Читать книгу Cäsar Birotteaus Größe und Niedergang - Оноре де Бальзак - Страница 4
Cäsar auf dem Gipfel seines Ruhms
ОглавлениеIn den Winternächten hört der Lärm in der Rue Saint-Honoré nur für einen Augenblick auf; die Gemüsehändler, die in die Markthalle fahren, setzen das Geräusch der Wagen fort, die aus den Theatern oder von den Bällen nach Hause rollen. Gerade in dieser kurzen Ruhepause des Pariser Straßenlärms, die gegen ein Uhr morgens eintritt, fuhr die Frau des Parfümeriehändlers Cäsar Birotteau, der nahe am Vendômeplatz sein Geschäft hatte, jäh aus einem entsetzlichen Traum in die Höhe. Sie hatte sich doppelt gesehen, sie war sich selbst, in Lumpen gehüllt und mit vertrockneter runzliger Hand die Türklinke ihres eigenen Ladens öffnend, erschienen, so dass sie sich gleichzeitig auf ihrer Türschwelle und in ihrem Kontorsessel befand; sie bettelte sich selbst um ein Almosen an, sie hörte sich zugleich an der Tür und im Kontor sprechen. Sie wollte nach ihrem Mann greifen und fasste mit der Hand auf eine kalte Stelle. Da wurde ihre Angst so gewaltig, dass sie ihren steifgewordenen Hals nicht mehr bewegen konnte; die Kehle war ihr wie zugeschnürt, sie konnte keinen Ton herausbringen; die stieren Augen aufgerissen, das Haar schmerzhaft sich sträubend, die Ohren voll von fremdartigen Tönen, das Herz zusammengepresst, aber heftig schlagend, so saß sie starr wie festgebannt da, zugleich in Schweiß gebadet und zu Eis erstarrt, mitten in dem Alkoven, dessen beide Türen offen standen.
Die Furcht ist ein halb krankhaftes Gefühl, das auf die menschliche Maschinerie so heftig einwirkt, dass ihre Eigenschaften plötzlich sich bis zum höchsten Grade der Möglichkeit steigern oder auch in äußerste Verwirrung geraten. Die Physiologie ist lange Zeit von diesem Phänomen in Erstaunen gesetzt worden, das ihre Systeme über den Haufen wirft und ihre Hypothesen stört, obwohl es ganz einfach nur ein Blitzschlag im Innern ist, aber, wie alle elektrischen Erscheinungen, bizarr und unberechenbar in seiner Art. Diese Erklärung wird von dem Tage an eine Selbstverständlichkeit sein, da die Gelehrten erkannt haben werden, welche überaus wichtige Rolle die Elektrizität bei der Tätigkeit des menschlichen Gehirns spielt.
Frau Birotteau machte also etliche dieser gewissermaßen hellseherischen Schmerzempfindungen durch, die jene schrecklichen Entladungen des durch einen unbekannten Mechanismus ausgeweiteten oder konzentrierten Willens bewirken. So empfand die arme Frau während eines Zeitraumes, der nach der Uhr gemessen sehr kurz, aber nach der Schnelligkeit der einander folgenden Eindrücke berechnet, unmessbar war, das ungeheuerliche Vermögen, mehr Gedanken zu fassen und mehr Erinnerungen in sich aufsteigen zu lassen, als sie bei normalem Zustande ihrer Fähigkeiten im Verlaufe eines ganzen Tages vermocht hätte. Die anschauliche Wiedergabe dieses Monologes geschieht am besten mit den wenigen ungereimten, widerspruchsvollen und sinnlosen Worten, so wie sie gesprochen wurden:
»Es gibt gar keinen Grund, warum Birotteau aus dem Bett gestiegen ist! Er hat so viel Kalbsbraten gegessen, vielleicht ist ihm schlecht! Aber wenn er unwohl wäre, würde er mich geweckt haben. Neunzehn Jahre schlafen wir zusammen in diesem Bett, in diesem selben Hause, und niemals ist es passiert, dass er aufgestanden wäre, ohne es mir zu sagen, der arme Kerl! Er war nur weg, wenn er die Nacht auf Wache verbringen musste. Ist er denn heute Abend mit mir zusammen schlafen gegangen? Aber gewiss doch; mein Gott, wie dumm bin ich.«
Sie richtete ihren Blick auf das Bett und sah dort die Nachtmütze ihres Mannes, die noch die fast kegelartige Form seines Kopfes zeigte.
»Er ist also tot! Sollte er sich getötet haben? Aber weshalb denn?« fing sie wieder an. »Seit zwei Jahren, seitdem sie ihn zum Beigeordneten ernannt haben, ist er ganz wie ausgetauscht. Ihm ein Amt aufzuladen, ist das nicht, so wahr ich eine anständige Frau bin, zum Erbarmen? Sein Geschäft geht gut, er hat mir einen Schal geschenkt. Sollte es doch nicht gut gehen? Ach, das würde ich doch wissen. Aber kann man jemals wissen, was ein Mann hinter sich hat? Oder eine Frau? Aber das ist auch kein Unglück. Aber wir haben doch heute für fünftausend Franken verkauft! Übrigens kann ein Beigeordneter nicht Selbstmord verüben, dazu kennt er die Gesetze zu gut. Aber wo steckt er denn?«
Sie vermochte weder den Kopf zu drehen, noch die Hand auszustrecken, um die Klingel zu ziehen, die die Köchin, drei Kommis und den Hausdiener in Bewegung gesetzt hätte. Unter dem Alpdruck, der sich auch in ihrem wachen Zustande fortsetzte, vergaß sie, dass ihre Tochter friedlich im Nebenzimmer schlief, dessen Tür sich am Fußende ihres Bettes befand. Endlich schrie sie: »Birotteau!« Es erfolgte keinerlei Antwort. Sie glaubte, den Namen, gerufen zu haben und hatte ihn nur in Gedanken ausgesprochen.
»Sollte er eine Geliebte haben? Dazu ist er zu einfältig«, fuhr sie fort, »und dazu hat er mich auch viel zu lieb. Hat er nicht zu Frau Roguin gesagt, dass er mir niemals untreu gewesen ist, nicht einmal in Gedanken? Er ist doch die Ehrenhaftigkeit selber, dieser Mann. Wenn Einer ins Paradies zu kommen verdient, dann ist er es. Was hat er seinem Beichtvater zu bekennen? Lappalien. Für einen Royalisten zum Beispiel, der er ist, ohne recht zu wissen warum, trägt er seine Religion nicht gerade sehr zur Schau. Der gute Kerl geht um acht Uhr morgens heimlich zur Messe, als ob er in ein zweifelhaftes Haus schliche. Er fürchtet Gott, aber um Gottes, nicht um der Hölle willen; die geht ihn nichts an. Wie sollte er auch eine Geliebte haben? Er hängt mir so am Rock, dass er mich schon damit langweilt. Er liebt mich wie seinen Augapfel, er würde sich seine Augen für mich ausreißen lassen. Neunzehn Jahre lang hat er nie ein Wort lauter als das andere betont, wenn er zu mir sprach. Selbst seine Tochter kommt für ihn erst in zweiter Reihe. Aber Cäsarine ist ja dort... (Cäsarine! Cäsarine!) Niemals hat Birotteau einen Gedanken gehabt, den er mir nicht mitgeteilt hätte. Damals, als er noch in den Petit-Matelot kam, da hat er mit Recht behauptet, dass ich ihn erst richtig erkennen würde, wenn ich ihn erprobt hätte. Und nun kommt's so! ... Das ist doch merkwürdig.«
Mühsam drehte sie jetzt den Kopf und sah verstohlen durch das Zimmer, noch ganz erfüllt von den phantastischen Nachtgesichten, an deren Wiedergabe die Feder verzweifelt und die allein dem Pinsel des Genremalers vorbehalten zu sein scheinen. Wie soll man mit Worten das schreckliche Hin und Her schildern, das die tiefen Schatten, die phantastischen Formen der vom Zugwind aufgeblähten Vorhänge, das Spiel des undeutlichen Lichtes der Nachtlampe auf den Falten des roten Kalikos, die Strahlen, die ein Gardinenhalter wirft, deren schimmernde Mitte dem Auge eines Diebes gleicht, die Erscheinung eines am Boden liegenden Rockes, kurz alle jene bizarren Dinge hervorbringen, die die Vorstellungskraft in dem Moment in Schrecken versetzen, wo sie nur fähig ist, Schmerzen zu empfinden und sie noch zu vergrößern? Frau Birotteau glaubte jetzt einen hellen Lichtschein in dem benachbarten Zimmer zu sehen und dachte sofort an Feuer; als sie aber ein rotes Halstuch bemerkte, das eine Blutlache zu sein schien, dachte sie ausschließlich an Diebe, vor allem, weil sie die Spuren eines Kampfes an der Art, wie die Möbel umgestellt waren, zu erkennen meinte. Als sie sich der Summe erinnerte, die in der Kasse war, vertrieb eine wohltätige Angst die heißkalten Nachtgebilde; außer sich sprang sie im Hemde mitten ins Zimmer, um ihrem Manne beizustehen, den sie im Handgemenge mit Mördern glaubte.
»Birotteau! Birotteau!« schrie sie endlich mit angstvoller Stimme.
Da fand sie ihren Mann in der Mitte des Nebenzimmers, eine Elle in der Hand und in der Luft messend, aber so mangelhaft in seinen Schlafrock aus grünem Kattun mit schokoladenbraunen Tüpfeln gehüllt, dass seine Beine von der Kälte gerötet waren, ohne dass er es empfand, so in Gedanken versunken war er. Als er sich umwandte und zu seiner Frau sagte: »Nun, was willst du denn, Konstanze?« machte er, wie die Leute, die von ihren Berechnungen absorbiert sind, ein so besonders albernes Gesicht, dass Frau Birotteau in ein Gelächter ausbrach.
»Mein Gott, Cäsar, wie komisch bist du so!« sagte sie. »Warum lässt du mich denn allein, ohne mir etwas zu sagen? Ich bin vor Angst beinahe gestorben, ich wusste gar nicht, was ich mir denken sollte. Was machst du denn da, so allem Zug ausgesetzt? Du wirst dich auf den Tod erkälten. Aber hörst du mich denn, Birotteau?«
»Ja, liebe Frau, und hier bin ich«, antwortete der Parfümhändler und trat in das Zimmer.
»Vorwärts, komm und erwärme dich und sag mir, was dir im Kopfe spukt«, begann Frau Birotteau wieder, schob die Asche des Kamins beiseite und beeilte sich, das Feuer wieder anzuzünden. »Mir ist eiskalt. Ich war so töricht, im Hemde herauszuspringen. Aber ich habe wirklich geglaubt, man ermordet dich.«
Der Kaufmann stellte den Leuchter auf den Kamin, zog seinen Schlafrock zusammen und holte mechanisch seiner Frau ihren flanellenen Unterrock.
»Hier, mein Herz, zieh ihn an«, sagte er. »Zweiundzwanzig zu achtzehn,« fuhr er in seinem Monologe fort, »wir können einen prachtvollen Salon haben.«
»Aber, Birotteau, bist du denn verrückt geworden? Träumst du?«
»Nein, mein Kind, ich rechne.«
»Wenn du Dummheiten machen willst, dann warte wenigstens, bis es Tag ist«, rief sie aus, befestigte ihren Unterrock unter der Nachtjacke und ging die Tür des Zimmers öffnen, in dem ihre Tochter schlief.
»Cäsarine schläft,« sagte sie, »sie wird uns nicht hören. Und nun, Birotteau, rede endlich. Was hast du denn?«
»Wir können den Ball geben.«
»Einen Ball geben? Wir? So wahr ich eine anständige Frau bin, du träumst, mein Lieber.«
»Ich träume nicht, mein Herzchen. Höre, es ist nötig, so zu handeln, wie man es der Stellung, die man einnimmt, schuldig ist. Die Regierung hat mich ans Licht gezogen, ich gehöre zur Regierung; wir sind verpflichtet, ihre Grundsätze zu studieren und ihre Absichten zu unterstützen, indem wir sie deutlich machen. Der Herzog von Richelieu hat es jetzt erreicht, dass die fremden Truppen Frankreich räumen. Herr von la Billardière wünscht, dass die Beamten, die die Stadt Paris repräsentieren, ein jeder in der Sphäre seiner Beziehungen, die Befreiung des Landes feiern sollen. Wir wollen den wahren Patriotismus zeigen, über den der der sogenannten Liberalen, dieser verdammten Intriganten, erröten soll, was? Denkst du, dass ich mein Vaterland nicht liebe? Ich will den Liberalen, meinen Feinden, zeigen, dass den König lieben, Frankreich lieben heißt!«
»Du glaubst also, dass du Feinde hast, mein Lieber?«
»Aber gewiss, liebe Frau, wir haben Feinde. Und auch die Hälfte unsrer Freunde in diesem Stadtviertel ist uns feindlich gesinnt. Alle sagen sie: Birotteau hat Glück, Birotteau ist ein Mann von niedriger Herkunft, und gleichwohl ist er jetzt Beigeordneter; alles gelingt ihm. Nun, sie werden sich noch mehr aufregen. Du aber sollst jetzt als erste erfahren, dass ich Ritter der Ehrenlegion geworden bin: der König hat gestern die Ernennung unterzeichnet.«
»Oh,« sagte Frau Birotteau ganz gerührt, »dann müssen wir allerdings einen Ball geben, mein Lieber. Aber weswegen hat man dir denn das Kreuz verliehen?«
»Als mir gestern Herr von la Billardière die Neuigkeit mitteilte,« erwiderte Birotteau verlegen, »da habe ich, wie du, mich auch gefragt, welches Anrecht ich denn darauf hätte; als ich aber heimging, ist es mir schließlich doch klar geworden und ich habe der Regierung zugestimmt. Erstens bin ich Royalist und bin vor Saint-Roch verwundet worden; bedeutet es nicht schon etwas, wenn man sieht, dass einer in jenen Zeiten für die gute Sache mit den Waffen eingetreten ist? Dann habe ich, nach der Meinung verschiedener Kaufleute, meine amtliche Tätigkeit zu allgemeiner Zufriedenheit ausgeübt. Schließlich bin ich Beigeordneter, und der König bewilligt der städtischen Verwaltung vier Ehrenkreuze. Nach Prüfung der Persönlichkeiten der Beigeordneten, die für die Auszeichnung in Frage kommen konnten, hat mich der Präfekt als ersten auf die Liste gesetzt. Übrigens muss mich der König kennen: dank dem alten Ragon liefere ich ihm das einzige Puder, das er gebrauchen mag; wir allein besitzen das Rezept dieses Puders der hochseligen Königin, dieses teuren erhabenen Opfers! Der Bürgermeister hat mich nachdrücklichst empfohlen. Was willst du also? Wenn der König mir das Kreuz verleiht, ohne dass ich ihn darum gebeten habe, so, meine ich, kann ich es nicht gut ablehnen, ohne den Respekt gegen ihn zu verletzen. Habe ich verlangt, Beigeordneter zu werden? Und deshalb, liebe Frau, da uns ein günstiger Wind von hinten treibt, wie dein Onkel Pillerault sagt, wenn er vergnügt ist, bin ich entschlossen, alles bei uns in Einklang mit unsrer hohen Stellung zu bringen. Wenn ich etwas zu bedeuten vermag, dann will ich auch wagen, das zu werden, was der liebe Gott noch mit mir vorhat, selbst Unterpräfekt, wenn das meine Bestimmung ist. Du bist sehr im Irrtum, meine Liebe, wenn du meinst, ein Bürger habe dem Vaterlande gegenüber seine Pflicht getan, wenn er zwanzig Jahre lang Parfümerien denen, die sie verlangt haben, verkauft hat. Wenn der Staat unsre Einsicht in Anspruch nehmen will, so schulden wir sie ihm ebenso, wie wir ihm die Mobiliarsteuer, die Tür- und Fenstersteuer und anderes schulden. Hast du denn Lust, immer weiter in deinem Kontor zu hocken? Du hast dich dort, Gott sei Dank, lange genug aufgehalten. Der Ball soll ein besonderes Fest für uns werden. Schluss mit dem Detailgeschäft, das heißt, für dich. Ich werde unser Schild ›die Rosenkönigin‹ verbrennen, an Stelle von ›Cäsar Birotteau, Parfümeriehändler, Ragons Nachfolger‹ werde ich einfach in dicken Goldbuchstaben ›Parfümerien ‹ setzen. Ins Zwischengeschoss kommt das Büro, die Kasse und ein hübsches kleines Zimmer für dich. Den hinteren Teil des Ladens, das Speisezimmer und die Küche mache ich zum Magazin. Ich miete das erste Stockwerk des Nachbarhauses und breche eine Tür dahin durch. Die Treppe wird versetzt, so dass ich eine Zimmerflucht durch beide Häuser erhalte. Dann werden wir eine große, elegant möblierte Wohnung haben! Ja, dein Zimmer wird neu ausgestattet werden, du sollst ein Boudoir haben und auch Cäsarine soll ein hübsches Zimmer bekommen. Das Kontorfräulein, das du engagieren wirst, und dein Hausmädchen (jawohl, Madame, Sie werden ein Hausmädchen halten!) werden im zweiten Stock untergebracht. In den dritten kommen die Küche, die Köchin und der Hausdiener. Der vierte soll zum großen Magazin für Flaschen, Kristall und Porzellan werden. Der Raum für unsere Arbeiterinnen kommt ins Dachgeschoss. Dann werden die Passanten nicht mehr mit anzusehen brauchen, wie die Etiketten aufgeklebt, die Plakate gemacht, die Flakons ausgesucht und die Flaschen zugepfropft werden. Das war gut für die Rue Saint-Denis; aber für die Rue Saint-Honoré, pfui, das schickt sich nicht. Unser Geschäft muss aussehen wie ein Salon. Und sind wir denn die einzigen Parfümeriehändler, die eine ehrenvolle Stellung einnehmen? Gibt es nicht Essig- und Mostrichhändler, die Kommandanten bei der Nationalgarde und bei Hofe gern gesehen sind? Wir wollen es ebenso machen, wir wollen unser Geschäft vergrößern und uns gleichzeitig der vornehmen Gesellschaft anschließen.«
»Weißt du, Birotteau, was ich denke, wenn ich dich so reden höre? Du kommst mir vor wie einer, der sich ohne Not selber Lasten aufladet. Erinnere dich daran, was ich dir gesagt habe, als es sich um deine Ernennung zum Bürgermeister handelte: deine Ruhe muss über alles gehen! Du bist, habe ich dir gesagt, für die Öffentlichkeit geschaffen wie mein Arm für einen Windmühlenflügel. Die Ehre würde dein Untergang sein. Du hast nicht auf mich hören wollen, und nun werden wir dem Untergang zusteuern. Wenn man eine politische Rolle spielen will, muss man Geld haben; haben wir denn genug? Wie, du willst dein Schild verbrennen, das sechshundert Franken gekostet hat, und auf die ›Rosenkönigin‹, die dich mit Recht berühmt gemacht hat, verzichten? Überlass doch den andern den Ehrgeiz. Wer seine Hand in einen Scheiterhaufen steckt, der verbrennt sie sich. Heutzutage verbrennt man sich an der Politik. Wir haben schöne hunderttausend Franken in bar, die nicht in unserm Geschäft, unsrer Fabrik und unsern Waren angelegt sind. Willst du dein Vermögen vergrößern, so mach es wie im Jahre 1793. Die Renten stehen zweiundsiebzig, kauf Renten. Du wirst zehntausend Franken Zinsen haben, ohne dass diese Anlage unserm Geschäft schaden kann. Dann benutze das, um unsre Tochter zu verheiraten, verkaufe unsre Papiere, und wir ziehen in deine Heimat. Fünfzehn Jahre lang hast du von nichts anderem geredet als von dem Kaufe von ›Les Trésorières‹, dem hübschen kleinen Gut dicht bei Chinon, wo es Wasser, Wiesen, Bäume, Weinberge gibt, mit zwei Meiereien, die tausend Taler Pacht bringen, wo wir beide gern wohnen würden, und heute, da will der Herr durchaus ein Regierungsmann werden? Überlege dir doch, was wir sind: Parfümhändler. Wenn man dir vor sechzehn Jahren, bevor du die ›Doppelpaste der Sultaninnen‹ und das ›Eau Carminative‹ erfunden hattest, gesagt hätte: ›Du wirst soviel Geld haben, dass du Les Tresorières kaufen kannst‹, würdest du nicht krank vor Freude geworden sein? Nun, jetzt kannst du diesen Besitz erwerben, nach dem du so begierig warst, dass du von nichts anderem geredet hast; jetzt aber sprichst du davon, das Geld für Torheiten auszugeben, das wir im Schweiße unseres Angesichts erworben haben, ich kann wohl sagen, unseres, denn ich habe die ganze Zeit hindurch immer im Kontor gesessen wie ein armes Vieh in der Hundehütte. Ist es nicht besser, wenn wir ein Absteigequartier bei unsrer Tochter, nachdem sie die Frau eines Pariser Notars geworden sein wird, haben und acht Monate in Chinon leben, als hier nun anzufangen, aus fünf Sous sechs Pfennige zu machen, und aus sechs Pfennigen nichts? Warte, bis die Staatsrenten steigen, dann kannst du deiner Tochter achttausend Franken Rente mitgeben, zweitausend behalten wir für uns, mit dem Preis für unser Geschäft können wir Les Tresorières kaufen. Dort, in deiner Heimat, mein lieber Alter, mit unsern wertvollen Möbeln, werden wir wie die Fürsten leben, während man hier mindestens eine Million haben muss, wenn man etwas vorstellen will.«
»Das hatte ich von dir erwartet, Frauchen«, sagte Cäsar Birotteau. »Aber so dumm bin ich noch nicht (obwohl du mich ja für sehr dumm hältst), dass ich daran nicht gedacht hätte. Nun höre mir aber ernsthaft zu. Alexander Crottat passt uns vortrefflich als Schwiegersohn, und er wird Roguins Notariat erwerben; aber meinst du denn, dass er sich mit einer Mitgift von hunderttausend Franken begnügen wird (ich setze dabei voraus, dass wir alle unsre flüssigen Mittel für die Heirat unsrer Tochter hergeben, was auch meine Absicht ist; denn ich würde mich für den Rest meiner Tage gern mit trocknem Brot begnügen, wenn ich sie glücklich wie eine Königin sehen könnte, also als die Frau eines Pariser Notars, wie du sagst)? Nun, hunderttausend Franken oder selbst achttausend Franken Rente sind nichts, wenn man das Notariat Roguins kaufen will. Der kleine Xandrot, wie wir ihn nennen, hält uns, wie alle Welt, für viel reicher, als wir sind. Wenn sein Vater, der dicke Gutspächter, der ein richtiger Hamster ist, nicht auch für hunderttausend Franken Land verkauft, wird Xandrot nicht Notar werden, denn das Notariat Roguins ist vier- bis fünfhunderttausend Franken wert. Wenn Crottat nicht die Hälfte in bar zahlt, wie soll das Geschäft zustandekommen? Cäsarine muss zweihunderttausend Franken Mitgift bekommen; und ich will, dass, wenn wir uns vom Geschäft zurückziehen, wir es als wohlhabende Bürger mit fünfzehntausend Franken Rente tun. Also, wenn du das als sonnenklar einsiehst, wirst du dann nicht dein Schnäbelchen halten müssen?« »Ja, wenn dir die Schätze von Peru gehören ...«
»Ja, mein Herz, sie gehören mir. Ja,« sagte er, fasste seine Frau um die Taille und gab ihr ein paar leichte Klapse, erregt von der Freude, die sein ganzes Gesicht belebte. »Ich habe mit dir von dieser Sache noch nicht reden wollen, bevor sie reif war; aber morgen wird sie wahrscheinlich zustande kommen. Also höre: Roguin hat mir eine Spekulation vorgeschlagen, die so sicher ist, dass er sich mit Ragon, deinem Onkel Pillerault und noch zwei andern seiner Klienten daran beteiligt. Wir wollen an der Madeleine-Kirche Terrains kaufen, die wir nach der Berechnung Roguins für ein Viertel des Wertes haben können, den sie in drei Jahren erreichen müssen, wo wir sie dann, wenn ihre Verpachtung abgelaufen sein wird, nach unserem Belieben ausschlachten können. Wir beteiligen uns alle sechs daran mit bestimmten Anteilen, ich mit dreihunderttausend Franken für drei Achtel. Wenn einer von uns Geld braucht, wird Roguin ihm das verschaffen, indem er auf seinen Anteil eine Hypothek aufnimmt. Um den Stiel der Pfanne in der Hand zu behalten und zu sehen, wie der Fisch brät, will ich, dem Namen nach, Eigentümer der einen Hälfte sein, die Pillerault, dem guten Ragon und mir zusammen gehört. Roguin wird unter dem Namen eines Herrn Karl Claparon der andere Mitbesitzer sein und, wie ich, seinen Sozien einen Revers ausstellen. Die Kaufurkunde wird in privatschriftlicher Verschreibung ausgestellt, bis wir Besitzer aller Terrains sind. Roguin wird genau prüfen, welche Kontrakte realisiert werden müssen, denn er weiß noch nicht gewiss, ob wir die Eintragung ins Grundbuch vermeiden und die Kosten auf diejenigen, an die wir dann im einzelnen verkaufen werden, abwälzen können; aber das dauert zu lange, wenn ich dir das erklären wollte. Sind die Terrains bezahlt, so haben wir nichts zu tun, als mit gekreuzten Armen zuzusehen, und in drei Jahren besitzen wir eine Million. Cäsarine wird dann ihr zwanzigstes Jahr erreicht haben, dann verkaufen wir unser Geschäft und können, dank dem Himmel, bei aller Bescheidenheit zu hoher Stellung aufsteigen.«
»So, und wo willst du die dreihunderttausend Franken hernehmen?« sagte Frau Birotteau.
»Von Geschäften verstehst du nichts, mein Herz. Ich gebe die hunderttausend Franken her, die bei Roguin stehen, vierzigtausend Franken nehme ich auf die Baulichkeiten und das Gartenland unsrer Fabrik im Faubourg du Temple auf, für zwanzigtausend haben wir Wechsel im Portefeuille, das sind zusammen hundertsechzigtausend Franken. Bleiben noch hundertvierzigtausend, für die ich Wechsel an die Order des Bankiers Karl Claparon geben werde; er übernimmt die Valuta dafür nach Abzug des Diskonts. Damit sind unsre hunderttausend Taler bezahlt: vor dem Termin braucht man nicht zu zahlen. Werden die Wechsel fällig, so können wir sie mit unsern Überschüssen einlösen. Und können wir das nicht, so wird Roguin mir Geld zu fünf Prozent leihen und es als Hypothek auf meinen Anteil an den Terrains eintragen lassen. Aber es wird gar nicht zu diesem Geldborgen kommen: ich habe eine Essenz gegen den Haarschwund erfunden, das Comagenöl! Livingston hat mir eine hydraulische Presse aufgestellt, mit der ich mein Öl aus Nüssen herstelle, denen unter solchem Druck all ihr Öl sofort ausgepresst wird. Nach meinen Berechnungen werde ich wenigstens hunderttausend Franken daran verdienen. Ich brüte über einer Annonce, die mit den Worten beginnen soll: ›Weg mit den Perücken!‹ und die eine großartige Wirkung machen wird. Du hast von meinen schlaflosen Nächten gar nichts gemerkt! Schon seit drei Monaten raubt mir der Erfolg des Makassaröls den Schlaf. Aber ich will das Makassaröl schon tot machen!«
»Das sind also die feinen Projekte, mit denen du seit zwei Monaten dein Gehirn abarbeitest, ohne dass du mir etwas davon sagst. Eben habe ich mich als Bettlerin an meiner eigenen Tür erblickt, das war ein Wink des Himmels. In kurzer Zeit wird uns nichts weiter bleiben als die Augen, um sie uns aus dem Kopfe zu weinen. Solange ich lebe, wirst du die Sache nicht machen, verstehst du mich, Cäsar? Dahinter stecken gewisse Machenschaften, die du nicht merkst, du bist zu anständig und zu ehrlich, um bei andern Betrügereien zu vermuten. Weshalb bieten sie dir Millionen an? Du beraubst dich aller deiner Ersparnisse, du engagierst dich über deine Mittel hinaus, und wenn nun die Wertsteigerung der Terrains nicht eintritt, womit willst du dann deine Wechsel bezahlen? Etwa mit den Schalen deiner Nüsse? Um in die feine Gesellschaft zu kommen, soll dein Name nicht mehr in der Firma erscheinen und das Schild der Rosenkönigin verschwinden, dafür aber willst du marktschreierische Annoncen und Prospekte loslassen, die den Namen Cäsar Birotteau an allen Ecken und auf allen Brettern, überall wo gebaut wird, anzeigen werden.«
»Oh, da bist du im Irrtum. Ich errichte eine Filiale unter der Firma Popinot, in irgendeinem Hause in der Nähe der Rue des Lombards, wo ich den kleinen Anselm hineinsetze. Damit werde ich zugleich die Schuld der Dankbarkeit gegen Herrn und Frau Ragon abtragen, wenn ich ihren Neffen etabliere, der so sein Glück machen kann. Die armen Ragons scheinen mir seit einiger Zeit sehr bedrückt auszusehen.«
»Aha, deshalb wollen diese Leute dein Geld haben.«
»Aber welche Leute denn, mein Kind? Etwa dein Onkel Pillerault, der uns lieb hat wie sein eignes Fleisch, und alle Sonntage bei uns isst? Oder der gute alte Ragon, unser Vorgänger, der vierzig Jahre ehrenhaften Lebens hinter sich hat und mit dem wir unsern Boston spielen? Oder schließlich Roguin, ein Pariser Notar, ein Mann von siebenundfünfzig Jahren, der sein Notariat seit fünfundzwanzig Jahren verwaltet? Ein Pariser Notar, das wäre der Gipfel, wenn nicht alle ehrenhaften Leute den gleichen Wert hätten. Also, wenn Not am Mann wäre, würden mir meine Sozien schon beispringen! Wo ist denn nun also das Komplott, mein Liebchen? Aber ich muss dir einmal meine Meinung sagen! So wahr ich ein anständiger Mensch bin, das liegt mir auf dem Herzen. – Immer bist du misstrauisch wie eine Katze gewesen! Sobald wir nur für zwei Sous Eigentum in unserm Laden hatten, hast du die Kunden für Spitzbuben gehalten. – Kniefällig muss man dich bitten, dass du gestattest, dich reich zu machen! Für ein Pariser Kind hast du wirklich recht wenig Ehrgeiz! Wenn du nicht ewig klagtest, könnte es keinen glücklicheren Menschen geben als mich! – Wenn ich auf dich gehört hätte, niemals hätt' ich die Sultaninnen-Paste und das Eau Carminative gemacht. Unser Ladengeschäft hat uns wohl ernährt, aber diese beiden Erfindungen und unsre Seifen haben uns hundertsechzigtausend Franken eingebracht, die wir klar und nett besitzen! – Ohne meine Erfindungsgabe – und ich habe Talent für die Parfümerie – wären wir kleine Detailhändler geblieben, wir würden uns plagen müssen, um unser Auskommen zu haben, ich würde nicht zu den angesehenen Kaufleuten gehören, die für die Wahl zum Handelsrichter in Frage kommen, ich würde weder Richter noch Beigeordneter geworden sein! Weißt du, was ich wäre? Ein Krämer, wie der alte Ragon einer war, womit ich ihn nicht beleidigen will, denn ich achte das Ladengeschäft, unser Hauptvermögen rührt ja daher! – Aber nach vierzig Jahren Handel mit Parfüms würden wir wie er dreitausend Franken Rente haben; und bei dem, was heute alles kostet, wo sich die Preise verdoppelt haben, würden wir, wie sie, kaum zu leben haben. (Täglich mache ich mir um das alte Ehepaar immer mehr Sorgen. Ich muss da endlich mal klar sehen, und ich werde das entscheidende Wort morgen von Popinot hören!) – Wäre ich deinem Rate gefolgt, dir, die du immer in Sorgen bist und dich immer fragst, ob du das, was du heute in der Hand hast, morgen noch haben wirst, so würde ich keinen Kredit, würde nicht das Kreuz der Ehrenlegion und nicht die Aussicht haben, eine politische Persönlichkeit zu werden. Ja, schüttle nur den Kopf, wenn unsre Angelegenheit zustande kommt, kann ich Deputierter von Paris werden. Oh, nicht umsonst heiße ich Cäsar, mir ist alles geglückt. – Es ist nicht zu glauben, jedermann erklärt mich für einen fähigen Kopf; nur zu Hause hält mich die einzige, der zuliebe ich so handle, dass ich Blut und Wasser schwitze, um sie glücklich zu machen – ausgerechnet hält mich gerade die für einen Dummkopf.«
Obwohl diese Phrasen durch beredte Pausen unterbrochen und wie Kugeln abgeschossen wurden, wie es von all denen geschieht, die sich in die Brust werfen, um ihren Gegner zu beschuldigen, drückten sie doch gleichzeitig eine so tiefe, so unerschütterliche Zuneigung aus, dass sich Frau Birotteau im Innersten bewegt fühlte; aber wie alle Frauen benützte sie die Liebe, die sie einflößte, um die Sache zu ihren Gunsten zu entscheiden.
»Nun also, Birotteau,« sagte sie, »dann lass mich doch auf meine Weise glücklich werden. Weder du noch ich haben eine Erziehung genossen, wir können weder uns unterhalten noch einen Diener machen, wie die Leute der feinen Gesellschaft: und wie sollen wir da in einer öffentlichen Stellung Erfolg haben? Und ich, ich würde so glücklich in Trésorières sein! Immer habe ich die Tiere und die kleinen Vögel gern gehabt, und ich würde so gern mein Leben damit verbringen, für die Hühner zu sorgen und eine Landfrau zu sein. Wir wollen unser Geschäft verkaufen, Cäsarine verheiraten und du lass deinen Größenwahn fahren. Wir werden den Winter in Paris leben, bei unserm Schwiegersohn, wir werden so glücklich sein, und nichts, was in der Politik oder im Handel passiert, wird unsre Lebensweise beeinflussen können. Warum wollen wir denn die andern tot machen? Genügt unser jetziges Vermögen nicht für uns? Wenn du Millionär sein wirst, kannst du dann zweimal Mittagbrot essen? Wünschst du dir noch eine andere Frau als mich? Denk doch an meinen Onkel Pillerault! Der hat sich verständigerweise mit seinem kleinen Vermögen begnügt und verbringt sein Leben damit, andern Gutes zu tun. Braucht der etwa schöne Möbel? Natürlich hast du schon die Möbel für mich bestellt: ich habe Braschon hier gesehen, und er ist sicher nicht hergekommen, um Parfüms zu kaufen.«
»Jawohl, mein Herz, deine Möbel sind schon bestellt und mit den Arbeiten hier wird morgen angefangen; geleitet werden sie von einem Architekten, den mir Herr von La Billardière empfohlen hat.«
»Mein Gott,« rief sie aus, »erbarme dich unser!«
»Aber so sei doch vernünftig, liebes Kind. Willst du dich denn mit siebenunddreißig Jahren, so frisch und hübsch, wie du bist, in Chinon begraben? Ich bin ja auch erst, Gottlob, neununddreißig. Das Glück eröffnet mir eine neue Laufbahn, soll ich sie nicht betreten? Wenn ich mich hier mit der gebotenen Vorsicht bewege, dann kann ich ein Haus begründen, das unter der Pariser Bourgeoisie ehrenvoll genannt wird, wie das früher geschehen ist; dann kann ich die Birotteaus begründen, wie es die Kellers gibt, die Jules Desmarets, die Roguins, die Guillaumes, die Lebas, die Nucingens, die Saillards, die Popinots, die Matifats, die in ihrem Viertel etwas bedeuten oder bedeutet haben. Und wenn noch diese Sache nicht so sicher wie Gold wäre ...«
»Sicher?«
»Jawohl, sicher. Seit zwei Monaten habe ich es mir ausgerechnet. Ohne dass jemand etwas gemerkt hat, habe ich über die Bauten im Stadthause und bei den Architekten und Unternehmern Erkundigungen eingezogen. Herr Grindot, der junge Architekt, der unsere Wohnung umändern soll, ist unglücklich, dass ihm das Geld fehlt, um sich an unserer Spekulation zu beteiligen.«
»Weil er die Bauten ausführen will, deshalb drängt er euch dazu und will euch ausnutzen.«
»Lassen sich Leute wie Pillerault, Karl Claparon und Roguin ausnutzen? Nein, der Gewinn ist so sicher wie bei der Sultaninnen-Paste.«
»Aber, Liebster, was hat Roguin denn nötig, zu spekulieren, wenn er auf sein Notariat nichts mehr schuldig ist und ein Vermögen gemacht hat? Ich sehe ihn manchmal vorbeigehen, sorgenvoller als ein Staatsminister, mit etwas Verstecktem in seinem Blick, was mir nicht gefällt; als ob er Sorgen verbergen wollte. Seit fünf Jahren hat er ein Gesicht wie ein alter Bummler bekommen. Wer sagt dir, ob er nicht ausrückt, wenn er euer Geld in der Tasche hat? So was ist schon vorgekommen. Kennen wir ihn denn wirklich genau? Mag er sich immer seit fünfzehn Jahren unsern Freund nennen, ich möchte nicht meine Hand für ihn ins Feuer legen. Denke daran, dass er eine Stinknase hat und nicht mit seiner Frau zusammenlebt; sicher hat er Mätressen, die ihn ruinieren; ich kann mir keinen andern Grund für seine trübselige Miene denken. Wenn ich beim Ankleiden durch die Gardinen gucke, sehe ich ihn morgens zu Fuß nach Hause gehn; niemand weiß, wo er da herkommt. Ich habe den Eindruck, dass er noch einen zweiten Haushalt führt, er bezahlt einen und seine Frau einen. Ist das ein Leben, wie es sonst ein Notar führt? Wenn man fünfzigtausend Franken einnimmt und sechzigtausend ausgibt, dann ist das Vermögen in zwanzig Jahren aufgebraucht und man steht nackt da wie ein neugeborenes Kind; weil man aber daran gewöhnt ist, groß aufzutreten, plündert man ohne Erbarmen seine Freunde aus; jeder ist sich selbst der Nächste. Er ist intim mit dem kleinen du Tillet, diesem Lumpen, unserm früheren Kommis; mir ahnt nichts Gutes bei dieser Freundschaft. Wenn er sich über du Tillet nicht klar ist, dann muss er sehr blind sein; wenn er es aber ist, warum ist er so vertraut mit ihm? Du wirst mir antworten, dass seine Frau du Tillet liebt. Nun, ich halte nichts von einem Manne, der in Bezug auf seine Frau kein Ehrgefühl hat. Und schließlich, sind die jetzigen Besitzer dieser Terrains wirklich so dumm, dass sie für hundert Sous hergeben, was hundert Franken wert ist? Wenn dir ein Kind begegnet, das nicht weiß, wieviel ein Louisdor wert ist, wirst du ihm nicht sagen, wieviel er gilt? Eure Sache kommt mir, ohne euch beleidigen zu wollen, wie ein Schwindel vor.«
»Mein Gott, wie komisch seid ihr Weiber manchmal, und wie bringt ihr alle Gedanken durcheinander! Wenn ein Roguin nicht bei der Sache beteiligt wäre, dann würdest du sagen: du willst dich auf etwas einlassen, Cäsar, wo Roguin nicht dabei ist? dann ist die Sache nichts wert. Jetzt tritt er dabei als Garant auf, und nun sagst du ...«
»Ich denke, das ist Herr Claparon?«
»Aber ein Notar kann doch nicht mit seinem Namen bei einem Spekulationsgeschäft hervortreten.«
»Weshalb macht er denn dann etwas, was das Gesetz verbietet? Was denkst du denn darüber, du, der du doch immer nur nach dem Gesetze handelst?«
»Lass mich doch ausreden. Weil Roguin dabei ist, soll die Sache nicht gut sein. Hat das einen Sinn? Dann sagst du, er macht etwas Gesetzwidriges. Aber er wird schon offen hervortreten, wenn es nötig ist. Ferner sagst du: er ist aber doch schon reich. Kann man nicht von mir dasselbe sagen? Würden vielleicht Ragon und Pillerault zu mir gekommen sein und gesagt haben: Weshalb beteiligst du dich denn, wo du Geld hast wie ein Schweinehändler?«
»Kaufleute und Notare haben nicht die gleiche Position«, sagte Frau Birotteau.
»Mein Gewissen ist hierbei ganz ruhig«, fuhr Cäsar fort. »Die Leute, die verkaufen, tun das, weil sie dazu gezwungen sind; wir betrügen sie ebensowenig, wie man die betrügt, von denen man Renten zu fünfundsiebzig kauft. Heute kauft man die Terrains für den Preis, den sie heute wert sind; in zwei Jahren ist er ein anderer, wie bei den Renten. Und das solltest du wissen, Konstanze Barbara Josefine Pillerault, dass du Cäsar Birotteau niemals auf einer Tat ertappen wirst, die auch nur im geringsten der strengsten Rechtlichkeit, dem Gesetz, dem Gewissen oder dem Zartgefühl widerspricht. Wie kann man jemandem, der seit achtzehn Jahren etabliert ist, in seiner eigenen Familie Unredlichkeit vorwerfen!«
»Nein, Cäsar, nein. Beruhige dich nur. Eine Frau, die so lange an deiner Seite gelebt hat, die kennt dich doch durch und durch. Und schließlich bist du ja der Herr. Du hast doch das Vermögen verdient, also kannst du auch darüber verfügen. Und wenn wir ins äußerste Elend gerieten, weder von mir, noch von deiner Tochter würdest du auch nur ein vorwurfsvolles Wort hören. Aber eins gebe ich dir zu bedenken: als du deine Sultaninnen-Paste und deine Eau Carminative einführtest, wieviel hast du da riskiert? Fünf- bis sechstausend Franken. Heute willst du dein ganzes Vermögen auf eine Karte setzen, und das ist ein Spiel, wo du nicht allein beteiligt bist, sondern wo du Teilhaber hast, die sich als gerissener erweisen können, als du bist. Meinetwegen gib deinen Ball, kauf neue Möbel, das ist zwar überflüssig, das kann uns aber nicht ruinieren. Aber gegen die Sache mit den Terrains an der Madeleine lehne ich mich direkt auf. Du bist Parfümeriehändler, bleibe das, aber werde nicht Terrainhändler. Wir Frauen, wir haben für so etwas ein instinktives Gefühl, das uns nicht täuscht! Ich habe dich gewarnt und nun kannst du ja nach deinem Kopfe handeln. Du bist Handelsrichter gewesen, du kennst die Gesetze, du hast dein Schiff gut gesteuert und ich werde immer mit dir gehn, Cäsar! Aber ich zittere so lange, bis unser Vermögen sicher angelegt und Cäsarine gut verheiratet ist. Gebe der Himmel, dass mein Traum nicht eine Warnung war!«
Diese Unterwürfigkeit war Birotteau peinlich, und er gebrauchte eine unschuldige List, zu der er schon bei ähnlichen Gelegenheiten gegriffen hatte. »Höre, Konstanze, eine bindende Erklärung habe ich noch nicht abgegeben; aber ich habe so gut wie zugesagt.«
»Ach, Cäsar, dann ist es erledigt, reden wir nicht weiter darüber. Erst kommt die Ehre, dann das Vermögen. Und nun geh schlafen, mein Lieber, wir haben kein Holz mehr. Und im Bette werden wir besser reden können, wenn dir das Spaß macht. Ach, dieser scheußliche Traum! Mein Gott, wenn man sich so doppelt sieht! Es ist furchtbar! Cäsarine und ich, wir werden gehörig beten, dass die Terrainsache glückt.«
»Gewiss wird die Hilfe des Himmels nichts schaden«, sagte Birotteau feierlich. »Aber die Nussessenz ist auch eine Macht, mein Kind. Ich habe diese Erfindung wie die der Sultaninnen-Doppelpaste einem Zufall zu verdanken: das erstemal, als ich ein Buch öffnete, diesmal, als ich den Stich von Hero und Leander betrachtete. Du erinnerst dich, wo eine Frau Öl auf das Haupt ihres Geliebten gießt; ist das nicht reizend? Die sichersten Spekulationen sind die auf die Eitelkeit, die Eigenliebe und die Prahlerei. Diese Gefühle werden niemals aussterben.«
»Ach ja, das sehe ich.«
»In einem gewissen Alter sind die Männer, die kein Haar mehr haben, zu allem fähig, um wieder welches zu bekommen. Seit einiger Zeit höre ich von den Friseuren, dass nicht nur das Makassaröl geht, sondern alle Arten von Haarfärbemitteln und von Mitteln, bei deren Anwendung angeblich die Haare wachsen. Seit dem Friedensschlusse sind die Männer viel mehr hinter den Weibern her, und die haben die Kahlköpfe nicht gerne, nicht wahr, mein Liebling? Die Nachfrage nach diesem Artikel erklärt sich also aus der politischen Situation. Ein Mittel, das die Haare gesund erhält, würde abgehen wie warme Semmeln, und um so mehr, da diese Essenz sicher von der Akademie der Wissenschaften approbiert werden wird. Mein lieber Herr Vauquelin wird mich wohl auch dabei wieder unterstützen. Morgen gehe ich hin und unterbreite ihm meine Idee, und dabei werde ich ihm den Stich verehren, den ich nun endlich, nach zweijährigem Suchen in Deutschland, erhalten habe. Er befasst sich gerade mit der Haaruntersuchung. Chiffreville, der Teilhaber bei seiner Fabrik chemischer Produkte, hat es mir mitgeteilt. Wenn meine Erfindung mit seinen Resultaten übereinstimmt, wird meine Essenz von beiden Geschlechtern gekauft werden. In meiner Idee, ich wiederhole es, steckt ein Vermögen. Ich kann wahrhaftig deshalb nicht schlafen. Glücklicherweise hat der kleine Popinot das schönste Haar, was man sich denken kann. Wenn man dann noch ein Kontorfräulein nimmt, mit Haar, das bis auf die Erde fällt, die, wenn das ginge, ohne bei Gott und Menschen Anstoß zu erregen, sagen könnte, dass das Comagenöl (es wird jedenfalls ein Öl sein) das bewirkt hat, dann werden sich alle Grauköpfe darauf stürzen, wie das Elend auf die Welt. Sag mal, Kleine, und was wird mit unserm Ball? Ich bin nicht bösartig, aber ich möchte gern diesen Kerl, den kleinen du Tillet, dabei sehen, der mit seinem Vermögen großtut und mir auf der Börse immer ausweicht. Er weiß, dass ich etwas, das er gemacht hat, kenne, was nicht schön war. Vielleicht bin ich doch zu gut zu ihm gewesen. Ist es nicht komisch, mein Kind, dass man immer für seine guten Taten bestraft wird, hier auf Erden versteht sich! Ich habe wie ein Vater gegen ihn gehandelt, du weißt gar nicht, was ich alles für ihn getan habe.«
»Ich bekomme eine Gänsehaut, wenn du nur seinen Namen erwähnst. Wenn du gewusst hättest, was er aus dir machen wollte, hättest du über die gestohlenen dreitausend Franken nicht geschwiegen, denn ich habe erraten, wie die Sache arrangiert worden ist. Hättest du ihn der Polizei angezeigt, dann hättest du vielleicht vielen Leuten einen guten Dienst erwiesen.«
»Was beabsichtigte er denn aus mir zu machen?«
»Ach, nichts. Wenn du heute auf mich hören wolltest, dann würde ich dir den guten Rat geben, Birotteau, deinen du Tillet beiseite zu lassen.«
»Würde man es aber nicht merkwürdig finden, wenn ich einen Kommis, für den ich für die ersten zwanzigtausend Franken, mit denen er sein Geschäft angefangen hat, Bürgschaft geleistet habe, nicht einlade? Geh, lass uns gütig sein um des Guten willen. Übrigens hat sich du Tillet auch vielleicht gebessert.«
»Hier wird ja nun wohl alles drunter und drüber gehen.«
»Was redest du da von drunter und drüber? Alles wird hier wie am Schnürchen gehn. Hast du denn schon vergessen, was ich dir über die Treppe und das Mieten der Räume im Nachbarhause, nach der Abmachung mit dem Schirmhändler Cayron, gesagt habe? Wir müssen beide morgen zu Herrn Molineux, seinem Hauswirt, gehn, und ich habe morgen so viel Geschäfte wie ein Minister ...«
»Du hast mir mit deinen Projekten den Kopf ganz verwirrt,« sagte Konstanze, »ich finde mich nicht mehr zurecht. Und im übrigen will ich jetzt schlafen, Birotteau.«
»Also guten Morgen«, sagte er. »Höre doch, ich sage dir guten Morgen, denn es ist schon Morgen, mein Liebling. Ach, sie schläft schon, das gute Herz. Ja, du sollst sehr reich werden, oder ich will nicht mehr Cäsar heißen.«
Ein kurzer Blick auf das frühere Leben des Ehepaars wird den Eindruck bestätigen, den der liebevolle Streit der beiden Hauptpersonen dieser Erzählung hervorrufen muss. Diese Schilderung der Sitten des Detaillistenstandes wird gleichzeitig erklären, durch welche eigenartigen Umstände Cäsar Birotteau Beigeordneter und Parfümhändler, früherer Offizier der Nationalgarde und Ritter der Ehrenlegion geworden war. Wenn man das innerste Wesen seines Charakters und die Triebfedern zu seinem Aufstieg klar erkennt, wird man auch verstehen, weshalb kommerzielle Unglücksfälle, die selbst bedeutende Köpfe überwältigen, für kleine Geister zu unheilbaren Katastrophen werden. Geschehnisse können nie abgelöst für sich beurteilt werden, ihre Auswirkungen hängen völlig von den betroffenen Individuen ab: das Unglück ist für das Genie ein Schemel, für den Christen ein Bad, für den gewandten Mann ein Schatz, für die Schwachen ein Abgrund.
Ein Landarbeiter aus der Umgegend von Chinon, namens Jacques Birotteau, heiratete das Kammermädchen der Dame, in deren Weinberg er arbeitete; er hatte drei Söhne, aber bei der Geburt des jüngsten starb die Frau und der arme Mann überlebte sie nicht lange. Die Herrin, die an ihrem Kammermädchen sehr gehangen hatte, ließ Franz, den ältesten Sohn des Arbeiters, mit ihren Söhnen zusammen erziehen und brachte ihn dann in einem Seminar unter. Zum Priester geweiht, musste sich Franz Birotteau während der Revolution versteckt halten und das Leben der herumirrenden Priester, die den Eid nicht leisten wollten, führen, auf die man wie auf wilde Tiere Jagd machte und die um der geringsten Sache willen hingerichtet wurden. Zur Zeit, da diese Geschichte beginnt, war er Vikar an der Kathedrale von Tours und hatte diese Stadt nur ein einziges Mal verlassen, um seinen Bruder Cäsar zu besuchen. Der Lärm in Paris betäubte aber den guten Priester dermaßen, dass er sein Zimmer nicht zu verlassen wagte, die Kabriolets »Halbchaisen« nannte und über alles staunte. Nach einer Woche kehrte er nach Tours zurück und gelobte sich, niemals wieder die Hauptstadt aufzusuchen. Der zweite Sohn des Weinarbeiters, Johann Birotteau, erlangte, zum Militär eingezogen, schnell den Rang eines Hauptmanns während der ersten Revolutionskriege. In der Schlacht an der Trebbia ließ Macdonald Freiwillige vortreten, die eine Batterie stürmen sollten. Der Hauptmann Johann Birotteau ging mit seiner Kompanie vor und fiel. Das Schicksal der Birotteaus wollte offenbar, dass sie überall, wo sie Fuß fassten, entweder von den Menschen oder von den Ereignissen zugrundegerichtet werden sollten.
Das letzte Kind war der Held dieser Erzählung. Als Cäsar mit vierzehn Jahren lesen, schreiben und rechnen konnte, verließ er seine Heimat und wanderte zu Fuß nach Paris, mit einem Louisdor in der Tasche, um hier sein Glück zu machen. Auf die Empfehlung eines Apothekers in Tours fand er ein Unterkommen als Hausdiener bei den Ragons, Parfümeriehändlern. Cäsar besaß damals ein Paar mit Eisen beschlagene Schuhe, eine Hose, blaue Strümpfe, eine geblümte Weste, eine Bauernjacke, drei grobe Hemden aus guter Leinwand und seinen Reisestock. Wenn auch sein Haar wie das eines Chorknaben geschnitten war, so hatte er doch die festen Knochen eines Tourainers; wenn er sich manchmal der heimatlichen Faulheit überließ, so wurde das wieder wettgemacht durch das Verlangen, sein Glück zu machen; und wenn ihm auch Geist und Erziehung fehlten, so besaß er dafür einen geraden Sinn und ein von seiner Mutter ererbtes zartes Empfinden, einem Wesen, das, nach dem Tourainer Ausdruck, ein »goldenes Herz« hatte. Cäsar erhielt Essen, sechs Franken Lohn monatlich und eine schlechte Matratze auf dem Boden in der Nähe der Köchin; die Kommis, die ihn zum Einpacken und Gängebesorgen, zum Fegen des Ladens und der Straße anlernten, machten sich über ihn lustig, während sie ihn ausbildeten, wie das in den Ladengeschäften üblich ist, wo die Neckerei ein Hauptelement der Lehrlingszeit bildet; Herr und Frau Ragon kommandierten ihn wie einen Hund. Niemand nahm Rücksicht auf die Ermüdung des Lehrlings, wie schauderhaft ihn auch abends die vom Pflastertreten gequetschten Füße und die wie zerbrochenen Schultern schmerzten. Diese raue Lehre des »Jeder für sich«, das Evangelium aller Großstädte, ließ Cäsar das Leben in Paris sehr hart finden. Am Abend weinte er, wenn er an die Touraine dachte, wo der Bauer in Ruhe arbeitet, wo der Maurer den Stein erst zwölfmal herumdreht, bevor er ihn einsetzt, und wo die Faulheit so verständig mit der Arbeit verwoben ist; aber er schlief ein, ohne Zeit zu haben, ein Ausrücken zu überlegen; am nächsten Morgen hatte er schon wieder Gänge zu besorgen, und er tat seine Pflicht mit dem Gehorsam eines Wachthundes. Wenn er sich wirklich einmal beklagte, so lächelte der erste Kommis mit vergnügter Miene.
»Ja, mein Junge,« sagte er, »es ist nicht alles rosig in der ›Rosenkönigin‹, und hier fliegen einem nicht die Tauben gebraten ins Maul; man muss erst hinter ihnen herlaufen, dann sie packen und schließlich verstehen, sie sich zurechtzumachen.« Die Köchin, eine dicke Pikardin, nahm die besten Stücke für sich und richtete an Cäsar nur das Wort, um sich über die Ragons zu beklagen, die sich nicht bestehlen ließen. Gegen Ende des ersten Monats musste das Mädchen an einem Sonntag das Haus bewachen und begann eine Unterhaltung mit Cäsar. Die sonntäglich gewaschene Ursula erschien dem armen Laufburschen, der ohne diesen glücklichen Zufall an der ersten verborgenen Klippe seiner Laufbahn gescheitert wäre, reizend. Wie alle schutzlosen Wesen verliebte er sich in das erste Weib, das ihm einen freundlichen Blick zuwarf. Die Köchin nahm Cäsar unter ihren Schutz und daraus entstand ein heimliches Liebesverhältnis, über das die Kommis unbarmherzig spotteten. Zwei Jahre später verließ die Köchin Cäsar zu seinem größten Glück wegen eines jungen Drückebergers aus ihrer Heimat, der sich in Paris verborgen hielt, eines zwanzigjährigen Pikarden, der einige Morgen Land besaß und sich von Ursula heiraten ließ.
Zwei Jahre lang hatte die Köchin ihren kleinen Cäsar gut ernährt, hatte ihn in verschiedene Mysterien des Pariser Lebens eingeweiht, das sie ihn in seiner Tiefe hatte kennen lernen lassen und wobei sie ihm aus Eifersucht einen starken Abscheu gegen die schlechten Orte, deren Gefahren ihr nicht unbekannt zu sein schienen, eingeflößt hatte. Im Jahre 1792 hatten sich die Füße des von ihr verratenen Cäsars an das Pflaster, seine Schultern an die Kisten und sein Geist an das, was er die Pariser »Flunkereien« nannte, gewöhnt. Er war daher, nachdem Ursula ihn verlassen hatte, schnell getröstet, zumal sie in keiner Weise seinem angeborenen Gefühl für zarte Empfindung entsprochen hatte. Verdorben und mürrisch, scheinheilig und spitzbübisch, egoistisch und trunksüchtig beleidigte sie das reine Empfinden Birotteaus, ohne dass sie ihm irgendeine günstige Aussicht bot. Der arme Junge sah sich häufig zu seinem Schmerze durch die für naive Seelen am festesten geschmiedeten Fesseln an ein Geschöpf gebunden, das ihm Widerwillen einflößte. Als er sich frei fühlte, war er groß geworden und hatte sein sechzehntes Jahr erreicht. Ursula und die Neckereien der Kommis hatten seinen Geist geweckt und ihn angeregt, in das Handelswesen einzudringen, wobei seine Intelligenz sich hinter seiner Einfachheit verborgen hielt; er beobachtete die Kunden, ließ sich, wenn nichts zu tun war, die Waren erklären, deren Verschiedenheiten und Anordnung er sich merkte; und bald kannte er die einzelnen Artikel, ihren Preis und ihr Warenzeichen besser, als das sonst bei Neulingen der Fall ist; Herr und Frau Ragon fingen nun an, ihn anderweitig zu beschäftigen. Am Tage, da die furchtbare Aushebung des Jahres II das Haus bei dem Bürger Ragon leer machte, benutzte Cäsar Birotteau, der zum zweiten Kommis aufgestiegen war, die Gelegenheit, um fünfzig Franken Gehalt monatlich zu erreichen, und setzte sich mit unaussprechlicher Freude mit Ragons zu Tisch. Der zweite Kommis der Rosenkönigin, der nun sechshundert Franken hatte, erhielt ein Zimmer, wo er in den seit langem ersehnten Möbeln die kleinen Andenken, die er sich gesammelt hatte, unterbringen konnte. An den Feiertagen der Dekade kleidete er sich wie die jungen Leute dieser Zeit, denen die Mode vorschrieb, rohe Manieren anzunehmen, und der freundliche, bescheidene Bauer verstand es, sich wie ihresgleichen zu benehmen, so dass er die Grenzen, die zu andern Zeiten die Dienstbarkeit zwischen der Bourgeoisie und ihm gezogen hätte, überschritt. Gegen das Ende dieses Jahres wurde er seiner Ehrlichkeit halber an die Kasse gesetzt. Die stattliche Bürgerin Ragon hielt die Wäsche des Kommis instand und die beiden Eheleute kamen in ein vertrauliches Verhältnis mit ihm. Im Vendémiaire des Jahres 1794 wechselte Cäsar die hundert Louisdor, die er besaß, gegen sechstausend Franken Assignaten ein, kaufte dafür Renten zu einem Kurse von dreißig Franken, bezahlte sie einen Tag vor der Herabsetzung der Assignaten an der Börse und verschloss seine Titres mit dem Gefühl unsagbaren Glückes. Von diesem Tage an verfolgte er die Börsenkurse und die politischen Ereignisse mit geheimer Angst, die ihn bei Unglücksfällen oder Erfolgen, die diese Periode unsrer Geschichte kennzeichnen, erzittern ließ. Herr Ragon, ehemals Hoflieferant Ihrer Majestät der Königin Marie-Antoinette, bekannte in solchen kritischen Momenten Cäsar Birotteau vertraulich seine Anhänglichkeit an die gestürzten Tyrannen. Diese Bekenntnisse wurden von der wichtigsten Bedeutung für Cäsars Lebensgestaltung. Die abendlichen Unterhaltungen nach Schluss des Geschäfts, wenn die Straßen ruhig geworden und Kasse gemacht war, begeisterten den Tourainer, der, wenn er Royalist wurde, damit nur seiner angeborenen Empfindung gehorchte. Die Erzählung der tugendhaften Handlungen Ludwigs XVI., die Mitteilungen, bei denen sich die beiden Eheleute für die Verdienste der Königin begeisterten, erregten die Einbildungskraft Cäsars. Das schreckliche Geschick dieser beiden gekrönten Häupter, die wenige Schritte von dem Laden entfernt gefallen waren, empörte sein empfindsames Herz und erfüllte ihn mit Hass gegen eine Regierungsform, der es nichts bedeutete, unschuldiges Blut zu vergießen. Sein kaufmännischer Verstand sagte ihm, dass, wenn es zum Äußersten und zu politischen Stürmen kam, die immer den Geschäften schädlich sind, der Handel zugrunde gehen müsse. Außerdem hasste er als echter Parfümhändler eine Revolution, die jedermann mit einem Tituskopf herumgehen ließ und das Pudern abschaffte. Und da nur die Ruhe, die die absolute Herrschaft gewährt, das Geld wieder lebendig machen kann, so wurde er fanatischer Royalist. Als Ragon ihn für geeignet erkannte, machte er ihn zum ersten Kommis und weihte ihn in das Geheimnis der Rosenkönigin ein, wo mehrere Kunden die tätigsten und hingehendsten Emissäre der Bourbonen waren, und von wo aus die Korrespondenz des Westens mit Paris geleitet wurde. Fortgerissen von der Heißblütigkeit der Jugend und begeistert durch die Beziehungen zu den Georges, den la Billardière, den Montauran, Bauvan, Longuy, Manda, Bernier, du Guénis und Fontaine stürzte sich Cäsar in die Verschwörung der vereinigten Royalisten und Terroristen, die am 13. Vendémiaire gegen den in den letzten Zügen liegenden Konvent zum Ausbruch gelangte.
Cäsar hatte die Ehre, gegen Napoleon auf den Stufen von Saint-Roch zu kämpfen und gleich zu Anfang des Gefechtes verwundet zu werden. Jeder kennt den Ausgang dieses Unternehmens. Wenn der Adjutant von Barras dabei aus seiner Obskurität heraustrat, so wurde Birotteau durch die seinige gerettet. Einige Freunde brachten den kriegerischen ersten Kommis in die Rosenkönigin, wo er auf dem Boden versteckt, von Frau Ragon verbunden und glücklicherweise vergessen wurde. Cäsar Birotteau hatte nur dieses eine Aufflammen militärischen Mutes gezeigt. Während des Monats, den seine Wiederherstellung dauerte, stellte er praktische Erwägungen über die lächerliche Verbindung von Politik und Parfümerie an. Wenn er auch Royalist blieb, so beschloss er doch, klar und einfach ein royalistischer Parfümhändler zu sein, ohne sich jemals wieder zu kompromittieren, und sich dem mit Leib und Seele hinzugeben.
Am 18. Brumaire beschlossen Herr und Frau Ragon, die an dem Erfolge der Königspartei verzweifelten, das Geschäft aufzugeben und als ruhige Bourgeois zu leben, ohne sich weiter um die Politik zu kümmern. Um den Preis für ihr Geschäft zu erhalten, mussten sie einen Menschen finden, der mehr Ehrlichkeit als Ehrgeiz besaß, mehr einfachen gesunden Verstand als Begabung. Ragon bot daher seinem ersten Kommis den Kauf an. Birotteau, der mit zwanzig Jahren bereits tausend Franken Rente aus Staatspapieren besaß, zögerte mit der Zusage. Sein Ehrgeiz beschränkte sich darauf, sich bei Chinon niederlassen zu können, wenn er fünfzehnhundert Franken Rente besitzen und der erste Konsul die Staatsschuld konsolidiert haben würde, indem er sich selbst in den Tuilerien konsolidierte. Weshalb sollte er eine anständige bescheidene Unabhängigkeit den Chancen des Handelslebens opfern? Niemals hatte er geglaubt, dass er ein so beträchtliches Vermögen erwerben würde, das er ja auch nur Glücksfällen verdankte, denen man sich allein in der Jugend überliefert; er gedachte also in der Touraine ein Mädchen zu heiraten, das ebenso reich wäre wie er, um dann Les Trésorières kaufen und bebauen zu können, ein kleines Gut, wonach er, seitdem er erwachsen war, sich gesehnt hatte, das er zu vergrößern hoffte, woraus er ein Einkommen von tausend Talern zu erzielen gedachte und wo er in der Verborgenheit ein glückliches Leben führen wollte. Schon wollte er ablehnen, als die Liebe plötzlich alle seine Pläne über den Haufen warf und seine ehrgeizigen Ansprüche verzehnfachte.
Seitdem ihn Ursula verlassen hatte, war Cäsar keusch geblieben, ebensosehr aus Angst vor den Gefahren, die einem in Paris in Liebesangelegenheiten drohen, als infolge seiner Arbeit. Wenn aber die Liebessehnsucht ohne Erfüllung bleibt, verwandelt sie sich in ein zwingendes Bedürfnis; dann wird das Heiraten für die Leute aus dem Mittelstande zu einer fixen Idee, denn nur auf diesem Wege können sie ein Weib erobern und sich zu eigen machen. In diesem Zustande befand sich Cäsar Birotteau. In dem Geschäft der Rosenkönigin lastete alles auf dem ersten Kommis; er hatte keinen Augenblick für Vergnügungen übrig. Bei einem solchen Leben werden jene Bedürfnisse um so dringender, und die Begegnung mit einem hübschen Mädchen, an die ein liederlicher Kommis kaum weiter gedacht hätte, musste auf den keuschen Cäsar den größten Eindruck machen. Als er an einem schönen Junitage über die Marienbrücke nach der Insel Saint-Louis kam, erblickte er ein junges Mädchen, das vor der Tür eines Ladens an einer Ecke des Quai d'Anjou stand. Konstanze Pillerault war die erste Verkäuferin in einem Modewarengeschäft, der Petit-Matelot genannt, dem ersten dieser Art Geschäfte, die seitdem in Paris mit mehr oder weniger bemalten Schildern, flatternden Wimpeln, Schaufenstern voll von hängenden Schals, Krawatten, die auf Kartenhäusern arrangiert waren, und tausend andern verführerischen Waren, mit festen Preisen, Täfelchen, Anzeigen, optischen Täuschungen und Effekten eine solche Vollkommenheit erreicht haben, dass diese Schaufenster zu wahren kaufmännischen Gedichten geworden sind. Der niedrige Preis aller dieser sogenannten Nouveautés, die man im Petit-Matelot fand, bewirkte einen riesigen Zulauf an dieser für den Verkehr und den Handel am wenigsten günstigen Stelle von Paris. Diese erste Verkäuferin war damals ihrer Schönheit wegen ebenso bekannt, wie es später die schöne Kellnerin des Cafés des Mille-Colonnes und mehrere andere arme Wesen wurden, derentwegen sich mehr junge und alte Nasen nach den Fenstern der Modegeschäfte, Cafés und anderer Läden erhoben, als es Pflastersteine in den Straßen von Paris gibt. Der erste Kommis der Rosenkönigin, der zwischen Saint-Roch und der Rue de la Sourdière wohnte und allein mit seiner Parfümhandlung beschäftigt war, hatte keine Ahnung von der Existenz des Petit-Matelot; denn die kleinen Geschäfte in Paris wissen eins vom andern nichts. Cäsar war von der Schönheit Konstanzens so heftig bewegt, dass er ganz aufgeregt in den Petit-Matelot eintrat, um sechs leinene Hemden zu kaufen, um deren Preis er lange handelte und wobei er sich Stöße von Leinen vorlegen ließ, nicht anders als eine Engländerin, die zu ihrem Vergnügen herumhandelt. Die erste Verkäuferin ließ sich herab, Cäsar zu bedienen, da sie an gewissen Anzeichen, die alle Frauen kennen, wohl bemerkte, dass es Cäsar viel mehr um die Verkäuferin als um die Ware zu tun war. Er nannte ihr seinen Namen und seine Adresse, sie zeigte sich aber zum Erstaunen des Kunden nach dem Kauf sehr gleichgültig. Der arme Kommis hatte wenig zu tun brauchen, um das Entgegenkommen Ursulas zu erreichen, er war unbeholfen wie ein Schöps; die Liebe ließ ihn noch ungeschickter erscheinen, er wagte kein Wort zu reden und war auch zu sehr geblendet, um die Gleichgültigkeit, die auf das Lächeln der verführerischen Verkäuferin folgte, wahrzunehmen.
Acht Tage lang stand er alle Abend vor dem Petit-Malelot auf Wache, um einen Blick zu erhaschen; wie ein Hund, der an einer Küchentür um einen Knochen bettelt, ohne sich um die spöttischen Bemerkungen der Kommis und Ladenfräuleins zu kümmern und demütig den Käufern und Passanten platzmachend, die auf die kleinen Vorkommnisse im Laden aufpassten. Einige Tage später betrat er von neuem das Paradies, in dem sein Engel weilte, weniger, um Taschentücher zu kaufen, als um ihr eine glänzende Idee mitzuteilen.
»Wenn Sie Parfümerien brauchen sollten, Fräulein, dann kann ich sie Ihnen ebenso gut liefern«, sagte er, als er bezahlte.
Konstanze Pillerault erhielt täglich glänzende Anträge, bei denen aber niemals von Heiraten die Rede war; und obwohl ihr Herz ebenso rein und weiß wie ihre Stirn war, entschloss sie sich doch erst nach sechs Monaten Hin- und Hergehens, wobei Cäsar seine unerschütterliche Liebe bewies, seine Huldigungen anzunehmen, aber noch ohne sich zu erklären, eine Vorsicht, die ihr die Unzahl von Anbetern, Weingroßhändlern, reichen Kaffeehausbesitzern und anderen, die mit ihr liebäugelten, gebot. Der Liebhaber hatte sich hinter Konstanzens Vormund, den Herrn Claude-Joseph Pillerault, einen Eisenwarenhändler am Quai de la Ferraille, gesteckt, den er auf Schleichwegen, wie sie nur die echte Liebe zu entdecken weiß, aufgespürt hatte. Um diese Erzählung nicht aufzuhalten, müssen die Freuden einer unschuldigen Pariser Liebe mit Stillschweigen übergangen werden; nicht zu reden von den Verschwendungen, die Kommis bei solchen Gelegenheiten sich zu erlauben pflegen: die ersten Melonen, feine Diners bei Venua mit nachfolgendem Besuch des Theaters, Landpartien am Sonntag im Wagen. Ohne hübsch zu sein, war Cäsars Person doch so beschaffen, dass ihn ein Weib lieben konnte. Das Leben in Paris und der Aufenthalt in dunklen Räumen hatten schließlich die etwas lebhafte Färbung seines bäurischen Teints verblassen lassen. Sein überreiches schwarzes Haar, sein Hals, wie der eines normannischen Gauls, seine mächtigen Glieder, sein gerades, ehrliches Wesen, alles trug dazu bei, dass man günstig für ihn gestimmt wurde. Der Onkel Pillerault, der über das Wohl der Tochter seines Bruders zu wachen hatte, billigte, nach eingezogenen Erkundigungen, die Wünsche des Tourainers. Im Jahre 1800, im schönen Monat Mai, willigte Fräulein Pillerault ein, Cäsar Birotteau zu heiraten, der vor Freude fast ohnmächtig wurde, als in Sceaux, unter einem Lindenbaum, Konstanze-Barbe-Josephine ihm ihr Jawort gab.
»Du bekommst einen guten Mann, mein Kind«, sagte Herr Pillerault zu ihr. »Er hat ein warmes Herz und eine ehrenhafte Gesinnung; er ist lauter wie Gold und rein wie ein Jesuskind: das ist eine Perle von Mann.«
Konstanze verzichtete glattweg auf die Brillanten, von denen sie, wie alle Ladenmädchen, zuweilen geträumt hatte, sie wollte eine anständige Frau und eine gute Hausmutter sein und hatte vom Leben die gewissenhafte Auffassung der Mittelklassen. Und diese Anschauung passte auch viel besser zu ihr, als die gefährlichen Einbildungen, die die Phantasie so vieler junger Pariserinnen verführen. Von beschränkter Intelligenz, war Konstanze der Typus der kleinen Bourgeoise, deren Tun sich nicht ohne etwas Launenhaftigkeit vollzieht, die erst verweigert, was sie selbst wünscht, und dann böse ist, wenn man sie beim Wort nimmt, deren geräuschvolle Tätigkeit sich auf die Küche und auf die Kasse erstreckt, auf die schwerwiegendsten Angelegenheiten und darauf, Ausbesserungen der Wäsche nicht sichtbar werden zu lassen, die liebt und dabei schilt, nur die einfachsten Gedanken, das geistige Kleingeld, begreift, die über alles urteilt, sich vor allem fürchtet, alles berechnet und immer an die Zukunft denkt. Ihr schönes kühles aber ehrliches Gesicht, ihr herzliches Wesen, ihre Frische ließen Birotteau keinen ihrer Mängel empfinden, die übrigens durch die den Frauen eigene feine Rechtschaffenheit, durch ungewöhnliche Ordnungsliebe, durch fanatischen Fleiß und eine geniale Begabung als Verkäuferin wettgemacht wurden. Konstanze war damals achtzehn Jahre alt und besaß elf tausend Franken. Cäsar, dessen Ehrgeiz die Liebe aufs äußerste anstachelte, kaufte die Rosenkönigin und verlegte den Laden in die Nähe des Vendômeplatzes, in ein hübsches Haus. Erst einundzwanzig Jahre alt, mit einer angebeteten Frau verheiratet, Besitzer eines Geschäfts, dessen Preis er zu drei Vierteln bezahlt hatte, sah er und musste er in eine rosige Zukunft sehen, besonders wenn er an den Weg dachte, den er seit dem Verlassen der Heimat zurückgelegt hatte. Roguin, Ragons Notar, der den Ehekontrakt aufgesetzt hatte, gab dem neuen Parfümerieinhaber einen klugen Rat, indem er ihn hinderte, den Rest des Kaufpreises mit der Mitgift seiner Frau zu bezahlen.
»Bewahren Sie das Geld lieber für gute Unternehmungen auf, mein Junge«, hatte er zu ihm gesagt. Birotteau sah mit Bewunderung zu dem Notar auf, fragte ihn ferner ständig um Rat und machte ihn zu seinem Freunde. Wie Ragon und Pillerault hatte er ein solches Vertrauen zu einem Notar, dass er ihm ohne jeden Verdacht in alles Einblick gewährte. Dank Roguins Rat hätte Cäsar, im Besitz der elftausend Franken Konstanzes für neue Geschäfte, seine Aussichten nicht gegen die des ersten Konsuls eingetauscht, wie glänzend auch Napoleons Zukunft zu sein schien. Zuerst hielt sich Birotteau nur eine Köchin, bezog den über seinem Laden gelegenen Zwischenstock, eine Art von Rumpelkammer, die von einem Tapezierer ziemlich hübsch instand gesetzt wurde und in dem für das junge Paar ein dauernder Honigmond begann. Im Kontor erschien Frau Konstanze wie ein Wunder. Ihre berühmt gewordene Schönheit war von außerordentlichem Einfluss auf den Verkauf, und unter den jungen Elegants der Empirezeit war fortwährend die Rede von der schönen Frau Birotteau. Wenn Cäsar auch royalistischer Gesinnungen beschuldigt wurde, so erkannte man doch seine Rechtschaffenheit an, und wenn etliche benachbarte Kaufleute ihn auch um sein Glück beneideten, so hielt man ihn doch dessen für würdig. Die Verwundung, die er auf den Stufen von Saint-Roch erhalten hatte, verlieh ihm den Nimbus eines in die politischen Geheimnisse eingeweihten und eines tapferen Mannes, obwohl er weder irgend welchen militärischen Mut im Herzen, noch irgendeine politische Idee im Gehirn besaß. Auf dieser Basis wählten ihn die rechtschaffenen Leute des Arrondissements zum Kapitän der Nationalgarde; er wurde aber von Napoleon kassiert, der nach Birotteaus Ansicht ihm ihr Renkontre im Vendémiaire noch nachtrug. Cäsar wurde so um billigen Preis vom Glanze des Verfolgten umgeben, was ihn in den Augen der Opposition interessant machte und ihn eine gewisse Bedeutung gewinnen ließ.
Betrachten wir nun, wie das Schicksal dieses Ehepaars weiter verlief, dessen Gefühl gegenseitiger Zuneigung nicht nachließ, und das höchstens durch kaufmännische Sorgen beunruhigt wurde.
Im Verlauf des ersten Jahres weihte Cäsar Birotteau seine Frau in den Verkauf und die Einzelheiten der Parfümerien ein, wofür sie ein ausgezeichnetes Verständnis bewies; sie schien geschaffen und in die Welt gesetzt zu sein, um Kunden zu bedienen. Aber am Ende dieses Jahres war der ehrgeizige Parfümhändler entsetzt über die Bilanz; nach Abzug aller Kosten würde er in zwanzig Jahren kaum das bescheidene Kapital von hunderttausend Franken, das er sich als Ziel gesetzt hatte, erspart haben können. Er beschloss daher, schneller zu Vermögen zu kommen, und wollte zunächst die Fabrikation mit dem Detailgeschäft verbinden. Gegen den Rat seiner Frau mietete er einen Schuppen und etwas Terrain im Faubourg du Temple und ließ darauf mit großen Buchstaben malen: Fabrik von Cäsar Birotteau. Er mietete sich in Grasse einen Arbeiter aus, mit dem er zu gleichen Anteilen die Fabrikation von Seifen, Essenzen und Kölnischem Wasser begann. Aber die Sozietät mit diesem Arbeiter dauerte nur sechs Monate und endete mit Verlust, den er allein zu tragen hatte. Ohne sich entmutigen zu lassen, wollte Birotteau um jeden Preis zu einem Erfolge kommen, einzig deshalb, weil er nicht von seiner Frau gescholten werden wollte, der er später gestand, dass ihm in dieser Zeit der Verzweiflung der Kopf wie ein Schlot rauchte, und dass er mehrmals, wenn ihn nicht seine religiöse Überzeugung gehindert hätte, in Versuchung war, sich in die Seine zu stürzen. Niedergeschlagen über mehrere ergebnislose Versuche, ging er eines Tages langsam die Boulevards entlang nach Hause zum Essen, denn der Pariser Flaneur ist ebenso häufig ein verzweifelter wie ein müßiger Mensch. Da wurden seine Blicke unter etlichen Büchern zu sechs Sous, die in einem Korbe auf der Erde lagen, von einem staubvergilbten Titel gefesselt: »Abdecker, oder die Kunst, die Schönheit zu erhalten.« Er nahm das angeblich arabische Buch auf, eine Art Roman von einem Arzt des vorigen Jahrhunderts, und stieß auf eine Seite, wo von Parfüms die Rede war. Er durchblätterte das Buch, an einen Boulevardbaum gelehnt, und las eine Stelle, wo der Autor das Wesen der Unter- und der Oberhaut erklärt und zeigt, welche Paste oder Seife eine häufig der Erwartung entgegengesetzte Wirkung hervorbringt, wenn die Paste und die Seife die Haut zusammenziehen, die entspannt gehalten sein will, oder die Haut entspannen, die nach Zusammenziehen verlangt. Birotteau kaufte das Buch, von dem er ein Vermögen erhoffte. Da er trotzdem seiner Erleuchtung nicht traute, begab er sich zu einem berühmten Chemiker, Vauquelin, von dem er ganz naiv das Rezept erbat, um ein Kosmetikum mit zwiefacher Wirkung, das den verschiedenen Spielarten der menschlichen Epidermis Rechnung trug, herzustellen. Die wahren Gelehrten, die Männer, die wirklich groß sind in dem Sinne, dass ihnen bei Lebzeiten der Ruhm, den ihre ungekannten außergewöhnlichen Arbeiten verdient hätten, niemals zuteil wird, sind fast alle dienstwillig und freundlich gegen die geistig Armen. Vauquelin gewährte also dem Parfümhändler seine Protektion, gestattete ihm, sich Erfinder einer Paste, die die Weiße der Hände erzielt, zu nennen, und gab ihm deren Zusammensetzung an. Birotteau nannte sie Doppelpaste der Sultaninnen. Um die Sache vollkommen zu machen, wendete er das Verfahren der Paste für die Hände auf ein Wasser für den Teint an, das er Eau Carminative nannte. Bei dem weiteren Vorgehen machte er sich das Prinzip des Petit-Matelot zu eigen und entwickelte, als erster unter den Parfümhändlern, jenen Luxus von Plakaten, Annoncen und andern Reklamen, die man vielleicht mit Unrecht Charlatanerie nennt.
Die Sultaninnenpaste und das Eau Carminative wandten sich an die gesamte galante und kommerzielle Welt mit bunten Plakaten, an deren Kopf die Worte standen: »Approbiert von der Akademie der Wissenschaften!« Diese zum erstenmal gebrauchte Formel hatte eine magische Wirkung. Nicht nur Frankreich, der ganze Kontinent wurde mit gelben, roten, blauen Plakaten von dem Beherrscher der Rosenkönigin bepflastert, der alles, was hier in Frage kam, bereit hielt, lieferte und fabrizierte. Zu einer Zeit, da man von nichts als vom Orient redete, ein Schönheitsmittel Sultaninnenpaste nennen und die magische Wirkung dieser Worte in einem Lande ahnen, wo jeder Mann ebensosehr ein Sultan, wie jede Frau eine Sultanin zu sein wünscht, das war eine Eingebung, die einem gewöhnlichen wie einem geistvollen Manne zuteil werden kann; aber da das Publikum immer nach dem Erfolge urteilt, galt Birotteau um so mehr für einen, kaufmännisch gesprochen, hervorragenden Menschen, als er selbst einen Prospekt verfasste, dessen alberner Stil ein wesentliches Moment seines Erfolges wurde; in Frankreich lacht man nur über Dinge und Menschen, mit denen man sich beschäftigt, und niemand beschäftigt sich mit etwas, das keinen Erfolg hat. Obwohl Birotteaus Albernheit nicht gemacht war, sprach man ihm doch die Fähigkeit zu, sich gegebenenfalls dumm stellen zu können. Nicht ohne Mühe ist es gelungen, ein Exemplar dieses Prospekts im Hause Popinot & Co., Drogisten, Rue des Lombards, aufzufinden. Dieses amüsante Stück gehört im weiteren Sinne zu denen, die die Historiker »Quellendokumente« nennen. Es lautet so:
Doppelpaste der Sultaninnen
und Eau Carminative.
Von Cäsar Birotteau.
Wunderbare Erfindung.
Approbiert von der
Akademie der Wissenschaften.
Seit langer Zeit wird eine Paste für die Hand- und eine Essenz für die Gesichtspflege, die eine bessere Wirkung als das Kölnische Wasser erzielen, allgemein von den Damen und Herren Europas gewünscht. Der als Parfümlieferant in Paris und im Auslande vorteilhaft bekannte Herr Birotteau hat nun viele schlaflose Nächte dem Studium der Unter- und Oberhaut beider Geschlechter gewidmet, die nicht ohne Grund das größte Gewicht auf die Zartheit, die Geschmeidigkeit, den Glanz und die Weichheit der Haut legen, und hat eine Paste und eine Essenz erfunden, die mit Recht von der eleganten männlichen und weiblichen Welt von Paris gleich nach ihrem Erscheinen als wunderbar bezeichnet wurden. In der Tat besitzen diese Paste und diese Essenz erstaunliche Wirkungen auf die Haut und zwar ohne die Gefahr frühzeitiger Runzeln, was bei den bis auf diesen Tag unbedachterweise angewandten, von profitgierigen Ignoranten erfundenen Drogen unvermeidlich war. Diese Erfindung stützt sich auf die Unterscheidung der Temperamente, denen entsprechend für die zwei Hauptgruppen die Paste und die Essenz in zwei Farben hergestellt sind, und zwar sind die rosafarbenen für die Ober- und Unterhaut der Personen von lymphatischer Konstitution, die weißen für solche von sanguinischem Temperament bestimmt.
Diese Paste nennt sich Sultaninnenpaste, weil ihre Erfindung schon für das Serail von einem arabischen Arzte gemacht wurde. Sie ist von der Akademie approbiert worden, nachdem unser berühmter Chemiker Vauquelin seinen Bericht erstattet hatte, ebenso wie die Essenz, die nach den gleichen Prinzipien hergestellt ist, die bei der Zusammensetzung der Paste maßgebend waren.
Diese kostbare Paste, die den süßesten Duft ausströmt, macht die widerspenstigsten Sommersprossen verblassen, lässt die härteste Haut weich werden und das Schwitzen der Hände, über das die Damen nicht weniger als die Herren klagen, verschwinden.
Das Eau Carminative beseitigt den leichten Ausschlag, der zu gewissen Zeiten unversehens die Damen befällt und ihre Ballprojekte stört; es erfrischt und belebt die Haut, indem es je nach dem Temperament die Poren öffnet; es ist bereits als Mittel gegen das Altern so bekannt geworden, dass viele Damen aus Dankbarkeit es »das Schönheitswasser« genannt haben.
Das Kölnische Wasser ist, kurz gesagt, ein gewöhnliches Parfüm ohne jede spezifische Wirkung, während die Doppelpaste der Sultaninnen und das Eau Carminative zwei Kompositionen sind, die eine eingreifende aber ungefährliche Wirkung auf die innerlichen Vorgänge ausüben, indem sie sie unterstützen; ihr ganz besonders balsamischer Duft und ihr anregender Hauch erfrischen in wunderbarer Weise Herz und Kopf, schmeicheln den Gedanken und regen sie an; sie sind ebenso erstaunlich durch ihre Bedeutung wie durch ihre Einfachheit; sie bringen, mit einem Wort, den Frauen einen neuen Reiz und den Männern ein Mittel der Verführung.
Der tägliche Gebrauch der Essenz verhindert das Brennen der Haut nach dem Rasieren; er verhindert das Aufspringen der Lippen und erhält sie rot; er vernichtet, natürlich bei längerer Anwendung, die Sommersprossen und gibt schließlich der Haut ihre Farbe wieder. Diese Eigenschaften bewirken beim Manne ein vollkommenes seelisches Gleichgewicht und befreien diejenigen, die an Migräne leiden, von dieser fürchterlichen Krankheit. Schließlich kann das Eau Carminative von den Damen bei der Toilette in jeder Weise gebraucht werden; es bewahrt vor allen Hautleiden, ohne dass es die Transpiration des Gewebes hindert, und erhält es dauernd in sammetartiger Weichheit.
Man wende sich, mit Freimarke, an Herrn Cäsar Birotteau, Nachfolger von Ragon, ehemaligem Hoflieferanten der Königin Marie-Antoinette, in der Rosenkönigin, Rue Saint-Honoré, Paris, nahe dem Vendômeplatz.
Der Preis des Stückes Paste beträgt drei Franken, der der Flasche sechs Franken. Herr Birotteau benachrichtigt, um Nachahmungen zu verhüten, das verehrliche Publikum, dass die Paste eine Papierhülle mit seiner Unterschrift hat, und dass die Flaschen eine in das Glas eingepresste Marke tragen.
Den Erfolg hatte Cäsar, ohne dass er es ahnte, Konstanze zu verdanken, die ihm riet, das Eau Carminative und die Sultaninnenpaste in Kisten an alle Parfümhändler Frankreichs und des Auslandes zu versenden und ihnen einen Rabatt von dreißig Prozent zu bewilligen, wenn sie die beiden Artikel grosweise nehmen wollten. Paste und Essenz waren in der Tat mehr wert als die andern derartigen Schönheitsmittel und verlockten die Unwissenden durch die Unterscheidung zwischen den Temperamenten; die fünfhundert französischen Parfümhändler, angelockt durch den Rabatt, kauften ein jeder bei Birotteau jährlich mehr als dreihundert Gros der Paste und der Essenz, was ihm an den Artikeln selbst nur einen bescheidenen Gewinn ließ, der aber durch die Quantität doch sehr groß war. Cäsar war daher imstande, die Schuppen und Terrains im Faubourg du Temple zu erwerben, dort große Fabrikräume zu erbauen und den Laden der Rosenkönigin prächtig auszustatten; das Ehepaar genoss nun das bescheidene Glück eines größeren Wohlstandes und Konstanze zitterte nicht mehr so sehr.
Im Jahre 1810 sah Frau Birotteau eine Steigerung der Mieten sich anbahnen und riet ihrem Mann, Hauptmieter des Hauses, in dem sie den Laden und das Zwischengeschoss inne hatten, zu werden und ihre Wohnung in das erste Stockwerk zu verlegen. Ein glücklicher Umstand veranlasste Konstanze, sich die großen Ausgaben, die Birotteau für sie bei der Einrichtung der Wohnung machte, gefallen zu lassen. Der Parfümhändler war eben zum Handelsrichter ernannt worden. Er verdankte diese Ehrenstellung seiner Rechtschaffenheit, seinem anerkannten Takt und dem Ansehen, das er genoss, und gehörte nun zu den Notabeln unter den Pariser Kaufleuten. Um seine Kenntnisse zu vermehren, stand er früh um fünf Uhr auf und las juristische Repertorien und Bücher über Handelsstreitigkeiten. Sein Rechtsgefühl, seine Lauterkeit, seine wohlwollende Gesinnung, diese wesentlichen Vorbedingungen für eine gerechte Entscheidung der schwierigen Fälle, die dem Spruch der Handelsgerichte unterliegen, machten ihn zu einem der geachtetsten Richter. Selbst seine Mängel nützten seiner Reputation. Da er empfand, dass er ein unbedeutender Kopf war, ordnete Cäsar willig seine Einsicht der seiner Kollegen unter, die sich geschmeichelt fühlten, wenn er ihnen so aufmerksam zuhörte; die einen bemühten sich um die stillschweigende Zustimmung eines Mannes, den sie, weil er zuzuhören verstand, für einen tiefen Geist hielten; die andern rühmten ihn, weil sie sich über seine Bescheidenheit und seine Liebenswürdigkeit freuten. Die Parteien lobten sein Wohlwollen und seine versöhnende Art, und oft wurde er bei Streitigkeiten zum Schiedsrichter gewählt, wobei ihn sein gesunder Menschenverstand wie einen Kadi urteilen ließ. Während der Dauer seiner Amtstätigkeit verstand er, sich eine Ausdrucksweise anzueignen, die voller Gemeinplätze, durchsetzt mit Grundsätzen und Urteilen, die in wohlabgerundeten Phrasen vorgebracht wurden, war, und die von oberflächlichen Leuten für Beredsamkeit angesehen wurde. Er gefiel so der naturgemäß mittelmäßigen Mehrzahl, die für immer zu alltäglicher Tätigkeit und Anschauung verdammt ist. Aber Cäsar verlor bei dem Gericht so viel Zeit, dass seine Frau ihn schließlich nötigte, auf diese kostspielige Ehre zu verzichten.
Um 1813 begann für das Ehepaar, dank ihrer beständigen Einigkeit und dem weiteren guten Fortschreiten auf ihrem Lebenswege, eine Ära des Wohlstandes, den nichts mehr erschüttern zu können schien. Herr und Frau Ragon, ihre Vorgänger, ihr Onkel Pillerault, der Notar Roguin, die Matifats, Drogisten in der Rue des Lombards und Lieferanten der Rosenkönigin, Joseph Lebas, Tuchhändler und Nachfolger von Guillaume in der »Ballspielenden Katze«, eine Leuchte der Rue Saint-Denis, der Richter Popinot, Frau Ragons Bruder, Chiffreville, vom Hause Protez & Chiffreville, Herr und Frau Cochin, Angestellter beim Schatzamt und Kommanditäre des Hauses Matifat, der Abbé Loraux, der Beichtvater dieser Gesellschaft, und einige andere Personen bildeten ihren Freundeskreis. Trotz seiner royalistischen Gesinnung urteilte die öffentliche Meinung günstig über Birotteau, der auch für sehr reich galt, obwohl er nur hunderttausend Franken außer seinem Geschäft besaß. Seine regulären Geschäfte, seine Pünktlichkeit, sein Prinzip, nie etwas schuldig zu bleiben und niemals Wechsel zu eskomptieren, dagegen aber Sicherheiten von solchen anzunehmen, denen er damit hilfreich sein konnte, seine Gefälligkeit – all das verschaffte ihm einen außerordentlichen Kredit. Er hatte übrigens in der Tat viel Geld verdient; aber seine Bauten und die Fabrik hatten viel davon verschlungen. Auch kostete ihm sein Haushalt annähernd zwanzigtausend Franken jährlich. Schließlich erforderte die Erziehung Cäsarines, der einzigen, von Konstanze und ihm in gleicher Weise angebeteten Tochter, starke Ausgaben. Weder er noch seine Frau sahen auf das Geld, wenn es sich darum handelte, ihrer Tochter, von der sie sich nicht hatten trennen wollen, ein Vergnügen zu bereiten. Man stelle sich die Freude dieses armen, heraufgekommenen Bauernsohns vor, wenn er seine süße Cäsarine eine Sonate von Steibelt auf dem Klavier spielen, oder eine Romanze singen hörte; wenn er sah, wie sie korrekt Französisch schrieb und wenn er sie bewunderte, wie sie Racine, den Älteren und den Jüngeren, las und ihm deren Schönheiten erklärte, und wie sie eine Landschaft zeichnete oder ein Blatt in Sepia malte! Was für ein Glücksgefühl, wenn er sich in einer so schönen, so reinen Blüte wieder aufleben sah, die sich noch nicht von der mütterlichen Hut getrennt hatte, kurz, in einem Engel, dessen aufkeimende Reize und Entwicklung mit leidenschaftlichem Anteil beobachtet wurden, einer einzigen Tochter, die nie daran dachte, ihren Vater gering zu achten oder sich über seinen Mangel an Bildung lustig zu machen, so sehr war sie eine echte Jungfrau. Als er nach Paris kam, konnte Cäsar lesen, schreiben und rechnen, aber damit war seine Bildung zu Ende, sein arbeitsames Leben hatte ihm nicht gestattet, Gedanken und Kenntnisse, die in keiner Beziehung zum Parfümeriegeschäft standen, sich anzueignen. In ständigem Verkehr mit Leuten, denen Wissenschaften und Literatur gleichgültig waren, und deren Bildung sich nur auf Spezialgebiete erstreckte, und da er keine Zeit hatte, sich mit höheren Studien zu befassen, wurde er ein Mann der Praxis. Er nahm notwendigerweise die Sprache, die Irrtümer, die Ansichten der Pariser Bourgeoisie an, die Molière, Voltaire und Rousseau auf ihren Namen hin bewundert, die ihre Werke kauft, sie aber nicht liest; die behauptet, man müsse ormoire sagen, weil die Frauen in diesem Möbel ihr »Gold« und ihre Kleider aufbewahrten, die früher fast immer aus »Mohair« gemacht waren, und dass armoire ein korrumpiertes Wort sei. Potier, Talma, die Mars seien zehnfache Millionäre und lebten nicht so wie andere menschliche Wesen; der große Schauspieler äße rohes Fleisch, die Mars genösse zuweilen aufgelöste Perlen, um es einer berühmten ägyptischen Schauspielerin gleichzutun. Der Kaiser habe in seinen Westen lederne Taschen, um seinen Tabak gleich handvoll zu sich nehmen zu können, er reite im Galopp die Treppe der Orangerie in Versailles hinauf. Die Schriftsteller und Künstler stürben im Hospital infolge ihrer Absonderlichkeiten; sie seien übrigens alle Atheisten und man müsse sich sehr hüten, sie bei sich zu empfangen. Joseph Lebas erzählte mit Entsetzen die Geschichte der Ehe seiner Schwägerin Augustine mit dem Maler Sommervieux. Die Astronomen lebten von Spinnen. Diese Höhepunkte ihrer Kenntnisse in der französischen Sprache, der dramatischen Kunst, der Politik, der Literatur, der Wissenschaften lassen den Umfang dieser bourgeoisen Intelligenzen erkennen. Wenn ein Dichter durch die Rue des Lombards geht, so kann er, wenn er Wohlgerüche wahrnimmt, von Asien träumen. Er bewundert Tänzerinnen in einer Wirtschaft und meint den Duft des Vetivergrases einzuatmen. Geblendet von dem Glanz der Cochenille, glaubt er darin Dichtungen der Brahmanen, indische Religionen und Kasten wiederzufinden. Wenn er rohes Elfenbein sieht, so steigt er in Gedanken auf den Rücken eines Elefanten, in ein Zelt von Musselin und pflegt darin der Liebe wie der König von Lahore. Aber der kleine Kaufmann hat keine Ahnung, woher die Produkte, mit denen er handelt, kommen, noch wo sie wachsen. Der Parfümhändler Birotteau verstand nicht ein Jota von Naturgeschichte und Chemie. Wenn er Vauquelin für einen großen Mann hielt, so betrachtete er ihn als eine Ausnahme; er selbst stand auf der Höhe jenes ehemaligen Krämers, der eine Diskussion über den Bezug des Tees damit schloss, dass er mit schlauer Miene sagte: »Der Tee kommt entweder mit der Karawane oder aus Le Havre.« Nach Birotteaus Meinung gab es Aloe und Opium nur in der Rue des Lombards. Das angebliche Konstantinopeler Rosenwasser würde wie das Kölnische Wasser in Paris fabriziert. Die Ursprungsnamen seien Aufschneidereien den Franzosen zu Gefallen, die die Erzeugnisse ihres Landes nicht haben wollten. Ein französischer Kaufmann müsse seine Erfindungen als englische bezeichnen, wenn er sie in Aufnahme bringen wolle, wie ein englischer Drogist die seinigen für französische ausgeben müsse. Trotzdem war Cäsar durchaus nicht dumm oder töricht; seine Rechtschaffenheit und Herzensgüte warfen ihren Schimmer über ihn, der alles, was er tat, respektabel erscheinen ließ; wer immer als redlicher Mann handelt, dem wird jede Unwissenheit verziehen. Sein beständiger Erfolg erfüllte ihn mit Zuversicht. In Paris gilt eine solche Selbstsicherheit schon als eine Macht, weil man sie als ein Zeichen von Macht ansieht. Nachdem sie Cäsar in den ersten drei Jahren ihrer Ehe genau kennen gelernt hatte, war seine Frau das Opfer beständiger Ängste; sie repräsentierte in diesem Bunde den scharfsinnigen und vorsichtigen Teil, den Zweifel, die Opposition, die Furcht; während Cäsar die Kühnheit, den Ehrgeiz, die Tat und das höchste Glück, das Herausfordern des Schicksals, verkörperte. Trotz dieses äußeren Anscheins aber zitterte der Kaufmann innerlich, während seine Frau in Wahrheit Geduld und Mut besaß. So gelang es diesem kleinmütigen, mittelmäßigen, ungebildeten Manne ohne eigene Gedanken, ohne Kenntnisse, ohne ausgeprägten Charakter, auf dem schlüpfrigsten Platze der Welt, wo er am wenigsten Aussicht auf Erfolg hatte, durch sein kluges Benehmen, durch sein Rechtsgefühl, seine wahrhaft christliche Seelengüte und durch die Liebe zu der einzigen Frau, die er jemals besessen hatte, für einen bemerkenswerten, mutigen und klug überlegenden Mann zu gelten. Die Menschen urteilen nur nach dem Erfolge. Außer Pillerault und dem Richter Popinot waren die Mitglieder seines Kreises, die ihn nur oberflächlich sahen, nicht fähig, ihn richtig zu beurteilen. Übrigens redeten die zwanzig bis dreißig Freunde, die unter sich verkehrten, dieselben Albernheiten, sie wiederholten dieselben Gemeinplätze und hielten sich alle für überlegene Leute in ihrem Fache. Die Frauen bestrebten sich, mit guten Diners und Toiletten hervorzustechen; eine jede von ihnen hielt sich für verpflichtet, verächtlich von ihrem Mann zu reden. Nur Frau Birotteau hatte soviel Takt, den ihrigen vor den andern mit Achtung und Respekt zu behandeln; sie sah in ihm den Mann, der trotz seiner versteckten Unfähigkeit ihr Vermögen verdient hatte und dessen Ansehen sie teilte. Aber sie fragte sich manchmal, wie die Gesellschaft beschaffen sein müsse, wenn alle angeblich hervorragenden Persönlichkeiten ihrem Manne glichen. Ihr Benehmen trug nicht wenig dazu bei, die respektvolle Achtung aufrecht zu halten, die man dem Kaufmann in einem Lande entgegenbrachte, wo die Frauen meist geneigt sind, ihre Männer zu verachten und sich über sie zu beklagen.
Die ersten Tage des Jahres 1814, die für das kaiserliche Frankreich so verhängnisvoll waren, markierten sich bei den Birotteaus durch zwei Ereignisse, die in jedem andern Hause wenig bedeutet hätten, die aber einen tiefen Eindruck auf so einfache Seelen wie die Cäsars und seiner Frau machten, die, wenn sie auf ihre Vergangenheit zurückblickten, darin nur angenehme Erregungen fanden. Sie hatten als ersten Kommis einen jungen Mann von zweiundzwanzig Jahren angenommen, mit Namen Ferdinand du Tillet. Dieser junge Mensch, der von einem Parfümeriehause, wo man abgelehnt hatte, ihn am Gewinn zu beteiligen, abgegangen war und der für genial begabt gehalten wurde, hatte sich viele Mühe gegeben, bei der Rosenkönigin anzukommen, deren Umstände, Leistungsfähigkeit und Geschäftsgebaren ihm bekannt waren. Birotteau nahm ihn an und bewilligte ihm tausend Franken Gehalt mit der Absicht, ihn einmal zu seinem Nachfolger zu machen. Ferdinand hatte auf das Geschick dieser Familie einen so großen Einfluss, dass es nötig ist, einige Worte über ihn zu sagen. Zuerst nannte er sich einfach Ferdinand, ohne Familiennamen. Diese Anonymität hielt er für einen außerordentlichen Vorteil zu einer Zeit, da Napoleon die Familien auspresste, um Soldaten zu bekommen. Irgendwie war er eben zur Welt gekommen, als die Frucht einer kalten wollüstigen Leidenschaft. Über seine Personalien mögen die folgenden wenigen Andeutungen genügen. Im Jahre 1793 hatte ein armes Mädchen aus Tillet, einem kleinen Ort nahe bei les Andelys nächtlicherweile im Garten des Vikars der Kirche von Tillet ein Kind zur Welt gebracht und sich dann, nachdem sie an die Fensterläden geklopft hatte, ertränkt. Der gute Priester nahm das Kind zu sich, gab ihm den Vornamen des Kalenderheiligen jenes Tages, zog es auf und hielt es wie ein eigenes Kind. Dieser Priester starb im Jahre 1804, ohne ein für die begonnene Erziehung ausreichendes Erbe zu hinterlassen. Nach Paris verschlagen, führte Ferdinand hier ein Flibustierleben, dessen Gefahren ihn zu Vermögen, aufs Schafott, in die Advokatur, in die Armee, in den Handelstand oder in den Dienerstand führen konnten. Ferdinand, der zu einem Figaroleben verurteilt war, wurde zuerst Reisender, dann Angestellter in einer Parfümerie in Paris, wohin er zurückgekehrt war, nachdem er Frankreich durchreist, die Welt, kennen gelernt und bei sich beschlossen hatte, um jeden Preis sein Glück zu machen. Im Jahre 1813 hielt er es für erforderlich, sein Alter feststellen zu lassen und sich einen Zivilstand zu schaffen, und beantragte beim Gericht von les Andelys, dass seine Taufbescheinigung aus dem Kirchenregister in das der Bürgermeisterei zu übertragen sei, und dort erreichte er, dass man ihn unter dem Namen du Tillet eintrug, unter dem er bekannt geworden war, weil man ihn ja in dieser Gemeinde ausgesetzt hatte. Ohne Vater und Mutter, ohne andern Vormund als die kaiserliche amtliche Vormundschaft, allein in der Welt stehend, niemandem Rechenschaft schuldig, ging er gegen die Gesellschaft, die ihn so stiefmütterlich behandelte, ohne Schonung vor; er ließ sich nur von seinem Interesse leiten, und um zu Vermögen zu gelangen, waren ihm alle Mittel recht. Dieser Normanne von gefährlicher Begabung verband mit seinem Drange, in die Höhe zu kommen, die abstoßenden Fehler, die man mit Recht oder Unrecht den Bewohnern seiner Heimat zuschreibt. Hinter süßlichen Manieren verbarg sich ein ränkesüchtiger Geist, denn er war der rücksichtsloseste Prozessierer; so frech er nach dem Gut seines Nächsten strebte, so wenig ließ er etwas von dem seinigen fahren; seine Gegner ermüdete er durch geduldiges Abwarten und durch eine unbeugsame Willenskraft. Seine wertvollste Fähigkeit war die der Scapins in der alten Komödie: er besaß dieselbe Fruchtbarkeit im Ersinnen von Aushilfsmitteln, dieselbe Geschicklichkeit, am Unrecht vorbeizustreifen, die gleiche Gier, sich das anzueignen, was man gern haben und behalten möchte. Schließlich glaubte er, auf seine Bedürfnisse dasselbe Wort anwenden zu dürfen, das der Abbé Terray im Namen des Staats gebrauchte: es genügt, wenn man später ein anständiger Mensch wird. Ausgestattet mit einem leidenschaftlichen Tätigkeitsdrange, bereit, mit soldatischer Unerschrockenheit von jedermann eine gute oder schlechte Handlung zu fordern, wobei er seine Forderung schon durch sein persönliches Interesse daran für gerechtfertigt ansah, verachtete er die Menschen, die er alle für bestechlich hielt, zu sehr, war er zu wenig zartfühlend in der Wahl seiner Mittel, von denen ihm jedes recht war, trachtete er zu heftig nach dem Gelde, dessen Besitz nach seiner Meinung von allen moralischen Sünden absolvierte – als dass ihm nicht früher oder später der Erfolg sicher gewesen wäre. Ein solcher Mann, zwischen den Bagno und die Millionen gestellt, musste notwendigerweise rachsüchtig, eigenwillig, schnell in seinen Entschlüssen, aber hinterhältig wie ein Cromwell sein, der der Rechtlichkeit den Kopf abschlagen wollte. Seine Unergründlichkeit verbarg sich hinter einem spöttischen, leicht beweglichen Wesen. Obwohl nur einfacher Kommis in einer Parfümeriehandlung, gab es für seinen Ehrgeiz keine Grenzen; er hatte seinen hasserfüllten Blick auf die ganze Gesellschaft gerichtet und zu sich gesagt: »Du wirst mir gehören!« Er hatte sich zugeschworen, erst mit vierzig Jahren zu heiraten. Äußerlich war Ferdinand ein schlanker junger Mann von guter Figur und Manieren, die ihn befähigten, sich jeder Art von Gesellschaft anzupassen. Sein schlaues Gesicht gefiel beim ersten Blick; aber wenn man ihn eingehender betrachtete, so nahm man darauf einen eigenartigen Ausdruck wahr, wie er sich auf dem Antlitz von Leuten malt, die mit sich selber uneins sind, oder deren Gewissen sich zu bestimmten Stunden meldet. Der blühende Teint seiner zarten normannischen Haut hatte eine grelle Farbe. Der Blick seiner glasigen, silbrig schimmernden Augen war herumfahrend, aber schrecklich, wenn er ihn direkt auf sein Opfer richtete. Seine Stimme klang matt, wie die eines Mannes, der lange Zeit geredet hat. Seine schmalen Lippen waren nicht ohne Anmut; aber seine spitze Nase, seine leicht gewölbte Stirn verrieten einen Fehler der Rasse. Sein Haar endlich, das wie schwarz gefärbt erschien, wies auf ein Bastardgeschöpf hin, das seinen Geist einem liederlichen Grandseigneur und seine niedrige Gesinnung einer verführten Bauernmagd, seine Kenntnisse einer unvollendeten Erziehung und seine Laster seiner Verwahrlosung zu verdanken hatte. Birotteau sah mit großem Erstaunen, dass sein Kommis sehr elegant gekleidet ausging, sehr spät heimkehrte und Bälle bei Bankiers und Notaren besuchte. Diese Gewohnheiten missfielen Cäsar; nach seiner Meinung mussten die Kommis die Geschäftsbücher studieren und an nichts als an ihr Geschäft denken. Der Parfümhändler ärgerte sich über Kleinigkeiten, hatte an du Tillet auszusetzen, dass er zu feine Wäsche trug, dass er Visitenkarten besaß, auf denen sein Name so gestochen war: »F. du Tillet«, was nach seinem kaufmännischen Rechtsempfinden ausschließlich für die Mitglieder der vornehmen Gesellschaft passte. Ferdinand war zu diesem Orgon mit den Absichten eines Tartüff gekommen; er machte seiner Frau den Hof, versuchte sie zu verführen und beurteilte seinen Dienstherrn, wie sie selbst es tat, aber mit erschreckender Schnelligkeit. Obwohl diskret, zurückhaltend und nie mehr sagend, als er aussprechen wollte, ließ du Tillet doch seine Anschauungen über die Menschen und das Leben in einer Weise klar werden, dass eine Frau mit Gewissensängsten, die die religiöse Überzeugung ihres Mannes teilte und es als ein Verbrechen ansah, ihrem Nächsten auch nur das geringste Unrecht anzutun, darüber entsetzt sein musste. Trotz der Gewandtheit, mit der Frau Birotteau ihre wahre Meinung verbarg, ahnte du Tillet doch, welches Gefühl der Verachtung er einflößte. Konstanze, der Ferdinand mehrere Liebesbriefe geschrieben hatte, bemerkte bald eine Veränderung im Wesen ihres Kommis, der sich einen übermütigen Ton ihr gegenüber herausnahm, als ob sie mit ihm im Einverständnis wäre. Ohne ihrem Manne etwas von ihren geheimen Gründen zu sagen, riet sie ihm, Ferdinand zu entlassen. Birotteau war damit einverstanden und es wurde beschlossen, dem Kommis zu kündigen. Drei Tage vor dem Kündigungstermin machte Birotteau den Monatsabschluss der Kasse und stellte fest, dass dreitausend Franken fehlten. Seine Bestürzung war furchtbar, weniger um des Verlustes willen, als weil sein Verdacht sich auf alle, auf drei Kommis, eine Köchin, einen Hausdiener und mehrere angenommene Arbeiter richten musste. An wen sollte er sich halten? Frau Birotteau ließ das Kontor nie allein. Der Kassierer, ein Neffe Ragons, namens Popinot, ein junger Mann von neunzehn Jahren, der bei ihnen wohnte, war die Ehrlichkeit selbst. Seine Zahlen, die im Widerspruch mit der Summe in der Kasse standen, zeigten ein Defizit an und bewiesen, dass die Unterschlagung nach der Feststellung des Saldos gemacht worden war. Die Eheleute beschlossen, über die Sache Schweigen zu bewahren und die Angestellten zu beobachten. Am nächsten Tage, einem Sonntage, empfingen sie ihre Freunde. Die Familien, die zu diesem Gesellschaftskreise gehörten, bewirteten einander der Reihe nach. Beim Hasardieren nach Tisch legte der Notar Roguin alte Louisdors auf die Tischdecke, die Frau Cäsar wenige Tage vorher von einer Neuvermählten, Frau d'Espard, erhalten hatte.
»Haben Sie eine Armenbüchse bestohlen?« sagte lachend der Parfümhändler.
Roguin erwiderte, dass er das Geld von einem Bankier du Tillets erhalten hätte, was dieser auch, ohne zu erröten, bestätigte. Der Parfümhändler aber wurde dunkelrot. Als die Gäste fort waren und Ferdinand schlafen gehen wollte, nahm ihn Birotteau noch einmal in den Laden mit, weil er mit ihm etwas Geschäftliches zu besprechen hätte. »Du Tillet,« sagte er, »es fehlen mir dreitausend Franken in der Kasse, und ich kann auf niemanden meinen Verdacht richten; die Sache mit den alten Louisdors spricht aber so sehr gegen Sie, dass ich mit Ihnen darüber reden muss; wir werden deshalb nicht schlafen gehen, bis sich der Irrtum aufgeklärt hat, denn schließlich kann hier doch nur ein Irrtum vorliegen. Sie werden vielleicht einen Vorschuss auf Ihr Gehalt genommen haben.«
Du Tillet erwiderte, er hätte in der Tat die Goldstücke genommen. Der Parfümhändler sah im Hauptbuch nach, aber das Konto seines Kommis war noch nicht belastet.
»Ich war zu beschäftigt, sonst hätte ich von Popinot die Summe eintragen lassen«, sagte Ferdinand. »Jawohl,« meinte Birotteau, der über den kühlen Gleichmut des Normannen außer Fassung geriet, welcher die guten Leute, zu denen er gekommen war, um ein Vermögen zu erwerben, recht gut kannte.
Der Parfümhändler und sein Kommis verbrachten die Nacht mit Nachforschungen, von denen der ehrenhafte Kaufmann wusste, dass sie überflüssig waren. Im Aufundabgehen steckte Cäsar schließlich drei Banknoten von tausend Franken, indem er sie zwischen die Leisten der Schublade klemmte, in die Kasse, stellte sich darauf sehr müde, tat, als ob er schliefe, und schnarchte. Dann weckte ihn du Tillet triumphierend auf und äußerte die größte Freude, dass sich der Irrtum aufgeklärt habe. Am nächsten Tage schalt Birotteau vor allem mit dem kleinen Popinot und seiner Frau und äußerte sich zornig über ihre Nachlässigkeit. Vierzehn Tage später trat Ferdinand du Tillet bei einem Wechselmakler in Stellung. Das Parfümeriegeschäft sage ihm nicht zu, meinte er, er wolle das Bankfach kennen lernen. Als er Birotteau verließ, äußerte sich du Tillet über Frau Konstanze so, als ob er glauben machen wollte, dass sein Chef ihn aus Eifersucht entlassen habe. Einige Monate später erschien du Tillet wieder bei seinem früheren Prinzipal und verlangte von ihm eine Bürgschaft für zwanzigtausend Franken, um genügend Unterlagen für ein Geschäft geben zu können, das ihm den Weg zur Erlangung eines Vermögens eröffnen sollte. Als er die Überraschung wahrnahm, die sich auf Birotteaus Gesicht bei dieser Unverschämtheit malte, runzelte er die Stirn und fragte ihn, ob er kein Vertrauen zu ihm hätte. Matifat und zwei andere Kaufleute, die mit Birotteau in Geschäften verhandelten, bemerkten seinen Unwillen, obwohl er seinen Zorn in ihrer Gegenwart unterdrückte. Aber vielleicht war du Tillet wieder ein anständiger Mensch geworden, vielleicht war sein Vergehen damals durch eine verzweifelte Geliebte oder durch zu gewagtes Spielen veranlasst worden; eine öffentliche Ablehnung seitens eines ehrenhaften Mannes könnte einen noch jungen Menschen auf den Weg des Verbrechens und Unglücks bringen, einen Menschen, der vielleicht schon Reue empfand. Und so ergriff dieser Engel von Mensch die Feder, unterzeichnete die Bürgschaft für die Wechsel du Tillets und sagte, er leiste diesen Dienst von Herzen gern einem jungen Manne, der ihm sehr von Nutzen gewesen sei. Das Blut stieg ihm ins Gesicht, als er diese bewusste Lüge aussprach. Du Tillet konnte dabei den Blick dieses Mannes nicht aushalten und gelobte ihm zweifellos in diesem Augenblick jenen schonungslosen Hass, wie ihn die Engel der Finsternis gegen die Engel des Lichts hegen. Du Tillet verstand es, sich so gut auf dem schwanken Seil der Finanzspekulationen im Gleichgewicht zu halten, dass er nach außen hin immer elegant und reich erschien, bevor er es in Wirklichkeit war. Sobald er sich ein Kabriolett angeschafft hatte, gab er es auch nicht wieder auf; er bewegte sich ständig in der hohen Sphäre der Leute, die Vergnügen und Geschäft miteinander verbinden, indem sie, als die Turcarets ihrer Zeit, aus dem Foyer der Oper eine Filiale der Börse machen. Dank Frau Roguin, die er bei Birotteau kennen gelernt hatte, setzte er sich schnell bei den höchstgestellten Finanzleuten fest. Und jetzt war Ferdinand du Tillet zu einem Wohlstand gelangt, an dem nichts erlogen war. Er stand vorzüglich mit dem Hause Nucingen, bei dem Roguin ihn eingeführt hatte, er hatte sich schnell mit den Gebrüdern Keller und mit der Hochfinanz liiert. Niemand wusste, woher diesem jungen Menschen die riesigen Kapitalien zuflossen, die er arbeiten ließ, man schrieb sein Glück seiner Intelligenz und seiner Ehrlichkeit zu.
Die Restauration machte Cäsar zu einer Persönlichkeit, die natürlich in dem Sturm der politischen Krisen jene beiden häuslichen Zwischenfälle aus dem Gedächtnis verlor. Seine unveränderte royalistische Gesinnung, die ihm seit seiner Verwundung sehr gleichgültig geworden war, in der er aber anstandshalber verharrte, und die Erinnerung an seine Aufopferung im Vendémiaire verschafften ihm hohe Protektionen, und zwar gerade deshalb, weil er nichts für sich verlangte. So wurde er zum Bataillonschef bei der Nationalgarde ernannt, obwohl er nicht imstande war, das einfachste Kommando zu geben. Im Jahre 1815 setzte ihn Napoleon, immer noch Birotteaus Feind, ab. Während der Hundert Tage wurde Birotteau die Bête noire der Liberalen in seinem Viertel; denn gerade im Jahre 1815 begannen die politischen Spaltungen innerhalb der Kaufmannschaft, die bis dahin in ihrem Verlangen nach Ruhe, die sie für die Geschäfte brauchte, einhellig gewesen war. Bei der zweiten Restauration musste die königliche Regierung den Munizipalrat umgestalten. Der Präfekt wollte Birotteau zum Bürgermeister ernennen. Dank seiner Frau nahm der Parfümhändler aber nur die Stelle eines Beigeordneten an, wo er weniger der Öffentlichkeit ausgesetzt war. Diese Bescheidenheit erhöhte noch bedeutend die Achtung, die er schon allgemein genoss, und verschaffte ihm die Freundschaft des Bürgermeisters, des Herrn Flamet de la Billardière. Birotteau, der ihn zur Zeit, da die Rosenkönigin als Sammelplatz für die royalistischen Verschwörungen diente, dort hatte verkehren sehen, schlug ihn selbst dem Seinepräfekten vor, der ihn über die zu treffende Wahl konsultiert hatte. Herr und Frau Birotteau wurden auch niemals bei den Einladungen des Bürgermeisters übergangen. Schließlich sammelte Frau Cäsar häufig für die Armen Almosen in Saint-Roch. La Billardière trat warm für Birotteau ein, als es sich darum handelte, die für den Munizipalrat bewilligten Kreuze der Ehrenlegion zu verteilen, indem er seine Verwundung von Saint-Roch, seine Anhänglichkeit an die Bourbonen und die Achtung, die er genoss, hervorhob. Das Ministerium, das verschwenderisch das Kreuz der Ehrenlegion verteilte, um Napoleons Werk zu zerstören, sich gefügige Kreaturen zu schaffen und die verschiedenen Zweige des Handels, die Künstler und die Gelehrten den Bourbonen zu verbinden, setzte daher Birotteau auf die nächste Liste. Diese Auszeichnung, im Verein mit dem Glanz, den Birotteau seinem ganzen Arrondissement verlieh, brachte ihn in eine Lage, in der sich die Gedanken eines Mannes, dem bis dahin alles geglückt war, ins Große versteigen mussten. Die Nachricht von seiner Ernennung, die der Bürgermeister ihm mitgeteilt hatte, gab den letzten entscheidenden Anstoß für den Parfümhändler, sich auf das Spekulationsgeschäft, das er eben seiner Frau auseinandergesetzt hatte, einzulassen, um so schnell als möglich den Ladenhandel aufzugeben und Mitglied der höheren Bourgeoisie von Paris zu werden.
Cäsar war damals vierzig Jahre alt. Das Arbeiten in seiner Fabrik hatte ihm einige frühzeitige Runzeln aufgedrückt und sein langes dichtes Haar leicht übersilbert, in das sich durch den Druck des Hutes ein glänzender Kreis eingeprägt hatte. Seine Stirn, in die das Haar so hineingewachsen war, dass es in fünf Zacken auslief, gab Zeugnis von seiner einfachen Lebensweise. Seine starken Augenbrauen hatten nichts Erschreckendes, denn der klare, immer offene Blick seiner blauen Augen war in Einklang mit seiner ehrlichen Stirn. Seine an der Wurzel eingedrückte, an der Spitze dicke Nase gab ihm das erstaunte Aussehen eines Pariser Maulaffen. Die Lippen waren sehr wulstig, und das große Kinn fiel steil ab. Das kräftig gefärbte Gesicht von viereckigem Umriss wies durch die Verteilung der Runzeln und in seinem ganzen Ausdruck den dummschlauen Typus des Bauern auf. Die Körperstärke, die dicken Glieder, der breite Rücken, die großen Füße, alles verriet den nach Paris verpflanzten Dorfbewohner. Seine breiten, behaarten Hände, seine großen viereckigen Fingernägel hätten seinen Ursprung bezeugt, auch wenn seine ganze Person keinerlei sonstige Anzeichen dafür aufgewiesen hätte. Um seine Lippen spielte das liebenswürdige Lächeln, das die Kaufleute dem Kunden gegenüber immer aufsetzen; aber dieses Kaufmannslächeln war bei ihm der Reflex seiner innerlichen Zufriedenheit und seines weichen Gemüts. Sein Misstrauen machte sich nur bei Geschäften geltend, und wenn er die Börse verließ oder sein Hauptbuch schloss, war seine Verschlagenheit verschwunden. Verdacht war für ihn dasselbe wie das, was auf seinen Fakturen gedruckt stand: eine mit dem Geschäftemachen verbundene Notwendigkeit. Sein Gesicht drückte Sicherheit mit einem gewissen komischen Anflug aus, eine Mischung von Selbstgefälligkeit und Wohlwollen, die es originell erscheinen ließ und verhinderte, dass es allzusehr den platten Gesichtern der Pariser Bourgeois ähnlich sah. Ohne diesen Zug naiver Selbstbewunderung und Glauben an sich hätte er zuviel Respekt eingeflößt; so kam er den übrigen Menschen näher, indem er den ihm zukommenden Anteil am Lächerlichen beisteuerte. Wenn er sprach, kreuzte er gewöhnlich die Hände auf dem Rücken. Wenn er etwas Liebenswürdiges oder Bedeutendes gesagt zu haben glaubte, so erhob er sich unmerklich zweimal auf den Fußspitzen und ließ sich dann schwer auf die Hacken zurückfallen, als wollte er seinen Ausspruch bekräftigen. Auf der Höhe einer Diskussion sah man ihn zuweilen sich plötzlich um sich selbst drehen, einige Schritte machen, als wenn er nach einer Entgegnung suche, und dann mit einer brüsken Bewegung auf seinen Gegner losgehen. Niemals unterbrach er den andern und sah sich oft das Opfer dieser strikten Beobachtung des Schicklichen werden, denn die andern rissen sich die Worte vom Munde, und der arme Mann verließ schließlich den Kampfplatz, ohne dass er ein Wort hatte sagen können. Seine große Erfahrung in geschäftlichen Angelegenheiten hatte bei ihm Gewohnheiten ausgebildet, die von einigen für fixe Ideen gehalten wurden. Wenn ein Wechsel nicht eingelöst wurde, so sandte er ihn an den Gerichtsvollzieher und kümmerte sich nicht weiter darum, bis er Kapital, Zinsen und Kosten empfangen hatte; der Gerichtsvollzieher musste die Sache so lange verfolgen, bis der Kaufmann Konkurs anmeldete; dann unterließ Cäsar jedes weitere Vorgehen, erschien zu keiner Gläubigerversammlung und behielt sich seine Ansprüche vor. Dieses Prinzip und die unerbittliche Verachtung gegen alle Fallierten hatte er von Ragon übernommen, der im Verlaufe seines Geschäftslebens schließlich bei solchen streitigen Sachen so viel Geld verloren hatte, dass er die Aussicht auf eine magere und unsichere Dividende beim Akkorde für reichlich aufgewogen erachtete, wenn er seine Zeit nicht damit verlor, hin und her zu laufen, alle möglichen Schritte zu tun und die Ausreden unredlicher Schuldner nachzuprüfen.
»Wenn der Konkursschuldner ein anständiger Mensch ist und wieder in die Höhe kommt, so wird er Ihnen seine Schulden bezahlen. Wenn ihm das nicht gelingt und er wirklich im Elend ist, wozu ihn quälen? Und ist es ein Schuft, so werden Sie doch nichts erhalten. Ihre strenge Anschauung ist bekannt und man weiß, dass Sie nicht mit sich handeln lassen; da man Ihnen also nichts abdingen kann, solange man noch imstande ist, zu zahlen, so sind Sie derjenige, der sein Geld bekommt.«
Bei einer Verabredung erschien Cäsar zur festgesetzten Stunde, aber zehn Minuten später verschwand er, ohne sich darin jemals irremachen zu lassen; daher bewirkte seine Pünktlichkeit, dass die Leute, die mit ihm zu tun hatten, ebenso pünktlich waren.
Seine Kleidung passte zu seinen Gewohnheiten und seinem Äußeren. Keine Macht der Erde hätte ihn bestimmen können, auf die weißen Musselinkrawatten zu verzichten, deren von seiner Frau oder seiner Tochter gestickte Enden ihm unter dem Kinn herabhingen. Seine rechtwinklig zugeknöpfte Weste aus weißem Pikee ging ziemlich tief über seinen Bauch herunter, der hervortrat, da er etwas zur Fettleibigkeit neigte. Er trug eine blaue Hose, schwarzseidene Strümpfe und Schnürschuhe, deren Schleifen ihm oft aufgingen. Sein stets sehr weiter, olivengrüner Überrock und sein breitrandiger Hut gaben ihm das Aussehen eines Quäkers. Bei den Sonntagsgesellschaften legte er ein seidenes Beinkleid, Schuhe mit goldenen Schnallen und die unvermeidliche rechteckige Weste an, deren Öffnung dann ein plissiertes Jabot sehen ließ. Sein brauner Frack war in breiten Bahnen geschnitten und hatte lange Schöße. Er trug selbst noch im Jahre 1819 zwei parallel herabhängende Uhrketten, legte aber die zweite nur bei der Sonntagstracht an.
So war Cäsar Birotteau beschaffen, ein würdiger Mann, dem die geheimnisvollen Mächte, die über der Geburt der Menschen walten, es versagt hatten, das politische und das bürgerliche Leben in seinem Zusammenhang beurteilen zu können und sich über das soziale Niveau des Mittelstandes zu erheben, und der in allen Dingen den eingewurzelten Irrtümern huldigte; alle seine Ansichten hatte er von andern empfangen und handelte nach ihnen, ohne sie zu prüfen. Blind, aber gut, wenig geistvoll, aber tief religiös, war er ein Mensch mit reinem Herzen. Dieses Herz war ausgefüllt von einer einzigen Liebe, dem Licht und der Kraft seines Lebens; denn sein Wunsch, emporzustreben, das Erwerben seiner wenigen Kenntnisse, alles beruhte auf der hingebenden Liebe für seine Frau und seine Tochter.
Was Frau Konstanze anlangt, so war sie damals siebenunddreißig Jahre alt und glich vollkommen der Venus von Milo, so dass alle, die sie kannten, in ihr das Abbild jener schönen Statue sahen, als der Herzog von Rivière diese nach Paris gebracht hatte. Aber in wenigen Monaten färbte dann der Kummer die blendende Weiße ihres Teints gelb und runzelte und schwärzte den bläulichen Kreis, aus dem ihre schönen grünlichen Augen hervorstrahlten, so grausam, dass sie das Ansehen einer alten Madonna bekam; denn sie bewahrte sich selbst mitten in ihrem Elend ihre anmutige Unberührtheit, ihren reinen, wenn auch traurigen Blick, und man musste sie immer noch als eine schöne Frau von zurückhaltendem, dezentem Wesen ansehen. Bei dem von Cäsar geplanten Balle sollte sie zum letztenmal sich des allgemein auffallenden Glanzes ihrer Schönheit zu erfreuen haben.
Eine jede Existenz hat ihren Höhepunkt, die Zeit, da die wirksamen Ursachen genau im richtigen Verhältnis zu den erzielten Resultaten stehen. Dieser Mittag des Lebens, wo die lebendigen Kräfte sich im Gleichgewicht halten und ihre volle Macht zeigen, ist nicht allein allen Lebewesen, sondern auch den Städten, den Nationen, den Ideen, den Institutionen, dem Handel und den Unternehmungen gemeinsam, die ähnlich wie edle Rassen und Dynastien entstehen, in die Höhe kommen und zu Boden sinken. Woher rührt die Gewalt, mit der dieses Wesen des Aufstiegs und Niedergangs allem Organischen hienieden anhaftet? Selbst der Tod hat in Pestzeiten sein Ansteigen, sein Abschwellen, sein Wiederausbrechen und sein Einschlafen. Unsere Erde selbst ist vielleicht nur eine etwas dauerhaftere Leuchtkugel als andere. Die Geschichte, die die Ursachen von Größe und Niedergang aller Dinge hienieden erzählt, könnte dem Menschen den Moment anzeigen, da er mit der Entfaltung aller seiner Kräfte innehalten sollte; aber weder die Eroberer, noch die Schauspieler, noch die Frauen, noch die Schriftsteller hören auf ihre warnende Stimme.
Cäsar Birotteau, der hätte fühlen müssen, dass er den Höhepunkt seines Glücks erreicht habe, betrachtete diesen Ruhepunkt nur wie ein neues Sprungbrett. Er begriff nicht, was übrigens weder die Völker noch die Könige in unverwischbaren Lettern aufzuzeichnen versucht haben, die Ursache dieser Umschwünge, von denen die Geschichte voll ist, und von denen die souveränen und die Handelshäuser so gewaltige Beispiele darbieten. Warum können nicht neue Pyramiden immerfort diesen Grundsatz, der die Politik der Völker wie des einzelnen beherrschen sollte, wiederholen: »Wenn die Wirkung nicht mehr in richtiger Beziehung und in gleichem Verhältnis zur Ursache steht, dann beginnt die Auflösung?« Aber diese Monumente sind ja überall vorhanden, es sind die Überlieferungen und die Steine, die zu uns von der Vergangenheit reden, die die Launen des unentrinnbaren Geschicks bestätigen, dessen Hand unsere Träume vernichtet und uns beweist, dass die schwerwiegendsten Ereignisse sich auf einen Grundgedanken zurückführen lassen. Troja und Napoleon sind beides nur Gedichte. Möge diese Erzählung das Gedicht der bürgerlichen Umschwünge sein, derer noch keine Stimme gedacht hat, obwohl sie mit demselben Recht ungeheure genannt werden können; es handelt sich hier nicht um einen einzelnen Menschen, sondern um ein ganzes leidendes Volk.
Beim Einschlafen fürchtete Cäsar, dass seine Frau ihm am andern Morgen noch entscheidende Einwürfe machen würde, und nahm sich vor, sehr früh aufzustehen, um alles zum Abschluss zubringen. Mit Tagesgrauen verließ er daher das Bett, zog sich schnell an und ging in den Laden hinunter, als der Hausknecht die nummerierten Fensterläden abnahm. Da Birotteau allein war, wartete er, bis seine Kommis aufgestanden waren, stellte sich an die Türschwelle und passte auf, wie der Hausknecht Raguet seine Arbeit tat, und Birotteau verstand sich auf solche Arbeit! Trotz der Kälte war das Wetter herrlich.
»Popinot, nimm deinen Hut, zieh dir Schuhe an und rufe Herrn Cölestin herunter; wir beide wollen in den Tuilerien miteinander reden«, sagte er, als er Anselm herunterkommen sah.
Popinot, dieses ausgesprochene Gegenstück zu du Tillet, den einer jener glücklichen Zufälle, die an eine Spezialvorsehung glauben lassen, Cäsar zur Seite gestellt hatte, spielt eine so wichtige Rolle in dieser Erzählung, dass es nötig ist, ihn hier genauer zu zeichnen. Frau Ragon war eine geborene Popinot. Sie hatte zwei Brüder. Der eine, das jüngste Kind, war damals Hilfsrichter am Seinetribunal erster Instanz. Der Ältere hatte einen Handel mit roher Wolle angefangen, dabei sein Vermögen zugesetzt und war gestorben, indem er den Ragons und seinem Bruder, dem Richter, der kinderlos war, seinen einzigen Sohn zur Versorgung hinterließ, der schon bei seiner Geburt die Mutter verloren hatte. Um ihren Neffen einem Beruf zuzuwenden, hatte Frau Ragon ihn in das Parfümeriegeschäft gebracht, in der Hoffnung, dass er einmal der Nachfolger Birotteaus werden würde. Anselm Popinot war klein und hatte einen Klumpfuß, ein Gebrechen, das das Geschick auch Lord Byron, Walter Scott und Herrn von Talleyrand hat zuteil werden lassen, um die andern damit Behafteten zu trösten. Er hatte den blühenden, sommersprossigen Teint der Rothaarigen; aber seine reine Stirn, seine Augen von der Farbe graugeäderten Achats, sein hübscher Mund, die Reinheit und Grazie keuscher Jugend, die Ängstlichkeit, die er seines körperlichen Gebrechens halber empfand, trugen ihm hilfreiche Sympathien ein: man beweist gern den Schwachen Liebe. Popinot interessierte. Der kleine Popinot, wie ihn alle Welt nannte, gehörte zu einer streng religiösen Familie, in der die Tugenden aus Einsicht geübt wurden, und deren Leben bescheiden und reich an guten Taten war. So zeigte auch das von seinem Onkel, dem Richter, erzogene Kind alle jene Eigenschaften, die die Jugend so schön erscheinen lassen: keusch und liebevoll, etwas schüchtern, aber voller Eifer, sanft wie ein Lamm, aber fleißig bei der Arbeit, hingebend und mäßig, besaß er alle Tugenden eines Christen aus den ersten Zeiten der Kirche.
Als er von einem Spaziergang nach den Tuilerien reden hörte, dem ungewöhnlichsten Vorschlage, den zu solcher Stunde sein erhabener Chef machen konnte, glaubte Popinot, dass dieser mit ihm vom Heiraten reden wollte, und dachte sofort an Cäsarine, die wahre Königin der Rosen, das lebende Wahrzeichen des Hauses, in die er sich an demselben Tage, an dem er, zwei Monate vor du Tillet, bei Birotteau eingetreten war, verliebt hatte. Beim Hinaufgehen musste er stehen bleiben, so sehr schwoll ihm und so stark schlug ihm das Herz; bald kam er mit Cölestin, dem ersten Kommis Birotteaus, zurück. Anselm und sein Chef gingen nun, ohne ein Wort zu reden, nach den Tuilerien. Popinot war jetzt einundzwanzig Jahr alt, in welchem Alter sich auch Birotteau verheiratet hatte. Anselm sah daher hierin kein Hindernis für seine Heirat mit Cäsarine, obgleich das Vermögen des Parfümhändlers und die Schönheit des Mädchens der Verwirklichung so ehrgeiziger Wünsche sehr bedenklich entgegenstanden; aber die Liebe wiegt sich gern in den größten Hoffnungen und je ausschweifender sie sind, um so mehr glaubt sie an ihre Verwirklichung; je ferner daher seine Geliebte ihm zu stehen schien, desto lebhafter begehrte er sie. Glückliches Kind, das in einer Zeit der allgemeinen Gleichmacherei, wo alle dieselben Hüte tragen, noch eine Distanz zwischen einem Parfümhändler und sich, dem Nachkommen einer alten Pariser Familie, anerkennen zu müssen glaubte! Aber trotz aller Zweifel, aller Unruhe war er glücklich; er saß ja alle Tage bei Tisch neben Cäsarine! In der Art, wie er sich den Geschäften des Hauses widmete, bewies er einen Eifer und eine Begeisterung, die der Arbeit jede Bitterkeit nahmen; da er alles für Cäsarine tat, war er niemals müde. Bei einem Jüngling von zwanzig Jahren lebt die Liebe von der Hingebung.
»Der wird mal ein richtiger Kaufmann, der kommt in die Höhe«, hatte Cäsar von ihm zu Frau Ragon gesagt, als er Anselms Tüchtigkeit im Fabrikgeschäft und sein Verständnis für die Finessen der Kunst rühmte und seinen Arbeitseifer beim Expedieren erwähnte, wo der Hinkende mit aufgekrempelten Ärmeln und bloßen Armen mehr Kisten packte und zunagelte als die übrigen Kommis.
Die bekannte und kundgegebene Bewerbung Alexander Crottats, des ersten Notariatsschreibers bei Roguin, das Vermögen seines Vaters, eines reichen Pächters aus der Brie, legten dem Siege des Verwaisten starke Hindernisse in den Weg; aber das waren nicht die stärksten Schwierigkeiten, die zu überwinden waren; Popinot trug tief im Herzen noch ein trauriges Geheimnis begraben, das die Entfernung zwischen Cäsarine und ihm noch vergrößerte. das Vermögen der Ragons, auf das er hätte rechnen können, war stark erschüttert; er war glücklich, zu ihrem Lebensunterhalt mit beitragen zu können, indem er ihnen sein bescheidenes Gehalt überließ. Und trotz alledem glaubte er an seinen Erfolg! Mehrmals hatte er Blicke aufgefangen, die Cäsarine mit offenbarem Stolz auf ihn geworfen hatte: in der Tiefe ihrer blauen Augen hatte er eine heimliche Regung voll süßer Hoffnungen lesen zu können gemeint. So schritt er dahin, erregt von seiner augenblicklichen Hoffnung, zitternd, schweigsam und tief bewegt, gleich all den Jünglingen in ähnlicher Lage, für die das Leben noch im Aufblühen ist.
»Popinot,« sagte endlich der Kaufmann zu ihm, »geht es deiner Tante gut?«
»Jawohl, Herr Birotteau.«
»Sie erscheint mir aber seit einiger Zeit so sorgenvoll, gibt es etwas, das sie bedrückt? Höre, mein Sohn, du brauchst vor mir nicht den Geheimnisvollen zu spielen, ich gehöre doch gewissermaßen zur Familie, es sind jetzt fünfundzwanzig Jahre, dass ich deinen Onkel Ragon kenne. Ich bin zu ihm mit eisenbeschlagenen Schuhen von meinem Dorfe hergekommen. Obgleich dieser Ort Les Trésorierès heißt, bestand mein ganzes Vermögen aus einem Louisdor, den mir meine Patin geschenkt hatte, die selige Frau Marquise d' Uxelles, eine Verwandte des Herrn Herzogs und der Frau Herzogin von Lenoncourt, die unsre Kunden sind. Dafür habe ich auch jeden Sonntag für sie und ihre ganze Familie gebetet; wir schicken in die Touraine an ihre Nichte, die Frau von Mortsauf, alle ihre Parfümerien. Ich bekomme immer neue Kundschaft durch sie, zum Beispiel den Herrn von Vandenesse, der jährlich für zwölfhundert Franken kauft. Wenn man ihnen nicht schon von Herzen dankbar wäre, so müsste man es aus Berechnung sein. Dir aber bin ich ohne jeden Hintergedanken gut und um deiner selbst willen.«
»Ach, Herr Birotteau, Sie haben, wenn ich mir erlauben darf, Ihnen so etwas zu sagen, einen höllischen Kopf.«
»Nein, mein Junge, nein, damit allein hätte ich es nicht geschafft. Ich will nicht behaupten, dass ich nicht einen ebenso guten Kopf hätte wie andere, aber ich besaß auch noch Ehrlichkeit, so wahr Gott lebt, ich verstand, mich zu benehmen, und ich habe nie eine andere Frau geliebt als meine. Und die Liebe, die ist ein großartiges Vehikel, ein sehr glücklicher Ausdruck, den gestern Herr von Villèle auf der Tribüne gebraucht hat.«
»Die Liebe!« sagte Popinot. »Ach, Herr Birotteau, sollte ich ...«
»Sieh mal, da kommt der alte Roguin zu Fuß dort hinten von der Place Louis XV., früh um acht Uhr. Was macht der Mann denn hier?« sagte Cäsar und vergaß Anselm Popinot und das Nussöl vollständig.
Er erinnerte sich an den Verdacht seiner Frau, und statt in den Garten der Tuilerien hineinzugehen, schritt Birotteau auf den Notar zu. Anselm folgte seinem Prinzipal in einiger Entfernung, ohne sich erklären zu können; welches Interesse dieser an einer anscheinend so unwichtigen Sache haben könnte; aber er war glücklich, weil er indem, was Cäsar über seine eisenbeschlagenen Schuhe, seinen Louisdor und die Liebe gesagt hatte, eine Ermutigung sah.
Roguin, ein großer dicker Mann mit finnigem Gesicht, sehr weit hinaufreichender Stirn und schwarzem Haar, hatte früher kein übles Äußeres; jung und hochstrebend, hatte er sich vom kleinen Schreiber bis zum Notar hinaufgearbeitet; aber jetzt zeigte sein Gesicht dem scharfen Beobachter deutlich die verzerrenden und erschlaffenden Spuren raffinierter Genüsse. Wenn ein Mann in den Schlamm geschlechtlicher Exzesse taucht, wird man fast immer etwas von diesem Schlamm an irgendeiner Stelle seines Antlitzes finden; so hatte auch bei Roguin die Zeichnung der Falten und die Gesichtsfärbung einen gemeinen Ausdruck bekommen. An Stelle des reinen Glanzes, der unter der Haut enthaltsamer Männer hervorleuchtet und eine blühende Gesundheit anzeigt, verriet sich bei diesem das unreine, von Gelüsten, gegen die der Körper sich wehrt, aufgepeitschte Blut. Er hatte eine widerwärtig aufgestülpte Nase, wie man sie bei Leuten findet, bei denen der Schleim, wenn er dieses Organ durchzieht, ein verstecktes Übel verursacht, das eine tugendhafte französische Königin naiv für ein dem andern Geschlecht gemeinsames Übel hielt, da sie andern Männern als dem Könige niemals nahe genug gekommen war, um ihren Irrtum zu erkennen. Roguin hatte gehofft, durch starkes Schnupfen von Spaniol diese Unannehmlichkeit verbergen zu können, aber er hatte damit die nachteiligen Folgen nur verschlimmert, die die Hauptursache seines Unglücks wurden.
Ist es nicht eine soziale Beschönigung, die schon allzu lange gedauert hat, wenn die Menschen immer wieder mit falschen Farben abgebildet und die wahren Ursachen ihrer Laster nicht enthüllt werden, die so häufig in einer Krankheit wurzeln? Die Sittenschilderer haben bis jetzt wohl allzusehr unterlassen, das physische Übel in seinen Verheerungen auf moralischem Gebiet und in seinem Einfluss auf den ganzen Mechanismus des Lebens darzustellen. Das Geheimnis dieser Ehe hatte Frau Konstanze richtig erkannt.
Seit ihrer Hochzeitsnacht hatte die reizende einzige Tochter des Bankiers Chevrel gegen den armen Notar eine unüberwindliche Abneigung gefasst und wollte sich sofort scheiden lassen. Da Roguin das Glück des Besitzes einer Frau mit einem Vermögen von fünfhunderttausend Franken, nicht gerechnet, was sie noch zu erwarten hatte, nicht fahren lassen wollte, so hatte er seine Frau angefleht, die Scheidungsklage nicht anzustrengen, indem er ihr völlige Freiheit zusagte und sich allen Konsequenzen dieses Versprechens unterwarf. Frau Roguin benahm sich nun als unumschränkte Herrin gegen ihren Mann, wie eine Kurtisane gegen einen alten Liebhaber. Roguin merkte bald, dass ihm seine Frau zu teuer wurde, und schaffte sich, wie viele Pariser Ehemänner, einen zweiten Haushalt in der Stadt an. Da sich die Ausgabe dafür anfangs in mäßigen Grenzen hielt, so kam sie nicht sehr in Betracht.
Zunächst fand Roguin ohne große Kosten Grisetten, die sehr glücklich waren, dass er sie protegierte; aber seit drei Jahren wurde er von einer jener unbezähmbaren Leidenschaften verzehrt, von denen Männer zwischen fünfzig und sechzig Jahren manchmal befallen werden und die ihm von einem der entzückendsten Wesen dieser Zeit eingeflößt wurde, die in den Annalen der Prostitution unter dem Namen der schönen Holländerin bekannt wurde, als sie in den Abgrund versank und ihr Tod sie berühmt machte. Sie war einst von einem Klienten Roguins von Brüssel nach Paris gebracht worden, der sie, als er infolge der politischen Ereignisse genötigt war, sich zu entfernen, im Jahre 1815 an Roguin abtrat. Der Notar hatte seiner Schönen ein kleines Haus in den Champs-Elysées gekauft, es reich möbliert und sich zu immer weiteren Ausgaben hinreißen lassen, ohne die kostspieligen Launen dieses Weibes befriedigen zu können, dessen Verschwendung sein Vermögen aufzehrte.
Das bedrückte Gesicht Roguins, das sich erst aufhellte, als er seinen Klienten erblickte, hing mit geheimnisvollen Ereignissen zusammen, die den verborgenen Grund von du Tillets so schnell erworbenem Vermögen bildeten. Du Tillets ursprünglicher Plan wurde schon am ersten Sonntag geändert, als er das Verhältnis zwischen Herrn und Frau Roguin beobachten konnte. Er war zu Birotteau gegangen, weniger um seine Frau zu verführen, als um sich Cäsarines Hand als Entschädigung für eine zurückgedrängte Leidenschaft anbieten zu lassen; aber es wurde ihm um so leichter, auf diese Heirat zu verzichten, als er Cäsar für reich gehalten hatte und ihn nur mäßig begütert fand. Nun spionierte er den Notar aus, wusste sich in sein Vertrauen einzuschleichen, ließ sich der schönen Holländerin vorstellen, bekam heraus, wie sie mit Roguin stand und dass sie damit drohte, ihren Liebhaber zu verabschieden, wenn er ihr ihren Luxus beschneiden wollte. Die schöne Holländerin war eins jener tollen Weiber, die sich niemals darum kümmern, woher das Geld kommt und wie es erworben ist, und die mit den Talern eines Vatermörders ein Fest geben würden. Niemals dachte sie am Abend an den nächsten Tag. Die Zukunft bedeutete für sie soviel wie der Nachmittag, und das Ende des Monats soviel wie die Ewigkeit, selbst wenn sie Rechnungen zu bezahlen hatte. Entzückt darüber, dass ihm hier zuerst die Gelegenheit sich bot, den Hebel ansetzen zu können, begann du Tillet damit, die schöne Holländerin dazu zu bringen, dass sie sich mit dreißig, statt mit fünfzigtausend Franken, die ihr Roguin gab, begnügte: ein Dienst, den verliebte Greise nur selten zu vergessen pflegen. Schließlich schüttete Roguin nach einem stark mit Wein begossenen Souper du Tillet sein Herz über seine bedrängten finanziellen Verhältnisse aus. Sein Grundbesitz war mit der gesetzlichen Hypothek seiner Frau belastet, und seine Leidenschaft hatte ihn dazu geführt, von den bei ihm hinterlegten Fonds seiner Klienten einen Betrag zu entnehmen, der schon mehr als die Hälfte des Wertes seines Notariats betrug. Wenn der Rest auch noch verschlungen sein würde, dann müsse er, der unglückliche Roguin, sich erschießen, denn so meinte er den Abscheu über einen solchen Bankerott durch das dadurch erregte öffentliche Mitleid mildern zu können. Hierbei sah du Tillet, wie einen Strahl in der Nacht der Trunkenheit, die Möglichkeit aufblitzen, rasch zu einem Vermögen zu kommen; er beruhigte Roguin und erwiderte dessen vertrauliches Bekenntnis mit dem Rat, sich das Erschießen zu ersparen. – »Wenn ein Mann von Ihren Fähigkeiten soweit gekommen ist, dann darf er sich nicht töricht und unsicher herumtappend benehmen, sondern er muss mit Kühnheit vorgehen«, sagte er zu ihm; er riet ihm, sofort noch einen erheblichen Betrag zu entnehmen und ihn ihm anzuvertrauen, um damit irgendein gewagtes Geschäft zu unternehmen, sei es an der Börse, oder bei irgendeiner andern Spekulation und den tausend Möglichkeiten, die sich damals boten. Hätten sie Glück damit, so wollten sie beide ein Bankhaus gründen, das aus den Depots Nutzen ziehen könnte, und dessen Überschüsse ihm zur Befriedigung seiner Leidenschaft dienen würden. Hätten sie aber Pech, dann sollte Roguin ins Ausland fliehen, anstatt sich zu erschießen; »sein« du Tillet würde bis zum letzten Sou treu zu ihm halten. Das war ein Rettungsseil für einen Mann, der am Ertrinken ist, und Roguin merkte nicht, dass der Parfümeriekommis ihm dieses Seil um den Hals schlang.
Im Besitze von Roguins Geheimnis benutzte es du Tillet, um seine Herrschaft über die Frau, die Mätresse und den Ehemann gleichzeitig auszuüben. Über das Unheil, das sie nicht im entferntesten ahnte, unterrichtet, ließ sich Frau Roguin du Tillets Bewerbung gern gefallen, der nun aus der Parfümhandlung austrat, da er seines Erfolges sicher war. Es wurde ihm nicht schwer, die Mätresse zu bestimmen, eine Summe zu riskieren, damit sie später einmal, wenn sie Unglück hätte, nicht wieder in die Prostitution hinabzusinken brauchte. Frau Roguin ordnete ihre Geschäfte, brachte schnell ein kleines Kapital zusammen und übergab es dem Manne, in den ja auch ihr Ehemann sein Vertrauen setzte; denn der Notar hatte seinem Komplizen gleich hunderttausend Franken zugestellt. Indem er nun Frau Roguin so nahe rückte, dass er das geschäftliche Interesse der schönen Frau in Zuneigung umzuwandeln vermochte, verstand du Tillet es, ihr eine heftige Leidenschaft einzuflößen. Seine drei Kommanditäre gestanden ihm natürlich einen Anteil zu; aber damit nicht zufrieden, besaß er die Frechheit, bei den Börsenspekulationen, die er für sie machte, sich mit einem Gegenspieler zu verständigen, der ihm den Betrag eventueller Verluste ersetzte, denn er spekulierte sowohl für seine Klienten wie für sich selber. Sobald er fünfzigtausend Franken besaß, war er fest überzeugt, dass er ein großes Vermögen erwerben würde; mit dem ihm eigenen Raubvogelblick beobachtete er die damaligen politischen Phasen; er spekulierte als Baissier während des französischen Feldzuges und ging in die Hausse, als die Bourbonen zurückkehrten. Zwei Monate nach der Rückkehr Ludwigs XVIII. besaß Frau Roguin ein Vermögen von zweihunderttausend Franken und du Tillet hunderttausend Taler. Der Notar, dem dieser junge Mann als Rettungsengel erschien, hatte seine Geldverhältnisse wieder ins Gleichgewicht gebracht. Aber die schöne Holländerin machte alles wieder zunichte; sie ward die Beute eines abscheulichen fressenden Geschwürs, eines ehemaligen Pagen des Kaisers, namens Maxime de Trailles. Den richtigen Mädchennamen dieser Frau erfuhr du Tillet, als er einmal einen Notariatsakt für sie aufnahm. Sie hieß Sarah Gobseck. Überrascht, dass dieser Name mit dem eines Wucherers, von dem er hatte reden hören, übereinstimmte, begab er sich zu dem alten Wechselschieber, der Vorsehung der Familiensöhne, um festzustellen, welchen Kredit seine Verwandte bei ihm besäße. Dieser Brutus der Wucherer zeigte sich zwar seiner Nichte gegenüber unversöhnlich, aber du Tillet verstand es, sein Gefallen zu erregen, indem er sich als Sarahs Bankier ausgab, der für sie Gelder nutzbringend anlegen wolle. Die Charaktere des Normannen und des Wucherers passten zueinander. Gobseck brauchte damals gerade einen gewandten jungen Menschen, der eine kleine Geldoperation im Auslande für ihn überwachen sollte. Ein Auditeur des Staatsrats, der durch die Rückkehr der Bourbonen überrascht worden war, hatte, um dem Hof einen Dienst zu erweisen, die Idee gehabt, nach Deutschland zu gehen und dort die Urkunden der von den Prinzen während der Emigrationszeit kontrahierten Schuldverpflichtungen aufzukaufen. Den Gewinn aus diesem Geschäft, das für ihn eine rein politische Angelegenheit war, wollte er denen überlassen, die ihm die hierzu nötigen Gelder vorstrecken würden. Der Wucherer wollte diese Beträge nur gegen die einzelnen zurückgekauften Schuldforderungen und nach deren Prüfung durch einen gerissenen Vertreter hergeben. Vertrauen schenken die Wucherer niemandem, sie wollen sichere Unterlagen haben; bei ihnen richtet sich alles nach der Gelegenheit; eisig, wenn sie keinen nötig haben, werden sie liebenswürdig und entgegenkommend, wenn sie ihren Vorteil dabei finden. Du Tillet war bekannt, welche ungeheure Rolle heimlich am Pariser Platze die Werbrust und Gigonnet als Wechselagenten des Handels der Rue Saint-Denis und der Rue Saint-Martin und Palma als Bankier des Faubourg Poissonniere spielten, die fast immer mit Gobseck zusammenarbeiteten. Er ließ sich nun, gegen Stellung einer Kaution in bar, eine Provision von diesen Herren zusichern, indem er sie bat, das Geld, das er ihnen zur Verfügung stellen würde, in ihren Geschäftsunternehmungen mitarbeiten zu lassen; so verschaffte er sich einen festen Stützpunkt. Dann begleitete er Herrn Clemens Chardin des Lupeaulx auf seiner Reise nach Deutschland, die sich über die hundert Tage ausdehnte, und kehrte bei der zweiten Restauration zurück, wobei er mehr die Grundlagen für sein Vermögen als das Vermögen selbst verbessert hatte. Er hatte einen Einblick in die Geheimnisse der geschicktesten Rechner von Paris erlangt und hatte sich die Freundschaft des Mannes, für den er die Überwachung ausgeübt hatte, erworben, denn dieser gerissene Geldmann hatte ihm die Triebfedern und die Jurisprudenz der hohen Politik klargelegt. Du Tillet war ein Kopf, der jede Anspielung verstand, und er bildete seine Fähigkeiten während dieser Reise noch weiter aus. Bei seiner Rückkehr fand er, dass Frau Roguin ihm treu geblieben war. Was den armen Notar anlangt, so erwartete er Ferdinand mit ebensolcher Ungeduld wie seine Frau; die schöne Holländerin hatte ihn von neuem ruiniert. Du Tillet fragte diese darüber aus und konnte unter ihren Ausgaben keine finden, die der verschwendeten Summe entsprach. Da entdeckte er das Geheimnis, das Sarah Gobseck ihm sorgfältig verschwiegen hatte, ihre wahnsinnige Leidenschaft für Maxime de Trailles, dessen Debüt in seiner Karriere des Lasters und der Ausschweifung schon zeigte, was er für ein Wesen war: einer jener politischen Taugenichtse, die jede gute Regierung braucht, und ein Mensch, der infolge seiner Spielwut unersättlich ist. Als er diese Entdeckung machte, verstand du Tillet, weshalb Gobseck für seine Nichte unzugänglich war. Unter diesen Umständen riet der Bankier du Tillet – denn er wurde nun Bankier – Roguin eindringlich, sich »eine Birne für den Durst« aufzubewahren, indem er seine reichsten Klienten in ein Geschäft hineinverwickelte, bei dem er eine hohe Summe für sich beiseite bringen konnte, wenn er bei erneuten Bankspekulationen fallieren sollte. Nach mehrfachen Hausse- und Baissegeschäften, aus denen allein du Tillet und Frau Roguin Nutzen zogen, schlug für den Notar endlich die Stunde seiner Zahlungsunfähigkeit. Aber noch sein Todeskampf wurde von seinem besten Freunde ausgebeutet. Das Spekulationsgeschäft mit den Terrains um die Madeleinekirche hatte du Tillet ausgeheckt. Natürlich wurden die hunderttausend Franken, die Birotteau Roguin übergeben hatte, damit er sie anlege, du Tillet zugestellt, der, um den Parfümhändler zu verderben, Roguin begreiflich machte, dass er weniger Gefahr liefe, wenn er seine intimsten Freunde in seine Netze verstrickte. »Ein Freund«, sagte er, »legt sich auch noch im Zorne Mäßigung auf.« Wenige haben heute eine Ahnung, wie gering in jener Zeit ein Quadratmeter der Terrains um die Madeleinekirche bewertet wurde; aber diese Terrains mussten notgedrungen höher, als ihr augenblicklicher Wert war, wieder verkauft werden, weil man genötigt war, Baulustige zu finden, die von der günstigen Gelegenheit Gebrauch machen wollten; du Tillet wollte nun eine solche Position dabei einnehmen, dass er den Gewinn einsteckte, ohne den Verlusten einer Spekulation auf lange Sicht ausgesetzt zu sein. Mit andern Worten: sein Plan ging darauf hinaus, das Geschäft selbst tot zu machen, um sich dann den Kadaver zuschlagen zu lassen, den wieder lebendig zu machen, er sich stark genug fühlte. Bei solchen Gelegenheiten pflegten die Gobseck, die Palma, Werbrust und Gigonnet Hand in Hand zu arbeiten; du Tillet war mit ihnen noch nicht in genügend intimen Beziehungen, um sie mit zur Hilfe heranzuziehen; er wünschte auch bei der ganzen Angelegenheit seine leitende Hand so versteckt zu halten, dass er den Nutzen aus dem Betruge einstecken konnte, ohne dass ein schmachvolles Licht auf ihn fiel; er sah sich daher genötigt, eine jener lebendigen Gliederpuppen heranzuziehen, die man in Kaufmannskreisen »Strohmänner« nennt. Sein bisheriger, von ihm vorgeschobener Börsenmann schien ihm geeignet, die Rolle seiner verdammten Seele zu übernehmen, und so griff er in das göttliche Recht ein, indem er einen Menschen schuf. Aus einem früheren Geschäftsreisenden ohne Mittel, ohne Fähigkeiten, außer der, endlos über jede Sache zu reden, ohne etwas zu sagen, mit einer seltenen Art Ehrgefühl, nämlich der Fähigkeit, ein Geheimnis zu bewahren und sich zugunsten seines Auftraggebers entehren zu lassen, machte du Tillet einen Bankier, der die größten Unternehmungen zustande brachte und leitete, den Chef des Hauses Claparon. Karl Claparon war dazu bestimmt, eines Tages den Juden und Pharisäern ausgeliefert zu werden, wenn die von du Tillet lancierten Geschäfte ein Fallissement nötig machen sollten, und Claparon wusste das auch. Aber für einen armen Teufel, der melancholisch auf den Boulevards mit einem Vermögen von vierzig Sous in der Tasche herumlief, als sein früherer Kamerad du Tillet ihm begegnete, waren die kleinen Gewinnanteile, die für ihn bei jedem Geschäft abfielen, ein Eldorado. Daher ließen seine Freundschaft und seine Ergebenheit für du Tillet, noch verstärkt durch ein unwillkürliches Dankbarkeitsgefühl und erhöht durch den Zwang der Bedürfnisse, die ein liederliches, unordentliches Leben mit sich brachte, ihn zu allem »Ja und Amen« sagen. Da er außerdem sah, dass seine verkaufte Ehre mit größter Vorsicht aufs Spiel gesetzt wurde, empfand er schließlich für seinen früheren Kameraden ein Gefühl der Anhänglichkeit, wie ein Hund für seinen Herrn. Claparon war zwar ein sehr hässlicher Pudel, aber immer bereit, den Curtiussprung zu tun. Bei der jetzt eingefädelten Kombination sollte er die eine Hälfte der Terrainskäufer repräsentieren, deren andere Cäsar Birotteau darstellte. Die Werte, die Claparon von Birotteau erhielt, sollten dann von einem der Wucherer, dessen Namen du Tillet vorschieben konnte, eskomptiert werden, um Birotteau in den Abgrund eines Fallissements zu stürzen, wenn Boguin mit dessen Gelde geflohen war. Die Konkurssyndici würden dann nach den Direktiven du Tillets handeln, der als Besitzer der Taler, die der Parfümhändler hergegeben hatte, und als Gläubiger unter verschiedenen Namen die Terrains zur Versteigerung bringen und sie für die Hälfte des Wertes würde erwerben können, indem er sie mit dem von Roguin hergegebenen Gelde und der Dividende des Konkurses bezahlte. Der Notar ging auf diesen Plan ein, weil er auf einen reichlichen Anteil an der dem Parfümhändler und seinen Mitinteressenten abgejagten Beute rechnen zu können glaubte; aber der Mann, dessen Belieben er sich ausgeliefert hatte, musste sich natürlich den Löwenanteil sichern und tat das auch. Roguin, der du Tillet vor keinem Gericht verklagen konnte, war schließlich glücklich, dass ihm allmonatlich ein Knochen zum Abnagen in einem verborgenen Orte in der Schweiz hingeworfen wurde, wo er sich mit Frauenzimmern zu herabgesetzten Preisen begnügte. Die Verhältnisse und nicht etwa ein über eine Intrige grübelnder Tragödiendichter hatten diesen abscheulichen Plan entstehen lassen. Hass ohne das Verlangen nach Rache ist wie ein Saatkorn auf Granit; aber die Rache, die du Tillet Cäsar gelobt hatte, entsprach einer Regung der Menschennatur, oder man müsste den ewigen Kampf der gefallenen Engel mit den Engeln des Lichtes leugnen. Du Tillet konnte nicht ohne große Unannehmlichkeiten den einzigen Menschen in Paris, der seinen Hausdiebstahl kannte, ermorden; aber er konnte ihn in den Kot hinabstoßen und ihn so tief erniedrigen, dass sein Zeugnis wertlos wurde. Lange Zeit hatte die Rache in seinem Herzen gekeimt, ohne aufblühen zu können, denn auch der stärkste Hasser hat in Paris wenig Gelegenheit, Pläne zu schmieden; das Leben ist hier zu hastig und zu bewegt, es gibt hier zu viele unvermutete Zwischenfälle; aber wenn auch das ständige Auf und Ab keine langausschauende Vorbereitung gestattet, so ist es doch sehr geeignet, einen tief im Herzen versteckten Gedanken die flüchtigen Chancen erspähen zu lassen. Als Roguin du Tillet sein Herz ausgeschüttet hatte, sah der Kommis hierbei von ferne die Möglichkeit, Cäsar zu verderben, und er hatte sich darin nicht getäuscht. Da dem Notar bevorstand, sein Idol verlassen zu müssen, wollte er sich noch an dem Rest des Liebestrankes in dem zerbrochenen Becher erlaben; er begab sich alle Tage nach den Champs-Elysées und kehrte erst am frühen Morgen heim. Die misstrauische Frau Birotteau hatte also recht gehabt. Sobald ein Mensch sich entschlossen hat, eine Rolle zu spielen, wie du Tillet sie Roguin übertragen hatte, zeigt sich bei ihm die Begabung eines großen Schauspielers, die Scharfsichtigkeit eines Luchses, das Ahnungsvermögen eines Hellsehers und die Fähigkeit, sein Opfer zu magnetisieren; so hatte der Notar Birotteau längst bemerkt, bevor dieser ihn gesehen hatte, und als der Parfümhändler ihn erblickte, streckte er ihm schon von weitem die Hand entgegen.
»Ich habe eben das Testament einer hohen Persönlichkeit aufgenommen, die keine acht Tage mehr zu leben hat,« sagte er mit dem unbefangensten Tone der Welt; »aber man hat mich wie einen Dorfarzt behandelt; holen ließen sie mich im Wagen und jetzt muss ich zu Fuß heimkehren.« Diese Worte zerstreuten die leichte Wolke von Misstrauen, die die Stirn des Parfümhändlers verdunkelt und die Roguin bemerkt hatte; der Notar hütete sich auch, zuerst von der Terrainangelegenheit zu reden, bis er seinem Opfer den entscheidenden Schlag versetzen konnte.
»Nach Testamenten und Heiratskontrakten«, sagte Birotteau, »muss auch das gewöhnliche Leben wieder in seine Rechte treten. Das bringt mich auf die Frage: wann machen wir Hochzeit mit der Madeleine; he, Papa Roguin?« fügte er hinzu und klopfte ihn auf den Bauch.
Die schamhaftesten Bourgeois haben, wenn sie ohne Frauen zusammen sind, das Bestreben, als Spaßvögel zu erscheinen.
»Wenn das nicht heute geschieht,« erwiderte der Notar mit diplomatischem Gesichtsausdruck, »dann wird es niemals werden. Wir fürchten, dass die Sache ruchbar wird, und ich werde schon von zwei meiner reichsten Klienten lebhaft bedrängt, die sich auf diese Spekulation einlassen wollen. Es muss also jetzt ja oder nein heißen. Gleich nach zwölf Uhr nehme ich den Akt auf, Sie haben nur bis ein Uhr Zeit, sich zu beteiligen. Adieu. Ich bin gerade im Begriff, den Entwurf durchzusehen, den Xandrot mir diese Nacht hat ausarbeiten müssen.«
»Nun, dann also abgemacht, Sie haben mein Wort«, sagte Birotteau, der hinter dem Notar hergelaufen war und ihm seinen Handschlag gegeben hatte. »Nehmen Sie die hunderttausend Franken, die für die Mitgift meiner Tochter bestimmt waren.« »Schön«, sagte Roguin und entfernte sich.
Während der kurzen Zeit, die Birotteau brauchte, um zu dem kleinen Popinot zurückzukommen, empfand er ein heftiges Brennen in den Eingeweiden, sein Zwerchfell zog sich zusammen und er hatte Klingen in den Ohren.
»Was ist Ihnen denn, Herr Birotteau?« fragte der Kommis, als er das bleiche Gesicht seines Prinzipals sah.
»Ach, mein Junge, ich habe eben mit einem einzigen Worte ein großes Geschäft abgeschlossen, und in solchem Falle ist niemand Herr über seine Erregung. Im übrigen bist du ja kein Fremder für mich. Deshalb bin ich auch mit dir hierher gegangen, wo uns niemand hören kann, um ungeniert mit dir reden zu können. Deine Tante befindet sich in Verlegenheit, wobei hat sie denn ihr ganzes Geld verloren? Erkläre mir das.«
»Der Onkel und die Tante hatten ihre Effekten bei Herrn von Nucingen, und sie waren genötigt, in Zahlung Aktien der Wortschiner Minen zu nehmen, die noch keine Dividende geben; es ist schwierig, in ihrem Alter von Zukunftshoffnungen zu leben.«
»Aber wovon leben sie denn?«
»Sie waren so freundlich, mein Gehalt von mir anzunehmen.«
»Schön, schön, Anselm,« sagte der Parfümhändler, in dessen Auge eine Träne erglänzte, »du bist meiner Zuneigung wert. Deshalb sollst du auch für deinen Eifer in meinem Geschäfte reich belohnt werden.«
Bei diesen Worten wuchs der Kaufmann ebensosehr in seinen eigenen wie in Popinots Augen; er sprach sie mit jener naiven Emphase des Bourgeois aus, die die komische Wichtigkeit, die er darauf legte, zum Ausdruck brachte.
»Wie? Haben Sie wirklich meine Liebe geahnt, meine Liebe zu ...«
»Zu wem?«
»Zu Fräulein Cäsarine.«
»Donnerwetter, mein Junge, du bist nicht blöde«, rief Birotteau aus. »Aber behalte die Sache als dein Geheimnis; ich verspreche dir, dass ich sie vergessen will; morgen sollst du von mir fortgehen. Aber ich bin dir nicht böse; an deiner Stelle hätte ich, weiß der Teufel, genau so gehandelt. Sie ist ja so schön!«
»Ach, lieber Herr Birotteau!« sagte der Kommis und fühlte, wie sein Hemd vom Schweiß der Aufregung feucht wurde.
»Höre, mein Junge, das ist keine Sache von heute auf morgen. Cäsarine ist Herrin über sich, und ihre Mutter hat ihre Absichten mit ihr. Also ermanne dich, trockne deine Augen, halte dein Herz im Zaume und reden wir nicht mehr davon. Nicht, dass ich mich deiner als Schwiegersohn schämen würde; du bist der Neffe des Herrn Popinot, Richter am Tribunal erster Instanz, du bist Ragons Neffe, du hast das Recht, vorwärts zu kommen wie jeder andere, aber es gibt da verschiedene Wenns und Abers! Aber was für eine Teufelsgeschichte hast du mir da mitten in eine geschäftliche Besprechung hineingeworfen! Jetzt setz dich mal hier auf diesen Stuhl und lass den Verliebten dem Kommis Platz machen. Popinot, bist du ein Mann?« sagte er und sah seinen Kommis scharf an. »Hast du den Mut, mit etwas zu kämpfen, was stärker ist als du, und dich mit deinem Gegner Auge in Auge zu schlagen?«
»Jawohl, Herr Birotteau.«
»Einen langwierigen und gefährlichen Kampf durchzuführen?«
»Worum handelt es sich?«
»Das Makassaröl zu vernichten!« sagte Birotteau und richtete sich auf wie ein Held Plutarchs. »Aber täuschen wir uns nicht darüber, der Feind ist stark, wohl verschanzt, furchtbar. Das Makassaröl hat sich glänzend eingeführt. Die Aufmachung ist sehr geschickt; die viereckigen Flaschen haben eine originelle Form. Bei meinem Projekt habe ich an dreieckige gedacht; aber nach reiflichem Überlegen würde ich kleine Flaschen aus dünnem Glase, die mit Rohr umflochten sind, vorziehen; sie würden ein geheimnisvolles Aussehen haben und die Kundschaft liebt das, was sie neugierig macht.«
»Das wird aber teuer werden«, sagte Popinot. »Man müsste alles so billig wie möglich einrichten, damit man den Detaillisten einen hohen Rabatt bewilligen kann.«
»Richtig, mein Junge, das sind gesunde Grundsätze. Aber denke daran, dass sich das Makassaröl wehren wird! Es präsentiert sich gut, es hat einen verführerischen Namen. Man verkauft es als Import aus dem Auslande und das unsrige ist unglücklicherweise ein Heimatsprodukt. Also fühlst du die Kraft in dir, Popinot, das Makassar zu vernichten? Zunächst könntest du ihm bei überseeischen Lieferungen den Rang abjagen: das Makassaröl scheint wirklich aus Indien zu kommen; nichts ist natürlicher, als dass man den Indern ein französisches Erzeugnis sendet, anstatt ihnen etwas zurückzuschicken, was sie gehalten sind, uns zu liefern. Den Kleinhandel hast du sicher! Aber es heißt kämpfen, im Auslande wie in der Provinz! Auch die Reklame für das Makassaröl ist gut aufgemacht, man darf sich seine Macht nicht verhehlen, es ist in Mode, das Publikum kennt es.« »Ich werde es vernichten«, rief Popinot mit glühenden Augen.
»Aber wie?« sagte Birotteau. »Du hast das Feuer der Jugend; aber höre mich zu Ende.«
Anselm stellte sich hin, wie ein Soldat vor einem Marschall von Frankreich präsentiert.
»Popinot, ich habe ein Öl erfunden, das den Haarwuchs befördert, den Haarboden anregt und die Haarfarbe beiden Geschlechtern erhält. Diese Essenz wird keinen geringeren Erfolg haben als meine Paste und mein Hautwasser; aber ich will diese Erfindung nicht selbst ausbeuten, da ich daran denke, mich vom Geschäfte zurückzuziehen. Du, mein Kind, sollst das Comagenöl herausbringen. (Es heißt nach dem lateinischen Wort coma, das Haar bedeutet, wie Herr Albert, der Leibarzt des Königs, sagt. Dieses Wort findet sich auch in dem Trauerspiel Berenice, wo Racine einen König von Comagena auftreten lässt, den Geliebten dieser schönen Königin, die durch ihr schönes Haar so berühmt war, und deren Geliebter, sicher, um ihr zu huldigen, seinem Reiche diesen Namen gegeben hat! Wieviel Geist die großen Genies besitzen! Sie beschäftigen sich mit den kleinsten Details.)« Der kleine Popinot blieb bei dieser albernen Parenthese, die offenbar für ihn, als einen Menschen von Bildung, eingeschoben war, ganz ernst.
»Ich habe mein Auge auf dich geworfen, Anselm, du sollst ein Großhandelshaus der Drogerie in der Rue des Lombards gründen«, sagte Birotteau. »Ich werde dein stiller Gesellschafter sein und dir das nötige Geld vorstrecken. Nach dem Comagenöl werden wir es auch mit Vanillenessenz und mit Pfefferminzgeist versuchen. Kurz, wir wollen gegen die Drogerie losgehen und ihre Fabrikation umgestalten, indem wir die Produkte statt im Naturzustand als konzentrierte in den Handel bringen. Bist du nun zufrieden, du ehrgeiziger Junge?«
Anselm vermochte nicht zu antworten, so erregt war er, aber seine Augen, die voll Tränen waren, antworteten für ihn. Das Anerbieten schien ihm von väterlicher Nachgiebigkeit diktiert zu sein und zu sagen: Verdiene dir Cäsarine, indem du reich und angesehen wirst.
»Herr Birotteau,« erwiderte er endlich, wobei er dessen Erregung für Erstaunen hielt, »auch ich werde Erfolg haben!«
»Genau so war ich,« rief der Parfümhändler aus, »genau so habe ich gesprochen. Wenn du auch meine Tochter nicht erringen solltest, so wirst du jedenfalls ein Vermögen erwerben. Nun, mein Junge, was hast du denn?«
»Lassen Sie mich wenigstens hoffen, dass, wenn ich das eine erwerbe, ich auch die andere erhalten werde.«
»Zu hoffen kann ich dir nicht verbieten«, sagte Birotteau, gerührt von dem Ton, in dem Anselm sprach.
»Also, Herr Birotteau, darf ich schon heute alle Schritte tun, um ein Geschäftslokal zu finden und so schnell als möglich anzufangen?«
»Jawohl, mein Kind. Morgen wollen wir beide uns in der Fabrik einschließen. Bevor du nach der Rue des Lombards gehst, frag doch mal bei Livingston an, ob meine hydraulische Presse morgen in Gang gesetzt werden kann. Heute Abend wollen wir um die Essensstunde zu dem berühmten lieben Herrn Vauquelin gehen und ihn um Rat bitten. Dieser Gelehrte studiert augenblicklich die Zusammensetzung des Haars und untersucht, welches die farbegebende Substanz ist, wo sie herkommt und woraus das Gewebe des Haars besteht. Darauf beruht alles, Popinot. Meine Erfindung wirst du kennen lernen, und es handelt sich nur noch darum, sie klug auszubeuten. Bevor du zu Livingston gehst, musst du dich übrigens noch zu Pieri Bérard begeben. Die Uneigennützigkeit des Herrn Vauquelin ist einer der großen Schmerzen meines Lebens, mein Kind: er will durchaus nichts von mir annehmen. Glücklicherweise habe ich von Chiffreville erfahren, dass er eine heilige Jungfrau der Dresdener Galerie, und zwar den Stich eines gewissen Müller, gern haben möchte, und nach zweijähriger Korrespondenz mit Deutschland hat Bérard endlich ein Exemplar aufgetrieben, ein Avant la lettre auf chinesischem Papier; es kostet fünfzehnhundert Franken, mein Junge. Das soll unser Wohltäter heute in seinem Vorzimmer, wenn er uns hinausbegleitet, vorfinden; überzeuge dich auch, dass es gerahmt ist. Wir, meine Frau und ich, werden auf diese Weise in seiner Erinnerung bleiben; was die Dankbarkeit anlangt, so beten wir seit sechzehn Jahren täglich für ihn zum lieben Gott. Ich selbst, ich werde seiner niemals vergessen; aber diese in die Wissenschaft vergrabenen Gelehrten, Popinot, vergessen alles, ihre Frauen, ihre Freunde und die ihnen zu Dank Verpflichteten. Wir, mit unserer schwachen Intelligenz, wir können wenigstens ein warmes Herz haben. Aber diese Herren von der Akademie, bei denen ist alles Gehirn, du wirst dich davon überzeugen; in der Kirche sind sie niemals zu treffen. Herr Vauquelin ist beständig in seinem Arbeitszimmer oder in seinem Laboratorium, ich hoffe, dass er bei seinen Analysen wenigstens an Gott denkt. Also das ist abgemacht, ich gebe dir das Geld, du bekommst das Rezept meiner Erfindung und ich bin zur Hälfte beteiligt, eines Vertrages bedarf es zwischen uns nicht. Und nun wollen wir auf den Erfolg hoffen! Wir werden unsre Flöten schon stimmen. Also lauf, mein Junge, ich gehe jetzt ins Geschäft. Hör mal, Popinot, ich gebe in drei Wochen einen großen Ball, lass dir einen Frack machen, damit du schon als selbständiger Kaufmann auftreten kannst ...«
Dieser Zug von Güte rührte Popinot derart, dass er die dicke Hand Cäsars ergriff und sie küsste. Der gute Mann hatte den Liebenden durch diese Äußerung glücklich gemacht, und Verliebte sind zu allem fähig.
»Armer Kerl,« sagte Birotteau, als er ihn quer durch den Tuileriengarten wegeilen sah, »wenn ihn Cäsarine vielleicht doch lieb hatte? Aber er hinkt doch und hat rote Haare, und die jungen Mädchen sind doch so empfindlich; nein, ich glaube nicht, dass Cäsarine ... Und dann die Mutter, die sie an einen Notar verheiraten will. Alexander Crottat würde sie zu einer reichen Frau machen, und Reichtum macht alles erträglich, dem Elend aber hält kein Liebesglück stand. Na, ich bin ja entschlossen, meine Tochter selbst über ihre Hand verfügen zu lassen, wenn sie nicht gerade eine unsinnige Sache will.«
Birotteaus Nachbar war ein kleiner Kaufmann, der mit Regenschirmen, Sonnenschirmen und Stöcken handelte; er hieß Cayron, stammte aus dem Languedoc, machte schlechte Geschäfte und hatte sich schon mehrmals von Birotteau helfen lassen. Es war ihm sehr lieb, seinen Laden verkleinern und dem reichen Parfümhändler die beiden Zimmer im ersten Stock abtreten und seinen Mietzins entsprechend verringern zu können.
»Also, lieber Nachbar«, sagte Birotteau in familiärem Tone, als er bei dem Schirmhändler eintrat, »meine Frau ist mit der Vergrößerung unseres Geschäftslokals einverstanden! Wenn Sie wollen, können wir um elf Uhr zu Herrn Molineux gehen.«
»Mein verehrter Herr Birotteau«, erwiderte der Schirmhändler, »ich habe bisher nichts von Ihnen für diese Abtretung beansprucht, aber Sie wissen ja, ein guter Kaufmann muss aus allem Geld schlagen.«
»Oho,« antwortete der Parfümhändler, »ich bin nicht so reich, wie Sie denken. Ich weiß auch noch nicht, ob mein Architekt, den ich erwarte, die Sache für durchführbar halten wird. Bevor wir uns dazu entschließen, hat er mir gesagt, müssen wir uns erst überzeugen, dass die Fußböden das gleiche Niveau haben. Dann muss Herr Molineux zustimmen, dass wir die Mauer durchbrechen; ist es eine Grenzmauer? Endlich muss ich bei mir die Treppe verschieben, damit der Treppenabsatz fortkommt und eine Zimmerflucht hergestellt wird. Das alles wird sehr viel Geld kosten, und ich will mich doch nicht ruinieren.«
»Ach, Herr Birotteau,« sagte der Südfranzose, »ehe Sie ruiniert sind, muss die Sonne mit der Erde Kinder gekriegt haben.«
Birotteau streichelte sein Kinn, hob sich auf die Fußspitzen und ließ sich dann auf die Hacken zurückfallen.
»Übrigens«, begann Cayron wieder, »verlange ich ja nichts anderes, als dass Sie mir diese Papiere hier abnehmen sollen ...«
Und er präsentierte ihm ein kleines Paket, das aus sechzehn Wechseln über zusammen fünftausend Franken bestand.
»Ach so«, sagte der Parfümhändler, »Kleinzeug, zwei Monate, drei Monate ...«
»Nehmen Sie sie wenigstens zu sechs Prozent«, sagte der Händler in demütigem Tone.
»Bin ich etwa ein Wucherer?« erwiderte Birotteau vorwurfsvoll.
»Mein Gott, lieber Herr, ich war schon bei Ihrem früheren Kommis du Tillet; er wollte sie um keinen Preis nehmen, wahrscheinlich wollte er herausbekommen, wieviel ich von dem Betrage ablassen würde.«
»Die Namen hier sind mir ganz unbekannt«, sagte der Parfümhändler.
»Ach, wir haben beim Schirm- und Stockhandel so merkwürdige Namen, das sind Kolporteure!«
»Nun, ich werde zwar nicht alle nehmen, aber mit den kurzfristigen wird es sich machen lassen.«
»Ach, lassen Sie mich doch nicht wegen der tausend Franken mit vier Monat Sicht hinter den Blutsaugern herlaufen, die uns das Letzte von unserm Nutzen wegnehmen, nehmen Sie doch alle, lieber Herr Birotteau. Ich kann so wenig diskontieren, ich habe keinen Kredit, das ruiniert uns Kleinhändler.«
»Also gut, ich nehme sie, Cölestin wird die Abrechnung machen. Also auf elf Uhr, halten Sie sich bereit. Da kommt ja mein Architekt, Herr Grindot«, fügte der Parfümhändler hinzu, als er den jungen Mann erscheinen sah, mit dem er sich am Abend vorher bei Herrn von Billardiere verabredet hatte. »Sie sind, gegen die Gewohnheit genialer Menschen, pünktlich, Herr Grindot«, sagte Cäsar zu ihm, indem er seine höchste kaufmännische Liebenswürdigkeit entfaltete. »Wenn die Pünktlichkeit, nach dem Worte jenes Königs, der ein ebenso geistvoller Mann wie ein großer Politiker war, die Höflichkeit der Könige ist, so bedeutet sie auch für die Kaufleute ein Vermögen. Zeit ist Geld, das gilt besonders für euch Künstler. Die Architektur ist die Vereinigung aller Künste, habe ich mir sagen lassen. Wir wollen nicht durch den Laden gehen«, sagte er und zeigte auf einen Nebeneingang.
Herr Grindot, der vor vier Jahren den Grand Prix der Architektur davongetragen hatte, war eben aus Rom, nach dreijährigem Aufenthalt auf Staatskosten, zurückgekehrt. In Italien hatte der junge Künstler nur an die Kunst gedacht, jetzt, in Paris, dachte er daran, wie er zu Vermögen kommen könne. Die Regierung allein ist in der Lage, einem Architekten, der durch einen Monumentalbau berühmt werden will, die erforderlichen Millionen zuzuweisen; wenn man aus Rom kommt, hält man sich natürlich für einen Fontaine oder Percier, und deshalb sucht jeder ehrgeizige Architekt Fühlung mit dem Ministerium zu bekommen; der als Liberaler nach Rom Geschickte war Royalist geworden und versuchte nun, die Protektion einflussreicher Leute zu erlangen. Wenn ein »Grand Prix« so handelt, dann nennen ihn seine Kameraden einen Intriganten. Der junge Architekt sah hier zwei Wege vor sich: er konnte den Parfümhändler ohne Übervorteilung bedienen, oder ihn ausbeuten. Aber Birotteau war Beigeordneter, Birotteau war der künftige Besitzer der Hälfte der Terrains an der Madeleinekirche, wo früher oder später ein schönes Stadtviertel gebaut werden würde, er musste also schonend behandelt werden. Grindot opferte daher den momentanen Gewinn den Vorteilen der Zukunft. Er hörte geduldig den Plänen, dem Geschwätz und den Vorschlägen dieses Mitgliedes der Bourgeoisie zu, die die ständige Zielscheibe des Spottes und Witzes der Künstler, der ewige Gegenstand ihrer Verachtung war, und folgte der Gedankenentwicklung des Parfümhändlers mit beifälligem Kopfnicken. Dann als dieser alles breit auseinandergesetzt hatte, versuchte der junge Architekt, ihm seinen Plan kurz zusammenzufassen.
»Sie haben an der Straßenfront drei Fenster und das Fenster, das nur die Treppe und den Treppenabsatz erhellt. Zu diesen vier Fenstern wollen Sie die beiden des Nachbarhauses, die das gleiche Niveau haben, hinzunehmen und durch Verschieben der Treppe für die ganze Wohnung nach der Straße hin eine Zimmerflucht herstellen.«
»Sie haben mich vollkommen verstanden«, sagte der erstaunte Parfümhändler.
»Wenn man Ihren Plan ausführen will, muss man für die neue Treppe das Licht von oben her beschaffen und unter dem Sockel eine Portierloge aussparen.«
»Einen Sockel? ...«
»Ja, das ist die Unterlage ...«
»Ich verstehe, Herr Grindot.«
»Was Ihre Wohnung anlangt, so lassen Sie mir mit der Einteilung und Ausstattung freie Hand. Ich will, dass sie würdig ...«
»Würdig! Sie haben das richtige Wort ausgesprochen, Herr Grindot.«
»Und wieviel Zeit gewähren Sie mir für diese Ausstattung?«
»Drei Wochen.«
»Und welchen Betrag wollen Sie den Arbeitern in den Rachen werfen?« fragte Grindot.
»Ja, wie teuer wird mir denn die ganze Ausführung zu stehen kommen?«
»Bei einem Neubau kann ein Architekt die Kosten bis auf einen Centime ausrechnen,« erwiderte der junge Mann; »aber da ich mich nicht darauf verstehe, einen Bourgeois hineinzulegen ... (Verzeihung, Herr Birotteau, das Wort ist mir so entschlüpft...), so muss ich Ihnen sagen, dass es bei Reparatur- und Flickarbeiten unmöglich ist, die Kosten vorher zu fixieren. Ich könnte kaum in acht Tagen annähernd einen Anschlag machen. Schenken Sie mir Vertrauen: Sie sollen eine wunderhübsche Treppe mit Oberlicht bekommen, ein nettes Vestibül nach der Straße zu, und unter dem Sockel ...«
»Immer dieser Sockel ...«
»Beunruhigen Sie sich nicht, es wird sich ein Platz für die Portierloge finden. Die Herrichtung Ihrer Wohnräume wird mit liebevoller Sorgfalt überlegt und ausgeführt werden. Ja, Herr Birotteau, mir geht es um die Kunst und nicht ums Geld! Ist es nicht am wichtigsten für mich, dass man von mir redet, wenn ich etwas erreichen will? Und das beste Mittel dazu ist, dass man nicht mit den Lieferanten unter einer Decke steckt und mit wenig Aufwand Schönes erzielt.«
»Bei solchen Grundsätzen, junger Mann,« sagte Birotteau mit Protektormiene, »werden Sie in die Höhe kommen.«
»Schließen Sie also«, fuhr Grindot fort, »mit den Maurern, Malern, Zimmerleuten und Tischlern direkt ab. Ich übernehme es, ihre Rechnungen zu prüfen. Gewähren Sie mir nur ein Honorar von zweitausend Franken, das wird wohlangelegtes Geld sein. Übergeben Sie mir die Räume morgen Mittag und bezeichnen Sie mir Ihre Arbeiter.« »Und wie hoch kann die Ausgabe sich annähernd belaufen?« sagte Birotteau.
»Auf zehn- bis zwölftausend Franken,« erwiderte Grindot. »Nicht gerechnet das Mobiliar, das Sie doch zweifellos erneuern werden. Geben Sie mir die Adresse Ihres Tapezierers, ich muss mich mit ihm wegen der zu wählenden Farben verständigen, damit das Ganze sich einheitlich und geschmackvoll präsentiert.«
»Herr Braschon, Rue Saint-Antoine, empfängt meine Aufträge«, sagte der Parfümhändler mit der Würde eines Herzogs.
Der Architekt schrieb sich die Adresse in eins jener kleinen Notizbüchelchen, die immer das Geschenk einer hübschen Frau sind.
»Also ich verlasse mich auf Sie, Herr Grindot«, sagte Birotteau. »Warten Sie nur noch so lange, bis ich die Mietszession wegen der beiden Nachbarzimmer erledigt und die Erlaubnis zum Durchbrechen der Mauer erhalten habe.«
»Schreiben Sie mir darüber heute Abend ein paar Zeilen«, sagte der Architekt. »Heute Nacht werde ich die Pläne entwerfen, wir arbeiten doch noch lieber für die Bourgeois als pour le roi de Prusse, das heißt für uns. Ich werde jedenfalls schon die Maße nehmen und die Höhe, die Dimensionen der Bilder und die Entfernungen zwischen den Fenstern feststellen ...«
»Aber wir müssen an dem festgesetzten Tage fertig sein,« begann Birotteau wieder, »sonst kann nichts daraus werden.«
»Es wird eben sein müssen«, sagte der Architekt. »Es wird nachts gearbeitet werden, wir werden den Anstrich künstlich trocknen; lassen Sie sich nur nicht von den Unternehmern übervorteilen, machen Sie die Preise vorher ab, und überzeugen Sie sich, dass sie innegehalten werden.«