Читать книгу Pyjamamord - Ole R. Börgdahl - Страница 5

Mittwoch, 3. April 2013

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Bruckner konnte es nicht gefallen, dass unsere Angelegenheit in Sachen Leserbrief so lange dauerte. Ich wollte meinen journalistischen Erguss natürlich so gut wie möglich machen. Ich schrieb den Text vor, kam aber erst am Wochenende dazu, ihn druckreif fertigzustellen. Ich wollte schließlich nicht, dass die Redaktion von Hamburg Direkt meinen Kommentar ablehnte. Bruckner hatte bis Freitag mehrere Male versucht, mich am Telefon zu erreichen. Am Wochenende ließ er mich aber in Ruhe und gleich am Sonntagnachmittag konnte ich ihm den Text mailen. Er hatte keine Einwende, keine Verbesserungen, er wollte nur, dass das Ding, wie er es bezeichnete, so schnell wie möglich rausging. Ich wählte natürlich den Postweg, gab den Brief noch am Abend beim Hauptpostamt am Bahnhof ab. Ich konnte natürlich keine Expresszustellung daraus machen, das wäre zu auffällig gewesen. Dann hatte ich doch nicht damit gerechnet, dass es so schnell gehen würde.

Bruckner war es wieder, der mir eine Mail schickte. Im Anhang befand sich der Link auf die Website von Hamburg Direkt. Bruckner hatte mit seinem Smartphone auch ein Foto von der betreffenden Zeitungsseite geschossen. Die Redaktion hatte meinen Leserbrief tatsächlich gedruckt. Wenn Bruckner mich nicht darauf aufmerksam gemacht hätte, wäre mir allerdings entgangen, dass der Text gekürzt wurde. Ich verglich ihn mit meiner Version. Die Änderungen waren aber nicht sehr gravierend. Obwohl ich bei der Postzustellung meinen vollen Namen angegeben hatte, war die Redaktion meinem Wunsch gefolgt und hatte nur das Kürzel TH unter den Leserbrief gesetzt. Hier schien Bruckners Revolverblatt durchaus seriös zu sein.

In den folgenden Tagen kümmerte ich mich nicht mehr um das, was in Hamburg Direkt erschien, denn ich ahnte schon, dass Bruckner ein wachsames Auge auf alles haben würde. Ich hatte allerdings nicht mit seiner Ungeduld gerechnet. Wieder ein paar Tage später saß ich morgens in meinem Büro, als mein Mobile klingelte. Ich hörte es erst nicht, weil ich es in meiner Jacke hatte stecken lassen. Ich schaffte es gerade noch zum Garderobenschrank.

Bruckners Stimme klang verärgert. »Mein Gott, ich dachte schon, Sie hätten sich heute einen freien Tag genommen.«

»Habe ich aber nicht. Sind Sie das, Bruckner?«

»Ja, Entschuldigung! Hier spricht Kriminaloberkommissar Kurt Bruckner, Kriminaloberkommissar auf Eis. Ist das so in Ordnung?«

»Ja, ja, jetzt kommen Sie mal wieder runter«, forderte ich ihn auf. »Gab es eine Antwort?«

»Gab es eine Frage«, rief Bruckner trotzig.

»Ich meine den Leserbrief, oder warum rufen Sie an?«

»Ach so, das meinen Sie mit Antwort, Antwort auf den Leserbrief.« Es entstand eine kurze Pause. Bruckner holte tief Luft. »Warum wissen Sie das denn nicht selbst?«

»Es reicht doch, dass Sie es herausfinden. Das nenne ich Arbeitsteilung. Ich habe den Leserbrief geschrieben, Sie haben die Zeitung im Blick.«

Dann hörte ich einige Sekunden lang gar nichts mehr. Bruckner musste den Hörer mit der Hand abgedeckt haben, denn auch das leise Stimmengewirr im Hintergrund war verstummt.

»Hallo, sind Sie noch da?« Keine Reaktion. Ich wartete. »Hallo!« Dann hallte es und Bruckner meldete sich wieder.

»Entschuldigung, ich musste mir mal eben eine ruhige Ecke suchen.«

»Wieso, wo sind Sie denn?«, fragte ich etwas irritiert.

»Wo soll ich denn wohl sein, im Büro natürlich. Ich habe Ihnen doch erklärt, dass ich zur Zeit Schreibtischtäter bin.«

»Aber Sie waren eben nicht in Ihrem eigenen Büro, oder?«

»Ich hab’ gar kein eigenes Büro mehr, das heißt, ich hab’ mein Altes noch, aber dort sitzt vorübergehend ein anderer Kollege.«

»Sie sind aber weiterhin bei der Polizei, oder hat man Sie suspendiert?«

»Was soll das, was denken Sie denn über mich? Suspendiert!«

Bruckner klang sichtlich empört. Es lag aber etwas in seiner Stimme. Ich spürte es irgendwie und es sagte mir, dass sein derzeitiger beruflicher Status nicht sehr weit von einer Suspendierung entfernt sein konnte. Er versuchte mich einigermaßen aufzuklären, aber es war wohl nur die halbe Wahrheit.

»Ich habe Ihnen doch erklärt, dass man mir andere Aufgaben in einem anderen Dezernat übertragen hat«, begann er. »Ich bin daher gezwungen, auch räumlich mit den neuen Kollegen zusammenzusitzen.«

»Und die haben ihre Büros in einer anderen Sternspitze des Polizeipräsidiums?«

»Ich bin derzeit nicht mehr am Bruno-Georges-Platz.«

Wir schwiegen einige Sekunden. Vielleicht war es besser nicht weiter über Bruckners Situation zu sprechen. Es musste ernster sein, als er bisher vor mir zugegeben hatte.

»Jetzt lassen wir das mal«, sagte er schließlich. »Mir dauert das alles zu lange.«

»Was dauert zu lange?«

»Na, es hätte doch schon längt eine Reaktion auf den Leserbrief geben müssen.«

»Nach drei Tagen?«

»In der heutigen Zeit mit den mobilen Medien sind doch drei Tage wie früher drei Wochen.«

»Nein, nein, das ist Quatsch«, warf ich ein. »Lassen Sie den Dingen doch ihren Lauf. Wenn wir wirklich jemanden mit dem Leserbrief getroffen haben, dann wird es nicht sofort eine Reaktion geben und das ist auch gut so.«

»Warum?«, fragte Bruckner.

»Ich meine, Ihre Theorie. Wenn es Scherzbolde sind, dann könnte ich mir vorstellen, dass sie sich sofort melden.«

»Es handelt sich hierbei aber um keinen Scherz. Ich bin seit zwanzig Jahren Bulle. Ich spüre, wenn an einer Sache mehr dran ist ...«

»Verdammt, ich hab’ es ja verstanden.« Ich musste mich zurückhalten, um nicht ins Telefon zu schreien. »Hören Sie, je länger eine Reaktion auf meinen Leserbrief ausbleibt, desto wahrscheinlicher ist es, dass Sie recht haben.«

»Dann muss ich auch Recht haben, wenn niemand antwortet, ja, aber das nützt uns nichts, weil wir dann genauso schlau sind wie vorher.«

»Wenn das eintritt, dann müssen wir es eben ein zweites Mal probieren«, antwortete ich.

»Ja genau, das ist auch meine Meinung. Ich habe über Ihren Text nachgedacht. Vielleicht sollte man noch etwas hinterherschieben, etwas Schärferes, etwas das wirklich provoziert.«

»Was denn?«, rief ich. »Sie dürfen auch nicht übertreiben, sonst druckt es die Zeitung nicht.«

»So meine ich es doch gar nicht.« Bruckner schien zu überlegen. Es dauerte wieder ein paar Sekunden, bis er weitersprach. »Ich habe da mehrere Ideen. Ich schreibe was anderes als Sie, nur eine neue Theorie, zum Beispiel, dass in Süddeutschland ähnliche Schaufensterpuppen aufgetaucht sind.«

»Warum Süddeutschland?«

»Ach ist doch egal, Süddeutschland, Ostdeutschland, Westdeutschland. Es kann auch irgendeine andere Großstadt sein. Ich will doch bloß provozieren und andeuten, dass schon vorher jemand auf den Scherz mit den Schaufensterpuppen gekommen ist.«

»Und Ihre anderen Ideen?«

»Was?«

»Sie sagten, Sie hätten mehrere Ideen?«

»Ach so, ja. Das ist etwas heikel. Ich könnte einen Brief schreiben, anonym, und behaupten, ich habe das mit den Schaufensterpuppen gemacht. Ich fordere die Zeitung auf, es zu drucken ...«

»Also, jetzt hört es aber auf. Am Ende werden wir beide verhaftet, weil man uns die Sache mit den Schaufensterpuppen anhängt. Bitte unterlassen Sie solche Dinge.«

»Ja, ja, ist schon gut.« Bruckner klang wieder nachdenklich. »Aber irgendetwas muss ich tun.«

»Abwarten, das können Sie tun«, sagte ich scharf.

»Passen Sie auf«, entgegnete Bruckner. »Ich hab’ da was formuliert. Nichts davon, dass ich ... Sie wissen schon. Ich schicke es Ihnen gleich mal, und wenn es in Ordnung ist, geben Sie mir grünes Licht und wir haben einen zweiten Leserbrief in Hamburg Direkt, und wenn wir Glück haben, dann ist das das Zünglein an der Waage.«

Ich überlegte. Ich hatte jetzt keine Lust mehr, weiter mit Bruckner zu diskutieren. Es führte zu nichts. Er musste erst einmal wieder runterkommen.

»Meinetwegen, dann schicken Sie mir Ihren Text«, schlug ich vor. »Wenn ich mich bis heute Nachmittag nicht mehr melde, dann halten Sie die Füße still, versprechen Sie mir das?«

»Ja, aber urteilen Sie nicht zu voreilig. Sie werden sehen, dass ich recht habe. Wir müssen noch etwas nachlegen.«

Ich kommentierte seinen letzten Satz nicht. Wir beendeten das Gespräch, nachdem Bruckner angedeutet hatte, dass seine neuen Kollegen ihn schon suchen würden. Ich konnte seine derzeitige Situation wirklich nicht einschätzen und ich überlegte, ob ich nicht auch ein wenig schuld daran war.

*

Ich hatte mir seine Mail mehrfach durchgelesen. Ich hatte sogar überlegt, es etwas umzuschreiben, war am Ende aber zu dem Schluss gekommen, dass man gar nichts mehr unternehmen sollte. Anstatt mich nicht mehr zu melden und Bruckner damit zu signalisieren, dass ich seinen Vorschlag ablehnte, schrieb ich ihm wenigstens eine Antwort. Ich feilte lange daran, weil ich auch erreichen wollte, dass er selbst davon überzeugt war, noch abzuwarten. Eine Stunde später schickte er ein Einfaches Danke zurück.

Ich hörte über eine Woche nichts mehr von Bruckner. Ich hatte mir zwei-, dreimal ein Exemplar von Hamburg Direkt gekauft und dabei Stirnrunzeln bei Frau Sievers ausgelöst. Das Einzige, was es mir brachte, waren Tipps für billige Tankstellen in allen Hamburger Bezirken. Eine Antwort auf meinen Leserbrief fand ich nicht und ich fand auch nichts, was von Bruckner stammen konnte. Er hatte sich zurückgehalten. Am Vormittag war ich zu mehreren Objekten unterwegs, hatte einige Termine mit Kaufinteressenten für eine Doppelhaushälfte in Bahrenfeld. Ich kam auch an der ehemaligen Tierarztpraxis vorbei. Ich hielt kurz an, stellte sogar den Motor ab. Das Haus stand noch immer leer. Aus dieser Sache war Bruckner offenbar noch als großer Held hervorgegangen, obwohl der Haupttäter nie zur Rechschaft gezogen werden konnte. Und wieder war ich es, der daran nicht ganz unschuldig war. Es gab nur einen Trost, es hatte Bruckner und mir das Leben gerettet. Ich startete den Motor, der kraftvoll aufheulte, und fuhr weiter. In unmittelbarer Nähe zur Trabrennbahn fand ich einen Italiener und beschloss dort zu Mittag zu essen. Als ich schon beim Kaffee war, versuchte mich Frau Sievers zu erreichen. Ich nahm nicht ab, weil ich ohnehin in der nächsten halben Stunde wieder im Büro sein wollte. Als ich dort schließlich ankam, war Frau Sievers nicht mehr im Haus. Auf meinem Schreibtisch fand ich keinerlei Notiz. Mit ihrem Anruf hatte sie sich wahrscheinlich nur abmelden wollen. Ich ging in die Küche, um mir einen Kaffee zu holen. Als ich an Gustavs Büro vorbeikam, hörte ich, dass er Besuch hatte. Ich blieb kurz stehen, nicht um zu lauschen, sondern, weil mir die Stimme seines Gastes bekannt vorkam. Ich brauchte nicht lange zuzuhören. Bruckner! Ich zögerte kurz, klopfte an und trat sofort ein. Sie unterbrachen ihr Gespräch, Bruckner drehte sich zu mir um, Gustav sah mich an.

»Da bist du ja! Frau Sievers konnte dich nicht erreichen, da habe ich mich um den Herrn Hauptkommissar gekümmert.«

»Oberkommissar!«, korrigierte Bruckner meinen Schwiegervater. »Am Hauptkommissar arbeite ich noch, allerdings ziemlich erfolglos.«

Gustav nickte eifrig. »Wird schon, wird schon!«

In diesem Moment fragte ich mich, worüber die beiden Männer gesprochen hatten. Bruckner stand von seinem Stuhl auf, nahm seinen Mantel in die Hand, der auf seinem Schoß gelegen hatte, und gab meinem Schwiegervater die Hand.

»Dann möchte ich mich schon mal verabschieden und entschuldigen Sie, dass ich Sie aufgehalten habe.«

»Nein, nein, war mir ein Vergnügen.« Gustav erhob sich ebenfalls. »Ich habe ja Zeit«, sagte er, während er seinen eigenen Mantel aus dem Schrank holte. »Mir kommt es auf ein Stündchen mehr oder weniger nicht an.«

Wir verließen gemeinsam den Raum. Gustav ging zum Empfang, nahm noch ein paar Unterlagen vom Tresen und strebte der Ausgangstür zu. Wir sahen ihm nach, gingen dann aber in mein Büro. Wir nahmen in der Sitzecke Platz. Bruckner legte seinen Mantel über die Lehne des freien Stuhls und atmete einmal tief durch.

»Netter Mensch!«, sagte er schließlich. »Ich denke, Sie haben wirklich eine nette Familie.«

»Ich bin aber selbst auch ganz schön nett«, erwiderte ich.

Bruckner nickte. »Stimmt, und das nicht nur, weil Sie so viel Geduld mit mir haben.«

»Sie sind besser drauf, als in der vergangenen Woche«, stellte ich fest. »Und dabei ist Ihr HSV in München doch mit neun zu zwei Toren untergegangen.«

Bruckner schüttelte mit dem Kopf. »Wichtigkeit! So etwas lässt mich im Moment kalt, ist mir sogar völlig egal, und das hat auch einen Grund. Erstens habe ich mir mein Büro zurückgeholt. Ich sitze wieder in meiner Sternspitze.«

»Im Polizeipräsidium am Bruno-Georges-Platz?«, fragte ich.

»Ja und das habe ich Ihnen zu verdanken, zumindest den Ruck, den ich brauchte, um es durchzusetzen.«

»Bitte, bitte, aber wie ist es dazugekommen?«

»Sie haben mich doch gefragt, ob ich suspendiert sei?«

»Entschuldigen Sie, aber das sah ein bisschen danach aus, nach dem, was Sie so über Ihre derzeitige Arbeit erzählt haben.«

»Tja, das habe ich meinen Chef auch gefragt, ob ich suspendiert sei. Wenn ja, solle er mir das schriftlich geben, weil ich dann etwas Besseres mit meiner Zeit anzufangen hätte. Wenn nein, sollte er mich meine Arbeit machen lassen.«

»Und was hat Ihr Chef gesagt?«

»Er hat rumgedruckst. Ich habe meine Frage wiederholt und er hat Nein gesagt: Nein, sie sind nicht suspendiert. Das war am Gründonnerstag. Gestern bin ich wieder in mein Büro eingezogen. Ich habe dem vorübergehenden Mieter über Ostern Zeit gegeben, das Feld zu räumen und außerdem habe ich meinem Chef gesagt, dass ich Anlass sehe, im Falle der aufgefundenen Schaufensterpuppen auf ein Gewaltverbrechen zu ermitteln.«

»Oh! War das nicht etwas voreilig?«, fragte ich.

Bruckner schüttelte den Kopf. »Ich habe es ihm ja erst heute Morgen mitgeteilt, und zwar nachdem ich ...«

Bruckner wandte sich kurz von mir ab und griff nach seinem Mantel. Er zog eine zusammengefaltete Zeitung aus der Tasche im Innenfutter und legte sie vor mich auf den Besprechungstisch.

»Ich gehe davon aus, dass Sie es noch nicht gesehen haben«, sagte er schließlich.

Ich beugte mich vor. »Es gab eine Antwort auf den Leserbrief?«

»Das kann ich noch nicht sagen.« Bruckner faltete die Zeitung auseinander, blätterte auf die Seite zwei. »Für die Titelseite hat es nicht gereicht, aber das ist vielleicht ganz gut so. Lesen Sie!«, forderte er mich auf.

Ich nahm die Zeitung vom Tisch, lehnte mich in meinem Stuhl zurück und las den Artikel. Ab und zu blickte ich von der Zeitung auf. Bruckner sah mir grinsend zu.

»Da steht Ihr Name«, sagte ich schließlich. »Haben Sie doch noch an das Blatt geschrieben?«

»Nein, nein, das haben die selbst herausgefunden, dass ich den Fall bearbeite. Ich weiß nicht wie, aber da gibt es Wege, und nachdem sie meinen Namen hatten, wussten sie ja auch, zu welchem Resort ich gehöre. Die haben mich wenigstens gleich richtig eingeschätzt, aber das ist eine andere Sache.« Bruckner lächelte. »Und, was halten Sie von dem Geschreibe?«

»Schlecht einzuschätzen, da werden eine Menge Fakten erwähnt. Wie weit war die Presse denn über die Spurenlage an den Fundorten der Schaufensterpuppen informiert?«

»Ja, ja, das ist ein Punkt«, sagte Bruckner schnell. »Das ist mir auch sofort aufgefallen. Ich habe noch nicht alles überprüft, aber zum Beispiel die Kleidermarke und die Konfektionsgröße des seidenen Pyjamas. Das kann nur ein Insider wissen.«

»Verstehe, entweder hat dieser ...« Ich bemühte noch einmal die Zeitung, suchte das Pseudonym unter dem Artikel. »... hat dieser ARTUS einen Polizeiinformanten ...«

»Oder er hat Kontakt zu dem oder den Tätern«, ergänzte Bruckner mich.

»ARTUS! Sie haben sich in den letzten zwei Wochen doch mit Hamburg Direkt beschäftigt, was hat dieser ARTUS denn sonst so veröffentlicht?«

»Das weiß ich nicht, müsste man noch mal recherchieren.« Bruckner tippte auf die Zeitung. »In der Ausgabe hier hat er aber nur diesen einen Artikel geschrieben.« Bruckner hatte auf einmal seine E-Zigarette zur Hand. Er nahm einen tiefen Zug, wie bei einer richtigen Zigarette. »Was halten Sie von der anderen Geschichte, die in dem Artikel erwähnt ist?«

Ich überlegte. »Schwer zu sagen. Eine unbekannte Frauenleiche, die mit einem Pyjama bekleidet ist. Wissen Sie, was mir da sofort einfällt: Sie legte sich schlafen für immer. - Sie trug das Kleid der Nacht. - Sie war lange ein Rätsel. - So oder so ähnlich lauteten doch die ersten drei Verse oder Zeilen auf dem Stück Thermopapier.«

Bruckner nickte. »Genau das ist es, woran ich auch gleich gedacht habe.«

»Und! Haben Sie die Story schon nachrecherchiert, ist das Ganze echt?«

»Ja, hab’ ich, zumindest so auf die Schnelle. Ein alter Kriminalfall, uralt und weit, weit weg von hier.«

Bruckner räusperte sich, steckte die E-Zigarette wieder weg und holte sein Notizbuch hervor. Er blätterte kurz darin.

»Sie hieß Linda Agostini, geboren 1905 in London als Florence Linda Platt. 1924 ist sie nach Neuseeland ausgewandert. 1927 ging sie nach Sydney, Australien. 1930 heiratete sie dort den gebürtigen Italiener Antonio Agostini. Sie zog mit ihm nach Melbourne. Am 27. August 1934 wird sie von ihrem Mann erschossen. Er hat später ausgesagt, er habe es nicht gewollt, sie hatten sich gestritten.«

»Also eine Beziehungstat«, stellte ich fest. »Und wie wurde nun aus dieser Linda Agostini das Pyjama Girl?«

»Dazu gibt es eine Geschichte, ich sage nicht, dass es die Fakten sind. Also, Toni Agostini bekommt Panik, nachdem er geschossen hat und ihm wird klar, was passiert ist. Er schafft die Leiche seiner Frau im Auto fort. Er versteckt sie an einer Landstraße in einem Abwasserkanal, übergießt ihren Kopf mit Benzin und zündet ihn an.«

»Das klingt so, als entspräche das nicht der Wahrheit.«

»So lautet die offizielle Version, die Seitens der Justiz noch immer Gültigkeit hat, aber dazu sag ich gleich noch was. Auf jeden Fall wurde die Leiche einer Frau, die mit einem grünen, seidenen Pyjama bekleidet war, wenige Tage später von einem Bauern gefunden.«

»Ein grüner Pyjama. Das ist eine Übereinstimmung. Ihre Schaufensterpuppen hatten doch auch alle grüne Pyjamas an, oder?«

»Ja, aber nur einer war aus Seide.«

»Woher haben Sie übrigens diese Details über das Pyjama Girl?«

»Internet, da steht alles drin, man braucht gar nicht lange zu suchen.«

Ich nickte und Bruckner fuhr fort. »Also, Linda Agostini war mit einem grünen Pyjama bekleidet. 1934 war man nicht in der Lage sie zu identifizieren. Die Presse hat ihr daraufhin den Namen Pyjama Girl gegeben. Da der Fall nicht geklärt werden konnte, wurde die Leiche zehn Jahre lang in einem Formalinbad konserviert. Gruseliger Gedanke, was?« Bruckner räusperte sich. »Anfang der vierziger Jahre rückte das Pyjama Girl dann wieder ins Blickfeld der Justiz. Die Fakten wurden noch einmal zusammengetragen. Schon 1934 gab es den Verdacht, dass die tote Frau Linda Agostini sein könnte. Diese Spur wurde wieder aufgenommen, forensische Beweise wurden erneut überprüft, unter anderem wurde der Zahnstatus der noch unbekannten Leiche mit dem von Linda Agostini verglichen. 1934 war da wohl was schiefgelaufen. Das Ganze lieferte gerade erste Ergebnisse, als zufälligerweise Toni Agostini im Jahre 1944 aus der Internierung freikam. Er war ja Italiener, zählte also zu den Kriegsgegnern der Engländer und Australier. Achsenmacht Italien und so weiter, sie wissen schon. Auf jeden Fall nahm sich ein Polizeiermittler Agostini vor und er gestand schließlich.«

»Moment, wie ist man auf ihn gekommen?«

»Sehen Sie, jetzt kommen wir noch einmal zu dem, was ich vorhin meinte. Es gibt dazu nämlich eine Verschwörungstheorie. Das Pyjama Girl soll gar nicht Linda Agostini gewesen sein. Antonio Agostini hat zwar zugegeben, seine Frau ermordet zu haben, aber er will sie nicht dort abgelegt haben, wo man das Pyjama Girl gefunden hat. Der Mann hat wohl vielmehr einen Deal gemacht. Die Polizei hat als großen Erfolg endlich die Identität einer zehn Jahre alten Leiche geklärt und Agostini bekommt dafür ein mildes Urteil.«

»Und war sein Urteil mild?«, fragte ich.

»Das kann man wohl sagen. Er hat sechs Jahre wegen Totschlags gesessen und wurde am Ende seiner Haftstrafe nach Italien ausgewiesen, wo er übrigens 1969 starb. Ich glaube, das Urteil hätte eher auf Mord lauten müssen. Linda Agostini wurde erschossen, eine Kugel unter dem rechten Auge. Gemäß Obduktion soll sie aber an den heftigen Schlägen gestorben sein, die sie zusätzlich noch auf den Kopf bekommen hat. Vielleicht wäre das heute Totschlag, wo man dem Täter verlorene Selbstkontrolle attestiert. Ich kann mir allerdings nicht vorstellen, dass man im Australien der Dreißiger- und Vierzigerjahre schon so gedacht hat. Ich habe mal weiter gegoogelt. In Australien wurde die Todesstrafe erst 1985 vollständig abgeschafft.«

»Eines kann man sagen, das was Sie mir über den Fall des Pyjama Girls erzählt haben, ist um einiges mehr, als in dem Artikel hier steht. Dieser ARTUS hat sich anscheinend nicht gut vorbereitet.«

Bruckner schüttelte den Kopf. »Ich denke da an etwas anderes. Ich denke, es soll eine Fortsetzungsgeschichte werden. Zunächst präsentiert er nur die allgemeinen Fakten und dann später rollt er alles so aus, wie ich es Ihnen geschildert habe.«

»Dass Ganze hat für mich zwei Seiten«, warf ich ein. »Zum einen die Funde der Schaufensterpuppen und das, was der Redakteur darüber weiß. Und zum anderen die Story von dieser Linda Agostini. Ja, und die Verbindung zu beiden, das ist der oder sind die Pyjamas, die grünen Pyjamas.«

Bruckner sah mich ein, zwei Sekunden schweigend an. »Ich habe mit ARTUS gesprochen. Er heißt mit richtigem Namen Denn, Robert Denn.«

»Oh, und was sagt er, wer ist sein Informant oder ist er es selbst?«

»Nein, nein, so einfach ist das nicht«, rief Bruckner. »Es war ja schon schwer, am Telefon überhaupt an den Mann heranzukommen. Alles läuft unter Pressefreiheit und Schutz der freien Meinung. Was glauben Sie, warum der Typ unter Pseudonym veröffentlicht.«

»Aber Sie sind zu ihm durchgestellt worden?«, fragte ich. »Haben Sie Ihren Dienstausweis durchs Telefon geschoben?«

»So ähnlich! Ich habe ihm meinen Namen genannt. Da war er schon einmal sehr interessiert, schließlich hatte ich ja auch eine Rolle in seinem Artikel. Er war aber so vorsichtig, mich erst über die Auskunft des Präsidiums zurückzurufen. Ich habe fast eine halbe Stunde gewartet, bis er sich wieder gemeldet hat. Er hatte also genug Zeit, sich vorzubereiten. Mein Überraschungseffekt, den ich mit dem Anruf beabsichtigt hatte, war natürlich dahin.«

»Jetzt machen Sie es nicht so spannend«, forderte ich Bruckner auf.

»Da war nichts spannend. Er hat nicht geredet. Er fühlte sich sehr überlegen, sprach immer von seinen Quellen und dass er weitere Fakten habe, die er in seinen nächsten Artikeln verwenden werde. Ich habe dann auch behauptet, dass ich als ermittelnder Beamter neue Erkenntnisse zu dem Fall hätte. Er hat abgewogen und entschieden, mich zu empfangen.«

»Sie haben sich mit ihm getroffen?«

»Nein, noch nicht.« Bruckner schaute auf seine Armbanduhr. »Ich bin um halb vier mit ihm verabredet. Kennen Sie das Industriegebiet im Nordwesten von Eidelstedt?«

Ich nickte. »Da gibt es einige Druckereien.«

»Ganz richtig«, bestätigte Bruckner. »Die Redaktion von Hamburg Direkt hat dort ein kleines Bürogebäude. Die Zeitung wird auch in Eidelstedt gedruckt. Unser Revolverblatt ist dort ein guter Kunde und ihre rasenden Reporter, wie dieser Robert Denn einer zu sein scheint, sorgen mit ihren Storys auch dafür, dass es so bleibt.«

Ich überlegte. »Wenn Ihr Termin mit ARTUS noch aussteht, dann kann ich mir denken, dass Sie nicht nur hier sind, um mir die neusten Fakten mitzuteilen, oder?«

Bruckner grinste. »Wir können mein Auto nehmen, ich bin jetzt auch wieder offiziell mobil. Die Mondeos wurden übrigens im März versteigert, ich habe jetzt einen nagelneuen Audi A6 Avant.«

»Da hat sich das Blatt für Sie ja sehr schnell gewendet«, stellte ich fest.

Bruckner schüttelte den Kopf. »Der Audi war schon vor einem Jahr für mich bestellt und was die andere Sache betrifft, habe ich allerdings noch Karenz.«

»Was heißt das, Karenz?«

»Ich muss mich weiter bewähren, darf mir keine Fehler erlauben, muss Erfolge aufweisen.«

*

Ich fand die Kombis von Audi immer schicker als die Limousinen. Der A6 war gut ausgestattet. Erst einmal hatte er vorne eine Menge Platz. Ich streckte meine Beine aus und betrachtete mir das Interieur. Jetzt wusste ich, woher mein Century seine Sportlichkeit hatte. Bruckner verriet mir noch, dass er einen FSI 2.8 Liter Motor fuhr, mit 204 PS, die von dem sportlichen Automatikgetriebe ordentlich in Szene gesetzt wurden. Mein Century hatte ähnliche Werte, war jedoch leichter und damit spritziger. Der A6 ging aber dennoch gut ab. Wir brauchten eine halbe Stunde bis nach Eidelstedt. Als wir in das Industriegebiet einbogen, gerieten wir noch kurz in einen Stau. Ein Papierlaster wurde mitten auf der Straße entladen. Als wir die Stelle erreichten, trat Bruckner kräftig ins Gas und fand zwischen den Gabelstablern eine gefährlich enge Lücke.

Das Redaktionsgebäude der Hamburg Direkt war ein moderner Glasbau, der nicht zur Hallenarchitektur des Industriegebietes passte. Wir parkten an der Straße, stiegen aus und gingen auf das Gelände. Eine Drehtür führte ins Gebäude. Als wir die Eingangshalle betraten, standen wir gleich vor einem schneeweißen Empfangstresen. Bruckner regelte alles. Wir waren angekündigt und keine zwei Minuten später saßen wir ARTUS gegenüber. Robert Denn war auf keinen Fall älter als dreißig. Seine halblangen, blonden Haare und der Dreitagebart passten wie ein schlechtes Klischee zu seinem Beruf. Die Ausstattung seines Büros unterstrich diesen Eindruck noch: gläserner Schreibtisch, Metallrohrstühle, auf denen wir Platz genommen hatten, Plexiglasregale an den Wänden, die bis auf einige moderne Skulpturen fast leer waren. Dann entdeckte ich in einem Regal, auf dem untersten Board, noch ein uraltes Faxgerät, das dort überhaupt nicht hinpasste. Ansonsten war der Stil zwar nicht nach meinem Geschmack, aber fehlerfrei.

Robert Denn klappte sein MacBook zu. Bruckner begann damit, mich vorzustellen. »Mr. Tillman Halls ist Ihnen ja schon bekannt.«

Robert Denn nickte. »Der Leserbrief!« Er sah mich an. »Übrigens, interessantes Statement.«

»Danke!«, erwiderte ich nur.

Robert Denn lächelte. »Als Journalist ist man auf die Reaktionen der Leser angewiesen. Das hält ein Thema am Leben, gibt ihm neue Wendungen und Aspekte.«

Bruckner schüttelte den Kopf. »Bei der Geschichte mit den drei Schaufensterpuppen hatte der Leserbrief aber einen völlig anderen Grund.«

Robert Denn tat überrascht. »Oh, ja, welchen denn?«

»Das liegt doch auf der Hand.« Bruckner beugte sich vor. »Sie haben der Polizei doch selbst diese Reime oder Sätze übergeben, die sie angeblich anonym erhalten haben.«

»Ja und es war doch für beide Seiten gut.«

»Wie meinen Sie das?«, fragte Bruckner.

»Na ich konnte nichts mit diesen Sätzen anfangen. Offensichtlich ein Rätsel. Ich dachte, die Polizei würde mehr herausfinden können und ich hatte ja auch recht. Puppenmord, wirklich interessant. Schaufensterpuppe, Puppe, Mord, Puppenmord. Sehr originell.«

»Das war nur ein Schuss ins Blaue«, warf ich ein. »Das hat eigentlich nichts mit der Angelegenheit zu tun. Wir wollten eine weitere Reaktion des anonymen Briefschreibers erreichen.«

»Das kann nicht Ihr Ernst sein?« Robert Denn lächelte. »Also, wenn ich das gewusst hätte, wäre der Leserbrief mit Verlaub gesagt im Papierkorb gelandet. Es ist nicht die Art von Hamburg Direkt, seine Informanten zu verarschen.«

»Können Sie denn beweisen, dass es tatsächlich einen Informanten gibt?«, fragte ich. Bruckner sah mich nickend an.

Robert Denn verzog das Gesicht, spielte den Empörten. »Ich weiß, dass der Auftritt unseres Blattes nicht immer seriös ist, aber wir müssen eben auch Umsatz machen. Die Berichterstattung ist dagegen ausgezeichnet und belegbar.«

»Wenn Sie es so direkt sagen, dann will ich Ihnen auch eine direkte Frage stellen.«

Ich richtete mich in dem unbequemen Stuhl auf und wollte gerade loslegen, als Bruckner seine E-Zigarette hervorholte und sie sich in den Mund steckte.

»Oh, oh, oh! Hier nicht, mein Freund«, rief Robert Denn sofort. »Hier wird nicht geraucht. Bitte zünden Sie sich das Ding gar nicht erst an, bitte!«

»Das ist keine ...«, stammelte Bruckner. »Das ist eine elektrische Zigarette, das ist nur Wasserdampf.«

»Noch schlimmer!« Robert Denns Stimme klang plötzlich schrill. »Bei den Dingern weiß man ja noch gar nicht, was die anrichten. Also, bitte schalten Sie sie aus, oder wie man das nennt. Keinen Wasserdampf und auch keinen blauen Dunst, basta!«

»Entschuldigung!«, sagte Bruckner und steckte die E-Zigarette wieder in seine Manteltasche zurück.«

Ich brauchte ein paar Sekunden, um wieder zu wissen, wo ich stehen geblieben war. Ich wollte Robert Denn mit unserer Hypothese konfrontieren. Ich setzte noch einmal an.

»Kann es nicht sein, dass Sie der Urheber von diesem ganzen Zirkus sind, von den Schaufensterpuppen, von der merkwürdigen Nachricht, von der ganzen Geschichte?«

»Hey, Hey! Sie gehen ja ganz schön ran«, antwortete Robert Denn sofort. »Aber wirklich ein toller Gedanke.« Er überlegte. »Sie meinen also, dass ich die Schaufensterpuppen mit den Pyjamas bekleidet habe, um sie dann so grausam zu arrangieren, mit dem Blut und dem menschlichen Gewebe daran und was sonst noch gemacht wurde. Sie meinen, dass ich mir den Stoff für meine Story selbst ausgedacht habe.« Er schüttelte den Kopf. »Sie irren sich. Wenn ich das wirklich gemacht hätte, dann wäre schon nach dem Fund der ersten Puppe ein Artikel von mir erschienen. Ich würde so eine Sache doch nicht vorbereiten, um dann erst einige Monate später darüber zu berichten. Das Zeitungsgeschäft ist schnelllebig, da muss man sofort ernten, was man sät, sonst tut es jemand anderes.«

»Woher haben Sie dann Ihre Informationen, wenn ich fragen darf?«

»Nein, dürfen Sie nicht, selbstverständlich nicht«, sagte Robert Denn grinsend. »Sie stellen mir wirklich immer die falschen Fragen. Ich kann Ihnen doch meine Quellen nicht verraten. Ich würde es tun, aber ich habe ja auch mein Wort gegeben. Vertrauen gegen Vertrauen. Ich bin neu hier in der Stadt. Ich habe noch vor ein paar Monaten bei einer Zeitung in Nordrhein-Westfalen gearbeitet, in Mönchengladbach. Ich muss mir meinen Status erst erarbeiten, also meinen Status bei potentiellen Informanten. Ich hoffe Sie verstehen. Und ganz konkret, im Schaufensterpuppen-Fall wäre schnell Schluss, wenn ich meinen Informanten verrate und das will ich natürlich nicht, ich bin doch so gespannt, wie es weitergeht.« Er grinste zum Abschluss dieses Monologs.

Bruckner übernahm wieder und versuchte die Autorität der Polizei anzuführen. »Von wem haben Sie die Fakten aus der Ermittlungsakte. Wir werden es ohnehin herausfinden. Ich kann es so aussehen lassen, als wenn Sie uns die Informationen gegeben haben und dann sind Sie für alle Ihre Informanten verbrannte Erde, da ist dann nichts mehr mit Vertrauen gegen Vertrauen.«

»Na hören Sie mal, wollen Sie mich erpressen?« Robert Denn machte eine bewusste Pause, als wenn ihm eine gute Idee gekommen wäre. »Oder ich weiß etwas Besseres. Dass was Sie mir da eben offeriert haben, daraus mache ich eine neue Story. Wow! Leider habe ich keine Zeugen. Können Sie mir Ihr Angebot nicht noch einmal schriftlich geben?« Er grinste wieder.

Bruckner presste die Lippen aufeinander. Ich sah Robert Denn an und schüttelte den Kopf. »Ich glaube wir lassen diese Spielchen. Ich verstehe Ihren Standpunkt, aber Sie müssen begreifen, dass es sich bei all dem um ein Verbrechen, um ein Gewaltverbrechen handeln kann.«

»Gewaltverbrechen!«, wiederholte Robert Denn.

Ich nickte. »Das Blut an dem ersten Pyjama stammt von einem Menschen«, fuhr ich fort. »Die Hautreste in dem Zweiten sind ebenfalls menschlichen Ursprungs. Und der dritte Pyjama wurde von einer verwesenden Leiche getragen.«

»Sie sprechen von Mord? Natürlich handelt es sich um Mord, um den Mord an Linda Agostini. Da will jemand an Linda Agostini erinnern, und zwar auf eine sehr originelle Art und Weise. Es ist ja auch eine tolle Geschichte, genau das Richtige für unsere Leser.«

»Also dann kam diese Sache doch von Ihnen?«, fragte ich sofort.

»Nein, ganz bestimmt nicht. Aber ich ärgere mich, dass ich nicht selbst darauf gekommen bin, nachdem man die dritte Schaufensterpuppe in dem Graben gefunden hat. Sie lag doch wie Linda Agostini in einem Graben, oder?«

Ich nickte.

»Also ich habe es nur versäumt, vernünftig zu recherchieren. Ich wäre meinem ...« Er unterbrach sich kurz. »Ich wäre meinem Informanten zuvorgekommen, was allerdings auch nicht so gut ist, dann hätte er ja auch keinen Grund gehabt, mit mir in Kontakt zu treten.«

»Wie hat Ihr Informant denn mit Ihnen Kontakt aufgenommen?«, versuchte ich es noch einmal. »Haben Sie einen anonymen Brief erhalten?«

»Natürlich anonym, aber ich habe doch keinen Brief bekommen«, erklärte Robert Denn. »So weit kann ich es Ihnen ja erzählen. Es war eine SMS auf meinem Handy.«

»Eine SMS auf Ihr Mobile«, wiederholte ich. »Dann müssen Sie doch eine Telefonnummer von dem Absender haben?«

»Mobile?« Robert Denn grinste. »Sie müssen uns Deutsche ja für dämlich halten, dass wir die Dinger Handys nennen, was?«

Ich zuckte mit den Schultern. »Sie stehen also per Telefon mit Ihrem Informanten in Verbindung?«

»Per SMS und es waren auch nur zwei insgesamt, zwei SMS, bis jetzt. Eine Telefonnummer habe ich allerdings nicht. Ich weiß nicht, wie das geht, aber wenn ich bei den SMS nach der Absendernummer suche, taucht immer nur meine eigene Nummer auf. Es ist ganz komisch, Absender- und Empfängertelefonnummer sind identisch. Wollen Sie es sehen?«

Robert Denn schob uns tatsächlich sein iPhone über die Glasplatte des Schreibtisches. Bruckner griff danach. Ich beugte mich zu ihm herüber. Er drückte unten am Gerät die Home-Taste. Das Display leuchtete auf. Bruckner suchte die Icons ab.

»Die Shortmessages sind unter dem Icon mit der Sprechblase zu finden«, erklärte Robert Denn, der Bruckners Zögern bemerkt hatte. »Tun Sie sich keinen Zwang an, ich habe nur diese beiden Nachrichten auf dem Gerät.«

Bruckner nickte und tippte auf das Icon. Eine Liste mit genau zwei Einträgen öffnete sich. Er wählte die erste Nachricht aus und sofort erklang ein kurzer, eindringlicher Pfeifton.

»Natürlich habe ich den Text gesperrt«, sagte Robert Denn grinsend. »Ich versichere Ihnen aber, dass es meine eigene Nummer ist und ich versichere Ihnen auch, dass ich mir die SMS nicht selbst geschickt habe. Übrigens, das mit dem Pfeifen ist eine ganz nützliche App, kann ich nur empfehlen. Wenn jemand mal eben bei Ihnen auf dem Handy schnüffeln will, kann das für denjenigen ganz schön peinlich werden.«

»Dürfen wir nicht lesen, was Ihnen Ihr Informant schreibt?«, fragte Bruckner. »Haben Sie also doch etwas vor der Polizei zu verbergen? Vielleicht einen Strafbestandssachverhalt. Ich könnte das als Anlass nehmen, Sie zu zwingen, uns die Texte zu zeigen.«

»Natürlich habe ich etwas zu verbergen, oder besser gesagt etwas zu verteidigen, und zwar die Pressefreiheit!«, antwortete Robert Denn. »Es ist aber nicht viel zu lesen, das Wesentliche kennen Sie schon, das habe ich in meinen Artikeln verwendet.«

»Was ist mit dem Brief, wie wurde der Brief zugestellt?«, fragte Bruckner.

»Welcher Brief?« Robert Denn lächelte irritiert.

Entweder verstellte er sich oder er verstand wirklich nicht, dass Bruckner von dem Stück Thermopapier sprach, auf dem die neun rätselhaften Zeilen abgedruckt waren. Mir kam plötzlich ein Gedanke. Ich sah hinüber zu dem Plexiglasregal, auf dessen untersten Board das alte Faxgerät stand. Das Telefonkabel führte in eine Wanddose.

Ich deutete auf den Apparat. »Funktioniert die Druckereinheit mit Thermopapier?«

Robert Denn brauchte einige Sekunden, um zu begreifen, was ich meinte. Er fasste sich an den Kopf. »Mein Gott, es gab doch gar keinen Brief. Ich benutze das alte Faxgerät manchmal als Drucker. Ich hab’ damit einen Teil der SMS ausgedruckt, den Teil mit dieser Botschaft. Ich hab’s auf Thermopapier gedruckt. Ich hab’ das Ganze in ein Kuvert gesteckt und persönlich im Polizeipräsidium abgegeben. Haben Sie das nicht gewusst?«

»Nein, habe ich nicht, aber eines weiß ich. Wenn das hier ein Spiel von Ihnen ist, wenn Sie für eine Story versuchen die Polizei zu täuschen, dann wird das nicht gut für Sie ausgehen.«

»Sie können mir noch so viel drohen, aber die SMS bekommen Sie trotzdem nicht zu lesen. Ich hätte an und für sich kein Problem es Ihnen zu zeigen, ich will mich jetzt nur noch nicht von meiner Quelle abschneiden lassen. Ich glaube da kommt noch was und ich habe großes Interesse, das Hamburg Direkt exklusiv darüber berichten kann.«

Bruckner schüttelte den Kopf. »Übertreiben Sie es aber nicht, das könnte schnell nach hinten losgehen. Ich könnte mir vorstellen, dass die Staatsanwaltschaft immer etwas findet, besonders, wenn Gefahr im Verzug ist.«

»Gefahr im Verzug! Das ist doch lächerlich«, rief Robert Denn. »Sie suchen nur einen Grund mir an den Karren fahren zu können. Eines sag ich Ihnen. Ihre Staatsanwaltschaft wird ganz schnell den Schwanz einziehen, wenn das Geschrei um eingeschränkte Pressefreiheit laut wird. Das wäre nicht das erste Mal.«

Bruckner sah mich an. Ihm war klar, dass wir hier nichts mehr erreichen konnten. Robert Denn blieb sitzen, als wir uns verabschiedeten und aus der Tür gingen. Die Dame am Empfang grüßte noch freundlich, als wir das Gebäude verließen. Bruckners anfängliche Euphorie war verflogen. Das mit dem Brief auf dem Thermopapier ärgerte ihn. Er wäre schon viel früher auf diesen Robert Denn gekommen, aber so wurde der ganze Fall unnötig verzerrt.

Ich musste selbst überlegen, was ich von der ganzen Angelegenheit hielt. Ich konnte mir eigentlich nicht vorstellen, dass ein Zeitungsschreiber eine solche Sache inszeniert, nur um eine Story zu bekommen. Ich konnte mir allerdings denken, dass Robert Denn mehr über den oder die Täter wusste und ich konnte mir auch vorstellen, dass er sie ermunterte, einen eigentlich harmlosen Streich so aufzubauschen, dass daraus eine brauchbare Geschichte wurde. Wir gingen schließlich über den Parkplatz vor dem Redaktionsgebäude. Bruckner blieb neben einem silbernen Opel Astra stehen. Es war das aktuelle Modell, ein GT Coupe mit Schrägheck.

»Schauen Sie mal, das ist doch bestimmt seiner. Jetzt kann ich ihn wenigstens deswegen drankriegen.« Bruckner deutete auf das Kennzeichen des Wagens.

»Was meinen Sie?«, fragte ich. »Womit können Sie ihn drankriegen?«

»Na hier, hier steht MG und nicht HH. Der Typ wird ja wohl kaum noch in Mönchengladbach wohnen. Ein KFZ muss innerhalb von drei Monaten umgemeldet werden, wenn man den Wohnort wechselt.« Bruckner tippte noch einmal gegen das Nummernschild. »Na ja, woll’n mal nicht übertreiben. Übrigens, die Anhängerkupplung passt ja wohl gar nicht zu einem GT Coupe, oder.«

»Wenn es praktisch ist«, kommentierte ich.

Bruckner schüttelte trotzdem den Kopf. Wir gingen weiter zu seinem Audi und setzten unser Gespräch über das Treffen mit Robert Denn im Wagen fort.

»Was ist, wenn Ihr Chef recht hat?«, fragte ich so leidenschaftslos wie möglich. »Was ist, wenn es tatsächlich nur ein Scherz ist?«

Bruckner wartete ein paar Sekunden mit der Antwort. Wir waren schon wieder auf der Autobahn und er fuhr auf einmal deutlich langsamer, sodass jemand hinter uns hupte, ausscherte und uns rasant überholte. Er steckte sich die E-Zigarette zwischen die Lippen und nahm einen Zug, bevor er zu sprechen begann.

»Ich möchte die Sache am liebsten einstampfen, wissen Sie das? Ich möchte wieder einen richtigen Fall. Entschuldigen Sie, wenn ich das sage, ich möchte eine anständige Leiche und einen Täter, der sich wenigstens einigermaßen als Täter zeigt. Ich hasse diese Rätselscheiße und solche Typen wie diesen Journalisten.«

»Dann machen Sie doch Schluss damit«, sagte ich, »geben Sie den Fall ab. Das geht doch, ich weiß, dass das geht, Sie können immer einen Grund finden, sich aus der Sache herauszunehmen, ohne das Gesicht zu verlieren.«

»Bruckner nickte. »Ja das kann ich. Wissen Sie aber auch, warum ich es nicht mache?«

Ich sah Bruckner von der Seite an und schüttelte den Kopf. Er wandte kurz den Blick zu mir, schaute dann wieder auf die Fahrbahn vor sich und machte einen Kickdown. Der A6 reagierte augenblicklich und schoss vor, bis Bruckner ihn wieder abfing.

»Ich kann die Sache nicht abgeben, weil ich ganz genau weiß, dass da ein Mörder am Werk ist.«

Pyjamamord

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