einer fiebrigen Grippe im Bett und hörte im Radio die Morgenandacht. Und da sagte der Pastor, der den Text sprach, Gott ist nicht das Gute, sondern das Ganze. Dem sann ich nach. Mit vielen anderen hatte ich in der Vergangenheit ja auch immer wieder die Frage aufgeworfen: Wie konnte Gott das alles zulassen: die Kriege, die Konzentrationslager und das ganze Elend auf dieser Welt? – Gott ist das Ganze.

Der Pastor verabschiedete sich. Sein Name wurde noch einmal genannt, und da flammte es in mir auf. Den kannte ich doch. In verschiedenen Funktionen waren wir an einer kirchlichen Hochschule als Dozenten tätig gewesen.

Immer noch elektrisiert, suchte ich im Hamburger Telefonbuch seine Telefonnummer. Und siehe da: Ich fand sie und rief ihn sofort an. Wir erkannten uns wieder, sprachen über den Inhalt seiner Morgenandacht, und er machte mich aufmerksam auf ein von ihm kürzlich erschienenes Buch mit dem Titel „Was Gott den Dichtern verdankt“ und worin er auch auf den inneren Zusammenhang von Religion und Poesie eingeht. Mein Denken und sicher auch das vieler anderer war davon geprägt, selbstverständlich anzunehmen, alles Gute, alle religiösen und frommen Gedichte sind u. a. auch selbstverständlich ein Dank an Gott.

Einfach mal andersherum gedacht als „Wir verdanken Gott unsere Lyrik, unsere Lieder“. Ich konnte allmählich sehen lernen, dass Gott den Dichtern ebenfalls vieles zu verdanken hat. Durch das kunstvoll gestaltete Wort kann der Leser ergriffen und so berührt werden, dass er eine Verbindung zu Gott herstellen kann.


© Ingrid Hochdörfer-Mieck

Mitten im Leben

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