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3. Kapitel

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Inhaltsverzeichnis

Ein lauwarmes Bad schwemmte den Reisestaub des »Jagdgastes« ab. Frische Wäsche knisterte um die neugestärkten Glieder. Noch einmal fuhr die Hand prüfend über das Kinn. Eine leichte Wolke Puder stäubte vor dem geschlissenen Spiegel des in weiß und gold gehaltenen Gastzimmers auf.

Zierliche, bequeme Korbstühle standen in dem Frühstückszimmer, in dem kurz darauf die beiden Freunde sich gegenübersaßen, den Rücken an bunt gestickte Kissen gelehnt. Halbseits von ihnen ein Teewagen mit blinkendem Silbergeschirr. Auf dem Boden ein weicher Teppich in hellen, freudigen Farben. Die Wände zierten künstlerische Aquarelle in weißen Rahmen. Holztäfeleien an den Fenstern verliehen der Meterdicke der Mauern Zierlichkeit. Der ganze Raum atmete Behagen. Man merkte, daß Frauenhände hier eine gewisse Rolle spielten.

»Zunächst: wie geht es der hochverehrten Gnädigen?« leitete Dr. Cornelius die Unterhaltung ein und nahm dankend die vom Freunde gebotene Zigarette.

»Danke, es macht sich,« erwiderte der ehemalige Offizier und fuhr sich mit einer nervösen Handbewegung über die Stirn, die ein schmaler Verband deckte. »Du wirst sie zum Tee begrüßen können. Sie pflegt sich nach Tisch immer hinzulegen, zumal bei dieser tropischen Hitze.«

Die Jalousien waren zum Schutze gegen die noch immer sengenden Sonnenstrahlen herabgelassen. Auf den zartgestickten Vorhängen zeichneten sich schmale, hell glänzende Streifen ab. Sie erschienen dem Auge wie wagrechte, stehende Blitze und blendeten bei längerem Hinsehen.

»Und die Schwiegereltern?«

»Hm ja, das ist nicht mit einem Worte zu sagen. Der alte Herr ist seit jenem Novembertage, an dem sie aus dem Dorfe hier heraufgezogen kamen, innerlich gebrochen. Will sich's allerdings nicht merken lassen. Ist wohl zu stolz dazu. Aber einen Knacks hat's doch gegeben. Ich kam im Februar gerade noch zur rechten Zeit, um einigermaßen erträgliche Beziehungen wieder herzustellen. Wir brauchten doch Arme zur Frühjahrsbestellung. So spielte ich denn den Parlamentär und vermittelte.«

Er lachte etwas gezwungen und griff nach einer Likörflasche, die auf dem Teetischchen stand.

»Danke, ich nicht,« lehnte Cornelius ab, »wenn ich aber um ein Glas Wasser bitten dürfte.«

»Na, na!« machte der andere gähnend und schenkte sich ein Gläschen ein.

»Sag mal, hast du nicht auch eine Schwägerin? Mir ist doch so ...«

»Das Gör ist abgeschoben zu Verwandten. Uebrigens: Prost!«

»Alkohol bei deiner schweren Verwundung?« Cornelius hob sein Glas Wasser mit spöttischem Lächeln.

»Ach, die Schramme! Das ist das wenigste. Der alte, dumme Kopf hält noch mehr aus. Aber die Nerven, die Nerven! Das ist die Chose.«

Seine Hand zitterte leicht, als er sich ein zweites Glas einschenkte.

»Da wollen wir das Gift lieber einmal ein bißchen beiseite stellen,« sagte der Freund, ernst geworden, und nahm die Flasche weg, »du bist doch nicht etwa böse?«

Hintzes Gesicht, das sich einen Augenblick betroffen verzogen, hellte sich sofort wieder auf. Er lachte, doch etwas erzwungen. »Böse, i keine Spur. Ich war nur verblüfft, mein Lieber, daß mein Herr Gast mir in der ersten halben Stunde den Sorgenbecher aus der Hand zu winden beliebte. Na ja, wenn ich dich nicht so gut kennen würde. Das hat nicht einmal meine Gisa fertig gebracht ...«

»Verzeih' einen Augenblick: wer im Hause weiß von meiner Mission?«

»Nur mein Schwiegervater und ich ...«

»Deine Frau nicht?«

»Es ist besser so. Frauen halten doch nicht dicht.«

»Nicht sehr ehrerbietig!«

»Erfahrung, mein Lieber! Sei erst einmal geheuratet ...«

»Das liegt noch im weiten Felde, spreche ich mit Fontane. Uebrigens: noch nichts in Sicht bei euch? Ich meine: Erbe und so?«

»Das liegt noch im weiten Felde, paßt auch auf dieses Kapitel.«

»Schade!«

»Schade!«

Beide schwiegen einen Augenblick. Der Offizier stäubte nachdenklich die Asche seiner Zigarette an dem Rande der schweren, dunkelgrünen Malachitschale ab. Cornelius beschloß, ihn von anscheinend trüben Gedanken abzubringen.

»Doch nun zu heiteren Bildern. Euer Gespenst ...?«

»Heiter is jut. Bei der Beule ... Immerhin höre:« Er rückte seinen Stuhl näher zu dem Freunde heran und erzählte mit halblauter Stimme die Vorgänge, die sich zwei Tage zuvor in diesen Mauern abgespielt hatten.

Danach hatte er die Gewohnheit, vor dem Schlafengehen noch ein Stündchen frische Luft auf dem Turme, der sich über dem linken Flügel in die Luft reckte, zu schöpfen. »So stieg ich denn stets gegen Mitternacht auf das alte Ding, an dem der berühmte Zahn der Zeit feste geknabbert hat. Der ganze Bau soll in das 16. Jahrhundert zurückreichen. Doch das nur nebenbei. Nach der Plattform führt natürlich eine Treppe. Weißt du, so eine hübsche alte, mit morschen, quietschenden Stufen. Weiß der Himmel, weshalb mein verehrter Schwiegerpapa nicht schon längst ein paar Mark hineingesteckt hat, um den Aufgang zurecht zu möblieren. Sonst ist er wirklich nicht knauserig. Na, also wo war ich denn gleich stehen geblieben? Richtig: quietschende Treppe. Nach ein paar Stufen kommt zur linken Hand eine kleine Tür ...«

»Die in das Spukzimmer führt.« Der Zuhörer brannte sich eine neue Zigarette an.

»Sehr richtig geraten. Wer woher weißt du?«

»In Turmzimmern spukt es immer. Ich habe doch die Tante Marlitt noch im Kopfe. Und was enthält dieses Zimmer? Wird es irgendwie benutzt?«

»Nie. Ich habe mich genau danach erkundigt. Eine uralte Einrichtung. Stets verschlossen. Der große, verschnörkelte Schlüssel hängt im Arbeitszimmer meines Schwiegervaters. Hing auch vorgestern dort. C'est tout!«

»Gut, genügt vorläufig. Weiter!«

»Ja, nun kommt der Punkt, der schwierige, schmerzhafte. Am Dienstag wollte ich auch wieder diese Treppe hinaufklettern. Es war schon ziemlich spät ...«

»Kannst du nicht die Zeit genauer angeben?«

»Diesmal war es etwas später geworden als sonst. Wohl gegen ein Uhr. Wir hatten unten noch eine Pfirsichbowle getrunken, waren riesig vergnügt. Lächle nicht so infam, Spötter! Du weißt, ich kann eine ganze Menge vertragen. Der alte Herr hatte irgend eine gute Nachricht erhalten und war äußerst aufgeräumt. Solche Stunden sind selten, und so faßte ich die Gelegenheit denn beim Schopfe. Nachher hatte ich mit Gisela noch ein Weilchen in ihrem Schlafzimmer geplaudert und dann, ja dann passierte die Geschichte.«

Er warf einen schnellen Blick nach der Likörflasche. Cornelius sah aber an ihm vorbei.

»Hm ja. Als ich die erste Stufe betrat, machte diese vorschriftsmäßig: »Quietsch!« In demselben Augenblick vernahm ich in dem Turmzimmer ein Geräusch ...«

»Welcher Art?«

»Eben irgend ein Geräusch. Sagen wir einmal, wie wenn jemand an ein Möbelstück stößt. Nanu! dachte ich bei mir, wer hat denn hier oben noch so spät herumzukrauchen? Tatsächlich, als ich die nächste Biegung passiert hatte, sah ich, daß ein Lichtstrahl auf die Treppe fiel. Die Tür stand auf. Ein Lichtstrahl, sage ich. Nicht sehr hell, aber doch so, daß man die Stufen erkennen konnte. Es war ein grünliches Licht, so daß ich zuerst an Mondschein dachte. Stimmte aber nach dem Kalender nicht. Ein alter Jäger weiß das aus dem Kopfe. Also doch ein Mensch! Und ich sah ihn auch ...«

Er hielt mit einem Male inne. Seine Stimme war bei den letzten Worten heiser geworden.

»Also ein Mensch und kein »Geist«.« Cornelius lehnte sich lächelnd zurück.

»Spotte nicht! Mir war wirklich nicht lächerlich zumute. Du weißt, ich habe im Felde manches erlebt, warst ja auch meist dabei. Wenn wir so in den Gräben und Trichtern lagen und der Tod uns in mancherlei Gestalt umtanzte, – ich habe nie gezittert. Auch damals nicht, als wir seiner Zeit am Kemmel zwischen stöhnenden Verwundeten, zwischen Leichen kampierten, und der Mond die verzerrten Gesichter grün erscheinen ließ. Man war doch immerhin unter Menschen, wenn auch die meisten ausgelitten hatten, und man freute sich, daß das eigene Herz noch ganz munter klopfte.

Aber so zu Hause, im sicheren Heim, wo man gerade in der sonstigen Ruhe aus Gegensätzlichkeit bei jedem unerwarteten Geräuschs zusammenschrickt, vielleicht ist es die berühmte Reaktion nach den verdammten vier Jahren draußen, na kurz und gut, wenn man da in einer friedlichen Nacht auf einmal auf ein Wesen stößt, von dem man nicht weiß, ob Fleisch und Blut oder nicht doch ein Wesen aus einer anderen Region ...«

»Nanu, nanu!« beruhigte der Zuhörer den Aufgeregten und holte die Kognakflasche herüber, »da! Vielleicht hilft das.«

»Danke, du bist ein Engel. Ekelhaft, diese Aufregungszustände! Ein Wesen aus einer anderen Region, sagte ich. Stelle dir einen kleinen, mageren Kerl vor, der mitten im Zimmer stand. Seine Glieder umschlotterte ein altmodisches Gewand. Ein goldgesticktes Wams. Ueber die rechte Schulter hing ihm ein dunkelroter Mantel. Auf dem alten, wackligen Kopfe ein Barett mit langer Feder. Das blasse, bartlose Gesicht hielt er unverwandt auf mich gerichtet. Schwarze, stechende Augen blickten mich durchbohrend an. Und um den greisenhaften Mund zuckte ein höhnisches Lächeln. Dies ganze unheimliche Bild war umflossen von jenem rätselhaften, grünlichen Lichte, dessen Quelle ich nicht erraten konnte.«

Ein, zwei Sekunden muß ich vor Schreck erstarrt auf dem Treppenabsatze gestanden haben. Dann löste sich meine Lähmung. Ich mußte doch irgend etwas tun. Mit einem Anlaufe wollte ich in das Zimmer springen, um mit meinen festen Händen mich zu überzeugen, ob ich wachte oder ob es nur eine Täuschung meiner geblendeten Augen war. Da passierte das, was mir noch heute ein inneres Schütteln verursacht. Kurz und gut: ich erhielt einen furchtbaren Schlag gegen die Stirn. Helle Funken sprühten vor meinen Augen, und ich stürzte besinnungslos zu Boden. Erst in meinem Zimmer kam ich wieder zu mir. Mein lauter Aufschrei muß das ganze Haus alarmiert haben. Was sagst du nun dazu?«

»Eine Frage: hängen in diesem Zimmer irgend welche Bilder?«

»Eines nur, das Bild eben jenes Mannes, den meine Augen sahen ...«

»Ha!«

»Weshalb: ha?«

Dr. Cornelius lehnte sich zurück und sagte trocken:

»Die Pfirsichbowle!«

Der andere stutzte einen Augenblick. Dann fuhr er von seinem Stuhle auf, äußerst gereizt.

»Erlaube mal, mein Kopf!«

»Türen haben Balken, lieber Curt! Feste, dicke Balken ...« Er war ebenfalls aufgestanden und machte einen Schritt nach der Tür.

»Wohin willst du?«

»Wieder nach Berlin. Es geht gerade noch ein Zug heute abend ...«

Der Hauptmann vertrat ihm den Weg. Er sah dem Spötter in die Augen. Die seinigen waren klar, wenn auch tieftraurig.

»Das hätte ich nicht von dir gedacht. Ich könnte trotz der guten Freundschaft verflucht eklig werden, wenn ich es jetzt am Platze hielte ...«

Die Hand des anderen sank langsam von der Klinke, die sie schon erfaßt hatte.

»Du hast mich noch nicht zu Ende gehört. Ich bin weder ein Säufer, zu dem du mich anscheinend stempeln möchtest, noch leide ich an Halluzinationen. Die Sache ist toternst. Meine Sinne und Augen waren in jener Nacht so nüchtern und scharf, wie sie es jetzt sind. Und so weiß ich genau, daß ich den Schlag, der mich zu Boden streckte, erhielt, bevor ich Schwelle und Türpfosten erreicht hatte. Man fand mich zwei Meter von der Tür entfernt ...«

Der andere stutzte und nahm wieder Platz.

»Das ändert die Sache. Der Mann im Zimmer hatte eine Bewegung gemacht? Ausgeholt ...?«

»Nicht doch. Seine Hände hingen leer herunter.«

Cornelius hob überrascht den Kopf. »Befindet sich im Schlosse eine elektrische Lichtanlage?«

»Nur Gas.« Wieder stutzte der Frager. »Deine Verwundung, bitte!«

Hintze nahm den Verband ab, und Cornelius prüfte sorgfältig seine Stirn, auf der in der Mitte eine etwa zwei Taler große, noch frische Wunde sich befand.

Mit einem Male pfiff er leise vor sich hin.

»Ich bleibe. Verzeih' mir die »Pfirsichbowle« von vorhin. Ich tat dir Unrecht ... Doch nun das Turmzimmer!«

Das Gespenst

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