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Prof. Dr. Lambert Flammershausen

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Von jeher war es ein Missverständnis, dass jene Welt der Geisterwesen und die der Menschen getrennt voneinander zu betrachtet seien, denn sie sind eins. Es ist tragisch, dass der Verlust an magischen Fähigkeiten den historischen Weg der Menschheit begleitet hat und sie von der Einheit dieser Welt abzutrennen scheint. Dass sie die Brücke zu ihrem Ursprung mit Nachdruck zerstören, verlängert die Tragödie noch. Mit dieser Brücke ist die Natur gemeint, insbesondere der Waldbestand. Doch dessen Vergiftung und Vernichtung kann nicht über die Beziehung zwischen Mensch und Geisterwesen hinwegtäuschen.

Inferior Globuli: Lex Libre spiriti domini scurrae fatuaquam

Institut Prof. Dr. Flammershausen,

Freitag Nacht, 22 Uhr

Professor Dr. Lambert Flammershausen stand am Fenster seines Büros im Institut und spähte auf den nächtlichen Parkplatz. Eine defekte Neonröhre flackerte unruhig am kiesbestreuten Fußweg zum Gebäude.

Er war 1,80 Meter groß, stabil und trug einen weißen, geöffneten Kittel. Darunter die obligatorische graue Bundfaltenhose und einen Wollpulli, der Hosenträger verbarg. Trotz der schlichten Kleidung wirkte seine Haltung wie die eines Königs, der halb stolz, halb scheel von seinem Büro das Gelände vor dem Institut studierte. Er war ein unruhiger und durch zahllose Gremienschlachten um Positionen und Budgets erfahrener Krieger, vernarbt und gestählt, so dass seinem Gesicht die tiefe Abneigung vor dem erwarteten Besuch nicht abzulesen war. Und doch erfüllte ihn Abscheu, dachte er an den angekündigten Gast.

»Verdammtes Schwein«, murmelte er. Wie so häufig, wenn er seine Gedanken auf den kleinen, deformierten Mann lenkte, den er erwartete. Er löste sich vom Fenster und kontrollierte eine Tür, maß Entfernungen ab und prüfte das Tablett mit Getränken. Sein Gang war fest und kraftvoll. Doch glich er einem Alkoholiker, der den Schnaps verfluchte und dabei einen tiefen Schluck aus der Flasche nahm.

Er begab sich zurück zu seinem Arbeitsplatz am Fenster und sah weiterhin missmutig auf den Parkplatz. Seine Lesebrille trug er an einer Kordel vor der Brust. Er setzte sie auf, drehte sich und widmete sich den Papieren vor ihm auf dem Schreibtisch.

Seine klaren, grünen Augen schweiften über die Dokumente. Den Großteil der Arbeitsfläche bedeckten Skizzen und Notizen mit technischen Zeichnungen. Die Striche, Linien und Markierungen wirkten wie das Zeichensystem okkulter Provenienz, Buchstaben aus einem exotischen Alphabet, die Grammatik einer unbekannten Sprache. Ein Experte würde erkennen, dass in den Symbolen unkonventionelle und fremdartige Details für ein Aggregat verborgen lagen. Es fiele ihm sicherlich schwer, die gelegentlichen Pentagramme Zauberformeln und Fledermauszeichnungen auf dem Papier einzuordnen.

Flammershausen nahm eines der Blätter zur Hand und las es im Schein der Schreibtischlampe. Sein heller Kittel reflektierte das Licht. In seinem Gesicht zeichnete sich ein Schimmer auf den Wangen.

Es gab einige Arbeitsbereiche im Institut, die das Tragen eines weißen Mäntelchens rechtfertigten – die Büros gehörten definitiv nicht dazu. Es gab aber aus den letzten Jahrzehnten kaum Bildmaterial, das ihn ohne dieses Accessoire zeigte. Die Allgegenwart des Kittels stilisierte zum Erkennungszeichen des Professors, der das Feuilleton mit einem Auftritt in einer Talkshow Mitte der 80er Jahre endgültig auf diesen Tick aufmerksam machte. Vom Moderator direkt auf die Bekleidung angesprochen, die er im Studio nicht wechseln wollte, antwortete er legendär: »Des Kittels entledige ich mich zu den gleichen Gelegenheiten, wie ein Cowboy sich seines Huts. In der Badewanne und in Gesellschaft einer schönen Frau.«

Das schiefe, faltenreiche Gesicht krönte lichtes, graues Haar. Das Gift unzähliger Zigaretten hatte den kurzen, melierten Vollbart um den Mund vergilbt und die Gesichtshaut angegriffen. Einzig die Augen strahlten frisch. Eingelassen in ein Feld verwelkender Lebenskraft glühten sie heiß. Man meint, ihre Kraft habe ringsum vom rosigen Gesichtsfleisch der Kindheit gefressen und es langsam zu Humus transformiert.

Die Zeit spielte gegen ihn, schon ein Leben lang.

Er las in den Konstruktionszeichnungen zu dem Motor, mit dem er nichts weniger als die Weltmeisterschaft in der Formula Alpha zu gewinnen gedachte. Es ging die Hoffnung um, dies Ziel im nächsten und einzigen Rennen der Saison zu erreichen. Angesichts seines Alters die letzte Chance, sich selbst und dem Kreise seiner Kritiker zu beweisen. Und zu zeigen dass er sich berechtigterweise von den Universitäten, denen er seine akademischen Titel verdankte, im festen Glauben an die Kraft des freien Markts, abgewandt hatte.

Er hatte den Antrieb Vlamma T3 genannt. Leistungsstark und innovativ wurde er durch ein geschicktes Marketingkonzept von vielen Sponsoren finanziert. Seit ein paar Wochen stand der Prototyp im Keller. Er ließ die Papiere in seiner Hand sinken und seufzte. Doch zu welchem Preis?, grübelte er angesichts des bevorstehenden Besuchs.

Er neigte dazu, den Motor als eigenes Werk zu begreifen. Über einen weiten Zeitraum hinweg unterlag er dieser Selbsttäuschung. Meinte, es sei sein Aggregat. Sein Vlamma T3. Doch der Gast heute Nacht erinnerte ihn daran, die Entwicklung keineswegs unabhängig vorangetrieben zu haben. Die bittere Erkenntnis war, dass er wahrscheinlich doch kein einsames Genie darstellte.

Flammershausen legte die Dokumente zurück und wandt sich wieder zum Fenster. Seine Gedanken schweiften zu den Tagen ihrer ersten Begegnung. Er hätte sich besser angesichts der Umstände damals auf keinen Handel einlassen sollen. Jetzt wusste er das. Es wäre allerdings viel verloren gegangen und noch mehr stand zu gewinnen. Wann erkennt man überhaupt, dass der Augenblick gekommen ist, auszusteigen?, dachte er.

Vielleicht hätte er es schon in jener Nacht Argwohn hegen sollen, in der er über seine fruchtlosen Versuche kapituliert hatte, den Verbrennungsmotor neu zu erfinden. Wann war das? Vor 10 Jahren?

Das Leben war damals ein Rausch. Ausgestattet mit Forschungsgeldern und zusätzlich unterstützt von einer überschaubaren Erbschaft, flogen die Tage und Nächte dahin. Er war damals Mitte 40 und seit kurzem alleinstehend. Er sprach nicht gerne darüber, aber sein exzessiver Arbeitsstil hatte in dieser Zeit seine geliebte Ruby als Tribut gefordert. Der Gedanke daran verursachte Kummer. Bevor sie ihn verließ, hatte sein Leben eine nie zuvor gekannte Balance von körperlicher und geistiger Produktivität erreicht.

Flammershausen seufzte. Immer seltener landete er mit seinen Gedanken bei Ruby. Anfangs war ihr Fortgehen ein schwarzes Loch, das alle Energie absorbierte. Es war lange her. Seltsam, dass er sich an diesem Abend erinnerte. Es lag was in der Luft.

Sie war sicherlich einer der wenigen Menschen auf der Welt, die ihm unmittelbare Liebe entgegengebracht hatte. Ihre Entscheidung vermittelte ihm das Gefühl, unfähig für die wichtigste Eigenschaft der Menschen zu sein: Halten zu können, was man liebt. Er zeigte sich zu dumm für die Gunst einer so wundervollen Frau wie Ruby. Hatte ihre Zuneigung unverdient genossen, um nach ihrem Weggang zurückzufallen auf das, was er nun einmal repräsentierte. Einen rohen, ungeschickten Klotz.

Seine Faust ballte sich in der Tasche des Kittels. Er fühlte wieder den Abgrund, der sich nach ihrem Abschied aufgetan und ihn in eine selbstzerstörerische Arbeitswut gestürzt hatte. In diese unselige, blindmachende Obsession, deren Energie ihn in die Arme des Motorsports treiben sollte. Der Ingenieur konnte sich im Rennzirkus mühelos für den urplötzlich auf die Bühne getretenen Arbeitgeber aufopfern: das Team Rorick in der Formula Alpha.

Was war naheliegender für einen, in seinem Narzissmus so tief verletzen Wissenschaftler wie Flammershausen, als in die Scheinwelt des motorisierten Rennsports zu fliehen? Pferdestärken, Männlichkeit und Egoismus waren die Leitlinien, Leistung eine übergeordnete, alles definierende, alles rechtfertigende Kategorie. Frei von Fragen der Treue, Loyalität und Intimität.

Er erinnerte sich genau, dass damals Gespräche aller Art an den Rennstrecken stattfanden. An kleinen Gartentischchen, die die Flüchtigkeit des Rennsports ausdrückten. Schnell montiert, schnell wieder abgebaut, Symbol der Umtriebigkeit des millionenschweren Rummels, der Wanderschaft, der Unbeständigkeit. Luxus gepaart mit Campingatmosphäre, Schampus aus Pappbechern, Shrimps im Stehen zwischen zwei Testfahrten.

Auch das Bewerbungsgespräch von Flammershausen verlief in dieser Atmosphäre. An einem sehr windigen, für den Sommer kühlen Samstag, im ohrenbetäubenden Lärm der Strecke von Silverstone, saß er dem Teamchef gegenüber. Um sie herum fegte die Brise Plastikgeschirr, Schirme und Hüte. Sie saßen trotzdem in der Sonne. Sein Gastgeber war ein dicklicher Mann mit rosiger Haut, den der Sturm das Haar zerzauste und scheinbar auch den Anzug. Später erfuhr Flammershausen, dass Theodor Dolmer immer schlechtsitzende Kleidung trug.

»Mögen Sie Motorsport, Lambert?«, rief er, und sah einem weit entfernten Punkt rechts von ihm nach. Es hätte eine Frau sein können, oder ein Rennbolide. Wahrscheinlich war es nur ein verlegender Blick zur Seite.

»Ich liebe Technik in allen Ausprägungen. Ich glaube, es hat etwas Natürliches, dass man sich mit Hilfe von Motoren misst«, hatte Flammershausen entgegnet.

»Sie weichen mir aus. Nehmen Sie sich an einem Sonntag trotz begrenzter Freizeit vor, ein Rennen zu schauen? Stehen Sie nachts auf, um ein Duell zwischen zwei Fahrern zu verfolgen? Tragen Sie sich Renntermine in Ihren Kalender ein?«

»Nein, Sir.«

»Gut. Denn ich möchte auf gar keinen Fall einen dieser Idioten bei mir einstellen, die glauben, dass wir hier Sport betreiben.«

»Sir? Das ist doch Rennsport.«

»Das ist Business. Es geht hier einzig um die Frage, wer vorne mitfährt, um Geld abzuschöpfen, Marken zu platzieren und Werbeflächen zu verkaufen. Wenn Sie für mich arbeiten, möchte ich, dass Sie das wissen, Lambert.«

»Ich kann damit zumindest leben.«

»Dann ist das klar. Ich habe nämlich eine Theorie, die hierbei eine ganz große Rolle spielt.«

»Eine Theorie, Sir?«

»Ja. Eine Menschentheorie, sozusagen. Was macht einen Löwen zum König der Tiere? Na?«

»Ich weiß es nicht. Seine Gefährlichkeit?«

»Elefanten sind gefährlicher. Bakterien sind gefährlich. Nein, zum König macht den Löwen die Einstellung, unbesiegbar zu sein. Sie können sagen, es ist eine Fehleinschätzung, Sie können sagen, es ist Arroganz. Aber es macht ihn zu einem König.«

»Denkbar.«

»Das heißt, was Menschen von sich denken, das bestimmt ihre Leistung.«

»Wow, Sir, das ist eine interessante Schlussfolgerung.«

»Ist doch klar. Wenn ich einen Ingenieur habe, der einen sportlichen Motor bauen will, baut er einen Motor, der konkurriert. Er misst sich an dem Gegner und hat ganz tief in seinem Innern eine Information in seinen Genen, dass die Möglichkeit besteht, verlieren zu können.«

»Die Gentheorie an Motoren anzuwenden ist allerdings ...«

»Ich will keinen Motor, der von einem gebaut wurde, der Niederlagen einkalkuliert. Ich will einen skrupellosen, einen überragend anderen, einen nie da gewesenen Motor, der keine Alternative zum Siegen kennt, weil sein Erbauer genauso denkt.«

Flammershausen zögerte. »Menschen, die keine Niederlagen kennen, Sir, dürften schwer zu finden sein. Und ich fürchte, ich wäre da keine gute Wahl.«

»Die Menschen sind mir eigentlich egal. Ich will einen Menschen, der die Überlegenheit der von ihm gebauten Technik ohne Einschränkungen als gegeben ansieht. Nur so kann Überirdisches entstehen.«

»Mr. Dolmer, wie kann ich Ihnen helfen?«

»Ich will wissen, ob Sie skrupellos sind. So skrupellos, dass Sie einen neuen, völlig andersartigen Rennmotor ersinnen, der aufs Siegen optimiert ist und keine Kompromisse kennt. Können Sie mir da helfen, Lambert?«

»Sir, ich bin da ziemlich sicher. Es wäre gerade genau die richtige Aufgabe.«

Er erinnerte sich, wie der Wind am Windschutz gezerrt hatte wie an einem losgerissenen Segel. Dolmer hatte weiter weggestarrt und hing seinen Gedanken nach, der ratlose Professor hoffte, dass der Schirm sich nicht losriss.

»Sie haben den Job«, hatte der Finanzier leise gesagt und ihm ein Zeichen gegeben, zu gehen.

Es hatte sich richtig angefühlt, in die kalte Welt der Rennmotorentwicklung einzusteigen. Dolmer war Realist genug, dass er nicht davon ausging, der Motor würde in der kommenden Saison seine Entwicklung abgeschlossen haben. Das nahm Flammershausen einigen Druck. Er tauchte in seine neue Aufgabe ein wie ein Verdurstender in unvermittelt gefundenem Süßwasser.

»Der Job ist hart. Es bleibt kaum Zeit und die Arbeit hört nicht auf. Aber alle meterhohen Wälle an Aufgaben, Meetings, Notizen, Tests und Zeichnungen, Zeichnungen, Zeichnungen, sie sind wie ein Bahndamm, auf dem ich meine Schienen für die Zukunft setzen werde. Wie Balsam legt sich die unermessliche Aufgabe auf meine Wunden, die Du, Ruby, in mir geschlagen hast. Es ist wie eine Droge. Ich hoffe nur, ich kann sie schadlos gebrauchen«, schrieb er in sein Tagebuch. Eine Woche später hatte er die Seite herausgerissen und verbrannte sie. Das Papier war im Aschenbecher verglüht und er hatte überlegte, wie schön es wäre, dieses Bild festzuhalten. Die Flammen der verbrennenden Seite hatten sich in den Brillengläsern gespiegelt. Ruby war Vergessen, seine neue Aufgabe würde bleiben. Und ein paar Narben.

Dann kam es zu ihrer ersten Begegnung.

Sieben Jahre waren nach seinem Bewerbungsgespräch vergangen. Die Zeit hatte eine lange Reihe verworfener Skizzen gebracht und diverse skandalöse Rennsaisons. Seine Motoren waren vielversprechend gewesen, aber sie hatten nicht die Weltmeisterschaft erzielt. Es hatte an Innovation gefehlt, die Entwicklung war in eine Sackgasse geraten. Flammershausen war am Ende seiner kreativen Fähigkeiten gewesen. Dolmer hatte angefangen, Zweifel an den Plänen zu zeigen, und Zweifel sind wie Risse zwischen den Menschen. Der Professor hatte immer weniger Überzeugungskraft gezeigt, für ein neues Motorkonzept zu werben, zumal er keinerlei Ideen dazu gehabt hatte. Ihm hatte das Wasser bis zum Hals gestanden.

Zu diesem Zeitpunkt, hoffnungslos an den Grenzen physikalischer und industrieller Möglichkeiten, war das unbegreifliche Wunder geschehen.

Eines Abends hatte er vom Büro aus die untergehende Herbstsonne beobachtet, die rechte Hand hatte verkrampft an der letzten zerknitterten Konstruktionszeichnung geklammert. Er war voller Fragen gewesen. Hatte er sich überschätzt? War sein Genie doch begrenzt und die Herausforderung, den EINEN Motor zu schaffen, der revolutionär in die Geschichte der Formula Alpha eingehen würde, zu groß?

Er hatte an dem Abend die V-förmigen Vogelschwärme auf ihrem Weg in den Süden beneidet und den Wunsch verspürt, seinen Kittel abzuwerfen und sich vom Dach aus einem der Züge anzuschließen. Früher hatte er mit Ruby gerne Vögel beobachtet, wenn er Zeit dafür gefunden hatte. An dem Abend hatte Flammershausen erst verstanden, welche Sehnsucht sie in diesen Augenblicken hatte spüren müssen. In Krisen, da erinnerte er sich wieder an sie. Und an seine Unzulänglichkeit.

Er hatte überlegt, in den Park zu spazieren. Vielleicht, hatte er damals gemeint, würde er so die Angst vor seinem Versagen etwas mindern.

Das schwindende Licht des Tages hatte unwirklich angemutet. Der flache Winkel der Sonne hatte die Gartenanlage wie Scheinwerfer bestrahlt und ihr Licht den Eindruck vermittelt, in einem Studio umherzulaufen. Es war kalt gewesen und er war schnell wieder ins Labor zurückgekehrt. Da hatte die Stelle am Hals angefangen zu jucken.

Erst hatte er nachlässig gekratzt und nebenbei Berichte gelesen. Später hatte er die Dokumente beiseitegelegt und die Stelle intensiver bearbeitet. Er hatte versucht, etwas im Spiegel des kleinen Waschbeckens in seinem Büro zu erkennen. War das eine Zecke? Sollte er sich bei seinen kurzen Aufenthalten draußen und in dieser Jahreszeit noch ein solches Vieh eingefangen haben? Er hatte sich gedreht, um sie zu fassen, sein dicker Bauch hatte die Streckung nach hinten gesperrt.

»Verdammt«, hatte er gerufen und war rot angelaufen, seine Wurstfinger hatten sich immer mehr der Einstichstelle genähert, doch sie hatten nicht hingelangt, es hatte nicht gereicht, nein ...

Mit einem Schmatz hatte sich das Insekt von selbst gelöst. Ein Geräusch, wie wenn es sein Köpfchen aus einem Eimer Pudding gezogen hätte. Es hatte sich geschüttelt, es hatte sich gestreckt und war dann auf den zufällig dargebotenen Finger gesprungen. Napoleon gleich hatte es auf den Hinterfüßen gestanden, ein Dreispitz hätte noch gefehlt, um einen Zeckenadmiral auf der Kuppe zu haben. »Hey Ho, los Prof. Flammershausen«, hatte es gepiepst. Hatte sie gepiepst? Er?

Der Professor war damals in die normale Ausgangslage zurückgefedert und hatte den Finger mit dem Tierchen verblüfft vor die Augen gehalten. »Eine Zecke!«, hatte er geraunt, doch der Besucher hatte abgewunken. »Eine Fee«, hatte es gerufen, »wenngleich in geheimer Mission. Wie wäre es mit einem Geschäft?«

Das war ihr gemeinsamer Anfang gewesen. Die Kreatur hatte wartend am Strauch gehangen, am Gras oder Geäst und gelauert, bis der eindeutige Geruch der Verzweiflung wie Pheromone den Fall-Reflex ausgelöst und es sich an dem Wirt festgesaugt hatte. Doch im Gegensatz zu seinen Vorbildern aus der Natur hatte dieser Parasit nicht Blut verlangt, sondern seine Fähigkeiten als Ingenieur. Der Wirt wurde zur Marionette.

»Nenne mich nicht Zecke«, hatte es immer gerufen, vertraut mit seinen Gedanken. »Das ist eher eine Symbiose, denn du profitierst ja auch.«

Ach, wie hilflos er da doch hereingerutscht war. Bei einem Geschäft mit einem so sonderlichen Wesen hätte er misstrauisch sein sollen. Er war in der Klemme gewesen. Es hatte etwas von einem Pakt mit dem Teufel gehabt.

Nach ein paar Tropfen Wasser hatte sich das Insekt in einen grauen Mann in farblosen Anzug gewandelt, tattrig, unförmig, doch nicht ohne Energie. Es hatte einen bösen Zug gezeigt, so war Flammershausens Eindruck damals gewesen. Etwas aus der Natur Gefallenes. Schwer einzuschätzen. Aber es gab auch nur wenig Überlieferungen über männliche Feen.

Die Stelle am Hals hatte noch nach ihrer Begegnung weiter gejuckt, sonst hätte er die Geschichte ihrer beginnenden Zusammenarbeit selbst nicht geglaubt. Bald hatten frische Ideen Einzug in seine Arbeit gehalten. Erst war es diffus gewesen, dann, wie nur in Träumen möglich, hatte es Kontur gewonnen. Sein Zeichenstift wurde wie von fremder Hand geführt. Hatte er etwas zu bauen vermocht, was er selbst nicht verstand? Hatte er nicht sanft die Grenzen der Naturwissenschaft verschoben?

Die Fee hatte anfangs verabredungsgemäß durch längere Abwesenheit geglänzt und ihn in Träumen mit innovativen Ideen versorgt. Diese Arbeitseinteilung war dafür verantwortlich gewesen, dass Flammershausen zur Auffassung gelangt war, der Motor sei seine eigene Schöpfung. War nicht die Helixstruktur der DNS eine Entdeckung aus Träumen? Mein Gehirn, hatte er sich damals eingeredet, ist selbst ein hochgezüchteter Motor, der nur noch zu siegen vermag. Und er hatte weiter geträumt. Nacht für Nacht.

Und nun, nach drei Jahren Entwicklungsarbeit, stand das erste funktionsfähige Modell bereit. Alle Hindernisse der Konstruktion und konzeptionellen Widerstände waren von seinem Unterbewusstsein enträtselt. Nach jahrelangen Rückschlägen war er endlich am Ziel. Die Erinnerung an die Graue Fee verblasste, wenn sie sich Monate nicht gesehen hatten, und Flammershausen hatte jedes Mal angefangen, ihre Existenz nach einer gewissen Zeit infrage zu stellen. Bis sie sich wieder einmal, diesmal für heute Nacht, angekündigt hatte.

Nach jeder der wenigen Begegnungen, die der Graue eingefordert hatte, folgte für den Professor ein tiefer Fall in Selbstzweifel. Er erkannte nicht, was sein Anteil an der Erfindung war, die bald die Welt in Erstaunen setzen würde. Und ein weiteres Problem quälte ihn seit einem Jahr: Eines Tages, vielleicht eine Nacht wie diese, könnte der Graue an der Tür zu seinem Büro klopfen und ihm eröffnen, dass er ihn nicht mehr bräuchte. Oder schlimmer: Er würde einen Preis für seine Dienste nennen, den er noch nicht verraten hatte. Die Grenze war längst überschritten. Flammershausen war gezwungen, für die Zukunft zu planen. Wenn er nicht handelte, würde er womöglich auf dem Friedhof der Geschichte landen.

Als er ein Kind war und von Alpträumen aufschrak, hatte sich seine Mutter zu ihm ans Bett gesetzt. Sie hatte sein Haar gestreichelt und immer mit einem Blick des Bedauerns auf die Unfähigkeit ihres Sohnes geschaut, seine Trauer und Angst zu zeigen, die sie deutlich in ihm gespürt hatte.

»Weißt du, wie du einen Alptraum loswirst?«, hatte sie dann gefragt. Er hatte den Kopf geschüttelt, obschon er es natürlich gewusst hatte, aber er hatte es immer wieder von ihr hören wollen.

»Egal, was dir Angst macht und egal, wie grausam und bedrohlich es in Erscheinung tritt. Es ist nur ein Puzzle, das dein Kopf aus allen Teilen zusammengesetzt hat, die es kennt. Renne nicht fort. Halte an, ob es ein Raubtier, ein Gespenst oder ein Feind ist, den du fürchtest. Halte an, rufe ›Stopp‹ und frage, was es ist. Du wirst sehen, es zerfällt sofort in Einzelteile.«

Der Junge hatte dann stumm genickt und skeptisch geblickt. Sie hatte weitererzählt. »Mich hat jahrelang ein Wolf in meinen Träumen gejagt.«

»Und hast du ihn gefragt, wer oder was er ist?«

»Nein, ich bin so lange vor ihm weggelaufen, dass ich keine Lust mehr hatte, mit ihm zu reden. Ich habe ihn einfach genommen und wie ein Stück Papier zerknüllt und weggeworfen. Seitdem hatte ich nie wieder diesen Traum.« Dann hatte sie gelacht, als ob sie etwas ganz Albernes gesagt hätte.

Heute Nacht würde er seinen Alptraum einfangen und aus seinem Leben bannen. Wenn er auch seine Liebe nicht halten konnte, vielleicht vermochte er seine Ängste einzusperren. Der Motor war fertig, er wollte anfangen, die Kontrolle über seine Gedanken zurückzuerlangen. Er beobachtete wieder den Parkplatz.

Das defekte Neonlicht vor dem Institut erschwerte es, mit Sicherheit zu sagen, ob der Graue nicht bereits angekommen war. Das Licht sprang nach einem längeren Aussetzer wieder an und da stand in ihrem Kegel die Gestalt, die der Professor erwartete. Eine behandschuhte Hand strich liebkosend über den Gehäusekasten der Gasentladungsröhre, wie um einem verbündeten Tier zu danken.

»Komm nur her«, knurrte Flammershausen. In letzter Zeit neigte er zu Selbstgesprächen.

Die Erscheinung spähte zum Fenster und grüßte feixend mit einer kurzen Berührung des altmodischen Hutes. Sie löste sich von der Lampe, deren Licht seit ihrem Kontakt mit dem Besucher konstant leuchtete. Ihr penetrantes Summen war verstummt. Der Graue schritt auf das Bürogebäude zu. Mit zunehmendem Abstand zwischen der Lichtquelle und ihm fiel die Neonröhre in den vorherigen, zuckenden Betrieb zurück. Das staccatoartige Flackern zerteilte den Weg des Mannes, bis es – er war am Rande der beleuchteten Fläche angekommen – aufglimmte, um fast zu ersterben.

Nach zwei Minuten hörte man Schritte auf der Treppe. Der große Professor Lambert Flammershausen spekulierte: Entweder er blamierte sich in den kommenden Stunden unsterblich. Oder er landete den Coup seines Lebens. Zu dem hohen Preis, dass niemand von dem Triumph erführe. Vorerst nicht, dachte er. Vorerst würde ihn Stille bemänteln.

Es klopfte und ohne Antwort zu erwarten, trat sein Gegenspieler ins Büro. Er war in dieser Nacht überfreundlich, summte sogar eine, dem Wissenschaftler entfernt bekannte, Melodie. Es klang nach einer irischen Weise. Das ermutigte ihn.

»Professor Dr. Lambert Flammershausen«, setzte der graue, unförmige Mann freundlich an, dessen Stimme etwas Sezierendes hatte. Der Hals des Gastgebers juckte wieder. »Was macht mein Motor? Wie stehen die Dinge? Ist alles zufriedenstellend?«

»Sie wissen, dass ich nicht zufrieden sein kann. In einer Woche ist das Rennen und weder Angus Hold noch Tim Danger können den Motor ausprobieren. Erst Montag früh werde ich sie einweisen können. Weil Ihr eigenwilliger Zeitplan das vorsieht. Ich meine, das ist viel zu spät. Was ist, wenn es zu Problemen kommt?«

Der Graue lachte. »Seien Sie unbesorgt. Angus wird genauer mit dem Aggregat vertrauter sein, als Sie denken, Professor. Er wird praktisch mit ihm eins sein. Und Tim Danger ist kein Thema. Er fährt ja ohnehin die Engine vom Vorjahr, die ihn auf seine Weise unschlagbar machen wird. Und selbst wenn Tim den Wagen mit Vlamma T3 führe: Der Motor ist auf eine gewisse Autonomie hin konzipiert. Es gäbe keine Probleme. Freuen Sie sich lieber darüber, dass nach dem Rennen die Konkurrenz wissen wird, dass Sie ein ernstzunehmender Gegner sind.«

Flammershausen schenkte einen Drink ein, bot dem Gast aber nichts an.

»Ich will es hoffen. Erst, wenn Vlamma im Rennen siegt, wird das Geschäft mit ihnen perfekt sein.«

»Ich werde mich an den Namen nie gewöhnen, Professor. Vlamma T3. Na ja, das ist Ihr Anteil an der Geschichte. Ich habe nur die Entwicklung forciert und mit Ihnen ein Werkzeug gefunden. Sie sind sozusagen mein Medium.«

»Ist Angus auch der richtige Mann? Für eine Neubesetzung fehlt die Zeit.«

»Seine Auswahl war wirklich gründlicher als Sie ahnen, Professor. Er wird auf die Maschine vorbereitet sein. Sie können davon ausgehen, dass er sie veredeln wird. Was dann passiert, das liegt nicht in meinen Händen.«

Flammershausen trank einen Schluck und spielte anschließend mit dem Glas.

»Es macht mich misstrauisch, dass Sie für die Zeit nach dem Rennen so wenig Verantwortung übernehmen wollen.«

»Das ist Ihr Ressort. Wir haben unsere Vereinbarung. Sie bekommen von mir Entwicklungspläne, bauen einen Rennmotor, promoten ihn für das nächste Rennen und der Rest geht mich nichts an. Mir ist wichtig, dass Angus Weltmeister wird.«

»Ich kenne immer noch nicht Ihren Preis.«

»Sie schaffen den Rahmen für weitergehende Geschäfte, weiter nichts. Ich habe meinen Vorteil. Wenn das erste Rennen vorbei ist, bin ich weg. Glauben Sie mir, ich hatte lange keinen Urlaub.« Er lachte. Es klang, als ginge eine Steinlawine nieder.

Flammershausen stimmte aus Höflichkeit mit ein. »Wie lange sind Sie denn weg? Falls es Probleme gibt, verstehen Sie?«

»Erinnern Sie sich bitte an die Apparatur, mit der Sie mit mir Kontakt treten können. Sie wissen allerdings so viel, wie Sie wissen müssen. Der Rest ist Entwicklungsarbeit. Der Motor wird für das Rennen perfekt werden. Angus und Tim werden die Saison dominieren. Selbst Tim mit dem konventionellen Motor. Es wird ein Fest sein, Professor! Ihr Gewinn wird sich ins Unermessliche steigern.«

Flammershausen nickte. »Wollen Sie etwas trinken?«

Der Graue zögerte. »Nein danke«, sagte er ermüdet, »vielleicht später im Hotel. Falls Sie keine Fragen mehr haben, wird es Zeit zu gehen.«

»Vielleicht kann ich Ihnen noch einen Gefallen abringen?«

»Und der wäre?«

»Wenn Sie einen Blick auf eine Entwicklung werfen könnten, deren unsicherer Nutzen mich beschäftigt.«

Die Graue Fee sah symbolisch auf die Armbanduhr. »Wenn es schnell geht …«

»Ich kann natürlich nichts versprechen …«

»Na gut, dann muss ich aber wieder.«

Flammershausen öffnete eine Seitentür des Büros, die in eine Art Werkstatt führte. Sein Gast schaute interessiert.

»Was basteln Sie so den ganzen Tag, Professor? Ich dachte, sie verplempern Ihre Zeit mit Interviews und Rennsport?«

»Es bleibt immer etwas Kraft für frische Ideen. Alles Erfindungen, die der Menschheit im Allgemeinen und mir im Speziellen eine sichere und gute Zukunft ermöglichen könnten.«

»Ja ja, die Wünsche der Menschen.«

Sie betraten die fensterlose Werkstatt, wo sich eine säulenartige Maschine mit verschiedenen Reglern und Messskalen aus dem Dunkel schälte. Ihr rätselhaftes Aussehen wurde abgerundet von einer gläsernen Glocke, die auf dem Gerät thronte. Die klare und schlichte Kontur stand im Kontrast zum Rest des Aufbaus, dem sie aufgesetzt war. Der Graue reagierte irritiert und hielt vorsichtig Abstand.

»Sieht aus wie ein gigantischer Mixer.«

»Streng genommen ist es ein Behälter.«

»Aha.«

Flammershausen griff an die Struktur des Apparats, bevor er einen Schlauch mit trichterförmiger Spitze hervorholte, der mit dem Mutterstamm durch ein Kabel verbunden war. Er zielte damit auf seinen Besucher.

»Und jetzt?«

»Kommen Sie doch bitte etwas näher.«

»Nein danke, Prof. Flammershausen. Einige Erläuterungen würden mir reichen.«

Der engagierte Wissenschaftler ließ den Trichter enttäuscht sinken.

»Na gut. Sehen Sie, ich habe mich ein bisschen weitergebildet. Angesichts der Möglichkeiten, die Vlamma bietet, schien das notwendig. Es geht darum, dass ich verschiedene Optionen erwogen hatte, um das Prinzip des Motors grundsätzlich zu verstehen. Zuletzt bin ich zu einem Schluss gekommen.«

»Und der wäre?«

»Der Motor bewegt sich jenseits unserer naturwissenschaftlichen Grenzen. Was natürlich Konsequenzen hat, vor allem im Hinblick auf ihre Besuche. Und die Ihrer Freunde«

»Herr Professor, haben Sie Zweifel an meinen Konstruktionsplänen?«

»Nein, wirklich nicht. Die Simulationen geben Ihnen ja recht. Sich selbst optimierende, Ersatzteile integrierende Apparaturen wären vor fünf Jahren Utopie gewesen. Jetzt stehe ich mit Ihnen kurz vor einem großen Durchbruch. Aber es ändert nichts. Das Grundprinzip dieser Maschinen kann nicht erklärt werden. Und warum ziehen Sie Schamanen oder Druiden mit hinzu, wenn Sie den Motor inspizieren?«

»Ich erinnere Sie daran, dass wir Fragen dieser Art zu vermeiden abgemacht hatten!«

»Selbstverständlich. Jedoch, der Mensch ist neugierig. ICH bin neugierig. Ich weiß nicht, wer oder was Sie sind, aber ich habe mich mit Wesen wie Ihnen beschäftigt.«

»Na, dann wissen Sie vielleicht auch, dass es gefährlich ist, Abmachungen mit uns zu ändern.«

»Das trifft mehr auf Vereinbarungen mit dem Teufel zu. Der sind Sie aber nicht, da bin ich mir sicher. Mein Eindruck ist, dass Sie in der Hierarchie unnatürlicher Wesen weit unten stehen.«

»Unnatürlich? Sagten Sie unnatürlich? Vielleicht sollten Sie in Erwägung ziehen, dass Ihr Verständnis von der Flora und Fauna oberflächlich ist, Professor. Ich weiß nicht, was Sie lesen und woher Sie ihre Quellen beziehen. Wenn Sie allerdings nur eine Ahnung von dem entwickelt haben, was wir auf dieser Welt repräsentieren, wüssten Sie das Eine: Wir sind eher Teil der Natur als die Maschinen, die Sie bauen.«

»Sie Gernegroß«, zischte Flammershausen den Grauen an. »Sie stellen höchstens ein naturwissenschaftliches Phänomen dar, wofür ich noch keine Theorie entwickelt habe. Es wird nicht der Motor sein, der mich berühmt macht, sondern Sie! Weil Sie mir die Funktionsweise des Motors erklären werden, damit ich endlich in der wissenschaftlichen Welt meinen Platz finde!«

Die Graue Fee lachte und winkte ab. »Hören Sie auf zu träumen, Professor. Mit dem Tag, an dem Sie entschieden haben, die Akademie hinter sich zu lassen und Ihr dort erworbenes Wissen dem freien Markt zur Verfügung zu stellen, hat Sie das Glück verlassen. Daran werde ich auch nichts ändern.«

Mit der flachen Hand schlug Flammershausen auf eine Werkbank neben der Apparatur.

»Schluss! Das Volk liebt mich!«

»Tja«, entgegnete sein Besucher gelassen, »das Volk liebt Sie. Jedoch, es kauft nicht, oder? Es staunt, schaltet den Fernseher ein, hört gespannt zu, sucht Rat bei Ihnen. Aber das bringt weder Geld noch eine Technik, die das Land weiterbringt. Kein Gesetz, das Ihren Namen trägt. Keine Revolution in den Haushalten, die auf Ihre Forschung zurückgeht. Zweitklassige Fernsehsender berichten über Flammershausens Experimente wegen des hohen Unterhaltungswerts seines Scheiterns!«

Der Professor sackte betroffen in sich zusammen. Mit einer hilflosen Geste bat er den Grauen, die Liste seiner geplatzten Träume nicht weiter aufzuzählen. Er brauchte eine Pause.

»Nein«, keuchte er. »Nein, da täuschen Sie sich. Ich habe einen Platz in der Welt gefunden. Sie rechnen in der falschen Währung, mein Lieber.«

»Sie«, setzte der Graue nach und zeigte mit dem Finger auf den Wissenschaftler, »Sie haben jede Menge Öffentlichkeit, Prestige und einen hohen Bekanntheitsgrad, aber eines haben Sie nicht!«

»Und das wäre?«

»Sie haben noch nichts Bedeutsames erfunden oder entdeckt. Sie gehören zu den bemerkenswerten Phänomenen dieser Zeit, mit Nullerfolg durch eine beständige Präsenz in den Medien zu glänzen und für einen Experten gehalten zu werden. Ihr Portfolio besteht ausschließlich aus Fehlschlägen. Nicht ein Erfolg, von dem eine Akademie mit Respekt sprechen würde. Geschweige denn ein gewonnener Preis. Die wenigen Anhänger unter den Studenten handeln Ihre Schriften in Bibliotheken wie Kinderpornos unter der Theke. Sie sollten für meine Hilfe dankbar sein und mich nicht als unnatürliches Ereignis behandeln, nur, weil Ihr beschränkter Geist keine Kenntnis von mir hat.«

»Mag sein. Eine Grundsatzfrage, für die wir noch Zeit haben werden. Zunächst will ich meinen beschränkten Geist dahingehend prüfen, ob ich nicht doch etwas von Ihrem Wesen verstanden habe.«

Flammershausen nutze die Erregung seines Gastes. Der Graue hatte sich unaufmerksam stückweise der Apparatur genähert, die ihm der Professor vorgestellt hatte. Trotz der harten Worte der Fee verstand er es, sie immer weiter anzulocken. Je mehr er sich unter ihren Beschimpfungen ducken musste, desto dichter war sie in ihrem Zorn herangerückt. So war es nicht geplant, aber es funktionierte.

Jetzt würde sich zeigen, wer recht hatte. Ob er, Prof. Dr. Lambert Flammershausen, der Versager war, von dem der Besucher vor Sekunden gesprochen hatte, wobei dieser gleichzeitig über den auf dem Boden gemalten roten Punkt trat. Ob er den Wolf zu packen und zerknüllen vermochte.

Er drückte einen auf den ersten Blick auffälligen, blinkenden Buzzer an der Apparatur. Es war alles ganz einfach. Einem Klappern, so, wie wenn eine Münze in den Schacht eines Zigarettenautomaten fällt, folgte aufladendes Surren mit abschließendem Klick. Ein Sauggeräusch entstand. Der graue Mann sah überrascht dem Geschehen zu und Flammershausen wartete gespannt darauf, ob seine Berechnungen stimmten.

Bereits normale Laborbedingungen brachten Schwierigkeiten mit sich, ein naturwissenschaftlich gesichertes Experiment optimal vorzubereiten. Zu Bedingungen nicht erforschter, ungeprüfter Metaphysik sowie parapsychologischer Glaubenslogik – ergänzt mit dem Erzählschatz der Bauern und Landfrauen der letzten Jahrhunderte über die passenden Essenzen, um Geisterwesen dingfest zu machen – waren die Chancen, zu versagen, unbegrenzt.

Zitternd vor Aufregung sah er der Auflösung des grauen Manns zu. Beobachtete, wie er sich in grüne Partikel verwandelte, die Mücken gleich im Schwarm umherirrten. Er versuchte, in den Partikelstrom zu greifen, der von dem frei in der Luft schwebenden, schwerelosen Trichter systematisch aufgenommen wurde. Man könnte vom rein Sichtbaren ausgehend sogar aufgesaugt sagen, jedoch wäre dieser Begriff gänzlich falsch gewählt. Es handelte sich um eine esoterische Diffusion, was schier mechanische Saugkräfte nicht bewerkstelligten. Das Innere des Behältnisses oberhalb der Maschine machte die Partikel wieder sichtbar.

»Ja!«, rief Flammershausen und führte einen absurden Tanz in der Werkstatt auf. Die Anspannung der letzten Stunden, ach, Tage fiel von ihm ab. Schadenfroh umarmte er seine Erfindung und hauchte Atem auf die Glasoberfläche des Kolbens. Fast liebevoll flüsterte er:

»Ich bedaure, werter Besucher. Ich musste es prüfen. Ich hätte eher damit gerechnet, zu scheitern und in Ihre Hände zu fallen. Aber ich hatte Erfolg! Wow. Die Kombination hochmoderner Technik mit Hausmittelchen aus dem Mittelalter. Das muss mir erst einmal jemand nachmachen!« Er jauchzte.

An der Glocke war die Kälte, die von innen nach außen drang, spürbar. Nachdem er an der Apparatur gehorcht hatte, klopfte er ans Glas und sah, wie die Partikel erschrocken durcheinanderwirbelten. Vorsichtshalber kniff er den Schlauch vor dem Trichter ab, damit nichts zurückfloß. Wie, wenn man Angst hat, dass die weggesaugte Spinne wieder aus dem Staubsauger zurückkriecht. Womit er bewies, dass in seiner Vorstellungswelt nach wie vor Haushaltsgeräte trotz aller praktizierter esoterischer Theorie als Erklärungsmodelle dienten. Dann schaltete er die Saugvorrichtung ab.

»Können Sie mich verstehen?«, rief er. Ein Summen kam aus dem Gebilde. »Hallo?« Keine Antwort. Spät fiel ihm die Vorrichtung ein, die er konstruiert hatte. Eine Art Gegensprechanlage. Es piepte kurz, daraufhin rief er erneut: »Hallo?«

Aus dem Lautsprecher knackte es. Eine verzerrte Stimme sprach: »Sind Sie wahnsinnig? Holen Sie mich hier heraus!«

Flammershausen lachte. Er schritt im Zimmer auf und ab, klopfte sich vergnügt auf die Schenkel, beugte sich wieder zum Kommunikationsmodul herunter und rief triumphierend:

»Jetzt werden Sie hierbleiben, mein Lieber. Jetzt habe ich Sie zumindest bis ans Ende des Rennens in meiner Hand. Womöglich länger. Wenn das nicht klappt wie abgesprochen, bleiben Sie weiter Gast des Instituts. Was sagen Sie nun?«

»Sie sind verrückt, Flammershausen. Da Sie wissen, wer ich bin, sollten Sie sich den Gefallen tun, mich herauszuholen.«

»Sie sind eine männliche Fee, das habe ich hiermit bewiesen. Ihre Zauberei reicht nur so weit, wie Sie die Wünsche von Menschen erfüllen. Solange Sie da drin sind, können Sie sich mit meinen Interessen vertraut machen, oder in dem von mir kreierten Partikelstrom braten, bis ein Wunder Sie befreit. Es ist viel Zeit, miteinander zu reden.«

»Ich kenne Zauber, der gegen Sie wirkt, seien Sie vorsichtig.«

»Ich hätte mich nicht so weit vorgewagt, wenn unklar wäre, ob Flüche und Verwünschungen nicht doch zum Repertoire männlicher Feen gehörten. Anders gesagt, Sie können lediglich die Wünsche von Menschen erfüllen und keineswegs von sich aus magisch aktiv werden. Von Taschenspielertricks abgesehen. Wir werden neu ins Geschäft kommen.«

Er hörte ein Seufzen aus dem Lautsprecher.

»Das ist alles?«, fragte der Graue betont gelangweilt.

»Ich will die mystischen Worte hören: ›Du hast drei Wünsche frei!‹, oder Ähnliches. Was ist?«

»Professor Flammershausen, das geht ausschließlich unter streng definierten Voraussetzungen. Sie müssen der Welt schon einen Gefallen getan haben, eine Fee gerettet oder ein guter Mensch sein. Hier fangen die Schwierigkeiten an, wenn Sie mich fragen. Und noch etwas: Bestimmt lasse ich mich nicht dazu nötigen, Ihnen drei Wünsche zu erfüllen.«

Flammershausen schaltete die Sprechanlage ab. Er hatte Widerstand erwartet. Er würde später wiederkommen, vielleicht hatte sich dann die Haltung seines Fangs geändert. »Gute Nacht«, sagte er ungehört, mehr zu sich und löschte das Licht in der Kammer. Im Dunkeln glühte es grünlich aus der Apparatur.

Jurij Potrenko

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