Читать книгу Gastfreundschaft in der Antike und im frühen Christentum - Otto Hiltbrunner - Страница 10
5. Alttestamentliche Beispiele orientalischer Gastregeln
ОглавлениеDie bekanntesten Beispiele für vorbildliche Erfüllung wie für verabscheuenswerte Verletzung des Gastrechts bietet das Alte Testament.
Abraham (Genesis 18) hat sein Zelt in der Nähe von Hebron beim Hain Mamre aufgeschlagen. In der Mittagshitze sieht er drei Männer, eilt ihnen entgegen, neigt sich ehrerbietig und bittet sie, seine Einladung anzunehmen. Er verspricht zum Empfang die Fußwaschung und Brot, zu essen unter dem Schatten des Baumes. Seine Frau weist er an, frisches Brot zu bereiten, eilt zur Herde und lässt ein Kalb schlachten. Brot, Butter, Milch und der Braten werden den Gästen zu ihrer Ehre gereicht. Diese kennen seinen größten Wunsch; sie fragen nach seiner Frau und verheißen ihm, er werde, wenn sie ihn übers Jahr wieder besuchen kämen, mit ihr den ersehnten Sohn haben, der den Fortbestand seines Stammes sichert. Nach dieser Segenshoffnung gibt Abraham ihnen zum Abschied das Geleit.
Abrahams Neffe Lot (Genesis 19) wohnt in der Stadt Sodom. Er wartet am Stadttor und bittet die abends ankommenden zwei Fremden, in seinem Haus über Nacht zu bleiben. Auch hier die ehrerbietige Verneigung und das Angebot der Fußwaschung. Die Fremden lehnen zunächst ab; doch weil wegen der sündigen Einwohner der Stadt eine Übernachtung unter freiem Himmel zu gefährlich ist, geben sie dem Drängen Lots nach. Er lässt frisches Brot backen und bewirtet sie. Vor der Nachtruhe belagern die Sodomiter das Haus und fordern die Herausgabe der Gäste, um sie zu vergewaltigen. Lot muss sie schützen; er geht so weit, an ihrer Stelle seine zwei jungfräulichen Töchter anzubieten. Darauf bedrohen die Sodomiter Lot selber, der als Fremder in der Stadt lebt. Die Gäste, es sind Engel mit übernatürlicher Macht, ziehen Lot ins Haus zurück, und die Tür bleibt den Anstürmenden verschlossen. Zum Dank für seine bis zum Äußersten bereite Erfüllung der Gastgeberpflicht wird Lot mit den Seinen gerettet. Die Gäste geben ihm den Rat, zu fliehen, bevor die Stadt zur Strafe vernichtet wird.
Eine Parallele zur Lot-Geschichte stellt der Bericht von der Schandtat der Benjaminiter dar (Richter 19). Ein Levit mit seinem Weib ist bei Einbruch der Nacht noch unterwegs. Sein Diener schlägt vor, die nächstgelegene Stadt der Jebusiter aufzusuchen. Der Herr lehnt ab: Nicht kehre ich ein in die Stadt von Fremden, die nicht den Söhnen Israels gehört. Sie ziehen weiter zur Stadt Gibea, wo ihnen aber die Bürger, Angehörige des Stammes Benjamin, das Obdach verweigern. Ein vom Feld heimkehrender Greis vom Stamme Ephraim, der als Nichtbürger in Gibea wohnt, findet den Leviten vor dem Tor und nimmt ihn auf, nach gebotener Sitte mit Fußwaschung, Bewirtung und Fütterung der Lastesel. Auch hier bestürmen die Benjaminiten das Haus und verlangen die Freigabe des Gastes, auch ihnen wird die Auslieferung der Tochter des Gastgebers angeboten. In der Not gibt schließlich der Gast sein Weib heraus. Er findet sie am Morgen geschändet und tot auf der Schwelle vor der Tür. Die Strafe ist ein Rachefeldzug aller übrigen Stämme Israels gegen den Stamm Benjamin.
Auf der Brautfahrt für Abrahams Sohn Isaak (Genesis 24) bittet der Führer der Karawane die Wasser holende Rebekka um einen Trunk. Er wird allen, auch den Tieren, gewährt, ebenso das Obdach, die übliche Fußwaschung und das Essen, nachdem der Brautwerber darum gebeten hat, sein Anliegen vorzutragen, und Brautgaben sowie Gastgeschenke überreicht hat.
Unter besonderen Umständen (Genesis 43) findet die Begegnung Josephs in Ägypten mit seinen ihn nicht erkennenden Brüdern statt, weil dabei ägyptische und israelitische Verhaltensregeln zusammenstoßen. Josephs Hausverwalter empfängt die fremden Händler, die angeben, Korn kaufen zu wollen, mit Obdach für Menschen und Lastesel und mit Fußwaschung. Als Joseph kommt, werden die mitgebrachten Geschenke überreicht, er wiederum erkundigt sich nach dem Vater der Reisenden. Das Essen jedoch muss getrennt stattfinden. Die ägyptischen Diener dürfen nur getrennt von den Fremden aus Kanaan essen, der Israelit Joseph, der zugleich Bevollmächtigter des ägyptischen Herrschers ist, speist allein, und die isolierte Gruppe der angekommenen Fremden wird abseits bewirtet; doch es werden ihnen Speisen vom Tisch Josephs als Ehrengaben hinübergeschickt.
Es finden sich in den exemplarischen Erzählungen des Alten Testaments wieder dieselben Wahrzeichen des gesitteten Umgangs mit dem Fremden, wie sie die Viererregel enthält. Zur Erwähnung des Feuers fehlt der Anlass. Wasser dient als Trunk und, soweit nicht der Wassermangel in der Wüste entgegensteht, zur Fußwaschung, die im Orient bis heute als symbolische Handlung üblich ist, während in nördlichen Gegenden der Wanderer normalerweise seine Fußbekleidung nicht ablegt. Der biblische Erzähler verzichtet nicht darauf, obwohl in der Wüste Wasser ein höchst kostbares Gut ist. Das Geleit beim Abschied ist ein vollgültiger Ersatz für die Weisung des Weges. Obdach wird nicht erst auf Bitten des Fremden gewährt; die Initiative geht oft vom Gastgeber aus, der damit Ehre vor den Menschen und göttliches Wohlwollen gewinnt. Äußerst wichtig ist die bis ins Extrem gesteigerte Schutzpflicht des Hausherrn für seinen Gast. Es ist kein Zufall, dass sich der verräterische Mord eines Gastgebers am Gast nicht zwischen Israeliten abspielt, sondern zwischen kanaanitischen Stämmen, begangen von einer Frau (Richter 4,17–22): Sisara, der Feldherr des Kanaaniterkönigs Iabis, vernichtend geschlagen von dem israelitischen Heerführer Barak, entfloh zu Fuß in die Hütte der Jaël, der Frau des Kineiten Aber. Denn es bestand Frieden zwischen Iabis und dem Hause des Kineiten Aber. Und Jaël trat heraus zum Empfang des Sisara und sprach zu ihm: Geh beiseite, mein Herr, beiseite zu mir her, fürchte dich nicht! Und er ging abseits zu ihr in ihre Hütte, und sie versteckte ihn in ihrem Wandvorhang aus Tierfellen. Und Sisara bat sie: Gib mir etwas Wasser zu trinken, ich bin durstig geworden. Und sie machte den Milchschlauch auf und gab ihm zu trinken; dann deckte sie sein Gesicht zu. Und er sagte zu ihr: Stelle dich an die Tür der Hütte, und wenn es sein sollte, dass einer zu dir kommt und dich fragt mit den Worten: Ist da ein Mann?, dann wirst du sagen: Es ist keiner da. Und sie deckte ihn zu mit dem Fellvorhang. Dann nahm Jaël, die Frau Abers, den Türriegel der Hütte und fasste den Schmiedehammer in ihre Hand; dann schlich sie leise zu ihm hinein, schlug ihm den Riegelstab durch die Schläfen, durch und durch bis in den Boden, und er krümmte sich zwischen ihren Knien, hauchte sein Leben aus und starb. Und siehe, da war Barak auf der Verfolgung Sisaras, und Jaël trat heraus, um ihn zu begrüßen, und sprach zu ihm: Komm her, und ich zeige dir den Mann, den du suchst. In ihrem Siegeslied feiert die Prophetin Debora (Richter 5,24) Jaël als Heldin, weil ihre Tat den gefährlichen Feind Israels beseitigt hat. Das Alte Testament stellt in diesem Fall die Schuldfrage nicht. Die fremdstämmige Mörderin Jaël ist auch nicht vergleichbar mit der israelitischen Mörderin und Heldin Judith. Judith ist nicht die Gastgeberin, sie opfert sich auf für ihr bedrängtes Volk, und ihr Opfer, der Feldherr Holofernes, verschuldet selbst seinen Tod, weil er die Feindin nicht zurückweist, sondern, geblendet von seiner Leidenschaft, sie zu sich einlässt.
Zur alttestamentlichen Gastlichkeit gehört auch die Bewirtung mit Brot und Speisen. Sie geht über die Viererregel, die ausnahmslos für alle gilt, hinaus, denn sie ist abhängig von der Leistungsfähigkeit des Gastgebers. Doch kommt gerade dem Brot in der Gastsitte eine hohe Symbolkraft zu, die es bis heute bewahrt, als ein Zeichen der über das unumgänglich Nötige hinausgehenden Menschenliebe.
Bemerkenswert ist die deutliche Abstufung in Grade der Nähe. Die Sprache unterscheidet klar zwischen dem ausgegrenzten Fremden, nakri oder zar, mit dem man nichts gemeinsam hat, und dem mitten unter den Israeliten wohnenden ger, dem Niederlassung und manche Rechte eines friedlichen Einwohners zustehen. Dabei betrachten sich die Nachkommen eines jeden der zwölf Söhne Jakobs als eigenständige Sippe. Im Bewusstsein dieser Abstufung weigert sich der Levit (Richter 19,12), eine nicht israelitische Stadt überhaupt zu betreten, in der Stadt eines anderen israelitischen Stammes, des Stamms Benjamin, erwartet er gastliche Aufnahme, wird aber enttäuscht, sogar Opfer von Ausschreitungen. Die fremdenfeindliche Abschottung verhärtet sich nach der Erfahrung des babylonischen Exils. Noch in der Apostelgeschichte (10, 28) ist der Apostel Petrus sich bewusst, ein jüdisches Gebot zu übertreten, als er zu dem römischen Centurio Cornelius gerufen wird: Ihr wisst, sagt er zu den im Haus Versammelten, dass es einem Juden verboten ist, sich mit einem Heiden näher einzulassen oder zu ihm ins Haus zu gehen.
In hellenistischer Zeit warnt das Buch Sirach (11,35): Nimm einen Fremden zu dir ins Haus und das Durcheinander ist da. Du bist nicht mehr Herr im eigenen Hause. Gewarnt wird aber ebenso vor der entgegengesetzten Situation des Obdachsuchenden (29,24 ff.): Von Haus zu Haus ziehen, das ist ein böses Leben, und wo du bloß mitwohnst, darfst du deinen Mund nicht aufmachen. Du wirst die Leute speisen und tränken ohne Dank und dir obendrein noch bittere Worte anhören müssen: Komm her, wenn du schon hier bei uns wohnst, deck den Tisch, und wenn du was dabei hast, gib die Leckerbissen her. Oder: Pack dich, Fremder, mach Platz für einen Würdigeren als du! Oder: Mein Bruder kommt zu Besuch, ich brauche das Haus. Schwer drückt es einen Mann, der Verstand hat, dass ihm das Obdach vorgeworfen wird.