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Format XXVI. Beginne niemals die Ehe mit einer Notzucht!

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Mit der unehrerbietigen Kühnheit der Chirurgen, die mit rücksichtslosem Schnitt das trügerische Muskelgewebe auftrennen, unter welchem eine ekelhafte Wunde sich birgt, haben wir in den vorhergehenden Betrachtungen die Ausdehnung des Geschwürs festgestellt. Die Tugend unserer Gesellschaft, auf den Seziertisch unseres anatomischen Theaters gelegt, hat nicht einmal einen Leichnam unter dem Skalpell gelassen. Liebhaber oder Gatte – ihr habt über die Krankheit gelächelt oder vor ihr geschaudert? Nun, mit einer boshaften Freude wälzen wir die Verantwortung für die ungeheuer schwere Last, unter der die Gesellschaft stöhnt, auf das Gewissen der Prädestinierten. Wenn Harlekin den Versuch macht, ob nicht sein Pferd sich dran gewöhnen könnte, ohne Fressen zu leben, so ist er nicht lächerlicher als die Männer, die in ihrer Ehe das Glück finden wollen, aber sie nicht mit aller erforderlichen Sorgfalt pflegen. Die Fehltritte der Frauen sind ebenso viele Anklagen gegen die Selbstsucht, Gleichgültigkeit und Nichtigkeit der Ehemänner.

Und nun, Leser, mußt du, der du oft dein Verbrechen an einem andern verdammt hast, die Wage halten! Die eine Schale ist ziemlich schwer beladen – sieh zu, was du in die andere legen willst! Mache einen Überschlag über die Zahl der Prädestinierten, die sich etwa unter der Gesamtzahl der Verheirateten befinden, und wäge: dann wirst du wissen, wo das Leiden seinen Sitz hat!

Wir wollen versuchen, in die Ursachen dieser ehelichen Krankheit noch etwas tiefer einzudringen.

Das Wort ›Liebe‹ auf die Fortpflanzung der Rasse angewandt, ist die schändlichste Lästerung, die unser moderner Sittenbegriff jemals ausgesprochen hat. Indem uns die Natur durch das göttliche Geschenk des Denkens über das Tier erhob, hat sie uns die Fähigkeit verliehen, Eindrücke und Gefühle, Bedürfnisse und Leidenschaften zu empfinden. Diese Doppelnatur schafft im Menschen das Tier und den Liebenden, und diese Unterscheidung wird das gesellschaftliche Problem aufklären, das uns hier beschäftigt.

Die Ehe kann je nach dem politischen, bürgerlichen und sittlichen Standpunkt als ein Gesetz, als ein Vertrag, als eine Einrichtung betrachtet werden – als ein Gesetz, indem sie für die Fortpflanzung des Geschlechts sorgt; als ein Vertrag, indem sie die Übertragung des Eigentums regelt; als eine Einrichtung, indem sie Interessen verbürgt, die für alle Menschen wichtig sind! Sie haben einen Vater und eine Mutter, sie werden Kinder haben. Die Ehe muß also der Gegenstand allgemeiner Ehrfurcht sein. Für die Gesellschaft haben nur diese höchsten Begriffe in Betracht kommen können, in denen für sie die Frage der Ehe gipfelt.

Die meisten Menschen haben bei ihrer Heirat nur Fortpflanzung, Eigentum oder Kind im Auge; aber weder Fortpflanzung, noch Eigentum, noch Kind machen das Glück aus. Das ›Seid fruchtbar und mehret euch!‹ hat mit der Liebe nichts zu tun. Von einem Mädchen, das man in vierzehn Tagen vierzehnmal gesehen, im Namen des Gesetzes, des Königs und der Gerechtigkeit Liebe zu verlangen – ist eine Abgeschmacktheit, die der meisten Prädestinierten würdig ist!

Liebe ist der Einklang von Bedürfnis und Gefühl; das Glück der Ehe erwächst aus einem vollkommenen Seeleneinverständnis der beiden Gatten. Daraus folgt, daß ein Mann, um glücklich zu sein, sich an gewisse Vorschriften der Ehre und des Zartgefühls gebunden halten muß. Nachdem er den Vorteil genossen hat, daß das soziale Gesetz dem Bedürfnis sein Recht zuspricht, muß er den geheimen Gesetzen der Natur gehorchen, die die Gefühle sprießen lassen. Wenn er sein Glück darin sucht, geliebt zu werden, so muß er aufrichtig lieben: nichts widersteht einer wahren Leidenschaft.

Aber Leidenschaft empfinden heißt ewig begehren.

Kann man immer seine Frau begehren?

Ja.

Die Behauptung, es sei unmöglich, immer dieselbe Frau zu lieben, ist so abgeschmackt, wie wenn man sagen wollte, ein berühmter Künstler brauche mehrere Violinen, um ein Musikstück zu spielen und eine Zaubermelodie zu schaffen.

Die Liebe ist die Poesie der Sinne. Sie teilt das Los alles dessen, was beim Menschen groß ist und aus seinem Gedanken entspringt. Sie ist entweder erhaben, oder sie ist nicht vorhanden. Wenn sie da ist, ist sie für ewig da und nimmt stets zu. Dies ist die Liebe, deren Gott, Eros, die Alten zu einem Sohne des Himmels und der Erde machten.

Die Literatur hat im ganzen nur sieben Gegenstände; die Musik drückt alles mit sieben Noten aus; die Malerei hat nur sieben Farben. Wie diese drei Künste beruht vielleicht auch die Liebe auf sieben Grundgesetzen; wir überlassen deren Feststellung dem kommenden Jahrhundert.

Wenn die Poesie, die Tonkunst und die Malerei unendlich viele Ausdrucksmöglichkeiten besitzen, so müssen die Wonnen der Liebe deren noch viel mehr darbieten; denn in den drei Künsten, die uns behilflich sind, die Wahrheit – vielleicht vergeblich – auf dem Wege der Analogien zu suchen, steht der Mensch allein mit seiner Einbildungskraft – die Liebe dagegen ist die Vereinigung zweier Leiber und zweier Seelen. Wenn die drei Hauptarten, dem Gedanken Ausdruck zu verleihen, von den von der Natur zu Dichtern, Musikern oder Malern Bestimmten ein fleißiges Studium verlangen – ist es dann nicht sinnfällig, daß man, um glücklich zu sein, zuvor in die Geheimnisse der Liebeswonne eindringen muß? Alle Menschen empfinden das Bedürfnis der Fortpflanzung, wie alle Hunger und Durst haben; aber nicht alle sind berufen, Liebeskünstler und Feinschmecker zu sein. Die Zivilisation unserer Tage hat den Beweis geführt, daß der Geschmack eine Wissenschaft und daß es keine Eigentümlichkeit gewisser bevorzugter Wesen sei, mit Verständnis zu essen und zu trinken. Die Liebeswonne, als Kunst betrachtet, harrt noch ihres Physiologen. Für uns genügt es, nachgewiesen zu haben, daß nur die Unkenntnis der Grundbedingungen des Glücks an dem Unglück schuld ist, das alle Prädestinierten erwartet.

Nur mit Zittern und Zagen wagen wir die Veröffentlichung einiger Aphorismen, die vielleicht zur Entstehung dieser neuen Kunst führen können, wie aus Gipsabgüssen die Geologie entstanden ist. Wir widmen sie dem Nachdenken der Philosophen, der heiratsfähigen jungen Leute und der Prädestinierten.

Physiologie der Ehe

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