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Kakophonien
ОглавлениеIch bin nur ein einfacher Mensch und stolz darauf. Das ist nicht selbstverständlich, zumal man ein solches Bekenntnis für gewöhnlich scheut und es für einen Makel hält. Kein Wunder, dass sich nur Starke dazu bekennen, Schwache hingegen damit hadern. Das tröstet mich immer, freilich nicht ohne Genugtuung ob derjenigen, die so etwas nicht schaffen, da sie mit ihrer Furcht vor der Wahrheit zugleich auch ihre innere Festigkeit verloren haben, sie zu ertragen. Folglich sind sie die Bedauernswerten, und es ist zuweilen angebracht, sich daran zu erinnern, vornehmlich dann, wenn ausgerechnet jene, die es sich partout nicht leisten können, glauben, mich bedauern zu müssen. Nur warum?
Nehmen wir mal Lämmerjahn, meinen Nachbarn, ein aufgeweckter Bursche, groß, stattlich, mit ein wenig vorstehenden Augen und einem kleinen, sorgsam gestutzten Bärtchen. Wenn er redet, umspielt fast immer ein spöttischer Zug seine Lippen, so dass man niemals weiß, ob er scherzt oder etwas im Ernst meint. Er liebt es, mich zu belehren und ich wiederum mag seine Belehrungen. Irgendwie ergänzen wir uns da, auch wenn wir oft wie Hund und Katze sind. Dabei ist es weniger der Inhalt, als die Form seiner Belehrungen, wenn er sich, gegen das Treppengeländer gestützt, in parlamentarischen Posen übt. Irgendwie kann er das. „Sie hätten Politiker werden sollen“, sekundiere ich ihm dann anerkennend, worauf er nur gelassen abwinkt, da er sich ohnehin für etwas Besonderes hält. Und in der Tat zeigt er in vielem eine weltmännische Keckheit, kann hervorragend räsonieren und beweist durch seinen boshaften Spott bisweilen sogar Verstand. Fast könnte man ihn einen Schlawiner nennen, besäße er nicht einen entscheidenden Fehler - er ist einer jener Schwachen, von denen ich gerade rede.
Wie die meisten seines Schlages hat er studiert und bildet sich darüber ständig fort. Das nimmt ihm derart in Anspruch, dass er zur beruflichen Arbeit bisher noch keine Zeit gefunden hat und von Bafög lebt, trotz seiner nunmehr Mitte Dreißig. Nie vergisst er das zu erwähnen, wobei unklar bleibt, ob er damit renommieren oder einfach nur bedauert werden will.
Neulich kehrte er von einer Studienreise zurück - woher genau, weiß ich nicht mehr. Er hat es zwar erzählt, habe es aber vergessen. Er verliert sich nämlich schnell in Nebensächlichkeiten, bauscht maßlos auf und wird dabei ungemein rhetorisch. Am Ende weiß man den Anfang nicht mehr. So kam er auch diesmal vom Hundertsten ins Tausendste und vollführte einige absonderliche Gedankensprünge, so dass meine Aufmerksamkeit schnell erlahmte. Dabei entbehrten seine Schilderungen durchaus nicht des nötigen Unterhaltungswertes, ja waren bisweilen sogar amüsant. Dennoch wollte sich ein wirkliches Interesse bei mir nicht einstellen, zumal ich vieles von dem, was er so enthusiastisch vortrug, bereits kannte. Natürlich behielt ich das für mich.
Mich störte indes etwas anderes, dem ich zu Beginn noch keine weitere Bedeutung beimaß, mir jedoch zunehmend missfiel. Es waren die forcierten Anglizismen, Akronyme und Fremdworte, womit er seine Sprache fortwährend verbrämte, was dem Ganzen einen eigentümlichen, um nicht zu sagen lächerlichen Touch gab. So wirkte es einfach unpassend, um nicht zu sagen affig, als er mehrfach das schreckliche Wort ’Kakophonie’ benützte, nur weil es ein bedeutender Politiker kürzlich in einem Interview gebrauchte. In einem anderen Zusammenhang wieder beklagte er die vielen ’kemischen’ Produkte, die unseren Markt überschwemmten und sah sich genötigt, mich über die Risiken diesbezüglicher Konsumtion aufzuklären. Ich wollte schon einwenden, dass dies offenbar der Grund für den jüngsten Deal mit den ’Kinesen’ gewesen sei, welchen selbiger Politiker erst vor kurzem eingefädelt hatte, ließ es aber bleiben, da er es wohl missverstehen hätte. Als er sich dann aber noch über Inkongruenzen und Assoziationsschwächen innerhalb der EU echauffierte und dazu völlig absurde Lösungsansätze bot, musste ich unwillkürlich prusten.
Er sah mich daraufhin ganz frappiert an. Zweifellos dachte er, ich hätte nicht alle Tassen im Schrank, zumal ich ihm diesen Eindruck angesichts seiner häufigen, nicht immer nachvollziehbaren Gedankensprünge oft lasse. Mein Schweigen offenbar für Schwäche haltend, fuhr er fort, ohne sich an meiner Verstimmung zu stoßen. Das wiederum ärgerte ich und ich signalisierte ihm das, ohne jedoch verstanden zu werden.
Aber wie sollte er auch. Dazu war er viel zu selbstverliebt. Jemand wie er hält seine Schwächen für Stärken, hingegen nur wirklich Starke ihre Schwächen erkennen. Oh, wie bedauerte ich jetzt meine Stärke, so dass ich ihn plötzlich ob all dessen beneidete, was ich an ihm verachtete. Ja, ich wünschte mir, wie er zu sein, da mir solche Gedanken dann erspart blieben. Es lebte sich freier, ungezwungener, wenn auch oberflächlicher - na und? Es ist ein Irrglaube, dass tiefere Menschen die glücklicheren sind. Zu schnell kommt man ins Grübeln mit der Erkenntnis, dass man ja doch nichts ändern kann. Außerdem ist jede Erregung schlecht fürs Herz. Aber als ob das so einfach wäre. Leider ist man dazu verdammt zu sein, was man ist, auch wenn es am Ende oftmals ungerecht erscheint. Nur wen kümmert das, ausgenommen derjenigen, die sich an fremdem Leid ergötzen? Er gehört dazu, davon bin ich überzeugt. Sein ganzes Wesen atmet Verachtung für alles Niedere, und es bedarf schon sehr viel Laissez-faire (ach, wie gerne hätte ich ihm dieses Wort an den Kopf geworfen), solchen Hochmut zu ertragen.
Plötzlich hatte ich die Nase voll und wollte ihm schon einen schönen Tag wünschen, hätte er nicht im Weiteren etwas erwähnt, was mich als Exmatrikulanten einer renommierten Universität förmlich elektrisierte. Er, der davon freilich nichts wusste (zum Glück muss man sagen), spielte nämlich unbewusst auf etwas an, worüber ich seinerzeit mit einem längeren Exzerpt für reichlich Wirbel gesorgt hatte. Die Urteile darüber reichten von genial bis völlig verrückt, weil ich darin einige namenhafte Rektoren unserer Universität bestichelte, die für ihren Konservatismus bekannt waren. Und da ich mich erkühnte, meine Meinung zu diesem Thema ausgerechnet in einer linken Zeitschrift zu publizieren, legte ich damit den Grundstein für meinen späteren Rauswurf. Zugegeben, eine kleiner Pferdefuß. Kurzum, dieses Thema lautete: Pro und Kontra von Eliteuniversitäten nach angloamerikanischem Vorbild und den Folgen für unsere Wirtschaft. Und über eben dieses Problem begann dieser Alleswisser zu polemisieren. Man wird meine Erregung sicher verstehen, zumal ich mir zunächst nicht sicher war, in welcher Absicht er das tat. Wolle er mich provozieren? Wusste er am Ende mehr über mich, als mir lieb sein konnte? Wenn ja, woher? Doch schon nach wenigen Sätzen erwiesen sich meine Befürchtungen als unbegründet.
Freilich hatte ich in seinem Fall schon immer den Eindruck einer absonderlichen Mischung aus eigenen, naiven Anschauungen und fremden Ideen, die ihm zwar unverständlich waren, doch welche er sich auf wundersame Weise plausibel redete. Hieraus mochten auch seine häufigen Gedankensprünge resultieren, da er im Bestreben, möglichst tief zu sinnieren, auch vieles durcheinander brachte. Das er aber so viel Unfug redete, entsetzte mich nun doch.
„Mit solchen Institutionen“, führte er nasal aus, „ist es möglich, sich im Vorfeld eine elitäre Schicht zu züchten, die sich später durch hohe Fach- und Sachkompetenz auszeichnet. Das wiederum erscheint angesichts des ganzen Hickhack bei uns dringend geboten. Außerdem – und das werde Sie nicht leugnen können - wird das die Spreu vom Weizen trennen und der Anspruch eines Studiums wieder auf seine Ursprünge zurückführen nach dem Motto: Klasse vor Masse. Dann endlich haben Sie mit einem solchen Abschluss in der Tasche das Glück de facto gepachtet.“ Er sagte tatsächlich ’gepachtet’ und klatschte begeistert in die Hände, als wäre das das Nonplusultra jeder Erkenntnis.
Mich entsetzte die erschreckende Einförmigkeit dieser Gedanken und sagte ihm das. Er jedoch glaubte nur, sich falsch ausgedrückt und wollte mich erneut belehren. Ich unterbrach ihn aber und bat - übrigens ohne im Geringsten auf meine Vorkenntnisse auf diesem Gebiet zu verweisen - für einen Moment um Gehör. Das muss ihm schwer gefallen sein, denn gerade darauf verstand er sich nicht. Ich erklärte ihm also in aller Ruhe, dass ich es unangemessen fände, bestimmte Leute nur deshalb zu protegieren, weil sie irgendein Stück Papier in der Tasche trügen, dessen Wert sich allein nach seinem Namen bemisst. Immerhin bekämen sie damit vorab einen Bonus, der einen ungerechtfertigten Vorteil verschafft. Darum sei eine derartige Klassifizierung nach solcherlei Wertigkeiten nicht nur inhuman, sondern schlichtweg töricht. Das führe zu einer Zweiteilung der Kommilitonen, in solche, die um der Karriere, und solche, die um den Studiums willen studieren. Die Folge wären unerträgliche (um dieses Wort jetzt selbst einmal zu benutzen) ’Kakophonien’, zumal der erhoffte Effekt der Beseitigung von Vetternwirtschaft und Korruption nicht verschwinden, sondern nur auf die Ebene der Vorauswahl verlagert würde. Diese letzten Gedanken brachte ich mit besonderem Genuss heraus und hoffte auf sein Verständnis.
Doch weit gefehlt, denn er schob sogleich in auffallender Liebenswürdigkeit einige schöne Redensarten über meine, wie sich er sich ausdrückte ’emotional bedingte Empörung’ ein, verteidigte dann aber mit beinahe doppelter Vehemenz seinen lächerlichen Thesen.
„Sehen Sie, Verehrtester, menschliche Schwächen sind nun mal eine Tatsache“, fuhr er mit einem abscheulichen Lächeln fort, „und um diese abzubauen, ist eine entsprechende Selektion unabdingbar, Leute also, bei denen dieses Fehlerrisiko minimiert ist. Doch wie, so frage ich, soll man das erreichen, ohne Gefühl des Besonderen? Allein dieses Wissen vermittelt den nötigen Erfolgsdruck, nicht nur gut, sondern ständig besser zu werden. Oder um es anders zu sagen: Wer sich vornimmt, ein Leben lang offen und ehrlich zu handeln, egal wie er von anderen beurteilt wird; wer sich auf seinen Wegen nicht beirren lässt und sich seines Enthusiasmus und seiner Ambitionen nicht schämt, muss vor allem an sich glauben. Dafür aber ist ein gesundes Selbstvertrauen vonnöten, was nur entstehen kann, so lange kein Gefühl der Gleichheit und Allgemeinheit hemmt. Eine Elite wird nur dadurch elitär, wenn sie um ihre Stellung weiß, und wie konnte man ihr diese besser vermitteln, als gerade durch einen solchen Bonus?“
Muss man das kommentieren? Wie soll man einem Menschen widersprechen, der keinen Widerspruch duldet, wie einen Gedanken entwickeln, der von vorn herein abgelehnt wird? Dabei glaubte ich mich deutlich ausgedrückt und hatte dem nichts hinzu zufügen. Also beließ ich es dabei und machte ihn lediglich darauf aufmerksam, dass mich das Gefühl der Gleichheit und Allgemeinheit durchaus nicht hemme, im Gegenteil, dass dieses Bewusstsein nicht nur Quelle der Inspiration und des Erfolgs, sondern auch meines Stolzes sei und ich jeden bedauere, der daraus nicht schöpfen könne. Genau das sei es, was solchen Eliten fehle - es würde sie menschlicher machen, eine Eigenschaft, die sie zweifellos nötig hätten. Ob er das verstand, bezweifelte ich, denn er entblödete sich nicht, darüber noch zu lachen, auch wenn er am Ende tatsächlich nachzudenken schien. Sollte er nur, vielleicht wären dann künftig solche ’Kakophonien’ zu vermeiden. Ich konnte es nur hoffen.
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