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IV

Wann wurde ich, was ich bin? Wie ich mich kenne, mit dem Tag meiner Geburt. Spätestens aber vor vier Jahren. Damals, ich war schlanke Vierzehn, standen zu einem höchst unpassendem Zeitpunkt die Feierlichkeiten anlässlich der Aufnahme in die Freie Deutsche Jugend an. Kein Achtklässler wurde verschont. Natürlich auch ich nicht, weshalb ich mich selbst verschonen und ins Stadion verdrücken musste. Einem Fußballspiel von Dynamo Dresden beizuwohnen erschien mir ergreifender und zwangloser als die freiwillige Aufnahme in die FDJ. Sport hatte einen unvergleichlich höheren Stellenwert für mich als irgendwelches steifes Blauhemdentheater. Schon als Sechsjähriger begann ich aktiv Fußball zu spielen. Und mit zwölf erfüllte sich mir ein ganz, ganz großer Traum: Als Ballholer nahm ich fortan an sämtlichen Dynamo-Spielen teil. Direkt am Rasen, in unmittelbarer Nähe der von mir verehrten Stars. Weder meine Klassenleiterin noch die Schulleitung zeigten Verständnis für meinen Sport und sprachen mir einen Tadel aus. Ein herber Rückschlag für einen, der sich zu den besten der Klasse zählendurfte. Wer suchte die Konfrontation? War ich es, der provozierte? Oder sie, beständig auf der Suche nach dem Erlebnis ihres unbefriedigtem Daseins? Wer weiß das schon so genau. Jedenfalls häuften sich seither die Vorkommnisse. Einmal spazierte ich in einer rosaroten Jeans mit braunen aufgesetzten Taschen zur Schule. Auf dem rechten Knie prangte ein handtellergroßes schneeweißes Zeichen. Ein Symbol, nichts als ein Symbol, welches an das heiß begehrte Sammlerobjekt Mercedes-Stern erinnerte, nur dass der mittlere Balken nach unten durchgezogen war. Ich glaube, es hatte irgendwas mit Frieden zu tun. Nun ja, eigentlich hatten wir ja eine dressierte weiße Taube. Eine, die keine Fensterbretter vollkleckert. Wie auch immer: das Ding kam aus dem Westen und sah gar nicht so übel aus. Von einem Foto auf der ersten Seite unserer Zeitung sprang es mich an. Es war das einzige Bild dieser Ausgabe, und es war auch größer als sonst. Eine Menschentraube mit aufgerissenen Mündern, auf irgendeinem Platz in Westberlin, wie ich dem Text unter dem Foto entnahm. Einige hielten Papierschilder mit dem Zeichen über ihre und die Köpfe der anderen. Es war wohl ein sehr wichtiges Symbol für sie. Lange betrachtete ich das Foto, bevor ich das Symbol abmalte, auf einen quadratischen weißen Bügelflicken übertrug, ausschnitt und über ein kleines Loch meiner Lieblingshose bügelte. Versuche meiner ausrastenden Klassenleiterin, es mit Zornesröte und unpädagogischer Gewalt abzureißen, scheiterten an meinem erbitterten Widerstand. Kurzerhand verbot sie mir, die Hose zu tragen. Wollte wohl sehen, ob und was ich darunter trug, das Ferkel. Natürlich zog ich meine Hose nicht aus. Ich trug sie weiterhin - auch in der Schule. Mit jedem Verbot, mit jeder Drohung wich mein Respekt ein Stück weiter vor ihnen zurück.

Auf den Gipfel hievten, oder besser, katapultierten sie mich, als des Volkes Polizei meinen Personalausweis kassierte und mir stattdessen eine PM 12 in die Hand drückte. Ein kleines ordinäres Faltblättchen mit meinen persönlichen Daten und Lichtbild. Damit nicht genug: Sie machten mir auch noch zur Auflage, bei ihnen kniefällig zu werden und untertänig um Erlaubnis zu bitten, wollte ich die Stadt verlassen.

Zeitgleich flog ich aus meinem Fußballverein, verlor meine Stelle als Ballholer und auch die Tore der Gesellschaft für Sport und Technik, wo ich Sportschießen und Segelflug trainierte, blieben von da ab für mich verschlossen. Das saß.

Stück für Stück zerbröselte eine Welt um mich herum, die ich nicht mehr verstand. Geräuschlos, ohne Staub, ohne Lärm.

Und ich, noch nicht ganz sechzehn, verkroch mich in schummrigen Kneipen, soff vom Schulschluss bis zur Polizeistunde und sah illusionslos desinteressiert dabei zu. Niemand fragte nach mir. Nach einem, den es nicht gibt, lässt es sich schlecht fragen.

Tja, und keine drei Monate später saß ich hinter Gittern.

Wollter

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