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Florenz

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Florenz – Reiselust

Gustav war nun übermotiviert. Ständig fragte er, ob Ramona etwas brauche, sie durstig sei oder hungrig, ob die Klimaanlage nicht zu kalt, die Musik nicht zu laut oder die Fahrt nicht zu langweilig sei.

Immerhin ließ sie sich von ihm zu einem Sahnetörtchen einladen.

Er war ausgesprochen charmant und fürsorglich, machte viele Komplimente.

Ramona gefiel es und im Laufe des Tages war ihr Zorn verflüchtigt.

Auf einem Hügel hielt Gustav an, nahm ihre Hand und küsste sie voller Überschwang.

„Sieh, meine liebe Ramona, dort liegt Florenz, die Stadt der Künste und von Michelangelo. Das ist unser heutiges Ziel. Ich habe dort für ein paar Tage ein kleines Hotel gebucht und ich hoffe, es gefällt dir.“

Ramona lächelte ihn an. Sie war noch nie in Florenz.

„Hast du wieder ein Doppelzimmer gebucht? Die machen dann bestimmt wieder Ärger und Ärger brauchen wir nicht mehr, oder?“, bemerkte sie vorwurfsvoll. Gustav errötete.

Verdammte Planung!

Jetzt musste er viel rücksichtsvoller sein, denn Streit wollte er vermeiden.

„Du brauchst keine Angst zu haben, Ramona, ich schlafe auch auf dem Sofa.“, sagte er verlegen und gleichzeitig dachte er, dass sie dann wenigstens gemeinsam duschen und auf dem Bett Rotwein trinken könnten. Doch der mahnende Blick von Ramona verriet ihm, dass sie andere Gedanken hegte. Enttäuscht senkte er seine Stimme.

„Aber vielleicht haben die noch Einzelzimmer, auch kein Problem. Ich kümmere mich darum.“, fügte er hinzu.

„Ach Gustav!“, stöhnte Ramona und doch schmunzelte sie.

Irgendwas lag in dieser italienischen Luft und es knisterte. Und so fuhren sie nach Florenz und es sah fast so aus, als wären sie ein Paar.

Gustav hatte Pech, denn das Hotel besaß ausreichend Einzelzimmer, die noch frei waren, verteilt auf unterschiedlichen Etagen. Ärgerlich, denn Ramona erzählte später ganz beiläufig, dass es ihr selber nichts ausgemacht hätte, wären sie in einem Doppelzimmer untergebracht. Verdammte Italiener!

Die Stadt am Arno war herrlich und so verschwenderisch. Wenn Geschichte fühlbar war und einen eigenen Geruch besäße, dann hier in dieser ehrwürdigen Stadt. Gassen, Winkel und Plätze in einem Labyrinth historischer Details. Beide waren verzückt und liefen vergnügt durch den Trubel der Altstadt.

Vor einem noblen Restaurant blieben sie stehen und betrachteten das Speiseangebot an üppigen Meeresfrüchten und herrlichen Köstlichkeiten.

„Das ist ein sehr schönes Restaurant.“, meinte Ramona.

„Schön teuer!“, dachte Gustav, der sich aber nun nicht als Geizkragen präsentieren wollte. Also betraten sie das hübsche Restaurant.

Es stellte sich heraus, dass es auch eine kleine Terrasse gab, mit wunderbarem Ausblick auf die Altstadt mit ihrem Fluss.

„Dann nehmen Sie bitte dort Platz, auf unserer Terrasse und ich bringe Ihnen die Karte.“, erklärte der nette Oberkellner, mit einer sehr würdevollen Verneigung.

Sie traten durch die Gasträume, bis sie die besagte Terrasse durch ein breites Panoramafenster erblickten.

„Oh, das ist wirklich sehr hübsch und es ist draußen so angenehm warm.“, säuselte Ramona. Nur eine Tür fanden sie nicht auf Anhieb am großen Panoramafenster. Niemand war in ihrer Nähe und beide ein bisschen ratlos.

Gustav wollte kein Trottel sein und suchte weltmännisch den Durchgang.

Es war auch etwas eng. Vorsichtig schob Gustav die Tische beiseite, um besser an das prächtige Panoramafenster zu gelangen. Die großen Blumekübel störten auch. Er begann zu schwitzen.

„Ich finde hier keine Tür und keinen Öffner! Es bleibt mir ein Rätsel, wie man hierdurch auf die Terrasse kommen will!“, flüsterte er Ramona zu.

Nun packte auch sie mit an und gemeinsam rüttelten sie das riesige Panoramafenster. Irgendwo musste es doch einen Mechanismus geben!

Der nette Oberkellner war nirgends zu sehen.

Inzwischen knieten sie beide auf dem Boden und suchten den Fensterrahmen nach Öffnungsmöglichkeiten ab.

Ramona fand schließlich einen großen Riegel, den sie kraftvoll, aber mit weiblicher Würde und voller Eleganz bewegte. Wild rüttelte sie und laut ächzte der Rahmen. Aber das Panoramafenster war so riesig und schwer, dass es sich nicht bewegen ließ. Ramona fluchte.

Schweißperlen formten sich auf ihrer Stirn und sie wollte nicht vor einem italienischen Mechanismus kapitulieren. Gustav war vielleicht zu provinziell, um den Durchgang zu finden, aber nicht Ramona. Verbissen rüttelte sie an allen möglichen Rahmenecken und Kanten, schlug mit ihren Fäusten gegen das Fenster. Nicht einen Millimeter ließ sich die Glasfront zur Terrasse öffnen.

Grob stieß sie Gustav zur Seite und ihre Augen funkelten wild.

„Ich bräuchte nur ein Rohrzange!“, stöhnte sie.

Gustav erhob sich und kratzte sich am Kopf. Waren die Menschen in Italien bessere Türöffner oder kannten sie einfach nur einen Trick, um solche Panoramafenster zu öffnen? Die traumhafte Terrasse lag mit eingedeckten Tischen einladend vor ihnen. Einen Durchgang gab es aber nicht und die Glasfront blieb geschlossen.

Er stand neben Ramona, die noch immer zu seinen Füßen am Boden kniete und wild um sich fluchte, als plötzlich der nette Oberkellner mit den Speisekarten hinter ihnen auftauchte.

„Mein Herr, wenn Sie das, freundlicher Weise, unterlassen würden.“,

sprach er und zeigte auf Ramona, die am Fußboden begonnen hatte, die Teppichkanten am Fensterboden hochzureißen.

„Nehmen Sie bitte das gnädige Fräulein und folgen Sie mir zur Terrasse.“, sagte er ruhig und bedächtig.

Verdattert sprang Ramona auf und hakte sich eingeschüchtert bei Gustav unter.

Der nette Oberkellner trat vorbei am verfluchten Panoramafenster, um einen Pfeiler herum und huschte elegant durch eine breite Nebentür, raus auf die Terrasse.

„Warum haben wir diesen Durchgang nicht gesehen?“, fragte Gustav und zeigte auf das kleine Schild mit der Aufschrift „

Zur Terrasse

“.

Es war wirklich ein bisschen peinlich. Nun machte es auch Sinn, dass vor dem Panoramafenster Tische, Stühle und Blumenkübel standen, die er etwas voreilig weg geschoben hatte. Beide schauten betroffen zu Boden und folgten dem netten Oberkellner in seinem schmucken Frack.

Sie besetzten einen eingedeckten Tisch und der Oberkellner entfernte sich wortlos. Er war ein echter Profi.

Die Terrasse war unglaublich romantisch und das Essen vorzüglich. Niemand sprach über das verfluchte Panoramafenster und beide bemühten sich, dieses Thema zu vermeiden. Mit starrer Mine tauchte hin und wieder der Oberkellner auf.

Nach einem Krug Wein entspannten sich beide Gemüter mehr und mehr und Gustav traute sich wieder mit dem netten Oberkellner einen Blickkontakt herzustellen. Aber ein kleines Lächeln konnte er ihm nicht entlocken. Der Wein schmeckte großartig.

Als Gustav schließlich in Ramonas Augen schaute, schlug sie ihre Hand auf den Tisch und brach in hemmungslosem Gelächter aus.

Kraftvoll pustete sie:

„Gott, sind wir blöde! Fast hätten wir das riesige Panoramafenster ausgehebelt!“

Auch Gustav lachte und schüttelte seinen Kopf.

„Was musst du dich auch gleich so reinknien, wie eine übermotivierte, schmutzige Handwerkerin, du gnädiges Fräulein!“, entgegnete er herzhaft und gackerte los.

„Ich? Du Irrer hattest die Tische doch gleich weg geschoben! Wie kann man so blöde sein!“

Sie erlitt einen echten Lachkrampf und Tränen schossen ihr aus den Augen. Er wollte noch erwidern, dass die Terrasse auch sehr schlecht ausgeschildert war, aber gleichzeitig lachen und sprechen, das konnte auch er nicht mehr.

Es war bereits dunkel, als sie wohl gelaunt und angeheitert ihr Hotel erreichten.

Brav blieb Gustav vor ihrem Zimmer stehen. Sie hatte gerötete Wangen und ihre blaugrauen Augen glitzerten.

„Ich würde gern noch etwas mit dir trinken, aber sicherlich bist du müde, oder?“, sagte Gustav leise. Ramona schaute ihn freundlich an und dann drückten sie sich plötzlich eng aneinander und küssten sich.

Nur kurz und die Zungen im Zaum gehalten. Trotzdem!

Noch nie hatten sie sich so hingebungsvoll geküsst. Der Flur war leer und nur ihr schneller Atem durchschnitt die nächtliche Stille.

„Ich liebe dich, Ramona!“, schnaufte Gustav.

„Ich weiß!“, schnaufte Ramona zurück.

Dann löste sie sich aus seiner Umarmung, wünschte eine gute Nacht und verschwand in ihrem Zimmer. Gustav blieb allein im Flur zurück, der nun noch stiller wirkte und kühle Leere ausstrahlte.

Wie oft hatte er das schon erlebt! Ramona ließ sich niemals in seine Arme fallen, suchte nie von sich aus seine Nähe und würde niemals ihn liebkosen oder gar verführen. Ramona nicht.

Als Gustav in seinem eigenen Zimmer ankam, schenkte er sich einen Whisky ein und hing mit seinen Gedanken an Ramona, deren Duft er noch deutlich verspürte. Sie war wirklich schön. Für ihn war sie die pure Verführung selbst. Ein Kunstwerk, das er als Kunstliebhaber begehrte. Und alles, was man begehrt, war am Ende auch schön. Sie hatte mit ihrer Ausstrahlung absolute Gewalt über Gustav und er konnte nichts dagegen tun. Er wusste, dass jenseits jeder Vernunft, eine schöne Frau auch immer Macht verkörperte. Demzufolge war Hässlichkeit auch die unausweichliche Demut, überlegte er. Sollte er nun demütig oder machtvoll sein? Gustav grübelte darüber nach, fand aber keine Antwort.

Ramona blieb für ihn rätselhaft und verwirrend.

Er fand sie begehrenswert, sie empfand gar keine Gefühle. Warum?

Beide hatten eine kleine Stadtrundfahrt geplant und fuhren mit einem Kleinbus die Sehenswürdigkeiten der Stadt ab. Der lässige Touristenführer, der sie alle mit Vornamen ansprach, als wären sie gemeinsam in einem Sandkasten aufgewachsen, erklärte in blumigen Beschreibungen die wichtigsten Dinge. Gustav wusste über die meisten Sehenswürdigkeiten besser Bescheid und war gelangweilt. Am liebsten hätte er ein Buch herausgeholt und angefangen zu lesen, doch er wollte gegenüber Ramona nicht unhöflich sein und bemühte sich um Fassung.

„Das stimmte so nicht, was unser Sandkastenfreund da erzählt. Michelangelo war doch kein Adoptivsohn der Medici, sondern nur ein begabter Bildhauerlehrling, der gefördert wurde. Und die Künstler mit ihren Lehrlingen wohnten teilweise im Haus der Medicis. Davon gab es vermutlich viele. Die Medici förderten zahlreiche Künstler und manche hatten eigene Gesellen, die noch im Kindesalter waren. Trotzdem wurde Michelangelo nicht adoptiert. Was für ein Idiot, dieser Touristenführer.“, bemerkte Gustav beiläufig.

„Er gibt sich Mühe und so genau wollen es die Touristen auch nicht wissen.“, entgegnete Ramona, „Außerdem stören deine klugen Kommentare.“

Gustav verzog missmutig seinen Mund und schwieg. Er hätte einfach sein Buch lesen sollen.

Anschließend saßen sie in seinem Hotelzimmer und Ramona meinte, dass Gustav manchmal zu seinen Mitmenschen taktvoller sein sollte. Schließlich hatte auch der Touristenführer nur nett sein wollen.

„Die Leute sollten sich gegenseitig ermutigen und nicht lächerlich machen. Es ist egal, ob andere Menschen dümmer sind.“, sagte sie.

„Ich bin ein kühner und forscher Zeitgenosse ...“, widersprach er mit fester Stimme.

„Ein grüner und morscher Mann mit Flosse?“, flunkerte sie.

„Ein kühler und flotter Zweitmann! … Verdammt!“, rief er entnervt.

„Flotter Zweitmann?“

„Nein! Der erster Mann, der frisch und forsch sein kann!“

Gustav fuchtelte wild mit seinen Armen vor ihr Gesicht.

„Ach was?“

Ramona vergnügte sich und ihre Zungenspitze schnellte kurz und flink hervor. Gustav erkannte, dass sie ihren Schabernack trieb.

Entschlossen packte er ihre Schultern und schaute sie an.

„Wirklich, mein Hasenpups. Ich bin ein furchtbar kühner und frischer Zeitgenosse.“

„So frisch siehst du gar nicht mehr aus.“, grinste sie frech.

„Ich meine: forsch!“

„Aaah-ja!“

Sie kicherte unverhohlen und er sackte ein wenig zusammen. Um wieder Zuversicht zu erlangen, zündete sich Gustav eine Zigarette an. Kühn schnippte er den Streichholz von sich und forsch inhalierte er den Qualm. Wie ein lässiger Privatdetektiv aus einem klassischen Schwarzweißfilm stolzierte Gustav vor Ramona hin und her. Sie grinste immer noch. Dann blieb er direkt vor ihr stehen

„Na, Kleines! Alles frisch im Schritt?“, hauchte er mit rauchiger Stimme.

Nun gackerte sie laut los. Gustav verzog keine Miene und pustete Ringe aus Zigarettenqualm durch die Luft. Effektvoll lösten sie sich in Dunst auf. Mit gespielter Gleichgültigkeit schaute er sie tadelnd an.

„Nun, Kleines! Was kann ich für dich tun, bevor du vor Erregung in Ohnmacht fällst?“, brummte er selbstsicher.

„Ich möchte Wein, du forscher, frischer Bursche!“, lachte sie.

„Sage das nochmals schneller und dreimal hintereinander!“, grinste er.

Du froschers, fischers Burste ...

Zum Abendessen verbesserte sich seine Laune mit jedem Glas Rotwein.

„Was machen wir heute Abend?“, fragte er mit spannendem Gesichtsausdruck, der alles Mögliche für den Abend erwartete.

„Ich weiß nicht. Wollen wir etwas spielen?“

„Flaschendrehen mit Kleiderpfand?“, rutschte ihm raus. Ramona wollte kein Risiko eingehen und blieb zugeknöpft.

„Vielleicht Karten? Es war auch nur ein Vorschlag.“, meinte sie.

„Also brauchen wir keine Flasche?“, fragte er enttäuscht.

„Ich habe gerade ein gutes Buch und würde es weiter lesen.“

„Darf ich dir dabei zusehen?“

„Hast du kein eigenes Buch dabei?“

„Bücher habe ich immer dabei. Ich dachte aber, dass wir etwas gemeinsam machen könnten.“, entgegnete er gelangweilt und seine Laune verschlechterte sich wieder.

„Eigentlich bin ich heute viel zu müde und gehe doch lieber schlafen.“, sagte sie und gähnte dabei, um ihre Lustlosigkeit zu unterstreichen.

Gustav hatte noch nie Verständnis dafür, wenn jemand zu müde war, um Sex zu haben. Das war eine lächerliche Ausrede. Niemand wäre dafür zu müde. Er wusste, dass Ramona wieder keine Lust empfand, dass sie jede Ausrede anführen würde, um es zu verhindern. Und hätte sie nicht ganz unerwartet die angebliche Müdigkeit, dann wären es Rückenschmerzen, Kopfweh oder ein dringendes Telefonat, wovon der Weltfrieden abhing.

„Ich habe auch Kopfweh.“, erwiderte er schlecht gelaunt und bestellte einen neuen Krug Wein.

Anschließend begleitete er Ramona zu ihrem Zimmer. Nach einem Küsschen zur guten Nacht und einem freundlichen Lächeln verschwand sie und sie sah wirklich müde aus.

Gustav streifte um das Hotelviertel und wählte irgendeine Kneipe, um noch etwas zu trinken. Als er sich gemütlich an einem Tisch setzte und sein Bier trank, bemerkte er, dass er ausgerechnet eine Karaokebar gewählt hatte. Um ihn herum saßen ausschließlich Engländer im älteren Semester. Ein Mann mit kunterbuntem Hemd ging von Tisch zu Tisch und befragte die Gäste als Showman. Dann zielte er mit seinem Mikrophon auf Gustav und frage nach seiner Herkunft.

„Ich komme aus einem kleinen Hotel, zwei Straßen entfernt.“, antwortete Gustav etwas launisch. Gelächter an den Nachbartischen.

„Sagen Sie uns ein Land.“, entgegnete der Animateur und sah ihn auffordernd an. Sein Grinsen strahlte sehr geheimnisvoll.

„Kaufland!“, erwiderte Gustav stur.

„Kaufland?“

„Dort kann man einkaufen.“

„Sie kommen nicht aus Britannien?“, fragte der kunterbunte Hemdträger.

„Ich hoffe nicht.“

Allgemeines Murmeln im Saal. Gustav hatte keine Lust auf Frageantwortspiele. Die anderen Gäste schauten finster zu seinem Tisch hinüber. Unbeeindruckt blieb der bunte Hemdträger an seiner Seite.

„Was möchten Sie singen?“, fragte der Animateur hartnäckig weiter.

„Ich möchte hier nur in aller Ruhe mein Bier trinken. Aber Sie können mir auch etwas vorsingen, danke.“

„Irgend ein Titel. Machen Sie uns die Freude!“

„Na gut! Die Leute sollen was Französisches singen!“, brüllte Gustav ins Mikrofon. Alle Briten erstarrten und warfen hasserfüllte Blicke zu ihm. Er wollte ja auch nur ein Bier in aller Ruhe genießen.

Tumult. Gläser fielen zu Boden, Frauen kreischten und starke Briten warfen den Deutschen, der so gut englisch sprach, hinaus.

Gustav stand wieder auf der Straße, allein und er durfte nicht einmal sein Bier austrinken. Um die Ecke rauschte ein Polizeiauto mit Blaulicht und Sirene vorbei. Irgendwie taten Gustav die Florentiner Polizisten leid, da sie so spät noch in eine Kneipe gerufen wurden.

Verdammte Engländer!

In bester Laune ging er zu Bett.

Am nächsten Tag gingen Ramona und Gustav gemeinsam durch die Stadt. Hin und wieder besuchten sie einige Läden, ohne etwas zu kaufen. Es war pure Neugier, als sie einen schäbigen und doch sehr antiquarischen Buchladen betraten.

„Hier haben die sogar deutsche Bücher und manche sehen ziemlich alt aus.“, bemerkte Gustav, der Bücher über alles liebte.

Ramona wollte hingegen lieber einen anderen Laden aufsuchen und so verabredeten sie sich für eine Stunde später in einem nahen Restaurant.

Gustav sah auf seine Uhr, um die Zeit nicht zu vergessen. Oft verlor er sich in solchen Bibliotheken.

Er fand einige Bücher, die uralt und eindeutig in deutscher Sprache geschrieben waren. Manchmal musste er richtig wühlen, um an bestimmte Bücher zu kommen. Dem Inhaber störte es scheinbar nicht und wahrscheinlich war es üblich hier zu kramen. Ein Buch fesselte besonders seine Aufmerksamkeit.

Chronik der Weltgeschichte

“, stand auf dem abgegriffenen Einband.

Interessiert blätterte Gustav in den Seiten. Dazwischen lagen einige handgeschriebene Zettel. Irgendwer hatte sie in die Buchseiten gesteckt.

Die ersten Blätter waren einfache Rechnungen und Steuerlisten deutscher Klöster. Sie sahen sehr alt aus. Doch ein Pergament war dabei, was anders war. Gustav war hypnotisiert von dem Inhalt.

Eine in Hamburg 1699 verfasste Handschrift schilderte einen bemerkenswerten Hirschabschuss. Es geschah im Jahre 1696, als der Brandenburgische Kurfürst

Friedrich III.

in einem Wald nahe dem märkischen Dorf Briesen diesen Hirsch erlegte. Das Tier hatte 66 Enden am Geweih und galt als kapitalstes Tier aller Zeiten. Gustav las die historische Schrift und bebte vor Aufregung.

Er kannte diese Geschichte und in Briesen verbrachte er einen Teil seiner unbekümmerten Kindheit. In dem unscheinbaren Dorf lebte damals seine Urgroßmutter und dort waren seine Eltern und er regelmäßig als Feriengäste. Und jetzt entdeckte er hier in Florenz eine alte Weltchronik und eine historische Originalhandschrift über den legendären „

Briesener 66-Ender“

.

Gustav hatte sein ganzes Leben lang großartige Bücher gesammelt und besaß inzwischen eine eigene kleine Bibliothek. Doch dieses Buch, mit den losen Handschriften im Inneren, war ein richtiger Schatz, eine echte Rarität. Er klappte das schwere Buch zu und achtete darauf, dass die interessanten Pergamente im Buchinneren versteckt blieben.

Der alte Ladenbesitzer warf nur kurz einen Blick auf den Einband und sagte gelangweilt:

„Ist ziemlich alt. 40 Euro!“

Gustav bezahlte sofort und verließ glückselig und sehr aufgeregt die staubige Buchhandlung. Er hatte ein prächtiges Geschäft gemacht.

Vermutlich hatte der Händler wenig Interesse an deutschsprachigen Büchern und war schlichtweg ahnungslos über den tatsächlichen Wert.

Er sah nicht den seltsamen Blick des alten Buchverkäufers, dessen blasse Gestalt durch das Fenster schimmerte.

Ramona saß schon im Restaurant und schlürfte einen Espresso.

„Hast du was gefunden?“, fragte sie erstaunt, als Gustav das schwere Buch auf den Tisch legte. Wie ein aufgedrehtes Kind am Weihnachtsabend erzählte er seine Geschichte über die alten Handschriften zwischen den Buchseiten. Dabei streichelte er voller Hingabe seine „

Chronik der Weltgeschichte

“.

Ramona lächelte milde, denn auch sie mochte Bücher.

„Du bist närrisch! Wahrscheinlich sind es nur Handnotizen eines kundigen Lesers der Weltgeschichte. Achtlos im Buch liegengelassen. Vielleicht sind sie gar nicht alt und einfach nur unbedeutend und wertlos?“, sagte sie, nahm vorsichtig das Buch und öffnete es.

Gustav sah ihr gespannt zu und flüsterte:

„Zwischen den Seiten 388 und 389!“

Kurz darauf zog Ramona die Handschrift hervor und betrachtete das handgeschriebene Blatt aufmerksam. Sollte es wirklich aus dem Jahr 1699 sein, dann wäre es ungewöhnlich gut erhalten. Keine Einrisse, kaum Verschmutzungen und keine Spuren von Säureflecken.

Sie teilte Gustav ihre Beobachtungen mit und hoffte gleichzeitig, dass er keine allzu große Enttäuschung erlebte.

„Du hat Recht, mein kleiner Hasenpups. Aber vielleicht liegt die Handschrift schon Jahrhunderte in diesen Seiten. Damit wäre es vor Licht und Zerfall geschützt. Säurefraß war erst im 19. Jahrhundert ein Problem, da in der Papierherstellung Chemikalien benutzt wurden. Ursprünglich wurde Papier nur aus Holz hergestellt, ohne Chlor und dem ganzen Zeug. Aber die Tinte fraß sich in das Papier und war früher schwarz und nicht blau. Der Text wurde mit einem Gemisch aus Ruß und Öl geschrieben und ist sehr alt.

Und die Schrift stammt ebenfalls aus dem 17. Jahrhundert, so wie die Schreibweise.“, erklärte er aufgeregt.

Beide schauten auf das alte Dokument.

„Sieh! Das Wort Kurfürst wurde statt mit einem „

K

“ noch mit „

C

“ geschrieben, ein „

ie

“ gab es noch nicht und wurde nur als „

i

“, das „

t

“ meist als „

th

“ geschrieben…“

Ramona lauschte aufmerksam.

„Und noch ein wichtiges Detail. Der alte Kurfürst krönte sich selber 1701 zum ersten Preußenkönig. Danach nannte er sich nur noch

Friedrich I.

und so wurde er auch immer rückblickend genannt. Unsere Handschrift berichtet jedoch vom Kurfürsten

Friedrich III.

und wurde vor 1701 verfasst!“

Ramona nickte schweigend.

„Nun könnte es auch eine moderne Abschrift eines Dokumentes sein. Dennoch ist das Papier eindeutig alt und die Tinte auch. Vielleicht eine bewusste Fälschung? Warum sollte jemand soviel Mühe verwenden? So ein Text ist öffentliches Gut und kein Geheimdokument aus

Dan Browns

Romanen. Es gibt zahllose Abhandlungen über dieses Ereignis. Ich denke, dass es ein echtes Original ist und es wurde 1699 geschrieben. Leider ohne Namen und Unterschrift.“, erklärte er.

Gustav klappte das Buch mit Genugtuung zu, nahm Ramonas Hand und grinste zufrieden. Er würde das mysteriöse Schriftstück später noch richtig untersuchen und vielleicht gab es noch weitere Geheimnisse.

Nach dem Abendessen trafen sich beide im Zimmer von Gustav. Er hatte irgendwoher eine Kerze besorgt und angezündet, Italienischen Wein entkorkt und sein Bett als Sitzmöbel umfunktioniert. Die Beleuchtung hatte er gedämmt und den lokalen Musiksender eingestellt.

Ramona war entspannt. Gustav war es nicht und etwas nervös. War es sein Abend? Diesmal wollte er nicht zu unsicher wirken. Er strahlte doch stets Sicherheit aus.

Nach dem ersten Gläschen nahm er einfach ihre kleine Hand und streichelte sie wie einen alten Talisman. Aber schon nach kurzer Zeit fand er es albern und kindlich. Er ließ ihre Hand wieder los.

Unbeholfen schenkte er die Gläser erneut voll. Der Rotwein schimmerte durch das Glas auf Ramonas Wangen, sobald sie daran nippte.

Gustav hätte es gern fotografiert, aber dieser Moment war ein stiller Raum in angenehmer Untätigkeit. Jede Bewegung hätte gestört. Gustav mochte solche Momente, die ein Stück zeitlose Ewigkeit waren.

Aber was mochte Ramona? Wäre sie einverstanden, wenn er sie jetzt küsste, ihre kleinen Brüste liebkoste und ihr das Kleid öffnen würde? Gustav hatte keine Ahnung. Umso länger er sie kannte, desto unsicherer wurde er ihr gegenüber.

Von seinen Ängsten wusste Ramona nichts, der Rotwein schmeckte lecker und Florenz war einfach eine tolle Stadt. Ramona fühlte sich wohl.

Da Gustav nur schweigsam neben ihr saß, dachte sie über ihr Verhältnis nach. Eigentlich war er ein toller Freund. Gustav war witzig, klug und gegenüber der restlichen Welt sehr selbstsicher. Nie würde er ihr einen Wunsch verweigern, wäre ihr gegenüber niemals grob oder rücksichtslos und zärtlich wäre er ohnehin. Irgendetwas stand aber immer zwischen ihr und Gustav. Sie konnte es eigentlich nicht erklären, denn sie war gern in seiner Nähe.

Und nun saßen sie gemeinsam auf einem Bett, mit Rotwein und im Kerzenschein, an einem milden Abend unter Italiens Himmel.

Was würde sie machen, wenn Gustav sie plötzlich küssen würde, ihre Brüste streicheln und ihr Kleid öffnen würde? Hätte sie es gemocht und auch genießen können? Ramona dachte nach. Es war schon eine Weile her, als sie den letzten Sex hatte und auch die Enttäuschungen danach. Doch Gustav würde sie nicht enttäuschen.

Er gehörte zu den Menschen, die lieber überraschten, als enttäuschten. Sie konnte es sich fast vorstellen, wie er sie küssen würde, wie er ihre Brüste entblößte, ihr das Kleid öffnete und sie mit seinem Mund berührte. Sie stellte es sich vor und spürte die heimliche und warme Feuchtigkeit ihrer stillen Gedanken.

Jetzt hatte Ramona Lust.

Gustav saß schweigend neben ihr und schien über irgendein Problem zu brüten. Dann schaute er sie an, bemerkte ihre geröteten Wangen und seufzte ganz unmerklich, legte seinen Arm um ihre Hüfte und rückte ganz dich heran.

Sie waren sich nah und Gustav wollte schon seinen ganzen Mut zusammennehmen und sie leidenschaftlich bestürmen, sie küssen und lieben. Jetzt wollte er es wagen!

Beide schreckten hoch, denn es klopfte unvermittelt an seiner Zimmertür.

Verdammte Zimmertür!

Es war ein Junge, der einen Briefumschlag überreichte und gleich wieder verschwand. Gustav öffnete den Brief und las vor:

Mein Herr, Sie haben heute ein Buch bei mir erworben. Leider stellte ich fest, dass ich nicht befugt war, es Ihnen zu verkaufen. Der eigentliche Besitzer bekam das Buch von seinem Vater als persönliches Familienerbstück mit hohem, ideellem Wert und er besteht auf die Rückgabe des Buches.

Als Wiedergutmachung für die Unannehmlichkeiten, die ich Ihnen bereitet habe, erhalten Sie von mir 400 Euro. Bitte kommen Sie allein und bringen sie das Buch am Morgen um 10 Uhr in mein Geschäft, wo ich Ihnen das Geld aushändige.

Hochachtungsvoll, Rigonaldos

Gustav runzelte die Stirn.

„Was soll das?“, fragte er.

Ramona zuckte die Achseln.

„Satte 400 Euro ist kein schlechtes Geschäft. Vermutlich wusste der alte Buchkrämer nicht, welches Buch schon verkauft und welches Buch nur eine Leihgabe war.“, sagte sie und sah zu, wie Gustav das Buch hervor holte.

„Mag sein, dass der Alte die Übersicht verloren hat.“, antwortete er, „Aber wie sollte ein Erbstück, was dem Eigentümer so ideell wichtig war, in ein verstaubtes Bücherregal eines Antiquariats landen?

Viel wahrscheinlicher ist, dass er irgendwie von den Handschriften erfahren hat und diese weit wertvoller sind als lumpige 400 Euro.“, entgegnete er grübelnd. Ramona setzte sich aufrecht, zog ihr Kleid gerade und sagte etwas empört:

„Gustav, willst du das Buch behalten, obwohl du weißt, dass es nicht dir gehört?“

Ihre Wangen wurden noch roter, obwohl ihre Lust längst verflogen war.

Gustav zog ein Päckchen Zigaretten aus seiner Tasche und zündete sich eine an, trotz des Rauchverbotes. Damit zeigte er deutlich, dass er Regeln verabscheute und meist ignorierte, ohne Skrupel zu haben. Gustav war nie ein Mann, der unterwürfig handelte.

„Ich habe es ganz offiziell für 40 Euro gekauft und könnte es einfach behalten.“, antwortete er trotzig, „ Aber gut, wir gehen morgen hin und tauschen das Buch für 400 Euro zurück. Die Handschrift von 1699 behalte ich aber und werde behaupten, dass ich keine Handschrift gefunden habe. Und eigentlich schreibt der Mann auch nur von dem Buch und nicht von irgendwelchen Zetteln, die zufällig drinnen lagen. Ich werde mir das Buch genauer ansehen und die anderen Zettel auch. Irgendwas liegt hier verborgen und scheint wertvoller zu sein, als wir bisher glaubten.“, entgegnete er bockig und beleidigt.

Ramona erhob sich.

„Nun gut. Ich bin müde und gehe ins Bett.“, sagte sie ebenfalls beleidigt.

Dann küsste sie Gustav flüchtig und ging.

Wieder ein Abend ohne Liebe, Sex und ohne Körperlichkeit. Gustav verzog mürrisch das Gesicht, widmete sich aber gleich seinem Buch. Jede einzelne Seite überflog er, suchte nach Notizen und Unstimmigkeiten. Anschließend begutachtete er sämtliche Schriftstücke, die er lose im Buch gefunden hatte. Nichts!

Wie er bereits vermutete, waren es belanglose Steuerlisten aus ehemaligen Klöstern. Zwei Listen mit Zählungen von Einwohnern kleiner Dörfer und eine Rechnungsliste für Bier. Einzig und allein die Schriftakte aus dem Jahr 1699 blieb bemerkenswert, weil sie alt und geschichtlich war. Vielleicht war sie sogar 400 Euro wert, aber viel wertvoller war sie nun auch wieder nicht. Gustav grübelte und Stunde um Stunde verging. Er fand nichts Geheimnisvolles.

Müde und enttäuscht ging er zu Bett.

Er träumte. Ganz sicher, denn er fühlte sich körperlos und war nicht wach. Manchmal erkennt man die Traumwelt, egal wie realistisch sie erscheint. Und dieser Traum war einfach da, ohne Anfang, ohne Vorspiel, ohne Steuerung.

Eine wunderschöne Frau, voller Liebreiz und Anmut, saß an seiner Seite. Tatsächlich erkannte Gustav keine konkreten Formen, keine abspeicherbaren Gesichtszüge und keinerlei Farben. Sie war seine persönliche Empfindung, eine Euphorie seines Traumes.

Trotz der Formlosigkeit war sie eine handfeste Erscheinung. Sie war jung, viel jünger als Ramona, hatte etwas ungemein Vertrautes an sich und wirkte sehr anziehend auf Gustav. Wärme breitete sich aus.

Er wollte sie berühren, seine Arme um sie legen und sie nie mehr loslassen, aber sein Traum ließ es nicht zu.

„Geh morgen nicht allein!“, hauchte sie in sein Herz.

Dann verblasste der kurze Traum und endete ohne Rückkehr.

Gustav erwachte.

Ihr Hotel besaß ein kleines, aber gepflegtes Restaurant und Ramona wartete schon mit dem Frühstück. Obwohl sein Traum nur kurz war, schwirrte er noch immer verwirrend in seinen Gedanken.

Geh nicht allein!

“, hallte es in seinem Kopf. Verstehen konnte er es nicht.

„Ich würde mich freuen, wenn du mich zum Buchhändler begleitest. Anschließend lade ich dich zu einem Vormittagsgläschen roten Weines ein.“, sagte er liebenswürdig zu Ramona.

„Für 400 Euro sollte es mehr als nur ein Gläschen sein!“, lachte sie und der gestrige Abend war irgendwie verflüchtigt.

„Hast du noch etwas Interessantes gefunden oder gibst du dein Buch kampflos zurück?“, fragte sie weiter. Gustav schüttelte nachdenklich seinen Kopf. Nein, er sollte alles zurückgeben.

Etwas später schlenderten beide durch die Labyrinthe der Innenstadt. Inzwischen kannten sie sich etwas aus und weil es ein phantastisches Wetter war, wollten sie die knapp 5 Kilometer gemütlich laufen. Gustav hatte sein Buch im Rucksack verstaut und hatte seine Hände frei, um ab und zu Ramona anzufassen und zu berühren.

„Hast du, kleiner Hasenpups, keine Hemmungen schon am Vormittag die 400 Euro mit Wein zu versaufen?“, fragte er im neckischen Tonfall.

„Wenn es sein muss, dann betrinke ich mich auch zum Frühstück! Wärst du nicht so ein Geizhals, könnte jeder Vormittag schön sein!“, entgegnete sie und gab Gustav keck einen herzhaften Klaps auf den Hintern. Das machte sie sonst nie!

Lachend zog er sie an sich heran und küsste sie flink.

„Nachdem ich das Buch zurückgegeben und das Geld habe, mache ich dich betrunken, mein kleiner Hasenpups. Dann bist du endlich willenlos und verführbar!“, gab Gustav zurück und kniff ihr übermütig in ihren süßen Po. Es gab absolut keine Zweifel, denn für die vielen Passanten waren sie ein frisch verliebtes Pärchen. Ramona und Gustav hätten das natürlich anders gesehen.

Unbekümmert alberten sie die Straßen entlang.

„Wir kommen gleich ins Touristengebiet. Benehmen wir uns dann?“, fragte sie schelmisch.

„Ich weiß nicht, was du meinst. Ich bin ein seriöser Mann mit viel Würde.“, entgegnete er lachend.

„Apropos Würde! Würdest du bitte deine Hand von meinem Hintern nehmen? Das sieht nicht sehr seriös aus.“, sagte sie mit erhobener Nase.

„Du hattest zuerst deine Hand an meinem unschuldigen Arsch!“, versuchte er sich zu rechtfertigen. Beide sahen sich lauernd an wie spielende Welpen. Ramona grinste frech.

Immer wenn sie das tat, steckte sie ein wenig ihre Zungenspitze raus. Vermutlich bemerkte sie es nicht einmal, aber es passierte regelmäßig. Und nur, wenn sie leicht hinterhältig und mit geschlossenem Mund lachte. Gustav erkannte dadurch immer, wenn sie frech und spitz eine beiläufige Situation für sich beurteilte. Bei keinem anderen Menschen hatte er so etwas beobachtet. Nie hatte er gesehen, dass jemand beim Grinsen seine Zungenspitze flüchtig durch die Lippen stieß. So gern hätte er es fotografiert, aber es war eine so spontane Situation, dass sie nicht nachgestellt werden konnte. Für ihn hätte sie immer so herum laufen können mit herausgestreckter Zungenspitze, denn es stand ihr ausgezeichnet. Und in diesem Zustand war die Macht mit ihr. Manchmal überlegte er, ob er sich nur darum in sie verliebte, weil sie mit der kleinen Zungenspitze wirklich süß aussah.

Am Buchladen angekommen, stutzten sie.

Gestern war es ein anderer Anblick. Alles an diesem Laden war anders! Die schwere Ladentür war verschlossen. Der alte Buchhändler war nicht zu sehen. Das ganze Haus sah verlassen aus.

Gustav schaute auf seine Uhr, aber es war bereits nach 10 Uhr.

Im gegenüberliegenden Straßencafe fragten sie beim Personal nach.

„Das Geschäft ist schon seit Jahren verschlossen. Früher war dort eine wunderschöne Buchhandlung mit großem Antiquariat. Doch eines Tages fand man den armen Rigonaldos. Er wurde grausam ermordet und die Polizei konnte niemals herausfinden, wer diese Tat begangen hatte und warum. Rigonaldos hatte keine Nachkommen und keine Erben und so blieb das Geschäft versiegelt und geschlossen. Schade, denn damals kamen viele Buchliebhaber hierher und belebten das Viertel.“, berichtete der Inhaber des Cafes.

Ramona kräuselte ihre Stirnfalten und schaute fragend zu Gustav.

„Wir waren doch erst gestern dort …“, stammelte sie, doch Gustav schnitt ihr das Wort ab. Irgendetwas stimmte nicht!

Freundlich bedankte er sich für die Auskunft und zog Ramona mit sich fort.

„Ramona, hast du gesehen, dass die Eingangstür der Bücherei ein altes Polizeisiegel hatte? Es war ungebrochen! Und die Fenster waren verdreckt von innen, als wären tatsächlich seit 20 Jahren keine Menschen im Haus gewesen. Gestern sah es hier anders aus! Ich war drinnen und ich habe wirklich das Buch gekauft. Gestern war es ein offenes und fast normales Geschäft! Entweder haben sich hier alle gegen uns verschworen, oder wir sind beide über Nacht verrückt geworden, wahrscheinlich weil wir noch keinen Sex hatten. Allein das macht mich schon ziemlich verrückt!“, raunte er ihr laut zu.

Gustav holte tief Luft. Er war innerlich ziemlich aufgewühlt.

„Vielleicht bist du ja wirklich irre geworden!“, entgegnete Ramona aufgeregt, „Doch ich bin normal und ich sehe auch, dass hier etwas nicht stimmt. Sollen wir zur Polizei? Wir haben das Buch und den Brief und wir müssen herausfinden, was hier läuft!“

„Nicht zur Polizei! Die sperren auch dich in die geschlossene Anstalt, wenn du unsere Geschichte erzählst. Dann kann uns niemand mehr helfen. Wir brauchen einfach mehr Informationen. Lass uns erst einmal aus diesem Viertel heraus und uns ein ruhiges Restaurant suchen, um nachzudenken.“, erwiderte er. Ramona war einverstanden.

Gustav hatte sich wieder ein wenig beruhigt und eilig suchten sie nach einem geeigneten Ort, der abseits lag.

Endlich fanden sie ein winziges Restaurant und einen Tisch, der einsam genug stand. Gleich kam eine freundliche Kellnerin und stellte zuvorkommend eine große Flasche Wasser und zwei Gläser auf den Tisch.

„Wir wollen uns nicht waschen, sondern wir haben Durst!“, bemerkte Ramona spitzfindig und wandte sich fordernd an Gustav.

„Denke nicht, dass ich jetzt keinen Wein mehr möchte. Los, ich trinke erst ein kühles Bier und danach einen Rotwein.“, befahl Ramona.

Gustav liebte sie dafür.

Ähnlich wie er, achtete Ramona selten auf die Etikette. Die freundliche Kellnerin sah etwas beleidigt aus. Sie überlegte, ob und wie sie Ramona waschen sollte.

Zügig bestellte Gustav zwei Bier und eine Flasche Wein, gleichzeitig, …

„…und ja, auch für die Dame ein Bier.“

Ramona atmete erleichtert durch.

„So, mein Gustav, was soll das mit diesem Buch und dem verstorbenen Händler, dem lebenden Händler und seinem Brief? Hast du wirklich nichts Ungewöhnliches am oder im Buch entdeckt?“

Gustav kramte in seinem Gedächtnis und schüttelte enttäuscht den Kopf.

Das Bier kam und auch der Wein. Beide tranken ihre Biere in einem Zug aus. Gustav zündete sich eine Zigarette an. Er konnte sich dabei auch körperlich entspannen. Ramona mochte keine Zigaretten, aber bei Gustav störte es sie nicht.

„Wir gehen ins Internet und suchen nach dem Buch und der Buchhandlung. Irgendwas werden wir finden und vielleicht auch Antworten.“, schlug sie entschlossen vor. Er verzog sein Gesicht.

„Das Internet ist ein eigenes Universum, unendlich weit und unendlich voll gepackt mit menschlichem Geistesgut. Und so, wie sich im unendlichen Universum die kleinen Planeten verlieren, so verliert sich auch die Wahrheit im Internet.“

Ramona grinste, als sie Gustav zuhörte.

„Ja, mein kleiner Philosoph, aber im Internet finden sich trotzdem Wahrheiten. Man muss nur wissen wonach und wo man sucht und wir beide wissen genau wonach.“, sagte sie und dann hob sie ihren Zeigefinger und raunte in mystischer Tonlage:

„Mordsache Rigonaldos“.

Die Flasche Wein hatten sie schnell geleert und eilten zum Hotel zurück.

Ihr Zimmer war mit einem Internetcomputer ausgestattet und sofort gingen sie ans Werk. Tatsächlich fand Ramona auf Anhieb die lokalen Nachrichtenseiten und zwei Klicks weiter fand sie die Meldung von „

Rigonaldos

tragischem Ende“

.

„Ich übernehme die Übersetzungen in Italienisch und Latein, du bist dafür für Englisch, Französisch und Weibisch zuständig.“, sagte Gustav und lächelte Ramona mit breitem Grinsen an. Dann las er die Meldungen und erklärte:

„Rigonaldos fanden sie vor 23 Jahren. Tot in seinem Buchladen. Wenn ich das hier richtig lese, dann wurde er enthauptet. Nichts wurde gestohlen und es fanden sich keinerlei auswertbaren Spuren. Immerhin befanden sich eine reich gefüllte Ladenkasse und sogar alter Schmuck im Geschäft. Rigonaldos hatte wirklich keine Erben, nicht einmal eine Haushälterin. Da er das Geschäft als alleiniger Eigentümer besaß, versiegelte man kurzerhand das Haus. Erst wenn das Gebäude eingefallen ist, darf die Stadt das Grundstück neu benutzen. Kann aber wohl noch ein paar Jahre dauern. Außer den Mord gab es offensichtlich nichts Erwähnenswertes im Leben des Rigonaldos. Über die Bücher kein Wort.“

Ramona sah fragend Gustav an.

„Das hilft uns nicht weiter, verdammtes Internet!“, fluchte sie. Dann tippte sie wild auf die Tastatur. Auch der Buchtitel „

Chronik der Weltgeschichte

“ brachte keine neuen Erkenntnisse.

Inzwischen war es dunkel geworden und der Abend begann.

Müde und enttäuscht gaben beide die Internetsuche auf.

Vielleicht hatten sie gestern nur eine andere Wahrnehmung, vielleicht waren sie einfach nur in einem anderen Geschäft. Vielleicht war Rigonaldos ein häufiger Name für einen Buchhändler und vielleicht war alles nur eine Verwechslung.

Aber eigentlich waren es zu viele „

Vielleicht

“.

Eine schlüssige Antwort war einfach nicht zu finden.

Oder waren sie krank und litten an geistiger Verwirrung? Das war undenkbar!

Gustav war nie ernsthaft krank gewesen. Nur einmal ging er in den letzten Jahren zum Arzt. Er hatte Nierensteine, weil er beim einsamen Studium eines neuen Fachgebietes in seiner Bibliothek nicht ausreichend getrunken hatte. Die Geschichte der Kulturpflanzen hatte Gustav dermaßen beansprucht, dass er das Trinken einfach vergessen hatte. Prompt bildeten sich Nierensteine, die sich schmerzhaft festsetzten. Das war vor zwei Jahren. In seiner Not suchte er einen Urologen auf. Der Arzt war furchtbar nett und verordnete regelmäßiges Saufen. Ob das Bier dabei warm oder kalt wäre, spielte keine Rolle. Gustav war dankbar. Vielleicht sollte er öfter zum Arzt gehen. Doch der nette Urologe verlangte anschließend, dass Gustav seine Hose herunter ließ. Er sei inzwischen in einem Alter, wo man auch zur Vorsorge untersuchen müsste. Gustav gehorchte brav und als er noch überlegte, warum zur Vorsorge er die Hose heruntergelassen soll, verschwand der nette Urologe hinter seinem Rücken. Flink streifte der sich einen dünnen Gummihandschuh über, tauchte seinen Zeigefinger in einen Bottich mit Gleitmittel und steckte ihn bis zum Anschlag in Gustavs Hintern. Mit einem kräftigen „

Flutsch

“ fühlte sich Gustav irgendwie in seinem inneren Zentrum gestört und schrie entsetzt auf.

„Ganz locker! Bin schon fertig!“, erwiderte der nette Urologe.

„Aber doch nicht von hinten und ohne Ankündigung!“, wimmerte Gustav.

„Brauchen Sie dafür etwa ein Vorspiel?“

Gustav zog schnell seine Hose wieder hoch und war beschämt. Der nette Urologe schmunzelte und verkündete freundlich, dass die Prostata in Ordnung sei und Gustav sollte regelmäßig in seine Sprechstunde kommen.

„Immerhin sind Sie in einem gewissen Alter.“, erklärte der Doktor routiniert. Schweigsam verließ Gustav die Praxis des netten Urologen. Sein Hintern fühlte sich ziemlich entweiht an und beim Laufen flutschte es noch etwas, weil noch eine Menge Gleitmittel zwischen den Pobacken und im Anus haftete.

Seit diesem Erlebnis wollte Gustav nie wieder einen Arzt aufsuchen und dabei blieb er. Außerdem war er nicht krank und Ramona machte auch einen überaus gesunden Eindruck.

„Morgen sind wir klüger!“, beendete Gustav die abenteuerlichen Überlegungen.

Erschöpft und ziemlich hungrig gingen sie ins Bistro auf der gegenüberliegenden Seite des Hotels. Ramona verputzte einen riesigen Meeresfrüchtesalat, um sich anschließend auf ein saftiges Steak zu stürzen. Gustav bestellte zusätzlich Knoblauchkartoffeln, einen Teller Schafskäse mit Oliven und Tintenfisch. Beim Rotwein hielten sich beide nicht zurück und schnell wurden sie wieder heiter im Gemüt.

„Wirst du wirklich verrückt, weil du mit mir noch keinen Sex hattest, du wollüstiger Irrer?“, fragte Ramona, nachdem der Tisch abgeräumt wurde.

Gustav schoss die Schamesröte ins Gesicht. Er hatte an seinen kleinen Ausbruch vor dem alten Buchladen keine weiteren Gedanken mehr verschwendet. Verdammte Emotionen!

„Du weißt, dass ich verrückt bin, …nach dir.“, entgegnete er fast schüchtern.

Ramona kicherte wie ein kleines Schulmädchen, antwortete jedoch nichts Entsprechendes. Gustav hätte ihr auch sagen können, dass er sie liebte und sie begehrte, dass sie eine aufreizende Figur besaß und sie hübsch sei. Aber er hätte auch sagen wollen, dass sie sich nicht so prüde anstellen sollte und sich gefälligst auf Sex mit ihm einlassen könnte. Doch Gustav wollte nicht mit ihr streiten.

Sie sah bezaubernd aus, erst recht mit ihren roten Bäckchen, für die der Rotwein sorgte und so schenkte er ihr ein süßes, trauriges Lächeln.

Sie würden auch an diesem Abend getrennt schlafen.

Als er später allein in seinem Zimmer saß und wieder in dem Buch blätterte, klopfte es plötzlich an seiner Tür. Ramona stand im leichten Schlafanzug vor ihm.

„Ich hätte noch Lust auf einen Schlafenstrunk. Darf ich zu dir?“

„Komm rein, du süße Schnapsdrossel.“, sagte Gustav und zog sie zärtlich ins Zimmer, „Einen Whisky könnte ich dir anbieten.“

Ramona lümmelte sich auf das unberührte Bett und Gustav setzte sich neben sie mit zwei gefüllten Gläsern in den Händen. Ramona nahm ihr Glas und trank mit sichtbarem Vergnügen. Dann stellte sie den Whisky ab und unerwartet schmiegte sie sich an Gustav. Zum ersten Mal reichte sie ihm die Lippen und gab sich ihm hin.

Ihre Küsse schmeckten süß wie Honigbonbon.

Knopf für Knopf öffnete Gustav spielend das leichte Nachthemd, streichelte sehnsüchtig ihre Brüste und begann mit seinen Lippen ihren Leib zu liebkosen.

Und als er ihr das Nachthöschen abgestreifte, tauchte er in sie hinein.

Ramona bäumte sich voller Wonne auf und nieder und versuchte ihm auch seine Kleider zu öffnen und abzustreifen.

Plötzlich klopfte es erneut und beide schreckten hoch.

„Verdammt! Ist das hier ein Bahnhof oder ein seriöses Hotel?“, schimpfte Gustav.

Da Ramona bereits splitternackt war, verkroch sie sich schnell unter die Bettdecke. Gustav stopfte sich sein Hemd in die Hose und stolperte hektisch zur Tür.

Als er sie öffnete, stand wieder der Junge von gestern davor und reichte ihm wieder einen Brief. Rigonaldos!

„Wer gab dir den Brief?“, fragte er laut und packte den Jungen.

Der war ängstlich und völlig eingeschüchtert, zeigte zum Fenster und sah hilfesuchend zu Ramona. Gustav zerrte den Jungen mit zum Fenster und sah hinaus.

Unten, von Straßenlampen beleuchtet, stand ein älterer Mann, der schweigend zu ihnen hinauf schaute. Er sah dem Buchverkäufer sehr ähnlich.

„Bleib hier, verschließe hinter mir die Tür und öffne nur mir, sobald ich zurück bin!“, rief er Ramona zu, ließ den Jungen los und stürmte auf die Straße hinaus.

Der Alte war verschwunden. Gustav lief spontan nach links die Straße entlang. Er folgte einfach seinen Instinkten.

Dann sah er in einiger Entfernung den alten Mann wieder. Der eilte gemächlich in Richtung Altstadt. Gustav rannte hinterher.

Er war barfüßig, aber wenigstens noch bekleidet. Ramona war eine miserable Auskleiderin. Nicht einmal sein Hemd konnte sie ihm ausziehen, geschweige denn die Hose! Es wäre aber auch nicht gut gewesen, würde Gustav so nackt durch Florenz rennen. Schließlich war er kein Irrer.

Gustav war schnell, hatte den Alten fast eingeholt. Nur wenige Meter war er entfernt. „Bleib stehen! Ich muss mit dir reden, nur reden!“, rief er und seine Stimme hallte durch die leeren Straßenschluchten. Der Mann blieb aber nicht stehen, entfernte sich weiter und war plötzlich verschwunden.

Atemlos stand Gustav da. Der Mann war alt, ein Greis und trotzdem war er verschwunden. Sehr wunderlich!

Gustav schaute in alle Richtungen, doch er stand allein auf einen kleinen Platz, von dem viele Straßen und Gassen abzweigten.

Plötzlich bemerkte er, wo er gelandet war. Er war schockiert, denn er stand direkt vor der versiegelten Buchhandlung.

Niemand war zu sehen. Florenz schlief in seiner erhabenen Ruhe.

Vorsichtig drückte Gustav die Türklinke des dunklen Buchladens und knurrend öffnete sich die alte Pforte einen Spalt. Als er sie endgültig öffnen und hineinschlüpfen wollte, hörte er Schritte hinter sich. Schnell zog er die schwere Holztür wieder zu.

„Was machen Sie hier, mein Herr?“, brummte eine Stimme.

Es war der Besitzer des Cafes. Ohne einen Anflug von Ängstlichkeit hielt er eine wuchtige Schrotflinte im Arm.

Auch er erkannte Gustav.

„Ich sagte Ihnen bereits, dass der Laden seit Jahren verschlossen ist. Suchen Sie etwa nach Schätzen? Werden Sie hier nicht finden. Alles, was Wert hatte, wurde ins Polizeirevier abtransportiert. Ich hoffe, dass Sie nicht leichtsinniger Weise die Tür aufgebrochen haben.“

Er kniff seine finsteren Augen zusammen, griff an die Klinke und drückte sie langsam runter, doch der Laden war fest verschlossen.

„Na gut, mein Herr. Gehen Sie jetzt, ansonsten muss ich die Polizei rufen und Sie möchten doch auch keinen Ärger, oder?“, brummte er weiter.

Dabei streichelte er seine Schrotflinte und blickte Gustav scharf in die Augen. Natürlich hatte Gustav kein Bedürfnis nach Ärger. Gewalt verabscheute er zutiefst. Also nickte er dem Mann kurz zu und ging in Gedanken versunken zurück ins Hotel. Er wusste genau, dass die Tür offen war. Er hatte aber auch genau gesehen, wie der Mann die Türklinke betätigte und die Tür verschlossen blieb. Sogar das Polizeisiegel war unversehrt. Sehr merkwürdig!

Die ganze Geschichte war merkwürdig.

Es war tiefe Nacht, als er das Hotel erreichte. Ramona hatte das Zimmer nicht verschlossen, lag eingekuschelt in seinem Bett und schlief einem Engel gleich. Ihren Schlafanzug hatte sie wieder angezogen. Schade!

Gustav beschloss sie nicht zu wecken und legte sich behutsam neben ihr ins Bett. Ihren Duft atmete er zufrieden ein, berührte sie nur leicht und legte vorsichtig seine Hand auf ihren Po. Er ließ einen kleinen Abstand zwischen beiden Leibern und spürte doch die lebendige Wärme, die von ihr ausging. Selige Glücksgefühle.

Gustav fiel in tiefen Schlaf.

Er träumte viele Dinge durcheinander, sah auch Ramona, die mit einer riesigen Schrotflinte ein großes Panoramafenster durchschoss. Dann rief sie nach mehr Wein und rannte nackt durch die Straßen.

Wieder verschwanden alle Bilder und auch das fröhliche Gesicht Ramonas. Bildfetzen flogen hin und her, ohne einen Sinn zu ergeben.

Dann stand sie vor ihm.

Gustav durchlitt sofort eine unbeschreibliche Sehnsucht.

„Du warst heute sehr unklug, als du allein zu Rigonaldos bist. War meine Warnung vergebens?“, hörte er sie.

Ihre Stimme klang so vertraut und fast zerbrechlich.

Trotzdem, oder gerade deshalb, schmerzte ihr Vorwurf.

Sie nahm Gustav in ihre Arme und drückte ihn fest an sich. Geborgenheit, Wärme, Entzücken und Glück in einem einzigen Moment. Gustav spürte, wie die unendliche Sehnsucht und das Verlangen nach vollendeter Liebe seine eigenen Tränen formten und er begann heftig zu schluchzen.

„Weine nicht, denn die Zeit der Tränen wird erst noch kommen. Ich werde bei dir sein, wenn du mich brauchst. Und jetzt brauchst du Antworten. Ein Blatt Papier kann manchmal mehr enthalten als die oberflächlichen Buchstaben. Das Saure macht sichtbar, was fahle Tinte verbirgt. Und du darfst hier nicht lange Zeit verweilen. Hüte dich vor dieser Frau. Sie hat ihre eigenen Träume, die nicht deine sind.“

Dann löste sie ihre Umarmung und drohte im Schleier weiterer Träume zu entschwinden. Gustav versuchte zu schreien, wollte ihren Namen wissen und flehte sie an, nicht zu gehen. Aber nichts konnte er tun, weder sie festhalten noch hinterher rennen.

Er erwachte tränenverschmiert und schweißgebadet.

Neben sich im Bett saß Ramona aufrecht und schaute ihn verdattert an.

„Welchen Namen willst du wissen? Ich heiße Ramona, bitteschön! Außerdem heulst du im Schlaf, wie ein kleines Mädchen.“

Gustav schaute sie ebenfalls verwundert an. Hatte er etwa im Schlaf geredet? Und hatte er tatsächlich geweint, wie ein…?

„Tut mir leid, Hasenpups.“, stammelte er benommen, „Ich hatte wohl einen bösen Alptraum, wahrscheinlich von dir und deinen unsensiblen Sprüchen.“

„Unsensible? Ich? Spinnst du?“, fauchte sie.

Ramona verschränkte beleidigt ihre Arme. Mechanisch küsste Gustav versöhnlich ihren Hals und meinte etwas von:

„Nur Spaß gemacht und merkwürdigen Traum.“

Er war verwirrt, denn er hatte noch nie so einen körperlichen Traum gehabt.

Als Ramona später unter der Dusche stand, saß Gustav noch immer im Bett und dachte über seinen seltsamen Traum nach. Die nächtlichen Gefühle waren noch so präsent, körperlich und dominierend, dass er schwitzte und sein Herz raste.

Wer war dieses zauberhafte Mädchen?

Ramona konnte es nicht sein und auch nicht sein Wunschbild von Ramona, denn von ihr träumte er zu häufig und kannte sie viel zu gut.

Dieses Traumwesen war hingegen rätselhaft, ihm völlig unbekannt und gleichzeitig so sehr vertraut. Anmut, Weisheit und Erotik. Es waren für Gustav durchaus sehnsüchtige Eigenschaften, die Frauen vereinen sollten. Aber Träume sind die Spiegelbilder des realen Unterbewusstseins. Gustav konnte meist seine Träume analysieren und sicher deuten. Diesmal jedoch erkannte er die Bedeutung nicht, hatte keine Ahnung, wer und was dieses Mädchen widerspiegelte.

Verdammte Träume!

So kam er nicht weiter. Nun versuchte er den Traum einfach als tatsächliches Ereignis zu deuten. Was hatte sie gesagt?

Schlagartig sprang er auf, holte das historische Schriftstück aus seinem Buch und hielt es gegen das Licht.

Das Saure macht sichtbar, was fahle Tinte verbirgt!

“, murmelte er vor sich hin.

„Das Bad ist jetzt frei. Beeile dich bitte, Gustav, ich bin hungrig und brauche dringend einen Kaffee.“, sagte Ramona, die aber gleich auf Gustav und das Schriftstück starrte.

„Hast du etwas im Gegenlicht erkannt, eine geheime Botschaft, oder so was?“, fragte sie überrascht.

„Nein, aber ich möchte mit dir hier im Zimmer frühstücken.“, antwortete Gustav und nahm das Telefon. Er bestellte das übliche Mahl, kräftigen Kaffee, Orangen, Bananen und ungewöhnlich viele Zitronen. Dann ging er ins Bad und drehte die Dusche auf.

Ramona ging in ihr eigenes Zimmer und zog sich an.

Auch sie hatte einen merkwürdigen Traum, der sie beschäftigte.

Ein grauhaariger Mann erschien ihr und er war betrübt. Wie ein vertrauter Sommerwind drangen seine Worte an ihr Ohr. Spielend und behutsam waren die Worte gewählt. Auch sie konnte sich nicht an die Gestalt des Alten erinnern. Es war mehr eine Ahnung, als eine konkrete Person. Erst dachte sie, dass es die Stimme ihres Vaters war, denn sie hatte einen wirklich angenehmen und beruhigenden Klang.

Es war nur wenige Jahre her, als ihr Vater starb. Töchter haben zu ihren Vätern immer eine innige Bindung und so schmerzte sie dieser Verlust noch immer.

Doch die Stimme in ihrem Traum war trotzdem anders. Der greise Mann wollte sie vor einer ernsten Gefahr beschützen. Es hatte mit Gustav zu tun und diesem geheimnisvollen Schriftstück. Ramona erinnerte sich nur an die Warnung, nicht an die Ursache der Gefahr.

Vielleicht war es auch nur ein Traum nach einem turbulenten Tag. Immerhin hatte sie am Abend einen kleinen Orgasmus und auch noch durch Gustav. Nackt und schutzlos war sie in seinem Bett! Wenn das nicht gefährlich war! Ihre Alarmglocken hätten auch so geläutet, auch ohne greise Traumerscheinung.

Verfluchtes Unterbewusstsein!

Als sie darüber nachdachte, wurde sie verlegen, obwohl sie niemand sah und sie sich auch nicht rechtfertigen musste. Dieser Mistkerl!

Hatte sie sich doch tatsächlich hingegeben. Hatte sich verführen lassen, wie ein dummes Schulmädchen und es war sogar äußerst angenehm. Gustav war gegen ihre Erwartungen scheinbar ein erfahrender Liebhaber, mit einer Zunge, die genau wusste, was sie tat. Ramona wurde warm und eine erregende Hitze stieg in ihr auf. Schnell knöpfte sie sich ihr Kleid zu. Verdammte Zunge!

Als sie wieder ins Zimmer von Gustav kam, sah sie ihn über das Schriftstück sitzend mit Zitronen in den Händen. Vorsichtig strich er den Saft über das Papier.

„Komm, mein Schatz, sieh! Es ist tatsächlich eine versteckte Inschrift vorhanden.“, rief er ihr zu, „Eigentlich haben wir das als Kinder auch gespielt. Mit Milch und Feder einen Text geschrieben, der trocken unsichtbar und dann später mit Zitronensaft wieder lesbar gemacht wurde. Keine so geheime Technik. Und doch bleibt sie unschlagbar, wenn man nur einfache Hilfsmittel und wenig Zeit hat.“.

Ramona sah aufgeregt, wie sich zwischen den Textzeilen die ersten blassen Buchstaben formten:

Das Gedächtnis der Menschheit, die Bibliothek des Lebens. Alles Wissen ist zusammengetragen, geschrieben in ewiger Schrift und bewahrt bist in alle Zeiten.

“, las sie laut vor.

„Mach weiter, Gustav, da steht noch mehr!“

Ihr Flüstern hätte man weit hören können und Gustav kribbelte es am Ohr, als ihr warmer, scharfer Hauch sein Gesicht streifte. Beide waren ziemlich aufgeregt und ungeduldig.

Je mehr er Zitrone über das Blatt rieb, desto mehr war zu lesen:

Zum Himmel hin markiert und im Inneren verborgen, gehütet und beschützt. Ein königliches Tier verschlang die Wege, unter seiner mächtigen Krone, nachdem es gestorben war

.“

Es war in deutscher Sprache geschrieben, alt, aber gut lesbar. Ramona glühte vor Aufregung und krallte ihre Finger fest in Gustavs Schultern.

Auch er konnte seine Erregung kaum unterdrücken.

„Gut, mehr steht hier nicht. Wir sollten jetzt wirklich frühstücken.“, sagte er und erhob sich. Ramona ließ seine Schulter los und lächelte.

Sie hatten tatsächlich ein Geheimnis entdeckt.

„Bist ein bisschen in Aufregung geraten, mein Hasenpups. Hast dir fast ins Höschen gepinkelt, was?“, bemerkte er.

Gustav warf ihr einen strengen, väterlichen Blick zu, der sie erröten ließ.

„Bist du jetzt mein Bondgirl und begleitest mich auf meiner Mission?“, scherzte er weiter. „Nenne mich bitte ab jetzt James und bringe mir einen Whisky, leicht gerührt und nicht geschüttelt.“, fügte er hinzu.

„Du kannst dir gefälligst selber einen schütteln, du Spinner!“, gab sie selbstsicher zurück. Dabei machte sie eine wirklich unzüchtige Handbewegung.

„Sprich nicht in diesem Ton mit deinem James Bond! Habe ich nicht gerade ein Rätsel entschlüsselt. Gott, bin ich schlau! Ich bin ein Genie!“, jubilierte er.

Stolz hob Gustav sein Kinn und zog seine Augenbrauen hoch.

„Aber du heulst nachts und Sexlosigkeit lässt dich irre werden! Was sollte ein scharfes Bondgirl mit dir anfangen? Reiche mir die Butter, Sklave!“, befahl sie.

Gustav musste nun doch lachen und reichte ihr die Butter.

Dann räusperte er sich verlegen und sagte:

„Gestern Abend übrigens, war es sehr schön mit dir und die Zeit hätte niemals vergehen sollen. Sehr ärgerlich, dass wir so plötzlich getrennt wurden und eigentlich war es sinnlos, denn der geheimnisvolle Briefschreiber ist mir entwischt. Hatte der Junge dir noch etwas erzählen können?“

Ramona sah ihn an und wieder verfärbten sich ihre Wangen.

„Nein, der kleine Hosenscheißer wollte, dass ich die Bettdecke wegziehe. Kaum warst du raus, wurde er auch schon ein wenig anzüglich, weil er sah, dass ich nackt war. Italiener scheinen schon im Kindesalter echte Machos zu sein.“, erzählte sie.

Ungläubig runzelte Gustav die Stirn und Ramona schlürfte schweigend ihren Kaffee.

„Übrigens.“, bemerkte sie, „Im Briefumschlag lag nur ein leeres Blatt.“

Gustav schaute sie verwundert an. Eine Weile lang schwiegen beide und dachten über den gestrigen Abend nach.

„Lass uns durch die Stadt bummeln und in aller Ruhe über diesen Text nachdenken.“, schlug er ihr vor. Sie nickte enttäuscht. Eigentlich hatte sie erwartet, dass er sie gleich wieder verführen würde. Gustav hatte aber längst das Schriftstück zur Hand statt ihre kleinen Brüste. Doch der rätselhafte Text war ja auch ziemlich aufregend und so zogen sie gemeinsam durch Florenz.

Ins kleine Altstadtviertel der Buchhandlung wollten sie diesmal nicht. Mit einer Schrotflinte oder der Polizei wollten sie nichts zu tun haben. Sie wollten Ruhe.

In einem schattigen Park setzten sie sich auf eine Bank.

Gustav kaufte am nahen Kiosk zwei Becher Fruchtsaft.

„Hilft auch gegen die Aufregung!“

Er legte seinen Arm um ihre Schulter und sagte:

„Ich weiß, was der Text bedeutet. Das königliche Tier mit einer Krone ist der Hirsch. Kein Zufall, wenn genau in diesem historischen Dokument eine Geheimschrift versteckt wurde. Als 1696 der Kurfürst den Hirsch erlegte, wanderte das Geweih mit samt dem Schädel in sein Jagdschloss nach Königswusterhausen, südlich von Berlin.“

Ramona sah ihn erstaunt und etwas bewundernd an.

„Du bist wirklich ein schlauer Typ.“, sagte sie, „Woher du solche Dinge weißt, ohne ins Internet zu schauen?“

„Du weißt, dass ich eine Bibliothek besitze. Dort verfüge ich über viele tausend Bücher, ohne dass ich Romane und Ratgeber als Bücher bezeichne. Die Hälfte davon sind Werke über Geschichte und Kultur. Und stell dir vor, mein kleiner Hasenpups, ich habe sie auch gelesen. Sogar Lexika lese ich und es bereitet mit Vergnügen.“, antwortete er mit betonter Bescheidenheit.

„Nenne mich nicht ständig Hasenpups! Scharfes Bondgirl würde mir besser gefallen, wenn überhaupt!“

Ramona stieß dabei ihren Ellenbogen in seine Seite.

„Schon gut, Raaamooonaaa!“, lachte er auf.

Dann wurde er aber gleich wieder ernst und sortierte seine Gedanken weiter:

„Es geht offenbar um eine alte Bibliothek, vielleicht eine bedeutende Sammlung von Schriftrollen aus der Antike. Auf jeden Fall ist sie verborgen und ich glaube, dass es eine Art von Karte gibt, womit man sie finden kann.

Der Hirsch verschlang die Wege, nachdem er gestorben war.

Die Karte wurde im Maul oder im Schädel des erlegten 66-Enders versteckt.“

„Wie jetzt? In Königswusterhausen?“, unterbrach Ramona aufgeregt.

„Nein, nein. Kurfürst Friedrich hatte einen Sohn, der die Soldaten mehr liebte, als die Jägerei und die Jagdtrophäen. Seinen Sohn kennen wir unter dem Namen Friedrich Wilhelm I., auch genannt der Soldatenkönig. Ich glaube, 1728 schenkte er das Geweih dem Sachsenkönig August dem Starken. Der hängte es in sein eigenes Jagdschloss in Moritzburg. Dort kann man es noch heute im Saal der Monströsensammlung besichtigen. Und genau dort sollte man suchen.“, erklärter er.

„Schloss Moritzburg bei Dresden!“

Über Ramona Gesicht huschte ein Anflug von Schatzsuchermentalität. Ihre Augen glänzten vor Begeisterung und sie streichelte Gustav's Oberschenkel, was sie sonst nie tat.

„Höre zu, Ramona! Wir sind hier, weil wir beide gemeinsam eine Urlaubsreise machen wollten. Und das können wir immer noch. Das Buch allein ist eine schöne Rarität für meine Büchersammlung und das handgeschriebene Schriftstück ist fast ein Museumsstück. Eigentlich hatte ich als nächstes Ziel Rom geplant.“, bemerkte er.

„Doppelzimmer oder getrennte Betten?“, fragte sie.

Ramona grinste.

Gustav errötete wieder. Wäre er nur nicht auf dem Gebiet der Verführungen immer so peinlich und leicht durchschaubar gewesen. Er ärgerte sich darüber, dass er immer gleich rot wurde wie ein kleines Schulmädchen. Verdammte Schulmädchen!

„Schöne Zimmer habe ich gebucht.“, antwortete er bockig. „Es geht darum, dass wir, sollten wir uns für die Suche nach dieser geheimnisvollen Bibliothek entscheiden, nach Dresden müssen und unseren Urlaub vergessen können. Nichts mit einer Verlobungsreise zweier Jungverliebten, mein Schatz!“, sagte er.

Nun errötete Ramona. Natürlich konnte sie nicht verleugnen, dass ihr der gestrige Abend Vergnügen bereitete. Sie hatte wohl auch etwas laut gestöhnt vor Wonne. Verdammte Zunge!

„Eine verschollene Bibliothek!“, grübelte Gustav fassungslos.

„Das ist unglaublich!“, pflichtete Ramona bei.

„Es gab schon immer Gerüchte darüber. Wer immer solch eine Bibliothek entdeckt, geht in die Geschichte ein.“, erklärte er.

„Und wir haben einen echten Hinweis gefunden. Das ist aufregend!“, freute sich Ramona und umklammerte seinen Arm.

„Vielleicht gibt es über mich auch einmal ein Buch, als Entdecker der verschollenen Bibliothek.“, schwärmte Gustav.

„Das wäre großartig!“

Beide saßen nun für ein paar Augenblicke schweigend und etwas berührt nebeneinander.

„Dresden ist auch schön und dort bekommen wir bestimmt ein gemeinsames Zimmer. Lass uns nach der Karte suchen, Gustav. Ich verspreche dir, dass ich nicht enttäuscht bin, falls wir am Ende nichts entdecken. Sind wir beide spontan oder was?“, unterbrach Ramona schließlich ihr Schweigen.

Gustav sah sie erfreut an und küsste sie spontan mit einem lauten Schmatz.

„Wir sind spontan! Auf nach Dresden!“, rief er.

Fest hielten sie sich in den Armen. Noch nie empfanden sie so viel Gemeinsamkeit und Zweisamkeit miteinander.

„Deutschland ist viel gesünder für uns. Die kleinen Italiener nerven sowieso und alles ist hier abartig kitschig. Wie kann man hier nur Urlaub machen? Verdammte Touristen!“, sagte Gustav und lächelte, zufrieden mit sich und der Welt, als wäre er mit seiner großen Liebe im romantischen Urlaub im schönen Italien.

Ramona lächelte auch leise in sich hinein. Sie war längst in Abenteuerstimmung.

„Eine verborgene Bibliothek!“, rief sie.

„Stell dir vor, was dort für Schätzen liegen können!“, bestätigte er aufgeregt.

„Verschollene Bücher, Schriftrollen vom Toten Meer, historische Aufzeichnungen!“, sagte Ramona und ihre Augen funkelten wild.

„Der größte Schatz dieser Welt ist das Wissen und wir gehen auf die Suche danach. Ein fantastische Geschichte, die uns passiert. Doch erst einmal müssen wir diese mysteriöse Bibliothek finden und darauf hoffen, dass es sie tatsächlich gibt.“, versuchte er ihre Begeisterung etwas zu dämpfen. Für seinen Geschmack war sie viel zu euphorisch.

„Ich habe daran keine Zweifel!“, erwiderte sie. Ramona war in Hochstimmung.

Anschließend verbrachten sie den Tag mit ausgedehnten Spaziergängen. Überall fanden sie Hinterlassenschaften der Medici. Gustav prahlte ein wenig mit seinem Wissen. Erklärte seiner Begleiterin die Geschichte der Adelsfamilie, die über mehrere Generationen Florenz beherrschte. Wie sie den großen Michelangelo als jungen Künstler förderten und dieser seinen monumentalen David mitten in Florenz aufstellte. Schließlich gelangte er mit seinem Referat zum Petersdom in Rom und zum Papst Julius II. und seine Nachfolger.

„Oh Gott!“, stöhnte Ramona, als Gustav gerade begann über das Grab des Petrus zu sprechen und wie Petrus der Jünger von Jesus wurde.

„Du musst nicht Gott zu mir sagen! Ein einfaches Gustav oder Liebling würde mir ausreichen.“, konterte er in bester Laune. Ramona verdrehte ihre Augen. Zu viele Informationen!

„Was hast du, mein Hasenpups? Geschichte fasziniert mich ungemein. Hier ist an jeder Ecke die pure Geschichte in Stein gemeißelt. Das ist, als lese man ein spannendes Buch über Meisterwerke des 15. und 16. Jahrhunderts.“, rechtfertigte er sich.

Verständnisvoll schmunzelte Ramona.

„Schon gut, mein Lieber! Ist ja alles auch für mich sehr spannend. Aber ich fühle mich etwas unterbelichtet, wenn du so mit Wissen um dich schmeißt.“, sagte sie.

„Du und unterbelichtet? Also bitte! Du weißt so viele andere Dinge, die mir unbekannt sind. Außerdem würde ich einer ungebildeten Tussi keine Vorträge über Kunstgeschichte halten. Das wäre, als wenn man guten Samen auf unfruchtbaren Boden wirft.“, meinte er in lieber Aufmunterung, merkte aber gleich, dass seine Formulierung nicht ankam. Ramona blieb prompt stehen.

„Deinen Supersamen auf meinen unfruchtbaren… was?“, fluchte sie.

„Eben nicht! Das wollte ich nicht sagen. Ich meine nur, dass du fruchtbar bis für meinen Samen, äh, ich meine, fruchtbar süß bist du und so klug…“

„Gustav!“, schrie sie, „Vielleicht bin ich ja furchtbar süß, aber nicht fruchtbar süß, Idiot! Wohl wieder zu lange kein sexuelles Abenteuer mit mir gehabt? Du sprichst wirres Zeug! Nur weil ich deine Geschichte der Medici nicht auswendig im Kopf habe, bin ich noch lange keine dumme Tussi!“

Sie nahm automatisch eine Haltung an, als würde sie jeden Moment angreifen. Gustav hatte ein wenig Angst vor ihr.

„Aber Ramona, das habe ich doch gar nicht gesagt. Ich finde wirklich nicht, dass du eine dumme Tussi bist, ganz ehrlich. Du bist eine sehr kluge Tussi, äh… natürlich nicht Tussi, sondern nur sehr klug.“, stotterte er.

Ramona schnaubte vor Wut.

Sie trug nie ein Handtäschchen bei sich, wie es die anderen Tussis tun und konnte daher auch nicht damit auf Gustav einschlagen. Und sie hätte gerne auf ihn eingeschlagen.

Sie entschied spontan, möglichst bald eine Handtasche zu kaufen.

Ramona war beleidigt und gekränkt und überlegte, ob sie ihn einfach stehen lassen sollte. Gustav trat einen beherzten Schritt auf sie zu.

„Ich liebe dich, Ramona. Und ich liebe dich, weil du witzig und motivierend bist, gebildet bist in aller Vollendung und weil du das Beste bist, was mir jemals in meinem Leben passiert ist.“, gestand er im Tonfall einer Beichte.

Ihre Wut verflog augenblicklich und Gustavs Worte durchfluteten ihre Brust wie warme Schokolade mit einem Schuss Whisky. Plötzlich liefen ihr die heißen Tränen aus den Augen, die noch Sekunden zuvor voller Angriffslust funkelten. Dabei hatte sie vor anderen Menschen noch nie geweint.

„Ich bin keine Tussi, weil ich gar keine Handtasche trage.“, schniefte sie trotzig. Gustav nahm ihr verweintes Gesicht in seine Hände und küsste sie erst auf die Stirn, dann auf ihre Tränen.

„Ich bin so erbärmlich, dass ich mit Bücherwissen meine Mitmenschen beeindrucken will. Die Wahrheit ist: Ohne dich bin einfach nur ein Niemand.“, hauchte er ihr ins Ohr. Ramona schluchzte herzerweichend. In seinen Armen fühlte sie sich aber getröstet und geborgen. Sie merkte nicht, wie von Tränen verschmiert die Augen von Gustav waren.

Viele Stunden verbrachten sie in den Straßen, Parks und Restaurants. Dann gingen sie zurück ins Hotel. Beide hielten sich bei den Händen. Beide vertrauten einander und beide waren schweigsam. Waren sie doch verliebt?

An der Rezeption empfing sie der Direktor persönlich.

Tief betrübt gestikulierte er und entschuldigte sich gleich in drei Sprachen. Diebe waren tagsüber im Hotel und in ihrem Zimmer wurde eingebrochen.

„Was für ein Unglück, auch für mein Hotel. Wir haben noch nichts getan und wollten erst warten, bis die Herrschaften zurück sind. Nur Ihr Zimmer, mein Herr, wurde durchsucht und wir müssen jetzt feststellen, was fehlt.“, jammerte der Direktor betroffen.

Glücklicher Weise trug Gustav sein Buch im Rucksack stets bei sich. Er wusste gleich, was man in seinem Zimmer gesucht hatte. Ihnen bot sich ein Bild der Verwüstung. Alles war durchwühlt, nichts an seinem Platz. Der Direktor des Hotels wollte nun die Polizei rufen, um den Einbruch zu melden.

„Nein!“, sagte Gustav entschieden. „Es wurde ja nichts gestohlen und die Polizei ist für alle Hotelgäste eine ziemliche Belästigung. Die würden das Personal verhören und auch die übrigen Gäste. Sie würden fragen, warum am hellen Tage die Diebe im Hotel ein und ausgehen. Lassen Sie einfach hier wieder aufräumen. Außerdem wollten wir sowieso abreisen. Beeilen Sie sich bitte!“

Sein Blick erfasste Ramona. Sie stimmte wortlos zu. Sie mussten schnell verschwinden, bevor schlimmere Sachen passieren würden.

Bereits eine Stunde später fuhren sie mit ihrem Kleinwagen in Richtung Norden.

Eine Reise ins Nichts

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