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1 Kriegsweihnachten

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Es gab einen leichten Ruck, als der Zug wieder anfuhr. Michael öffnete träge die Augen. Auf dem Platz vor ihm saß jetzt ein junger Leutnant. Der Mann nickte nur kurz. Michael verstand sofort, obwohl er jederzeit bereit gewesen wäre, vorschriftsmäßig zu grüßen. Wenigstens richtete er sich jetzt in seinem Platz etwas auf, zog die Uniformjacke glatt und sah hinaus auf den Bahnsteig, dessen letzte Meter gerade vorüberzogen. Selbst hier standen noch Reisende.

»Dortmund!«, sagte Michael leise vor sich hin und schaute dem vorbeifliegenden Stationsschild nach.

Der Leutnant sah noch immer zu ihm. »Torpedomixer, was?«

Michael blickte ihn an. »Bitte, Herr Leutnant?«

»Sie sind ein U-Boot-Mann, Torpedomechaniker«, wiederholte der Leutnant und zeigte auf Michaels Uniformabzeichen. »Und Sie sind schon länger dabei, Sie tragen ja bereits das Kriegsabzeichen, mindestens zwei Fahrten, stimmt’s?«

Michael nickte.

Der Leutnant lächelte. »Ich kenne mich ein wenig aus, mein Bruder ist nämlich auch bei der Kriegsmarine.«

»Darf ich fragen, ob ihr Herr Bruder ebenfalls bei den U-Booten dient, Herr Leutnant?«

Der Mann schüttelte den Kopf. »Nein, nein, ich glaube das wäre nichts für ihn, also für meinen Bruder. Die See schon, aber nicht unter Wasser.« Er zögerte. »Mein Bruder sitzt jetzt in Kiel, am Schreibtisch, kriegsversehrt.«

Michael nickte bedächtig. »Das tut mir leid, Herr Leutnant.«

»Ja, ja, es ist nicht so schön, er hat ein Auge und drei Finger verloren, oben in Norwegen, auf seinem Schiff, gleich zu Anfang.« Der Leutnant räusperte sich. »Meine Mutter beruhigt es allerdings, dass er nicht mehr raus muss.«

Es trat ein kurzes Schweigen ein, bis der Leutnant weitersprach.

»Und Sie machen die Torpedos klar, damit es bei den Tommies ein ordentliches Feuerwerk gibt, was?«

»Ohne mich müsste sich der Kaleun sein Ritterkreuz mit der Bordkanone holen«, erwiderte Michael lachend.

Der Leutnant nickte heftig. »Das ist gut, das finde ich gut. Und, hat ihr Kaleun schon das Ritterkreuz?«

Michael antwortete nicht, er sah den Leutnant nur an, der nicht gleich verstand.

»Und wo sind Sie stationiert, welche Flottille?«, fragte er weiter.

»Entschuldigen Sie vielmals, Herr Leutnant«, antwortete Michael zögernd.

Der Leutnant sah ihn erstaunt an, dann hatte er endlich begriffen. »Schon in Ordnung, Herr Unteroffizier, ist schon richtig.« Dann überlegte er. »Und jetzt geht es zu Muttern, zum Weihnachtsbraten, was?«

»Jawohl, Herr Leutnant, zum Weihnachtsbraten.«

*

Als es draußen dunkel wurde, hatte sich Michael seinen Mantel übergezogen und war wieder eingenickt. Erst kurz vor Hamburg erwachte er. Die Stadt war nur spärlich beleuchtet, die meisten Häuser waren verdunkelt und die Straßenlaternen nicht eingeschaltet. Der Zug wurde langsamer, fuhr aber noch etliche Zeit durch Vorstädte, bis die Gleisanlagen endlich das nahe Bahnhofsgelände ankündigten. Es war schon nach neun, als die Wagons mit einem letzten Ruck zum Stehen kamen. Der Bahnsteig belebte sich sofort, es war wieder ein Heer von Uniformen. Michael nahm seinen Seesack aus dem Gepäcknetz und ließ sich aus dem Wagon schieben. Zunächst erfrischte ihn die kalte Luft, dann wurde es schnell unangenehm. Die Feuchtigkeit drang in seine Kleidung. Er sah sich nach seinem Vater um, noch war die Menge überschaubar. Dann entdeckte er ihn, ganz hinten an einem Wartehäuschen. Der Vater kam ihm entgegen, eine kurze Umarmung im Gedränge, dann schulterte er Michaels Seesack.

»Ich habe Bentins Opel, wir müssen aber noch ein Stück laufen.«

Sie verließen den Bahnsteig über eine der breiten Treppen. Die Menge löste sich langsam auf. Die Uniformen vermischten sich mit Zivilkleidung. Mütter und Väter, Ehefrauen und Freundinnen, Kinder, die jetzt die Wehrmachtsurlauber begleiteten. Der Vater hatte in einer Seitenstraße geparkt. Bentins Opel stand im Dunkeln einer Häuserwand. Sie blieben vor dem Wagen stehen und der Vater drückte den Sohn nochmals an sich.

»Bist du gesund?«

»Natürlich Papa, sonst hätte ich es euch doch geschrieben.«

»Deine Mutter macht sich immer Sorgen, immer, und dabei weiß doch niemand, wie lange der Krieg noch dauert.« Er schüttelte langsam den Kopf. »Dann steig erst mal ein. Nimm dir eine Decke, es liegen welche auf der Rückbank.«

Als sie im Wagen saßen, öffnete der Vater das Handschuhfach und deutete auf das Päckchen darin.

»Deine Mutter hat dir ein paar Brote geschmiert. Du hast doch Hunger?«

Michael nahm das Päckchen, befühlte den Inhalt.

»Mettwurst«, sagte der Vater, »und da muss auch noch eine Flasche Bier sein.«

Michael fand das Bier, löste den Bügelverschluss und nahm einen großen Schluck. Der Vater sah ihm dabei zu. Dann erst startete er den Motor. Sie verließen die kleinen Straßen des St.-Georgs-Viertels, folgten der Uferpromenade der Außenalster und befanden sich nach kurzer Zeit auf der Landstraße Richtung Marienfelde. Michael hatte die Brote ausgepackt und bekam mit den ersten Bissen noch größeren Appetit. Seine letzte Mahlzeit bestand aus einer Bockwurst, die er vor Stunden in einem Bahnsteigimbiss gekauft hatte.

»Mutter hat sich so gefreut, ich meine, dass du nun doch an Weihnachten zu Hause bist.«

Michael nickte. »Zufall, Glück, aber eigentlich ein Unglücksfall, eine Havarie im Hafen.«

»In Lorient?«

»Ja, vor zwei Tagen. Wir sind zur Probefahrt rausgefahren. Wir haben es aber nicht weit geschafft, uns ist ein Minenräumer in die Quere gekommen, hätte schlimm ausgehen können.«

»Warst du auch auf deinem Boot?«

»Natürlich, Papa, alle Kameraden waren an Bord.« Michael überlegte. »Wir waren auf dem Weg nach draußen, dann kam dieser Minenräumer. Der ist falsch gefahren, so ein Idiot. Wir sind mit dem Bug hineingerauscht. Es hat uns ganz schön von den Beinen geholt. Ein paar Kameraden haben sich verletzt, aber am Schlimmsten hat es das Boot erwischt. Nachdem die Werft sich den Schaden angesehen hat, musste der Kaleun die Ausfahrt absagen. Die Werft braucht bestimmt zwei Wochen, um das Schanzkleid zu erneuern. Zum Glück hat es die Rohre nicht zerlegt, dann müssten sie den ganzen Druckkörper auf Schäden untersuchen und das dauert.«

»Und wenn es diese Havarie nicht gegeben hätte, dann wärst du jetzt schon wieder auf See.«

Michael schüttelte den Kopf und nahm noch einen Schluck Bier, bevor er antwortete. »Wir sollten morgen auslaufen, wenn der neue I WO bis dahin aufgetaucht wäre.« Michael zögerte. »Ich bin ja eigentlich froh, dass Oberleutnant Rath weg ist, aber man weiß ja nicht, wer dann kommt.«

»Was ist denn mit diesem Oberleutnant?«

»Nichts, eigentlich nichts, ich mochte ihn nur nicht. Es passt irgendwie, dass der jetzt beim B.d.U. in Paris ist. Ich habe auch gehört, dass der Admiral seine Hand im Spiel hatte. Es wird ja immer viel geredet, aber bei dem I WO kann ich es mir gut vorstellen, der hat sich auch vor dem Kaleun immer so benommen, als wenn er über ihm stehen würde. Das macht man doch nur, wenn man die Herren ganz oben kennt. Der Kaleun hat immer so getan, als wenn er es nicht merkt.«

Der Vater hatte schweigend zugehört. Sie hatten die Vorstädte schon hinter sich gelassen. Es wurde ländlicher. Einzelne Gehöfte tauchten auf und verschwanden wieder. Bis Papendorf waren es jetzt nur noch zehn Kilometer, als auf dem Feld rechts von der Landstraße plötzlich ein Gitterzaun aufschoss. Michael sah hinaus und konnte hinter dem ersten, hohen Zaun einen Zweiten erkennen, der von Wachtürmen flankiert war. Noch weiter hinten auf dem schwachbeleuchteten Gelände zeichneten sich Baracken ab. Michael versuchte mehr von der Anlage zu sehen, konnte aber in der Dunkelheit nicht erkennen, ob die Wachtürme besetzt waren oder ob hinter den Zäunen Männer patrouillierten.

»Das haben sie Anfang des Jahres gebaut«, erklärte der Vater. »Die ersten Gefangenen sind dann kurz vor Ostern gekommen.«

»Gefangene?« Michael sah seinen Vater an.

»Ja, Kriegsgefangene. Es sollen Franzosen und Engländer sein. In den anderen Lagern im Osten brauchten sie Platz wegen der vielen Russen. Das hat zumindest Bentin behauptet. Bentins haben das Holz für die Baracken geliefert.«

Michael sah wieder in die Nacht hinaus. Der Zaun endete so schnell, wie er aufgetaucht war. Alles verschwand in der Dunkelheit. Er sah sich noch einmal um, konnte aber nichts weiter erkennen.

*

Er hatte geträumt, aber er konnte sich nicht mehr an den Traum erinnern. Er strengte sich an, einige Bilder zogen vorbei. Er hatte die Augen geöffnet und starrte gegen die Dachschräge über seinem Bett. Es war kurz vor acht. Die Mutter hatte schon eine Kanne Wasser gebracht und auf dem Waschtisch abgestellt. Eigentlich hasste er den Heiligen Abend, weil diesem fröhlichen Tag immer ein Tag der Trauer folgte. Es war schon so, seit Michael denken konnte. Er war nicht das einzige Kind seiner Eltern. Er hatte einen jüngeren Bruder. Gerhard war im Säuglingsalter gestorben, am Tag nach Heiligabend. Es war jetzt neunzehn Jahre her, doch der erste Weihnachtstag gehörte für Michaels Eltern nach wie vor der Trauer um diesen Sohn. Michael sah auf ein Astloch in der Holzvertäfelung. Der Punkt begann vor seinen Augen zu verschwimmen. Er dachte an seine Kindheit, an den Geruch von Leder und Fett, der immer über der Werkstatt seines Vaters lag und er dachte an die feinen Herrschaften, die sich die teuren Reitsättel anfertigen ließen. Es waren oft Leute aus Berlin oder Dresden. Michael erinnerte sich an einen dicken Bayern, einem Stadtrat aus München, der sich Sattel und Zaumzeug persönlich abholte. Der Mann hatte bei ihnen in der Stube gesessen, wurde mit Weizenkorn und Gebäck bedient. Der Vater hatte eigentlich immer gut zu tun. In den letzten Jahren flickte er zunehmend auch Autositze, polsterte Sitzbänke und verwendete nur die teuersten Leder. Michael war mit den Gerüchen aus der Werkstatt aufgewachsen, aber das Handwerk hatte er nie lieben gelernt. Er mochte die Stanzmaschine und den Biegeautomaten, mit dem die Beschläge in Form gebracht wurden. Er mochte die Mechanik, die Getriebe und die Hebel und Schalter. Der Vater hatte ihm seinen Willen gelassen, ihn auf die Werft gegeben. Michael dachte an die Zeit auf der Werft. Er fragte sich plötzlich, was nach dem Krieg werden würde? Diese Gedanken waren nicht gut, der Krieg war noch nicht vorüber. Michael schluckte, er richtete sich auf, sah sich im Zimmer um. Auf dem Nachttisch lagen die beiden Bücher, die er von seiner Großmutter geschenkt bekommen hatte. Er nahm einen Band, schlug eine Seite auf und las ein paar Zeilen. Dann klappte er das Buch wieder zu, betrachtete sich den Buchdeckel. Die Großmutter hatte den Roman selbst schon gelesen, beide Romane. Die Geschichte einer Gutsherrenfamilie in Ostpreußen. Er würde die Bände mit nach Lorient nehmen. Er war für Lesestoff immer dankbar.

*

Zwei Tage nach Weihnachten. Michael hatte sich in den kleinen Schuppen zurückgezogen. Er saß auf einem Hocker. Vor ihm stand sein altes Motorrad, eine BMW R32, Baujahr 1923. Der längs eingebaute Boxermotor mit den quer stehenden Zylindern hob sich mattsilbern von dem schwarzlackierten Rahmen ab. Das Emblem auf dem langgezogenen, dreieckigen Tank leuchtete blauweiß. Wenigstens war die Maschine geputzt, auch wenn sie noch nicht wieder lief. Michael genoss einfach nur die Schönheit. Maschinen waren für ihn schön. Er wusste nicht, was er jetzt machen sollte, ob es sich überhaupt lohnte, mit etwas zu beginnen. Seit drei Jahren lagen die Ersatzteile für die Kardanwelle und das Dreiganggetriebe in einem Karton bereit. Seit drei Jahren hatte er sich sein Motorrad immer nur angeschaut, genau, wie er es jetzt tat. Die Schuppentür knarrte. Michaels Vetter Rudolf war eingetreten und blieb einige Sekunden schweigend an der Tür stehen.

»Warum gibst du sie nicht in die Werkstatt?« Wenn du das nächste Mal zu Hause bist, ist sie fertig und du kannst eine Runde drehen.«

Michael wandte sich zu Rudolf um und lächelte. »Ich könnte sie nicht fahren, wenn ich sie nicht selbst repariert hätte.«

»Versteh ich nicht.« Rudolf war an Michaels Seite getreten. »Wenn ich könnte, würde ich fahren, aber ich kann ja nicht, ich kann ja gar nichts.« Rudolf hielt seinen Armstumpf vorgestreckt. Wie immer hatte er den linken Ärmel seiner Jacke aufgerollt.

Michael sah zu ihm auf. »Was ist los, was willst du?«

»Ach, gar nichts, ich dachte nur, wenn die Maschine wieder läuft, könntest du mich mitnehmen, auf dem Sozius.«

»Na bitte, so hört sich das doch schon besser an. Mensch, Alter, grüß dich.« Michael war aufgestanden und umarmte Rudolf.«

»Und was gibt’s Neues aus Frankreich, hast du endlich mal eine kleine Französin aufgetan?«

Michael antwortete nicht. Bei der Frage musste er plötzlich an Renate denken. Rudolf schien es zu ahnen.

»Was hört ihr beim Militär eigentlich so aus Russland?«

»Nichts, nur das Offizielle.« Michael überlegte. »Die Wochenschau habe ich lange nicht mehr gesehen. Ich gehe in Lorient nicht so oft ins Kino, eigentlich gar nicht.«

»Ach, in der Wochenschau zeigen sie immer nur marschierende Verbände. Natürlich geht es stetig vorwärts, immer druf uf den Russen.« Rudolf schüttelte den Kopf. »Ich kann mir das nicht vorstellen, der Russe wird sich doch auch wehren.« Er überlegte. »Von Renates Banker haben wir auch nichts mehr gehört. Ich glaube, sie weiß selbst nicht, wo der jetzt genau steckt. Im Mai geheiratet und im Juni musste der schon mit auf den Feldzug. Na ja, der ist wenigstens Offizier.«

»Und was ist mit Renate, lebt sie noch hier im Dorf?«

»Nein, natürlich nicht«, antwortete Rudolf verächtlich. »Frau Renate Henschmann verkehrt doch jetzt in ganz anderen Kreisen, in Hamburg-Rotherbaum. Die ist der Partei jetzt ganz nahe. Da hat sie dieser Henschmann hingebracht. Der hat doch lauter so Leute in seiner Familie, Ortsgruppenleiter, Kreisleiter und ich glaube sogar einen Gauleiter, Bonzen eben.«

Michael dachte an die gemeinsame Zeit mit Renate. Er war davon überzeugt, dass sie schneller erwachsen geworden war als er. Irgendwann war es dann vorbei. Michael war schon bei der Marine, als Renate Walter Henschmann kennengelernt hatte. Die Heirat vor anderthalb Jahren hatte Michaels Mutter noch in einem Brief erwähnt, aber das war auch schon alles. Renate hatte bis jetzt kein Kind bekommen, das wusste Michael noch. Vielleicht war es ganz gut so, vielleicht aber auch nicht.

Rudolf kramte in seiner Jackentasche und zog ein Heft hervor. »Schau mal, das habe ich von Ennas Bruder, der hat es aus der Schule mitgebracht.«

Michael nahm das Heft, das in einen bunten Schutzumschlag steckte, und las den Titel laut vor.

»Aha! Was jeder vom deutschen U-Boot wissen sollte!«

Rudolf nickte. Er tippte auf den Umschlag. »Hier ist alles erklärt, also wie so ein U-Boot aufgebaut ist.« Er nahm Michael das Heft wieder aus der Hand, zog den Umschlag ab und klappte ihn auseinander. »Hier, jetzt sag mir doch mal, ob das alles so richtig ist.«

Auf dem Umschlag war der Querschnitt eines U-Bootes abgedruckt. Erklärungen dazu standen in einer Legende neben der Abbildung. Michael überprüfte einige der Beschreibungen und nickte dann.

»Im Großen und Ganzen ist das schon in Ordnung.«

»Wirklich?« Rudolf schaute Michael begeistert an. »Ich habe es mir auch durchgelesen. Ist schon ganz interessant.« Er überlegte. »Wie ist das mit den Wasserbomben, haben sie euch schon mal mit Wasserbomben beschossen? Bei diesem Bartsch klingt das alles so harmlos, als wenn die mit Knallerbsen auf so ein Boot losgehen.«

»Ja, das mit den Wasserbomben ist nicht so schön«, antwortete Michael verhalten. »Der Tommy ist ja ganz scharf darauf, so ein U-Boot zu knacken, besonders, wenn du ihm einen Frachter nach dem anderen wegballerst. Unser Kaleun hat das Boot aber bisher immer gut da raushalten können. Unter Wasser ist ein U-Boot schon recht sicher, aber man muss ja auch irgendwann mal wiederauftauchen und dann muss man sich vor den Fliegern in Acht nehmen. So einen Zerstörer mit seinen Wasserbomben, den kann man heranrauschen hören. Die Flieger kommen dagegen aus dem Nichts, da kannst du noch so gut den Himmel beobachten, irgendwann kommen die aus der Sonne oder aus den Wolken und dann wird es knapp mit dem Alarmtauchen.«

Rudolf nickte. »Von Fliegerangriffen schreibt Bartsch überhaupt nichts. Naja, es soll ja auch nicht abschrecken. Die suchen doch bestimmt immer Jungs, die zu den Unterseebooten wollen.«

»Schreibt Bartsch denn wenigstens, dass man mit einem U-Boot sogar bis nach Amerika kommt.«

»Warst du in Amerika?«, fragte Rudolf ungläubig.

»Also, vom Turm aus haben wir die amerikanische Küste gesehen, wir sind natürlich nicht an Land gegangen.« Michael dachte nach. »In diesem Jahr habe ich schon einiges hinter mir. Die erste Unternehmung, gleich im Januar, ging schon schlecht los. Nach zehn Stunden mussten wir zurück in den Stützpunkt. Der Kompass hat nicht mehr funktioniert und dann war auch noch die Drosselklappe der Dieselmaschine defekt. Wir haben noch mal drei Tage im Dock gelegen. Keiner durfte vom Boot runter. Etwas Langweiligeres gibt es nicht, man kommt nicht voran und es gibt auch nichts richtig zu tun.«

»Ja, aber dann ging es doch irgendwann los. Mensch, jetzt halt dich doch nicht mit dem Kram auf.«

Michael lachte. »Dann ging es tatsächlich los, stimmt, und zwar nach Mittelamerika, an die Mündungen der großen Flüsse. Ist ein gutes Jagdrevier. Anfang des Jahres hat der Ami noch nicht gewusst, was der Tommy längst weiß. Wir haben in zwei Wochen neun Pötte auf den Grund geschickt. Der Kaleun hat alles zusammen auf sechzigtausend Tonnen geschätzt. Es war auch ein dicker Fisch dabei, ein Tanker von bestimmt zehntausend Tonnen. Alle meine Torpedos haben gesessen und sind auch hochgegangen. Dafür bin ich schließlich verantwortlich, also, dass die Torpedos funktionieren. Mit Zerstörern gab es auf der ersten Fahrt keine Scherereien, wir konnten immer rechtzeitig tauchen und verschwinden. Es wurden zwar auch Wasserbomben geworfen, aber immer an den falschen Stellen. Die hatten es noch nicht so raus, die Amis, für die war der Krieg ja erst ein paar Wochen im Gange. Trotzdem waren wir natürlich froh, als der Kaleun dann die Rückfahrt befohlen hat. Mitten im Atlantik haben wir vom Feind nichts gesehen. Wir sind die ganze Zeit über Wasser gefahren, haben uns sogar ab und an auf Deck gesonnt. Nach Wochen konnten wir da endlich mal alles von uns strecken. Im Boot ist es natürlich schon sehr eng und stickig und auch immer recht feucht. Die Klamotten kriegst du da kaum trocken. Eigentlich ist es ein Scheißklima unten im Boot. Es gibt keine Heizung, nur im Maschinenraum ist es warm, zu warm und es stinkt nach Öl und Abgasen. Auf jeden Fall waren wir froh, dass wir mal für ein paar Stunden aus der engen Röhre raus konnten. Unangenehm wurde es erst wieder an der nordafrikanischen Küste. In der Biskaya wurde es dann sogar richtig brenzlich, da muss man nämlich wieder verdammt auf Flieger achtgeben. Es ist wirklich nicht einfach, sich diese Teufel mit der Flak auf Distanz zu halten.«

»Schießt du auch mit der Flak?«, fragte Rudolf.

»Natürlich könnte ich es, im Notfall, aber regulär machen es die Bordschützen. Die sind fixer und meinetwegen auch treffsicherer. Mit der Zehnfünfer musst du ein richtiger Artillerist sein. Mit der Flak kann eigentlich jeder schießen. Einfach draufhalten und abdrücken. Deine Leute müssen natürlich schnell mit dem Nachladen sein, damit es keine Unterbrechung gibt und der Flieger nicht entwischen kann.«

»Und das war dann deine erste Feindfahrt?«

»Unternehmung, wir nennen es Unternehmung«, betonte Michael. »Nach der ersten Unternehmung wurden wir beim Einlaufen noch mit Marschmusik begrüßt. Alle stehen an Deck und am Turm hängen die Wimpel, die Fähnchen mit der versenkten Tonnage. Man will schließlich zeigen, was man hat.«

»Na und dann, was macht ihr im Hafen nach so einer Unternehmung. Dann wird doch gefeiert, oder?«

»Erst einmal wird das Boot ausgeräumt, komplett ausgeräumt. Der ganze Müll muss raus. Wenn noch Torpedos da sind, dann bleiben die natürlich drin. Und dann, dann wird sich natürlich rasiert. So etwas kommt auf der Fahrt nämlich zu kurz. Wenn wir einlaufen, dann sehen wir aus wie die Räuber, alle, auch der Kaleun und die Offiziere. Ich habe es noch nie erlebt, dass sich jemand auf der Fahrt rasiert hat. Man muss ja schon froh sein, wenn man sich ab und zu mal waschen kann.«

»Ja, aber wenn das alles erledigt ist, dann wird doch gefeiert, oder?«

»Jeder hält es, wie er will. Natürlich spült man sich das Salzwasser aus den Kiemen, und zwar mit einem anständigen Bier. Zum Glück haben wir unser deutsches Bier in Frankreich. So mancher Kamerad ist allerdings auf den Geschmack von Champus gekommen, was sich ja auch anbietet. Ich bin nicht so für das Zeugs. Ich halte mich lieber ans Bier, wenn überhaupt. Während der Liegezeit gibt es immer etwas zu tun. Wir fahren weiter unsere Wachen, wie auf See, nur dass eben Reparaturdienst ansteht oder Bunkerwache.«

»Das klingt ja nicht sehr begeistert«, stellte Rudolf fest. »Wo bist du denn noch gefahren?«

Michael überlegte. »Die zweite und dritte Unternehmung ging auch nach Mittelamerika. Auf solch langen Fahrten wird das U-Boot natürlich von anderen Booten versorgt. Es gibt extra Versorgungsschiffe, das sind manchmal auch U-Boote, die vor allem Treiböl, aber auch Proviant übergeben. Torpedos haben wir nur einmal bekommen, weil es kaum Torpedofehler gab, also Torpedos, die nicht gezündet haben. Nur einmal mussten wir für einen Pott vier Dinger losmachen, weil zwei danebengegangen sind. Dafür haben wir aber zwei kleinere Frachter ausschließlich mit unserer Zehnfünfer versenkt. Was mir allerdings noch fehlt, ist eine richtige Äquatortaufe.«

»Bloß nicht, dann wirst du noch wie mein Vater«, höhnte Rudolf. »Du weißt ja selbst, dass er nur ein halbes Jahr zur See gefahren ist, aber eine Äquatortaufe hat er mitgemacht. Ich wette er erzählt gerade mal wieder jemandem, wie ihm der Dreck der nördlichen Halbkugel abgewaschen wurde und wie sie ihn abgefüllt haben und dass er als Einziger noch stehen konnte. Und das lassen die Offiziere auf einem U-Boot zu, dass da so gesoffen wird?«

»Mir hat man erzählt, es wäre eine Taufe wie in Friedenszeiten, und wenn ein Offizier noch nicht getauft ist, dann muss er auch dran glauben.«

»Wie sind denn die Offiziere so?«

»Die ganz großen Tiere fahren natürlich nicht auf einem U-Boot. Der Kommandant ist Kapitänleutnant, der erste Wachoffizier und der Leitende Ingenieur sind beides Oberleutnants und der zweite Wachoffizier ist bloß nur noch ein kleiner Leutnant.«

»Als Obermaat bist du aber doch auch schon eine Respektsperson«, stellte Rudolf fest.

»Ich zitiere aus der Dienstvorschrift:«, sagte Michael mit bewusst förmlicher Stimme. »Der Unteroffizier ist das Bindeglied zwischen Führung und Mannschaft.« Dann lachte er. »Jedenfalls sind mir die Lords oft näher als die ganzen Leutnants. Der Kaleun ist allerdings in Ordnung. Er hat die Niobe überlebt. Er gehört zu Crew 32 und das soll schon was heißen.«

Rudolf nickte anerkennend. »Jawohl, Herr Obermaat.«

Michael erhob sich von dem Hocker. »So jetzt ist Schluss. Hilf mir mal mit der Plane.«

Michael schob das Motorrad in eine Ecke des Schuppens. Rudolf hatte die Plane bereits hervorgezogen. Michael ergriff das andere Ende und gemeinsam deckten sie die Maschine wieder zu.

»Bis zum nächsten Mal. Wenn ich zwei Wochen am Stück hätte und keine Ablenkung, dann könnte ich sie fertigmachen.«

»Ich gebe sie nächste Woche in die Werkstatt und du wirst es hinnehmen müssen. Du willst doch auch, dass die Mühle wieder läuft. Im Frühjahr machen wir dann eine Spritztour nach Hamburg.«

Rudolf wirkte entschlossen und rechnete schon mit Michaels Einspruch. Dieser blieb allerdings aus. Michael war in Gedanken.

»Sag mal, vor ein paar Tagen, auf dem Weg von Hamburg hierher sind wir an einem Lager vorbeigefahren. Vater sagt, es sei ein Gefangenenlager, Kriegsgefangene, Franzosen und Engländer. Warum haben die das hier in die Gegend gebaut?«

Rudolf zuckte mit den Schultern. »Weiß nicht, die haben das Lager erst vor ein paar Monaten errichtet, aber da sind bestimmt keine Kriegsgefangenen drin. Das ist doch ein Arbeitslager. Es soll doch sogar auch Frauenbaracken geben. Also können es nicht nur Kriegsgefangene sein.«

»Ein Arbeitslager?«, fragte Michael.

»Na klar, die schicken die Leute nach Hamburg in die Fabriken oder zu den Großbauern auf die Felder.«

»Glaub ich nicht, das müssen Kriegsgefangene sein. Ich habe doch Wachen auf den Türmen gesehen und sogar ein Maschinengewehrnest.«

Rudolf schüttelte den Kopf. »Das ist eben das Recht des Siegers, und damit die Leute nicht stiften gehen, sperrt man sie in Lager und bewacht sie. Das nennt sich Zwangsverpflichtung.«

»Ich weiß nicht, das können doch keine Zivilisten sein. Vielleicht sind es Verbrecher, Saboteure, Leute aus dem Widerstand.«

Rudolf lächelte. »Wir haben Krieg, das solltest du besser wissen als ich. Meinst du, wir laden uns da ein paar Franzosen oder Engländer oder Holländer ein, damit sie ihren Urlaub bei uns verbringen. Wenn deutsche Soldaten in Frankreich stehen und hier nicht in den Fabriken arbeiten können, dann muss eben Ersatz her. Und was wir hier haben, also diese Lager, die gibt es überall im schönen Großdeutschen Reich.«

»Sag mal, du weist wohl gut Bescheid. So was wird doch nicht im Heeresbericht erwähnt, oder.«

Rudolf sah kurz zur Schuppentür, trat dann einen Schritt näher an Michael heran. »Der Heeresbericht ist doch was für’n Kindergarten. Ich war die letzten Wochen oft in Dresden, hab da einen Kumpel. Was mit meinem linken Arm ist, hat er mit dem rechten Bein.« Rudolf zupfte sich am Ärmel seines Hemdes. »Er nennt es Kötzschenbroda, weißt du, was ich meine?«

Michael sah Rudolf an. »Kötzschenbroda?«, wiederholte er.

Rudolf trat noch ein Stück näher. »Mein Kumpel hat ein uraltes Radio, wohl aus den Zwanzigern oder so. Er hat immer einen Hammer zur Hand, wenn er Radio hört. Weißt du jetzt, was ich mit Kötzschenbroda meine?«

»Ne, wirklich nich’.« Michael schüttelte den Kopf. »Was soll das mit dem Hammer und diesem Kötzschenbroda?«

»Ja, wie soll ich es sagen.« Rudolf zögerte. »Also, mit dem Hammer würde er das Radio kaputt hauen. Dann kann niemand behaupten, dass das Ding noch funktioniert hat.«

Michael hatte endlich begriffen. »Du meinst, dein Kumpel hört ausländische Sender?«

»Ich würd’s noch lauter brüllen.« Rudolf sah wieder zur Schuppentür. »Also, dieses Kötzschenbroda ist schon sehr spannend. Ich habe ja auch erst gedacht, die Engländer bescheißen, aber wenn man die Nachrichten häufiger hört und auch sieht, was hier so vor sich geht. Du verstehst schon, was ich meine.«

»Ich weiß nicht, was soll das, warum machst du das? Und du bist jetzt überzeugt, dass der Feind die Wahrheit sagt. Warum sollten die Engländer das machen?«

Rudolf zuckte mit den Achseln. »Weil es für die Engländer besser steht, seitdem der Ami mitmischt. Mein Kumpel sagt das auch. Als die Amis 1917 in den Krieg eingetreten sind, da begann für den Kaiser die Kacke anzudampfen. So wird’s jetzt auch wieder sein.«

»Man, halt doch die Schnauze. Erst hörst du Feindsender und dann schwingst du auch noch solche Reden.«

»Halt du die Schnauze. Hab’ nichts von Feindsender gesagt.«

»Kötzschenbroda!«, sagte Michael kopfschüttelnd. »Ja, ja, ich weiß.«

*

Die Mutter klopfte, wartete eine Sekunde und trat dann ins Zimmer. Michael lag auf dem Bett. Er hatte das Buch gerade zur Seite gelegt, streckte sich gähnend.

»Du sollst doch die Tagesdecke abnehmen, wenn du dich aufs Bett legst.«

Michael blickte auf. »Ich weiß, Mama, aber ich wollte nicht, dass die Bettwäsche schmutzig wird.«

»Dann musst du sie eben auch herunternehmen und dich nur auf die Matratze legen.« Die Mutter zögerte. »Aber ist schon gut, Junge, ich beziehe das Bett ohnehin morgen neu, wenn du wieder fort bist.«

Die letzten Worte sprach sie ganz leise. Michael erhob sich, nahm ihr den Wäschekorb ab, stellte ihn auf den Boden und umarmte seine Mutter. Sie blieben einige Sekunden so stehen. Die Mutter streichelte Michael über die Schulter, sie lösten sich wieder voneinander.

»Ich habe dir deine Sachen gewaschen. Willst du sie gleich einpacken, damit du nichts vergisst?«

Michael nickte. Er holte seinen Seesack aus der Ecke neben dem Kleiderschrank und stellte ihn auf den Schreibtisch. Die Mutter bückte sich und griff ein paar Wäschestücke aus dem Korb, legte Unterwäsche, Taschentücher, Socken und zwei Halstücher auf den Schreibtisch. Michael hatte bereits seine Halbschuhe und die blaue Ausgehuniform ganz nach unten im Seesack verstaut. Die Mutter holte noch zwei Pullover, zwei Hemden und die Strickjacke aus dem Wäschekorb. Michael nahm ihr die Sachen ab, legte sie in den Seesack. Dann stopfte er den Kleinkram dazwischen, Kleiderbürste, Essbesteck, Wasch- und Rasierzeug, Schuhputzzeug, Lederfett, Nähzeug.

»Die Handtücher sind in deinem Schrank.«

Die Mutter hatte den Schrank schon geöffnet, die Handtücher herausgenommen und reichte sie Michael.

»Zwei sind genug, ich bekomme ja gar nicht alles mit.«

»Könnt ihr an Bord denn auch waschen?«

»Ja, Mama, mach dir darüber bitte keine Gedanken. Zwei Handtücher reichen.«

Der Verschluss der Feldflasche klapperte, als Michael sie zusammen mit den Handschuhen als Letztes einpackte und den Seesack anschließend verschnürte.

»Was trägst du auf der Fahrt?«

Michael nahm den Drillichanzug vom Schrank. Er hatte die Uniformbluse und die Rundbundhose gestern selbst noch gebügelt. Die Mutter sah sich das blaue Schiffchen an, das obenauf lag.

»Was ist das für ein weißer Stab auf dem Kreuz?«

»Das ist kein Stab, das ist ein Torpedo«, erklärte Michael, »unser Bootswappen, weißer Torpedo im Balkenkreuz. Das Balkenkreuz ist das Wehrmachtsemblem.«

Die Mutter nickte. Sie legte das Schiffchen wieder auf den Bordanzug und befühlte den Stoff der Uniformbluse.

»Warum trägst du auf der Fahrt nicht deine blaue Uniform? Darin siehst du doch viel besser aus, als in diesem groben Stoff.«

»Nachts brauche ich nicht gut auszusehen und außerdem, wenn ich am Morgen in Lorient ankomme, gehe ich gleich aufs Boot. Ich will mich dann nicht auch noch umziehen müssen.«

»Wie du meinst. Hast du jetzt alles? Heute Abend bekommst du noch ordentlich Brote mit und ich pack dir auch noch etwas vom Braten ein.«

*

Der sechstägige Urlaub war vorüber. Michael klopfte sich die Krümel von der Uniformjacke. Er hatte gestern Abend auf dem Bahnhof in Dortmund noch eine Bockwurst im Brötchen gekauft. Er hatte sie gegessen und musste dann eingenickt sein. Er hatte durchgeschlafen. Es war jetzt drei Uhr in der Früh. Sie waren längst in Frankreich. Der Zug ratterte gleichmäßig dahin. Michael sah zum Fenster, konnte aber in der Dunkelheit nichts erkennen. Er machte es sich wieder bequem. Er hörte noch ein Husten vorne im Wagon und war bereits wieder eingeschlafen.

Zwei Stunden später fuhr der Zug in den Bahnhof von Lorient ein. Es gab einen Bahnsteig nur für Wehrmachtsangehörige. Wachmannschaften mit Hunden patrouillierten vor einem Stacheldrahtzaun. Am Gatter wurden die Papiere kontrolliert. Michael zeigte seinen Urlaubsschein und durfte passieren. Auf dem Platz vor dem Bahnhof standen Lastwagen. Michael reichte einem Kameraden seinen Seesack herauf, kletterte dann selbst auf die Pritsche und suchte sich einen Platz auf den Holzbänken. Die Männer waren noch müde und sehnten sich nach einem Frühstück und nach heißem Kaffee. Die Pritschenklappe wurde heftig zugeschlagen, der Lastwagen setzte sich mit dröhnendem Motor in Bewegung. Es ging durch die Altstadt. Die Fahrt dauerte keine zwanzig Minuten. Der Geschmack salziger Luft drang durch die offene Plane. Der Lastwagen fuhr langsamer, ratterte über Schienen und unebene Betonplatten. Sie fuhren an einem großen Schuttberg vorbei, aus dem rußgeschwärzte Metallstangen hervorstachen. An einer Stelle musste der Laster eine Kuhle passieren, einen Bombenkrater in der Fahrbahn, der nur notdürftig ausgebessert worden war. Weitere Schutthügel, ein ausgebrannter Kübelwagen, durch die Hitze von Brandbomben geschmolzene Stahlträger, Absplitterungen in den Bunkerwänden. Dies alles waren noch die Folgen eines schweren Luftangriffs, den es Ende November auf den Hafen von Lorient und auf die deutschen Bunkeranlagen gegeben hatte. Der Lastwagen hielt vor dem riesigen Bunkerkomplex des Kéroman I. Einer der Männer hatte die Pritschenklappe geöffnet. Sie sprangen heraus, geordnet, das geordnete Leben hatte wieder begonnen. Im Bunker wurde Brot, Butter, Wurst, Käse verteilt und endlich auch Kaffee. Michael aß im Stehen. Er sah auf die Uhr, noch zehn Minuten. Um sechs musste er sich an Bord melden. Er spülte noch das Essgeschirr aus, verstaute es wieder und schulterte dann seinen Seesack. Er würde seine Sachen erst am Nachmittag in den Wohnbunker bringen. Seine Schritte halten. Wachposten ließen ihn passieren. Noch hatte er niemanden von der Mannschaft getroffen. Die Lords mussten ohnehin erst zur dritten Wache um acht Uhr antreten. Michael betrat die lange Bunkerröhre, U-810 lag in Trockenbox fünf. Der Bug war instandgesetzt, die Schweißnähte der Außenverkleidung glänzten im Scheinwerferlicht der Deckenbeleuchtung, der Schutzanstrich war noch nicht aufgetragen. Restarbeiten, die in den nächsten Tagen zu erledigen waren. Die Männer an Deck von U-810 gehörten nicht zur Besatzung, Werftpersonal. Im Turm stand Leutnant Landenberger, der zweite Wachoffizier. Landenberger blickte hinüber zur Trockenbox sechs, die ebenfalls belegt war. An Deck des anderen Bootes standen die beiden Kommandanten.

»Emmermann ist heute früh eingelaufen.«

Michael zuckte zusammen, als er plötzlich von der Seite angesprochen wurde. Neben ihm stand Funk-Maat Norbert Greimel.

»Die hatten ganz schön geflaggt, mindestens fünfzigtausend Tonnen, mindestens. Mal sehen, was der Alte nachher erzählt. Kuhnke war natürlich auch schon da, hat die Mannschaft persönlich begrüßt, die waren ja auch fast fünf Monate unterwegs. U-172, der Stolz der 10.-Flotille.«

Michael gab Greimel die Hand.

»Und sonst, die Tage gut überstanden?«

Greimel nickte. »Ging so, ich bin schon seit gestern wieder auf unserer treuen Seekuh. Wir müssen uns ranhalten, wenn der ganze Elektrokram bis zum Auslaufen funktionieren soll.«

»Ach, gibt’s schon einen Auslauftermin?«, fragte Michael überrascht.

»Nee, das nicht, also nichts was ich weiß, aber ich denke, mehr als zehn Tage haben wir nicht mehr. Ich musste schon jede Menge Bestellungen raushauen.«

»Weißt du auch schon, wann meine Torpedos kommen?«

Greimel schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung, der neue I WO ist ja auch noch nicht da.«

»Was, immer noch nicht. Der Herr Oberleutnant Rath ist doch schon seit fast einem Monat weg, da wird’s doch eigentlich langsam Zeit. Der Neue muss sich schließlich noch zurechtfinden. Wie denken die sich das eigentlich?«

Greimel zuckte mit den Schultern und verzog das Gesicht. »Der Rath hatte es über Weihnachten bestimmt richtig gut. In Paris und dann mit den hohen Herren.«

Michael nickte. Er musste jetzt zusehen, sich an Bord zu melden. Mit Greimel konnte er später noch reden. Er trat vor die Stelling, blieb stehen und salutierte. Leutnant Landenberger wandte sich ihm zu.

»Ober-Mechaniker-Maat Stromm meldet sich auf dem Boot zurück.« Michaels Worte klangen scharf und militärisch.

Landenberger salutierte ebenfalls und erst jetzt betrat Michael die Stelling und ging aufs Deck von U-810.

»Sie haben Pech, Herr Obermaat, Gefreiter Zimmer fällt vorerst aus. Hat sich das Bein gebrochen.«

Michael überlegte. »Aber ich bekomme doch Ersatz.«

»Die Mannschafft wird natürlich um einen Mann ergänzt, aber es wird kein Torpedomechaniker sein.« Landenberger zögerte. »Der Kaleun wird Ihnen das nachher wohl mal erklären.«

»Jawohl, Herr Leutnant.«

Michael dachte sich seinen Teil. Es war keine gute Nachricht. Gefreiter Zimmer war ein hervorragender Mechaniker. Gefreiter Maier, Michaels zweiter Mann, hatte lange nicht das Torpedowissen. Michael schaute zu dem Schwesterboot. Die Kommandanten Emmermann und Sieber unterhielten sich noch immer. Michael musste warten, bis er Näheres von Kaleun Sieber erfahren würde. Das Kombüsenluk stand offen. Michael ließ seinen Seesack nach unten fallen und stieg dann selber hinab in die Stahlröhre des Bootes. Die Kochnische der Kombüse glänzte, der Holzboden war gewachst, alles war noch einmal geputzt worden, bevor der Smutje sich in den Weihnachtsurlaub verabschiedet hatte. Michael ließ seinen Seesack in der Kombüse stehen. Er wollte zunächst in den Bugraum, sich dort die technische Abteilung ansehen. Die Kojen in der Unteroffiziersmesse waren noch nicht belegt, Decken und Bezüge lagen zusammengerollt am Kopfende der Doppelstockbetten. Die Stauräume waren noch leer. Michael erreichte das Schott zum Bugraum. Es war verschlossen. Er brauchte Kraft, um das Handrand zu drehen. Es zischte, als die Luke aufsprang. Michael kletterte in den Bugraum. Es roch nach Schmieröl und Fett, auch hier war die Mannschaft noch nicht eingezogen. Es gab zehn Kojen für zwanzig Mann. Der Bugraum war kaum acht Meter lang, gerade so viel Platz, dass die Torpedos unter die Flurplatten passten. Michael ging bis ans Ende, zu den vier Torpedorohren und legte die rechte Hand auf die weißlackierte Verschlussklappe von Rohr eins. Es war ein Ritual, er berührte nacheinander auch die Verschlussklappen der anderen drei Torpedorohre. Die Rohre waren jetzt noch leer. Während der Werftliegezeit waren die Torpedos wieder entladen worden und fuhren inzwischen auf anderen Booten. Michaels Blick glitt sekundenlang über die Armaturen und die elektrischen Leitungen, über die Hebel, Schieber und Rundinstrumente. Er drehte sich schließlich um, sah zur Decke. Das Torpedoluk war in einem Winkel von 60° in die Druckhülle des U-Bootes eingelassen, nur so konnten die Torpedos schräg, fast liegend abgeviert werden. Michael verließ den Bugraum. Er ging durch die Unteroffiziersmesse zurück zur Kombüse und griff sich seinen Seesack. Er ging weiter in die Offiziersmesse. Vor der Zentrale lagen auf der linken Seite der Fernmelderaum und der Ortungsraum und gleich gegenüber der winzige Kommandantenraum. Das Schott in die Zentrale stand weit offen. Michael durchquerte den engen Raum, ging am Kartentisch und an den Handrädern des Seiten- und Tiefensteuerstands vorbei und sah einmal kurz in den Turm hoch. Das Kugelschott zum Diesel- und E-Maschinenraum stand ebenfalls offen. Michael kletterte hindurch, blieb stehen und sah sich die ruhenden Aggregate an. Auch hier glänzte alles vor Sauberkeit. Er ging an den Zylinderreihen der beiden Dieselmaschinen vorbei, über ihm das Maschinenraumluk. Er passierte die E-Maschinen mit ihren aufgesetzten Lüftern und trat vor das verschlossene Kugelschott, das in den Hecktorpedoraum führte. Er öffnete es, wieder ein leises Zischen, als die Dichtungen des Schotts Luft in den Hecktorpedoraum einströmen ließen. Michael schob seinen Seesack voran und schwang sich über das Süll. Er sah sich um, die Koje unterhalb des Torpedoluks war die Seine. Michael schlief hier bei der Mannschaft. Er stellte den Seesack vor das Doppelbett, ging weiter zu den Rohren. Er vollendete sein Ritual, legte nacheinander die rechte Hand auf die beiden Verschlussklappen.

*

Am Vormittag kam Leben in den Bunker. Die Besatzungen von zwei Kampfbooten verrichteten ihren Dienst. Die Männer von U-172 räumten ihr Boot aus. Nach hunderteinunddreißig Tagen auf See war allerdings nicht mehr viel auszuräumen. Die restliche Munition der Kanone und der Zwillingsflak wurde von Bord gebracht, in Stahlkisten verstaut und mit Karren in das Magazin des Kéroman I gebracht. Von der Verpflegung war nur ein Pappkarton mit verschimmelten Broten, ein halber Sack Kartoffeln und eine Palette Konserven übriggeblieben. Die haarigen Schimmelsporen wirkten wie ein dunkelgraues Fell auf den Brotlaiben. Die Lords nannten sie U-Boot-Kaninchen. Mit ihren persönlichen Sachen bepackt verließen schließlich Matrosen und Unteroffiziere den Bunker. Die Offiziere übergaben ihr Boot der Bunkerwache und folgten der Mannschaft von U-172 in den Urlaub.

Mit Dienstbeginn der ersten Wache, um 12:03 Uhr, ließ Kapitänleutnant Alfred Sieber die Leute auf dem Bunkerplatz vor U-810 antreten. Die dreißig Matrosen, Gefreite und Obergefreite stellten sich in drei Reihen auf. Es waren Maschinisten, Mechaniker, Seeleute, Funker und das Waffenpersonal. Alle im grauen Bordanzug. An den dunkelblauen Schiffchen trugen sie das Wappen ihres Bootes, das auch hinter den Männern am Turm von U-810 prangte. E-Maschinist Matthias Schlenker blickte zu Boden, sodass man sein Gesicht nicht sehen konnte. Torpedomechaniker Jens Maier biss die Zähne zusammen, streckte dabei aber sein Kinn weit nach vorne und wirkte so noch dürrer, als er ohnehin schon war. Diesel-Maschinist Ludwig Hoffmann stach mit seinen lockigen, roten Haaren hervor. Flakschütze Peter Sprenger versuchte seinen Bauch einzuziehen. Die Mannschaft war sich einig, dass er über Weihnachten wieder zugelegt hatte. E-Maschinist Karl Sowinski hatte sich die Uniformbluse nicht ordnungsgemäß zugeknöpft. Smutje Theo Weiss kauerte klein und schmächtig in der letzten Reihe, außen links. Man konnte glauben, dass nicht er, sondern Sprenger der Schiffskoch war. Die zehn Unteroffiziere hatten sich vor den Mannschaften aufgestellt. Diesel-Maschinen-Maat Manfred Keicher verbarg sein dünnes blondes Haar unter dem blauen Schiffchen. Funk-Maat Norbert Greimel konnte nur schwer ein spöttisches Grinsen unterdrücken. Ober-Mechaniker-Maat Michael Stromm war für einen Augenblick mit seinen Gedanken zu Hause in Papendorf bei seinem Motorrad. Ober-E-Maschinen-Maat Klaus Lischke hatte als Einziger die Arme hinter dem Rücken verschränkt. Obersteuermann Heinrich Petersen kratzte sich noch schnell an seinem dicken, schwarzen Vollbart, bevor er die Hände wieder an die Seitennaht seiner Uniformhose legte. Vor den Unteroffizieren standen schließlich der zweite Wachoffizier Leutnant Karl Landenberger, der Leitende Ingenieur Oberleutnant Martin Linden und ganz rechts der erste Wachoffizier Oberleutnant Günther Kuhnle, der sich erst am Morgen dieses Tages an Bord von U-810 gemeldet hatte. Kuhnle trat heraus und salutierte vor Kapitänleutnant Alfred Sieber.

»Melde, Mannschaft angetreten, Herr Kaleun.«

»Danke I WO.« Sieber schaute in die Reihen und nickte. »Na Leute, hat Muttern euch wieder gehen lassen.«

»Jawohl, Herr Kaleun«, schrien die Männer im Chor.

Sieber wandte sich wieder an den I WO. »Und, gibt es irgendwelche Verluste?«

Der I WO hielt einen Zettel in der Hand, von dem er jetzt zwei Namen entzifferte. »Obergefreiter Torpedomechaniker Zimmer liegt mit gebrochenem Bein im Lazarett in Köln. Zur Ergänzung der Mannschaft wurde Matrose Kehl zu U-810 befohlen.« Der I WO drehte sich zu den Männern um. »Matrose Kehl, vortreten.«

Ein Mann löste sich aus den Reihen. Er war schon vorher aufgefallen, denn er überragte die meisten seiner Kameraden um Haupteslänge. Nicht einmal Funk-Maat Greimel konnte es an Körpergröße mit ihm aufnehmen. Der Aufgerufene trat vor den I WO und den Kaleun und schlug salutierend die Hacken zusammen.

»Matrose Kehl, wird der zweiten Wache als Geschützhelfer zugeteilt«, fuhr der I WO fort.

Kaleun Sieber nickte. »Willkommen an Bord, Matrose!«

»Jawohl, Herr Kaleun!« Kehl streckte sich und schlug noch einmal die Hacken zusammen.

Sieber kannte die Personalmeldung selbstverständlich bereits. Es bedurfte keiner weiteren Erklärungen. Die Flottille hatte ihm einen unerfahrenen Mann überlassen. Matrose Kehl war noch nie auf einem U-Boot gefahren, ein Marineartellerist, der in den letzten sechs Monaten seit seiner Einberufung nur Dienst auf dem Stützpunkt versehen hatte. Sieber musste allerdings froh sein, überhaupt jemanden zu bekommen. Der I WO hatte den Matrosen inzwischen abtreten lassen. Kaleun Sieber wandte seinen Blick wieder der Mannschaft zu. Er lächelte.

»Unser erster Versuch, wieder für das Vaterland zu fahren, ist ja gründlich danebengegangen, aber die Jungs von der Werft haben die Sache wieder hinbekommen. Es fehlt, glaube ich, nur noch etwas Menninge, damit uns der neue Bug nicht gleich wieder wegrostet. Also, der LI wird schon wissen, was noch zu machen ist, aber viel kann es nicht mehr sein. Wir haben daher vom B.d.U. einen neuen Auslauftermin erhalten.« Sieber unterbrach sich für ein paar Sekunden und suchte nach Zustimmung in den Augen seiner Leute. »Wir haben also einen Termin. Sylvester feiern wir noch im Kasino, dann geht es aber am 7. raus, Männer.«

»Jawohl, Herr Kaleun«, erklang es wieder im Chor.

*

Oberleutnant Linden blickte zu den Mündungsklappen der Torpedorohre. Michael stellte eine Leiter an den Bug und stieg hinauf. Er klopfte mit einem Hammer gegen die Außenverkleidung. Es war das Zeichen für Maier, der im Inneren des Bootes wartete. Die obere Mündungsklappe rechts schob sich auf. Michael hörte konzentriert auf das schabende Geräusch, mit dem die Führung der Mündungsklappe in der Gleitschiene lief. Der Mechanismus öffnete auch den vorderen Verschluss des Torpedorohres. Michael befühlte die Dichtung auf Unebenheiten. Mit dem Hammer gab er wieder Klopfzeichen. Die Mündungsklappe schob sich langsam zurück, die Öffnung in der Verkleidung wurde geschlossen.

»Mich wundert es nur, dass die Rohre nichts abgekriegt haben sollen, Herr Oberleutnant.«

»Die Werft hat alles überprüft. Die haben sogar einen Torpedo durch die Rohre gezogen.«

»Naja, sieht soweit ja auch gut aus. Die Mündungsklappen laufen ruckfrei und der Verschluss wird wohl auch dicht sein. Wir sollten aber später noch einen Drucktest machen, Herr Oberleutnant, um ganz sicher zu sein.«

Linden nickte. Dann räusperte er sich. »Mal was anderes, Stromm. Sie haben ja jetzt nur noch den Gefreiten Maier. Der Kaleun hat mich angewiesen, Ihnen einen Mann zu überstellen. Hätten sie da schon selbst jemanden im Auge?«

Michael stieg von der Leiter. »Wenn Sie mich so fragen, Herr Oberleutnant. Ich brauche ja wenigstens jemanden mit Mechanikererfahrung, dem ich dann das Torpedo-ABC beibringen kann. Also mir wäre Sowinski recht.«

»Gefreiter Sowinski gehört zu Keichers Leuten. Da müssen wir sehen, ob er ihn entbehren kann. Käme denn noch jemand anderes infrage?«

Michael überlegte und schüttelte dann den Kopf. »Ich weiß nicht, vorläufig nicht. Wenn Sie erlauben, ich habe bereits mit Maat Keicher gesprochen. Er würde Sowinski zwar nicht gerne ziehen lassen, aber er hat ja genug Fachpersonal und kann eher einen, wie soll ich sagen, Ungelernten nehmen. Bei mir ist das eben nicht möglich.«

»Gut, war schon richtig, dass Sie Keicher vorgewarnt haben. Die U-Offiziere sollen sich ohnehin besser abstimmen, meine ich.«

»Jawohl, Herr Oberleutnant.«

*

Eine halbe Stunde später saß Michael mit Maier im Torpedobugraum zusammen. Sie gingen die Listen mit den Ersatzteilen durch. Maier hatte eine Übersicht der Bestände, die bei der U-Boot-Versorgungsstelle vorrätig waren.

»Kreiselapparat«, las Michael von seinen Notizen ab.

»Kein Kompletter«, antwortete Maier. »Es gibt aber jede Menge Einzelteile.«

»Gut, bestellen. Ich bezweifle zwar, dass wir auf See einen funktionierenden Kreisel zusammenbauen können, aber vielleicht gelingt uns ja eine Reparatur.«

»Können wir nicht zwei Ale mehr in Cherbourg ordern, die nehmen wir dann auseinander.«

»Keine Chance. Unsere Flottille ist dort ohnehin nicht sehr beliebt, weil wir zu viele Typ-IX-Boote haben. Ich bin mal dort gewesen, bei so einem Schreibtischhengst. Der hat erst gar nicht geglaubt, dass wir allein in unsere Oberdecktuben zehn Torpedos stauen können. Der hat sich tatsächlich Pläne kommen lassen.«

»Idioten, wissen die denn nicht, dass wir jetzt zu den Amis fahren und ordentlich was im Gepäck haben müssen.« Maier schüttelte den Kopf.

»Also, Ersatzteile für Kreiselapparate gibt es«, fuhr Michael fort.

»Jawohl, Herr Obermaat.«

»Akkumulatorenflüssigkeit. Dreißig Liter Batteriesäure.«

»Jawohl, dreißig Liter!«

»Druckluftbehälter?«, Michael überlegte. »Ist aber nur so ein Gedanke. Auf der letzten Fahrt hatten wir doch einen Ausfall. Das erste Mal, dass ich das erlebt habe.«

»Wäre wohl Zufall, wenn das noch einmal passiert und außerdem gibt’s nichts im Magazin, nur Schläuche und Muffen.«

»Nehmen wir, je zwei Dutzend.«

»Jawohl, Herr Obermaat.«

Maier notierte sich die geforderte Menge. »Ich habe mal gerechnet, der 7. ist ein Donnerstag, also Glück gehabt.«

Michael blickte von seiner Liste auf. »Wieso Glück gehabt?«

»Naja, weil es kein Freitag ist«, erklärte Maier. »An einem Freitag in See gehen, das bringt Unglück, das zieht das Pech an, das weiß doch jeder Skipper.«

»Noch nie davon gehört, ehrlich«, sagte Michael nachdenklich. »Sind wir denn schon mal auf einem Freitag ausgelaufen?«

»Nee, dies Jahr nicht, nicht mit U-810«, antwortet Maier bestimmt.

»Und da soll was dran sein. Den Minenräumer haben wir doch an einem Montag gerammt.«

»Vielleicht war das ja ein Glück«, überlegte Maier. »Wenn wir ihn nicht gerammt hätten, dann wären wir auf See gegangen und es hätte uns dort erwischt, und zwar nicht so glimpflich.«

»Na jedenfalls ist der 7. kein Freitag und dann brauchen wir auch gar nicht mehr über diesen Aberglauben nachdenken.«

Michael sah wieder auf seine Liste und fand die Zeile, bei der er stehen geblieben war.

»Gefechtspistole. Ich will die Dinger im Verhältnis eins zu drei an Bord haben, dreimal so viele Gefechtspistolen, wie Torpedos.«

»Jawohl, Herr Obermaat. Ich notiere siebzig Stück Gefechtspistolen, also gerundet.«

Michael nickte. Er fuhr mit seiner Liste fort. »Elektroleitungen, Kupferdraht, Ersatzakkumulatoren,...«

»Gibt’s nicht«, unterbrach ihn Maier.

»Was gibt es nicht?«

»Die Ersatzbatterien, Herr Obermaat. Hab’s im Magazin erfahren und mich dann auch in Cherbourg erkundigt. Neue Anweisung. Die glauben, dass ihre Aale jetzt besser geworden sind und es so gut wie keine Ausfälle mehr geben soll.«

»So’n Quatsch. Es gibt immer Ausfälle, das kriegen die nie hin.«

»Ich habe mich ja auch umgehört, aber es gibt wirklich keine Batterien mehr.« Maier überlegte. »Wenn es in den anderen Docks einen kleinen Unfall gibt, wenn ein Aal vom Wagen rutscht und dabei die Lagesteuerung beschädigt wird, dann nimmt den doch keiner mehr mit und wir können ihn ausschlachten.«

»Ne, ne, nicht solche Dinger. Ich lass mir was anderes einfallen.«

»Jawohl, Herr Obermaat.« Maier überlegte. »Übrigens, was es auch nicht mehr gibt, ist Wachspapier.«

»Wie?«

»Ja, ich sollte doch ein paar Bogen Wachspapier besorgen.«

»Natürlich, für meine Bücher, aber das gab es sonst doch immer reichlich?«, sagte Michael.

»Gab es auch, doch da hat noch ein anderer zugeschlagen.« Maier kniff kurz die Augen zusammen. »Lischke, oder, Entschuldigung, der Herr Obermaat Lischke, brauchte einen ganzen Stoß Wachspapier. War vor mir dran, konnte nichts machen. Der hat dann gleich seine Bilderbücher darin eingewickelt, damit nichts feucht wird, als wenn wir schon auf See wären.« Maier stutzte. »Ich möchte mal wissen, wo der die ganzen Zigarettenbildchen herbekommt. Der raucht doch gar nicht und seine Bücher sind komplett, hat mir Schlenker erzählt, alle Bilder bis zum Letzten.«

»Schleppt Lischke immer noch dieses rote Führerbuch mit sich herum?«

Maier nickte. »Und er hat jetzt auch noch ein anderes dabei, über die Wehrmacht, auch alles komplett mit Zigarettenbildern. Ich möchte wirklich wissen, wo er die alle hernimmt?«

»Aber für mich gab es kein Wachspapier mehr?«, fragte Michael.

»Doch, doch, drei Bögen konnte ich noch ergattern. Muss man eben sparsam mit sein.«

Michael kratzte sich mit seinem Bleistift an der Stirn und schüttelte dann den Kopf. »Also weiter. Kupferrohre für die Hydraulik, Stahlhebel, Stahlstangen.« Er blickte von seiner Liste auf. »Was ist mit Zahnradsätzen, Antriebswellen und Kugellager?«

»Habe ich noch meinen Vorrat, Herr Obermaat.«

»Und Ersatzpropeller, wie steht’s damit?«

»Die habe ich bekommen, fünf Stück.«

»Gut, nach dieser Fahrt geben wir nichts mehr zurück ans Magazin, behalten alles und wenn ein Torpedo übrigbleibt, dann schlachten wir ihn aus, sobald wir das Hafenbecken wieder erreicht haben, verstanden?«

»Jawohl, Herr Obermaat.«

*

Die Männer standen in der Zentrale, am Kartentisch. Oberleutnant Linden hatte die technischen Bootsunterlagen ausgebreitet und deutete auf die Lage der Batterieblöcke unter den Flurplatten.

»Wir haben die Zellen geprüft. Es gibt einige Ausfälle. Das stammt noch von der Kollision mit dem Minenräumer. Die von der Werft wollten die Zellen überbrücken, aber das habe ich nicht zugelassen. Ich hab’ mich dann mal umgehört und tatsächlich neue Blöcke bekommen. Jetzt müssen wir allerdings schnell sein und die Batterien sofort vom Magazin abholen und gleich verbauen. Lischke, das übernehmen Sie mit Ihrer Mannschaft.«

Ober-E-Maschinen-Maat Lischke nickte. »Jawohl, Herr Oberleutnant.«

»Dann zu Ihnen Keicher. Für Sie habe ich auch einiges. Reinigung des Luftverdichters, Einstellung der Drosselklappe und Einstellungen am Diesel. Wir wollten das ja erst auf See machen, aber jetzt ist noch genug Zeit.«

»Jawohl, Herr Oberleutnant.«

»Ach ja, Keicher, die Kupplungen zu den E-Maschinen. Lassen Sie neue Scheiben einbauen.«

»Jawohl, Herr Oberleutnant.«

»Greimel?«

»Herr Oberleutnant?«

»Was ist mit den Ersatzteilen für die Funkanlage?«

»Ist jetzt alles da, Herr Oberleutnant, und wir haben auch schon mit der Reparatur begonnen.«

»Und, ne’ Ahnung, woher der Kurzschluss gekommen ist?«

»Lässt sich schwer sagen, Herr Oberleutnant. Auf der letzten Fahrt mussten wir ja viel herumlöten. Kann sein, dass da was nicht richtig gesessen hat.«

Linden nickte. »Übrigens bekommen wir noch mal Besuch von der Werft. Der Herr Kaleun hat wohl Dampf gemacht, wegen der Kompassanlage. Die schicken Fachleute. Ist ja auch verdammt wichtig.« Linden überlegte. Er suchte nach seinen Notizen. »Was ist mit den Zellen, haben wir da noch was offen, waren da noch Reparaturen zu machen?«

Diesel-Maschinen-Maat Keicher meldete sich. »Habe ich mit meiner Mannschaft vom Obersteuermann übernommen, Herr Oberleutnant. Die Werft hatte Order alle Zellen zu überprüfen, aber das wollte ich nicht, wenn Sie erlauben. Die sind nie so gründlich, wie die Leute, deren Leben von der Technik abhängt.«

»Stimme ich Ihnen zu«, sagte Linden. »Ganz richtig.«

»Danke, Herr Oberleutnant. Also, über die Tauchzellen brauchen wir nicht zu sprechen, da wissen wir spätestens beim Probetauchen Bescheid. Eine Sichtprüfung habe ich aber machen lassen und auch die Mechanik der Tauchzellenentlüftung durchgecheckt. Bei den Regel- und Trimmzellen haben wir genaue Gewichtsprüfungen durchgeführt, die sind soweit in Ordnung. Ventile sind gängig, Zuleitungen dicht. Gleiches gilt für die Untertriebszelle. Abschließende Prüfung natürlich auch erst beim Probetau...«

Linden unterbrach Keicher. »Was ist mit den Torpedozellen, die sind für mich die Achillesferse.«

»Jawohl, Herr Oberleutnant. Die Technik wurde überprüft ebenfalls alles in Ordnung.«

Oberleutnant Linden suchte in seinen Datenblättern. Er überschlug ein paar Zahlen im Kopf, richtete sich dann wieder auf und blickte Michael an, der direkt neben ihm in der Zentrale, am Kartentisch, stand. »Wir haben nur noch elektrische Torpedos an Bord, nicht wahr?«

»Jawohl, Herr Oberleutnant, nur noch Etos«, antwortete Michael.

Linden deutete auf die Papiere. »Ich will, dass die Torpedozellen auf das Kilogramm genau befüllt werden. Wie schwer ist denn einer Ihrer Etos nun?«

»Es sollen tausendsiebenhundertdreizehn Kilogramm sein. Ich habe aber aus Cherbourg immer noch die alten Daten. Die Neuerungen an den Steuerungs- und Lageregelinstrumenten würden wohl nicht viel am Gesamtgewicht ausmachen, anders ist es da natürlich, wenn die Batterie größer geworden wäre. Es gab mal den Hinweis aus Cherbourg, dass statt der bisherigen zweiundfünfzig Zellen künftig sechs mehr eingebaut werden sollen. Wir haben das bislang nur bei einem Torpedo überprüft, der war aber noch unverändert.«

»Sechs Zellen mehr«, überlegte Linden, »das sind gut neunzig Kilogramm. Ich meine, Sie sollten beim Regeln der Torpedos, also auf jeden Fall, bei denen, die schon in den Rohren sind, auch noch mal die Anzahl der Batteriezellen überprüfen. Neunzig Kilogramm sind schon nicht zu vernachlässigen. Beim Unterwasserangriff schießt uns das Boot sonst aus dem Keller, wenn wir einen Aal rausdrücken und die Torpedozellen zu wenig Ausgleichsgewicht bekommen.«

»Jawohl, Herr Oberleutnant, wird gemacht.«

»Was ist mit dem Gefechtskopf, es heißt ja immer, viel hilft viel?«

»Über das TNT haben wir exakte Angaben, da wird immer genau drüber abgerechnet, zweihundertachtzig Kilogramm pro Torpedo, unverändert.«

Linden nickte, sah gleichzeitig wieder auf die Liste. Er nahm seinen Bleistift und notierte sich etwas.

Die Männer schwiegen. Linden blickte auf. »Weiter im Plan.«

Sie gingen noch einmal die gesamte Bootstechnik durch. Linden überzeugte sich von der Fahrtüchtigkeit der Höhen- und Tiefenruder, der Kompressoranlage. Er ließ sich bestätigen, dass die Propeller und die Antriebswellen intakt waren, dass die Kraftstoffbunker keine Lecks hatten. Bei diesem Punkt fragte er zweimal nach.

»Also, ich will nicht, dass der Feind es zu leicht mit dem Spurenlesen hat. Wehe, wir ziehen eine Ölspur hinter uns her und wenn es auch nur ein kleiner Ölfilm ist. Ich will da nichts sehen.«

Dann gingen sie die Luken durch. Linden überzeugte sich, dass ausreichend Ersatzdichtungen geordert waren. Das Boot besaß fünf Luks. Vorne und hinten je ein Torpedoluk, dann noch das Maschinenraumluk und das Luk über der Kombüse und schließlich das Turmluk, das vom Kommandantenstand hinauf auf die Brücke führte.

»Sind die Frischwasserzellen sauber«, fragte Linden.

Funk-Maat Greimel meldete sich. »Jawohl, Herr Oberleutnant.

*

»Zigarette?«

»Zum Feierabend gern. Danke, Herr Oberleutnant.«

Michael holte sich die angebotene Zigarette aus dem Etui. Oberleutnant Kuhnle nahm sich ebenfalls eine, klappte das Etui zu und hatte gleich ein Feuerzeug zur Hand. Die Männer standen vor einem der großen Bunkertore des Kéroman I. Eine milde, aber feuchte Luft zog über den Bunkerkomplex. Oberleutnant Kuhnle zeigt in Richtung der Baustelle auf der anderen Hafenseite.

»Hier wird ja noch kräftig gebuddelt, noch ein Bunker, nehme ich an?«

»Jawohl, Herr Oberleutnant, der Kéroman III. Der wird aber auf Wasserlinie gebaut.«

Kuhnle sah Michael fragend an. »Und was heißt das?«

»Der Bunker ist geflutet, man wird mit dem Boot direkt reinfahren können, also keine Slippanlage wie hier. Das Slippen ist ja immer ein ganz schöner Aufwand, obwohl die Trockenbox auch enorme Vorteile hat, Herr Oberleutnant.«

Kuhnle schüttelte den Kopf. »Sie sehen, Herr Obermaat, ich habe keine Ahnung. Ich bin ehrlich, ich dachte, die haben bei uns das Wasser abgelassen, damit die Werft ihre Reparaturen machen kann.«

»Nein, Herr Oberleutnant, die konnten den Kéroman I nicht auf Wasserlinie bauen, wegen des Felsuntergrunds, aber das wusste ich auch noch nicht, als ich hier angefangen habe.«

Kuhnle nickte. »Sie sind mit dem Boot nach Lorient gekommen.«

»Jawohl, Herr Oberleutnant, Überführungsfahrt von Kiel hierher, im Januar. Der Herr Kaleun, der LI und der II WO waren auch schon dabei und ein großer Teil der Mannschaft.«

»Und mein Vorgänger?«

»Sie meinen Oberleutnant Rath? Der I WO ist erst in Lorient an Bord gekommen.«

»Dieser Rath hat wohl ganz oben Führsprecher, habe ich zumindest gehört. In einem Jahr vom Leutnant zum Kapitänleutnant will schon was heißen.«

»Das kann ich nicht beurteilen, Herr Oberleutnant. Die Leute kommen und gehen und das gilt eben auch für die Offiziere.«

Kuhnle nickte. »Ich habe gesehen, dass Sie sich freiwillig zur Marine gemeldet haben.«

»Jawohl, Herr Oberleutnant. Mein Vater musste sogar noch unterschreiben. Ich wollte zur See fahren, aber mit Seefahrt ist es dann nicht gleich was geworden. Die haben mich recht schnell zur Fachausbildung nach Kolberg geschickt, an die Torpedoschule. Danach zu den U-Booten nach Danzig zur 2. Ausbildungsflottille. Als die Zweite an die Front ging, bin ich noch in Danzig geblieben. Aus dem Rest von uns wurde die 25. Flottille gemacht. Ich bin sogar noch mit nach Drontheim gegangen.«

»Im Zivilberuf sind Sie Schlosser?«

»Jawohl, Herr Oberleutnant, Schlosser, ich habe in Hamburg auf einer Werft gelernt. Da bekommt man eben die Sehnsucht, auch auf den Schiffen zu fahren, an denen man mitgebaut hat.«

»Hamburg. Dann doch bestimmt bei Blohm & Voss?«

»Jawohl, Herr Oberleutnant. Ich war aber bei einer anderen Firma angestellt. Wir haben Pumpen gebaut und ausschließlich für Blohm & Voss gearbeitet. So war ich fast drei Jahre auf der Werft, habe einige dicke Pötte gesehen, wie sie vom Kiel bis zu den Aufbauten hochgezogen wurden. Die Pretoria, die Windhuk, die Admiral Hipper, die Wilhelm Gustloff und natürlich auch die Bismarck«

»Sie haben an der Bismarck gebaut?«

»Jawohl, Herr Oberleutnant. Bei der Kiellegung der Bismarck im Juli ’36 war ich gerade ganz frisch Lehrling. Im Februar ’39 war ich dann sogar beim Stapellauf dabei. Ich war da aber schon im Arbeitsdienst und habe mir extra einen Tag freigenommen. Ich habe den Führer gesehen und auch die Taufpatin des Schiffes, soll eine Enkelin des alten Fürsten gewesen sein. Beim Untergang der Bismarck Ende Mai 1941 war ich gerade in Drontheim. Die Flottille hat beim Abendbrot davon erfahren. Ich seh uns noch da sitzen. Naja, danach hat keiner mehr einen Bissen runtergekriegt. Mehr als zweitausend Kameraden hat die Bismarck mit nach unten genommen. Ein verdammter Scheiß, entschuldigen Sie, Herr Oberleutnant.«

»Ne, ne, ist schon richtig. Ich bin damals auf einem Zerstörer gefahren. An dem Tag lagen wir im Stützpunkt in Gotenhafen. Ich kannte sogar ein paar Leute von der Bismarck.«

Sie schwiegen für ein paar Sekunden. Michael drückte seine Zigarette aus. Kuhnle bot ihm eine Zweite an, aber Michael lehnte ab. »Ich rauche nur gelegentlich, ist auch besser so, wenn man U-Boot fährt.«

»War für mich auch eine böse Erfahrung, als ich zu den U-Booten kam. Unser Stabsarzt in Memel, ich war bis vor zwei Wochen noch bei der 24. Ausbildungsflottille in Memel, auf jeden Fall hatte der Arzt dort ein Mittelchen, mit dem man übers Rauchen hinwegkommt. Hat bei mir nicht ganz so funktioniert. Erzwungene Enthaltsamkeit hilft da am Ende besser.«

Michael nickte. Kuhnle steckte das Zigarettenetui wieder in seine Manteltasche. Er überlegte.

»Bei der Fünfundzwanzigsten ist doch Hashagen Flottillenchef?«

»Jawohl, Herr Oberleutnant, habe ihn persönlich kennengelernt, er hat mir sein Buch signiert. Ich hab’s schon als Schüler gelesen, als ich noch nicht ahnen konnte, einmal selbst U-Boot-Mann zu sein.«

»Ja, ja, Hashagens Buch, habe ich natürlich auch gelesen. Ist schon sonderbar, damals wie heute geht es gegen England. Und es gab damals auch schon Angriffe auf Scapa Flow. Die waren nur nicht so ein Paukenschlag wie der von Prien.«

»Der Herr Kaleun hat Prien gekannt«, sagte Michael.

Kuhnle nickte und die beiden Männer schwiegen wieder für ein paar Sekunden. Kuhnle räusperte sich schließlich.

»Habe auch gelesen, dass Sie Fußballer sind, Torwart, Sie haben für Victoria Kolberg in der Gauliga Pommern gespielt.«

»Jawohl, Herr Oberleutnant, allerdings nur Ersatztorwart. Aber ich muss Sie enttäuschen, ich habe kein einziges Ligaspiel gemacht, nicht einmal eine Einwechselung.«

»Naja, aber dabei sein ist alles, oder?«

»Jawohl, Herr Oberleutnant.« Michael lächelte.

»Und haben Sie ein Idol, also einen Torwart?«

Michael überlegte nicht lange. »Hansi Klodt, von Schalke. Ich komme zwar aus der Nähe von Hamburg aber für mich spielt Schalke den besten Fußball im Reich und Hansi Klodt ist der beste Torwart, den wir haben.«

»Mag was dran sein, Schalke hat dieses Jahr doch auch schon wieder die Meisterschaft geholt.«

Michael nickte. »Hansi Klodt war aber in diesem Jahr nicht dabei, er steht im Feld, soviel ich weiß.«

*

Manfred Keicher hielt seine rechte Hand in die Höhe. »Hast du schon mein neustes Abzeichen gesehen?«

Michael verstand erst nicht, dann erkannte er den goldenen Trauring. Er schüttelte den Kopf. »Das hast du nicht wirklich gemacht.«

»Doch, noch vor Heiligabend auf dem Standesamt und dann am ersten Weihnachtstag schön in der Kirche, hinterher mit ’ner Feier und mit Gästen und so.«

»Ihr bekommt ein Kind?«, fragte Michael.

»Äh, nein, also bisher nicht.« Manfred Keicher stutzte. Dann lachte er. »Nicht, was du denkst, man kann doch auch so einen Grund haben, zu heiraten. Warum soll man bis nach dem Krieg warten? Nach dem Krieg findet man dann wieder etwas, warum man die Hochzeit verschiebt und dann wird nie was daraus. Nein, nein, ich fühle mich so einfach besser, und wenn was passiert, ist Klärchen versorgt, darüber sollte man auch nachdenken.«

»Na dann, Fredi, herzlichen Glückwunsch.«

»Danke, danke, irgendwann geb ich auch mal Kuchen aus oder ein paar Bierchen.« Keicher kramte in seiner Jackentasche. »Hier, ein Foto von der Braut und dem holden Bräutigam.« Er gab Michael die Aufnahme, die das Paar vor dem Kirchenportal zeigte.«

»Alle Achtung, in Farbe, hast es dir ja was kosten lassen.«

»Hab ’nen Kumpel, der das gemacht hat. War gar nicht so teuer. Aber sag’ selbst, so ein Hochzeitsfoto hat nicht jeder, was?«

Michael nickte anerkennend. »Und das ist deine Klärchen?«

»Jawohl, Herr Obermaat, Frau Klara Keicher, bitte sehr.«

*

Die kleinen Holzkisten stapelten sich links neben der Stelling. Oberleutnant Linden hatte sich ein Pult und einen klapprigen Holzstuhl besorgt und saß über seinen Listen gebeugt. Ein Matrose griff erst auf Anweisung eine der Kisten und brachte sie hinüber aufs Boot zum Maschinenluk. Unten wartete ein weiterer Matrose, nahm die Kiste in Empfang und stellte sie im Diesel-Maschinenraum ab. Maschinen-Maat Keicher kniete auf einer der Kokosmatten, die als rutschfeste Unterlage über den stählernen Bodenplatten frisch verlegt waren. Keicher hatte sein System. Er war für die Stauung der Ersatzteile zuständig. Das Täfelchen auf dem Kistendeckel trug die Kennung des Bootes, die Flotillennummer und die Bezeichnung des Ersatzteils. Keicher überlegte. Die Treibölpumpen wollte er immer griffbereit haben. Es mussten noch vier Stück kommen und eine Kiste nur mit Dichtungen. Neben dem Leitstand der Diesel-Maschine gab es einen Stahlschrank. Keicher stellte die Kiste selbst hinein und machte sich eine Notiz. Der Matrose ging zurück zum Luk und nahm die nächste Lieferung in Empfang. Anderthalb Stunden später waren alle Maschinenteile an Bord und verstaut. Die dritte Wache und die Freiwache belebten nun den Bunker. Sie machten mit dem Beladen des Bootes weiter. Jetzt kam die Munition. Geschosse für die Zehn-Komma-Fünf-Zentimeter Kanone, Granaten für die Drei-Komma-Sieben-Zentimeter Flak, Spreng- und Brandgranaten sowie Gurtmunition für das Zwei-Zentimeter Maschinengewehr. Oberleutnant Kuhnle war als erster Wachoffizier für alle Waffen auf dem Boot verantwortlich. Es gab auch hier einen genauen Stauplan. Die Granaten und die Gurtmunition kamen griffbereit in die Oberdecktuben. Was dort nicht mehr hineinging, wurde erst in Magazinnischen im Turm und in der Zentrale untergebracht und schließlich auf die Sektionen des Bootes verteilt. Einige der großen 10,5cm Geschosse kamen als Angriffsmunition ebenfalls in den Turm. Unter Kuhnles Augen wurden zum Schluss noch zwei Maschinenpistolen, sechs Mauser Pistolen und fünfzig Handgranaten aufgenommen. Die Handfeuerwaffen und die beiden Kisten mit den Handgranaten wurden in der Offiziersmesse in einen Stahlschrank eingeschlossen.

Der Proviant wurde mit Lastwagen angeliefert. Die Männer luden auf Handkarren um, die sie durch die engen Bunkergänge zum Liegeplatz des Bootes schoben. Die Verladereihenfolge war auch hier festgelegt. Zuerst kamen die Konserven, dann das Frischobst, das Gemüse und gut tausendzweihundert Kilogramm Kartoffeln. Eine ganze Karre war mit Graubrot beladen. Obersteuermann Petersen hatte die Aufsicht über den Proviant. Er notierte die Eingänge, während Schiffskoch Weiss unter Deck das Verstauen anleitete. In den nächsten Stunden füllte sich das Boot. Jede Öffnung wurde genutzt, jedes der fünf Luks. Die ohnehin schon engen Durchgänge und Räume wurden noch enger. Brotlaibe und Kohlköpfe hingen in Netzen über den Armaturen und Instrumenten der Zentrale. Konserven waren in Nischen zwischen Rohrleitungen und Verstrebungen gestapelt.

*

Die Torpedos waren am Vormittag aus Cherbourg eingetroffen und sollten vor der Verladung einer Sichtprüfung unterzogen werden. Für Micheal war es eine gute Gelegenheit, den Gefreiten Sowinski in seine neuen Aufgaben einzuweisen. Die Torpedos waren bereits in den Bunker verbracht. Die elf Transportkarren versperrten den Platz vor der Trockenbox von U-810. Die drei Männer teilten sich auf. Gefreiter Maier arbeitete allein. Michael zeigte Sowinski, worauf es bei der Prüfung ankam. Er befühlte die Außenhülle eines Torpedos, fuhr mit der flachen Hand über die Rundungen.

»Unebenheiten deuten auf Beschädigungen hin, Stöße, die der Torpedo beim Transport abbekommen hat.« Michael hielt inne. »Hier zum Beispiel.« Er nahm die Hand weg und zeigte auf die Stelle, die er eben erfühlt hatte.

Sowinski nickte und trat näher. »Sehen kann man nichts.« Er nahm die Hand, strich über die Hülle und fühlte tatsächlich eine leichte Wölbung.

»Das wird wahrscheinlich nichts sein«, kommentierte Michael.

Er nahm ein Stück Kreide aus seiner Jackentasche und malte ein große »K« auf die Hülle. Dann markierte er die Wölbung noch mit einem Kreis.

»Hier drunter sitzen die Batterien. Später kontrollieren wir ohnehin noch einmal, ob wirklich etwas beschädigt ist. Übrigens nehmen wir ausschließlich elektrisch angetriebene Torpedos mit. Kennen Sie den Unterschied zwischen elektrischem und Pressluftantrieb?«

Sowinski schüttelte den Kopf. »Wenn Sie mich so fragen, dann sag ich mal Nein, Herr Obermaat.«

»Gut, also, der Gasdruckmotor zieht eine Blasenbahn hinter sich her. Nachts ist das an der Wasseroberfläche nicht zu sehen. Tagsüber kann es dem angegriffenen Schiff aber verraten, dass ein Torpedo auf ihn zukommt. Im Feldstecher lässt sich die Blasenbahn bestimmt aus fünfhundert Metern beobachten. Kleine Rechenaufgabe gefällig?«

»Gerne, Herr Obermaat.«

»Unsere Torpedos laufen gut dreißig Knoten die Stunde, wenn sie einmal in Fahrt sind. Dreißig Knoten entsprechen fünfzehn Meter die Sekunde. Wenn so ein englischer oder amerikanischer Frachterkapitän unseren Torpedo in fünfhundert Meter Entfernung sichtet, dann hat er eine gute halbe Minute Zeit, seinen Kurs zu ändern. Das reicht manchmal, damit der Torpedo vorbeiläuft.«

Sowinski nickte. »Und darum haben wir nur die Elektrischen dabei.«

»Ganz richtig, darum besteht unser Kaleun ausschließlich auf die sogenannten Etos, die elektrisch angetriebenen Torpedos, vom Typ G7e. So ein Torpedo ist etwas mehr als sieben Meter lang und das G steht für Kaliber Dreiundfünfzig-Komma-Dreidrei. Passt haargenau in unsere Rohre.«

Michael ging ans Ende des Torpedos und zeigte auf die Öffnungen in der Hülle. »So, das hier ist ganz wichtig. Da setzt später das Getriebe an.«

Sowinski nickte. »Jens, also Gefreiter Maier hat mir das schon erklärt. Wenn der Aal im Rohr steckt, kann er über das Getriebegestänge noch justiert werden. Tiefe, Geschwindigkeit und so.«

»Ganz richtig«, bestätigte Michael. »Und der Kurs gehört auch dazu. Oft entscheidet sich erst im letzten Moment, wo der Herr Kaleun seinen Aal hinhaben möchte. Da müssen wir dann noch einmal die Voreinstellungen ändern. Das ist sogar eher die Regel.«

»Sehen Sie, Herr Obermaat, ich bin zwar erst kurz dabei, habe aber schon Torpedowissen.«

Michael lachte. »Mag sein, aber so ein Ding auseinandernehmen, wieder zusammensetzen und dann damit einen Fünftausendtonnenpott versenken, das wird wohl noch ein paar Etagen zu hoch sein.«

*

Oberleutnant Kuhnle stand an einem der Karren. Mit der Hand fuhr er die Kontur eines der Torpedos ab. Der spitz zulaufende Torpedokopf hatte auf der Stirnseite ein eingelassenes Gewinde, die Aufnahme für die Gefechtspistole, mit der der Torpedo beim Aufprall auf ein Ziel gezündet wurde. Kuhnle blickte auf. An Deck des Bootes, achtern, bauten sechs Mann an einem Stahlgerüst. Gefreiter Maier gab Anweisungen. Im Innern des Bootes sah sich Michael im Hecktorpedoraum um. Über Michaels Kopf öffnete sich das Torpedoluk. Gefreiter Maier kletterte durch die Öffnung.

»Wir mussten ein wenig basteln, aber jetzt passt es wohl.« Er hielt einen abgescherten Bolzen in der Hand. »Da brauch ich aber noch Ersatz.«

Michael hatte sich einige Bolzen in die Hosentasche gesteckt und wühlte jetzt danach. Er fingerte einen hervor und übergab ihn Maier, der gleich wieder durch das Luk auf Deck kletterte. Die Männer hatten das Gestell schon ausgerichtet und schoben es jetzt auf Position. Maier setzte die Bolzen. Das Gestänge lief schräg in einer Flucht mit der Öffnung des Torpedoluks. Michael zog sich nach oben an Deck und prüfte noch einmal den Zusammenbau. Dann richtete er sich auf und suchte Kuhnles Blick.

»Melde, alles bereit zur Übernahme der Torpedos, Herr Oberleutnant.«

Kuhnle sah zur Bunkerdecke. Schräg über ihm schwebte die Kranvorrichtung, mit der die Torpedos aufgenommen wurden, um sie zum Bootsdeck zu heben. Er blickte wieder zu Michael.

»Dann los, Herr Obermaat.«

Michael gab sofort Anweisungen. Kuhnle trat zurück und drei Mann begannen mit dem Hieven des ersten Torpedos. Nach zehn Minuten schwang der Kran hinüber zum Boot. Die Männer an Deck nahmen den Torpedo in Empfang und setzten ihn in das Gestell über dem Torpedoluk. Mit der Spitze voran wurde der Torpedo Stück für Stück hinuntergelassen. Unter Deck warteten vier Mann. Der Torpedo wurde in Haltezangen aufgenommen, wieder in die waagerechte gebracht und vor eines der beiden Torpedorohre gezogen. Michael kletterte zurück durchs Luk ins Boot. Er hatte die Gefechtspistole schon bereitgelegt und schraubte sie jetzt vorne in den Torpedokopf. Alle Torpedos in den Rohren wurden gleich mit der Gefechtspistole versehen. Michael gab den Befehl zum Einfahren des Torpedos. Die Männer arbeiteten unter höchster Anstrengung, um die gut tausendsiebenhundert Kilogramm schwere Waffe in das Torpedorohr zu schieben. An Deck hatte Maier bereits den nächsten Torpedo in Position gebracht. Es war kaum Zeit zum Ausruhen. Michael gab das Zeichen zum erneuten Abfieren. Nach einer dreiviertel Stunde waren beide Heckrohre belegt. In der darauffolgenden Stunde wurden zwei weitere Torpedos unter Deck gebracht und unterhalb der Flurplatten des Hecktorpedoraums verstaut. Während Michael die Flurplatten wieder verlegen ließ, demontierte Maier mit seinen Männern das Führungsgestell. Der Kran drehte das Gestell und brachte es zum Vorderschiff, wo es am Bugtorpedoluk befestigt wurde. Oberleutnant Kuhnle war unterdessen an Deck gekommen und beobachtete die Arbeiten vom Turm aus. Bis zum Ende der Wache schafften es die Männer noch, die vier Bugrohre zu belegen. Mit dem Wachwechsel hatte Michael frische Leute zur Verfügung und die Arbeiten gingen wieder zügiger voran. Nachdem weitere vier Torpedos unter die Flurplatten des Bugtorpedoraums verbracht waren, blieb nur noch die Belegung der Oberdecktuben. Maier überwachte diese Arbeit, während sich Michael in der Zentrale bei seinen Vorgesetzten einfand.

»Melde Besatz der Torpedos Innerbord abgeschlossen, Herr Oberleutnant. Oberdecktuben werden gerade klargemacht.«

Kuhnle nickte. »Wie lange wird das mit den Oberdecktuben dauern?«

»Ich schätze noch gut vier Stunden, Herr Oberleutnant.«

Kuhnle rechnete. »Dann hätten wir zweiundzwanzig Torpedos, das sind acht mehr, als auf ein Typ-VII-Boot gehen.«

»Zweiundzwanzig Aale«, wiederholte Sieber die Zahl. »Damit könnten es auch zweiundzwanzig Pötte werden, wenn man es geschickt anstellt, was, Herr Obermaat?«

»Kommt auf die Treffsicherheit des Herrn Oberleutnants an, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf.« Michael sah zu Kuhnle.

»Nun lassen Sie den Mann erstmal Luft holen«, erwiderte Sieber und lächelte dabei. »Sie sehen, I WO, der gute Stromm meint, dass es keine Versager geben wird, ist doch vermessen der Mann, oder?«

Der vertraute Ton zwischen Sieber und Michael irritierte Kuhnle im ersten Moment. Er lächelte schließlich und sah Michael dabei an. »Selbstbewusstsein imponiert mir, nur sollte der Herr Obermaat Taten folgen lassen.«

»Gut«, sagte Sieber, »dann haben wir das ja wohl geklärt. Jeder macht seine Arbeit, gibt sein Bestes. Wir nehmen uns vor zweiundzwanzig Pötte zu holen und wenn wir einen Aal vergeuden oder wenn einer nicht reicht, dann muss eben die Zehn-Fünfer genommen werden, um die Quote zu halten.«

*

In Zweierreihe betraten die Männer den hinteren Teil des Kéroman II. Zusammen mit Obersteuermann Petersen führte Michael die Gruppe an. Ein Teil der Mannschaft von U-810 hatte die Übung im Tauchtopf bereits am Tag zuvor absolviert. Die Männer blieben an der Ausgabestation stehen. Der Obersteuermann stellte sich vor die Leute.

»Also, es läuft jetzt wie folgt ab. Zuerst bekommt ihr andere Klamotten und jeder einen nagelneuen Tauchretter. Ist das gleiche Modell wie bei uns an Bord. Wir ziehen uns dann alle dort drüben um.« Er zeigte auf die Umkleide- und Duschräume. »Dann geht es jeweils zu viert in den Tauchtopf. Also so wie immer. Wer war noch nie dabei?«

Matrose Kehl meldete sich.

Petersen nickte Michael zu. »Dein Mann!«

Fünfzehn Minuten später waren die Leute angetreten. Alle hatten sie den braunen Tauchretter wie einen Rettungsring um den Hals gelegt. Einige hatten sich auch schon die Nasenklammer aufgesetzt und näselten mit dem Nebenmann. Petersen trat wieder vor die Gruppe und begann die Leute einzuteilen. Die ersten vier stiegen die Treppe zum Einstieg in den Tauchtopf hinauf. Auf der oberen Plattform warteten schon die Einweiser. Matrose Kehl betrachtete sich das Ganze etwas abseits. Michael stand neben ihm und ordnete noch die Schläuche des Tauchretters.

»So, jetzt mal genau aufpassen!«

Kehl wandte sich Michael zu, blickte auf ihn herunter. »Jawohl, Herr Obermaat.«

Michael war etwas irritiert, er hatte dem Mann noch nie so dicht gegenübergestanden. »Schon mal so einen Tauchretter gesehen?« Michael hielt Kehl das Gerät hin. »Nehmen Sie mal. Das wird jetzt auch Ihrer bleiben, oder hat man Ihnen schon einen zugeteilt.«

Kehl schüttelte mit dem Kopf. »Nein, Herr Obermaat.« Er nahm den Tauchretter und betrachtet ihn nicht sonderlich interessiert.

»Legen Sie mal um.« Als Kehl nicht gleich reagierte, half Michael ihm. »Über den Kopf ziehen und hier unten den Gurt um die Hüfte, damit das Ding nicht abrutschen kann.« Michael stutzte. »Sagen Sie mal, wie groß sind Sie eigentlich?«

»Einen Meter und fünfundneunzig, Herr Obermaat.«

»Warum haben Sie sich nicht zum Heer gemeldet? Sie werden im Boot doch ständig anstoßen.«

»Ich habe mich zu gar nichts gemeldet, Herr Obermaat, wurde eingezogen.« Er zögerte. »Ich bin aber ganz froh, bei den U-Booten zu sein, dann muss ich wenigstens nicht nach Russland.«

»Nach Russland werden wir wirklich nicht fahren, zumindest noch nicht.« Michael schüttelte ungläubig den Kopf. »Na, dann legen Sie endlich Ihren Tauchretter richtig an.«

Kehl fummelte an dem Gurt, fädelte die Lasche ein und zog den Riemen fest. Er befühlte das wulstige Ding, das seine Brust nur halb bedeckte. »Wozu sind die Schläuche?«

»Komme ich gleich zu«, antwortete Michael. »Zeigen Sie erstmal, ob alles sitzt. Man der ist ja fast zu klein für Sie. Sind Sie Gewichtheber?«

»Nee, Herr Obermaat, ich schleppe Kohlen, mein Vadder hat ’ne Kohlenhandlung. Ich fahr Kohlen aus und bring sie den Leuten in Keller und manchmal auch in den fünften Stock, wenn das so gewünscht wird.«

»Kohlen!«

»Jawohl, Herr Obermaat, Doppelzentner auf’n Buckel und dann ab.«

»Das sieht man.« Michael schüttelte wieder den Kopf, dann zog er am Luftsack des Tauchretters. »Das darf nicht wegrutschen, sonst kommt das Ding nach oben und Sie bleiben unten.«

»Wieso unten bleiben?«, fragte Kehl.

»Na, weil Sie unten im Boot sind und der Tauchretter Sie an die Wasseroberfläche bringen soll.« Kehl sah Michael weiterhin mit offenem Mund an. Michael zögerte. »Also, stellen Sie sich vor, wir haben einen Treffer abbekommen, das Boot sackt weg, bis auf den Grund und die Zellen lassen sich nicht mehr anblasen. Der Kaleun befiehlt dann die Tauchretter anlegen und aussteigen.«

Kehl nickte. »Und man kommt tatsächlich aus dem Boot raus, aber die Luks sind doch verschlossen, das Boot würde ja volllaufen, wenn man plötzlich die Luks öffnet.«

Michael überlegte. »Ja, da muss schon alles stimmen. Man darf nicht zu tief liegen, höchsten fünfzig, sechzig Meter. Der Ausstiegsbereich muss innen geflutet sein, damit der Druck im Boot und außerhalb etwa gleich ist, sonst kriegt man die Deckel tatsächlich nicht auf. Unter Umständen lassen sich die Luks aber auch absprengen.«

»Sechzig Meter«, wiederholte Kehl. »Und die muss ich dann bis zur Oberfläche schwimmen.«

»Sie brauchen nicht zu schwimmen, Sie kommen von ganz alleine hoch. So, und jetzt hören Sie mal zu, ich fang noch mal von vorne an. Mit dem Tauchretter können Sie unter Wasser atmen, und zwar über das Mundstück. Damit das einfacher geht, setzen Sie die Nasenklammer auf. Machen Sie mal.«

Kehl befühlte den Tauchretter, bis er die Leine gefasst hatte, an deren Ende die Nasenklammer hing. Er setzte sie auf und sofort wieder ab. »Die ist zu fest.«

Michael trat näher, nahm ihm die Klammer ab und bog sie ein Stück auseinander. »Jetzt mal probieren.«

Kehl setzte die Nasenklammer wieder auf und nickte.

»Versuchen Sie mal durch die Nase Luft zu holen«, befahl Michael.

Kehl bemühte sich. »Geht nicht«, näselte er.

»Dann erfüllt sie ihren Zweck, also weiter. Das Mundstück hier kommt wie gesagt in den Mund. Sie atmen dann nur noch darüber ein und auch wieder aus. Das Mundstück ist wie ein Ventil. Machen Sie mal.«

Kehl war jetzt in Übung. Er biss in das Mundstück und begann gleich wie befohlen ein- und auszuatmen.

Michael beobachtete ihn dabei. »Das ist gut«, ermunterte er Kehl. »So und nun zur Theorie. Zwei Schläuche. Der eine geht hier in die Patrone, die mit Atemkalk gefüllt ist. Wenn man ausatmet, dann entsteht nämlich Kohlendioxid, das ist giftig. Mit dem Atemkalk wird das Kohlendioxid gebunden. Können Sie folgen?«

Kehl nickte und atmete weiterhin durch das Mundstück ein und aus.

»Der Rest der ausgeatmeten Luft, also ohne das giftige Kohlendioxid, geht dann in den Atemsack, der sogenannten Gegenlunge, denn wenn Sie wieder einatmen, kommt die Luft aus dem Sack. Unter Wasser ist das die einzige Luft, die sie haben. Verstanden, Matrose?«

Kehl nickte erst nur, nahm dann aber das Mundstück heraus. »Jawohl, Herr Obermaat.«

»Dann weiter. Das Kohlendioxid ist ein Gas, das in der Kalipatrone, also im Atemkalk, verschwindet. Dabei wird die Luft immer weniger, kann irgendwann sogar ganz weg sein und damit das nicht passiert, wird Sauerstoff nachgeführt. Dafür gibt es die kleine Stahlflasche hier.«

Kehl hatte das Anhängsel noch gar nicht bemerkt. Sofort schraubte er am Verschluss der Sauerstoffflasche, bis es kurz zischte.

»Gut, so ist es richtig«, lobte Michael ihn.

»Jawohl, Herr Obermaat.«

»Sie sehen, der Tauchretter bläst sich jetzt auch auf, schließlich soll er ja wie eine Rettungsweste funktionieren und sie an die Wasseroberfläche ziehen. Sie können mit dem Tauchretter also unter Wasser atmen und werden gleichzeitig wieder an die Luft befördert. Das werden wir dort drüben gleich einmal ausprobieren.« Michael zeigte auf den Tauchtopf, aus dem bereits die Männer der ersten Gruppe triefendnass herausstiegen. »Soweit alles verstanden, Matrose?«

»Jawohl, Herr Obermaat.« Kehl folgte Michaels Blick hinüber zum Tauchtopf. »Ist das da geheizt?«

Michael sah Kehl an und zögerte, bevor er antwortete. »Natürlich, wurde mit Atlantikwasser geheizt.« Er wandte sich ab und suchte den Blick des Obersteuermanns, der gerade die nächste Gruppe hinauf zum Einstieg des Tauchtopfes schicken wollte. Dann sah er wieder zu Kehl. »Wir werden die Übung jetzt gemeinsam absolvieren, und zwar sofort.«

Michael legte sich ebenfalls einen Tauchretter um, setzte sich die Klammer auf die Nase, prüfte das Mundstück und drehte das Ventil der Sauerstoffflasche auf. Er ließ Kehl vorangehen. Oben auf der Plattform wurde ihnen beim Einstieg in den Tauchtopf geholfen. Innen hielten sie sich am Rand fest. Michael zeigte auf eine Schiene, die in die Tiefe des Beckens führte.

»Das geht hier nur vierzehn Meter runter. Wir halten uns an dem Gewicht dort fest und werden dann nach unten gezogen. Wenn wir unten sind, lassen Sie erst los, nachdem ich Ihnen auf die Schulter geklopft habe. Sie sollen lernen, durch das Mundstück zu atmen. Wenn Ihnen allerdings schlecht wird, dann lassen Sie sofort los. Verstanden Matrose?«

»Jawohl, Herr Obermaat!«, näselte Kehl zitternd.

»Dann noch eins, das Wichtigste. Wenn wir zusammen aufsteigen, dann bleiben Sie immer bei mir. Wir werden versuchen, langsam aufzusteigen, um es zu üben. Bei vierzehn Metern ist es nicht ganz so schlimm, aber wenn man aus einer noch größeren Tiefe aufsteigt, dehnt sich die Luft in der Lunge sehr stark aus, je höher man kommt. Das ist wegen des Wasserdrucks, der abnimmt, je höher man kommt. Auf jeden Fall nie überhastet aufsteigen, niemals, das ist das Wichtigste, woran Sie denken sollten. Haben Sie das auch verstanden, Matrose?«

»Jawohl, Herr Obermaat, langsam aufsteigen.«

»Dann sollten Sie auch beim Atmen auf etwas achten. Während des Aufstiegs immer flach einatmen, aber tief ausatmen. Können Sie das? Machen Sie mal, flach einatmen, tief ausatmen.«

Kehl versuchte es. Er brauchte ein paar Atemzüge, dann hatte er es raus.

»Gut, noch drei-, viermal«, forderte Michael den Matrosen auf. »Flach einatmen, ja richtig und jetzt wieder tief ausatmen, sehr gut.«

Kehl nickte, musste dann husten und nahm das Mundstück wieder heraus.

Michael wartete, bis Kehl den Husten überwunden hatte. »Sind Sie bereit?«

»Jawohl, Herr Obermaat.«

Sie setzen beide das Mundstück ein, überprüften ihre Nasenklammern und griffen den Bügel des Fallgewichts. Michael wartete noch ein paar Sekunden, dann gab er dem Bedienpersonal Zeichen und das Gewicht wurde gelöst. Die Männer glitten in die Tiefe. Matrose Kehl hatte keine Schwierigkeiten durch das Atemgerät Luft zu holen. Sie blieben zwei Minuten am Grunde des Tauchtopfs. Michael stieß Kehl an, sie drückten sich vom Grund ab, hielten sich beim Aufstieg immer wieder an der Laufschiene des Gegengewichtsschlittens fest, bis sie wieder die Oberfläche erreicht hatten. Michael nahm das Mundstück heraus. Er wischte sich mit der Hand über den Mund.

»Wir machen es gleich noch einmal. Wenn es nach oben geht, versuchen Sie mit den Händen dagegen zu rudern, um den Aufstieg zu verlangsamen. Drücken Sie jetzt auch ein bisschen Gas aus dem Atemsack, verstanden?«

Kehl nickte heftig. Er presste mit einem Arm gegen den Tauchretter. Michael zeigte auf das Ventil und öffnete es. Blasen stiegen auf, als Kehl wieder gegen den Atemsack drückte.

»Gut so, Matrose.«

Das Gegengewicht war inzwischen wieder nach oben gezogen worden. Die Männer hielten sich am Schlitten fest, Michael gab Zeichen und sie glitten ein zweites Mal nach unten. Nach einer Minute stießen sie sich wieder vom Grund ab. Kehl ruderte so heftig mit den Armen, dass er anfangs hinter Michael zurückblieb. Sie erreichten dann aber gemeinsam die Oberfläche.

»Das war gut, je langsamer Sie aufsteigen, umso besser. Lassen Sie das Mundstück stecken, wir machen noch einen letzten Durchgang.«

Kehl nickte. Der Schlitten kam an die Oberfläche, die Männer hielten sich an den Griffen fest und wurden sofort nach unten gezogen. Auch beim dritten Aufstieg verhielt sich Kehl weiterhin ruhig. Als man ihnen aus dem Tauchtopf half, wartete schon die nächste Gruppe.

Michael nickte anerkennend. »Haben sich gut gehalten, Matrose.«

Kehl hatte endlich das Mundstück herausgenommen. »Danke, Herr Obermaat.« Er begann zu zittern. »Scheiße, jetzt wird’s aber langsam kalt.«

*

Im Kéroman II hatte die Flottillenverwaltung einige Schreibstuben, die von den U-Boot-Kommandanten als Büros genutzt wurden. Kaleun Sieber teilte sich einen Raum mit Kapitänleutnant Carl Emmermann, dem Kommandanten von U-172. Emmermann war seit gestern auf Heimaturlaub. Michael klopfte an die schmale Holztür und trat unaufgefordert ein. Sieber blickte vom Schreibtisch auf.

Michael nahm Haltung an. »Ober-Mechaniker-Maat Stromm meldet sich wie befohlen beim Kommandanten.«

»Lassen Sie mal sein, Stromm«, wehrte Sieber ab. »Nehmen Sie Platz. Zigarette?« Sieber zögerte, »oder lieber einen Cognac?«

Michael überlegte nicht lange. »Cognac bitte, Herr Kaleun.«

Sieber bückte sich und holte aus der untersten Schublade des Schreibtischs eine in Stroh eingewickelte Flasche hervor. »Die habe ich von Emmermann, der weiß immer, wo man die besten Sachen bekommt. Hat er mir als nachträgliches Weihnachtsgeschenk vermacht. Ich hatte allerdings nichts für ihn, aber ich will wohl meinen, dass sich Emmermann schon selbst reichlich beschenkt hat. U-172 hat nämlich siebenundsechzigtausend Tonnen Schiffsraum auf Grund gesetzt, stolze Leistung, was?«

»Jawohl, Herr Kaleun. Und was hat er dafür eingesetzt, ich meine, wie haben die Torpedos getroffen, wie zuverlässig war das Material?«

Sieber lächelte, stand von seinem Stuhl auf und ging zu einem der Schränke im Raum. »Moment Mal, der Emmermann hatte doch ein paar anständige Gläser in seinem Spint.«

Er öffnete eine Schranktür, nahm zwei Cognacschwenker und ein geheftetes Bündel Papiere heraus. Er kam zum Schreibtisch zurück, legte die Papiere vor Michael hin und stellte eines der Gläser darauf. Während Sieber einschenkte, hatte Michael schon erkannt, worum es sich handelte. Es war die Abschrift der letzten Kriegstagebucheintragungen von U-172. Auf der ersten Seite gab es eine Zusammenfassung. Statistiken über die ausgegebene Verpflegung, die verschossenen Granaten, die verbrauchte Treibölmenge und über einiges mehr. Die Torpedowaffe war in einer separaten Tabelle aufgeführt. U-172 war mit nur achtzehn Torpedos ausgelaufen und wurde während der Unternehmung mit sieben weiteren Torpedos nachversorgt.

»Das ist doch ganz anständig«, kommentierte Michael, nachdem er die Zahlen überflogen hatte.

»Das haben Sie natürlich nicht gesehen, Stromm.« Sieber reichte Michael einen Aktendeckel herüber. »Legen Sie das mal darauf, wollen ja nicht, dass es Flecken gibt.«

Michael deckte die Papiere ab und nahm einen Schluck Cognac. Sieber prostete ihm schweigend zu und nippte ebenfalls an seinem Glas.

»Ich muss noch ein Versprechen einlösen, Stromm. Sie wissen schon was ich meine.«

Michael schwieg.

»Ich bin davon überzeugt, dass es Leute gibt, die ihre Arbeit gut machen, sehr gut sogar, und die sie immer sehr gut machen werden und denen man keinen Gefallen tut, wenn man sie nach oben bringt, also in der Hierarchie. Bei Ihnen ist das anders, Stromm, Sie würden Ihre Chance nutzen und Sie hätten es auch verdient. Sie wissen ja, dass ich so über Sie denke.«

»Danke, Herr Kaleun.« Michael setzte sein Glas wieder auf dem Tisch ab und richtete sich etwas in seinem Stuhl auf.

»Ich will es kurz machen«, fuhr Sieber fort. »Ich habe jetzt Antwort vom B.d.U. Sie folgen meiner Empfehlung und werden Sie zum Offiziersanwärterlehrgang befehlen. Ich verliere zwar meinen besten Torpedomixer, aber so ist das eben. Im Juni geht es für Sie los. Solange bleiben Sie noch an Bord, aber ich will trotzdem sehen, dass dies vorerst Ihre letzte Fahrt auf U-810 wird.«

Michael räusperte sich. »Ich darf sagen, dass ich mich sehr freue, Herr Kaleun, danke, vielen Dank.«

Sieber winkte ab. »Ich habe ja nicht allein entschieden, ich habe ja lediglich eine Empfehlung abgegeben und außerdem ist Ihnen auch der Krieg ein wenig zu Hilfe gekommen.« Der Kaleun schenkte noch einmal die Gläser nach.

Michael nickte. »Ich weiß selber, dass mir unter normalen Umständen eine Offizierslaufbahn nicht möglich wäre.«

»So habe ich es nicht gemeint. Sie dürfen sich nicht kleiner machen als Sie sind. Es gibt immer Mannschaftsgrade und Unteroffiziere, die das Zeug zum Offizier haben und genauso gibt es Offiziere, denen man am liebsten ihre Schulterklappen abreißen möchte. Nutzen Sie Ihre Chance.«

»Das werde ich, Herr Kaleun.«

»Für Sie geht’s dann im Sommer nach Mürwik. Kennen Sie Flensburg?«

»Nein, Herr Kaleun, noch nie da gewesen. Ich war zur U-Boot-Ausbildung in Kolberg.«

»Aber Sie haben schon von der Roten Burg gehört, dem Hauptquartier der Marineschule Mürwik.«

Michael schaute Sieber verlegen an. »Ja, Herr Kaleun, ich habe mich natürlich schon erkundigt.«

»Dann wissen Sie auch, dass es keine leichten sechs Monate werden. Schon die Unterkunft in Mürwik ist bescheiden. Die Offiziersanwärter werden ins Danziglager gesteckt, das sind ganz üble Baracken. Da werden Sie sich noch einmal nach der Gemütlichkeit auf unserem Boot zurücksehnen. Ja und dann verlangt natürlich auch der Lehrgang eine Menge von Ihnen. Da zählt nicht allein Ihre Erfahrung als Soldat und Seemann.« Sieber zögerte. »Können Sie übrigens reiten?«

Michael lächelte. »Ich weiß was Sie meinen, Herr Kaleun. Ich habe gelesen, dass die Marineschule einen eigenen Reitstall unterhält. Ein Offizier muss auch zu Pferde eine gute Figur machen, zumindest war das wohl so, bevor es Motorräder gab. Aber ich kann Sie beruhigen. Ich komme vom Lande und dann hat mein Vater auch noch eine Sattlerei. Ich bin daher schon als Kind geritten, zwar nicht elegant, aber ich kann mich auf einem Pferd behaupten.«

»Wieso Motorräder?«, fragte Sieber.

»Entschuldigung, Herr Kaleun. Wenn ich nicht U-Boot fahre, dann fühle ich mich auf meinem Motorrad am wohlsten. Ich habe zu Hause bei meinen Eltern eine alte BMW, an der ich gelegentlich bastle.«

»Ein Krad, ach darum.« Sieber nickte. Dann überlegte er. »Ich habe mal nachgeschaut. In Mürwik würden Sie zum Jahrgang Crew II/43 gehören. Mein Gott, wenn ich bedenke, elf Jahre ist das bei mir schon wieder her. Zu meiner Zeit gab es jedes Jahr immer nur einen Lehrgang. War soweit wohl auch in Ordnung, wenn es die Crew 32 damals nicht so hart erwischt hätte.«

Die Männer schwiegen einige Sekunden. Michael kannte die Geschichte der Crew 32, dem Niobe-Jahrgang. Mit dem Untergang des Segelschulschiffes Niobe waren über sechzig junge Offiziersanwärter des Jahrgangs 1932 ausgelöscht worden. Sieber war an dem Schicksalstag ebenfalls auf der Niobe, wurde aber von einem Bauern aus den Fluten gerettet. Sieber erzählte gerne, dass er noch heute Kontakt zu dem Mann habe und dass er ihm vor Jahren seine allererste Kriegsauszeichnung nach Fehmarn geschickt hatte.

Sieber ergriff den bauchigen Cognac-Schwenker. »Auf die Crew 32 und auf die Crews des Jahrganges ’43.«

Beide Männer leerten ihre Gläser in einem Zug.

Sieber schmatzte mit den Lippen. »Emmermann hat einen guten Geschmack, muss man ihm wirklich lassen. Übrigens, von Ihrem Lehrgang machen wir vorerst nicht viel Aufheben. Die Mannschaft und auch die Offiziere werden erst nach dieser Fahrt von mir unterrichtet. Ich bitte Sie, es auch so zu halten, ist wirklich besser. Nichts ist schlimmer, als wenn alle wissen, dass man seine Abschiedsvorstellung gibt.«

»Jawohl, Herr Kaleun.«

*

Die Maschine hielt an der Einfahrt zum Hafengelände. Michael drehte sich um und erkannte den Kradmelder. Sie hatten sich vor zwei Tagen über das Motorrad unterhalten.

»Wo soll’s hingehen?«

»Nach Lorient rein. Kennen Sie den Marinebunker in der Rue Monsun.«

»Werd’ ich schon finden. Steigen Sie auf.«

Michael kletterte auf den Sozius und hielt sich am Bügel vor dem Sitz fest. Das Motorrad fuhr an, verließ den Hafen und flitzte nach wenigen Minuten durch die engen Straßen der Altstadt. Ohne Stopp erreichten sie die Rue Monsun. Nachdem Michael abgestiegen war und sich für das Mitnehmen bedankt hatte fuhr der Kradmelder sofort weiter. Auf dem Platz vor dem Wohnbunker standen einige der Männer von U-810. Sie grüßten lässig, als Michael an dem Posten vorbeiging und den Vorraum betrat. An einem Brett hing die Anwesenheitsliste, in die sich Michael eintrug. Beim Verlassen des Bunkers würde er seinen Namen wieder ausstreichen. Es war keine zuverlässige Anwesenheitskontrolle, aber es war Vorschrift. Im Wohnbunker der 10. U-Boot-Flottille durften sich nur Mannschaften und Unteroffiziere aufhalten, die auf Freiwache waren, aber auch dies wurde von den Offizieren nicht kontrolliert. Hinter der schweren Stahltür, die Michael wieder sorgfältig verschlossen hatte, begann es muffig zu riechen. Beim Eintreten war es jedes Mal unangenehm, aber nach wenigen Minuten nahm man den Bunkermief schon nicht mehr wahr. Michael kannte schlechtere Quartiere. Am schlimmsten waren die engen und feuchten Wohnschiffe der Ausbildungsflottille in Danzig und in Drontheim, die jede kleinste Bewegung und Unruhe im Hafenbecken mitmachten. Michael hörte Stimmen und Musik. Die Laute drangen gedämpft aus einem der Aufenthaltsräume des Wohnbunkers. Er ging den Flur entlang. Die kahlen Bunkerwände waren hellgrau gestrichen. Die Maserung der Verschalung war auf dem Beton zurückgeblieben. Die Wandflächen wirkten damit so, als wären sie aus kaltem, versteinertem Holz errichtet. Als Michael den Aufenthaltsraum betrat kam ihm der Duft frischen Kaffees entgegen. An den Tischen wurde Karten gespielt. Zwei Mann saßen sogar vor einem Schachbrett. Michael fand unter dem dreckigen Geschirr eine noch halbwegs saubere Tasse, spülte sie aus und nahm sich einen Kaffee, schwarz mit drei Löffeln Zucker. Er setzte sich zu den Kartenspielern. Gefreiter Hoffmann zeigte ihm vertraulich sein Blatt.

»Die Jungs zieh’ ich aus, das wird’n Schneider.«

»Ja, hat er denn die Buben?«, rief Obergefreiter Schlenker über den Tisch und grinste dabei. Mit einem kräftigen Schlag donnerte er eine Piksieben auf die Tischplatte. Matrose Sprenger gab wortlos eine Herzsieben dazu.

»Na sieh an, hat der kein Pik mehr«, kommentierte Hoffmann und ließ seinerseits eine Pikacht auf die anderen beiden Karten gleiten. Dann griff er sofort nach dem Stich, zog ihn zu seinem Haufen herüber und legte nun selbst eine Karte vor.

Michael beobachtete noch einige Stiche und es schien wirklich so, dass Hoffmann ordentlich punktete. Schlenker begann nun zu fluchen, während Sprenger weiterhin still blieb. Auf dem Grammophon im Aufenthaltsraum lief die ganze Zeit ein Schlager. Nach den letzten Takten war es für einige Sekunden still, dann setzte die Musik wieder ein. Noch war nicht herauszuhören, was gespielt wurde, doch dann donnerte es plötzlich los:

»[...] Der Onkel Eduard aus Bentschen, der ist der beste aller Menschen. Er hat ein dickes, dickes Portemonnaie und darum freue ich mich, wenn ich ihn seh [...].«

Alle wandten sich fast gleichzeitig um. In der Ecke am Grammophon stand Matrose Kehl und drehte die Lautstärke noch ein Stück auf:

»[...] der Onkel Eduard aus Bentschen, der ist so gut wie ein Papa [...].«

»Hey Kehl, mach’ den Scheiß aus«, brüllte Greimel, »das ist ein Befehl!«

»Ich will die Serrano wieder hören«, stimmte Schlenker ein, », und zwar hopp, hopp.«

Kehl schaute seine Kameraden beleidigt an. Er nahm den Tonarm hoch, sodass die Musik abrupt verstummte. Er beeilte sich nicht, die andere Schallplatte wieder aufzulegen.

»Wird’s bald«, brüllte Schlenker ungeduldig.

Die Platte kratze kurz auf, eine Klarinette setzte ein und dann erklang wieder Rosita Serranos Stimme. Die Musik war aber zu laut, sodass der schweigsame Sprenger aufstand, zum Grammophon ging und den Regler herunterdrehte. Unterdessen schob Kehl seine Platte in eine abgewetzte Papphülle. Dann äffte er ein-, zweimal die Stimme von Rosita Serrano nach und zog dabei das Wort »Mohn« aufreizend in die Länge. Schließlich ging Kehl an seinen Platz zurück und las weiter in einem Buch.

Michael hatte die ganze Szene schweigend beobachtet, jetzt wandte er sich wieder den Kartenspielern zu. Hoffmann, Sprenger und Schlenker beendeten ihren Skat. Hoffmann zählte mit bedenklicher Mine seine Stiche zusammen. Schlenker grinste wieder. Er hatte schon im Kopf gerechnet und wusste, dass es nicht reichen würde.

»Scheiße!«, sagte Hoffmann laut. »Das habe ich diesem Onkel Eduard zu verdanken. Verdammte Scheiße!«

Für das nächste Spiel gab Sprenger die Karten. Michael schaute noch bei zwei Runden zu, dann hatte er seinen Kaffee ausgetrunken. Den letzten Schluck schwenkte er im Becher und löste damit den restlichen Zucker auf, der sich am Becherboden abgesetzt hatte. Als Hoffmann wieder über ein verlorenes Spiel meckerte, verabschiedete er sich. Er verließ den Aufenthaltsraum. Michael ging erst duschen und legte sich dann für eine gute Stunde auf seine Pritsche in der Schlafzelle, die er zusammen mit Manfred Keicher bewohnte. Keicher hatte noch Dienst an Bord von U-810 und so blieb Michael ungestört. Er war einmal kurz eingeschlafen. Als er dann erwachte, schaltete er die Nachttischlampe ein. Er nahm sich die beiden Bücher, die er zum Fest geschenkt bekommen hatte, und blätterte darin. Er begann schließlich im ersten Band zu lesen. Nach zehn Seiten legte er das Buch aber auf den Nachttisch zurück, schaltete das Licht wieder aus und döste noch einige Zeit.

Um sechs Uhr sollte das Abendbrot für die Mannschaften geliefert werden. Michael hatte schon vorher Hunger. Kurz nach fünf erschien er wieder im Aufenthaltsraum des Wohnbunkers. Es war leerer geworden. Die Schachspieler saßen noch an ihrem Platz, einige der Lords schrieben Briefe oder lasen eine Zeitung. Das Grammophon war ausgeschaltet. Michael schnitt sich zwei Scheiben Brot ab und bedeckte den Brotlaib wieder mit dem weißen Leinentuch. Er fand einen Rest Butter, schmierte sich die Brote und bestreute das Ganze schließlich noch mit etwas Salz. Er blickte sich im Aufenthaltsraum um. Matrose Kehl saß immer noch in der Ecke, über sein Buch gebeugt. Michael überlegte kurz, dann ging er hinüber zu ihm.

»Stör ich?«

Kehl hob den Kopf und als er Michael vor sich stehen sah, richtete er sich in seinem Stuhl etwas auf. »Nein, nein, Herr Obermaat. Bin grad’ nur so am Lesen, Sie stören nicht.«

Michael zog sich vom Tisch gegenüber einen Stuhl heran und setzte sich. Den Teller stellte er vor sich ab. Dann deutete er auf die Brote. »Das habe ich als Kind geliebt, einfach nur dick Butter und Salz drauf.«

»Sieht lecker aus«, erwiderte Kehl.

Michael schob den Teller ein Stück in Kehls Richtung »Wollen Sie auch was?«

Kehl schüttelte den Kopf. »Nein, nein, danke. Ich kann noch warten, gibt ja in einer Stunde Suppe.«

Michael zog den Teller wieder zu sich, nahm eine Scheibe Brot und biss hinein.

»Guten Appetit!«

Michael nickte kauend. Er schluckt den Bissen herunter und deutete dann auf das Buch, das Kehl noch immer aufgeschlagen in den Händen hielt. »Was lesen Sie da?«

Kehl hob sofort den Buchdeckel an. »Ein Tatsachenbericht von Kapitänleutnant Jost Metzler von U-69, ganz frisch rausgekommen.« Seine Stimme klang euphorisch. »Habe ich mir vor ein paar Wochen gekauft, als ich noch nicht ahnen konnte, dass ich nun auch bald selbst rausfahre, also auf einem U-Boot rausfahre. Haben Sie schon mal von Kaleun Metzler gehört, Herr Obermaat.«

»Metzler, der Name ist doch bekannt«, bestätigte Michael. »und U-69 liegt derzeit im Kéroman II. Die gehen auch bald auf See, und zwar unter Kapitänleutnant Gräf.«

Kehl bekam große Augen. »Was, U-69 aus dem Buch hier liegt in Lorient?«

Michael nickte. »Ja, noch bis zum 2. Januar, glaube ich, wenn nichts dazwischenkommt. U-69 ist ein VII-C-Boot. Sie haben es ganz sicher schon gesehen.«

»Gesehen, ich, wann?«, fragte Kehl überrascht.

»Bei der Rettungsübung waren wir doch im Kéroman II. U-69 lag in einer der Trockenboxen.«

»Das war U-69?« Kehls Augen waren noch größer geworden. »Da muss ich unbedingt noch mal hin. Vielleicht ist ja noch jemand von Metzlers Mannschaft an Bord. Da hole ich mir ein Autogramm für mein Buch.« Kehls Augen strahlten regelrecht.

»Darf ich mal sehen?«, bat Michael. Kehl reichte ihm das Buch und Michael blätterte kurz darin. Dann schaute er Kehl wieder an. »Sie wissen, dass das immer auch ein bisschen Propaganda ist, soll junge Burschen wie Sie für die U-Boot-Waffe begeistern.«

»Ja, mag sein«, druckste Kehl, »aber es basiert doch schließlich auf Tatsachen und kann darum nicht ganz so verkehrt sein, oder?«

»Das nicht, nur wenn wir mit U-810 auf Fahrt gehen, dann werden Sie wohl oder übel Ihre eigenen Erfahrungen machen. Dann dürfen Sie nicht erwarten, dass Sie ein Abenteuer erleben, so wie es vielleicht in Metzlers Buch beschrieben ist.«

Kehl wurde nachdenklich. »Ich wollte eigentlich auch die Schallplatte mit an Bord nehmen.«

»Welche Schallplatte?« Michael wusste erst nicht, was Kehl meinte, doch dann viel es ihm ein. »Ach, Sie meinen diesen Onkel Eduard aus Bentschen, um den es vorhin beinahe Ärger gegeben hätte.«

»Ja, Metzler hatte die Platte auch an Bord.« Kehls Stimme klang nun fast ein wenig traurig. »Der Onkel Eduard, also die Musik, war dann irgendwie eine Art Talisman auf Metzlers Boot. Ich dachte, das könnte bei uns auch ganz lustig sein.«

»Ihr Onkel Eduard hat nicht sehr viele Freunde unter den Lords, fürchte ich.«

Kehl lachte auf. »Keinen Einzigen, nicht einen. Greimel hat sogar behauptet, dass es Judenmusik sei, aber das kann doch nicht sein, sonst hätte Metzler den Onkel Eduard doch niemals auf seinem Boot spielen lassen, oder?«

Michael zuckte mit den Schultern. »Der Onkel Eduard hat jedenfalls keine Chance gegen die Serrano, fürchte ich.«

»Na ja, was soll‘s, ist vielleicht auch besser so. Mein Alter hat mich nämlich beschworen, die Platte wieder heil mit nach Hause zu bringen. Ich werd’ sie gar nicht an Bord nehmen, aber das Buch nehme ich mit.«

*

Die Männer standen in einer geordneten Schlange. Obersteuermann Petersen hatte die Aufsicht. Es ging zügig voran. Drei Matrosen waren für die Ausgabe abgestellt. Einer verteilte das U-Boot-Päckchen und die Seestiefel, einer das Kölnisch-Wasser und der Dritte die Schokolade. Matrose Kehl hatte die Bordkleidung gerade in Empfang genommen. Es war das kleine U-Boot-Päckchen, also gab es auf dieser Fahrt keine Wollsachen. Kehl hielt sein U-Boot-Päckchen vor dem Oberkörper und ließ sich die beiden Fläschchen Kölnisch-Wasser und die drei Dosen Fliegerschokolade noch darauflegen. Als er zur Seite trat rutschten ihm die Sachen beinahe herunter, er konnte es gerade noch verhindern.

Der Tauschhandel hatte schon begonnen. Die Schokolade war natürlich sehr begehrt und wurde nur von wenigen der Männer verkauft oder gegen das Kölnisch-Wasser eingetauscht. Gefreiter Weiss, der Smutje, gehörte zu diesen wenigen. Er hatte aus seinen zwei Fläschchen bereits neun gemacht und er handelte gerade um eine zehnte. Michael trat dazu.

»Hier Theo, Nummer elf und Nummer zwölf, kleines Geschenk von deinen dich liebenden Torpedomixern.«

Michael forderte keine Gegenleistung, noch nicht, denn das würde auf der Fahrt bestimmt noch kommen. Es war eben immer von Vorteil, sich den Schiffskoch gewogen zu halten.

Schlenker kam vorüber und blieb stehen. Er sah die Ausbeute des Smutjes und schüttelte den Kopf. »Wenn die Fressalien einmal nach dem Zeugs da schmecken, dann hau ich dir eine runter, das schwöre ich.«

Weiss ließ sich nicht beeindrucken. Er lachte. »Ihr wollt doch immer, dass ich mal französisch koche, dafür brauch’ ich nämlich das Parfum, du Ochse.« Das Wort Parfum sprach Weiss dabei ganz und gar nicht französisch aus.

Schlenker zog schließlich weiter, ohne noch etwas zu erwidern. Weiss steckte sein volles Dutzend Fläschchen in eine Leinentasche und strebte der Stelling zu. Er konnte seine Habseligkeiten schon jetzt an Bord zu verstauen. In seiner Küche gab es dafür immer noch ein Plätzchen. Michael betrachtete sich die Schokolade. Er hätte sich jetzt, gerade in diesem Augenblick, gerne ein Stück genommen, aber er wusste, dass er es später bereuen würde. Er zögerte, verteilte die Dosen schließlich auf die Taschen seiner Uniformjacke und ging.

*

»Kaffee?«, fragte Manfred Keicher.

Michael blickte auf, schob gleich das Lesezeichen zwischen die Seiten und schlug das Buch zu, in dem er gelesen hatte. Manfred Keicher stellt eine dampfende Tasse auf den Tisch und setzte sich zu ihm.

»Danke!« Michael nahm die Tasse und trank vorsichtig einen Schluck. »Hast sogar an den Zucker gedacht.«

Manfred Keicher nickte und griff dann nach Michaels Buch. »Zeig mal, was lieste denn da immer?«

»Bordlektüre, Familiengeschichte aus dem alten Ostpreußen, lag unterm Tannenbaum.«

»Die Barrings«, las Manfred Keicher den Titel laut vor. Er wiegte das Buch in der Hand. »Ganz schöner Wälzer, was. Und, ist es gut?«

»Nicht grad’ ein Abenteuerroman, aber recht unterhaltsam, wenn man es historisch mag.«

»Ach, nee, nich’ doch!«, stöhnte Keicher auf. Dann blätterte er aber doch in dem Buch, begann auf irgendeiner Seite zu lesen, überflog ein paar Zeilen, blätterte weiter und las auf einer anderen Seite. »Oh, hier steht was von Bismarck.«

Michael nickte. »Es spielt zu Kaiserszeiten, Wilhelm Eins und Fürst Bismarck.«

Manfred Keicher blickte hinüber zum Nachbartisch, an dem Obermaat Klaus Lischke in einer Zeitung vertieft saß. Dann sagte er laut: »Da fällt mir ein, hat sich der Führer nicht in eine Reihe mit dem Alten Fritz, mit Bismarck und mit dem ollen Hindenburg gestellt?«

Michael hatte gleich verstanden, was Manfred Keicher vorhatte. Er sah ebenfalls zu Lischke hinüber, der so tat, als wenn er nichts gehört hätte. Lischke blätterte sogar ganz unbeteiligt die Zeitung um und heftete seine Augen auf einen der Artikel.

Michael räusperte sich, bevor er antwortete. »Also, ich erklär’ dir das mal. Bismarck war Reichskanzler und Hindenburg Reichspräsident. Der Führer ist beides, also ist das doch nicht ganz so verkehrt, dass er dazugehört, in diese Reihe, mein’ ich, oder?«

»Moment Mal, Moment Mal«, trumpfte Manfred Keicher auf. »Unser Führer ist aber doch nicht der König von Preußen, wie es der Alte Fritz war, das kann man doch wohl nun nich’ behaupten.«

Lischke sah endlich auf. Er faltete die Zeitung zusammen, als wenn er im Begriff sei aufzustehen, aber er blieb sitzen als wenn er auf Michaels Antwort wartete.

Michael tat ihm den Gefallen. Er räusperte sich erneut »Hör’ mal zu, Manfred. Der Nachfolger vom König oder eben auch vom Kaiser ist doch der Reichspräsident und so hat das alles wieder seine Richtigkeit.« Michael zählte mit den Fingern noch einmal auf. »Alter Fritz, Bismarck, Hindenburg und schließlich unser geliebter Führer Adolf Hitler. Eine Reihe und in einem Atemzug zu nennen, oder?«

Manfred Keicher rieb sich das Kinn. »Ich merke schon, du hast da mehr Ahnung von, als ich. Vielleicht sollte ich doch mal dieses Barring-Buch lesen.«

Michael zuckte mit den Schultern. »Kannst es gerne haben, wenn ich damit durch bin. Gibt sogar noch ’ne Fortsetzung.«

»Noch so’n Wälzer?«

Michael nickte.

»Ach nee, ich lass es doch lieber bleiben. Ich hab’ das ja jetzt verstanden, wie das mit dem Führer, dem Alten Fritz und mit Hindenburg und Bismarck is’.« Manfred Keicher zwinkerte Michael zu.

Obermaat Lischke tat weiterhin wie unbeteiligt, stand schließlich von seinem Platz auf und verließ ohne eine Bemerkung den Raum.

*

Die Fenster waren verdunkelt, gedämpfte Musik drang auf die Straße. Die Männer im Lokal begannen ein Lied anzustimmen. Michael saß am Bordstein, das Gesicht in die Hände vergraben. Das Gegröle wurde kurz lauter, als Greimel aus dem Lokal auf den Bürgersteig trat. Er setzte sich zu Michael, zündete sich eine Zigarette an und reichte sie ihm.

»Nimm mal ein paar Züge, dann wird’s dir besser.«

Michael schüttelte den Kopf. »Nee, danke, lieber nicht, davon bekomme ich wieder das Kotzen.«

Greimel drückte die Zigarette am Bordstein aus und schnippte die Reste auf die Straße. »Willste’ noch hier sitzen bleiben, oder soll ich dich gleich zum Bunker bringen.«

»Weiß nicht. Ich würde mich gerne langlegen.«

»Aber nich’ hier auf der Straße.« Greimel fasste Michael unter die Arme und sie erhoben sich. »Ich habe einen Wagen organisiert, ich fahre dich jetzt rüber und in zwei Stunden schaue ich noch einmal nach dir, und wenn es dann besser ist, nehm’ ich dich wieder mit.«

Michael nickte. Greimel stütze ihn, als sie am Lokal vorbei in eine Seitenstraße zu einem dort geparkten Kübelwagen gingen. Sie schafften es gerade noch bis zum Wohnbunker. Michael stürmte sofort in den großen Waschraum und übergab sich in eine der Toiletten.

Greimel schüttelte den Kopf. »Man, du siehst wirklich beschissen aus, vom Saufen kommt das nich’.«

Michael sah ihn an, erwiderte aber nichts. Dann schlich er über den Gang bis zu seiner Schlafzelle. Er ließ sich aufs Bett sinken, legte den Kopf aufs Kissen, behielt aber die Beine auf dem Fußboden. Greimel folgte ihm, zog ihm die Stiefel aus und wuchtete Michaels Beine auf das Bett. Dann holte er eine Decke aus dem Spint, legte sie Michael über den Körper und zog sie bis hoch zum Kinn. Greimel ging zur Tür, drehte sich noch einmal um und schüttelte erneut den Kopf. Er verließ die Schlafzelle, kehrte aber kurz darauf wieder zurück, mit einem Zinkeimer, den er Michael vor das Bett stellte. Er klopfte ihm schließlich sanft auf die Schulter und verschwand endgültig. Während der Nacht war Michael für den Eimer sehr dankbar. Er musste sich noch mehrere Male übergeben, bis er schließlich erschöpft einschlief. Der Lärm der heimkehrenden Kameraden weckte ihn nicht. Das Frühstück und das Mittagessen verpasste er. Man ließ ihn in Ruhe. Greimel meldete ihn für den Neujahrstag krank.

*

Am Abend war Michael für eine halbe Stunde aufgestanden, hatte nur einen Tee getrunken und war sofort wieder zu Bett gegangen. Er hatte sich noch zwei weitere Decken besorgt, ihm war kalt. Er hatte dann gut zehn Stunden am Stück geschlafen und war hungrig aufgewacht. Er fühlte sich merklich wohler. Statt eines Kaffees nahm er zum Frühstück aber wieder nur einen Tee und dazu noch eine Scheibe Brot, die er sparsam mit Butter bestrichen hatte. Im Aufenthaltsraum trat Matrose Kehl an seinen Tisch.

»Ein frohes Neues wünsch’ ich, Herr Obermaat.« Kehl setzte sich.

»Danke gleichfalls«, erwiderte Michael leise. Er sah Kehl an, der frisch und vergnügt neben ihm saß und lächelte.

»Lag’s am Schnaps?«, fragte Kehl gleich darauf.

»Nicht unverschämt werden, Matrose.« Dann zögerte Michael. »Sagen Sie nicht, dass sich die Lords schon über mich lustig machen.«

Kehl schüttelte den Kopf. »Nein, nein, das weiß wohl niemand, dass Sie gekotzt haben, meine ich.«

»Und woher wollen Sie es dann wissen?«

»Der Greimel hat’s dem I WO gestern gemeldet. Also, er hat natürlich nicht gesagt, dass der Herr Obermaat gekotzt hätte. Von Unpässlichkeit oder so war die Rede. Ich stand in der Nähe und hab mir eben meinen Teil gedacht.«

»Da haben Sie aber falsch gedacht«, fuhr Michael ihn an.

»Jawohl, Herr Obermaat, soll nicht wieder vorkommen.« Kehl überlegte. »Die U-69 geht heute raus, gleich um zehn, hab’ ich gehört. Ich wollt’s mir ansehen.«

Michael biss in sein Butterbrot. Kehl zögerte.

»Ich habe gedacht, es würde Sie interessieren und vielleicht tut Ihnen etwas frische Luft ganz gut.«

Michael sah Kehl an. »Sind Sie Sanitätsrat, dass Sie wissen, was mir guttut?«

Kehl konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. »Nein, Herr Obermaat, hab’ nur auch schon mal gekotzt.«

Michael schüttelte den Kopf und musste ebenfalls lächeln. »Wann sagen Sie, geht U-69 raus?«

»Um Punkt zehn, Herr Obermaat. Wir könnten in einer Stunde am Kéroman sein. Vielleicht wird ja auch der Onkel Eduard gespielt, würde mich wirklich nicht wundern, wo es doch Metzlers Boot war.«

»Da wird nichts gespielt«, erwiderte Michael kopfschüttelnd. »Die Zeiten sind vorbei. Wir sind letztes Frühjahr noch mit Kapelle verabschiedet worden, aber dann hat der B.d.U. das Tamtam untersagt. Jetzt schleichen wir nur noch aus dem Hafen, und wenn wir zurückkommen, dann ist es auch nicht viel anders. Der Kaleun sagt dazu: Stille Sieger.«

Kehl nickte.

Michael überlegte. »Erkundigen Sie sich mal, wo wir mitfahren können, ich will ohnehin noch auf unser Boot.«

»Jawohl, Herr Obermaat, wird gemacht.« Kehl erhob sich schnell von seinem Stuhl und stand für den Bruchteil einer Sekunde stramm. Dann wandte er sich ab und verließ den Aufenthaltsraum.

Eine halbe Stunde später saßen die beiden Männer auf der Pritsche eines Lastwagens und fuhren an den Hochbunkern vorbei zum Hafen. Vor dem Kéroman II ließen sie sich absetzen und gingen hinüber zum Nassbunker. U-69 lag schon bereit, die Offiziere standen im Turm. Befehle wurden gerufen, alles sehr verhalten, so wie es Michael vorausgesagt hatte. Sie stellten sich an eine Brüstung oberhalb der Bunkerausfahrt. U-69 unter Kapitänleutnant Ulrich Gräf wurde schließlich losgemacht, glitt aus dem Bunker in den Hafen und wurde dort von einem der Begleitschiffe in Empfang genommen.

*

Es war der 6. Januar 1943. Um genau 7:02 Uhr setzte sich der Dockwagen in Bewegung. Der Rumpf von U-810 schob sich aus der Trockenbox des Kéroman I in Richtung der Schleppanlage. Von der Besatzung waren nur zehn Mann an Bord. Leutnant Landenberger hatte das Kommando. Es dauerte siebzehn Minuten, bis der Dockwagen vollständig im Slip eingestellt war und das Boot langsam heruntergefahren wurde. Um 7:42 schwamm U-810 bereits im Nassbunker und wurde vom Rest der Mannschaft erwartet. Die Stationen im Boot wurden besetzt. Die Männer der Freiwache brachten ihre Sachen an Bord, richteten sich im Boot ein. Matrose Sprenger ließ sich einen kleinen, dunkelbraunen Koffer durch das Kombüsenluk reichen, trug ihn an der Offiziersmesse vorbei bis zum Kommandantenraum und legte ihn auf Kaleun Siebers Koje ab. Der Mann zog den Vorhang zum Kommandantenraum gleich wieder zu. Sieber würde seinen Koffer später selber ausräumen und seine Wäsche und die wenigen persönlichen Dinge auf die Schränke und Fächer seiner kaum zwei Quadratmeter messenden Unterkunft verteilen.

Um 8:33 Uhr wurde schließlich mit der Befüllung der Treiböl- und Frischwasserbunker begonnen. Es dauerte mehrere Stunden, bis gut achthundert Tonnen Diesel und neun Tonnen Trinkwasser aufgenommen waren. Um 16:00 Uhr übernahm Leutnant Landenberger wieder die zweite Wache. Am Kai standen noch einige Holzkisten, vor allem verspätet eingetroffene Ersatzteile, die von den Leuten ins Boot gebracht wurden. Ein Matrose holte Munition für die Zwei-Zentimeter-Flak aus einer Kiste und hängte sich die Patronengurte um Schulter und Hals. Er schwankte schon beim Betreten der schmalen Stelling. Landenberger stand im Turm und sah den Mann erst, als er bereits das Gleichgewicht verlor. Ein Patronengurt rutschte ihm von der Schulter, fiel in die Tiefe und verschwand fast geräuschlos im dunklen Wasser des Nassbunkers. Der Matrose wankte, versuchte aber den rechten Fuß an den Rand der Stelling zu setzen, um wieder das Gleichgewicht zu finden. Er glitt jedoch ab, konnte sich nicht mehr halten, fiel von der Stelling und klatsche mit den Armen rudernd ins Wasser. Er war dicht neben dem Bootskörper eingetaucht und versuchte sich an der glatten Bordwand festzuhalten. Die Hände schlugen gegen den Rumpf, rutschten ab und ohne Halt zu finden, wurde der Mann von den umgehängten Patronengurten in die Tiefe gezogen. Landenberger brauchte keine Befehle zu geben. Zwei Männer waren bereits im Wasser, tauchten, befreiten ihren Kameraden von den Gurten, zogen ihn zur Quaimauer und hievten ihn hinauf.

»Verdammte Scheiße!«, brüllte Landenberger.

Er kletterte sofort vom Turm, lief über das Deck und blieb vor der Stelling stehen. Der Matrose saß triefend am Rand der Quaimauer. Seine Retter zogen ihm bereits die Jacke aus.

»Die Gurtmunition wird erst an Bord aus den Kisten genommen.« Landenberger brüllte jetzt noch lauter. »Und niemals die Gurte umhängen, wenn Sie am Wasser sind. Verdammte Scheiße hat Ihnen das keiner gesagt, ist doch nicht Ihre erste Fahrt.«

Der Matrose antwortete nicht gleich. Die beiden Männer richteten ihn auf, zu seinen Füßen bildete sich eine Pfütze, das Wasser rann über den Quai.

»Haben Sie mich verstanden, man?«

»Jawohl, Herr Leutnant!« Die Stimme des Matrosen klang schwach.

»Bitte?« Landenberger ging über die Stelling und trat direkt vor den Mann. »Bitte?«, wiederholte er.

Der Matrose richtete sich ganz auf, nahm Haltung an und schrie mit ganzer Kraft: »Jawohl, Herr Leutnant! Ich werde es mir merken. Die Gurtmunition erst an Deck auspacken, die Gurte nicht umhängen, niemals.«

Landenberger nickte bedächtig. »Sie können sich bei Ihren Kameraden bedanken, dass Sie da so schnell wieder rausgekommen sind, haben Sie gehört?«

»Jawohl, Herr Leutnant!«

»Gut!« Landenberger sah den Mann noch für ein paar Sekunden streng an, dann nickte er wieder. »Gut! Ziehen Sie sich um. In zehn Minuten sind Sie wieder einsatzbereit, verstanden?«

»Jawohl, Herr Leutnant!«

»Wie viel Munition ist in den Bach gegangen?«

»Alles, Herr Leutnant!«

»Was heißt alles, verdammt?«

»Vier Gurte, Herr Leutnant, es waren vier Gurte.«

»Man, hängt der sich zwanzig Kilo um den Hals.« Landenberger schüttelte den Kopf. »Abtreten!«

»Jawohl, Herr Leutnant!«

*

Ein feiner Regen lag über dem Hafen. Die Tropfen sprühten ins Wasser und verloren sich in den kleinen Wellen, die rhythmisch gegen den Bug von U-810 schwappten. Obersteuermann Petersen stand auf der Brücke und führte das Boot in die Mündung der Blavet und weiter gut eine halbe Seemeile vor die Küste Lorients. Es war kurz nach neun, als Sieber den Kommandantenraum verließ, in die Zentrale ging und nach oben auf den Turm stieg.

»Kommandant auf Brücke«, meldete Petersen, als er Sieber durch das Turmluk heraufkommen sah.

Sieber stellte sich gleich ans Schanzkleid. Etwa zweihundert Meter vor dem U-Boot patrouillierte ein Minenräumer. Petersen gab seinem Kommandanten den Feldstecher. Sieber suchte den Horizont ab und hielt das Glas schließlich auf den Minenräumer.

»Klar zum Schießen«, meldete Leutnant Landenberger.

»Geben Sie Zeichen, dass wir gleich anfangen«, befahl Sieber.

»Jawohl, Herr Kaleun!«

Petersen betätige selbst die Signallampe. Mit dem Klicken der Lamellen wurde die Warnung an den Minenräumer gegeben. Eine kurze Antwort folgte. Sieber drehte sich zum Wintergarten um. An der Dreisieben standen zwei Männer. Einer von ihnen war Matrose Kehl, der sich noch schnell einen Wattepfropfen in das rechte Ohr stopfte, dann einen Ladestreifen aus dem Munitionsbehälter nahm und sich bereithielt. Sieber überblickte noch einmal das Deck und wandte sich schließlich an Landenberger.

»Dann lassen Sie mal schießen, II WO.«

Landenberger blickte zu den Männern, die an der Flak standen, und gab den Befehl zum Feuern. Matrose Kehl setzte den Ladestreifen ein, sein Kamerad entsicherte und begann mit der ersten Salve. Kehl nahm sofort einen neuen Ladestreifen aus dem Munitionsbehälter. Nach dem letzten Schuss wechselte er mit zwei Handgriffen das Magazin und gleichdarauf feuerte die Dreisieben eine weitere Salve. Es wurden fünf Ladestreifen verschossen, bis Landenberger den Befehl zum Feuereinstellen gab. Die Übung wurde noch einmal wiederholt, die Dreisieben funktionierte einwandfrei. Eine halbe Stunde Später wurde auch die Bordkanone klargemacht. Am Geschütz standen drei Mann. Anreichen der Zehn-Komma-Fünf-Zentimeter Granaten, Laden und Abfeuern. Sieber war zufrieden und gab den Befehl zum Klarmachen des Decks. Die Männer stiegen ein, erst die Geschützbedienung und dann die Brückenwache. Sieber kletterte als Letzter durch das Turmluk und verschloss den Lukendeckel hinter sich.

»Auf fünfzig Meter gehen und halten.«

»Dann mal ab in den nassen Keller«, murmelte Petersen.

Oberleutnant Linden führte den Befehl aus, gab Anweisungen an die Zentralgasten. Das Boot glitt geräuschlos in die Tiefe. Dann wurde es durchgependelt, um die verbliebenen Lufteinschlüsse aus den Tauchzellen zu treiben. Nach dem Trimmen stand der Tiefenmesser exakt auf fünfzig Meter und die Lastigkeit zeigte, dass der Bootsrumpf waagerecht unter Wasser lag. Linden machte Meldung. Sieber quittierte es mit einem Nicken.

»Dann jetzt mal auf achtzig Meter gehen, halten und Halbefahrt voraus.«

Erneut wurde der Befehl in der Zentrale ausgeführt, das Boot wurde durchgependelt, getrimmt und die E-Maschinen auf Halbefahrt gebracht. Oberleutnant Linden meldete Vollzug.

»AK voraus!«, befahl Sieber nun.

»AK voraus!«, wiederholte Linden und ließ den Maschinentelegrafen bedienen. Das Boot nahm merklich an Fahrt auf. Linden überprüfte die Instrumente, die E-Maschinen liefen volle Fahrt.

»Melde, AK liegt an.«

Kaleun Sieber blickte sich in der Zentrale um. »Danke, meine Herren.« Dann wandte er sich an Linden. »Auftauchen, LI, wir haben heute ja noch etwas anderes vor.«

*

Obersteuermann Petersen brachte das Boot zurück in den Hafen. Außer dem Kommandanten ging keiner der Mannschaft mehr von Bord. Kaleun Sieber kehrte nach einer Stunde zurück. Um Punkt 13:00 Uhr gab er den Befehl zum Auslaufen. Diesmal wurde U-810 von der ersten Wache unter Oberleutnant Kuhnle zur Mündung der Blavet gesteuert und dort von zwei Sperrbrechern empfangen. Die Freiwache war vollständig auf Deck angetreten. Auch wenn die Sperrbrecher vorausfuhren, konnte es vorkommen, dass eine Mine nicht geräumt wurde und mit dem U-Boot kollidierte. Bei einem Minentreffer hatten die Männer auf Deck eine größere Überlebenschance als die Leute auf den Stationen. U-810 erreichte den Auslaufpunkt Bogenlampe und wurde dort von den Sperrbrechern verlassen. Es ging hinaus auf die Biskaya. Das Boot war jetzt auf sich allein gestellt. Bis zum Abend wurde kein Funkspruch mehr abgesetzt, der Gegner sollte U-810 vorerst nicht orten können. Michael stand an der Tür zum Funkraum. Greimel schüttelte den Kopf.

»Die wissen ohnehin, wo wir sind. Die wissen, wann wir ausgelaufen sind, die wissen, welchen Kurs wir jetzt nehmen, nämlich raus auf den Atlantik, was sonst. Ich glaube auf dem Stützpunkt gibt es mehr Spitzel als unsere eigenen Leute und ich möchte auch nicht wissen, was alles über die Lords nach draußen sickert.«

Faro

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