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Kapitel Drei

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Aubrey Hobbs

Ich wusste nicht, was mich dazu gebracht hatte, mich für Kangaroo Island zu entscheiden. Vielleicht, dass es so abgelegen lag. Oder vielleicht, weil es der letzte Ort war, an dem man erwarten würde, mich anzutreffen.

Nicht, dass irgendjemand nach mir suchte.

Aber es war die südliche Spitze Südaustraliens und jedes Mal, wenn ich zu den Sternen aufsah, hatten sie in diese Richtung gedeutet. Also war ich hergekommen.

Ich hatte nur einen schnellen Blick auf die Zeitung des netten Typs werfen können, aber ich hatte genug gesehen: Anton und die Worte Leerer Sarg. Also hatten sie mich endlich begraben… Ich wusste nicht, ob ich erleichtert sein oder Trauer empfinden sollte.

Es war sechs Monate her, dass ich mein Leben hinter mir gelassen hatte. Sechs Monate, seitdem der Buschbrand durch den Nationalpark gefegt war und alles in Grund und Boden gebrannt hatte. Sechs Monate, seitdem Ethan Hosking gestorben und Aubrey Hobbs aus seiner Asche auferstanden war.

Es war nicht leicht gewesen. Ehrlich gesagt war es zwischendurch richtig zum Kotzen gewesen. Ich war quer durch Victoria gezogen und schließlich in Melbourne gelandet, wo es mir gelungen war, hier und da einen Aushilfsjob zu ergattern.

Der Punkt war, dass man in kleineren Orten besser zurechtkam als in den Städten. Die Menschen auf dem Land waren vertrauensseliger und oft bedeutete ihnen eine mit Handschlag besiegelte Absprache noch etwas. Die Leute in der Stadt wollten Ausweise und Steuernummern sehen und das war etwas, das ich nicht anbieten konnte.

Meistens bekam ich genug Geld zusammen, um etwas zu essen zu haben. Manchmal auch nicht. Und ich hatte öfter auf der Straße übernachtet, als ich mir ins Gedächtnis rufen wollte. In einigen Nächten hatte ich darüber nachgedacht, eine Polizeiwache zu betreten und ihnen zu sagen, wer ich war; mich mit Amnesie herauszureden oder so etwas. Aber ich konnte nicht zurückkehren. Ich konnte niemals zurück.

Daher zog ich nach Westen, als ich von Melbourne genug hatte oder die Leute zu viele Fragen stellten. Ich folgte den Saisonarbeitern im Obstanbau, verbrachte einige Zeit in Geelong, dann in Warrnambool. Dann zog ich nach Südaustralien und verbrachte einige Zeit am Mount Gambier, bevor ich mich in Adelaide wiederfand. Im Land des Weins konnte man sich beim Traubenpflücken leicht etwas Geld verdienen und es gab billige Unterkünfte für die Rucksacktouristen, die ebenfalls zum Arbeiten blieben.

Ich hatte inzwischen genug Bargeld, um eine Weile damit auszukommen, wenn ich es klug anging. Und wenn ich als Obdachloser ohne Ausweis eines gelernt hatte, dann, mich schlau zu verhalten.

Jedenfalls was die Straße anging. Inzwischen reichte mir ein Blick, um zu erkennen, wem ich vertrauen konnte und wem ich aus dem Weg gehen sollte. Und während Ethan Hosking nicht viel mehr zustande gebracht hatte, als auswendig die Kataloge von Designern zu zitieren, konnte Aubrey Hobbs Ställe ausmisten, Regale bestücken, Toiletten putzen, Böden wischen, Obst ernten und Weinstöcke hochbinden. Ich konnte vollkommen ahnungslos einen neuen Job antreten – indem ich so tat, als ob ich Bescheid wusste, bis ich es wirklich draufhatte – und kam gut damit durch.

In der ersten Zeit nach dem Feuer verfolgte ich, wo und wann immer es mir möglich war, die Nachrichten. Und mein Schachzug, meine Brieftasche und mein Handy unter der Feuerschutzdecke zurückzulassen, war genau nach Plan verlaufen. Sie hatten beides gefunden, geschmolzen, aber immer noch als mein Eigentum identifizierbar, nicht weit von Antons Hütte entfernt.

Sie waren nicht auf meine sterblichen Überreste gestoßen, aber das war bei so großer Hitzeeinwirkung nicht ungewöhnlich, wie der Nachrichtensprecher erklärt hatte. Vier Tage nach dem Feuer war mein Name – nun, der Name Ethan Hosking – offiziell der Liste der Opfer hinzugefügt worden.

Anton hatte für die Medien voll aufgedreht, hatte in seinem neu geschneiderten Anzug und mit dunkler Sonnenbrille schluchzend dagestanden, als es verkündet wurde, und das Land hatte mit ihm getrauert.

Der arme, arme Mann, hatten die Leute gesagt. Wie furchtbar tragisch.

LGBTQI+-Vereinigungen im ganzen Land hatten ihn zum Posterboy für schwule Männer in Führungspositionen der Gesellschaft gemacht und er war nach wie vor ihr Gesicht der Schwulenpolitik.

Gott, wie sehr er sie an der Nase herumgeführt hatte.

Er war ein verlogenes, manipulatives, brutales Stück Scheiße. Ich hatte immer noch Albträume von einigen Dingen, die er mir angetan hatte. Ich hatte auf Parkbänken, unter Brücken und in Kartons geschlafen. Ich war von Meth-Süchtigen bedroht und von Verkäufern schief angeschaut worden, weil ich ungewaschen war, und das war immer noch nichts, nichts, im Vergleich zu der Hölle, durch die er mich getrieben hatte.

Doch dank ihm war ich jetzt stärker.

Und ich hatte bei diesem Ort ein gutes Gefühl. Sobald ich auf der Insel angekommen war, wusste ich, dass ich mich nicht in den größeren Städten aufhalten würde. Ich blieb zwei Nächte lang in Penneshaw, aber stellte fest, dass ich weiter nach Westen wollte. Die Einsamkeit, das Raue zog mich an. Deshalb ließ ich mich als Anhalter mitnehmen und kam in Hadley Cove an, um mich einem stürmischen Ozean, heulenden Südwinden und dunklen, tief hängenden und unheilverkündenden Wolken gegenüberzusehen.

Und ich hatte das Gefühl, zu Hause zu sein.

Ich war mir nicht sicher, ob ich jemals wieder Frieden finden würde, aber bei Gott, hier konnte ich ihn beinahe schmecken. Und ich wollte ihn. Ich wollte einen Ort finden, an dem ich aufhören konnte, wegzulaufen.

Ob es hier dafür reichen würde, würde die Zeit zeigen.

Dieser Patrick hatte ziemlich nett gewirkt. Sein Haar war braun, aber sein Bart zeigte Spuren von silber und rot. Seine Augen waren so blau wie ausgeblichener Jeansstoff und er wirkte ein wenig wettergegerbt, als würde er viel Zeit im Freien verbringen. Sein Alter schätzte ich auf ein oder zwei Jahre jenseits der vierzig. Er wirkte ebenso schroff wie die Stadt, in der er lebte, und die Tatsache, dass er am Leuchtturm wohnte, interessierte mich. Er hatte sicher eine ganz eigene Geschichte zu erzählen.

Und das war das Problem.

Jeder hatte irgendeine Geschichte zu erzählen, ich selbst eingeschlossen. Und wenn ich es mir erlaubte, jemandem zu nah zu kommen, würde derjenige Fragen stellen, die ich niemals beantworten konnte. Ich hatte mir in den vergangenen sechs Monaten nicht einmal den Luxus erlaubt, Männer anzuschauen. Nicht einmal Rucksacktouristen. Ich konnte es nicht riskieren, dass mir jemand zu nah kam.

Das war der Preis, den ich zahlen musste.

»Ich dachte, du könntest die hier brauchen.«

Ich war gerade damit beschäftigt, das letzte Brett der Verschalung an der Unterseite des Wohnwagens zu befestigen, als jemand mich von hinten ansprach. Ich wäre verdammt noch mal fast aus der Haut gefahren und wirbelte herum, um Patrick vorzufinden. »Heilige Scheiße«, sagte ich und legte eine Hand über mein Herz. »Du hast mich erschreckt.«

Er hob die Hände in die Höhe und sah drein, als täte es ihm ehrlich leid. Oder als würde er versuchen, ein wildes Tier zu zähmen. »Entschuldige«, sagte er rasch. »Ich wollte dich nicht aufscheuchen.«

Ich bekam immer noch nicht wieder richtig Luft. »Schon in Ordnung.« Nun gut, ich hatte wohl immer noch an meinem Pokerface zu arbeiten, denn ich wusste, dass ich blass geworden war. Sämtliches Blut war in Richtung Herz gerauscht und ich konnte spüren, dass es nur langsam in meine Wangen zurückkehrte. »Ich habe dich nicht kommen hören.«

Er zog ein Paar Handschuhe hervor. »Ich dachte, du könntest die brauchen«, sagte er erneut und lächelte, als wäre er nervös. »Ich bin vorhin vorbeigekommen, um mit Frank zu sprechen, aber du warst schon bei der Arbeit. Dir werden die Finger abfrieren, wenn du nichts überziehst.«

»Oh. Klar.« Ich schluckte schwerfällig.

»Du kannst die hier nehmen.« Er reichte mir die Handschuhe und musterte mich immer noch, als könnte ich auf dem Absatz kehrtmachen und flüchten. »Sie liegen schon eine Weile bei mir in der Schublade herum. Sie sind mir zu klein.«

Es war so lange her, dass jemand etwas Nettes für mich getan hatte, dass es sich fremd anfühlte. »Ehm, danke. Ich hatte nicht erwartet, dass es so kalt ist.«

Patrick hob die Hand in den Wind. »Es kann hier ziemlich heftig werden.«

Ich nickte, nicht sicher, was ich sagen sollte. Ich war mir sicher, dass er kurz davor war, mir Fragen zu stellen. Daher wandte ich mich wieder der Verschalung zu und rückte sie ins Zentrum der Aufmerksamkeit, nicht mich. »Ich bin mit der hier schon fast fertig, aber morgen werde ich sie sicher tragen.«

Er verzog das Gesicht und rang nervös die Hände. »Frank hat gesagt, dass du den ganzen Morgen lang gearbeitet hast. Hast du schon zu Mittag gegessen?«

Ich starrte ihn an, ohne zu wissen, was ich sagen wollte. Nicht sicher, was seine Beweggründe waren und erst recht nicht, warum ich seine Nervosität süß fand. »Ehm.«

»Keine große Sache«, antwortete er und hielt das Gesicht in den Wind. »Ich dachte nur, heiße Fish and Chips klingen gut.«

Oh Mann. Warmes Essen. Fish and Chips klangen nach dem Himmel, eingewickelt in Zeitungspapier.

Er lächelte. »Komm schon. Ich lad dich ein.« Er drehte sich um und es war ziemlich offensichtlich, dass er zum Imbiss wollte. Er lag nicht weit entfernt. Nichts in Hadley Cove war weit weg. Ich fiel neben ihm in Schritt und er betrachtete kopfschüttelnd meine Hände. »Die Handschuhe werden dich nicht warmhalten, wenn du sie nur festhältst.«

Ich lachte leise und zog sie an, mir wurde sofort wärmer. »Danke noch mal dafür.«

»Kein Problem. Wie gesagt, sie lagen nur herum. Ich habe auch noch eine alte Mütze, die du auch haben kannst. Ehrlich gesagt habe ich um die zehn. Mrs. Stretzki – sie wohnt in der Portside Street – hat mir einen ganzen Haufen gestrickt, weil ich ein paar kaputte Rohre für sie repariert habe.« Er schob die Hände in die Manteltaschen. »Viele Leute hier betreiben eine Art Tauschhandel. Ich habe mal umsonst die Haare geschnitten bekommen, weil ich Reifen gewechselt habe. Und die Hollies, die den lautesten Hahn der Welt halten, tauschen Eier gegen Fisch. Oder Brot oder was auch immer. Anfangs fand ich das skurril, aber so läuft es hier eben.«

»Der alte Frank lässt mich umsonst bei sich wohnen, solange ich für ihn Reparaturen vornehme«, gab ich zu.

»Siehst du? Du bist schon fast ein Einheimischer.« Wir hatten inzwischen den Imbiss erreicht und Patrick hielt mir die Tür auf. Eine Glocke über dem Türrahmen kündigte unsere Ankunft an und der Duft nach frittiertem Essen und Öl sorgte dafür, dass sich mein Magen verkrampfte.

Oder es lag an Patricks Lächeln.

Ich stellte mich vor den Tresen und sah auf zur Tafel mit der Speisekarte und Patrick gesellte sich neben mich. Er war nur ein paar Zentimeter größer als ich, aber deutlich kräftiger und breiter gebaut, wenn auch nicht auf bedrohliche Weise. Eher wie eine Säule der Kraft. Er schwieg einen Moment, dann fragte er: »Wonach ist dir zumute? Der gegrillte Fisch und die Pommes sind sehr zu empfehlen.«

Urgs. Es war nicht so, als könnte ich viel bestellen. Er bezahlte, also wäre das unhöflich. »Ehm, was auch immer. Mir ist alles recht. Der gegrillte Fisch klingt super.«

»Oh, hallo, Patrick«, sagte das Mädchen hinter dem Tresen. Sie war klein und kräftig, hatte ein weiches Gesicht mit Pausbacken, einen silbernen Stecker in der Nase und eine pinke Strähne in ihren ansonsten schwarzen, locker aufgesteckten Haaren. Sie warf einen kurzen Blick in meine Richtung, bevor sie wieder Patrick ansah. »Was kann ich euch bringen?«

Er hielt zwei Finger hoch. »Das Übliche mal zwei, danke, Cassy.« Er sah sich zu mir um, dann wieder zu ihr. »Wir essen hier, wenn das in Ordnung ist? Draußen ist es heute ein bisschen frisch.«

»Na klar«, erwiderte sie.

Ich rutschte auf eine Bank für zwei. Sie unterhielten sich eine Weile über das Wetter und über jemanden namens Davey, der einen Bus besaß, was offenbar ein Insider war, da Cassy die Augen verdrehte und Patrick lachte. Es war recht offensichtlich, dass Patrick ein sympathischer Mann war, und ich vermutete, wenn man in einer so kleinen Stadt lebte, wusste jeder über jeden Bescheid. Entweder mochten einen alle oder es gingen einem alle aus dem Weg und ich fragte mich, zu welcher Sorte ich gehören würde.

Sicher zu denen, denen man aus dem Weg ging.

Das war nichts Schlechtes. So sehr ich mir Freunde wünschte und mich nach Gesprächen oder einfach Gesellschaft sehnte, konnte ich nicht.

Es war schließlich nicht so, als befände ich mich in einem Zeugenschutzprogramm, in dem mir eine neue Identität zusammen mit passenden Papieren und Hintergrundgeschichte zugeteilt worden war, sollte jemand neugierig werden.

Ich hatte nichts. Keine Krankenversicherungskarte, keine Steuernummer, keine Bankkonten. Keine Geschichte.

Himmel, ich hatte nicht einmal ein Telefon.

Das kam mir verrückt vor, denn vor weniger als einem Jahr hatte ich praktisch daran geklebt. Soziale Medien, Nachrichten, SMS. Aber Anton hatte sich größtenteils darum gekümmert und mich von meinen Freunden, meiner Arbeit, meinen Träumen isoliert. Also war es nicht allzu schwer gewesen, das Handy aufzugeben. Tatsächlich war es anfangs ein Segen gewesen.

»Aubrey«, sagte Patrick. Er stand neben dem Getränkekühlschrank und angesichts seines Tonfalls und seines Gesichtsausdrucks fragte ich mich, wie oft er bereits meinen Namen gesagt hatte. »Cola oder Sprite?«

»Ehm, Cola. Danke.«

Moment mal. Woher kannte er meinen Namen?

Patrick setzte sich mir gegenüber und reichte mir eine Flasche Cola. »Du warst meilenweit entfernt.«

»Ja, tut mir leid.« Ich zog meine neuen Handschuhe aus und öffnete die Flasche, um nervös daran zu nippen. »Ehm, woher weißt du meinen Namen?«

»Frank hat ihn mir gesagt. Keine Sorge. Morgen kennt jeder in der Stadt deinen Namen. So funktioniert der Buschfunk von Hadley. Frank wird um vier in den Laden gehen, um sich seine zwei Flaschen Bier zu kaufen, und er wird es Penny sagen, und Penny, na ja, sie wird ihn jedem verraten.«

»Oh, verstehe.« Ich schnaubte. »Ist jeder in der Stadt so berechenbar?«

Patrick lachte auf. »Oh ja. Einmal ist der Regierung der Strom für die Zeitrechnung ausgefallen und sie sind hierhergekommen, um ihre Uhren neu zu stellen.« Er zwinkerte. »Frank holt sein Bier um Punkt vier. Collin O'Hare, der örtliche Polizeibeamte, beginnt mit seinem Fünfkilometerlauf genau um halb sechs Uhr morgens und kommt um fünf Uhr zweiundvierzig am Leuchtturm vorbei.« Dann seufzte er. »Nicht, dass ich groß reden dürfte. Ich hole mir jedem Morgen um Viertel nach acht meinen Kaffee im Laden. Ich schätze, wir sind alle Gewohnheitstiere.«

Ich drehte die Colaflasche um hundertachtzig Grad. »Oh ja, den Polizisten habe ich gestern kennengelernt.«

Patrick lächelte mir leicht zu. »Er ist ein netter Kerl. Er liebt nur seine Spielregeln und möchte, dass seine Stadt genauso bleibt, wie sie ist. Hat er dich gefragt, was du hier machst und wie lange du zu bleiben gedenkst?«

»Ja, quasi.«

Patrick hob wegwerfend die Hand. »Ignorier ihn. Bei mir hat er dasselbe gemacht, als ich hergekommen bin, aber er ist in Ordnung.«

»Ist er ein Freund von dir?«

Er rutschte auf seinem Platz umher. »Irgendwie. Nicht so richtig. Ist kompliziert.«

Genau in dem Moment brachte Cassy uns zwei Lieferkartons, in denen jeweils ein Berg an Essen war. »Hier, Jungs«, sagte sie. Jungs? Sie war jünger als ich und rund zwanzig Jahre jünger als Patrick. Sie hielt inne und musterte mich mit offener Anerkennung, dann lächelte sie. »Und du bist…?«

»Öh, Aubrey«, antwortete ich.

»Tja, nett dich kennenzulernen, Aubrey. Ich bin Cassy.« Sie stand lächelnd da, bis es peinlich wurde.

»Danke, Cassy«, sagte Patrick und glücklicherweise verstand sie den Hinweis und ließ uns allein. »Tut mir leid. Es kommen nicht oft Neue her.«

»Ich merk's schon«, sagte ich lächelnd. Er starrte mich an. Der Blick seiner blauen Augen drang ein bisschen weiter in mich vor, als ich erlauben sollte. Es lag etwas in ihnen. Etwas Vertrautes und Warmes.

Auf der Suche nach einer Ablenkung nahm ich die Plastikgabel und stach in das weiße Fischfilet, das beinahe von selbst zerfiel. Der Duft war unglaublich und ich konnte nicht anders, als beim ersten Happen aufzustöhnen. »Oh mein Gott, der ist so gut.«

Patrick starrte mich an. Seine Gabel hielt auf halbem Weg zu seinem Mund inne, bevor er errötete und sich ein wenig wand und ein paarmal blinzelte, bevor er weiteraß. »Ja. Ist er wirklich.«

Okay, ich hatte vielleicht ein bisschen lauter aufgestöhnt, als ich gedacht hatte, aber ich konnte nicht anders. Gott, es war so lange her, dass ich richtiges Essen gegessen hatte. Nicht nur einen Becher billiger Nudeln oder Brot oder schwarzen Tee.

Patrick warf mir immer wieder Blicke zu, während er sein Mittagessen vertilgte, und wenn zuvor so etwas wie Interesse in seinem Blick gelegen hatte, dann wurde es bald von etwas ersetzt, das nach Mitleid aussah. Als würde er jemanden beobachten, der nicht oft zum Essen kam.

Ich legte langsam meine Gabel beiseite und bot ihm ein Lächeln an. »Es ist, hm, wirklich lecker.«

Er lächelte ebenfalls. »Hab ich dir ja gesagt. Cassy benutzt ein geheimes Gewürz für den Fisch, bevor sie ihn grillt. Ihrem Dad gehört eines der Fischerboote, die jeden Morgen raus in die Bucht fahren, und er bringt ihr jeden Tag frisch seinen Fang.«

»Ich habe noch nie so leckeren Fisch gegessen.«

Er nickte zu der Mahlzeit vor mir. »Iss weiter.« Dann ignorierte er mich, während ich aufaß, vermutlich, damit ich mich nicht schlecht fühlte, während ich die ganze Portion verschlang. Na ja, er ignorierte mich nicht richtig, aber er tat zweifelsohne so, als wäre ich nicht irgendein verhungernder Typ, dem er aus Mitleid etwas zu Essen besorgt hatte.

Als ich keinen einzigen Bissen mehr herunterbekam, spülte ich das Fett mit einem Mundvoll Cola herunter. »Also was genau macht man, wenn man sich um einen Leuchtturm kümmert?«

Patricks Miene erhellte sich und er schob sein halb aufgegessenes Mittagessen beiseite. »Nun, inzwischen ist alles elektronisch und die Lampe läuft automatisch, also geht es in erster Linie um die Instandhaltung. Das Salz und der Wind sorgen für eine Menge Arbeit.«

»Aber immer noch ziemlich cool. Nicht viele Leute können von sich behaupten, dass sie in einem Leuchtturm arbeiten.«

»Nein, es gibt im ganzen Land nur etwa dreihundertfünfzig von uns. Genau genommen bin ich bei der Australian Maritime Safety Authority angestellt oder auch AMSA. Es ist nur eine Teilzeitstelle. Daher funktioniert es für mich hier in Hadley, wo das Leben nicht so teuer ist.«

»Es scheint eine nette Stadt zu sein«, bemerkte ich. »Dieser Tauschhandel ist allerdings ein bisschen schrullig, das muss ich zugeben.«

Er lächelte. »Hast du schon die Pinguine und Seebären gesehen?«

»Nein, möchte ich aber.« Laut den Touristenbroschüren, die ich mir angeschaut hatte, sollte das ein unglaublicher Anblick sein. »Wo muss ich denn hin, um sie mir anzugucken? Kann man von hier aus hinlaufen?«

»Ich kann sie dir irgendwann zeigen, wenn du magst?« Er zuckte die Schultern, als ob das Angebot keine große Bedeutung hätte. »Ich bin eine Art Experte, was das angeht. Und ja, man kann zu Fuß hingehen. Alles in Hadley ist in Fußreichweite.«

»Warum? Ich meine, warum bist du ein Experte?«

»Die Stelle liegt vor meiner Haustür.«

»Oh. Das ergibt Sinn.« Ich trank einen Schluck meiner Cola und fasste mir ein Herz. »Warum bist du so nett zu mir?«

Patricks Augen zuckten und sein Lächeln verblasste zu etwas Traurigem. »Weil du ein bisschen verloren gewirkt hast. Du erinnerst mich an…« Er seufzte. »Du erinnerst mich an mich.«

Ich schluckte mühsam und mein voller Magen zog sich unangenehm zusammen. »Ich, eh…«

Als ich nichts weiter zu sagen hatte, fuhr er fort: »Ich weiß, wie es ist, jemanden in der Nähe zu brauchen, der keine Fragen stellt. Denn das Einzige, was schlimmer ist, als niemanden in Reichweite zu haben, ist es, es mit einer wohlmeinenden, aber neugierigen Person zu tun zu bekommen, die ständig die falschen Fragen stellt.«

Ich stieß langsam die Luft aus. Gott, er verstand es wirklich. Ich wusste nicht, was ihn dazu verleitet hatte, so etwas zu sagen, aber er verstand mich ganz offensichtlich. Aber vielleicht war er jemand, bei dem ich mich nicht in Acht nehmen musste. »Es ist ermüdend, die ganze Zeit in der Defensive zu sein.«

»Ist es.« Patrick schenkte mir ein freundliches Lächeln. »Deshalb wirst du von mir nie irgendwelche Fragen zu hören bekommen. Es sei denn, es geht um so alltägliche Sachen wie darum, ob du schon die Pinguine und Seebären gesehen oder ob du deinen Fisch lieber gegrillt oder frittiert magst.«

Zum ersten Mal seit einer gefühlten Ewigkeit lachte ich leise. »Mit solchen Fragen komme ich klar.«

»Gut. Also, was hast du morgen vor?«

»Schon wieder eine Frage.«

»Ja, aber wieder eine banale.«

Ich lächelte. »Ich werde mit der Arbeit an den sanitären Einrichtungen anfangen. Ich glaube nicht, dass Frank schon einmal etwas daran gemacht hat, seitdem er den Laden gekauft hat.«

Er schnaubte leise. »Bitte sag mir, dass es warmes Wasser gibt.«

»Kaum.« Ich lächelte ihm zu. Oder vielleicht lächelte ich immer noch. Ich war mir nicht sicher. »Aber es ist nicht so wild.«

»Darf ich noch eine Frage stellen?«

»Kommt darauf an.«

Er grinste. »Sie wird banal sein, Pfadfinderehrenwort.«

»Ich war früher ein Pfadfinder, weißt du.«

Er salutierte. »Dann werde ich pflichtbewusst mein Versprechen halten, nur einfache Fragen zu stellen.«

Ich lachte. »Dann bitte, frag nur.«

»Wenn du morgen Abend Zeit hast, kann ich dir dann zeigen, wie die Pinguine an Land gehen?«

Er wollte sich wieder mit mir treffen. Ich war mir nicht sicher, ob das eine gute Idee war, aber die Wärme in seinen Augen und sein freundliches Lächeln und die Sehnsucht, mich mit einem anderen Menschen zu beschäftigen – besonders mit jemandem, der versprochen hatte, keine Fragen zu stellen –, erlaubten mir nicht, abzulehnen. »Klingt gut. Wo ist der Haken?«

»Kein Haken. Es sei denn, du hältst es für einen Haken, nachts bei klirrender Kälte runter zum Strand zu gehen. Ich verspreche, dass es das wert ist.«

Über uns die Sterne, zwischen uns die Liebe

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