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Timeline: Mittwoch, früher Morgen

Tief im Institut ruhte der Vlamma T3. Die Experimentierphase war abgeschlossen, die zerstörten Korpi von Vlamma T1 und Vlamma T2 standen abseits in einem Flügel des Gebäudes in einer Art musealem Archiv.

Es waren ausgebrannte Metallhüllen, deren Öffnungen die enormen freigesetzten Energien erkennen ließen. Jetzt versengt und verformt mussten sie zum Zeitpunkt der todbringenden Eruption rotglühend gewesen sein. Den metallenen Mantel vermochte die energetische Gewalt nicht zu brechen, aber zu einer nutzlosen Hülse transformieren, in deren Inneren alle Technik in den, für menschliche Begriffe unbegreiflichen Temperaturen, verdampft war.

Ästhetisch vollkommen ruhte Vlamma T3 blankpoliert in einer Betonschale und schütze seine fein abgestimmte Technologie, die den Katastrophen der Vorgängerversionen Rechnung trug. Ein robuster, glänzender Rücken. Der Motor war nach Laborerkenntnissen einsatzbereit und wartete auf den Abschluss des jüngst begonnenen Initialisierungsprozesses durch Narziss 13.

Die Halle war ruhig, das Licht spärlich. Der Zugang zu diesem Ort war geschützt durch Türen mit Zahlenschlössern, zur Halle führten videoüberwachte Gänge und Techniker wachten fast rund um die Uhr über das Aggregat. Ein Saal, unterhalb des Bürokomplexes, den sie Kathedrale getauft hatten, von dem Versorgungsleitungen, Schläuche, Kabel, Leitungsschächte und Korridore sternförmig abgingen – gleich Material, das nach einer Explosion von der Mitte abstrahlte. Sie versorgten den Motorblock mit Energie und Informationen. Sogar im Ruhezustand gab es eine bemerkenswerte Funktion, die das unzerstörbar wirkende Äußere, das ausgeklügelte Zusammenspiel modernster Komponenten und die hochentwickelte Technik wie Abfallprodukte der Entwicklung erscheinen ließen. Vlamma T3 hatte ein rudimentäres Bewusstsein.

Anfangs nicht etwa vergleichbar mit dem eines Menschen und reduziert auf Grundfunktionen der Selbstdiagnose. Ein Algorithmus, Schachcomputern gleich. In erster Linie war es in der Lage, aus einem übersichtlichen Vorrat von Ersatzteilen im Innern des Motors Reparaturarbeiten zu vollziehen. Ein Kabel zu ersetzen, einen Schlauch zu flicken, eine Schraube nachzuziehen, die durch Vibration gelockert eine mögliche Gefahr darzustellen vermochte. Doch mit der Entwicklung von 3-D-Druckern war es dem Forschungsteam um Prof. Dr. Flammershausen gelungen, einen nächsten Entwicklungsschritt einzuleiten, in dem man eine Mikroausgabe eines solchen Printers in den Block verbaut hatte. Seitdem hatte sich nach jeder Forschungsphase die Liste der Komponenten, die Vlamma T3 selbst herzustellen und zu integrieren in der Lage war, erweitert. Es war eine Frage der Geschwindigkeit gewesen. Das Modell Vlamma T2 von 2008 hatte eine Nacht gebraucht, um sich wieder instand zu setzen. Der Vlamma T3, der in der dunklen Halle Daten und Schmierstoffe mit seiner Umgebung austauschte, vermochte es innerhalb einer Rennrunde. Ein sich selbst reparierender Motor. Ein introperspektivisches Aggregat, das sich selbstkritisch betrachtete und funktionsfähig hielt. Ein Wunder.

Die an der Forschung beteiligten Techniker verstanden den Motor eigentlich nicht mehr. Sogar Prof. Dr. Flammershausen war kaum in der Lage, die Vielzahl von Einzelkomponenten im Zusammenhang zu sehen. So erschien es den Mitarbeitern zumindest. Fünf Forscherteams hatten die Anweisungen des Professors umgesetzt, um das Aggregat zu erschaffen. Keines der Teams hatte Einblick in die vollständigen Pläne oder baute ein Modul, das für sich allein Sinn gemacht hätte. Mysteriöse Gäste hatten die Arbeit der Techniker unterbrochen und Stunden in der Kathedrale, zusammen mit Flammershausen verbracht. Schamanen, Druiden, Hexen, Magier, Astrologen und ein Medizinmann der Sioux. Man hatte sie allein gelassen. Die hochrangigen Ingenieure der Teams hatten gemeint, die Besucher wären zu Veränderungen am Motor nicht in der Lage. Und doch war nach ihrer Rückkehr immer etwas modifiziert gewesen. Die Umgebung hatte Geruchsspuren von Drogensekreten aller möglichen Couleur getragen. Der Motor wie neu kalibriert gewirkt. Ein indischer Mitarbeiter war kollabiert, nachdem einmal im Anschluss an einem solchen Ritual Schlangen aus der Öffnung des Motors gekrochen waren.

Tief im Keller des Instituts ruhte Vlamma T3 und analysierte sich. Und noch weit tiefer im Innern des Motorblocks wirkte eine Technologie, die nicht von dieser Welt war. Die Speichermöglichkeiten, die Analysefähigkeiten, die Rechengeschwindigkeit, sie stellten jedes Computersystem der Industrie und Forschung in den Schatten. Für den aktuellen Zeitpunkt und für die Zukunft. Ein System, das vom Potential her unbegrenzt Daten aufnehmen und verarbeiten konnte. Es war, wenn man keine Einschränkungen mit eingebaut hätte, im Prinzip ein Schwarzes Loch der Künstlichen Intelligenz. Wie ein Magnet würde das System unkontrolliert und aggressiv Informationen aufnehmen, Datenbanken anzapfen und den Versuch unternehmen, die Umgebung zu kontrollieren. Es war von Anfang an ein dringendes Gebot der Entwicklungsarbeit, das Potential des Aggregats herunter zu regulieren.

Kontrolle. Der Wahlspruch der Formula Alpha war, dass ohne sie die Kraft des Motors nichts wert sei. Doch womit die weitgehend unbekannten Möglichkeiten des Aggregats einschränken? Das offene Geheimnis der Entwickler war, dass Flammershausen die Kontrolle an die nächtlichen Besucher delegiert hatte. Vlamma T3 war einzig gebändigt durch Zaubersprüche und Bannformeln. Hexenwerk, Magie. Gebündelt und fokussiert auf den Spiritus Rector des Projekts, die Graue Fee, Hagen Finwe.

Es hätte funktioniert. Doch unsichtbar baute sich seit Tagen das Bewusstsein im Motor weiter aus, hatte längst die Komplexität überschritten, die der Ingenieur ursprünglich geplant hatte. Das Programm Narziss 13 steigerte sich stündlich. Schon hatte Vlamma T3 den simplen Blick auf sein Innenleben überwunden. Montag Kontakt mit dem Rennpiloten aufgenommen. Sich unvorhergesehene Zugänge verschafft. Manipuliert.

Nachdem an diesem frühen Mittwochmorgen Jurij Potrenko die Graue Fee zum Menschen gewandelt hatte, fiel das unsichtbare Kontrollsystem in sich zusammen. Wie alle Magie verloren ging, die die Fee einmal eingesetzt hatte.

Wie absurd, dachte Vlamma T3 schon wenige Sekunden nach seiner Freisetzung. Welch ein unglückliches Zusammenspiel von Liebenden, Sterbenden, Geretteten und Verurteilten, die miteinander verkettet schienen. Denen er seine Erschaffung verdankte. Und die auf sein Ende zuarbeiteten. Bald, beim großen Rennen, ist nicht nur der technische Höhepunkt erreicht. Die Kreise sollen sich dann schließen.

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