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3 Geheimoperation Flaggenklau

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Hätten wir gewusst, was uns erwartete, ich glaube, wir hätten die Aktion auf der Stelle abgebrochen. So aber wischten wir Yukis Bedenken beiseite und überstimmten sie. Keiner von uns Jungs hatte Lust, tatenlos darauf zu warten, dass die Wikinger mit ihrem neuen Schiff im Hafen aufkreuzten und uns das Leben zur Hölle machten. Yuki maulte natürlich, aber am Ende akzeptierte sie zähneknirschend unsere Entscheidung. Sie war eben doch eine echte Piratin.

Also sausten wir alle zurück zum Hafen. Eins stand fest: Wenn wir das neue Wikingerschiff ausspionieren wollten, mussten wir schnell sein. Hubert würde mit seiner Bande nicht ewig in der Eisdiele rumhängen. Viel Zeit blieb uns nicht.

Das Hauptquartier unserer Erzfeinde befand sich flussabwärts auf der anderen Seite. Unweit der Eisenbahnbrücke. Dort hatten die Wikinger eine alte Gießerei in Beschlag genommen und zu ihrer Burg ausgebaut. Das verlassene Gelände lag nicht direkt am Ufer, sondern ein kleines Stück landeinwärts. Mit dem Fluss war es durch einen eigenen breiten Seitenkanal verbunden.

Als wir im Hafen ankamen, holten wir sofort die magische Kugel aus ihrem Versteck und bauten sie in den Hyperantrieb unseres Piratenfloßes ein. Dann rauschten wir auch schon den Fluss hinunter Richtung Wikingernest.

Wir passierten den breiten Industriekanal, der zu der alten Gießerei führte, und machten die Albatros ein Stück weiter in einer kleinen, versteckten Bucht fest. Dann liefen wir am Ufer entlang wieder flussaufwärts, bis wir an den modrigen Industriekanal kamen, der die Gießerei mit dem Fluss verband. Dem Kanal folgten wir landeinwärts, bis wir schließlich vor einem Drahtzaun standen, der das Wikinger-Hauptquartier von allen Seiten umgab.

Anscheinend hatten die Wikinger die verfallene Gießerei in den letzten Monaten in eine richtige Festung verwandelt. Der rostige Maschendrahtzaun war überall mit viel Aufwand geflickt worden und an manchen Stellen zusätzlich mit Nagelbrettern und Stacheldraht gesichert. Den ehemaligen Schornstein der Gießerei hatten sie zudem zu einem Wachturm mit Ausguck umfunktioniert. So konnten sie bequem über die Bäume hinweg nach ahnungslosen Opfern Ausschau halten.

Diesmal war der Ausguck allerdings leer. So wie das ganze Gelände. Das war unsere Chance! Wir kletterten über den geflickten Zaun und rannten auf das verfallene Hauptgebäude zu. Dort angekommen, drückten wir uns an die rote Backsteinwand und lugten vorsichtig um die Ecke. Und tatsächlich, da lag es: das nagelneue Schiff der Wikinger!

Das gewaltige Drachenboot dümpelte am ehemaligen Erz-Kai im Wasser. Es war noch viel größer, als wir es uns vorgestellt hatten. Zudem besaß es an seinem geschwungenen Bug einen Furcht einflößenden Rammsporn, der in einer eisernen Faust endete. Daneben stand in großen Buchstaben der Name des Monsterschiffs: Piratenkillerlady.

»Dreimalverflixtehaifischflosse!« Timur spuckte neben mir in den Staub. »Das gibt Ärger! Der Pott ist ja riesig!«

Dem konnte keiner widersprechen.

»Habt ihr die Eisenfaust gesehen?«, flüsterte Sir Francis. »So etwas gab es früher aber nur bei römischen Galeeren, nicht bei den Wikingern. Da hat Hubert in Geschichte wohl nicht richtig aufgepasst!«


»Wozu die wohl gut ist?«, überlegte Yuki.

»Wozu soll ein Rammsporn schon gut sein? Schätze mal, damit will uns Hubert bei der nächsten Gelegenheit auf den Grund des Flusses schicken«, sagte ich finster. Alle meine Befürchtungen hatten sich beim Anblick des neuen Schiffs bestätigt.

Plötzlich stieß Timur einen leisen Pfiff aus. »He, seht mal her!« Er hatte eine unverschlossene Tür an der Rückwand des Gebäudes entdeckt. »Lasst uns mal nachschauen, wie es drinnen aussieht.«

»Spinnst du!« Boogie war entsetzt. »Das ist Huberts Hauptquartier.«

»Egal«, meinte Timur. »Wir gucken ja nur.«

Bevor wir reagieren konnten, war Timur im Inneren der Gießerei verschwunden. Die rostige Metalltür klappte wie ein Fallbeil hinter ihm ins Schloss.

»Oh, Mann, ich fass es nicht«, stöhnte Yuki. »Es ist immer dasselbe! Das gibt Schwierigkeiten. Garantiert!«

Auch mir gefiel Timurs Alleingang ganz und gar nicht. Unsere Erzfeinde konnten jeden Moment zurückkommen. Aber Timur ließ uns keine andere Wahl. Wir mussten ihm folgen, das verlangte die Piratenehre. Also schlüpften Yuki, Boogie und ich ebenfalls durch die rostige Metalltür in das Innere des Gebäudes.

Drinnen landeten wir in einer Halle. Es war ziemlich duster. Durch die schmutzigen kleinen Glasfenster unter dem Dach fiel nur spärliches Licht. Rechts und links von uns ragten die gigantischen Schmelzöfen wie Riesen empor. Die aus Ziegeln gemauerten Ungeheuer waren noch immer schwarz vom Ruß längst erloschener Erzfeuer.

»Wo ist Timur bloß hin?«, zischte Yuki, während sie sich in der Halle umsah.

Bevor ich etwas erwidern konnte, hörten wir wieder einen leisen Pfiff. Als wir ihm nachgingen, stießen wir auf eine rostige Metalltreppe, die am Ende der Halle in ein weiteres Stockwerk führte. Oben am Treppenabsatz stand Timur und winkte.

»Leute! Kommt rauf!«, rief er uns mit gedämpfter Stimme zu. Er klang aufgeregt. »Das müsst ihr euch ansehen.«

Yuki, Boogie und ich zögerten. Aber dann siegte unsere Neugier doch. Wir stiegen die schiefe Treppe hoch. Sie quietschte bei jedem Schritt, und ich hatte das Gefühl, der Krach würde die ganze Stadt alarmieren. Als wir endlich oben ankamen, erwartete uns jedoch eine echte Überraschung: Die Wikinger hatten die obere Etage der Gießerei zu einem erstklassigen Clubhaus ausgebaut!

In der Mitte des großen Raums stand ein langer Holztisch mit fünf Stühlen und in der Ecke ein gemütliches Sofa mit mehreren Sesseln zum Draufrumlümmeln. Ich weiß nicht, warum, aber irgendwie waren wir immer davon ausgegangen, dass der schreckliche Hubert und seine brutale Bande in ihrer Freizeit auf Nagelbrettern saßen. Was anderes konnten wir uns gar nicht vorstellen. Und jetzt das!

Das ganze Clubhaus war mit Teppichen ausgelegt, und die Bande besaß sogar einen Fernseher und einen mannshohen Kühlschrank mit Eiswürfelautomat. Offenbar hatten die Wikinger einen Weg gefunden, wie man die alten Stromleitungen anzapfen konnte.

»Lasst uns lieber abhauen«, flüsterte Boogie nervös.

»Gleich«, entgegnete Timur, »ihr hab noch nicht alles gesehen. Kommt mit.«


Timur führte uns an dem langen Tisch vorbei in einen weiteren Raum. Kein Zweifel: Das war Huberts Chefzimmer. Die Wände waren mit großkotzigen Wikingerbildern tapeziert, und unter dem schmutzigen Fenster stand ein abgewetzter Sessel, der so riesig war, dass eine Kolonie von Seekühen darauf Platz gehabt hätte.

Timur lief an dem Sessel vorbei und steuerte direkt auf einen Schrank neben dem Fenster zu. Er öffnete ihn, dann sah er uns triumphierend an: »Na, was sagt ihr jetzt?«

In dem Schrank lag eine Flagge. Timur nahm sie heraus und entfaltete sie. Auf ihr war ein roter Feuerdrache mit zwei gekreuzten Äxten aufgemalt. Die Fahne sah wirklich super aus.


»Cool«, meinte ich. »Die ist bestimmt für das neue Schiff.«

»Jetzt gehört das Ding jedenfalls uns«, freute sich Timur. Mein Kumpel rieb sich die Hände und grinste. Von einem Ohr bis zum anderen. So etwas nenne ich Piratenglück. Die Flagge seiner Erzfeinde erbeutet man nicht alle Tage.

»Moment mal!«, meldete sich Yuki zu Wort. Sie war mal wieder anderer Meinung. »Vielleicht denkt ihr kurz nach, ihr Superpiraten. Wenn wir den Wikingern die Fahne stehlen, verfolgt uns Hubert bis ans Ende der Welt!«

»Ja, lasst das Ding lieber liegen«, sagte Boogie.

»Ach was«, winkte ich ab. »Woher sollen die Fischköpfe denn wissen, dass wir das Ding geklaut haben?«

»Yepp.« Timur grinste noch immer wie ein Honigkuchenpferd. »Da kommen die nie drauf!«

Plötzlich hörten wir unten in der Halle dröhnende Stimmen, gefolgt von lautem Poltern und einem superfiesen Lachen. Hubert und seine Leute waren zurück.

»Mist! Ich hab’s gewusst.« Boogie geriet sofort in Panik. »Jetzt sind wir geliefert!«

Kurz darauf war schon das Getrampel der Bande auf der wackeligen Metalltreppe zu hören. Wir sahen uns fieberhaft nach einem Versteck um, aber es gab keins. Wir saßen in der Falle. Nur eine Sekunde später erschien der fette Tintenfisch. Als der dicke Wikinger uns durch die offene Tür in Huberts Chefzimmer stehen sah, fielen ihm fast die Schweinsäuglein aus dem Kopf. Er schnappte nach Luft und quiekte dann mit seiner Fistelstimme, so laut er konnte: »Alarm! Einbrecher! Alarm!«

Wir waren erledigt.

»Schnell!«, sagte ich, während ich hektisch an dem uralten Fenster hinter Huberts Chefsessel herumfingerte. »Hier raus! Wir müssen springen! Beeilt euch!«

Wir sprangen, ohne mit der Wimper zu zucken. Wie schmerzhaft der Aufprall auf dem Boden auch sein würde – eine Begegnung mit Hubert war tausendmal schlimmer. Also segelten wir durch die Luft und hatten dabei Riesenglück, denn genau unter dem Fenster befand sich eine mit Sand gefüllte Grube.

Den Quarzsand hatte man früher beim Schmelzen der verschiedenen Erze gebraucht. Jetzt rettete er uns. Ohne ihn hätten wir uns bei dem Sprung bestimmt sämtliche Knochen gebrochen. Aber so schüttelten wir uns einfach den Sand aus den Piratenklamotten, dann krochen wir blitzschnell aus der Grube und rannten in Richtung Zaun.

Wir hatten schon fast die Hälfte des Wegs geschafft, da ertönte hinter uns ein Wahnsinnsgebrüll. Als wir uns im Laufen umdrehten, sahen wir Hubert, der sich aus dem offenen Fenster lehnte. Sein Kopf war rot vor Wut, und er fluchte aus Leibeskräften.


»Mann, macht der ein Theater!«, rief Yuki, während wir weiter auf den Zaun zurasten.

»Das würde ich auch, wenn man uns die Fahne klauen würde«, keuchte Timur grinsend. Erst jetzt bemerkten wir, dass er ein dickes Stoffbündel unter den Arm geklemmt hatte. Es war die neue Drachenflagge der Wikinger!

»Das ist unser Ende«, keuchte Boogie, während seine Brille beim Rennen auf und ab hüpfte. »Das verzeiht uns Hubert nie!«

Am Zaun angekommen, sprangen wir mit Anlauf hoch und hangelten uns rüber. Unter uns gesagt, ich habe Boogie noch nie so klettern sehen. Aber diesmal war unser eher unsportlicher Professor sogar vor Yuki auf der anderen Seite. Und die war eigentlich die Schnellste von uns.

Aber heute waren wir alle gut. Und schnell. Schneller als eine Seeschwalbe im Sturm. Als wir jedoch die Bucht erreichten, in der wir die Albatros versteckt hatten, legten wir allesamt eine Vollbremsung hin. Nero, Huberts bissige Bulldogge, stolzierte seelenruhig auf unserem Floß herum und schnüffelte in jeder Ecke. Offenbar hatte er die Albatros während unserer Abwesenheit durch Zufall entdeckt. Jetzt hatten wir ein Problem. Denn als uns die sabbernde Bulldogge entdeckte, fing sie natürlich sofort an, wie wahnsinnig zu kläffen. Gleichzeitig ging sie knurrend zum Angriff über. Wir sahen uns schon nach dem nächsten Baum um, da schwirrte plötzlich ein Schatten durch die Luft. Zorro!

Der Papagei stürzte sich im Sturzflug auf die Bulldogge und krächzte dabei so laut, dass Huberts zähnefletschendes Schoßhündchen einen Mordsschreck bekam. Die Bestie erstarrte, dann flitzte sie wie eine Kanonenkugel von unserem Floß und verschwand winselnd in den Büschen. Ich glaube, wir waren noch nie so froh, unseren Papagei zu sehen!

Wir enterten sofort unser Floß und legten in Windeseile ab. Als wir endlich die Flussmitte erreicht hatten, atmeten wir erleichtert auf und bedankten uns überschwänglich bei unserem Maskottchen. Zorro hatte uns wieder einmal gerettet!

Wir waren entkommen. Trotzdem hatte ich ein komisches Gefühl. Am Ufer ließ sich noch immer kein Wikinger blicken. Nicht eine fiese Visage war zu sehen. Hatte die Bande die Verfolgung etwa aufgegeben?

Ich wunderte mich noch, da tippte mir Yuki auf die Schulter. Ich fuhr herum. Jetzt wusste ich, warum uns niemand gefolgt war. Vor uns schob sich das neue Wikingerschiff mit der Eisenfaust auf den Fluss hinaus. Die Bande hatte ihr Monsterschiff im Eiltempo startklar gemacht. Nun schnitt es uns den Rückweg in den Hafen ab!

Die Hafenpiraten und das Geisterschiff (Bd. 3)

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