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Reise nach Japan – April 1908

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N8/5 Briefnummer 104 – transkribiert von Bernd Liebig

An Bord des Postdampfers „AUSTRALIEN“, 17. April, 1908, Karfreitag

…Ehe ich Deine lieben Briefe No.82 u. 83 beantworte, will ich Dir erst in kurzen Zügen meine bisherige Reise schildern. Viel Neues gibt´s ja hierbei nicht zu erzählen, aber ich weiß doch, mein Liebstes, dass Du an allem, was ich erlebe, stets sehr reges Interesse hast und somit auch einen Anspruch auf einen getreuen Reisebericht erheben kannst.

Am Dienstag, dem 14. abends 6 Uhr, fuhr ich mit dem Dampfer „ADMIRAL VON TIRPITZ“ von Tsingtau nach Shanghai. Der Dampfer kam von Chefoo und hatte Reisende aller Nationen für Shanghai an Bord. Wegen der ziemlichen Sauberkeit erfreuen sich auch hier an der chinesischen Küste die deutschen Dampfer ganz besonderer Beliebtheit bei den Ausländern. So ging z. B. ein englischer Dampfer gleichzeitig mit uns fort, ohne auch nur einen einzigen Passagier an Bord zu haben, während das englische Element unter den Passagieren des deutschen Dampfers vorherrschend war. Vor der Abfahrt konnte ich einen kleinen Vorgeschmack bekommen, wie jemandem zu Mute ist, der Tsingtau verlässt, um nach Hause zu fahren. Mit mir zusammen fuhren ein Intendanturrat und ein Rechtsanwalt von Tsingtau fort, um nach Deutschland zurückzukehren. Wie bei allen derartigen Abschieden war auch diesmal die gesamte Kolonie versammelt, um den Scheidenden Lebewohl zu sagen. Feuerwerk, Kanonenschläge kurzum, alles war vertreten. Da die meisten Anwesenden auch mich kannten, nahm auch ich gerührt Abschied, als ob ich nie wieder nach Tsingtau zurückkehren sollte, und dabei bin ich in drei Wochen wieder dort. Ich hatte somit eine nette Reisegesellschaft an diesen beiden Herren, die ich sehr gut kenne. Wir waren stets zusammen, spielten dann und wann einen kleinen Skat, so dass uns die Zeit recht schnell verging. Ich wohnte in einer Kabine mit einem Franzosen aus Chefoo zusammen. Jedoch sprachen wir nur gelegentlich in der Kabine mit einander. Er war ein etwas komischer Kerl. Am Donnerstag den 16. früh kamen wir in Shanghai an und fuhren nach Ankunft zusammen an Land. Ich ging mit den beiden genannten Herren ins Astor- Haus = Hotel, wo wir in drei nebeneinander liegenden Zimmern logierten. Die beiden Herren wollen über Sibirien nach Hause fahren.

Nun hieß es für mich, den nächsten fälligen Dampfer nach Japan ausfindig zu machen; denn da ich naturgemäß bei einer solchen Dienstreise nicht unnötig an einem Platze bleiben darf, musste ich den nächsten Dampfer wählen. So befinde ich mich denn auf dem französischen Postdampfer „AUSTRALIEN“

von der Reederei „Messageries Mairtimes“, der gestern von Marseille in Shanghai ankam und heute Vormittag 11 Uhr weiterfuhr. Ich bin, soweit ich es übersehen kann, der einzige deutsche Passagier in der I. Klasse unter lauter Franzosen und einigen Engländern. Der Zufall wollte es, dass der „PRINZREGENT LUITPOLD“ ebenfalls auf Reede lag. Er war gerade von Japan gekommen. Die AUSTRALIEN ist sehr nett eingerichtet und bedeutend größer, als der PRINZREGENT. Meine Kabine, in der ich allein wohne, ist ebenfalls sehr groß. Große freie Promenadendecks mit Mahagoni-Holzaufbauten und kleineren Salons gewähren einen recht anheimelnden Anblick. Zunächst ist der große Speisesalon, wo ich augenblicklich sitze, sehr geschmackvoll eingerichtet. Zwischen den großen Fenstern sind schöne Majolikagemälde angebracht. An den Längsseiten ziehen sich mit Seide gepolsterte Sofas hin. Große und kleine Tische umstehen ebenso gepolsterte Drehsessel und eine geradezu verschwenderische elektrische Beleuchtung schmückt die Decken. Außer dem großen Speisesaal ist ein besonderer Musiksalon hier, ferner ein Lesezimmer, ein Damensalon und ein Rauchzimmer, für die I. Klasse. Das Billet Shanghai – Kobe kostet 77 Dollar (rund 150 Mark). Ob die so berühmte französische Küche ihrem Ruf Ehre machen wird, kann ich bis jetzt noch nicht sagen, da ich erst eine Mahlzeit eingenommen habe.

Jedenfalls gibt es I a Butter und I a fromage de brit. Heute Abend mehr. Ich will das prächtige Sonnenwetter doch nicht unbenutzt vorübergehen lassen. Also auf Wiedersehen, mein liebes Frauchen. – Na, das erste Diner habe ich hinter mir. Die französische Küche ist leicht, aber durchaus schmackhaft. In dem übrigens recht hohen Fahrpreis ist das Tischgetränk enthalten. Auf dem Tisch stehen Flaschen mit französischem Rot- und Weißwein, letzterer ist ganz gut und mild. Eine Marke (Etikett) tragen die Flaschen nicht, jedoch halte ich den Weißwein für Chablis. Ferner gibt es nach jeder Mahlzeit zum Kaffee einen wahrhaft vorzüglichen Cognac. Ich muss wohl sagen, dass es mir hier an Bord gut gefällt. Sonst hörte ich allgemein nur abfällige Urteile über die französischen Postdampfer und bin angenehm enttäuscht. Leider spricht von sämtlichen Stewards nur einer etwas englisch, und der ist nie zu haben. Deutsch spricht niemand, so dass ich wohl oder übel gezwungen bin, in meinen französischen Schulkenntnissen herumzukramen, und es ging bisher ganz gut. Die Leute sind alle von einer ausgesuchten Höflichkeit, wie es ja dem Franzosen überhaupt eigen ist, höflich zu sein. Eben habe ich die Sitzplätze im Speisesalon gezählt, es sind 130 Plätze, während der PRINZREGENT nur 80 hatte. – Es ist jetzt ½ 9 Uhr abends, klarer Vollmond, etwas bewegte See. Der Dampfer macht ganz geringe Bewegungen. Meinen Verdauungsspaziergang habe ich beendigt – eine Stunde an Deck herumgelaufen. – So weit von meiner Reise. Mehr habe ich bisher nicht erlebt. Morgen Nacht werden wir wohl in Nagasaki ankommen. –

Es ist nett von Anna, dass sie Dir Zeitungsausschnitte über den Aufenthalt „S90“ schickt. Enthält dann das Liegnitzer Tageblatt keine Marinenachrichten?

Ich gebe gern zu, dass ich im Dienst den Mannschaften gegenüber ziemlich kurz angebunden bin, aber könnte diesen Ton bewusst außer Dienst nicht anschlagen…

18.04.1908

Erst ´mal kurz die Reisebeschreibung. Klares, kühles Wetter, etwas bewegte See. Das Schiff liegt ganz ruhig und folgt seinem Kurse. Heute Nachmittag bekamen wir die japanische Küste in Sicht. Wir laufen jedoch nicht Nagasaki an, sondern fahren durch bis Kobe. Heute Nacht 12 Uhr werden wir Shimonoseki passieren, um in die Inlandsee zu gehen. Augenblicklich befinden wir uns in der Gegend, wo die Schlacht bei Tsuschima den russisch-japanischen Krieg entschied, vor etwa drei Jahren. Meine Gesamtbeschäftigung für heute ist nicht viel über essen und schlafen hinaus gekommen. Von 7 – 9 Frühstück, 11 – 1 Tiffin, 4 Uhr Tee, ½ 7 Uhr Diner, 9 Uhr abends nochmals Tee. Um besseren Appetit zu haben, laufe ich sehr viel auf den großen Promenadendecks herum, die so breit sind, dass man ganz bequem ein Radrennen abhalten könnte. Die französische Küche ist äußerst schmackhaft und bekömmlich. Nur vermisse ich, dass es täglich reine Tischwäsche gibt, wie auf deutschen Dampfern. Danach scheint es doch nicht so peinlich sauber zu sein, wie bei unsern Dampfern. Recht angenehm berührt es, dass man wieder von anständig aussehenden Europäern bedient wird und den üblen Chinesenboy nicht sieht mit seinen langen, mit tiefer Hoftrauer behafteten Fingernägeln. Das gesamte Schiffspersonal vom Kapitän abwärts macht einen recht guten Eindruck. Den Commissaire (Zahlmeister) des Dampfers, einen alten graubärtigen, würdigen Herrn, lernte ich heute kennen. Ich habe mir nämlich die Sache überlegt und fahre mit dem Dampfer bis Yokohama durch. Bei dieser Gelegenheit zahlte ich beim Commissaire die Fahrpreisdifferenz (11 Dollar) nach. Ich wollte doch ursprünglich in Kobe aussteigen und nach Yokohama mit der Eisenbahn fahren. Der Nachtzug fährt aber abends 6 Uhr ab, und den hätte ich nicht mehr erreicht. Eine kurze oberflächliche Berechnung der Kosten ließ mich zu dem Entschluss kommen, bis Yokohama durchzufahren. Ich spare hierbei rund 30 Dollar also etwa 60 Mark.

Soweit mein Reisebericht, nun Dein lieber Brief No. 83, datiert vom 28.02. Deine Bestrebungen, im Kochen immer weitere Fortschritte zu machen, zeugen von Deinem großen Eifer, eine recht tüchtige Hausfrau zu werden, wovon ich bereits vorher überzeugt war. Ich bin dann gern Dein „Versuchskaninchen“…

– Die trockene Luft der Dampfheizung kann man leicht durch verdunstendes Wasser beheben. – Von Franz bekam ich eine Karte aus Wien. Er hat eine Werftdirektorstelle in Budapest in Aussicht…

– Die beiden neuen Offiziere heißen Weineck und Hoefer. Herrn Vorlaeufer geht´s gut, Dr. Mann ist Stabsarzt geworden.

Etwas hat das kurze Krankenlager doch bezweckt. Als ich in den Club nach Shanghai kam, traf ich viele gute Bekannte, die mich auf den ersten Blick nicht wiederkannten. Was sind Sie schlank geworden! So müssen Sie aber jetzt bleiben, wie wird sich Ihre Braut freuen. Nun bin ich neugierig, was Carl Stolle und Albrecht Schlösser sagen werden. Trotzdem sehe ich dabei sehr wohl im Gesicht aus und hoffe, dass es so bleibt. Also, hörst Du, Liebstes, keine Sorge um mich. Überhaupt mache ich mir schon Vorwürfe, dass ich Dir über meine Krankheit etwas geschrieben habe. Ich hätte es auch nicht getan, wenn nicht „S90“ nach Japan gegangen wäre, und Du mithin an meinen Briefen merken musstest, dass etwas nicht in Ordnung ist…

Kobe, 19. April1908, Ostersonntag

Im vorigen Jahre lagen wir auf der Werft Tsingtau, viel Staub und noch mehr Arbeit; in diesem Jahre weile ich als Privatmann und Vergnügungsreisender auf einem schönen Postdampfer in Japan. Kurz will ich Dir meine Reise seit gestern erzählen. Zunächst bin ich, als ich meinen Brief gestern beschloss, nicht, wie ich die Absicht hatte, ins Bett gegangen. Als ich aus dem Salon an Deck kam, war der Mond aufgegangen, die Luft war so klar und milde, dass ich mich auf dem besten Promenadendeck – freilich mit Mantel – hinsetzte und angesichts der bergigen japanischen Küste mein Schicksal überdachte. Meine Gedanken schweiften in die weite, weite Ferne, ich ließ mein ganzes Leben an meinem geistigen Auge vorüberziehen, Freud und Leid, und endlich blieb all´ mein Denken auf dem Wesen konzentriert, das seit den letztverflossenen 19 Monaten den ganzen Inhalt meines Daseins bildet… der Mond schien hell und klar, während die Maschinen des Riesendampfers unermüdlich stampften und fauchten. So wurde es denn glücklich ½ 2 Uhr. Da liefen wir in die japanische Inlandsee ein, nachdem ein Lotse an Bord gekommen war. Vorbei an hell erleuchteten Städten gelangten wir durch die Straße von Shimonoseki, die etwa 500 m breit ist. Dann ging ich schlafen… Bis ½ 3 Uhr las ich noch im Bett und schlief dann ein. Bereits um 7 Uhr stand ich heute früh auf; denn den ganzen Tag über gab es ´was zu sehen. Teilweise hat die Inlandsee Ähnlichkeit mit dem Rhein, ja an einer Stelle treten die Berge bis auf eine Fuge von 200 m zusammen, das Meer zu gewaltigen Strudeln einzwängend. Tausende von japanischen Fischerbooten sind unterwegs und beleben das Wasser, während sich die Berge an beiden Seiten schon mit grünem Schleier bedeckt dahin ziehen. Ein schönes landschaftliches Bild! So kamen wir heute Nachmittag um 5 Uhr hier in Kobe an. Meine Abneigung den Japanern gegenüber hatte ich bei allen schönen Landschaftsbildern vergessen, aber

wie bald sollte sie wieder wach gerufen werden. Ehe wir hier im Hafen ankerten, kam ein Boot an Bord mit dem Quarantänearzt. Na, das ist ja alles in Ordnung. Aber jetzt kommt eine Sache, wie sich nur dieser vermaledeite Affenjaps in seiner steigenden Unverschämtheit erlauben kann. Kommen da mit dem Affenarzt noch drei ähnliche saubere Gehilfen an Bord und nehmen, wie es Vorschrift im gelben Affenlande ist, eine peinliche Leibesvisitation vor. Zunächst tritt die Besatzung des Dampfers an, jedem einzelnen Mann sehen sie die Augenlider, Zunge und Hände nach, ob vielleicht eine epidemische Krankheit, wie Pest, Cholera pp. an Bord sei. Die gleiche Manipulation müssen sich die Passagiere der 3. und 2. Klasse gefallen lassen, ganz gleich, ob Männlein, ob Weiblein. Nun wurden auch wir, Passagiere der I. Klasse gebeten, in den Salon zu gehen, um uns ebenfalls auf gleiche Weise von diesen Schuften befühlen und untersuchen zu lassen. Ich schäumte vor Wut über diese Unverschämtheit und merkte es auch den Damen, einigen Französinnen und Engländerinnen an, wie erbost sie waren. Nun erschienen also die Affen im Salon, der Oberaffe ließ sich die Liste der Passagiere zeigen und zählte erst ´mal, ob sich auch niemand der Untersuchung entzogen hätte.

Als er uns dann alle mit seiner schlitzäugigen, gelben Orang-Utan-Visage gemustert hatte, brachte er seine einzigen englischen Brocken in Affensprache heraus und stieß in unartikulierten Urwaldslauten die kaum zu verstehenden Worte „allright“ hervor. D. h. er sah von einer körperlichen Untersuchung ab. Na, ich hätte dem Kerl, glaube ich, ins Gesicht gesp..., wenn er sich erdreistet hätte, meine Zunge sehen zu wollen. Meine Hände hätte ich ihm auch zu fühlen, aber nicht zu sehen gegeben. Trotzdem nun ein Arzt auf dem Dampfer ist, muss man sich derartige Behandlung gefallen lassen. Ich hasse dieses Japsengesindel! Diese Kerle, die alle aussehen, wie Raubmörder, sollte der Teufel holen. Aber ich will mich nicht noch mehr ärgern. – Kobe will ich mir morgen Vormittag ansehen; morgen Nachmittag 4 Uhr geht der Dampfer nach Yokohama in See. Das war also der 1. Osterfeiertag 1908…

Kobe – Yokohama, 21. April 1908

…Gestern früh ½ 10 Uhr fuhr ich in Kobe an Land, der Dampfer sollte erst um 4 Uhr nachmittags nach Yokohama weitergehen. So hatte ich also einige Stunden Zeit, mir die Stadt anzusehen. Die Stadt ist sauber, wenigstens im Europäerviertel, während das Japanerviertel sich äußerlich nicht allzu sehr von Chinesenstädten unterscheidet. Zunächst ging ich in den Straßen spazieren, um einen allgemeinen Eindruck von der Stadt zu gewinnen. Viel ist darüber nicht zu sagen. Dann fuhr ich zum japanischen Telegraphenamt, einer elenden schmutzigen Bude, und gab ein Telegramm an „S.90“ und ein weiteres an Carl Stolle auf. Dem deutschen Club machte ich einen kurzen Besuch und fuhr dann zum Oriental-Hotel, um zu essen. Als Ostergruß sandte ich von hier einige Postkarten nach Hause, an Dich zwei, die Du hoffentlich erhalten hast. Mittlerweile wurde es Zeit, wieder an Bord zu gehen. Von Kobe selbst ist also nur wenig zu berichten. Die Stadt liegt sehr schön, im Hintergrund hohe Berge, die den Sommer unerträglich heiß machen. Hier hat der Frühling mit Macht eingesetzt, alles grün, Obstbäume stehen in voller Blüte. Nun sind wir einige Stunden vor Yokohama, meinem Endziel. Ich entsinne mich einer Erzählung des Kapitäns Kirchner vom PRINZREGENT LUITPOLD. Er hatte die Torpedoboote in Yokohama getroffen und von ihnen gehört, dass sie auf der Reise von Kobe nach Yokohama ein furchtbares Wetter zu bestehen hatten und einen Nothafen anlaufen mussten. Na, Gott sei Dank war ich diesmal ja nicht dabei. Ich freue mich auf ein Wiedersehen mit Stolle und Schlösser. Ob ich wohl auch Briefe von meinem lieben Frauchen vorfinde? Seit Ende Februar weiß ich nichts mehr von Dir, mein Fritzelchen. Hoffentlich finde ich nur gute Nachrichten.

Diesen Brief will ich als ersten Reisebericht schließen. Von Yokohama mehr.

N8/5 Briefnummer 105 – transkribiert von Bernd Liebig

Yokohama, 22. April 1908

…Wie Du aus obigem Datum siehst, bin ich heil hier angelangt und habe meinen Dienst wieder übernommen. Reichliche Post fand ich vor und hierbei Deine lieben Briefe No. 84, 85, 86. Endlich ´mal wieder Nachricht von Dir. Mit großer Freude las ich Deine Briefe... Ich will Dir jedoch erst kurz noch von dem Rest meiner Reise auf dem französischen Postdampfer erzählen, ehe ich Deine Briefe beantworte. Bei ziemlich schwerer See erreichten wir gestern Nachmittag Yokohama. Aber dem großen Dampfer machte es nichts. Das vormittags etwas unsichtige Wetter klarte auf, und wir hatten zur rechten und linken hohe bergige Inseln, rechts einen tätigen Vulkan, der in gewissen Zeitabschnitten seine glühende Lava ausstößt und links erschien der berühmte Fuji, der heilige Berg Japans, mit seinem schneegekrönten Gipfel. Wolken umlagerten ihn auf halber Höhe, und majestätisch ragte sein weißes Haupt über dem Wolkenmeere hinaus.

– das Bild stammt aus Band 9 – Endstation Tokyo – von Rainer Gessmann –

Jedenfalls einer der imposantesten Anblicke, die ich je gesehen habe. Ich werde Ansichten von den verschiedenen Gegenden kaufen und Dir dann schicken. Eingehende Erklärungen gebe ich Dir dann persönlich. Auf diese Abende freue ich mich schon, wenn ich Dir und den Eltern von meinen Reisen erzählen kann… In den Außenhafen von Yokohama liefen wir um 3 Uhr ein, mitten durch Forts und Befestigungen. Hier liegen in blendender Weiße unsre vier Kreuzer „FÜRST BISMARCK“, „LEIPZIG“, „ARCONA“, „NIOBE“, dazu der „KAISER FRANZ JOSEF I“, unser Freund, der italienische Kreuzer „VESUVIO“ und der französische Kreuzer „D´ ENTRECASTEAUX“ [?]. „S.90“ und „TAKU“ liegen im Schutze der Molen.

Yokohama

BBWA – N8_22_4 und N8_22_9

Jedenfalls ist Deutschland machtvoll vertreten, und die Schiffe machen einen brillanten Eindruck. Nachdem ich den Postdampfer verlassen hatte, fuhr ich sogleich an Bord und wurde zunächst von den anderen Herren der Messe freudig empfangen. Meine Vertretung musste ein Aspirant vom Geschwader übernehmen. Heute habe ich ihm den Dienst wieder abgenommen. Ob es alles funktioniert hat, muss ich erst im Laufe der nächsten Tage feststellen. Ich hoffe es jedoch. Infolge der langen Liegezeit haben die Schiffe viel Verkehr mit dem Lande, und gestern Abend war ein großer Ball im deutschen Klub. Die Räume waren alle mit Kirschblütenzweigen ausgeschmückt. Damen in großer Toilette, wir im großen Messeanzug (Galabeinkleider, Messejacke), sonst Frack. Ich bin nur hingegangen, um mir die Geschichte anzusehen. Um ½ 12 Uhr fuhr ich bereits wieder an Bord. Getrennt von Dir habe ich absolut keinen Sinn für Ballfestlichkeiten. – Heute Nachmittag treffe ich mich mit Stolle & Schlösser im Klub. Ich freue mich auf ein Wiedersehen mit ihnen. Vor einer Stunde bekam ich ein entsprechendes Flaggensignal von ihnen. Da will ich mir Yokohama ansehen und in den nächsten Tagen Ausflüge machen…

Das neuere Stück Brokatseide habe ich mehreren Damen hier (in Tsingtau natürlich) gezeigt. Sie waren sprachlos. So etwas hatten sie alle noch nicht gesehen, und ich bin fast überzeugt, dass zu Hause diese Seide überhaupt gänzlich fremd ist…

Ich werde mich bemühen 3 – 4 Jahre zunächst fest in Wilhelmshaven zu bleiben, ohne ein Bordkommando. Ich habe keine Sehnsucht mehr nach dem Bordleben…

23.04.1908

Das schlechte Wetter ist hier recht dauerhaft. Es scheint gar nicht aufhören zu wollen. Seit 3 Tagen Regen, Sturm. Über morgen früh 6 Uhr sollen wir wieder in See gehen. Hoffentlich bessert sich das Wetter bis dahin; denn ich lege absolut keinen Wert auf eine stürmische Seefahrt. – Gestern war ich mit Stolle und Schlösser zusammen. Es war ein freudiges Wiedersehen. Wir haben zunächst Einkäufe gemacht. Heute gehen wir wieder kaufen. Leider bekomme ich nicht viel mehr von Japan zu sehen. Aber ich bin doch wenigstens hier gewesen. Was ich hier alles kaufe, erzähle ich Dir nicht. Ich will Dich mit den Sachen persönlich überraschen. Es gibt doch wunderbare Sachen, und das Geld gibt man so leicht aus, wie nie zuvor. Jedenfalls sind es aber alles Sachen, an denen wir später noch lange unsre Freude haben werden.

N8/5 Briefnummer 106 – transkribiert von Bernd Liebig

Itsukuschima, 28. April 1908

Ein großer Teil unsrer Japanreise ist nun vorbei und die Reise neigt sich ihrem Ende zu. Den Verlauf will ich Dir kurz bis hierher schildern. Am Sonnabend, dem 25. April verließen wir Yokohama bei anfangs fast ruhigem Wetter. Jedoch frischte es auf, wie es in der Seemannssprache heißt, und, wie gewöhnlich, bekamen wir unterwegs wieder ziemlich viel „auf die Nase“. Aber wie immer, fanden wir uns sehr schnell in unser Schicksal. Dem schönen Fuji winkte ich auf Nimmerwiedersehen meine Abschiedsgrüße zu, und weiter ging´s gegen die aufschäumende See an.

BBWA – N8_25_31

Am Sonntagmittag waren wir in Kobe, um Telegramme für das Geschwader zu holen, während dieses weiter fuhr. Telegramme und Lotsen für alle Schiffe nahmen wir an Bord bei strömendem Regen und dann gingen wir Volldampf, um das weit vorausfahrende Geschwader einzuholen und die Telegramme wie Lotsen abzusetzen. Von Yokohama habe ich nicht mehr viel zu erzählen; die meiste Zeit verbrachte ich mit Einkäufen und will Dir nur eins verraten. Ich habe hier den Stoff zum Brautkleid für Dich gekauft, aber nicht Taft, sondern japanischen Crépe, ganz weiß. Der Stoff ist feiner, als der chinesische Crépe und hat mehr Glanz…

BBWA – N8_25_13

– Also, unsre Weiterreise von Kobe verlief in der Inlandsee bei Regen ruhig. Das Geschwader erreichte wir abends um 6 Uhr. Um 8 Uhr ankerten wir, an einer ruhigen, geschützten Stelle. Gestern früh ½ 6 Uhr gingen wir wieder weiter. Unser Boot musste vorausfahren, um Telegramme abzuholen. Auf unserem ganzen Wege wurden wir von japanischen Torpedobooten beobachtet. Die Kerle sind misstrauisch und denken, wir wollten ihnen etwas absehen. Zwischen hohen Bergen hindurch, die dicht bewaldet in herrlichstem Grün prangen, gelangten wir bei schönstem Sonnenschein hierher nach Itsukuschima (auch von Japanern Miyajima genannt), bekamen die gewünschten Telegramme und fuhren auf der andren Seite der Insel dem inzwischen andampfenden Geschwader entgegen. Die ganze Bucht wimmelte von japanischen Torpedobooten, die uns „begleiteten“, d. h. beobachteten und nachts ankern sie in unsrer unmittelbaren Nähe. Na, wir wollen ihnen das Vergnügen lassen. Nun adieu für heute. Ich bin ziemlich müde von einem längeren Spaziergang.

29.04.1908

Der Ort, wo wir ankern, ist eine der drei japanischen Sehenswürdigkeiten und entschädigt mich reichlich für das Versäumte. Miyajima heißt die heilige Insel und macht schon vom Wasser aus einen sehr schönen Eindruck. Ein großer Tempel, der Wallfahrtsort japanischer Pilger, mit einer großen Pagode bildet den Mittelpunkt der Insel. Zum Unterschied von chinesischen Tempeln werden alle Tempel in Japan gut gepflegt und ziemlich sauber gehalten. Die Fußböden sind weiß gescheuert und mit weichen Strohmatten belegt – Der Japaner betritt seine Tempel nur auf Strümpfen, und man sieht die Sandalen alle am Eingang stehen –. Sehr angenehm fällt die allgemeine Reinlichkeit in den Straßen und Häusern auf, die Kinder sind sauber, ganz im Gegensatz zu China. Ja, selbst wir könnten uns auf dem Land ein Beispiel an dieser Sauberkeit nehmen. Tiefer Friede auf der Insel, die mir mit ihren wahrhaft wunderbaren Naturschönheiten stets in angenehmer Erinnerung bleiben wird. Selten habe ich die Natur so schön und mannigfaltig gesehen, wie hier. Hohe dicht bewaldete Berge, gewaltige Wasserfälle, dazwischen verstreut japanische Häuser, klein und sauber… Auf dieser Insel darf kein Tier getötet werden, Rehe laufen wild und frei umher, in voller Sicherheit ihres Lebens; die Tiere kommen und fressen jedem aus der Hand. Zahme Tauben fliegen jedem auf Finger und Schulter, zahme Fasanen, Kraniche und sonstiges Getier. Hier darf kein Mensch sterben, sobald jemand vor dem Tode steht, wird er von der Insel fortgeschafft und geht an einem anderen Orte ins Jenseits. Ich kann unmöglich alles so beschreiben, wie ich gern möchte, daher werde ich Dir die nähere Beschreibung mündlich liefern. – Heute waren wir mit dem Admiral und einigen anderen Offizieren in einem der japanischen Kriegshäfen, Kure. Der Hafen ist für Fremde gesperrt und das Betreten hängt von der Erlaubnis des japanischen Marineministers ab. Hier ist eine große Werft. Viel ist hier nicht zu erwähnen. Einige von den Russen erbeutete Schiffe lagen außer andern Kriegsschiffen hier. Na, ich bin jedenfalls hier gewesen. Morgen früh dampfen wir von hier ab, besuchen noch einen anderen Hafen und gehen dann nach Tsingtau, wo wir am 4. Mai eintreffen sollen. Hier in Miyajima habe ich ebenfalls einige Sachen gekauft, die uns in der jungen Wirtschaft gute Dienste leisten werden. Tabletts aus Holzschnitzerei, Bieruntersätze pp., ebenfalls Holzschnitzerei…

Gelbes Meer, 3. Mai 1908

Tage bin ich nicht zum Schreiben gekommen, da wir ohne Unterbrechung ein derartig schlechtes Wetter hatten, dass es beim besten Willen nicht ging. Wir befinden uns jetzt auf der Rückreise nach Tsingtau, wo wir morgen früh ankommen wollen. Am 30. April gingen wir von Miyajima weg und kamen abends vor die Einfahrt zur Inlandsee, wo wir bis zum 1. früh ankerten. Am 1. vormittags gingen die beiden Torpedoboote in See, um die nachfolgenden Kreuzer nachts anzugreifen. Bei rabenschwarzer Nacht sichteten wir die Kreuzer bei der bekannten Insel Tiuschima, wo die Seeschlacht zwischen Russen und Japanern stattfand. Eine ähnliche Seeschlacht im Kleinen

lieferten wir in der Nacht vom 1. zum 2. Mai, bei ziemlich schwerer See. Ich stand ungefähr die halbe Nacht auf der Kommandobrücke, weil mich erstens der Angriff interessierte und zweitens bei dem heftig arbeitenden Boot an ein Schlafen nicht im Entferntesten zu denken war. Um 3 Uhr ging ich schlafen, versuchte wenigstens zu schlafen. Aber die See wurde immer unangenehmer. Schon auf der Brücke musste ich oft in Deckungsstellung gehen, um nicht die überkommende See in die Augen zu bekommen. Wir sind ja an schlechtes Wetter gewöhnt, aber dass es auch immer stürmisch sein muss, sobald wir mit den Torpedobooten die Nase ´rausstecken. Selbst die Kreuzer machten nette Sprünge und nun wir erst! Heute ist nun schon der dritte Tag, dass es stürmt, obgleich heute Vormittag die Sonne scheint. Mit dem Essen ist es sehr schlecht bestellt, weil eben nicht gekocht werden kann. Da wird die Bouillon und was es sonst gibt durch eine stramme Haltung ersetzt und als Ersatz Brot und Wurst genossen. Ich habe meinen Bedarf an Seefahrt wieder ´mal überreichlich gedeckt. Wenn wir morgen heil in Tsingtau sind, freue ich mich. Aus unsrer Yangtse-Reise wird nichts. In gewisser Beziehung bin ich heilfroh, einige Wochen wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. Leider kann ich dann das Kiukiang-Porzellan nicht kaufen. Dann geht´s eben nicht. Mai und Juni liegen wir also voraussichtlich eisern fest in Tsingtau, im Juli reist der Admiral nach der Westküste Japans und Wladiwostok. Ob er uns dazu mitnimmt, ist sehr fraglich, des schlechten Wetters wegen. Ich packe dann schon langsam meine Sachen, um sie zum Teil vorauszuschicken. Wohin, ob nach Gr. Lichterfelde, Liegnitz oder Wilhelmshaven weiß ich selbst noch nicht. Es sind noch rund 200 Tage die ich hier an Bord bleib.

In Yokohama habe ich drei seidene Taschentücher als Kuriosum für Dich gekauft und sende sie Dir beifolgend mit.

Tsingtau, 4. Mai 1908

Heute früh 7 Uhr liefen wir hier ein, nachdem sich das Wetter wieder in der Nacht sehr zu seinen Ungunsten verschlechtert hatte. Deine lieben Briefe 87 u. 88 bekam ich heute…

Weiter in Tsingtau ab Mai 1908

N8/5 Briefnummer 107 – transkribiert von Bernd Liebig

Tsingtau, 8. Mai 1908

Vor 3 Tagen war Herr Staffeldt mit Frau nachmittags bei mir, um meine Einkäufe aus Japan zu besehen. Es dauerte zwei Stunden, ehe sie durch waren. Frau Staffeldt war ganz entzückt von allen Sachen und sagte häufig: „Ihre Braut beneide ich fast ob der vielen schönen Sachen, die Sie ihr schenken!“ Da ich ja viel bei Staffeldts verkehre, habe ich Frau Staffeldt einige nette Tabletts geschenkt. Sie war hocherfreut darüber.

09.05.1908

Soeben komme ich aus der Mission, und zu meiner größten Freude sind die Spitzen fertig. Die Ausführung ist entzückend. Ich glaube, diese Spitzen werden der Stolz der Schlafzimmerausstattung sein und manchmal den Neid andrer Damen erwecken. Selbst mir als wenig Sachverständigen gefallen die Spitzen ausnehmend gut. Wenn irgend möglich sende ich sie mit gleicher Post als Einschreibebriefe ab…

…zumal ich ja eigentlich nur unter dem ungünstigen Einfluss des hiesigen Klimas leide. Meine Schmerzen werde ich beim vorsichtigsten Leben nicht los. Heute Vormittag war ich wieder im Lazarett und ließ mich untersuchen. Zu meiner Beruhigung konstatierte der Stabsarzt, dass der Blinddarm nicht mehr z. Z. angegriffen ist und vor der Hand eine Operation nicht nötig sei. Ich würde mich gern operieren lassen, um nicht später mehr Blinddarmentzündung zu bekommen; denn jetzt wäre die Sache bei mir sehr einfach, dauert in Narkose ¾ Stunde, und ich bin wenigstens diese Geschichte los. Aber da es der Stabsarzt (übrigens ein äußerst tüchtiger Operateur) nicht für nötig hält, ist es so ja besser. Es ist z. Zt. nur ein chronisches Darmleiden, das sich infolge des Typhus hier bei dem üblen Klima leicht einstellen konnte und erst wieder in der Heimat besser wird.

…da mein College von der österreichischen Marine nach Peking zur Gesandtschaftsschutzwache kommt und zwei Jahre da bleibt. Ich traf ihn in Yokohama beim Ball im Club Concordia. Er ist ein prächtiger Kerl und wir haben uns gut angefreundet. Bei den österreichischen Seeoffizieren heißt er: „Der Ehemann auf Reisen“, weil er etwa vier Jahre von seiner Frau weg ist, wenn er zurückgeht. Na, das wäre für mich nun ganz und gar nichts. Wenn ich verheiratet bin, will ich auch bei meiner Frau sein…

Ich fahre übrigens mit zwei Kollegen über Sibirien zusammen. Der eine ist der Geschwaderzahlmeister, Stabszahlmeister Knaack und der andere der Zahlmeister vom FÜRST BISMARCK, Oberzahlmeister Schütt [?], der auf dem PRINZREGENT LUITPOLD mein Mitkabinenbewohner war. Beide Herren sind verheiratet und wollen auch Weihnachten zu Hause sein. Wir haben schon unsern Plan entworfen, hoffentlich geht alles nach Wunsch. Hiernach treffen wir am 23. Dezember früh in Berlin ein.

11.05.1908

Vorgestern musste ich plötzlich den Brief abbrechen, weil mich ein Kamerad abholte. Wir waren zu Fichtners abends eingeladen. Gestern, Sonntag, war ich zum Mittag und Abend bei Staffeldts, daher kam ich auch nicht zum Schreiben. Heute früh ließ ich mich noch einmal im Lazarett untersuchen, und zu meiner Beruhigung erfuhr ich, dass mein Blinddarm gänzlich gesund ist und nur ein chronisches Darmleiden vom Typhus her die Schmerzen verursacht. Na, nun bin ich froh, dass ich wenigstens diese Gewissheit habe. Nur eine gewisse Diät innehalten…

Mein Hauswirt hat mich im Zimmer getypt und mir einen Abzug gegeben. Viel ist ja vom Zimmer nicht zu sehen. Aber die Hauptsache ist ja auch der Schreibtisch, an dem ich alle meine Sehnsucht und Hoffnung zu Papier bringe. Das Bildchen wird Dir sicherlich Vergnügen machen.

Die letzte sibirische Post hat wieder ´mal Verspätung, sie sollte letzten Freitag kommen und kommt erst morgen, Dienstag früh.

N8/5 Briefnummer 108 – transkribiert von Bernd Liebig

Tsingtau, 17. Mai 1908

…wie gewöhnlich sonntags schenke ich mir auch heute den Dienst. Um 8 Uhr stand ich auf, nahm wie immer meine kalte Dusche, und nachdem ich mich in aller Gemütsruhe in das bürgerliche Gewand geworfen hatte, ging ich in den Club, um zu frühstücken. Soeben bin ich von dort zurück…

Seit einigen Tagen habe ich wieder Einquartierung. Carl Stolle schläft nämlich bei mir. Sein Schiff bleibt bis zur Ablösung hier und unternimmt Reparaturen auf der Werft. Er schläft auf meiner Chaiselongue. Der Glückliche geht in 4 Wochen nach Hause. Na ich habe heute noch 190 Tage! Noch 27 Wochen!

Am 23. und 24. Mai sind hier die großen Frühjahrsrennen. Es ist wieder eine Begebenheit für Tsingtau… Heute Nachmittag will ich mit Albrecht Schlösser einen größeren Spaziergang machen.

18.05.1908

– Ich war heute Mittag bei Staffeldts eingeladen, sie haben heute nach siebenjährigem Kriege Friede geschlossen. Herr Staffeldt machte einige Aufnahmen im Garten, die ich Dir im nächsten Brief mitschicken werde… Seit einigen Tagen ist es hier recht sommerlich, z. T. recht heiß. Ich habe mir zur Abwechselung das Haar wieder kurz scheren lassen. Zur Vorsicht habe ich jedoch heute beim Typen meine Mütze aufgesetzt, damit Du Dich nicht über meinen Kahlkopf ärgerst. Wenn ich jedoch wieder zu Dir komme, ist mein Haar wieder länger. Um das schöne Wetter etwas zu benutzen, machte ich gestern mit Albrecht Schlösser einen vierstündigen Spaziergang, der mir ganz gut bekam. Ich bin schon wieder ziemlich verbrannt im Gesicht; in drei bis vier Wochen geht die Badezeit wieder los, und so vergeht ein Monat nach dem andern. Gesundheitlich fühle ich mich z. Z. ganz wohl und hoffe nur, dass ich auch den üblen Tsingtau-Sommer gut überstehe, ohne Rückfälle zu bekommen.

Morgen früh kommt wieder sibirische Post…

N8/5 Briefnummer 109 – transkribiert von Bernd Liebig

Tsingtau, 22. Mai 1908

…Du erwähnst am Anfang desselben Deinen Besuch bei Frau L. Lenke, der glücklichen jungen Mutter. Ich glaube gern, mein einzig geliebtes Fritzelchen, dass dieser erste Besuch bei einer Wöchnerin einen tiefen Eindruck auf Dich gemacht hat. Aber nur tapfer, mein Liebstes, das ist die Hauptsache. Auf mich macht eine junge Mutter immer den Eindruck, ja ich möchte fast sagen, einer Heiligen. Sie verkörpert gerade in dieser Zeit das Göttliche im Menschen. Gibt es denn etwas Erhabeneres, Höheres auf Erden, als den Anblick einer glückstrahlenden Mutter mit ihrem Kinde, einem kleinen, quakenden, hilflosen

Wesen, das durch die Engelsgeduld der liebenden Mutter erst zum Menschen erzogen werden soll? Gewiss sind es schwere Stunden, die eine Mutter erst zu überstehen hat. Aber eine junge Frau, die genau weiß, wie verehrt, wie innig geliebt sie von ihrem Manne wird, wird sich bald in diese von der Natur

gegebenen Vorschriften finden…

Derartige Fälle, dass eine Braut allein die Reise antritt, um sich mit ihrem Verlobten zu vereinen, sind hier an der Tagesordnung. Mein Kollege will dann fünf Jahre hier bleiben. Die Braut macht die Reise auf Reichskosten I. Klasse, kann man es bequemer haben? Gesetzt den Fall, ich würde zum Gouvernement Tsingtau kommandiert, dann würde ich einen Antrag machen, und Du trittst, natürlich wenn Du wolltest, mit dem nächsten deutschen Postdampfer von Bremen oder Hamburg als Passagier I. Klasse die Reise hierher an, ja, Du bekämest sogar noch pro Tag 3,00 Mark für Getränke auf dem Dampfer. Darin ist der Reichsfiskus sehr nobel. Als meine Frau könntest Du Dir sogar noch auf Reichskosten eine Gesellschafterin mitnehmen.

Meine Nervosität ist nur vorübergehend, und bei längerem Aufenthalt an Land schwindet sie sehr schnell. Ich merke es jetzt am besten. Regelmäßiger Schlaf, gemütlicher Aufenthalt im großen Zimmer und Spaziergänge haben bereits Wunder gewirkt, so dass ich schon jetzt meine eiserne Ruhe wiederhabe. Da kannst Du ganz beruhigt sein. Auch fühle ich mich z. Z. sonst ganz wohl, bis auf die chronischen Schmerzen, die ich hier draußen auch nicht los werde. Eine längere Milchkur unter Deiner liebevollen Fürsorge wird ein Übriges tun, um mich bald gesund zu sehen. Nur hoffe ich, dass mein Blinddarm sich nicht wieder unangenehm meldet. Ich freue mich ja so sehr, dass die Trennungszeit immer kürzer wird. Heute in 216 Tagen bin ich schon wieder bei Dir, was will das sagen gegen 775 Tage der ganzen Trennung?

Tsingtau, 23.05.1908

BBWA – N8_41_14

Der erste Renntag ist vorbei. Fast sah es gestern so aus, als ob Regenwetter das ganze Rennen in Frage stellen würde. Aber der Himmel hatte ein Einsehen und der Tag erglänzt in hellem Sonnenschein, ziemlich heißes Wetter, aber gerade günstig zum Frühjahrsrennen. Damen in großer Toilette. Na, es war ´mal wieder eine ganz angenehme Abwechselung. Nun bin ich mit Carl Stolle nach Hause gekommen, eine kalte Dusche sorgte für nötige Erfrischung, für bequeme Kleidung der Kimono, der bei mir überhaupt seit meiner Japanreise ein sehr wichtiges Kleidungsstück geworden ist. Auch für Dich, mein Liebstes, habe ich dieses wirklich bequeme Kleidungsstück ausgewählt, natürlich von feinerem Stoff, Seidenfutter pp… Wie ich eben bemerkte, sind auf den Kimonos Ibisse zu sehen, die vielleicht der Nichtkenner für Störche halten kann. Japanische Fußbekleidung habe ich auch für´s Zimmer, dazu japanische Lampen und der japanische Abend ist fertig. Carl Stolle lässt Dich grüßen. Er liegt im Kimono auf meiner Chaiselongue und liest. Heute Abend sind wir beide bei Staffeldts zum Essen.

25.05.1908

…Gestern war der zweite Renntag, der bei schönstem Wetter brillant verlief. Auch diesmal habe ich mich mit einigen Dollars am Rennen beteiligt, d. h. Lieb, ohne zu spielen, und bin mit einem Gewinn von 420 M in deutschem Geld abgeschnitten. Na immer besser, als nichts. Ich werde den Gewinn, wie Du ja weißt, gut anlegen.

Die Kieler Skandalaffäre zieht immer weitere Kreise. – Ein Ober-Hoboistenmaat steht im Range eines Sergeanten. Drei Oberleutnants zur See haben sich bereits erschossen – einer von denen war mit mir auf „UNDINE“ zusammen. Es ist recht traurig, dass so etwas passiert.

Das ist ja das Allerneueste! S.90 geht nach Hause. Na lass nur, mein Schatzelchen, so eilig ist es nicht. Ich gehe noch im November von S.90 nach Hause und mein Nachfolger wird wohl auch zwei Jahre hier an Bord bleiben. Übrigens möchte ich mit dem Boot nicht die Heimreise antreten, ich glaube, ich würde verrückt! Der Herr im Reichsmarineamt, von dem mein Vater diese Neuigkeit hat, ist schlecht informiert. Wir hätten jedenfalls zuerst telegraphische Nachricht von der Heimreise. Aber die halbe Besatzung von S.90 wird in 14 Tagen abgelöst, der Ablösungsdampfer ist schon seit einem Monat unterwegs. Selbst den Fall angenommen, S.90 ginge jetzt nach Hause, so wäre meine Auslandszeit auch endgültig vorbei, und ein weiteres Auslandskommando ausgeschlossen.

N8/5 Briefnummer 110 – transkribiert von Bernd Liebig

Tsingtau, 27. Mai 1908

…Gesundheitlich fühle ich mich wieder z. Z. ganz wohl und hoffe, dass es auch den Sommer über so bleiben möge. Zur großen Beruhigung kann ich Dir mitteilen, dass mein Blinddarm sich auch beruhigt hat und hoffentlich auch so bleibt. Sollte sich wieder etwas einstellen, dann habe ich hier in Tsingtau stets das Lazarett, vier Minuten von meiner Wohnung; hier sind nur die tüchtigsten Marineärzte angestellt, denen man sich mit ruhigem Gewissen in die Hände geben kann. Hoffen wir jedoch, dass ich die Hilfe des Arztes nicht in Anspruch nehmen muss… An eine frühere Rückkehr vor November ist vor der Hand nicht zu denken. Wenn ich im Januar einen Privatbrief an den Stationszahlmeister geschrieben hätte, dann wäre ich jetzt schon nach Hause gekommen; denn um mein Kommando reißt man sich in Wilhelmshaven. Aber damals hatte ich noch keinen so greifbaren Grund. Außerdem bin ich nie ein Freund davon gewesen, mir meine Kommandos zu wählen, oder um ein Kommando zu bitten, indem ich irgend einem Menschen gute Worte gegeben hätte. Ich bin immer dahin gegangen, wohin ich kommandiert wurde. Aus diesem Grunde werde ich auch hier zwei Jahre aushalten, solange es meine Gesundheit irgendwie gestattet. Da jetzt keine Gefahr vorliegt, muss ich also bleiben…

Seit gestern haben wir hier dichten Nebel, auf dem Wasser kann man kaum 20 Meter weit sehen. Es ist unmöglich, den Hafen zu verlassen oder ihn anzulaufen, ohne in die Gefahr zu kommen, unbequeme Bekanntschaft mit Felsen zu machen. Wir bleiben voraussichtlich bis August hier liegen, gehen dann wie im vorigen Jahre in den Petschili-Golf, vielleicht auch nach Port Arthur & Dalnÿ. Ende September gehen wir vielleicht noch einmal nach Tientsin und Peking, und dann „haldrio, jetzt geht´s zur Heimat, holdrio, jetzt geht´s nach Haus!“ Jedoch ist dieser Reiseplan noch nicht bestimmt, er kann sich noch leicht ändern…

Vorgestern war der letzte Renntag. Ich habe nicht mehr gesetzt, da nicht viel heraus kam. Abends war ich vom Herumstehen derartig müde, dass ich mich schon um 9 Uhr zur Ruhe begab, ebenso auch Carl Stolle. Gestern hatte ich an Bord einen größeren Kaffee arrangiert, dazu Frau Staffeldt mit den beiden Zwillingen, Frau Richter mit zwei Kindern, Frau Vorläufer mit zwei Kindern und Frau Fichtner eingeladen. Es gab Kaffee, Schokolade, dazu eine große Apfeltorte und nach dem Kaffee für die Damen einen eiskalten Punsch romaine. Was die kleinen Mäuler in die Apfeltorte einschieben! Auch die Damen ließen sich nicht nötigen. Onkel Schulze war gestern wieder der Beste. Alles war sehr nett, und die Mütter nahmen ihre Kleinen in bester Stimmung wieder mit nach Hause. Ich habe mich dadurch [unlesbar] revanchiert für die häufigen Einladungen; nur Staffeldts will ich noch einmal besonders zu einem gemütlichen Essen einladen, weil ich sehr häufig bei ihnen bin. Ich kam mir ordentlich väterlich vor, allein mit meinen Gästen.

Gestern Abend habe ich den Vortrag eines Afrikareisenden Dr. Rohrbach (wahrscheinlich Karl Albert Paul Rohrbach * 29. Juni 1869, + 19. Juli 1956) angehört, sehr lehrreich, und ging dann friedlich mit Carl Stolle um ½ 11 Uhr schlafen. Wenn Carl Stolle fort ist, werde ich mich recht vereinsamt fühlen, daher muss ich mich damit trösten, dass auch die Stunde meiner Heimkehr bald geschlagen hat. Carl Stolle bringt das Brautkleid und außerdem eine Bluse aus japanischem Taft mit Stickerei, lila, für Dich mit. Diese Bluse ist das Entzücken sämtlicher Damen, sie wird Dir hoffentlich auch gefallen. Jedenfalls bin ich überzeugt, dass Du selten einen derartigen Stoff gesehen haben wirst. Ich schicke diese Seide schon jetzt, weil sie in der feuchten Sommerzeit hier leicht leidet, fleckig wird und dazu ist der Stoff zu kostbar.

Montag 1. Juni 1908

…Zum Zeichen, dass ich wieder gesund bin, sende ich Dir einige Bilder vom Rennen. Ein Bild zeigt mich von hinten, als ich gerade zum Totalisator gehe, ein anderes die Tribüne, ein drittes den Rennplatz, ich bin nur mit dem Kopf (?) darauf. Das vierte zeigt das Pferd, welches gerade für mich gesiegt hat und mir einen Renngewinn einbrachte, ein niedlicher Schimmel, der den schönen Namen „Canaille“ führt…

N8/5 Briefnummer 111 – transkribiert von Bernd Liebig

Tsingtau, 5. Juni 1908

…Tsingtau steht wieder ´mal im Zeichen des Ablösungsdampfers, der übermorgen erwartet wird, eine Pfingstfreude. Wie immer wird man auch diesmal fröhliche und traurige Gesichter sehen bei der Abfahrt. Leider waltet ein tragisches Geschick über dem Dampfer „RHEIN“. Bis jetzt sind schon vier Mann unterwegs an Herzschwäche gestorben, eine recht traurige Ausreise. Hoffentlich kommen die Abgelösten alle gesund heim…

…morgen mehr. Ich bin bei Richters eingeladen und will mich noch umziehen.

2. Pfingstfeiertag!

…Sonnabend Abend war ich eingeladen, gestern am 1. Pfingstfeiertag kam der „RHEIN“, und da musste ich doch an Bord, um die neu herauskommenden Kameraden zu begrüßen. Gestern Abend gingen wir bereits um ¾ 9 Uhr ins Bett, da wir sehr müde waren. Heute stand ich um ½ 6 Uhr auf, um mit dem Bergverein eine Partie mit einem Dampfer zu machen. Sie verlief sehr nett, Staffeldts, Richters pp. waren auch mit; nachdem wir an dem Bestimmungsort angekommen waren, ging´s in die Berge, ziemlich viel Kraxelei. Ich bin jetzt verbrannt, wie ein Mohr. Nun bin ich eben nach Hause gekommen, es ist ¼ 10 Uhr. Eine kalte Dusche sorgte, wie gewöhnlich vorm Schlafengehen für die nötigen Erfrischung, und jetzt bin ich weidlich müde…

N8/5 Briefnummer 112 – transkribiert von Bernd Liebig

Tsingtau, 13. Juni 1908

…Jetzt in dem Abschiedstrubel konnte ich beim besten Willen nicht früher dazu kommen, den Brief zu beantworten, jeden Abend war ich in Gesellschaft von Stolle und Schlösser eingeladen, vorgestern bei Staffeldts, gestern bei Vorläufers, heute Bierabend, gestern Mittag Abschiedsessen bei uns an Bord. Na, ich bin froh, wenn der Dampfer RHEIN erst von der Mole abgelegt hat, dann habe ich wieder Ruhe, und dann bin ich der Nächste, an den das Abschiednehmen von Tsingtau kommt. In 190 Tagen bin ich zu Hause. Die Verbindung wird in nächster Zeit wieder verkürzt, in 17 Tagen von hier bis Berlin. Die südmandschurische Bahn von Dalnÿ bis Mukden ist von den

Japanern wieder hergestellt worden, nachdem sie seit dem Kriege brach gelegen hatte. Voraussichtlich werde ich dann diese Strecke wählen. Vielleicht bleibt mir dann noch Zeit Moskau und Petersburg zu besichtigen, und dennoch pünktlich zum Weihnachtsfeste bei Dir zu sein. Das Wiedersehen mit Dir, mein Liebstes, wird dann einen schönen Abschluss meiner Reise bilden. Wie freue ich mich auf diesen Moment. In Wilhelmshaven findet jetzt bereits ein Wettlauf um mein Kommando statt, und nicht lange wird´s dauern, bis mein Nachfolger kommandiert wird, um am 9. Oktober die Ausreise anzutreten...

Die Sache mit dem Wakkelstein ist recht eigentümlich. Wenige Tage vorher haben amerikanische Matrosen mit Brechstangen daran gearbeitet, den Stein aus seiner Lage zu bringen, was ihnen auch gelungen ist. Nur die armen Kerle von der LEIPZIG vollendeten das Werk, nachdem sie ebenso daran

gestoßen hatten, wie Tausende vor ihnen getan hatten. Die chinesische Bevölkerung war weniger in Aufregung – dazu ist der Chinese zu stumpfsinnig – als ein Japaner, dem durch den herab fallenden Stein drei Kirschbäume zerschlagen wurden, für die er Entschädigungsansprüche erhoben hat. Er hat eine Abfindungssumme bekommen, und damit ist dieser Zwischenfall erledigt…

Gewitter sind hier selten, aber vor einigen Tagen hatten wir nachts ein Gewitter, wie ich es bisher nicht erlebt hatte, nicht einmal in den Tropen. Es dauerte zwei Stunden und nahm an Heftigkeit immer mehr zu. Aber dennoch ließ ich mich in meiner Nachtruhe nicht stören und schlief immer wieder ein, um öfter durch einen besonders heftigen Schlag jäh erweckt zu werden…

Du fragst, ob ich mich trotz der höflichen Gesellschaft auf der AUSTRALIEN nicht einsam gefühlt hätte. Ja, …natürlich doch. Denn man kann sich in die Denkweise eines Franzosen nicht einleben. Er ist zu lebhaft, impulsiv und wetterwendisch und harmoniert nicht mit dem ruhigen Wesen eines Norddeutschen…

Neulich habe ich mich wiegen lassen und denke das erfreuliche Resultat. Ich wog bei meiner Ausreise (nun bekomme aber keinen Schreck) 212 Pfund und wiege jetzt 186 Pfund (natürlich mit Knochen). Meine Uniformen, weißen Anzüge, alles ist mir zu weit, und es sieht aus, als gehörten sie mir nicht. Jetzt im Sommer werde ich ohnedies noch etwas abnehmen, und Du bekommst mich ganz schlank, ohne jedes Embonpoint, zurück. Ein eleganter Rockanzug wird für die noch nötige Schlankheit sorgen…

Sonntag, 14.06.1908

…Regenwetter, Gewitter. Gestern Abend während des Bierabends erhob sich ein Gewitter mit Hagel, dass einem Angst und Bange werden konnte. Die Hagelkörner prasselten wie Maschinengewehrfeuer gegen die Scheiben, der Himmel ein einziges Flammenmeer. Ein wunderbares Naturschauspiel. Ich sehe ein Gewitter sehr gern, wenn die Natur ihre Gewalt zeigt. Das Gewitter, Blitzen und Krachen währte fast die ganze Nacht, aber ich ließ mich nicht stören…

15.06.1908

Nun hat die Scheidestunde für Stolle und Schlösser geschlagen. Morgen Nachmittag geht der Dampfer RHEIN von hier ab. Ich habe nun schon so manchen von hier scheiden sehen, mein einziger Wunsch war es immer, dass doch recht bald auch die Reihe an mich kommen möge. Bald ist es so weit. Der letzte Ablösungstransport ist fort, und ich rüste mich zur Heimkehr… Carl Stolle wird Dir hoffentlich unmittelbar nach seiner Ankunft, wenn er über den ersten Begrüßungssturm bei seiner Frau hinweg ist, die Seide senden…

N8/5 Briefnummer 113 – transkribiert von Bernd Liebig

Tsingtau, 19. Juni 1908

…Nun ist der Dampfer RHEIN glücklich fort, mit ihm Stolle und Schlösser. Am 16. nachmittags ½ 5 Uhr ging er ab. Erst war es mir etwas merkwürdig, fast weh ums Herz, als der Dampfer unter den bekannten Klängen: „holdrio, jetzt geht´s zur Heimat, holdrio, jetzt geht´s nach Haus“ von der Mole ablegte. Grüße herüber und hinüber, und „glückliche Reise“! Ich wäre doch zu gern mitgefahren, aber die kurze Zeit werde ich hoffentlich auch noch überstehen. Nun bin ich der Nächste zum Abschiednehmen…

Auch hier ist es Sommer geworden. Nach einigen Regentagen, Nebel pp. haben wir seit gestern Abend das prachtvollste Wetter, abends angenehm kühl, so recht geeignet, mit der Liebsten eine Mondscheinpromenade zu machen. Da ich Dich nun leider nicht hier habe, bin ich gestern Abend ganz alleine spazieren gegangen; habe dem Rauschen der Brandung zu gehört und mit all´ meinen Gedanken nur bei Dir habe ich den Mond gebeten, Grüße an Dich zu überbringen. Hast Du sie bekommen, meine süße Taitai? Dann in ich nach Hause gegangen, um mit einem Gebet für Dich einzuschlafen. Auch heute Abend ist das Wetter prachtvoll, nur bin ich etwas früher nach Hause gekommen, um an Dich zu schreiben, Kalte Dusche wie gewöhnlich, und so sitze ich nur mit einem Kimono angetan bei Dir, mein Frauchen, im Herzen die Sehnsucht. –

Sonnabend Nachmittag, 20.06.1908

…Zur Abwechselung sende ich Dir 18 Bilder zur Komplettierung unsres Albums 17 stammen von der Yangtse – Jagdfahrt und eines aus Japan. Die Erklärungen stehen auf der Rückseite. Du kannst Dir nun ein besseres Bild vom Yangtse machen, von den unter Wasser stehenden Reisfeldern, durch welche häufig unsre Jagden gingen. Sicherlich werden sie Dir viel Spaß machen. Auf mehreren Bilden bin ich wieder vertreten. Eine angenehme Erinnerung für später.

Ich komme eben von Bord, habe eine Dusche genommen, da es heute mordsmäßig heiß ist, und sitze wieder im Kimono am Schreibtisch. Dieses Kleidungsstück ist mir jetzt ganz unentbehrlich geworden, und ich glaube, auch Du, …wirst Dich später derartig schnell daran gewöhnen, dass Du den Kimono lieber trägst, als alles andere. Es ist in der Tat ein bequemes und dazu natürlich ganz besonders für junge Eheleute passend, absolut kein unschönes Bekleidungsstück…

Montag, 22.06.1908

Leider konnte ich vorgestern Abend nicht mehr zum Schreiben kommen und gestern, Sonntag, ebenso wenig. Sonnabend Abend war ich müde. Gestern wollte ich Nachmittag an Dich schreiben, aber es kam wieder ´mal anders. Ich lag auf meiner Chaiselongue nach dem Essen und las, da hörte ich um ¾ 3 Uhr eilige Kinderschritte, und es erschien einer der kleinen Staffeldt´schen Jungens und brachte mir eine mündliche Einladung seiner Mutter zum Kaffee. Na, da war´s vorbei mit Schreiben. Zunächst bekam ich von Frau Staffeldt eine kleine Strafpredigt, weil ich nicht, wie gewohnt, zum Mittagessen bei ihnen war, und dann blieb ich eben auch zum Abendessen. Frische Kartoffeln, die wir selbst aus dem Garten geholt hatten, dazu grüne Bohnen, ebenfalls aus dem Garten und kalten Hammelbraten. Es schmeckte alles delikat. Dann saßen wir bis 10 Uhr auf dem Balkon beim gemütlichen Kartenspiel, und ich steuerte meiner Wohnung zu. Wieder eine Woche herum. Übermorgen Abend bin ich wieder bei Staffeldts, es gibt „neue Kartoffeln, junge Erbsen aus dem Garten und Schinken. Diesen muss ich aber liefern auf höheren (d. h. Frau Staffeldts) Befehl. Ähnlich habe ich bereits Albrecht Schlösser vorbereitet. Wenn er später zu uns zum Abendbrot kommen will, muss er die Wurscht mitbringen, und er hat es auch zugesagt, nur traue ich ihm hierin nicht recht.

Ich komme eben von einer Geburtstagsvisite bei Frau Richter…

N8/5 Briefnummer 114 – transkribiert von Bernd Liebig

Tsingtau, 23. Juni 1908

…Na siehst Du, wie pünktlich die Post jetzt ist. Ich freue mich immer, wenn meine Briefe pünktlich ankommen…

25.06.1908

…Gestern kam ich nicht dazu, meinen Brief an Dich fortzusetzen; denn nachmittags holte mich Herr Staffeldt ab, mit einem Gruß von seiner Taitai und ich sollte bloß nicht den Schinken vergessen. Und da kaufte ich denn 1 ½ Pfund Schinken zum Abendessen. Es gab, wie ich Dir schon mitteilte: neue Kartoffeln, junge Erbsen mit Karotten und Schinken. Alles schmeckte einfach delikat.

Seit einigen Tagen liegen wir ´mal wieder auf der Werft, um einige Arbeiten für unsre bevorstehende Reise ausführen zu lassen. Der Reiseplan ist folgender: Abfahrt 13. Juli, auf 3 – 4 Tage vermessen südlich von Tsingtau. Das mache ich nicht mit, sondern bleibe diese Zeit über hier. Am 17. Juli Abfahrt nach Tschifu, Ankunft am 19. Aufenthalt bis 23., dann Weiterfahrt nach Tientsin, wo wir am 24. ankommen. Hier warten wir auf weitere Befehle vom Admiral, der heute mit den Kreuzern nach Japan gegangen ist. Von Tientsin werde ich wieder in Peking einen Besuch machen. Ich will nur wünschen, dass ich gesundheitlich alles überstehe; denn so ganz in Ordnung ist die Geschichte doch noch nicht. Jedoch liegt z. Z. zu ernsterer Besorgnis kein Grund vor. Vor allen Dingen wünsche ich aber, dass gutes Wetter ist. Aber wer kann´s wissen. Das wäre dann meine letzte Reise mit S.90. Anfang September sind wir wieder hier, und dann fange ich an, allmählich abzurüsten. Es ist doch ein wohltuendes Gefühl, wenn man sagen kann, bald treten wir die letzte Reise an, die Abschiedsfahrt. Wir wollen hoffen, dass auch diese Reise glücklich abläuft. Ende gut, alles gut!

Um meine Seide gegen die feuchte heiße Sommerluft zu schützen, habe ich sie in wasserdichtes Oelpapier gehüllt. Bei dieser Gelegenheit habe ich beide Stücke Brokatseide ganz aufgerollt um nachzusehen, ob sie vielleicht schon Flecke hat. Gott sei Dank, ist alles in bester Ordnung. Aber gefreut habe ich mich wieder über die prachtvolle Seide. Diese beiden Stücke sind mir das Liebste von allen Sachen, die ich hier gekauft habe. Na, Du sollst ja selbst Dein Urteil abgeben…

Die neue Marine-Rangliste habe ich hier noch nicht gesehen, sie muss aber nächstens erscheinen. Euer Interesse für die Marine ist wirklich gut. Ich freue mich darüber. Nur ist es mit der Abwechselung nicht so, wie Du annimmst. Mein kleiner Bruder Gustav ist in Cuxhaven kommandiert, und bleibt auch dort. Er wird sich, glaube ich, bestens bedanken, mit seiner Familie nach dem ungesunden Tsingtau zu kommen. Die Stammabteilung der Matrosen-Artillerie Kiautschou liegt in Cuxhaven in Garnison. Woher stammt denn Vaters Berechnung, dass er auf die Zahl 10 kam? Er hat übrigens nicht ganz unrecht; denn einige Beförderungen zum Stabszahlmeister stehen noch bevor. Ich rechne, dass ich etwa in 6 Jahren Stabszahlmeister sein werde; denn in den nächsten Jahre stehen sehr viele Abgänge bei den ältesten Herren bevor, die dann die Altersgrenze von 65 Jahren erreichen und ihren Abschied nehmen.

28.06.1908

Mit gleicher Post schicke ich mein Heiratserlaubnis – Gesuch ab, und hoffe, dass ich den Konsens noch hierher bekomme. Um die Sache zu beschleunigen, will ich an einen guten Freund, der im Reichsmarineamt ist, schreiben, damit er etwas Dampf dahinter macht. Wenn ich erst den Konsens habe, dann brauchen wir uns um nichts mehr zu kümmern, und in traulichem Zusammensein können wir meinen Urlaub verleben. Ganz so ist es doch nicht mit den Torpedobooten, wie Du annimmst. Diese haben zunächst als Hauptzweck, feindliche Schiffe nachts anzugreifen. Den Dienst von Meldereitern, wie Du sagst, versehen schnelle Kreuzer, höchst selten Torpedoboote, die dann als Depeschenboote Verwendung finden. – Die dritte Sehenswürdigkeit in Japan ist eine natürliche Felsenbrücke hoch im Gebirge, die zwei Felsspitzen miteinander verbindet und von keinem irdischen Baumeister hätte gebaut werden können. Diese Brücke liegt im nördlichen Japan. Ich habe sie nicht gesehen. Von Miyajima erzähle ich Dir noch mehr. – Ganz minensicher sind die Gewässer hier keineswegs. Noch oft kommt es vor, dass eine Mine gesichtet und zerstört wird. Das arme Schiff, welches unglücklicherweise nachts auf eine Mine stößt, kann natürlich seine Rechnung mit dem Himmel machen. Aber mit Gottvertrauen in die Zukunft schauen. Ich mache ja nur noch eine Fahrt mit S.90 und dann freilich die allerletzte hier draußen auf dem Postdampfer nach Tientsin, oder auch Wladiwostok…

Helle Zivilwesten besitze ich noch nicht, nur weiße Uniformwesten zum Messeanzug. Aber ich mag sie sehr gern leiden, und werde mir später auch einige zulegen…

29.06.1908

Das Heiratserlaubnisgesuch habe ich heute aufgesetzt und schicke es morgen ab. –

N8/5 Briefnummer 115 – transkribiert von Bernd Liebig

Tsingtau, 4. Juli 1908

…Heute an Deinem Geburtstage (dem 23.) konzentrieren sich meine Gedanken ganz besonders auf Dich, und in zärtlicher Liebe gedenke ich Dein. Um nun auch den Tag zu feiern, suchte ich mir einige Helfershelfer, die mithielten, und es fiel mir nicht schwer. So tranken wir denn heute Mittag in unsrer Messe auf Dein Wohl ein gutes Pülleken perlende Sektes und unsre Glückwünsche und Grüße brachten wir in Gestalt einer Postkarte zum Ausdruck, die mit gleicher Post in Deine Hände gelangen wird. Hoffentlich bist Du heute recht vergnügt und denkst auch an mich, der ich recht gern mitfeiern möchte. Na, das nächste Mal. Meine Glückwünsche mit dem kleinen Angebinde hast Du hoffentlich bei bester Gesundheit erhalten.

07.07.1908

…Heute bin ich ´mal wieder in meiner Wohnung geblieben, da mein Boot in See schießt und ich solche alltäglichen militärischen Scherze nicht mehr mitmache…

Ich war gerade von meiner Morgendusche gekommen, als mein Schreiber mit dem Postbeutel ankam…

Eure Kaisertage sind nun auch vorbei. Auch hierbei hat sich der Japs hervorgedrängt. Den Scherz mit den beiden Flaggen hätte sich der Affe schenken sollen; es ist keine Ehre für die deutsche Flagge neben dem rot-weißen Lappen eines Negervolkes zu wehen… Für Deine Fürsorge, schon jetzt ein Zimmer für mich auszusuchen, innigen Dank. Es ist umso besser, da

ich dann im Nebenhause wohnen und doch stets in Deiner Nähe weile. Aber erst muss das Zimmer, in welchem der Japs gewohnt, ausgeschwefelt werden…

Mit dem Tsingtauer Wetter kann man bis jetzt zufrieden sein. Es ist noch kühl, wenig Moskitos und man kann nachts schlafen. Es kommen freilich schon Ruhrfälle vor, aber meist bei Soldaten, denen es beim besten Willen nicht beizubringen ist, dass der Chinese der beste Bazillenträger ist. Dessen ungeachtet essen die Kerls das Obst, wie es aus den nichts weniger als reinen Händen der Chinesen kommt. Hoffentlich komme ich noch heil durch diesen mörderischen Tsingtau-Sommer. Ganz gegen meine sonstigen Gewohnheit trinke ich jeden Mittag nach dem Essen einen kleinen Cognac. Bekanntermaßen schützt geringer Alkoholgenuss gegen infektiöse Darmkrankheiten: Mit Gottes Hilfe wird schon alles gut gehen. Ich fühle mich jetzt ganz wohl, bis auf die alten Schmerzen, die freilich mitunter nachlassen, dann aber wieder auftreten und mich immer wieder daran erinnern, dass das Tsingtau-Klima recht ungesund ist. Na, in 7 Wochen sind wir über den Berg hinweg; denn im September wird es schon wieder besser.

N8/5 Briefnummer 116 – transkribiert von Bernd Liebig

Tsingtau, 14. Juli 1908

…Ich bin ´mal wieder stellungslos. Mein Boot ist seit gestern früh in See und kommt erst morgen Nachmittag wieder. Da habe ich mein Bureau in meiner Wohnung aufgeschlagen und arbeite zu Hause. Ich bin jetzt ganz allein, meinen Schreiber hat man mir abkommandiert und nach Hause geschickt wegen allgemeinen Personalmangels. Es ist nur gut, dass ich nur noch vier Monate an Bord bin, sonst würde ich mich bestens für das Kommando bedanken. Mein Bedarf hier an Bord ist überreichlich gedeckt. Viel Ärger dienstlicher und halbdienstlicher Natur lassen mich mehr denn je meine Ablösung herbeisehnen, und leichten Herzens verlasse ich das Schiff, wo es mitunter ganz nett sein konnte, wo es aber auch viel Verdruss gab. So werde ich übermorgen Vormittag meine letzte Fahrt mit den Torpedobooten antreten, wenn sie nur erst vorbei wäre. Aber vier Wochen muss ich noch aushalten, dann gibt es für mich keine Seefahrt auf einem Torpedoboot mehr. Ich will Dich nun nicht mit meinen Klageliedern langweilen, aber soviel wie ich in den letzten Tagen geschimpft habe, war es noch nie der Fall. Mitunter bin ich ordentlich verbissen…

Häufig trage ich mich mit dem Gedanken, die Marine an den Nagel zu hängen, aber ich möchte doch dem Reiche nicht meine Stabszahlmeisterpension schenken, und jetzt bekäme ich nur 3200 Mark, das ist mir zu wenig...

Oberzahlmeister Otto Schulze – Briefe aus Fernost – Teil 2

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