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2. Ein Patrouillenritt.

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Nach den Schlachten von Spichern und Wörth hatte die französische Armee ihren Rückzug so rasch angetreten, dass deutscherseits die Fühlung mit dem Feinde verloren gegangen war. Nun hieß es: Kavallerie vor! um die Fühlung wieder zu gewinnen. Bei der zweiten Armee des Prinzen Friedrich Karl war es hauptsächlich die fünfte Kavallerie-Division, Kommandeur General-Lieutnant v. Rheinbaden, welche, der auf die Mosel vorrückenden Armee weit vorauseilend, die wichtigsten Meldungen bringen konnte. Ihr schloss sich die Garde-Kavallerie-Division rühmlichst an, besonders die Garde-Ulanen-Brigade und die Garde-Dragoner, bei deren 2. Regiment ich als Einjährig-Freiwilliger diente.

Bei Dieulouard hatten wir die Mosel überschritten. In dem benachbarten Pont-à-Mousson hatte die Husaren-Brigade v. Redern ein französisches Infanterie-Bataillon vertrieben, das eiligst nach Metz abgedampft war. Die Husaren hielten Pont-à-Mousson besetzt, bis die nachrückende Infanterie erschien.

In Dieulouard befanden wir Garde-Dragoner uns auf dem äußersten linken Flügel. Kaum zwei Meilen von uns entfernt lag Nancy, drei Meilen vor uns die Festung Toul. Unter allen Umständen musste in Erfahrung gebracht werden, ob und wie stark die Umgebung jener Städte noch vom Feinde besetzt war. Unsere Schwadron ward zu einer Erkundung auf Toul bestimmt.

Mit vorgenommenen Sicherheitsmaßregeln und vorschriftsmäßigen Seitenpatrouillen nahten wir an dem herrlichen Augustmorgen die gut gehaltene Heerstraße entlang, welche sich durch das wellige Gelände windet und mit dem plötzlich nach Norden einbiegenden Lauf der Mosel gleichsam ein Dreieck bildet, dessen Grundlinie von Dieulouard im Norden und von Toul im Südwesten begrenzt wird. Unsere linken Seitenpatrouillen hatten Einblick in das grüne, anmutige Thal der Mosel, das sich bis Frouard hinzieht und sich nach Nancy zu erweitert, dessen Türme man in der Ferne schimmern sah. In dem schroff abfallenden Thal und den seitlichen, tiefeingeschnittenen Schluchten befinden sich viele Eisenwerke und Gruben. Kleine Dörfer schmiegen sich an die Bergrücken, deren Kuppen herrliche Buchenwälder krönen.

Munter trabten wir dahin. Ich befand mich bei der Spitze, welche unser jüngster Lieutenant führte; Rittmeister v. Trotha ritt vorne an der geschlossenen Schwadron. Die Einwohner der Dörfer, welche wir durchritten, sandten uns feindselige, finstere Blicke zu. Der Trompeter, welcher die Spitze begleitete, meinte: „Wenn wir nicht in solch stattlicher Anzahl erschienen wären, würden wir hier nicht weit kommen. Sehen Sie, Einjähriger, den schwarzen Kerl in Bluse und Zipfelmütze! Wenn der nicht der Hauptmann einer Franktireurbande ist, dann will ich selbst es werden!“

Lachend ritten wir weiter. Der Trompeter, Fritz Mahnert, war ein lustiger Bursche. Schelmisch blitzten seine blauen Augen unter den blonden Brauen hervor. Krauses, kurzes Lockenhaar umgab das frische Gesicht, ein kleiner Schnurrbart, zierlich emporgedreht, verlieh dem Antlitz einen kecken, übermütigen Ausdruck. Er war beliebt in der ganzen Schwadron.

„Sapristi,“ meinte der Trompeter nach einer Weile, listig mit den Augen nach einer Gruppe kräftig-schlanker Dirnen zwinkernd, welche sich scheu in einem Gärtchen an der Straße zusammendrängten, „allerliebste Mädel haben sie in Frankreich! Das muss man ihnen lassen“.

„Wenn das Ihre Braut hörte, Trompeter“, entgegnete ich lachend.

„Meine Braut — ah, meine kleine, süße Anne-Marie! — Einjähriger, versprechen Sie mir, meine Braut von mir zu grüßen, wenn ich falle.“ . . .

„Machen Sie sich doch keine Gedanken! Ich kann ebenso gut fallen, wie Sie! Sie werden Ihre Anne-Marie schon wieder sehen.“

„Ja, ja! Wie heißt es doch in dem Liede: Louise, wisch ab dein Gesicht — eine jede Kugel trifft ja nicht“ . . .

Piff — Paff! - Am Waldrande drüben krachten mehrere Schüsse und die Geschosse pfiffen uns um die Ohren.

Wir parierten die Pferde so scharf, dass sie fast auf den Hinterbeinen saßen.

Aus dem Walde brach plötzlich eine Patrouille feindlicher Chasseurs à cheval und jagte mit verhängten Zügeln das Wiesenthal entlang auf Toul zu. Die weißen Mäntel flatterten im Winde, die kleinen Berberpferde griffen tapfer aus.

Unser Lieutenant besann sich nicht eine Sekunde. „Marsch - marsch!“ kommandierte er und jagte mit geschwungenem Säbel der französischen Patrouille nach.

Wir folgten. Unsere Ostpreußen legten sich ins Zeug. Immer näher kamen wir den Jägern, deren kleine Berberschimmel nicht gegen unsere langbeinigen Ostpreußen aufkommen konnten. Plötzlich tauchte hinter einer Waldecke fast eine ganze feindliche Eskadron auf, welche sich mit lautem Geschrei auf uns stürzte. An eine Umkehr war nicht mehr zu denken. Wir mussten den Kampf mit der feindlichen Übermacht aufnehmen.

„Trompeter — zur Attacke geblasen!“

Hell schmetterte Fritz Mahnert das Signal in die Luft, um dann die Trompete auf den Rücken zu werfen und den Säbel zu ergreifen.

Wir schwenkten von der Straße ab auf den weichen Wiesengrund. Im nächsten Augenblick prallten wir mit den französischen Jägern zusammen.

Hei! das war ein lustig Reiten und Kämpfen auf dem grünen Wiesenplan. Blitzend fuhren die Klingen aneinander, wie funkelnde Schlangen. Die Pferde bäumten und wieherten hell, wie in froher Kampfesfreude.

Unser kleines Häuflein war umringt von der feindlichen Eskadron. Unwillkürlich kam mir der Gedanke, dass wir unterliegen müssten. Aber an ein Ergeben dachte Niemand. Unser Haupttrupp musste ja bald zur Stelle sein.

Fritz Mahnert hatte sich von den Feinden freigemacht. Er setzte die Trompete an und blies abermals zur Attacke.

Da antwortete eine Trompete, welche das Galoppsignal hören ließ: „Schenkel an, Schenkel an, lass ihn laufen, was er kann!“

„Hurra! Sie kommen!“ rief Fritz Mahnert und warf sich wieder in den dichtesten Haufen der Feinde.

Und jetzt brauste die Schwadron unter dem Rittmeister heran. „Schenkel an! Schenkel an! Lass ihn laufen, was er kann!“ rief nochmals die Trompete, um dann das Marsch-Marschsignal hinauszuschmettern.

Klirrend, rasselnd, prasselnd stürzten die Kameraden auf die erstaunten französischen Jäger. Nur wenige Augenblicke dauerte der Wirrwarr des Reiterkampfes, dann jagten die Chasseurs zurück, verfolgt von den wackeren Garde-Dragonern.

„Hurra! Hurra!“ rief Fritz Mahnert. „Drauf und dran, Einjähriger! Das ist eine lustige Jagd!“

Weiter ging das wilde Jagen. Einzelne Häuser und Gärten tauchten auf. Hinter denselben mächtige Wälle und Bastionen. Die Chasseurs preschten in die Dorfstraße. Wir hinterdrein! Schreiend, kreischend stob eine Schar spielender Kinder auseinander. Hunde fuhren wütend bellend auf uns los. Drohend streckten sich uns die Fäuste der Einwohner entgegen. . . .

„Fritz Mahnert, es hat zum Sammeln geblasen!“

„Wahrhaftig! Sie haben Recht!“

Er parierte seinen Schimmel und wiederholte das Signal. Wir ließen von der Verfolgung der Chasseurs ab, die hinter den Häusern des Dorfes verschwanden. Schnaubend schüttelten unsere Gäule die Köpfe, wie unwillig, dass sie die Verfolgung hatten aufgeben müssen. Ungeduldig scharrten sie den Boden und zerrten an den Zügeln. Der Schweiß rann ihnen von den heftig auf- und abwogenden Flanken, Das war eine wilde, tolle Jagd gewesen!

Der Rittmeister sammelte die Schwadron auf einem kleinen freien Platze und besprach sich mit seinen Offizieren.

„Sie, Einjähriger“, flüsterte mir Fritz Mahnert zu, „sehen Sie einmal da hinauf! Wenn die alten Burschen anfangen zu brummen, dann sind wir futsch!“

Er wies nach den Festungswällen, von denen die gewaltigen Geschütze ernst auf uns niedersahen. Wir befanden uns in der Tat in einer Vorstadt der Festung Toul. Keine tausend Schritt von dem Thore der Festung entfernt. Weshalb man uns von den Wällen der Veste nicht mit einigen Granaten begrüßte, begriff niemand von uns.

Der Rittmeister rief Fritz Mahnert und mich heran. „Die Festung scheint nur schwach besetzt zu sein“, sprach er und in seinem Auge blitzte es wagemutig auf. „Wollen einmal sehen, ob wir sie überrumpeln können. Herr Lieutenant, reiten Sie mit dem Trompeter und dem Einjährigen zum Festungsthor und fordern Sie den Kommandanten zur Übergabe auf.“

„Zu Befehl, Herr Rittmeister.“

Den Säbel eingesteckt, den Karabiner aber auf dem Schenkel, so trabte ich neben dem Offizier dahin, während Fritz Mahnert mit der Trompete in der Hand folgte.

Es war ein tollkühnes Unternehmen. Aber gerade seiner Tollkühnheit wegen konnte es gelingen. Der Kommandant konnte ja nicht wissen, ob wir nicht eine größere Truppenmacht hinter uns hatten.

Heute wäre ein solches Unternehmen nicht mehr möglich, da die Festung durch einen Kranz starker Außenforts umgeben ist.

Überrascht, erstaunt sahen uns die Einwohner der Vorstadt starren Auges nach. Sie begriffen offenbar nicht, dass eine so kleine Schaar Reiter es wagen konnte, eine starke Festung anzugreifen.

Wir passierten die steinerne Moselbrücke und näherten uns dem Festungsthor.

Fritz Mahnert hatte eine Latte aus einem Gartenzaun gerissen, das weiße Taschentuch des Lieutenants daran befestigt und ritt mit dieser Fahne als Parlamentär vor das Thor. Hell und klar schmetterte er sein Signal in die laue Sommerluft.

Eine kleine Seitentür öffnete sich. Umgeben von einigen Offizieren trat der Kommandant der Festung, ein graubärtiger finster dreinblickender Kolonel, auf die Brücke. Unser Lieutenant sprang aus dem Sattel und militärisch grüßend näherte er sich dem Kolonel, sein Pferd am Zügel führend.

„Ich habe die Ehre“, sprach er, „den Kommandanten der Festung Toul vor mir zu sehen?“

„Oui, monsieur! Que voulez-vous?“

„Ich bringe die Aufforderung, die Festung unseren Händen zu übergeben und bin beauftragt, mit dem Herrn Kommandanten über die Bedingungen der Übergabe zu unterhandeln“. . .

Ein finsteres Lächeln zuckte über das verwitterte Gesicht des alten Soldaten.

Dann maß er den jungen Dragoner-Lieutenant, der ihm so keck ins Antlitz schaute, mit düsterem Auge vom Scheitel bis zur Sohle.

„Repassez une autre fois“1, entgegnete er trockenen Tones und wandte sich ab, dem Thore wieder zuschreitend, das sich krachend hinter den französischen Offizieren schloss.

Unser Lieutenant lachte hell auf. „Alter Brummbär“, rief er auf Deutsch und sprang in den Sattel, indem er uns zurief: „Na, dann nur fix wieder zurück!“

Wir galoppierten zurück. Plötzlich krachte über uns der Donner eines schweren Geschützes und weckte das Echo der nahen Berge.

„Alle Wetter, jetzt machen sie Ernst“ rief Fritz Mahnert und brachte seinen Schimmel wieder in ruhigen Gangart, der erschreckt durch den Schuss davonstürmen wollte.

„Der Schuss schien aber nicht nur das Echo der Berge, sondern auch die Bewohner Touls und der Vorstadt aus ihrer Untätigkeit und Überraschung geweckt zu haben. Drohende Haufen versperrten uns den Weg.

Steine wurden auf uns geschleudert und plötzlich krachten einige Gewehrschüsse in einem nahen Garten, dass uns die Geschosse um die Köpfe sausten.

„Elende Gesellschaft! Auf Parlamentäre zu schießen! Vorwärts! Vorwärts!“

Überall knatterte jetzt Kleingewehrfeuer. Aus den Häusern! Aus den Gärten! Hinter Mauern und Hecken!

Mitten hinein in einen Haufen lärmender, tobender, drohender Männer sprengten wir. Fritz Mahnert blies das Attacke-Signal. Dann hieben wir mit den flachen Klingen! drein.

In der Ferne hörten wir Schüsse. Unsere Eskadron musste ebenfalls angegriffen sein. Trotzdem kam uns ein halber Zug zur Hilfe entgegen.

Aber immer mehr sammelte sich die Menge an. Immer bedrohlicher wurde unsere Lage. Die flachen Klingen nutzten nichts mehr; wir hieben scharf zu und machten von unseren Karabinern Gebrauch. Wir wären in diesem uns ungünstigen Straßenkampf erlegen, wenn der Bevölkerung von dem Kommandanten der Festung militärische Hilfe geschickt worden wäre. Aber der alte Kolonel schien unsere Eigenschaft als Parlamentär zu respektieren. Er sandte keine Soldaten und auch das Feuer der Geschütze auf dem Walle ward eingestellt.

So schlugen wir uns denn bis zum Ausgang des Dorfes durch. Hier sammelte sich nochmals die Menge. Aber jetzt waren wir im Vorteil, da wir freies Feld vor uns hatten. Wie Spreu vor dem Winde zerstob die Bande, als wir zur Attacke anritten.

Hinter einer Waldecke sammelte der Rittmeister die Schwadron. Mehrere Dragoner fehlten.

„Trompeter, zum Sammeln blasen!“

Fritz Mahnert setzte die Trompete an die Lippen.

„Um Gotteswillen, Mahnert, was ist Ihnen?“ Er war totenblass; er schwankte im Sattel, aus einer Brustwunde sickerte Blut über den hellblauen Waffenrock. Aber er blies — blies zum Sammeln und dann die ersten Töne der Abendretraite . . .

Dann sank ihm die Trompete aus der Hand; er neigte das Haupt und fiel seitwärts aus dem Sattel.

Ich war vom Pferde gesprungen, fing ihn auf und ließ den braven Kameraden sacht auf den grünen Rasen gleiten.

„Vorbei — vorbei — — — grüße meine Anne-Marie . . . vorbei . . .“

In lautloser Stille hielt die Schwadron. Der treue Schimmel des Trompeters streckte schnobernd den Hals nach seinen Herrn aus . . . noch einmal schlug Fritz die Augen auf:

„Grüße — meine — Anne-Marie . . .“

Sein Blick ward glasig . . . er streckte sich . . . ein leises Beben ging durch seine Glieder . . . ein tiefer Seufzer . . . es war vorbei . . .

Mehrere Dragoner hatten leichte Verwundungen davongetragen, Fritz Mahnert, der lustige Trompeter, war der einzige Tote. Am Waldesrand betteten wir ihn unter dem grünen Rasen. Im raschen Trabe ging es dann nach Dieulouard zurück. Ich führte den ledigen Schimmel des wackeren Trompeters am Zügel. Zuweilen wieherte das Ross laut auf, als riefe es seinen toten Herrn. — — — .

1 „Kommt ein anderes Mal wieder.“

Kriegserinnerungen aus 1870/71

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