Читать книгу Kanonen für Saint Helena - Ole R. Börgdahl - Страница 5

Fluchtpläne

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Ich blickte hinauf zu den Masten. Die britischen Matrosen rafften mit sicherer Routine die Segel am großen Baum. Im nächsten Moment wimmelte die Takelage von Männern und dann war das Manöver auch schon ausgeführt. Mit einer spürbaren Verzögerung neigte sich die HMS Myrmidon leicht nach Steuerbord, als das Ruder ein oder zwei Strich nach Backbord gesetzt wurde. Ich war gerne Beobachter des maritimen Treibens, konnte mich auf dem Schiff frei bewegen und traf Captain Gambier oft auf dem Achterdeck, wo wir uns unterhielten und nicht nur seemännische Diskussionen führten. Während sich Captain Gambier rühmen konnte, bereits auf anderen Schiffen seiner Majestät bei Abukir und später bei Trafalgar gegen Frankreich in die Seeschlachten gezogen zu sein, war die HMS Myrmidon noch ein recht neues Kriegsschiff, ohne nennenswerte Einsätze.

Dies fand ich aus Sicht eines Schiffbauers eher interessant. Wenn ich alleine auf der Brigg unterwegs war, berührte ich gerne das noch frische Holz der geschwungenen Reling oder verglich unter Deck die Konstruktion und die Aufteilungen mit denen jener Schiffe, die auf der Werft meines Vaters in Lomma gebaut wurden. Captain Gambier versicherte allerdings, dass die Myrmidon ein schlechter Segler sei. Das Ruder reagiere eher träge und auch die Wendigkeit hatte unter der Entscheidung gelitten, ein knapp hundertzwanzig Fuß langes Schiff mit recht schweren 32-Pfund-Karronaden auszurüsten, von denen achtzehn Stück über Deck verteilt waren. Weniger ist mehr, sagte ich mir, wenn man die Schlagkraft nicht einsetzen konnte, weil einem der Feind davonsegelte. Was mir allerdings an der Ausrüstung gefiel waren die beiden 9-Pfund-Jagdkanonen im Heck, mit denen sich der Captain die Kajüte teilte.

Aber ich schweife ab, denn ich muss noch erklären, dass seit den Schlachten vor den Toren Brüssels fast vier Wochen vergangen waren. Und so bin ich noch schuldig, zu erzählen, was ich seither erlebt hatte. Bei meiner Rückkehr nach Brüssel in der Nacht vom 18. auf den 19. Juni 1815 war von dem großen Sieg über Napoléon Bonaparte noch nichts zu spüren. Die Stadt war weiterhin mit Militär überfüllt, allerdings waren es jetzt zurückkehrende Kolonnen von Infanteristen und Fuhrwagen von Verwundeten, die zu ihren Wachfeuern und Zelten strebten oder in die Lazarette und zu den Verbandsplätzen gekarrt wurden. Die Euphorie sollte sich erst einige Tage später einstellen.

Ich fand meine Unterkunft leer vor, obwohl ich so gehofft hatte, Freund Louis in die Arme schließen zu können. Ich wusch mich notdürftig mit kaltem Wasser und legte mich recht hungrig schlafen. Am nächsten Morgen weckte mich Tumult. Ich kleidete mich schnell an. Zum Glück hatte ich eine zweite Uniform im Zimmer deponiert, denn der Rock, den ich während meines Abenteuers getragen hatte, war ohne eine gründliche Reinigung und ohne Flickarbeit nicht mehr zu gebrauchen. Dies war mir aber auch erst aufgefallen, als ich am Abend die Kleider abgelegt hatte.

Unten im Haus traf ich den Wirt, der mir sofort die Neuigkeiten mitteilen wollte, die Brüssel in den letzten Stunden erreicht hatten. Ich ließ mir berichten, aber erfuhr zumeist nur Unbedeutendes, um festzustellen, dass die Lage und der Ausgang der Schlacht keineswegs bekannt waren. Nur eines schien sicher, keine der Parteien hatte Napoléon Bonaparte gefangengenommen, aber angeblich wurde auf dem Brüsseler Marktplatz ein Planwagen mit den persönlichen Habseligkeiten des Kaisers ausgestellt. Kleidung, die Napoléon getragen haben soll und die jetzt zu ersteigern war. Mir schien dies eher unwahrscheinlich, da längst Offiziere dem Treiben Einhalt geboten hätten.

Ich konnte meinem Wirt gerade noch die verschmutzte und zerrissene Uniform übergeben, mit dem Auftrag der Reinigung und Instandsetzung, als mich der Tumult, den ich schon auf meinem Zimmer gehört hatte, vors Haus trieb. Ich eilte aus der Gasse zu einem Platz, auf dem gerade mehrere Fuhren Heu abgeladen wurden. Eine preußische Kavallerieeinheit hatte den Ort eingenommen, die Pferde wurden mit Wasser und Heu versorgt, die Reiter erhielten Speisen und Wein von den Anwohnern, die ebenso zahlreich erschienen waren. Ich ging umher, sah mir Männer und Tiere an. Es war eindeutig, dass die Kavallerie aus der Schlacht kam. Ein junger Leutnant versorgte gerade die Wunde am Hinterlauf seines Pferdes, als ich dazu trat. Der Mann richtete sich sofort auf und salutierte vor meiner Majorsuniform.

»Nein, nein, machen Sie weiter«, sagte ich schnell, »das Tier geht vor. Kann ich Ihnen helfen, benötigen Sie Verbandsmaterial?«

Der Leutnant schüttelte den Kopf und zeigte mir, dass er ausreichend mit Leinen und Charpie versorgt war. »Danke, es wird schon gehen, nur ein Kratzer, er hat es schnell vergessen, wenn wir erst die Franzosen nach Paris hineinjagen.«

»Wo haben Sie gekämpft?«, fragte ich.

»Bei Wavre und dort ist es noch nicht zu Ende, aber ich glaube, wenn wir zurückgeschickt werden, brauchen wir nur noch aufzuräumen und dann geht es nach Paris.« Er stockte. »Vor zwei Tagen haben wir noch ordentlich Haue gekriegt, das zahlen wir jetzt zurück.«

»Ich war dort, ich habe es gesehen. Am Ende zählt nur die Summe und nicht ein einzelner Erfolg.«

Der Leutnant sah mich ungläubig an, aber ich gab ihm keine weiteren Erklärungen, auch weil ein Trompetensignal ihn und seine Kameraden zum Aufbruch rief. Reste von Heu, leere und zerbrochene Flaschen und einige Brüsseler Bürger blieben auf dem Platz zurück. Im Verlaufe des Tages sollten weitere Einheiten durch die Stadt kommen, Briten, Niederländer und Preußen. Ich aber setzte meinen Weg fort, durchquerte einen Park und stand vor jenem Stadtpalais, in dem drei Tage zuvor die Geschichte ihren Lauf nahm. Tatsächlich waren einige Bedienstete noch mit Aufräumarbeiten betraut.

Ich ging einfach ins Haus und in den Saal, der sich doch sehr verändert hatte. Die Girlanden und Vorhänge waren abgenommen, die Tische und Stühle standen auf der Tanzfläche, gestapelt und abholbereit. Einige Handwerker bauten eine Trennwand wieder ein, die aus dem Saal zwei oder drei separate Räume machen sollten. Allein das kleine Sofa, auf dem der Duke of Wellington gesessen hatte, während ihm einer seiner Stabsoffizieren Berichte von den Vorgängen an der Kreuzung Quatre-Bras übermittelte, stand noch an seinem Platz neben einem schmalen, hohen Fenster. Ich setzte mich hinein, schloss kurz die Augen, wurde dann aber angesprochen und höflich gebeten, mir eine andere Sitzgelegenheit zu suchen, da man das Möbel gerade abräumen wolle. Und so wurde der gesamte Saal geleert und später wieder zu den Empfangs- und Gesellschaftsräumen gemacht, die sie vor der Nacht vom 15. auf den 16. Juni waren.

Ich suchte mir keinen neuen Platz, verließ das Palais wieder und ging rechts in die Rue de la Blanchisserie, deren Namen mir in Erinnerung blieb, weil sich in der Mitte der Straße eine Schule für mathematisch-naturwissenschaftliche Studien befand, deren Schaufensterauslage ein wunderschönes Teleskop auf einer Dreibeinlafette zierte. Ich musste einen Moment lang an Philippe denken, der sich auf Elba ein Observatorium gewünscht hatte. Ich fragte mich auch, was aus Bellevie und dem Professor geworden war. Entweder waren sie wieder in Paris oder sie warteten darauf, dass man Napoléon zurück nach Elba brachte.

In meine Gedanken versunken hörte ich erst den zweiten Ruf meines Freundes Louis, der ebenfalls in frischer, aber niederländischer Uniform auf mich zu ging. Er war in Begleitung von zwei britischen Offizieren und bevor ich überhaupt begriff, wurde ich ihnen vorgestellt und wir feierten ein Wiedersehen.

»Hast du die Seiten gewechselt?«, fragte ich übermütig und deutete auf Louis’ Rock.

Er schüttelte den Kopf. »Nur eine freundliche Leihgabe. Mein eigenes Tuch war schon sehr zerschunden, und das nach zwei Tagen. Der segensreiche Regen, der ebenso segensreiche Schlamm und zwei durchwachte Nächte.«

Ich verstand, was Louis mit segensreich meinte. Regen und Schlamm, das schlechte Wetter insbesondere, hatten Napoléon zögern lassen, so dass es den Preußen gelungen war, noch rechtzeitig dem Duke of Wellington zu Hilfe zu kommen. Diese umfassende Einschätzung hatten wir so kurz nach der Schlacht zwar noch nicht, aber wer die Schlachtfelder gesehen hatte, ahnte bereits, dass Napoléons Niederlage am Ende auch dem Wetter geschuldet war.

»Aber du bist anscheinend schadlos über die letzten Tage gekommen«, stellte Louis fest, als er mich nun genauer musterte. »Ich kann mir allerdings nicht vorstellen, dass du den Ermahnungen des Överstes gefolgt bist und wirklich nur als reiner Beobachter unterwegs warst.«

Louis sprach von Överste Kungsholm, der uns genau instruiert hatte, bevor es für uns nach Brüssel ging. Keinesfalls sollten wir in die Kampfhandlungen zwischen Briten, Preußen und Franzosen eingreifen. Ich erzählte also, dass ich im Grunde genommen gegen den Befehl verstoßen hatte, berichtete von meinen Erlebnissen.

»Dann hat es Wellington Ihnen zu verdanken, dass Blücher noch lebt und rechtzeitig auf dem Schlachtfeld erschienen ist«, behauptete einer der beiden Briten und klopfte mir auf die Schulter.

Ich schüttelte den Kopf. »Als wir Blücher unter seinem Pferd hervorholten, war die Gefahr längst vorüber. Sein Adjutant hat ihn gerettet, weil er ihm den Mantel übergeworfen hat, wodurch die durchreitenden Franzosen Blüchers Orden nicht erkannt und ihm keine Beachtung geschenkt haben.«

»Nicht so bescheiden, mein Freund.«

Wieder wurde mir auf die Schulter geklopft und es war dann auch der Abschied von den beiden britischen Kameraden. Louis und ich gingen zurück zu unserer Unterkunft. Louis entledigte sich der niederländischen Uniform, ließ sie von einem der Zimmermädchen ausbürsten, lüften und ordentlich einpacken, um sie später zu der Adresse in Brüssel zu schicken, die man ihm aufgegeben hatte.

In den nächsten Stunden ließ ich Louis ausschlafen und erkundete alleine die Stadt und hörte mich nach den neusten Nachrichten um. Blücher und Wellington sollten sich kurz getroffen haben, die Briten und Niederländer hatten das Schlachtfeld gesichert, während die Preußen hinter den Franzosen herjagten. Den Fehler, den Napoléon begangen hatte, wollte Gneisenau nicht wiederholen. Die Franzosen sollten bis nach Paris keine ruhige Minute mehr haben, sich nicht mehr erheben können.

Erst viel später erfuhren wir, dass der Feldzug noch beinahe zwei Wochen andauerte, dass noch über zwei Wochen hinweg immer wieder Menschen für eine an sich entschiedene Sache starben. Es gab Gefechte in Namur, eine Woche später in Compiegne. Bei Villers-Cotterets, Nanteuil und Sevres wurden die Franzosen weiter abgedrängt. Die endgültige Entscheidung kam aber am 3. Juli des Jahres 1815 durch den Sieg bei Issy. Danach räumte das französische Heer Paris und zog sich gemäß einer Vereinbarung mit den Alliierten über die Loire zurück.

In diesen Tagen blieben Louis und ich zunächst noch in Brüssel und gaben täglich mehrmals Depeschen an Överste Kungsholm heraus. Erst am 27. Juni brachen wir unsere Zelte ab und reisten nach Antwerpen, um von dort eine Schiffspassage nach Lübeck zu erhalten. Wir mussten Geduld haben, saßen am 9. Juli immer noch in Antwerpen fest, waren aber weiterhin fleißig am Schreiben, um die Neuigkeiten über den Landweg nach Schweden und zu unserem Vorgesetzten zu schicken.

Dennoch blieb uns viel Zeit, die wir tagsüber zumeist am Hafen verbrachten. Abends fanden wir uns aber immer in unserer Unterkunft wieder und schauten in der Wirtsstube nach neuen Gästen. Am Nachmittag waren fünf niederländische Offiziere angekommen, dessen Anführer, Ritmeester Vincent Dijk de Groot, uns an seinen Tisch einlud. Wir tranken auf den Sieg bei Waterloo, tauschten unsere Kriegserlebnisse aus und erfuhren, dass die Niederländer geradewegs aus Paris kamen. Ritmeester de Groot hatte tatsächlich Neuigkeiten von Napoléon Bonaparte.

»Ich bin ihm natürlich nicht persönlich begegnet«, erzählte der Ritmeester. »So schnell waren wir dann doch nicht in Paris. Der Korse ist ja wie der Teufel geflüchtet, aber seine Hauptstadt soll ihn nicht sehr freundlich empfangen haben. Abdanken sollte er, auf die Armee konnte er nicht mehr zählen. Und dann hat er erneut seinen Sohn vorgeschoben, als Nachfolger, wie damals, als er das erste Mal abgedankt hat, aber man ließ es ihm wieder nicht durchgehen. Das französische Parlament hat sich selbstverständlich zurückgehalten. Sie waren schließlich erneut besiegt und wir hatten das Sagen, auch wenn es noch etwas gedauert hat, bis wir auf der Bildfläche erschienen sind.«

»Wann sind Sie in Paris eingetroffen?«, fragte Louis.

»Gleich am Dritten. Zwei Tage sind wir geblieben, dann noch einmal zwei Tage in Versailles und dann zurück, hierher nach Antwerpen, weil ich das Schiff bekommen muss, das mich dort hinbringen soll, wo der Korse sich aufhält.« Der Ritmeester erhob plötzlich sein Glas. »Ich trinke auf das Wohl meines Herrn Wilhelm Friedrich von Oranien-Nassau, König der Niederlande, der mir höchstpersönlich diesen Auftrag erteilt hat, nachdem ich ihm den schlanken Billy wieder recht gesund nach Hause gebracht habe.«

Natürlich stimmten Louis und ich in den Trinkspruch ein. Die Niederlande hatten nach Napoléons erster Abdankung eine Gebietserweiterung erfahren, weil Österreich seine Ansprüche auf Teile des Landes aufgab. Dies geschah vor allem, um mit dem neuen Staat ein Gegengewicht zu künftigen französischen Expansionsversuchen zu schaffen. Der schlanke Billy war niemand anderes, als der niederländische Kronprinz, der bei Quatre-Bras gekämpft hatte und verwundet wurde.

»Ich verstehe nicht«, sagte ich schließlich. »Napoléon wird nach Antwerpen gebracht?«

»Nein, nein.« Der Ritmeester schüttelte den Kopf. »Er kommt doch nicht hierher. Zunächst ist er auf sein Schloss geflüchtet, Malmaison, Schloss Malmaison, ja, so heißt es doch, aber da ist er schon wieder weg.« Der Ritmeester stutzte. »Ist vielleicht schon kein Geheimnis mehr, aber er ist mit seinem Tross weiter nach Süden an die Küste. Dort wartet er jetzt, hofft auf ein Arrangement mit der britischen Krone.«

»Das klingt ja wie eine Verschwörung«, warf Louis ein. »Die Briten können nicht ohne die Preußen, die Russen und die Österreicher ein Arrangement mit dem gemeinsamen Feind treffen. Und vielleicht hat auch noch Schweden ein Wort mitzureden oder eben die Niederlande.«

»Mag sein, mag sein, Meneer Majoor, aber die Sache ist doch noch gar nicht entschieden. Es sind doch nur Gerüchte, dass der Korse den Duc de Rovigo und den Comte de Las Cases vorgeschickt hat. Jedenfalls wissen die Briten wo der Korse jetzt steckt und das Schiff, auf das ich warte, soll ebenfalls dorthin segeln.«

»Und auf welches Schiff warten Sie?«, fragte ich schnell.

Der Ritmeester grinste, holte einen kleinen Zettel aus seiner Rocktasche und las vor. »His Majesty's Ship Myrmidon.«

*

Das trinkseelige Gespräch mit Ritmeester Vincent Dijk de Groot und seinen Kameraden lag sechs Tage zurück und seit fünf Tagen war ich nun schon an Bord der HMS Myrmidon, und zwar zusammen mit Ritmeester de Groot, aber ohne meinen Freund Louis. Er gehorchte den Befehlen von Överste Kungsholm oder glaubte zumindest, es sei der Wunsch unseres Vorgesetzten, dass wir nach Lübeck zurückkehrten. Und so nahmen wir an ein und demselben Tag jeder ein Schiff. Louis nach Norden und ich nach Süden. Ich erfuhr erst an Bord, dass die französische Hafenstadt Rochefort unser Ziel war. Aber wie war es mir überhaupt gelungen, Ritmeester Vincent Dijk de Groot zu überzeugen, mich auf diese durchaus geheime Mission als seinen offiziellen Begleiter mitzunehmen?

Zunächst musste ich Captain Robert Gambier kennenlernen und ihn auf mich aufmerksam machen. Nachdem die Myrmidon am nächsten Morgen in den Hafen von Antwerpen eingelaufen war, fand zwischen Ritmeester de Groot und dem Captain ein Treffen statt, um alles für die Überfahrt zu besprechen. Sie hatten sich in unserem Gasthaus verabredet, was vom Ritmeester so arrangiert worden war und mir natürlich sehr entgegenkam. Ich drängte mich dann regelrecht auf, stolzierte in voller Uniform auf den Tisch zu, an dem die beiden saßen, ohne dass mich Freund Louis zurückhalten konnte.

Auf diese Weise konnte mich der Niederländer dem Briten vorstellen. Ich versäumte es nicht, gleich zu Beginn die Waffenbrüderschaft zwischen Schweden und England zu betonen. Spontan fiel mir die Congreve’sche Rakete ein und da wurde Captain Gambier aufmerksam. Natürlich legte danach auch Ritmeester de Groot ein gutes Wort für mich ein und versäumte es nicht, die Geschichte von Blücher und mir zu erzählen, die dann wohl ausschlaggebend war. Captain Gambier entschied daraufhin, dass es seine Pflicht sei, auch einen Vertreter der schwedischen Krone an Bord zu nehmen.

Und so schrieben wir den 14. Juli 1815. Die HMS Myrmidon war in den vergangenen fünf Tagen dank eines stetigen Windes recht gut vorangekommen. Wir hatten den Kanal in weniger als drei Tagen durchquert und waren weiter die französische Küste entlanggesegelt. Zur Mittagszeit umschifften wir die bretonische Halbinsel und schlugen Kurs Südsüdost ein. Das Backen und Banken wurde eingeläutet und nicht nur Teile der Mannschaft gingen zum Essenfassen, sondern auch Captain Gambier hatte zu Tisch in seine Kabine eingeladen. Neben dem Ritmeester und mir waren diesmal noch zwei weitere Offiziere sowie ein sehr junger Kadett anwesend.

Die Suppe wurde gerade aufgetragen, als mich Captain Gambier aufforderte, eine Geschichte zu wiederholen, mit der ich die Tischgesellschaft in den vergangenen Tagen unterhalten hatte.

»Ihren Kampf mit dem Bären müssen Sie unbedingt unserem jungen Freund erzählen, Mister Hanson.« Der Captain grinste den jungen Kadetten an. »Er hat nämlich etwas Angst vor großen Hunden, da wird es für ihn hilfreich sein, wenn er erfährt, wie man einen Bären von Angesicht zu Angesicht niederstreckt.«

Ich legte meinen Löffel auf den Tisch neben meinen noch vollen Teller und schüttelte den Kopf. »Die einzige Lehre, die man aus dem Vorfall ziehen kann, ist es, künftig die Beine in die Hände zu nehmen und vor so einem Untier zu flüchten.«

»Aber das haben Sie nicht getan, Sir?«, stellte der Junge fest und sah mich erwartungsvoll an.

»In der Tat, ich hatte gar nicht die Gelegenheit zur Flucht, ich musste kämpfen, um mein Leben kämpfen. Ich hatte sehr großes Glück und kann daher auch kein Patentrezept für einen Kampf gegen einen ausgewachsenen Bären geben.«

Dann erzählte ich alle Einzelheiten, wie der hungrige und verletzte Bär mich und mein Pferd angegriffen hatte und wie mein armes Reittier grausam zu Tode kam und wie es schließlich endete.

»Dann war es ein Glücktreffer«, verkündete der junge Kadett.

»Ich bitte Sie, ein gestandener und kampferprobter Soldat benötigt doch kein Glück«, rügte Captain Gambier seinen Untergebenen.

»Doch, doch, es war Glück, sehr großes Glück. Und so kampferprobt war ich zu dieser Zeit noch nicht. Ich hatte kaum ein Vierteljahr in der Armee hinter mir und der Bär war der erste Feind, auf den ich gestoßen bin, wenn diese arme Kreatur überhaupt mein Feind war.«

»Ein ehrenvolles Wort, darauf ein Toast«, rief der Captain.

Wir stießen an, widmeten uns der Suppe, bevor diese kalt zu werden drohte und setzten das Mahl dann mit Nierchen und Pudding fort. Der Ritmeester erzählte währenddessen Anekdoten vom Schlanken Billy, blieb dabei aber immer respektvoll seinem künftigen König gegenüber. Die Runde wurde gegen Ende durch ein Klopfen an der Kabinentür unterbrochen. Der Steuermann trat ein, salutierte und meldete einen Segler, der auf die Myrmidon zulief. Captain Gambier entschuldigte sich, folgte dem Steuermann, kam aber nach fünf Minuten zurück, als gerade der Kaffee aufgetragen wurde.

»Beim Sherry werden wir einen Gast an Bord begrüßen können«, verkündete der Captain. »Ein Bote der HMS Bellerophon wird gerade von seinem Tender zu uns übergesetzt.«

Eine halbe Stunde später war der Tisch abgeräumt und tatsächlich stand je ein Glas Sherry vor Ritmeester de Groot und mir, während wir auf den angekündigten Boten warteten. Schließlich ging die Tür auf und Captain Gambier ließ einen älteren Offizier ein, der seinen Hut abnahm, sich umsah und uns dann begrüßte. Wir erhoben uns und salutierten.

»Darf ich Ihnen Captain James Cook vorstellen.« Captain Gambier lächelte. »Weder verwandt noch verschwägert.«

Alle lachten. Wir setzten uns, Captain Cook erhielt ebenfalls ein Glas Sherry und wurde aufgefordert, zu berichten, nachdem Captain Gambier versichert hatte, dass alle Anwesenden Vertreter ihrer Nationen waren und jegliche Geheimhaltung, die zu dieser Zeit noch notwendig war, gewährleistet sei.

»Ja meine Herren, Kaiser Napoléon Bonaparte …« Er stutzte. »Oder darf der Mann nicht mehr Kaiser genannt werden?«

»Général Bonaparte, würde ich ihn titulieren«, warf der Ritmeester ein. »Schließlich hat der Korse aus freien Stücken abgedankt, wenn auch nicht ohne ein wenig Druck seines Volkes.«

Ich enthielt mich eines Kommentars. Captain Cook fuhr fort.

»Jedenfalls hat Général Bonaparte vor ein paar Tagen ein Bittgesuch an die Krone gerichtet. Dieses Bittgesuch haben Général Savary und der Comte de Las Cases an Captain Maitland, Kommandeur der HMS Bellerophon gerichtet. Sie müssen wissen, die Bellerophon operiert seit Anfang Juli in den Gewässern vor Rochefort. Es ist anzunehmen, dass Général Bonaparte aus genau diesem Grunde ebenfalls nach Rochefort geflüchtet ist, um an Bord eines britischen Schiffes zu gelangen.«

»Das ist doch unverständlich«, sagte de Groot. »Er hätte sich doch schon viel früher Wellington ergeben können und das als Kaiser.«

»Er will sich nicht ergeben, er will Zuflucht. Ich habe mit dem Comte de Las Cases gesprochen. Napoléon muss befürchten, dass ihn die Bourbonen, die Preußen oder Österreicher in Ketten legen, wenn er Frankreich nicht verlässt.«

»Und wir würden ihn nicht in Ketten legen?«, fragte Captain Gambier.

»Das kann ich nicht beantworten.« Captain Cook zuckte mit den Schultern. »Ich kann Ihnen nur die Fakten nennen.«

»Wird Ludwig XVIII. denn zurückkehren?«, fragte ich. »Oder gibt es einen neuen Plan für Frankreich?«

»Das ist Politik. Als Offizier der Krone kann ich Ihnen auch diese Frage nicht beantworten.« Er zögerte. »Ich weiß aber, dass Ludwig schon wieder nach Paris zurückgekehrt ist.«

»Dann kann es also stimmen, dass Ludwig sich an Napoléon rächen wird«, warf ich ein.

»Wir sind doch zivilisiert, wer denkt denn an Rache. Bestrafung vielleicht, aber viel wichtiger ist es doch, dass es ein weiteres Aufbegehren Napoléons nicht geben darf. Dies vor allem zum Wohle des Friedens zwischen den Nationen.«

»Was werden die Briten also unternehmen, um den Frieden zu sichern?«, fragte Ritmeester de Groot.

»Ich weiß es nicht, oder doch, ich weiß, dass Général Bonaparte aufgefordert wird, an Bord der HMS Bellerophon zu gehen. Hierzu soll Ihr Schiff, verehrter Captain Gambier Geleitschutz geben. Das ist eigentlich meine Mission, Ihnen diesen Befehl zu übermitteln, obwohl Sie ja bereits ähnliche Instruktionen hatten. Die HMS Slaney befindet sich übrigens bereits im Geleit der Bellerophon.«

*

Am 15. Juli liefen wir in die Bucht von Rochefort ein. Ritmeester de Groot blieb an Bord der HMS Myrmidon. Ich selbst ließ mich mit dem ersten Proviantboot an Land bringen. Captain Cook hatte eine weitere Information gegeben. Napoléon war nicht in der Stadt anzutreffen, sondern auf der vorgelagerten Île-d’Aix. Ich stieg also in Port-des-Barques von dem einen Boot in ein anderes und ließ mich zur Insel übersetzen. Ich war nicht der einzige Passagier und es war sogar mein großes Glück, dass ich Doctor O'Meara kennenlernte. Er schwieg sich zunächst über seine Mission aus und ich glaubte schon, er sei ein Schaulustiger, der einen Blick auf den ehemaligen Kaiser werfen wollte, wie einige andere Leute, die aber auch mit Bestechungsgeld nicht an Bord der Segelfähre gelassen worden waren.

Die Überfahrt dauerte fast eine Stunde und in dieser Zeit konnte der Doctor nicht stillhalten. Er begann mich auszufragen und gab dabei selbst preis, dass er Schiffsarzt auf der HMS Bellerophon sei, was mich wiederum hellhörig werden ließ. Ich gab dann zu, Napoléon Bonaparte einen Besuch abstatten zu wollen und erzählte von meiner Zeit auf Elba und meine dortige Beziehung zum Kaiser. Daraufhin erfuhr ich, dass der Doctor in seiner Eigenschaft als Arzt und Chirurg von Napoléon angefordert worden sei. Noch während des Kennenlernens sah ich in Doctor O'Meara die Gelegenheit von der HMS Myrmidon auf die Bellerophon zu wechseln, um das Schicksal Napoléons weiterhin begleiten zu können.

Die Île-d’Aix ähnelte einer verlassenen Festung und ließ nicht darauf schließen, dass der ehemalige französische Kaiser auf der Insel logierte. Es wäre sicherlich möglich gewesen jeden Punkt der Insel zu Fuß zu erreichen, dennoch wartete eine kleine Kutsche auf uns, gezogen von zwei kräftig gedrungenen Ponys. Wie selbstverständlich folgte ich dem Doctor. Wir wurden zu einem Gebäude mit weißgetünchter Fassade gebracht, auf dem keine Standarte oder Fahne die Anwesenheit des hohen Gastes verriet.

Doctor O'Meara wurde bereits erwartet und beim Betreten des Gebäudes mussten wir uns trennen. Ein Diener geleitete mich in einen hellen Raum und bewirtete mich sogleich mit einem Imbiss. Ich nahm meinen Teller und das Glas Wein und ging hinaus auf einen Innenhof, in dessen Mitte ein kleiner Baum stand. Es war der erste Baum, den ich auf der Insel sah. Die frisch geharkte Erde in die er gepflanzt war, hatte eine Umrandung aus weißen, glatten Steinen, die wie poliert aussahen. Ich studierte die Anordnung, das Schwarz der Erde, das makellose Weiß der großen Kiesel. Alles erinnerte mich an ein frisches Grab. Und sofort traten mir wieder die Bilder der letzten Schlacht bei Waterloo in die Augen.

»Welch eine Überraschung! Was machen Sie denn hier, verehrter Monsieur Hanson?«

Die Ansprache riss mich aus meinen Gedanken. Ich drehte mich um und noch bevor ich den Mann sah, der in den Hof getreten war, hatte ich ihn an der Stimme erkannt. Général Claude Marie Arnauld eilte mit schnellen Schritten auf mich zu und reichte mir die Hand.

»Welch eine Freude, Sie gesund wiederzusehen, mein lieber Monsieur Hanson, Capitaine Hanson. Es tut mir noch immer leid, dass Sie Ihr Schiff eingebüßt haben. Ich hoffe, Sie konnten inzwischen für Ersatz sorgen.«

Arnaulds Worte kamen euphorisch über seine Lippen. Er schüttelte immer noch meine Hand, ohne dass ich Gelegenheit hatte, etwas zu erwidern. Dann ging er einen Schritt zurück, befreite mich endlich aus seinem Griff und sah mich von oben nach unten an.

»Aber nein, Sie tragen ja wieder den Rock Ihres Landes, stehen wieder in Diensten Bernadottes. Ist das richtig? Führt Sie eine Mission hierher? Wollen Sie eine Audienz beim Kaiser? Es ist zur Zeit etwas schwierig …« Er stutzte. »Ich lasse Sie ja gar nicht zu Wort kommen. Entschuldigen Sie, Monsieur Capitaine, oder nein, Sie tragen ja die Uniform eines Majors. Ich gratuliere zur Beförderung.«

Nach diesem Monolog herrschte zwischen uns einige Sekunden Schweigen. Arnauld lächelte verlegen und endlich entschloss ich mich zu einer Erwiderung.

»Sie haben davon gewusst. Unsere Reise nach Sardinien war ein Ablenkungsmanöver.« Ich musste mich zügeln, damit meine Stimme nicht zu aufgeregt klang.

Arnauld zuckte mit den Schultern und gab meiner Anschuldigung damit recht. »Ich habe auch nur die Befehle des Kaisers ausgeführt und er ist dem Rat seiner Maréchaux gefolgt. Er musste sein Exil verlassen, Frankreich war in großer Gefahr, ist es immer noch, aber jetzt kann selbst ein Napoléon nichts mehr ausrichten.«

»Ich will doch meinen, dass die Alliierten anders darüber denken«, erwiderte ich.

»Sie sprechen von Österreich und den Preußen?« Arnauld schüttelte den Kopf. »Diese Nationen haben kein Recht, sich in Frankreichs Angelegenheiten einzumischen. Wissen Sie überhaupt, was diese ganze Serie von Kriegen ausgelöst hat? Wissen Sie überhaupt, dass sich Frankreich immer nur verteidigt hat? Die Geschichte ist verfälscht worden, weil ein genialer Heerführer wie Napoléon Bonaparte sich nicht einfach nur verteidigt, sondern auch zurückgeschlagen hat, was sein, was Frankreichs gutes Recht war und ist.«

»Darüber kann ich nicht urteilen«, warf ich ein. »Es gab einen Vertrag, Napoléon hat ihn unterzeichnet und dann sein Wort gebrochen.«

»Politik, Politik, mein lieber Freund, lassen wir das aus dem Spiel. Die Sache ist ohnehin nicht mehr zu ändern. Der Kaiser steht mit dem Rücken zur Wand. Es ist nett, dass Sie ihn noch einmal besuchen möchten, bevor er Frankreich erneut verlässt.«

»Ich habe davon gehört, Sie verhandeln jetzt mit den Briten, aber ich habe nicht vernommen, dass der Kaiser nach Elba zurückkehrt.«

»Elba, was sollen wir da«, rief Arnauld. »Wenn der Ruf Frankreichs nicht ertönt wäre, hätte Napoléon Elba schon im vergangenen Jahr verlassen. Ich kann Ihnen jetzt verraten, dass es einen ganz anderen Plan für die Zukunft eines Napoléon Bonaparte gab, nachdem in Europa alles gegen ihn war.«

»Ein anderer Plan«, wiederholte ich. »Es hätte vielen Menschen das Leben gerettet.«

»Nein, nein, auch das ist nicht die Schuld Napoléons. Er ist als Friedenskaiser nach Paris zurückgekehrt und hätte sich auch mit diesem Ludwig arrangiert, doch der Kaiser von Österreich hat dies ja nicht zugelassen.«

»Österreich, Russland, die Preußen und nicht zuletzt die Briten haben es selbstverständlich nicht zugelassen. Es gab einen Vertrag und …«

»Gut, dass Sie Österreich ansprechen«, unterbrach mich Arnauld. »Haben Sie sich nicht gefragt, wer hinter dem Anschlag steckt?«

»Von welchem Anschlag sprechen Sie?«, fragte ich und dachte wirklich im ersten Moment, dass Napoléon auf Elba einem Mordanschlag entgangen war, von dem ich und andere nichts mitbekommen hatten.

»Ich spreche von dem Meuchelmörder, den man Ihnen auf den Hals gehetzt hat. Ich kann Ihnen übrigens sagen, dass er es noch an Land geschafft hat, dort aber zwei Wochen später am Wundfieber verreckt ist.«

Jetzt war ich doch sehr überrascht. »Dann haben Sie mit der Sache zu tun?«, fragte ich ruhig.

»Selbstverständlich nicht, Monsieur Hanson.« Arnauld stampfte mit dem Fuß auf. »Ich verbitte mir diese Unterstellung, obwohl ich es nachvollziehen kann, dass Sie auch dafür uns die Schuld geben. Aber ich versichere Ihnen, hätte ich die Pläne gekannt, so hätte ich sie mit aller Macht verhindert. So habe ich erst im Nachhinein davon erfahren, mich dann aber auch mit der Angelegenheit beschäftigt. Ich habe versichert, dass Sie nicht im Auftrag des Kaisers handeln und es keinen Sinn macht, Ihnen nach dem Leben zu trachten.«

Das Ganze klang immer merkwürdiger und ich begann zu zweifeln, dass Arnauld mehr wusste, als er zugab. Natürlich hatte er irgendwie von dem Anschlag erfahren, auch wenn ich mir nicht vorstellen konnte, wie dieses Geheimnis nach außen gedrungen war. Ich hatte mich nur Överste Kungsholm anvertraut, aber vielleicht hatte er die Sache gemeldet und dabei war das Leck entstanden. Im Grunde war es jetzt auch nicht mehr wichtig, was Arnauld offenbar anders sah.

»Aber Monsieur Hanson, wenn ich es richtig bedenke, macht uns der Mordanschlag auf Sie zu Verbündeten. Vielleicht sollte ich Sie in die Pläne des Kaisers einweihen. Sie könnten sich für unsere Sache einsetzen. Offenbar kennen Sie Doctor O'Meara, haben sogar Kontakt zu Monsieur Maitland, dem Kommandanten der HMS Bellerophon, die in der Bucht lauert.«

»Ich stehe natürlich gerne mit meinem Rat zur Seite, aber bedenken Sie, dass Sanktionen gegen Napoléon in jedem Fall gerechtfertigt sind.«

»Ja, wir würden gerne Ihren Rat hören und Ihre Meinung, wie die Sache ausgeht, was die Briten planen, wenn das nicht zu viel verlangt ist und Sie dadurch nicht Ihr Gewissen in Schwierigkeiten bringen.«

»Ich denke, zunächst ist der Kaiser gut beraten, sich nicht dem berechtigten Zorn der Bourbonen auszusetzen. Die Briten und hier ein britisches Schiff, könnten ein vorläufiger Ausweg sein.«

»So ist es ja auch geplant. Der Kaiser will sich Monsieur Maitland ergeben und darum bitten, ihn zunächst nach England zu bringen. Wir haben dann die finanziellen Mittel, den Kaiser samt Entourage nach Louisiana weiterreisen zu lassen.« Arnauld machte eine Pause. »Jetzt kennen Sie das große Geheimnis, den unser Plan beinhaltet. Louisiana hat eine besondere Bedeutung, Louisiana war noch vor wenigen Jahren französisch, Louisiana denkt noch immer französisch, wir haben dort viele Verehrer des Kaisers. Auf Elba war Napoléon nur ein Gefangener mit gewissen Freiheiten, in Louisiana könnte er dagegen einen Neuanfang unternehmen.«

»Einen Neuanfang?«, fragte ich. »Was will er denn Neues anfangen, eine neue Armee ausheben, einen neuen Staat gründen oder besser gesagt einen Staat annektieren?«

»Wir bräuchten Louisiana nicht zu annektieren, wir könnten es zurückkaufen, aber auch das ist nicht unser Plan. Louisiana soll nur eine Station sein. Bereits auf Elba haben wir den Grundstein gelegt, eine Delegation nach Übersee entsandt. Kennen Sie die Staaten und die politischen Verhältnisse Südamerikas?«

Ich schüttelte den Kopf. Was entstand hier und jetzt, was wollte Arnauld mir sagen? Es konnte doch nicht sein, dass er mich in derart intime Pläne einweihte. Ich müsste aufschreien, weil Napoléon sein Werk fortsetzen wollte. An Europa gescheitert wollte er sich jetzt ein neues Opfer suchen. Südamerika, die Staaten Südamerikas waren eng mit denen Europas verbunden. Es gab Interessen der Spanier, aber auch der Briten. Es würde zu neuen Konflikten führen, deren Kriege nur auf anderem Terrain ausgetragen würden. Arnauld schien meine Gedanken zu erraten.

»Louisiana ist schon das Ziel ein sehr langfristiges Ziel«, sagte er sanft. »Aber vergessen Sie das mit Südamerika, das ist auch überhaupt nicht der Plan des Kaisers. Im Grunde ist er müde, wünscht sich einen Ruhestand in einem britischen Dorf oder in einer nicht zu lebhaften Stadt. Seine Ansprüche für sich und die Seinen ist nicht sehr groß. Und wenn dies alles so kommt, wird Louisiana über kurz oder lang nicht mehr das Ziel sein. Der Kaiser hofft im Grunde auf die Gastfreundschaft der Briten.«

»Ich bin kein Brite und wenn ich einer wäre, hätte ich wenig Einfluss. Ich kenne Captain Maitland überhaupt nicht und war auch noch nicht einmal auf der Bellerophon. Es tut mir sehr leid.«

Arnauld nickte. »Das Gespräch hier bleibt unter Freunden, aber wenn Sie gezwungen werden, jemandem davon Bericht zu erstatten, erwähnen Sie bitte, dass der Kaiser keine bösen Absichten hegt. Er ist geläutert, will für jene, die jetzt die Macht in Europa übernommen haben, nicht zur Gefahr werden.«

Das Gespräch soll unter Freunden bleiben. Was dachte sich Arnauld? Wir waren keine Freunde und würden es auch nie werden, nicht in hundert Jahren. Ich gab dem Mann dennoch die Hand.

»Sie können sich auf mich verlassen, solange es in meiner Macht steht.«

»Danke!« Arnauld deutete eine Verbeugung an. »Und jetzt melde ich Sie dem Kaiser. Er wird sich freuen.«

*

Ich musste dann doch noch eine halbe Stunde warten, bis man mich holte und im Gebäude zu einem Raum führte. Ich sollte sogleich eintreten. In dem Zimmer war es hell, aber ein Diener begann schon wieder die Vorhänge zuzuziehen. Doctor O'Meara war noch anwesend, was mich nicht störte. Napoléon stand neben einem kleinen Tischchen und schloss die letzten Knöpfe seiner Weste. Der Doctor trocknete sich währenddessen die Hände ab. Als schließlich der Diener mit der Waschschüssel in der Hand den Raum verließ, waren wir zu dritt.

Napoléon lächelte. »Sie sind doch ganz sicher mit Ihrem Schiff hier, der Faucon. Sie sehen, ich weiß noch den Namen und das muss ich auch, denn habe ich ihn nicht ausgesucht? Faucon, wie Falke, wie Falk Hanson, Capitaine Falk Hanson.«

Napoléon trat näher, so dass ich erst jetzt sein müdes Gesicht betrachten konnte, aus dem ich Enttäuschung und Resignation zu lesen glaubte.

Er lächelte erneut. »Sie sind doch noch in meiner Schuld, das Jahr ist doch noch lange nicht um, noch muss die Faucon für mich fahren. Ich habe auch einen Auftrag. Ihr Schiff ist doch hochseetüchtig? Kann es den Atlantik überqueren?«

Ich nickte. »Das könnte es, Sire. Ich muss Ihnen allerdings mitteilen, dass mir die Faucon genommen wurde. Ich weiß nicht, wo sie sich gerade befindet und ob es sie noch gibt. Ich bin mit einem britischen Kriegsschiff hierhergekommen.«

»Ach, das ist aber auch zu dumm. Ich hätte die Faucon gut gebrauchen können. Man will mich ebenfalls auf ein britisches Kriegsschiff bringen. Wir hätten fliehen können, bevor dies geschieht, und wir hätten den guten Doctor O'Meara als Geisel genommen.« Napoléon lachte. »Kennen Sie den Doctor?«

»In der Tat habe ich heute seine Bekanntschaft gemacht«, sagte ich und nickte Doctor O'Meara zu, der das Nicken erwiderte.

»Er könnte als Schiffsarzt auf der Faucon mitfahren, wenn wir weit genug vom Land entfernt sind und wir ihm gefahrlos die Fesseln abnehmen können.« Napoléons kurzes Auflachen ging in ein Husten über, aber er fing sich schnell wieder. »Alles nur Spaß. Ich werde mit Freuden auf die Bellerophon gehen. Sie bringt mich nach Plymouth. Ich hoffe zunächst in England bleiben zu können.«

Ein kurzes Schweigen. Napoléon schien zu überlegen.

»Sie tragen ja wieder Bernadottes Farben. Sind Sie in seinem Auftrag hier, Monsieur Major?«

»So könnte man es sagen. Ich war Beobachter in Brüssel.«

»Das habe ich mir beinahe gedacht, dass Sie wieder dabei waren. Sagen Sie mir, was ich gegen die Briten falsch gemacht habe, keiner hat mir das bisher sagen können.«

»Ich war in Ligny«, erklärte ich. »Sie haben Feldmarschall Blücher geschlagen, Sie hätten ihn auch vernichten müssen, das war Ihr Fehler gegen die Briten.«

»Das ist wenigstens eine Antwort, danke Monsieur.« Er kniff die Augen zusammen. »Aber das glaube ich noch nicht. Ich bin immer noch dabei, alles zu überdenken. Es wird noch lange dauern, weil so viel in so kurzer Zeit geschehen ist. Fakt ist, dass ich jetzt hier stehe und auf meine Einschiffung warte. Werden Sie mich begleiten, Monsieur Hanson.«

»Das kann ich nicht entscheiden«, antwortete ich.

»Doctor O'Meara, was muss ich tun, damit Monsieur Hanson mein Gast auf der Bellerophon ist?«

Der Doctor zuckte mit den Schultern. »Die Entscheidung trifft Captain Maitland. Sie können ein Schriftstück mit Ihrer Bitte aufsetzen, welches Mister Hanson beim Captain einreicht. Ich fürchte jedoch, dass nicht mehr viel Zeit dazu bleibt. Ich habe gehört, dass heute abend die Flut günstig steht.«

»Nein, nein, ich will Captain Maitland nicht mit solchen Forderungen belasten«, rief Napoléon. »Und Sie Monsieur Hanson sollen nicht gezwungen werden, mich zu begleiten. Ich habe genug Gesellschaft, ich hatte nur gedacht, weil … es war doch eine schöne Zeit auf …«

Er beendete den Satz nicht, überlegte kurz und wandte sich dann ab. Er durchschritt das Zimmer und setzte sich an einen kleinen Schreibtisch.

»Sie müssen mich jetzt entschuldigen, meine Herren. Doctor, wir sehen uns später. Monsieur Hanson, Ihnen sage ich vorerst Lebewohl.«

Wie auf Befehl öffnete von außen ein Diener die Zimmertür. Doctor O'Meara nahm seine Tasche und begleitete mich hinaus. Wir verließen das Gebäude und gingen über die Straße zu einer Mauer, hinter der sanfte Wellen auf einen schmalen Strand liefen.

»Mich hat die Audienz beeindruckt«, begann der Doctor, »Sie aber scheinen Napoléon Bonaparte ein wenig besser zu kennen.«

»Das mag sein«, sagte ich nachdenklich.

Ich starrte über das Wasser zum Horizont und begann meine Begegnungen mit Kaiser Napoléon aufzuzählen.

Doctor O'Meara nickte schließlich. »Er wäre besser auf Elba geblieben, so ist seine Zukunft doch recht ungewiss.«

Ich schüttelte den Kopf. »Es gab dort nichts zu tun, alles hatte sich nach wenigen Monaten abgenutzt. Wäre er zwanzig Jahre älter gewesen, hätte es eine Lösung sein können. Er hat die Zeit selbst in die Hand genommen. Jetzt wirkt er so, als sei er um zwanzig Jahre gealtert.«

»Das ist nur vorübergehend«, bescheinigte der Doctor. »Er war in den letzten Tagen und Wochen etwas gehetzt. Die Überfahrt mit der Bellerophon wird ihm Ruhe bringen und in England …«

»Was wird in England sein, was wird mit ihm geschehen?«, unterbrach ich Doctor O'Meara. »Nimmt ihn der König mit in seine Loge oder lädt ihn zu Festen ein, als ausländischen Ehrengast?«

»Das weiß ich nicht, würde es aber verneinen. Ich denke Österreich und Preußen werden genau wissen wollen, was Napoléon künftig anstellt. Wir Briten müssen Garantien geben. Nach der Meinung vieler Leute sollte Napoléon ein Gefangener sein. Wir retten ihn nur vor der Haft, die ihm hier in Frankreich droht. Ich denke, man muss annehmen, dass die Bourbonen noch eine Rechnung mit den Bonapartes offen haben. Das könnte unschön werden, weil Rache nie ein guter Berater ist.«

»Aber man könnte es doch verstehen«, warf ich ein. »Ludwig musste im März flüchten, hat sehr wahrscheinlich um sein Leben gebangt. Wenn er Napoléon jetzt in einen tiefen Kerker wirft und einen tonnenschweren Deckel darauflegt, wäre ein Problem gelöst.«

Doctor O'Meara nickte. »Einmal davon abgesehen, dass so etwas nicht menschlich wäre und wir Briten es nicht zulassen dürfen, warum ist Ihrer Meinung nach nur ein Problem gelöst und nicht alle Probleme generell?«

»Weil ich es bereits im letzten Jahr in Paris erlebt habe. Napoléon mag nur ein ganz normaler Mensch aus Fleisch und Blut sein, aber hinter ihm steht eine Idee, eine Ideologie, die von vielen seiner Anhänger weitergetragen wird. Es verselbständigt sich. Und die königstreuen Franzosen werfen den Weißen Terror dagegen. Bonapartisten gegen Royalisten. Ein Napoléon, der in England präsentiert wird, dort residiert, vielleicht sogar seine Anhänger empfängt und ohne es zu wollen für die Sache entzündet, kann für den schwelenden Konflikt nicht gut sein.«

»Bonapartisten«, wiederholte der Doctor. »Diese Bezeichnung für die Anhänger Napoléons habe ich noch nie gehört. Anhänger, Verehrer, verklärte Bewunderung. Sie haben recht, dies darf keine Nahrung erhalten, in dem Napoléon greifbar, ja sichtbar bleibt.«

»Genau das meine ich. Was will Ihre Regierung dagegen tun, was meinen Sie?«

»Ich habe keine Vorstellung, aber ich glaube, unsere Regierung, die zuständigen Minister, ja selbst der Prinzregent, werden dies berücksichtigen. Napoléon wird in England keine Bühne erhalten, davon bin ich überzeugt.«

»Was ist mit Übersee?«, fragte ich.

»Übersee, sie sprechen von Terra Australis. Meinen Sie, man sollte Napoléon in eine Strafkolonie deportieren? Das wäre ja noch schlimmer, als ihn den Bourbonen zu überlassen, er wäre dann allerdings für niemanden mehr sichtbar.«

»Ich hatte nicht Terra Australis gemeint«, sagte ich nachdenklich. »Aber ich hoffe, außer Ihnen kommt niemand auf diese Idee. Und wenn doch, ist Terra Australis in zwei Jahren entweder französisch und hat ein schlagkräftiges Heer oder hat Napoléon Bonaparte auf dem Gewissen.« Ich schüttelte den Kopf. »Nein, ich dachte an Louisiana, an Amerika.«

»Das hat er mir auch erzählt«, antwortete der Doctor. »Ich soll Captain Maitland davon erzählen, aber Napoléon weiß nicht, dass der Captain in dieser Angelegenheit überhaupt keinen Einfluss hat. Die Bellerophon wird nach Plymouth segeln und dort entscheiden andere Instanzen, wie es weitergeht.«

»Und gerade das würde mich interessieren«, sagte ich. »Sehen Sie die Möglichkeit, mir zu schreiben oder mir Nachricht zu geben?«, fragte ich.

»Aber gerne, mein Freund«, rief Doctor O'Meara. »Wo Sie doch schon länger mit Napoléon bekannt sind und auch während seines Exils auf Elba bei ihm waren. Beabsichtigen Sie denn, den Kaiser nach Louisiana zu begleiten, wenn es denn so kommt?«

»Oh, das kann ich gar nicht sagen, Elba oder Louisiana, das ist schon ein großer Unterschied. Aber eher nicht. Ich fürchte, ich habe Napoléon heute das letzte Mal gesehen und habe lediglich Interesse daran zu erfahren, wie es ausgeht.«

Der Doctor nickte. »Ich kann Ihnen bestimmt später berichten, denn Napoléon hat mich gebeten, auf der anstehenden Reise nach Plymouth sein Arzt zu sein, sofern es meine Pflichten an Bord erlauben.«

»Das ist sicherlich eine große Ehre für Sie.«

»Es ist auch eine Verantwortung, aber es ist noch nicht entschieden, weil der Captain dem noch zustimmen muss.« Der Doctor reichte mir die Hand. »Und darum muss ich mich jetzt von Ihnen verabschieden, weil ich das Gesuch noch schriftlich niederlegen muss. An welche Adresse müsste ich denn meinen Brief senden, damit er Sie erreicht?«

Ich gab Doctor O'Meara eine Anschrift in Lübeck, unter der meine Post lagernd aufbewahrt wurde. Er steckte das Papier sorgfältig ein und ging zurück zur Residenz, in der Napoléon seine letzten Stunden auf französischem Boden verbrachte.

Als ich die Île-d’Aix zwei Stunden später verließ, segelte uns ein Tender der Bellerophon entgegen, der wahrscheinlich Auftrag hatte, Doctor O'Meara zusammen mit Napoléon und dessen Entourage abzuholen. Ich blickte dem kleinen Schiff nach, wie es in die Bucht halste, um an der Mole anzulegen. Auf dem Weg ans Festland war ich nicht der einzige Passagier. Général Arnauld war noch kurz vor dem Ablegen an Bord gesprungen. Ich hatte ihn erst gar nicht erkannt, denn er trug seine Uniform nicht mehr, hüllte sich vielmehr in einen langen Mantel, die Kapuze eng über den Kopf gezogen. Er hatte sich dann auch sofort nach vorne zum Bug begeben und stand dort jetzt regungslos. Ich war ein, zwei Mal versucht, zu ihm zu gehen, ließ es aber bleiben und setzte mich stattdessen Midships auf eine Bank und sah an Steuerbord über das offene Meer. Ich hatte weiter nicht auf Arnauld geachtet, der sich plötzlich ungefragt neben mich setzte.

»Wir haben alles getan, um ihn da raus zu holen«, begann er und lüftete dabei etwas die Kapuze. »Die Saale und die Méduse sind noch in der Nähe, aber wir haben gegen die britischen Kriegsschiffe keine Chance.«

»Ich verstehe nicht?«

»Es wird keine Befreiung geben, noch nicht«, fuhr Arnauld fort. »Es kann aber sein, dass wir Sie auffordern, später Ihr Versprechen einzulösen.«

»Mein Versprechen? Ich habe niemandem irgend etwas versprochen.«

»Wir haben noch ein drittes Schiff, aber das ist weit von Europa entfernt. Fouché hat Nachforschungen angestellt. Napoléon hat ihm vertraut, aber Fouché arbeitet nur für Fouché. Fouché vertraut nur Fouché und sucht sich einen neuen Herrn, so wie der Wind die Fahne dreht.«

»Ich verstehe das alles nicht, was wollen Sie?«

»Sie sind neutral und gerecht. Es ist gerecht, dass Napoléon Frankreich verlassen muss. Es ist nicht gerecht, dass die Sieger willkürlich über sein Schicksal entscheiden.«

»Wir sollten das Gespräch beenden«, rief ich.

»Ja, das sollten wir. Dennoch haben Sie Ihr Wort gegeben. Sie bekommen die Faucon zurück, irgendwie, aber Sie müssen Ihr Wort halten. Es reicht, dass Sie das Wissen.«

Ich wollte schon aufspringen, aber Arnauld kam mir zuvor. Er ging zurück zum Bug und blieb dort stehen, bis wir das Festland erreichten. Er blieb auch noch, als ich eilends das Schiff verließ.

Kanonen für Saint Helena

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