Читать книгу Der Sufi-Weg - Бхагаван Шри Раджниш (Ошо), Osho, Osho . - Страница 7

2. KAPITEL URTEILE NICHT

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Ein junger Mann kam zu Dhun-Nun, dem Ägypter.

Er behauptete, dass die Sufis im Irrtum seien,

und noch viele andere Dinge mehr.

Der Ägypter gab ihm zur Antwort einen Ring,

den er sich mit den Worten vom Finger streifte:

„Nimm diesen Ring und geh zu den Marktständen da drüben.

Sieh zu, ob du ein Goldstück dafür bekommen kannst.“

Er konnte auf dem ganzen Markt keinen Händler finden,

der mehr als ein kleines Stück Silber dafür geboten hätte.

Der junge Mann kam mit dem Ring zurück.

„Und jetzt“, sagte Dhun-Nun, „geh zum Goldschmied und

frag ihn, was er zu zahlen bereit ist.“

Der Goldschmied bot eintausend Goldstücke für das Juwel.

Der junge Mann war hoch erstaunt.

„Und nun, mein Sohn“, sagte Dhun-Nun,

„zu deiner Einschätzung der Sufis: Du verstehst gerade

soviel davon, wie die Krämer da drüben

von der Goldschmiedekunst. Wenn du Edelsteine schätzen willst,

musst du erst Goldschmied werden.“

Jesus sagt: „Richte nicht deinen Nächsten“, und das ist einer der größten Aussprüche, die je von einem Menschen auf Erden getan wurden. Aber für den Verstand ist das zuviel verlangt. Der Verstand muss augenblicklich urteilen. Der Verstand braucht keine Gründe, um zu einem Urteil zu kommen. Wie viele Urteile habt ihr nicht schon gefällt, ohne euch je darum zu kümmern, ob sie begründet waren oder nicht. Aber wer sich die Sache genau anschaut, wird entdecken, dass Jesus recht hat.

Jedes Urteil ist falsch, weil alles auf der Welt so tief miteinander verknüpft ist, dass du einen kleinen Ausschnitt davon niemals einschätzen kannst, solange du nicht das Ganze kennst. Alles geht nahtlos ineinander über, denn alles hängt zusammen. Dieser Augenblick hängt mit der gesamten Vergangenheit und der gesamten Zukunft zusammen. Die ganze Ewigkeit trifft sich in ihm. Alles, was je geschah, ist. Alles, was jetzt geschieht, ist. Alles, was je geschehen wird, ist. Wie wollt ihr da etwas beurteilen? Die Welt besteht nicht aus Teilen. Wäre es so, könnte man die einzelnen Fragmente erkennen; aber die Welt ist eine Einheit. Alle Urteile sind falsch, weil sie einseitig sind – aber sie erheben immer den Anspruch, für das Ganze zu stehen.

Ja, Jesus hat absolut recht: „Richte nicht deinen Nächsten“, denn indem du urteilst, verschließt du dich. Etwas wird taub in dir. Deine Empfindlichkeit geht verloren, und mit ihr alle Hoffnung auf Wachstum. Sobald du urteilst, schrumpft etwas in dir; sobald du urteilst, bleibst du stecken; sobald du urteilst, hörst du zu blühen auf. Es gehört also sehr viel dazu, den Mut aufzubringen, nicht zu urteilen. Es gehört tatsächlich ungeheurer Mut dazu, denn der Verstand ist darauf versessen zu urteilen. Darauf versessen, über Gut und Böse, Richtig und Falsch zu Gericht zu sitzen. Und der Verstand ist dabei sehr kindisch: er hüpft beliebig von einem Urteil zum andern. Wenn du also überhaupt deinen Verstand hinter dir lassen willst – und anders kannst du niemals innerlich zu wachsen beginnen –, so urteile nicht.

Ich will euch eine kleine Geschichte erzählen: Sie geschah in den Tagen des Laotse in China, und Laotse hat sie sehr geliebt. Und die Jünger des Laotse haben sie Generation für Generation weitererzählt, und immer neue Bedeutung in dieser Geschichte entdeckt. Dabei ist die Geschichte weiter gewachsen – wie etwas Lebendiges.

Die Geschichte ist einfach: Es gab einmal in einem Dorf einen alten Mann, der sehr arm war, aber trotzdem von Königen beneidet wurde – denn er besaß ein schönes weißes Pferd. Ein Pferd von solcher Qualität war noch nie gesehen worden – solche Schönheit, solcher Stolz, solche Stärke! Könige bewarben sich um das Pferd und boten fabelhafte Preise, aber der alte Mann kannte nur eine Antwort: „Dieses Pferd ist für mich kein Pferd, sondern ein Mensch, und wie kann man einen Menschen verkaufen? Es ist ein Freund, es ist kein Besitz. Soll ich meinen Freund verkaufen? Nein, das kommt nicht in Frage.“ Der Mann war arm und hatte allen Grund, der Versuchung zu erliegen, aber er verkaufte das Pferd nie.

Eines Morgens entdeckte er plötzlich, dass das Pferd nicht mehr im Stall war. Das ganze Dorf versammelte sich, und alle sagten: „Das hast du davon, alter Narr! Wir haben es vorher gewusst, eines Tages musste das Pferd ja gestohlen werden! Und wie kannst du bei deiner Armut einen solchen Schatz richtig behüten? Du hättest wirklich besser daran getan, das Pferd zu verkaufen. Du hättest astronomische Summen dafür verlangen können, jeden Phantasiepreis. Jetzt ist das Pferd weg. Jetzt siehst du, was für ein Fluch, was für ein Unglück es für dich war.“

Der alte Mann sagte: „Ihr müsst nicht übertreiben! Sagen wir einfach: das Pferd ist nicht im Stall. Das ist die einzige Tatsache; alles andere ist Interpretation. Ob es nun ein Unglück ist oder nicht, wie wollt ihr das wissen? Wie könnt ihr das beurteilen?“

Die Leute sagten: „Uns kannst du nichts vormachen; wir mögen zwar keine großen Philosophen sein, aber hier braucht man auch keine Philosophie. Es ist eine klare Tatsache, dass ein Schatz verloren gegangen ist, und das ist ein Unglück.“

Der alte Mann erwiderte: „Ich bleibe dabei: die einzige Tatsache ist, dass der Stall leer und das Pferd fort ist. Darüber hinaus weiß ich nichts, ob Unglück oder Segen – denn so ein Urteil ist begrenzt; und niemand weiß, was noch kommt.“

Er wurde ausgelacht. Die Leute hielten den alten Mann für verrückt. Sie hatten es schon immer gewusst, dass er nicht ganz richtig im Kopf war; sonst hätte er ja sein Pferd verkauft und in Saus und Braus gelebt… Stattdessen fristete er sein Leben als Holzfäller. Obwohl er sehr alt war, fällte er immer noch Bäume, brachte das Holz aus dem Wald und verkaufte es. Er lebte von der Hand in den Mund, hatte nur das Nötigste und nie wirklich genug. Aber jetzt war ihnen endgültig klar, dass er verrückt war.

Nach vierzehn Tagen kam plötzlich eines Nachts das Pferd zurück. Es war nicht gestohlen worden: es war nur in die Wildnis gelaufen. Und es kam nicht nur zurück, sondern brachte auch noch zwölf andere Wildpferde mit. Und wieder kamen die Leute zusammen, und sagten: „Alter, du hast recht gehabt; wir haben uns geirrt. Es war kein Unglück, sondern ein Segen. Es tut uns leid, dass wir dir Vorwürfe gemacht haben.“

Und der alte Mann sagte: „Ihr geht schon wieder zu weit. Könnt ihr nicht einfach sagen, dass das Pferd zurück ist und dass es zwölf andere Pferde mitgebracht hat? Warum urteilt ihr? Wer will den wissen, ob es ein Segen ist oder nicht? Es ist nur ein Bruchstück, und wenn man den ganzen Zusammenhang nicht kennt, wie kann man dann urteilen? Wie könnt ihr über ein Buch urteilen, wenn ihr nur eine Seite gelesen habt? Wie könnt ihr über eine ganze Seite urteilen, wenn ihr nur einen Satz davon gelesen habt? Wie könnt ihr über den Satz urteilen, wenn ihr nur ein Wort davon gelesen habt? Und was ihr in der Hand haltet, ist weniger als ein Wort – das Leben ist so unendlich. Ihr habt nur das Bruchstück eines Wortes in der Hand und habt über die ganze Welt geurteilt. Sagt also nicht, dass dies ein Segen ist, denn wer weiß… Und ich bin völlig damit zufrieden, dass ich es nicht weiß. Lasst mich also bitte in Ruhe.“

Diesmal hielten die Leute den Mund. Vielleicht hatte der alte Mann ja wieder Recht. Also sagten sie nichts, aber im Stillen wussten sie natürlich, dass er sich irrte. Zwölf herrliche Pferde waren mit dem einen Pferd zurückgekommen! Wenn sie ein bisschen eingeritten wurden, konnten sie bald alle verkauft werden und massenhaft Geld einbringen.

Der alte Mann hatte einen jungen Sohn – es war sein einziger. Dieser Sohn begann nun, die Wildpferde zu zähmen; eine Woche später stürzte er von einem der Pferde und brach sich beide Beine. Wieder kamen die Leute zusammen. Und die Leute sind überall ‚die Leute‘; überall sind sie wie ihr. Und wieder urteilten sie sofort. Wie schnell ein Urteil feststeht! Sie sagten: „Du hattest recht. Was du geahnt hast, hat sich wieder einmal bestätigt. Es war kein Segen, es war doch ein Unglück. Dein einziger Sohn hat seine Beine verloren! Wer soll jetzt die Stütze deiner alten Tage sein? Jetzt bist du ärmer denn je.“

Der alte Mann sagte: „Könnt ihr denn nicht einmal aufhören mit eurem Urteilen? Ihr geht schon wieder zu weit – sagt einfach, dass mein Sohn seine Beine gebrochen hat. Keiner weiß, ob das nun ein Unglück oder ein Glück ist. Keiner. Es ist wieder nur ein Bruchstück, und wir bekommen nie mehr als Bruchstücke zu sehen. Das Leben zeigt sich uns nur in Fragmenten, aber unsere Urteile fällen wir immer über das Ganze.“

Ein paar Wochen später geschah es, dass ein Krieg mit dem Nachbarland ausbrach, und alle jungen Männer wurden zur Armee eingezogen. Nur der Sohn des alten Mannes blieb zurück, weil er ein Krüppel war.

Die Leute kamen zusammen, weinend und klagend, denn aus jedem Hause wurden die jungen Männer mit Gewalt abgeholt. Und es bestand keine Aussicht, dass sie je wiederkämen, denn das Land, mit dem Krieg geführt wurde, war ein sehr großes Land, und die Schlacht war von vornherein verloren. Also würden sie nicht zurückkommen…

Das ganze Dorf weinte und klagte, und sie kamen zu dem alten Mann und sagten: „Wie recht du hattest, Alter! Weiß Gott, wie recht du hattest – es war ein Segen: dein Sohn mag zwar ein Krüppel sein, aber wenigstens bleibt er bei dir. Unsere Söhne werden wir nie wieder sehen. Er wenigstens lebt und ist bei dir, und nach und nach wird er schon wieder das Laufen lernen. Vielleicht wird er noch ein bisschen humpeln, aber er wird wieder in Ordnung kommen.“

Der alte Mann wehrte ab: „Es ist einfach unmöglich, mit euch Leuten zu reden. Ihr könnt es einfach nicht sein lassen – ewig diese Urteile. Niemand weiß etwas! Sagt doch nur, dass eure Söhne in die Armee geholt worden sind, und mein Sohn nicht. Aber ob das nun ein Segen ist oder ein Unglück, das weiß niemand. Kein Mensch wird das je wissen. Nur Gott weiß es.“

Und wenn wir sagen: „Nur Gott weiß es“, dann heißt das, dass nur das Ganze es weiß. Urteile nicht, sonst wirst du dich niemals mit dem Ganzen vereinigen können. Dann wirst du immer nur an den Bruchstücken kleben, und aus den geringsten Anlässen große Schlüsse ziehen. Und das ist etwas, wo die Sufis dich immer wieder mit der Nase drauf stoßen: wie leicht du vergisst, dass es Dinge gibt, die über deinen eigenen Horizont hinausgehen. Dass jeder über Dinge urteilt, von denen er keine Ahnung hat. Euer Bewusstsein steht auf einer sehr niedrigen Sprosse der Leiter. Ihr lebt in einem dunklen Tal voller Trauer und Unglück, und aus euren dunkelsten Abgründen heraus beurteilt ihr sogar noch einen Buddha. Selbst einen Buddha könnt ihr nicht gelten lassen, ohne ihn zu beurteilen. Selbst über einen Jesus sitzt ihr zu Gericht. Ihr urteilt nicht nur über ihn, ihr kreuzigt ihn sogar. Er wird von euch vor Gericht gezerrt, für schuldig befunden, verurteilt und bestraft.

Ihr lebt im tiefen, nassen Tal. Nicht einmal in euren Träumen habt ihr die Gipfel gesehen. Ihr könnt sie euch nicht einmal vorstellen, denn selbst dazu müsst ihr wenigstens einmal einen Schimmer von ihnen gesehen haben. Von etwas, das euch absolut unbekannt ist, könnt ihr nicht einmal träumen; denn was ihr träumt, entsteht aus dem, was ihr kennt. Ihr könnt von Gott nicht träumen, weil ihr euch Gott nicht vorstellen könnt; ihr könnt euch den Gipfel nicht vorstellen, das Leben nicht vorstellen, das in einem Buddha pulsiert. Aber ihr urteilt.

Ihr sagt: „Ja, dieser Mann ist ein Buddha, und der da ist keiner; dieser ist erleuchtet, und der nicht.“ Einem Erleuchteten könnt ihr damit nicht schaden, weil niemand ihm schaden kann, aber euch selber schadet ihr mit euren Urteilen.

Sobald du geurteilt hast, hörst du geistig zu wachsen auf. Urteilen heißt stehen bleiben. Alle Bewegung hat aufgehört, alles Forschen, alle Mühe weiterzuwachsen. Dein Urteil steht fest; die Akten sind abgeschlossen. Und der Verstand liebt es, von festen Urteilen auszugehen, weil ihm jede Bewegung unbequem ist. Ein nicht abgeschlossener Prozess ist immer ungewiss, gefährlich. Aber wer zu einem endgültigen Schluss gekommen ist, hat ‚das Ziel erreicht‘; jetzt ist die Reise vorüber.

Wer die Reise zum Höchsten antreten will, muss sich grundsätzlich davor hüten zu urteilen. Sicher, leicht ist es nicht, es ist fast unmöglich – denn ehe du dich versiehst, hat dein Verstand schon ein Urteil parat. Aber wenn du dir Mühe gibst, bildet sich in dir nach und nach eine hochempfindliche Wachheit aus. Und in diesem Zustand kannst du einfach das Urteilen sein lassen. Und sobald dir das gelingt, bist du religiös geworden. Dann weißt du nicht mehr, was richtig und was falsch ist.

Normalerweise nennen wir gerade die Leute religiös, die „alles“ wissen – die genau wissen, was gut und was böse ist, was man tun darf und was man lassen soll. Sie tragen die zehn Gebote unterm Arm. Das macht die ‚religiösen‘ Leute so selbstgerecht und dickhäutig. Sie sind am Ziel angelangt. Sie haben aufgehört zu wachsen. Ihr Fluss ist zum stehenden Tümpel geworden. Wer wachsen will, wer fließen will – und alles Wachsen und Fließen geht bis ins Unendliche weiter, denn Gott ist kein fester Punkt, sondern die ständige Bewegung allen Lebens, der Schöpfung überhaupt – wer also mit Gott mitgehen will, der muss immerzu in Bewegung bleiben, immerzu unterwegs sein.

Es ist wirklich so: die Reise geht nie mehr zu Ende. Wo ein Weg endet, beginnt der nächste. Und hinter jedem Berggipfel entdeckst du noch einen höheren. Du erreichst diesen Gipfel, du willst dich gerade ausruhen in dem Gedanken, jetzt endlich dein Ziel erreicht zu haben – und plötzlich siehst du einen noch höheren Gipfel vor dir. Von Gipfel zu Gipfel geht es weiter, eine endlose Reise. Gott ist eine Reise ohne Ende… Nur die Allerentschlossensten, nur diejenigen, die so mutig sind, jeden Gedanken ans Ziel aufzugeben, einfach nur unterwegs zu sein und sich vom Leben, vom Fluss tragen zu lassen, nur im Augenblick zu leben – und zwar restlos –, nur solche Menschen sind fähig, mit Gott zu gehen.

Erfolgsstreber sind mittelmäßig. Alle eure Erfolgshelden sind Durchschnittsmenschen. Was kann man schon erreichen? Wenn sich das Höchste ‚erreichen‘ ließe, dann wäre es schon deshalb nicht das Höchste, weil es sich erreichen lässt. Wenn du es erreichen kannst, wie kann es da das Höchste sein?

Wie kannst du das Ziel erreichen? Du?! Dann wäre das Ziel ja kleiner als du. Nein, das Ziel ist unerreichbar. Es gibt überhaupt kein Ziel – und das ist auch gut so. Und weil es so ist, gibt es für das Leben keinen Tod. Jedes Ziel würde es töten. Und nach dem Ziel würdest du überflüssig.

Jemand, der zuviel urteilt, hindert sein eigenes Wachstum auf allen Ebenen. Haben sich deine Urteile erst einmal festgesetzt, wirst du unfähig, überhaupt etwas Neues zu sehen. Dein Urteil stellt sich in den Weg und lässt es sich nicht gefallen, durch etwas Neues in Frage gestellt zu werden. Von da an lebst du mit geschlossenen Augen. Keineswegs als Blinder – blind ist keiner – aber alle benehmen sich wie Blinde; dazu kommt es ganz automatisch: sie lassen sich durch ihre Urteile blenden. Wer die Augen aufmacht, muss erst die Angst überwinden, dass er vielleicht etwas sehen könnte, vielleicht einer Wirklichkeit in die Augen schauen muss, die er nicht wahrhaben will; die Angst, dass sein Urteil als falsch entlarvt wird.

Deshalb sind Vorurteile so bequem. Du hast dich in einem Haus niedergelassen, und jetzt ist die Landstrasse vergessen und die Reise und all die Anstrengungen und die ewige Bewegung, die Gefahren und die Unsicherheit. Du hast dich vor dem Abenteuer verschanzt. Du hast dich in einem kleinen Haus verkrochen, wo es mollig warm und bequem ist. Inzwischen hast du schon Angst, aus dem Fenster zu sehen; also machst du lieber auch noch die Fensterläden zu. Jetzt hast du Angst, die Tür zu öffnen. Denn wer weiß – eine unbekannte Wirklichkeit könnte eintreten und deinen ganzen Komfort und deine ganze Gemütlichkeit und deine Sicherheit durcheinander wirbeln.

Und darum stellt ihr euch lieber wie Blinde an. Aber ihr seid nicht blind – ihr seid nur schlau. Aber eure Schläue hat euch blind gemacht. Euer Verstand hat immer sofort ein Urteil parat. Und mit diesem Trick meidet ihr die unbequeme Reise. Urteilen ist eine Ausflucht. Es kommen viele Leute, alle möglichen Menschentypen zu mir, aber im Grunde können sie in zwei Grundtypen aufgeteilt werden: in diejenigen, die bereit sind, die Augen aufzumachen, und diejenigen, die sich weigern, die Augen aufzumachen.

Mit einem, der bereit ist, die Augen zu öffnen, kann viel geschehen. Mit einem, der nicht dazu bereit ist, kann gar nichts geschehen. Er ist lebendig begraben, er lebt schon nicht mehr. Er lässt keinen frischen Wind durch sein Dasein wehen, er lässt keine neuen Blumen in sich aufblühen. Er lässt nichts Unbekanntes zu. Er hat Angst. Er fährt in eingefahrenen Gleisen, immer nur im Kreis herum, denn ein Kreis ist das Sicherste, was es gibt. Man stößt ständig auf die immer gleichen Dinge – er lebt wie eine Grammophon-Nadel auf einer Schallplatte: wieder und wieder und wieder dieselben Rillen. Und dann klagt ihr darüber, wie langweilig alles ist! Daran seid nur ihr selber schuld. Einer, der sich langweilt, ist einer, der mit geschlossenen Augen lebt. Langeweile ist nur die Folge davon. Einer, der mit offenen Augen lebt, langweilt sich nie.

Das Leben ist ein solcher Zauberwald, es ist so magisch – ein ewiges Wunder! Augenblick für Augenblick geschehen um dich herum Millionen von Wundern – du aber lebst mit geschlossenen Augen, hinter deinen Vorurteilen. Du gehst an einer Blume vorbei, und wenn jemand sagt: „Wie schön!“, dann siehst du hin, ohne wirklich hinzusehen. Du sagst: „Ach ja, eine Rose, wie schön!“, aber du wiederholst damit nur eine Erinnerung aus der Vergangenheit wie eine Schallplatte. Dieselben Worte hast du schon oft und oft gesagt, viel zu oft. Jeder Blume hast du das gleiche gesagt. Leere Worte ohne Bedeutung. Du sagst es nur, weil es dir unangenehm wäre, nichts zu sagen. Neben dir sagt einer: „Schöne Blume!“ und wenn du nichts darauf sagst, dann macht das einen schlechten Eindruck. Also sagst du etwas: „Ja, wie schön“, sagst du, und alle beide habt ihr weder die Blume noch deren Schönheit gesehen. Es war ein Klischee. Und dann klagt ihr darüber, wie langweilig alles ist.

Du liebst eine Frau – und es vergehen noch nicht einmal ein paar Stunden, die Flitterwochen sind noch nicht vorbei, und schon hat sich Staub auf deine Frau gelegt. Ganz so schön, wie sie noch vor ein paar Stunden war, ist sie jetzt nicht mehr. Ganz so wichtig wie vorhin ist sie dir nicht mehr.

Was ist geschehen? Du meinst, sie jetzt zu kennen – dein Urteil steht fest… Jetzt ist sie für dich keine Fremde mehr – jetzt ‚kennst‘ du sie. Aber glaubst du wirklich, einen Menschen kennen zu können? Ein Mensch ist ein sich ständig verändernder Strom. Du kannst nie und nimmer einen Menschen ‚kennen‘.

Am Morgen ist die Blume anders als am Abend – weil der Morgen anders ist! Die Sonne geht auf und die Vögel singen, und die Blume ist ein Teil des Ganzen. Auf den Blütenblättern der Blume spiegelt sich der Morgengesang der Vögel wider, sie sind durchdrungen vom Licht des neuen Tages, vom eben erwachten Leben.

Am Nachmittag hat sie sich verändert. Alles um sie herum hat sich verändert. Die Sonne ist nicht mehr dieselbe, die Vögel sind verstummt, und die Blume neigt sich ihrem Ende zu. Gleich geht die Sonne unter, und der Abend naht. Die Blume lässt den Kopf immer tiefer hängen – eine Stimmung der Trauer, die sie noch nicht kannte. Es ist nicht mehr die gleiche Blume vom Morgen. Jetzt, wo es Abend ist, stirbt sie, ihr Herz ist getränkt von Traurigkeit. Könnte sie singen, wäre es ein trauriges Lied. Und wenn du sie aufmerksam betrachtest, zeigt dir die Blume deinen eigenen Tod. Du kannst in der Blume beobachten, wie sich sterbendes Leben und beginnender Tod mischen. Wie sich Leben langsam in Tod verwandelt. Diese Stimmung hat mit all den früheren Stimmungen nichts mehr zu tun.

Wenn ihr noch nicht einmal eine Blume in ihrer Ganzheit erkennen könnt, mit ihren unerschöpflichen Stimmungen, wie könnt ihr da glauben, einen Menschen zu kennen? Ein Mensch ist ein aufblühendes Bewusstsein – die prächtigste Blüte, die das Leben in Jahrtausenden der Evolution hervorgebracht hat.

Wie kannst du die Frau kennen, mit der du lebst? Sobald du zu glauben beginnst, dass du sie kennst, ist es aus: Du hast dir ein Urteil gebildet; du hast bereits begonnen, dich nach einer anderen Frau umzuschauen. Nein, wenn deine Augen rein bleiben, wird dir deine eigene Frau ewig ein Rätsel bleiben. Du wirst vielen Stimmungen und atmosphärischen Veränderungen in ihr begegnen, das Wesen deiner Frau wird sich dir in vielen Gesichtern offenbaren. Und so ist es mit deinem Mann, deinem Kind, deinem Freund, und mit dem Wesen deines Feindes.

Niemand kann je etwas kennen. Aber der Verstand ist listig. Der Verstand will wissen, denn nur Wissen macht sicher. Alles Fremde macht unsicher. Wenn du von allen Seiten vom Unbekannten umringt bist, bekommst du Angst und weißt nicht, wo du bist. Wenn du die Situation nicht durchschauen kannst – wenn du die Menschen, die Blumen und Bäume deiner Umgbung nicht kennst, wenn du dich nicht mehr auskennst, dann verlierst du dein Selbstgefühl, dann wird dir deine Identität genommen.

Wenn du dir dagegen sicher bist, dass du deine Frau und dein Kind, deine Freunde, deine Gesellschaft, dies und das kennst, und wenn du dich außerdem noch in Geschichte und Geographie auskennst, dann verleiht dir dieses ganze Wissen, in dem du dich wiegst, das sichere Gefühl, zu wissen, wer du bist: einer, der Bescheid weiß! Das Ego kann stolz sein Haupt erheben…

Wissen ist Futter für das Ego. Unwissen ist für das Ego Gift. Aber der Tod des Ego bedeutet dein Leben; das Leben des Ego ist dein sicherer Tod. Lass dich nicht nieder. Das ist gemeint, wenn es heißt, dass ein Sannyasin heimatlos lebt.

In der indischen Tradition war das so. Man wurde zum Wanderer ohne Heimat, ohne Wurzeln und Anker, und hat keine Identität mehr. Man lebt mit dem Unbekannten von Augenblick zu Augenblick – alles ist Überraschung. Für euch ist nichts eine Überraschung. Ihr wisst alles schon, wie kann euch da noch etwas überraschen? Über nichts staunt ihr mehr. Ihr werdet über alles staunen, sobald ihr in Unwissenheit lebt. Für unwissende Augen ist alles neu – dann gibt es nichts mehr, womit du vergleichen kannst, nichts, was dich an Vergangenes erinnert, nichts, was dir die Zukunft deutet – alles ist einmalig. So war es nie zuvor, und so wird es nie wieder sein. Was du in diesem Augenblick verfehlst, hast du für immer verfehlt. Es gibt keine Rückkehr. Jeder Augenblick bringt eine neue Stimmung des Daseins. Entweder genießt und lebst du sie aus, oder du gehst daran vorbei. Mit Wissen verpasst du sie, denn du sagst, „ich weiß schon.“

Wenn ich dir zurufe: „Komm heraus aus deinem Haus – die Sonne ist aufgegangen, was für ein Anblick!“, dann sagst du: „Ich weiß; wie oft bin ich schon früh morgens aufgestanden und habe es gesehen. Ich weiß, wie es aussieht – lass mich schlafen.“ Aber die Sonne dieses Tages hat es nie zuvor gegeben. Und der, der du heute bist, der war noch nie da. Und der, der ich heute bin, der dich herausruft, den hat es auch noch nie gegeben.

Alles ist absolut neu, absolut ursprünglich. Das einzig Alte ist dein Verstand. Sein Wissen hat ihn verkalken lassen. Wenn du alt bist, sieht alles verstaubt aus, verbraucht, verlebt. Dann langweilst du dich. Langeweile zeigt nur eines an: dass du nämlich nicht weißt, wie du in Unwissenheit leben sollst. Ein Kind kann sich nicht langweilen. Alles ist eine Überraschung, alles ist ein Wunder. Ein Kind fällt von einem Erstaunen ins andere. Und genau das macht auch den religiösen Menschen aus: in ständigem Erstaunen zu leben, nicht mehr aus dem Staunen herauszukommen; das Staunen kommt dir so natürlich wie das Atmen. Dann siehst du plötzlich das Ganze mit anderen Augen. Dann ist die Welt nicht mehr die, die du einmal gekannt hast. Denn jetzt bist du nicht mehr der alte, also kann die Welt auch nicht mehr die alte sein.

Urteile nicht, und mach dir dein Wissen nicht zum Gefängnis. Bleibe frei, wurzellos, heimatlos. Das ist symbolisch gemeint. Ein heimatloser Sannyasin hat sich von seiner Vergangenheit losgesagt; er hat keine Wurzeln mehr in der Vergangenheit. Das muss nicht heißen, dass er wie ein Vagabund herumzieht. Sein Vagabundentum geht tiefer: es ist ein geistiges Vagabundentum. Von einem Land zum andern zu streifen, bringt niemanden weiter – früher oder später lässt man sich doch irgendwo nieder und richtet sich häuslich ein. Selbst Hippies lassen sich früher oder später irgendwo nieder. Wer hat schon alt gewordene Hippies gesehen? Es war nur eine Phase. Man bewegt sich von Ort zu Ort durch die Welt draußen, und schließlich hat man die Nase voll und bleibt irgendwo. Und merkt euch das eine: wenn sich ein Hippie häuslich niederlässt, baut er die dicksten Mauern.

Ein durchschnittlich-normaler Mensch kennt den Drang, ein Vagabund zu werden. Tief drinnen hört jeder den Lockruf. Sie mögen ein noch so bürgerliches Leben mit Frau und Kind und fester Arbeit führen, aber dieser Ruf verfolgt sie bis in ihre Träume, bis in ihre Tagträume und Phantasien. Etwas ruft, alles stehen und liegen zu lassen und fortzugehen. Aber ein Hippie, der sich niederlässt, gräbt sich tiefer ein als alle andern. Er weiß, was es heißt, Vagabund zu sein. Das hat er hinter sich. Auch das ist Wissen: er kennt es.

Wenn es in der Sannyasin-Tradition heißt, oder wenn ich sage: werdet heimatlos, dann meine ich es nicht wörtlich. Ich meine: Lebt innerlich ein heimatloses Leben – ungefestigt, wurzellos, ohne Vergangenheit; nur dieser Augenblick zählt, dieser Augenblick in seiner Totalität; so als ob es auf der ganzen Welt nichts mehr außer diesem Augenblick gäbe.

Dann plötzlich wirst du bewusst. Dir wird das Verborgene bewusst, das Unsichtbare, das Unbekannte, das dich von allen Seiten umgibt: ein riesiger Ozean von absolut neuen Dingen, die aufsteigen und wieder verschwinden. Das Leben war noch nie alt. Das Leben war noch nie abgestanden. Es ist ursprünglich, es ist von Natur aus ursprünglich und neu. Nur dein Verstand wird alt, und so entgeht dir das Leben. Um immer nur im Neuen leben zu können, musst du mit dem Urteilen aufhören. Dann wird das höchste Bewusstsein in dir zur Explosion kommen.

Urteile sind Mauern. Und ihr urteilt keineswegs nur über alltägliche Dinge. Das Urteilen ist euch so in Fleisch und Blut übergegangen, dass ihr es keinen Augenblick lassen könnt. Kaum zeigt sich etwas, schon urteilst du. Ohne auch nur eine Sekunde verstreichen zu lassen. Und wenn du dich einem Menschen wie Buddha näherst, oder Dhun-Nun, dem Ägypter, dem Sufi-Meister, dann stehst du an der ursprünglichen Quelle des Bewusstseins, aus der ständig neues Leben sprudelt. Hier ist nichts alt, hier kommt nichts aus der Vergangenheit. Nur der Verstand mit seinen Gedanken kommt aus der Vergangenheit, das reine Bewusstsein aber kommt niemals aus Vergangenem. Alles Bewusstsein entsteht nur immer in diesem Augenblick.

Verstand ist Zeit, und Bewusstsein ist Ewigkeit.

Der Verstand bewegt sich von Augenblick zu Augenblick, horizontal. Wie ein Eisenbahnzug: viele Wagen und Abteile aneinander gereiht. Vergangenheit und Zukunft bilden einen Zug – viele Abteile auf der Horizontalen. Bewusstheit dagegen ist vertikal. Es kommt nicht aus der Vergangenheit und geht nicht in die Zukunft. Es fällt in diesem Moment senkrecht in die Tiefe, oder erhebt sich senkrecht in die Höhe. Das ist die symbolische Bedeutung des Kreuzes Jesu. Die Christen sind allerdings völlig an dieser Bedeutung vorbeigegangen. Das Kreuz ist nur ein Sinnbild, ein Zeichen dafür, dass zwei Linien sich schneiden: die Horizontale und die Vertikale. Die Hände Christi sind auf der Horizontalen auseinandergebreitet, und außer den Händen ruht sein ganzes Wesen auf der Vertikalen. Was ist die Bedeutung? Es bedeutet: das Handeln gehört zur Dimension der Zeit. Sein entzieht sich der Zeit. Die Hände stehen für das Handeln, Jesus wird mit den Händen auf der Horizontalen, auf der Ebene der Zeit gekreuzigt.

Handeln geschieht in der Zeit. Auch das Denken ist eine Handlung: die Handlung des Geistes. Auch das gehört zur Dimension der Zeit. Macht euch bewusst, dass die Hände die gröbsten Ausläufer des Gehirns darstellen. Hirn und Hand gehören zusammen. Der Kopf ist mit den Händen verbunden. Das Gehirn hat zwei Hälften: die rechte Hälfte ist mit der linken Hand verbunden, und die linke Hälfte mit der rechten Hand. Deine Hände sind die Fühler des Geistes, die in die Welt hineintasten; deine Hände sind die Antennen des Geistes, mit denen er in die Welt der Materie eingreift. Und der Geist selbst ist die feinste Form der Materie.

Alles Handeln, ob körperlich oder geistig, gehört zur Zeit. Dein Sein ist vertikal. Es geht in die Tiefe und in die Höhe. Seitwärts hat es keine Ausdehnung. Indem du urteilst, identifizierst du dich mehr und mehr mit der Horizontalen, denn anders ist Urteilen nicht möglich. Zum Urteilen brauchst du die Vergangenheit. Wie kannst du etwas beurteilen, wenn du dich nicht an die Vergangenheit hältst? Wie wäre das technisch möglich? Wo solltest du dein Kriterium hernehmen?

Du sagst zum Beispiel von einem Gesicht, dass es schön sei. Wie kannst du das beurteilen? Weißt du, was Schönheit ist? Woher weißt du, dass gerade dieses Gesicht schön ist?

Du hast in deinem Leben viele Gesichter gesehen und oft von „gutaussehenden“ Leuten reden gehört. Du hast davon in Romanen gelesen, du hast Filme gesehen – und aus alledem hast du dir eine Vorstellung darüber zusammengebastelt, was Schönheit ist. Es ist eine sehr vage Vorstellung, die du nicht definieren kannst. Würde man von dir eine Definition verlangen, wüsstest du nicht, was du sagen solltest. Es ist eine sehr unscharfe Vorstellung, wie eine Nebelwolke.

Trotzdem sagst du: „Dieses Gesicht ist schön.“ Aber woher willst du das wirklich wissen? Du gehst von deinen vergangenen Erfahrungen aus, indem du dieses Gesicht mit deiner unklaren Vorstellung von Schönheit vergleichst. Aber diese Vorstellung ist nichts als ein Sammelsurium der Vergangenheit. Wenn du die Vergangenheit einmal völlig beiseite lässt, eröffnet sich dir eine ganz andere Art von Schönheit. Eine Schönheit, die nichts mit deinem Vorurteil zu tun hat, die kein Verstandesprodukt, die nicht aufgesetzt ist, die nichts mehr mit Interpretation zu tun hat. Du tauchst einfach in dieses Gesicht ein: hier und jetzt nimmst du zutiefst an diesem Geheimnis teil, an diesem Menschen hier und jetzt. In einem solchen Moment ist dieser Mensch weder schön noch hässlich; alle Werturteile sind verflogen. Ein unbekanntes Mysterium hat sich offenbart, ohne Namen, ohne Urteil. Und nur in Augenblicken solcher Urteilslosigkeit blüht die Liebe auf.

Liebe und Verstand sind unvereinbar. Nur der Sex ist mit dem Verstand vereinbar. Denn der Verstand will Aktion, und Sexualität ist ein Akt. Liebe ist kein Akt; sie ist ein Seinszustand – Liebe existiert auf der Senkrechten.

Wenn du einen Menschen ansehen und mit ihm eins werden kannst, ohne zu urteilen, dass er weder schön noch hässlich ist, weder gut noch böse, weder sündig noch heilig – wenn du ihn nicht beurteilst, sondern einfach nur in die Augen dieses Menschen schaust, ohne ein einziges Urteil zwischen euch treten zu lassen, dann findet plötzlich eine Vereinigung statt, eine Verschmelzung der Energien. Und dieses Einswerden ist schön. Und diese Schönheit unterscheidet sich völlig von jeder anderen Schönheit, die du je kennen gelernt hast.

Ihr kennt nur die Schönheit der Form – das hier ist die Schönheit des Formlosen. Alle Schönheit, die ihr kennt, ist Schönheit des Körperlichen – das hier ist die Schönheit der Seele. Ihr kennt nur die Schönheit der Außenseite – dies ist die Schönheit des Innern. Diese Schönheit ist ewig. Und wenn du sie erst einmal mit einem Menschen erlebt hast, wird sie nach und nach auch mit Dingen möglich. Du schaust ohne jedes Urteil auf eine Blume, und plötzlich liegt das Herz der Blume offen vor dir – wie eine Einladung. Wenn du dich nicht mit Werturteilen dazwischendrängst, wird alles um dich her zur Einladung.

Wenn du urteilst, verschließt sich auch die Blume, denn das bloße Urteilen ist feindselig. Wer urteilt, ist ein Kritiker, kein Liebender. Werturteile kommen aus der Logik, nicht aus der Liebe. Jedes Urteilen bleibt an der Oberfläche und scheut die Tiefe. Die Blume verschließt sich einfach. Und wenn ich sage, sie verschließt sich einfach, dann ist das keine Metapher – es verhält sich genau so, wie ich es sage.

Du gehst zu einem Baum und berührst ihn: wenn du dabei urteilst, öffnet sich dir der Baum nicht. Wenn du ihn aber ohne zu urteilen berührst, einfach nur aus dem Gefühl und nicht aus dem Verstand heraus, wenn du ihn umarmst und dich neben ihn setzt wie zu einem Freund, dann wird aus dem gewöhnlichsten Baum plötzlich der Bodhi-Baum, der Baum, unter dem Buddha erleuchtet wurde. Eine unendliche Liebe strömt dir aus ihm entgegen. Er hüllt dich darin ein. Er wird dir viele Geheimnisse verraten. Selbst einem Felsen kannst du so bis ins Herz vordringen. Wenn ein Buddha einen Fels berührt, ist er kein Fels mehr – jetzt wird er lebendig, jetzt schlägt ein Herz in ihm. Wenn du dagegen einen Menschen berührst, ist er ein Felsblock, kalt und tot. Deine Berührung tötet alles, denn sie ist von Urteilen vergiftet, sie ist ein Feind, kein Freund.

Wenn das schon bei gewöhnlichen Dingen so ist, wie ist es dann erst auf höheren Ebenen des Seins und des Bewusstseins? Urteile nicht! Millionen haben Buddha verfehlt, Millionen haben Jesus verfehlt, Millionen haben Zarathustra verfehlt, nur weil sie geurteilt haben. Geht nicht in dieselbe dumme Falle. Wann immer du einem Menschen nahe sein kannst, dessen Bewusstsein auch nur ein wenig höher ist als deines, dann sei offen. Dann kann dir sehr geholfen werden. Wenn du schon mit fix und fertigen Urteilen ankommst, hast du von vornherein verloren. Wirf deinen Verstand über Bord.

Und jetzt zu dieser Geschichte.

Dhun-Nun war ein ägyptischer Sufi-Mystiker, einer der größten, die die Welt je gesehen hat. Er konnte tief blicken, tief in die Labyrinthe der menschlichen Dummheit hinein, aber er konnte auch aus ihnen heraushelfen. Nur – und das ist typisch für alle Sufis – er stellt lieber eine Situation her, denn er weiß sehr wohl, wie leicht man intellektuell alles verstehen kann, ohne dass es im geringsten weiterhilft. Intellektuell magst du leicht zu überzeugen sein, aber diese Überzeugung wird dich nicht umwandeln. Stattdessen stellen die Sufis also eine Situation her, und durch diese Situation machen sie dir etwas klar. Sie sagen nichts – sie zeigen nur.

Dhun-Nun war es einst ebenso ergangen. Es wird erzählt, dass Dhun-Nun zu der Zeit, als er noch kein Meister und selbst ein Suchender war, einmal in ein Dorf kam. Er hatte eine lange Reise durch die Wüste hinter sich – er war hungrig und müde, durstig und ohne Bleibe – und sah auf dem Dach eines Hauses eine Frau. Sie musste dort oben gearbeitet haben; es muss kurz vor der Regenzeit gewesen sein, und so hatte sie auf dem Dach zu tun. Er kam näher. Als er das Haus erreicht hatte, fing die Frau auf dem Dach zu lachen an.

Dhun-Nun verstand nicht, was das zu bedeuten hatte. „Was ist?“, fragte er, „warum lachst du? Warum begrüßt du mich mit einem so wahnsinnigen Gelächter?“

Die Frau antwortete: „Als ich dich ins Dorf kommen sah, da dachte ich, ‚da kommt ein Sufi‘, denn ich konnte nur dein Gewand erkennen, nicht dich. Dann, als du näher kamst, sah ich, dass du keiner bist, jedenfalls kein Meister, sondern nur ein Jünger. Aber das war auch nur der erste Eindruck! Ich hatte nur dein Gesicht gesehen, aber noch nicht deine Augen. Und als ich dir schließlich in die Augen sehen konnte, erkannte ich, dass du nicht einmal ein Jünger bist, dass du noch nicht einmal auf dem Weg bist. Und jetzt, wie du da stehst, sehe ich, dass du noch nicht einmal nach dem Weg suchst – du hast noch nicht einmal davon gehört! Und da musste ich lachen. Du siehst wie ein Mystiker aus, aber dein Gesicht passt nicht zu deinem Gewand, zu deiner Sufi-Kutte.“

Das Wort Sufi bedeutet ursprünglich ein bestimmtes Gewand. Sufi bedeutet Wolle, und ein Sufi ist einer, der das „wollene Hemd“ anzieht, die wollene Kutte. In der Wüste zu leben, ist schon hart genug, aber die Sufis tragen dazu noch wollene Kleidung! Und sie haben immer in Wüsten gelebt, in den heißesten Gegenden der Erde. Warum? Weil sie sagen, dass dir keine Hitze etwas ausmacht, wenn du innen kühl bist. Wenn du innen kühl bist, kann dir nichts etwas anhaben. An der Außenseite Hitze; im innersten Kern Kühle.

Es ist also eine Methode, ein Mittel, um dich von der Außenzone nach innen zu bringen. Wenn der Körper heiß ist, brennend heiß, besinnst du dich auf deine innere Mitte. Es bleibt dir gar nichts anderes übrig, denn die Oberfläche des Körpers brennt wie Feuer. Was tut man, wenn man in der Mittagsglut eine Landstrasse entlang geht? Man sucht Schatten, einen Baum, unter den man sich hinsetzen kann um auszuruhen. Sufis haben die Hitze als Hilfsmittel genutzt. Was soll man machen, wenn man ständig schweißgebadet unter einer dicken Wollkutte herumlaufen muss? Was macht man in einer Wüste? Man muss sich auf einen inneren Punkt besinnen, wohin die Hitze niemals vordringen kann. Man sucht Schatten.

Die Frau sagte: „Von außen siehst du wie ein Sufi, wie ein Meister aus, aber als ich dein Gesicht sah, passte es nicht zu deinem Gewand. Dein Gesicht sagt etwas ganz anderes. Und deine Augen sagen noch etwas anderes als das Gesicht; sie stimmen noch nicht einmal mit dem Gesicht überein. Und als ich dich dann in deiner Ganzheit sah, erkannte ich, dass du überhaupt kein Suchender bist.“

Es heißt, dass Dhun-Nun sein Gewand fortwarf und in die Wüste zurückging. Jahrelang hörte man nichts mehr von ihm und keiner wusste, was ihm zugestoßen war. Zwanzig Jahre lang wusste niemand, wo er war und was er machte. Zwanzig Jahre später… eine plötzliche Explosion. Dhun-Nun explodierte über ganz Ägypten. Tausende von Suchenden aus allen Sufi-Ländern machten sich auf die Reise zu ihm. Noch zu Lebzeiten wurde Dhun-Nun zu einem zweiten Mekka; die Leute kamen zu ihm geströmt, statt nach Mekka zu pilgern. Oft wurde er gefragt: „Was geschah in jenen zwanzig Jahren, nach der Begegnung mit dieser Frau? Was hast du getan? Welche Praktiken hast du benutzt?“ Und darauf antwortete er immer: „Nichts. Ich saß einfach nur in der Wüste – denn was ich auch getan hätte, es wäre ein Stück von mir gewesen, ein Teil meines Ichs. Alles, was ich tue, kann nicht größer sein als ich selber, es wird immer kleiner sein als ich. Und wenn was mit mir nicht stimmt, wie kann ich dann etwas Richtiges tun? Also hörte ich auf, überhaupt etwas zu tun. Zwanzig Jahre lang tat ich nichts, oder besser: Nichts war alles, was ich tat. Ich tat nichts, tat nichts als – nichts. Ich blieb einfach nur bei mir. Nichts war alles, was ich tat.“

Was geschieht, wenn man zwanzig Jahre lang nur dasitzt, ohne von sich aus etwas zu tun? Dann verschwindet die Horizontale, und es bleibt nur die Senkrechte – keine Handlung, reines Dasein. Aber dazu gehört Geduld; das ist die einzige Methode, die man dazu braucht.

Da ihr diese Geduld nicht habt, muss ich euch Methoden geben. Wenn ihr nicht in Eile wärt und sagen könntet: „Ich kann warten, ich kann Ewigkeiten warten“, dann wären Methoden nicht nötig. Dann sitzt du einfach nur da, und selbst wenn du die notwendigen Dinge verrichtest, bleibst du innerlich einer, der nichts tut. Natürlich gibt es noch vieles zu tun; zum Beispiel nimmst du ein Bad oder musst dich ums Essen kümmern, oder dein Bett herrichten. Aber bei all diesen Dingen, die du tust, bleibst du trotzdem untätig. Mehr als das ist nicht nötig.

Indem du still in dir selber bleibst, indem du nichts tust, verschwindet das Ego. Wenn du noch nicht einmal versuchst, ein besserer Mensch zu werden, verschwindet das Ego; ohne dich umwandeln zu wollen, verschwindet das Ego – einfach nur, indem du dich so akzeptierst, wie du bist, ganz egal, was du bist. Ich sehe, dass eure ganze Schwierigkeit darin liegt, dass ihr euch nicht selbst akzeptieren könnt. Jeder möchte ein anderer sein – das ist das ganze Problem. Ansonsten fehlt es an nichts; ansonsten ist alles schon da. Indem Dhun-Nun zwanzig Jahre lang nichts tat, wurde er zu einem der größten Meister überhaupt. Jetzt aber – unsere Geschichte:

Ein junger Mann kam zu Dhun-Nun, dem Ägypter.

Er behauptete, dass die Sufis im Irrtum seien,

und noch viele andere Dinge mehr.

Wie kann man wissen, dass die Sufis im Irrtum sind, wenn man selber keiner ist? Und hat je ein Mensch, der selber Sufi war, gesagt, dass mit den Sufis irgendetwas nicht stimmt? Wohl kaum. Diejenigen, die selber Sufis waren, haben nie etwas daran verkehrt gefunden, und diejenigen, die den Sufismus kritisieren, sind niemals Sufis gewesen. Woher wollen sie es also wissen?

Erst vor ein paar Tagen bewies mir jemand, dass all die Meditationsmethoden, die ich lehre, falsch seien, weil Patanjali sie nicht in seinen Yoga-Sutras erwähnt. Und der Mann fragte: „Wir haben nie von solchen Methoden vorher gehört. Auf welche Autorität stützt du dich? Woher nimmst du diese Methoden? Sie gehören weder zum Hatha-Yoga noch zum Raja-Yoga noch zum Bhakti-Yoga.“ Ich fragte zurück: „Hast du je meditiert?“, und er verneinte. Ich fragte noch einmal: „Weißt du, was Meditation ist?“ Seine Antwort war: „Nein“.

Wenn du nicht weißt, was Meditation ist, wie willst du darüber urteilen, ob eine meditative Methode gut oder schlecht ist? Wenn du nicht weißt, was Meditation ist, wie weißt du dann, was Nicht-Meditation ist? Du weißt nicht, was gut ist, und verdammst trotzdem etwas als schlecht. Man weiß nicht, was Moral ist, aber man verdammt ständig die Unmoral. Wer weiß denn wirklich, was Sufismus ist? Wie leicht es ist, etwas zu verurteilen!

Ein Urteil zu fällen ist für den Verstand ein Leichtes. Es ist die allerleichteste Sache von der Welt, zu sagen, dass etwas nicht stimmt. Nichts fällt dem Verstand leichter, als nein zu sagen. Und ja zu sagen, ist für ihn das Allerschwerste. Achte einmal darauf, wie oft dein Verstand nein sagt. Selbst wenn er manchmal ja sagt, sagt er es nur widerwillig. Bei nein fühlt er sich am wohlsten. Sobald du zu jemandem nein sagen kannst, gibt dir das ein großes Machtgefühl. Das Nein sagen ist genussvoll, weil sich das Ego stark fühlt – bei ja löst es sich auf. Und es ist leicht, nein zu sagen, und sehr, sehr schwer, ja zu sagen, denn mit dem Ja geht eine Türe auf – mit dem Nein verschließt sie sich. Wenn du nein sagst, schau hin, was in deinem innersten Wesen passiert – plötzlich gehen alle Türen zu. Wenn du nein sagst, bist du verschlossen. Dann wirst du zu einer Leibniz’schen Monade – ohne Fenster, ohne Türen, ohne Brücken.

Das Nein schneidet einfach alle Verbindungen zwischen dir und andern ab. Alle Möglichkeiten der Liebe, des Betens, der Hingabe, alle Möglichkeiten der Meditation werden plötzlich zerstört; du brauchst nur nein zu sagen.

Das Nein macht eine Insel aus dir, und kein Mensch ist eine Insel. Sich selbst für eine Insel zu halten, ist die größte Illusion – jeder ist Teil des Ganzen. Mit deinem Nein bist du abgeschnitten, hast du alle Brücken abgebrochen. Und genau das will das Ego immerzu; es genießt, nein zu sagen, es triumphiert dabei.

Achte darauf! Sage nie nein, außer wenn es absolut notwendig ist. Wenn du einfach nur das Wort aus deinem Wortschatz streichst, werden dir die Auswirkungen immer mehr bewusst werden. Und wenn du es trotzdem einmal sagen musst, dann sage das Nein in einer Weise, dass es eine positive Aussage wird, dass es die Form eines Ja annimmt. Wenn du einfach das Nein streichst, werden sich plötzlich viele neue Dinge in dir ereignen, denn es ist ein ungeheuer mächtiges Wort. Ja und nein – das sind zwei sehr machtvolle Wörter. Sie können dein ganzes Wesen verwandeln; denn sie sind keine gewöhnlichen Wörter. Es sind nicht Worte, sondern Haltungen. Ja und nein bezeichnen deinen Weg, deine ganze Lebensweise. Ein Mensch, der fortwährend nein sagt, wird immer trauriger und resignierter, denn das Leben klopft immer seltener an seine Tür. Wenn einer ewig nur nein sagt, warum soll sich das Leben dann weiter um ihn kümmern?

Der Wind wird ihn nicht mehr streicheln, Blumen werden nicht mehr auf seinem Wege blühen. Er sät Dornen, indem er alles verneint. Der Nein-Sager ist der einzige Atheist. Gott zu verneinen, ist nur die Essenz seiner ganzen inneren Negativität. Und ja zum Leben zu sagen – das ist es, was Gottesgläubigkeit für mich bedeutet: ja zum Leben zu sagen, die Türen aufzumachen, sich unter die anderen zu mischen, offen zu sein.

Sag ja, und plötzlich fühlst du, wie sich in dir Fenster öffnen. Sitz einfach nur still unter einem Baum und sage laut ja. Fühle die Veränderung. Dann sage nein und fühle die Veränderung. Du schaffst jedes Mal eine andere Atmosphäre. Die Schwingungen sind völlig verschieden. Mit dem Ja setzt du etwas in Gang – wie wenn du einen Kiesel in einen See wirfst, und es entstehen kleine Wellenringe, die sich immer mehr ausdehnen, bis sie sogar das andere Ufer erreichen. Wenn du ja sagst, wirfst du einen Stein der Bejahung, der Liebe, des Gebets, der Bereitschaft, der Selbstaufgabe in den See – und dann setzen sich die Wellenkreise fort und fort, bis ins Unendliche. Ein Ja-Sager muss früher oder später zum Gläubigen werden, denn jedes Ja gipfelt am Ende im Göttlichen. Aus Ja entsteht Gott. Nein wird am Ende zu Gottlosigkeit.

Ein junger Mann kam zu Dhun-Nun, dem Ägypter.

Er behauptete, dass die Sufis im Irrtum seien,

und noch viele andere Dinge mehr.

Wie töricht! – Aber das kommt vor. Ich weiß es; denn es kommt hier bei mir täglich vor. Leute, die von nichts eine Ahnung haben, kommen her und geben mir gute Ratschläge – dass dieses so und jenes nicht so gemacht werden muss. Die Dummheit der Menschen ist grenzenlos.

Es gibt nur zwei Dinge, die unendlich sind: die Dummheit der Menschen und die Liebe Gottes. Wie sonst könnte der Mensch weiterleben? Aber Gottes Erbarmen ist grenzenlos. Die Schöpfung gibt unaufhörlich – sie fragt nicht erst, wie dumm du bist. Eines Tages wirst du wieder nach Hause zurückkehren und verstehen…Was für eine Dummheit, zu einem Mann wie Dhun-Nun zu kommen und zu sagen, dass die Sufis im Irrtum sind.

Der Ägypter gab ihm… einen Ring,

den er sich vom Finger streifte…

Dieser Ägypter, Dhun-Nun, machte das Richtige. Es wäre zwecklos, mit einem so dummen Mann zu reden – er würde sowieso kein Wort verstehen. Und selbst wenn er es auf intellektueller Ebene könnte – es kommt gar nicht auf das Verstehen an. So stellte Dhun-Nun sofort eine Situation her. Er gab ihm seinen Ring mit den Worten:

„Nimm diesen Ring und geh zu den Marktständen da drüben.

Sieh zu, ob du ein Goldstück dafür bekommen kannst.“

Er konnte auf dem ganzen Markt keinen Händler finden,

der mehr als ein kleines Stück Silber dafür geboten hätte.

Der junge Mann kam mit dem Ring zurück.

„Und jetzt“, sagte Dhun-Nun,

„geh zum wirklichen Goldschmied und frag ihn,

was er zu zahlen bereit ist.“

Der Goldschmied bot eintausend Goldstücke für das Juwel.

Der junge Mann war hocherstaunt.

„Und nun mein Sohn“, sagte Dhun-Nun,

„zu deiner Einschätzung der Sufis:

Du verstehst gerade soviel davon,

wie die Krämer da drüben von der Goldschmiedekunst.

Wenn du Edelsteine schätzen willst,

musst du erst Goldschmied werden.“

Was genau ist der Punkt, den der Ägypter demonstrieren wollte? Dass der Sufismus kein Wissens-System ist. Man kann über ihn nichts lesen. Schriften sind keine Hilfe, Lehrer sind keine Hilfe, sie können zwar erklären, aber die eigene Erfahrung nicht ersetzen. Im Gegenteil, Lehren sind gewöhnlich dazu da, die eigene Erfahrung zu verhindern. Durch Erklärungen kann man alles wegerklären. Sie verhindern nicht nur die eigene Erfahrung, sondern werden zum Ersatz dafür. Auf diese Weise werden Gelehrte und Philosophen geboren.

Sufismus ist keine Wissenschaft. Er ist nirgendwo und bei niemandem erlernbar. Der Sufismus ist kein geborgtes Wissen, kein Informationsmaterial. Kein Lehrer kann ihn lehren. Wahrheit kann nicht gelehrt werden – sie ist Erfahrung. Sie ist nicht Wissen – sie ist Sein. Nicht etwas, das du erlernst, sondern etwas, das du wirst. Wer kann sie dir geben? Nur du selbst. Du kannst sie dir nur selber geben. Nur du selbst kannst dich zu einem Punkt bringen, wo du weißt, was Sufismus ist – es geschieht nicht durch Wissen, sondern durch Weisheit.

Den Unterschied zwischen Wissen und Weisheit dürft ihr nie vergessen. Wissen ist toter, angehäufter Kram; Weisheit ist ständige Bewegung. Weisheit lebt. Wissen ist tot. Weisheit ist dein wahres Sein. Wissen bleibt deinem wahren Sein immer fremd. Dein Wissen gehört allenfalls zu deinem Gedächtnis, und das Gedächtnis ist nichts als ein Bio-Computer.

Früher oder später werden die Technologen kleine Taschen-Computer entwickeln, die das Wissen aller Bibliotheken der Welt gespeichert haben. Dann brauchst du dir nichts mehr anzueignen, du drückst nur auf einen Knopf, und der Computer liefert dir die Information. Warum also fünfundzwanzig kostbare Lebensjahre in Schule und Hochschulen und Universitäten vergeuden, mit engstirnigen Lehrern und idiotischen Prüfern, die einem alles Mögliche eintrichtern? Das alles kann der Computer übernehmen. Und zwar wirksamer als jedes Gedächtnis, denn ein Computer ist etwas Totes, und Wissen auch. Es eignet sich mehr für Computer als für das menschliche Hirn. Das Hirn ist nicht so zuverlässig – irgendwie hängt es nämlich immer noch mit einem lebendigen Wesen zusammen, das Leben pulsiert auch in ihm. Und dies Leben ist ein Störfaktor.

Der Sufi-Weg

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