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ОглавлениеHerr Admiral, Herr Admiral!“
Da der Schläfer unbeweglich blieb, beugte Matrose Kirn sich über das Bett und rief noch lauter:
„Herr Admiral!“
Barenheim blinzelte mit den Augen und runzelte die Stirn in Aerger, denn sein Bursche hob gar schon die Hand zum Wachrütteln.
„Herr Admiral, mit Herrn Kapitänleutnant von Heidebreeg ist was los.“
Barenheims Blick glitt von der auf dem Nachttisch stehenden Uhr wieder zum erregten Gesicht des Matrosen. Hatte die Aussicht auf Krieg den Mann um den Verstand gebracht oder ermutigt, über den Durst zu trinken? Warum weckte er vor der befohlenen Zeit? Und was sollte mit dem Ersten Admiralstabsoffizier des Geschwaders „los“ sein? Freilich konnte der Tag kaum früh genug beginnen. Seit dem gestrigen Einlaufen von der Nordlandfahrt war „drohende Kriegsgefahr“ erklärt und bald der Befehl zur Mobilmachung zu erwarten. Mehr ironisch als ärgerlich fragte er:
„Was denn, mein Sohn?“
„Er hat sich erschossen!“
Da richtete Admiral Barenheim sich auf und griff mit unsicherer Hand nach den Kleidern. Während des hastigen Anziehens beobachtete er den Matrosen argwöhnisch. Doch Kirn stand gerade und schritt sicher. Der Bursche war wirklich nicht betrunken, nur erregt. Aber warum sollte Heidebreeg sich am Vorabend einer Mobilmachung erschiessen? Der Kapitänleutnant war als Soldat geschätzt, als Mensch beliebt und sprach gestern, während der letzten Mahlzeit an Bord, noch in froher Ungeduld von seinem Hoffen auf Krieg und die erwartete Beförderung zum Stabsoffizier. Nachmittags hatte Barenheim mit ihm und dem Zweiten Admiralstabsoffizier Riessthal über Mobilmachungsvorschriften gesessen, bis das Flaggschiff zum Kohlen in den Heinrichshafen fuhr. Da nahm er den Stab in seine weisse Villa am Kanalufer mit, um den Behörden an Land und namentlich dem Telegraphenamt nahe zu sein. Um zwei Uhr morgens ging Riessthal an Bord. Heidebreeg bat um Erlaubnis, sich bis fünf Uhr unten im Arbeitszimmer auf dem Ledersofa ausstrecken zu dürfen. Jetzt schloss der Admiral die Knöpfe des blauen Bordjacketts und fragte: „In meinem Zimmer?“
Der Matrose stand straff:
„Jawoll, Herr Admiral. Wie ich eben um Fünfe zum Wecken in die Stube komme, liegt er mit ’ne Kugel im Kopf aufs Sofa und daneben der Revolver!“
Kopfschüttelnd hastete Barenheim mit dem Burschen über die Treppe ins Erdgeschoss. Durch die noch offene Tür zum Arbeitszimmer sah er an der Wand gegenüber Heidebreeg auf dem Ledersofa mit dem Gesicht zur Rückenlehne liegen. Schnell trat er hinter das linke Seitenpolster und beugte sich über des Kapitänleutnants Kopf. Die Stirn trug eine runde kleine Wunde, um die nur wenig Blut geronnen war. Ein Revolver lag neben der linken Hand und schien der auf leicht angezogenen Knien ruhenden rechten entfallen. Im Zimmer hing mit des Vorabends schwüler Hitze muffiger Tabaksgeruch. Die Fenster waren über Nacht geschlossen geblieben.
Barenheim legte die Finger auf Heidebreegs Stirn. Sie war kalt, und die Berührung brachte ein Erschauern. Gewiss begann bald eine Zeit grossen Sterbens, doch erschütterte der Verlust eines treu ergebenen und befreundeten jungen Offiziers in elfter Stunde vor der grossen Fahrt. Damit regten sich Zorn und Aerger. Warum hatte der Tote nicht gewartet, bis der Kampf ihm Gelegenheit zu einem soldatischen Ende bot? Auch kleinliche Gedanken huschten durch das Hirn. Konnte Heidebreeg zum Sterben keinen anderen Ort als das Haus der Frau eines stets wohlwollenden Vorgesetzten wählen? Dann dachte er nur noch als Befehlshaber, hiess den Matrosen die Fenster öffnen und wies ihn aus dem Zimmer. Im Korridor schloss er die Tür ab, steckte den Schlüssel in die Tasche und befahl: „Sie laufen schleunigst zum Schiff und holen Kapitänleutnant Riessthal. Er soll den Oberstabsarzt und den Kriegsgerichtsrat rufen lassen!“
„Zu befehlen, Herr Admiral.“ Der Mann machte kehrt und wollte die Haustür aufklinken. Doch war von innen abgeschlossen. Der Admiral sah ihn den Schlüssel drehen, kam nach und ging als erster über die drei Stufen in den Garten. Ein Matrose auf Posten präsentierte das Seitengewehr.
„Haben Sie während der Nacht einen Schuss gehört?“
„Nein, Herr Admiral!“ Dachte der Geschwaderchef, der Feind könne über Nacht bei Emden gelandet sein?
„Nichts, gar nichts Ungewöhnliches, mein Sohn?“
Der Verblüffte schüttelte den Kopf: „Nein, Herr Admiral, nur viel Donnern. Es hat gewittert.“
„Weiss ich.“ Auch ihn hatte das Wettern geweckt. Noch hing in der Luft feuchte Schwüle, die einen neuen heissen Tag ahnen liess. Er ging um das Haus und befragte den zweiten Posten. Auch der Obermatrose hatte keinen Schuss gehört und keinen Menschen im Garten gesehen. Wenn Heidebreeg sich wirklich erschossen hatte, musste er den Revolver während eines Donnerschlages abgedrückt haben. Doch Barenheim mochte an Selbstmord nicht mehr glauben. Um dem Klatsch den Weg in die Stadt zu sperren, schärfte er beiden Posten ein, niemand aus dem Haus zu lassen, und mahnte sie, auch auf die nur von innen zu öffnende Tür des Eiskellers im Gebüsch neben der rechten Seitenmauer des Hauses zu achten.
Dann ging er wieder nach oben und war für den Tag angekleidet, als Kirn das Kommen Riessthals meldete. Schon von der Treppe sah der Admiral den Kapitänleutnant mit dem Oberstabsarzt Doktor Kundrich und Kriegsgerichtsrat Lund in der Halle flüstern. Ihre ernsten Mienen erzählten, dass der Bursche von dem traurigen Geschehen gesprochen hatte. Verstört standen auch des Hauses Dienstboten in der offenen Tür vor den Stufen zu Küche und Eiskeller. Barenheim befahl ihnen, die Damen zu wecken und bat die drei Herren ins Arbeitszimmer. Seine Hand wies zum Sofa. Doktor Kundrich beugte sich über Heidebreeg und griff nach den Schultern, als wolle er die Leiche auf den Rücken betten.
„Verzeihung, Herr Stabsarzt,“ wehrte der Kriegsgerichtsrat, „ehe Sie ihn berühren, sind Tatbestand und Befund aufzunehmen!“
Kundrich legte die Finger auf die Stirn des Toten und zuckte die Achseln:
„Zu helfen wäre auch nicht. Er muss über zwei Stunden tot sein, denn das Blut ist geronnen.“
Riessthal trat auf Fussspitzen an das Sofa und schüttelte in schmerzlichem Staunen den Kopf. Der Tote war ihm ein lieber Freund und Kamerad langer Jahre gewesen, aber hatte neuerdings oft seine Eifersucht geweckt. Den Groll darüber bat er ihm ab und verschlang die Hände zu kurzem Gebet. Das Gesicht wieder ins Zimmer kehrend, sah er auch den Geschwaderchef auf die Leiche starren. Barenheims sonst glatte weisse Stirn über dem wetterbraunen Gesicht trug Furchen von Unmut. Jetzt straffte er zu voller Höhe die schmale Gestalt, die in der knappen blauen Uniform mit breiten goldenen Aermeltressen noch jugendlich schlank und biegsam aussah. Seine schmale Hand strich über des Scheitels gepflegtes Dunkelblond, das ein erstes Grau über den Ohren nur zu verjüngen schien, und die Stimme schnitt mir scharfer Helle in das Schweigen: „Meine Herren, ich glaube nicht an Selbstmord. Heidebreeg war zu guter Soldat, um sich vor der Mobilmachung zu erschiessen.“
Riessthal nickte überzeugt. Im dienstlichen Verkehr zweier Jahre hatte er gelernt, sich des verehrten Vorgesetzten Anschauungen blindlings zueigen zu machen. Doch der Kriegsgerichtsrat wiegte den Kopf, als wolle er sagen, Heidebreeg könne nur durch einen Schuss von eigener Hand gestorben sein. Er öffnete schon die Lippen, als der Bursche ins Zimmer trat:
„Die Damen sind geweckt, Herr Admiral!“
Barenheim überhörte die Meldung. Sein nachdenklicher Blick folgte dem Zeigefinger des über die Leiche gebeugten Kriegsgerichtsrats, der auf das Sofa wies.
„Hier liegt doch der Revolver!“ Lund nahm die Waffe und sah hinein: „Fünf Kammern sind noch geladen. Eine Patrone ist abgeschoffen. Festzustellen bleibt, ob die Waffe dem Toten gehörte.“
Der Matrose reckte den Hals. Der von Erregung, Laufen und schwüler Hitze glühende Kopf nickte lebhaft. Seine Hand wies auf einen Koffer, eine Ledertasche und einen Mantel zwischen allerhand Ausrüstungsstücken auf dem Fussboden bei der Tür: „Die Sachen brachte der Bursche von Herrn Kapitänleutnant von Heidebreeg nachts aus der Stadtwohnung her, weil es schon zu spät war, sie an Bord zu tragen. Ich half dabei und legte auf den kleinen Eisenkasten den Revolver, den Herr Kriegsgerichtsrat jetzt in der Hand hält!“
Riessthal konnte bestätigen: „Auch ich war zugegen. Heidebreeg meinte noch, es sei ihm peinlich, dass er den Kram ins Haus des Herrn Admiral schleppen müsse. Dann fragte ich nach dem Inhalt der kleinen Kassette.“
Vier Augenpaare suchten den Kasten vergeblich. Der Bursche schien zu erschrecken, kniete nieder und kramte zwischen des Toten Habe. Kopfschüttelnd richtete er sich wieder auf und stammelte verstört:
„Herr Admiral, ich habe wahrhaftig nichts angefasst und genommen!“
„Behauptet niemand, mein Sohn!“ Barenheim sah jetzt Riessthal in die Augen: „Was war in dem Kasten?“
Der Admiralstabsoffizier nahm Haltung: „Heidebreeg sprach von ein paar Schmucksachen, etwas Bargeld und mehreren tausend Mark in preussischer Staatsanleihe, die er heute vor dem Einschiffen zur Bank schicken wollte.“
„Na also,“ kam mit einem Aufatmen der Erleichterung von den bartlosen Lippen des Geschwaderchefs. Jetzt sah er mit dem Blick wehmütiger Trauer auf den toten Untergebenen. Selbstmord am Vorabend des Krieges hätte er einem Offizier nicht verziehen. Nun zürnte er sich, dass Heidebreegs Tod ihn nicht mehr erschütterte. Doch die Gedanken waren schon bei der grossen Fahrt. Ein Menschenleben galt wenig, wenn die Knöchel zum Würfeln um Völkerlos rollten.
Der Kriegsgerichtsrat griff unter des Toten linken Ellbogen und drehte sich mit einem blutdurchsickerten Taschentuch zwischen den Fingerspitzen zum Geschwaderchef: „Das ist allerdings ein Fund, der Herrn Admirals Ansicht bestätigen könnte!“
Der Oberstabsarzt nickte:
„Erklärt auch die geringe Blutung, die nach dem Schuss wahrscheinlich mit dem Taschentuch gestillt wurde.“
Also konnte von Selbstmord keine Rede mehr sein. Der Admiral warf sich in einen der Ledersessel. Grübelnd sah er auf die Linien im Muster des dunklen Perserteppichs vor dem Sofa: „Sehe ich da Flecken?“
Der Oberstabsarzt liess sich auf die Knie herab, stützte die Linke auf den Fussboden und rieb mit dem rechten Zeigefinger auf dem Teppich. Kurz atmend, stand er wieder auf:
„Blutflecken, Herr Admiral!“
Fast schien es, als freue er sich der Entdeckung. Die drei anderen sahen einander in die Augen. Der tödliche Schuss war also nicht gefallen, während Heidebreeg auf dem Sofa lag. Wahrscheinlich während eines Donnerschlages traf ihn die Kugel, als er auf dem Teppich stand. Dann hemmte der Mörder die Blutung mit dem Taschentuch, schleppte die Leiche auf das Lager und bettete sie mit dem Revolver neben der Hand wie die eines Selbstmörders. — —
Barenheim sah auf Lund, als erwarte er eine Frage.
„Befehlen Herr Admiral, dass ich die Hausbewohner vernehme?“
„Allerdings, Herr Kriegsgerichtsrat!“ Niemand wusste leider besser als er, dass der Mörder in seinem eigenen Haus zu suchen war. Um es noch zu betonen, erklärte er, dass beide Haustüren über Nacht von innen verriegelt gewesen waren, dass er ferner mit Heidebreeg vor dem Schlafengehen die Fenster im Erdgeschoss geschlossen und endlich gegen sonstigen Brauch zwei Posten vom Flaggschiff in den Garten befohlen hatte. Da er von früherer Tätigkeit im Admiralstab die Rührigkeit des fremden Nachrichtendienstes kannte, hielt er erhöhte Vorsicht während der Mobilmachungsvorarbeiten für geboten und hatte nach zwei Uhr früh vor den Augen von Heidebreeg und Riessthal die vom Flaggschiff „Tirpitz“ mitgebrachten Geheimpapiere im obersten Schubfach des Schreibtisches mit eigenen Händen verschlossen.
Unwillkürlich griff er nach dem Schlüssel in seiner Tasche, als er dem Burschen befahl, die Dienstboten zu rufen und die Damen zu bitten.
Dann lehnte er sich im Sessel zurück:
„Einstweilen nehmen Sie wohl meine Angaben zu Protokoll!“
Der Kriegsgerichtsrat sah sich nach Schreibzeug um. Riessthal trat an des Admirals Diplomatentisch, nahm Kanzleipapier und legte die Bogen auf eine Unterlage von weissen Löschblättern. Plötzlich warf er den Kopf zurück und hob die Unterlage zu staunenden Augen. Seine Stimme bebte leicht, als er mit dem Zeigefinger auf dem obersten Löschblatt zum Admiral hastete:
„Ich weiss, dass ich, um keine Vorsicht zu versäumen, nach dem Niederschreiben der letzten Befehle durch Heidebreeg ein Blatt von der Unterlage riss, weil beim Abdrücken die Tinte einiger Buchstaben oder Worte haften geblieben war. Jetzt trägt das oberste Blatt neue Abdrücke, und zwar nicht von Heidebreegs eckiger, sondern einer runden, mehr flüssigen Hand. Ueber Nacht hat hier jemand geschrieben, Herr Admiral!“
Barenheim riss ihm die Unterlage aus der Hand und ging zum Fenster:
„Mein Vergrösserungsglas!“
Der Bursche brachte die Lupe vom Schreibtisch. Der Geschwaderchef hielt sie vor die Augen und erkannte halbe Worte. „Molt ..“ konnte nur „Moltke“ heissen, „. . . . . linger“ war „Derfflinger“ und „Seydlitz“ ganz und gar zu lesen. Auch die Zahlentabelle oben in der rechten Ecke musste aus den Mobilmachungsakten abgeschrieben sein.
Er glaubte ein Rinnen von eisigem Wasser in den Adern zu spüren. Mit den Papieren waren dem Verbrecher wichtige Geheimnisse der deutschen Seekriegführung in die Hände gefallen. Seine Schlüssel aus der Tasche nehmend, schritt er durch das Zimmer und öffnete den Schreibtisch. Im oberen Mittelfach lagen die Akten, aber nicht geordnet wie beim Verschliessen. Hastende Hände hatten die Papiere durcheinander geworfen. Er riss das Bündel heraus und blätterte.
„Einen Augenblick, Herr Admiral.“
Riessthals unsicherer Finger wies auf einen Tintenfleck:
„Der war nicht hier!“
Barenheim nickte, liess die Papiere auf die Platte fallen und starrte vor sich hin. Endlich drehte er ein ernstes Gesicht ins Zimmer. Seine Stimme war streng wie immer, aber die Haltung müde: „Herr Kriegsgerichtsrat, wir haben in meinem Hause einen Spion zu suchen.“
Dann ging er zum Sessel zurück. Der Kriegsgerichtsrat setzte sich an den Schreibtisch. Der Geschwaderchef gab an, wie er seinen Ersten Admiralstabsoffizier nachts verliess und morgens fand, und erzählte, er habe natürlich einen Selbstmord für möglich gehalten, bis das Fehlen der Kassette Raub und Totschlag vermuten liess. Jetzt wäre leider mit einem Spion zu rechnen. Wahrscheinlich hatte der Verbrecher sich schon vor längerer Zeit einen zweiten Schlüssel zum Schreibtisch verschafft. Als er nachts ins Zimmer schlich, erwachte der Kapitänleutnant gewiss und sprang auf. Das Unheil wollte wohl, dass gerade ein Donnerschlag fiel. Ungehört verhallte darum der Schuss, der Heidebreeg niederstreckte. Dann drückte der Mörder das Taschentuch auf die Stirnwunde und schleppte den Toten auf das Sofa, um einen Selbstmord vorzutäuschen.
Der Kriegsgerichtsrat schrieb und der Admiral setzte seinen Namen auf das Protokoll. Der Bursche, Matrose Kirn, zitterte wieder, als er auf einen Wink neben den Schreibtisch trat: „Ich weiss nichts und kann nichts sagen, un hab’ in meine Kammer unterm Dach fest geschlafen, bis ich zwanzig Minuten vor Fünf das Schnarren von de Weckuhr hörte!“
„Was Sie später erlebten, wollen wir wissen,“ mahnte Lund.
„Nu, Herr Kriegsgerichtsrat, zieh’ ich mir schnell an un lauf’ die Treppe runter. Wie ich hier dreimal feste ankloppe un nichts höre, mach’ ich die Tür auf un sehe Herrn Kapitänleutnant schlafen. Da ruf’ un ruf’ ich denn, un wie er immer noch nichts sagt, will ich ihn bei de Schulter rütteln un geh’ ans Sofa. Da krieg’ ich ’n Schreck, weil doch die Stirn blutet und neben der linken Hand der Revolver liegt. Da mach’ ich schnell nach oben zu Herrn Admiral!“
Die Frage, ob das Knallen eines Schusses zu hören gewesen sei, verneinte wie Kirn auch die Köchin Berta Walter, als nächste Zeugin. Die Redeflut der dicken Vierzigerin konnte Lund kaum hemmen. Sie schilderte, wann und wie sie zur Ruhe gegangen war. Bald habe ein Donnerschlag sie wieder aus dem Schlaf geschreckt und dann das Lärmen des Gewitters ihren Schlummer bis in den hellen Morgen gestört. Geärgert hatte sie sich oft über das ununterbrochene Schnarchen des Dieners der Schwägerin des Admirals in der Kammer neben der ihren.
Das stete laute Sägen Carl Hentjens war auch das einzige Geräusch, von dem Emma Kirlitz und Anna Berliner, die jenseits der anderen Wand des Dienerzimmers schlafenden Stubenmädchen, berichten konnten. Noch beim Ankleiden um sechs Uhr früh hatten sie darüber gelacht.
Die Jungfer der Schwägerin des Admirals gab nur an, die Stubenmädchen hätten sie mit der Nachricht vom Selbstmord des Kapitänleutnants aus ungestörtem Schlummer geweckt.
Endlich trat Carl Hentjen an den Schreibtisch. Verbeugung und Erscheinung waren die eines gutgeschulten, selbstsicheren, aber bescheidenen herrschaftlichen Dieners. Der stattliche Dreissiger mit kahlen Lippen und kurzen semmelblonden Bartstreifen neben beiden Ohren stand stramm wie ein Soldat, aber neigte artig das rechte Ohr, als könne er nicht früh genug die erste Frage hören. Ehe Lund sie stellte, sprach der Admiral:
„Ich mache darauf aufmerksam, dass der Mann nicht Deutscher, sondern Holländer ist!“
Es klang, als wollte er einen Verdacht wecken. Doch das kluge Gesicht des Zeugen blieb verbindlich, obwohl unbeweglich. Der Kriegsgerichtsrat vernahm ihn eingehender als die anderen Dienstboten. Frei und unbefangen, höflich, aber nicht unterwürfig berichtete Hentjen von seiner Geburt in Haarlem, von der dort verlebten Jugend, von seinen Arbeitsjahren und erklärte, er sei einunddreissig Jahre alt und seit nun fünf im Dienst der Familie Harder. Während der Nacht habe er fest geschlafen, bis die Köchin an die dünne Zimmerwand klopfte und sofortiges Aufstehen forderte.
Die Tür ging auf. Emma Kirlitz reckte den Kopf durch den Spalt und flüsterte scheu: „Gnädige Frau lassen fragen, ob sie kommen soll?“
Des Admirals Augen suchten wie in Zweifel den Toten und dann wieder das Mädchen:
„Noch nicht, Kind! Besorgen Sie zunächst ein Laken!“ Dann befahl er Hentjen, den japanischen Wandschirm vor das Sofa zu stellen. Emma kam mit dem Laken, und Riessthal deckte die Leiche zu. Der Wandschirm stand schon davor. Also mochten die Damen kommen. Der Admiral nickte Emma zu: „Ich lasse bitten!“
Durch das Zimmer schreitend, blieb er auf den Füssen, bis seine jugendliche Gattin eintrat. Elses Gesicht unter aschblondem Haar war fast farblos wie das weisse Sommerkleid auf der zierlich kleinen Gestalt. Vergeblich suchte sie nach Worten der Begrüssung für die sich verneigenden Besucher. Unfähig, Riessthal die zitternde Hand zu geben, hing sie sich an den Arm des Admirals und schluchzte: „Der arme, arme Herr von Heidebreeg!“
Der Kriegsgerichtsrat dachte die Verstörte nicht lange zu quälen: „Haben gnädige Frau während der Nacht Ungewöhnliches gehört oder etwas zur Aufklärung des Unglücks zu sagen?“
Sie schüttelte den Kopf: „Nichts, gar nichts, wirklich nichts, Herr Kriegsgerichtsrat!“ Tränen standen in ihren blauen Augen, die ängstlich nach dem Wandschirm schielten.
„Dann danke ich sehr, gnädige Frau!“ Lund stand auf und verbeugte sich: „Das Protokoll schicke ich zum Unterschreiben nach oben!“
Der Admiral legte den Arm um die Schultern seiner Frau und dachte sie aus dem Zimmer zu führen. Als er die Tür öffnete, trat ihm seine Schwägerin entgegen. Die Herren standen wieder auf. Der Oberstabsarzt und der Kriegsgerichtsrat stutzten. Blond und blauäugig wie die Schwester, aber gross und schlank, durfte Frau Harder als Schönheit gelten. Mit ernster Liebenswürdigkeit dankte sie für die Grüsse der Herren, schloss dann mit furchtsamem Blick auf den Wandschirm die Augen und schüttelte die Schultern wie in Grauen. Riessthal stellte Kundrich und Lund vor, während der Admiral seiner Frau noch ein Wort in den Korridor nachrief. Dann schob er der schönen Frau einen Sessel zu und blieb bei ihr, als denke er ihr über das Unbehagen eines Verhörs hinwegzuhelfen. Auch ihre Aussage schien keine Aufklärung zu verheissen. Sie erzählte nur von ungestörtem Schlafen bis zum Wecken durch ihre Jungfer.
Der Kriegsgerichtsrat dachte sie zu entlassen: „Tut mir aufrichtig leid, gnädige Frau zu so früher Stunde bemühen zu müssen!“
„O, bitte sehr, wenn der Anlass nicht tieftraurig wäre, würde ich es nicht bedauern. Ich freue mich immer, wenn ich in das dienstliche Tun der Herren hineinsehen darf, und suche jede Gelegenheit dazu!“
Lund trug das Protokoll zum Unterschreiben an ihren Sessel. Sie setzte ihren Namen auf das Papier, aber lehnte sich dann zurück, glättete den weissen Rock über den Knien und kreuzte die Füsse in weissen Lederschuhen, als richte sie sich zum Bleiben ein. Der Kriegsgerichtsrat wagte nicht sie hinauszuschicken. Sein fragender Blick suchte den des Admirals, der von ihr auf Hentjen sah:
„Ich möchte, dass meine Schwägerin der Vernehmung ihres Dieners beiwohnt!“ Er vermutete in dem Holländer den Spion. Die Verwandte kannte Hentjen besser als er und sollte helfen, den Verbrecher zu überführen.
Der Kriegsgerichtsrat nahm das Verhör des Mannes wieder auf:
„Wie kamen Sie als Holländer in den Dienst Ihrer Herrschaft?“
Carl Hentjen hob die Schultern: „Im Jahr 1909 während der Regatta in Cowes war ich Steward beim Earl of Dunraven auf der Jacht ‚Shamrock‘, die nach ihrer letzten Wettfahrt für den Winter aufgelegt werden sollte. Da ich hörte, Frau Harder suche einen Steward für ihre ‚Fly‘, meldete ich mich.“
Wieder sprach der Admiral: „Herr Harder ist Amerikaner und Rat bei der Botschaft der Vereinigten Staaten in Berlin. Meine Schwägerin, eine Tochter des mir verwandten Kaiserlichen Gesandten Barenheim, lernte ihren Mann in Lissabon kennen, und als mein Vetter später den Abschied nahm, um nach Deutschland überzusiedeln, begegnete ich der jüngeren Schwester, meiner Frau.“
Als Barenheim schwieg, stand der Kriegsgerichtsrat auf und hielt Hentjen das blutdurchsickerte kleine Taschentuch vor die Augen: „Kennen Sie das?“
Der Holländer liess sich nicht verblüffen, sondern musterte mit unbekümmert fragendem Blick neugierig das Tuch. Langsam griffen seine Finger danach. Er breitete es aus, hielt es gegen das Licht, schüttelte den Kopf und sagte erstaunt: „Das Monogramm ist ja das meiner Herrschaft!“
Sein Blick galt Frau Harder, die unter den fragenden Augen des Kriegsgerichtsrats und des Admirals langsam vom Sessel aufstand. Ihr Gesicht rötete sich, als sie zu dem Holländer trat, und war bleich, während sie es dem blutbefleckten Tuch näherte. Wie in Grauen hob sie beide Hände mit den Innenflächen nach aussen, als wehre sie Entsetzliches ab. In ihren Knien war ein Zittern und im Kopf ein Schwindeln ... Blutbefleckt wie jetzt hatte sie nachts das Tuch auch in Heidebreegs Hand gesehen! In Angst wäre sie gern aus dem Zimmer geflüchtet. Doch ihr Eheleben hatte sie gelehrt, Haltung auch in Erregung, Kummer oder Verzweiflung zu wahren. Sie konnte nicken: „Das ist eines meiner Taschentücher!“
Barenheim richtete sich im Sessel auf. Seine Hände drückten hart auf die Lehnen. Von der gerunzelten Stirn hoben starke blonde Brauen sich wie Borsten. Doch Riessthal nickte Frau Ada beruhigend zu. Seine Handbewegung gegen den Holländer sagte, der Mann habe das Tuch natürlich gestohlen.
Der Kriegsgerichtsrat sah verlegen vom Admiral auf die Dame, gegen die sein Verdacht erwachte:
„Gnädige Frau ......, können Sie mir sagen ......“
Es klang, als wage er nicht fortzufahren.
Hart schlug die strenge Stimme des Admirals ins Schweigen:
„Herr Kriegsgerichtsrat, tun Sie Ihren Dienst ohne Ansehen der Person. Wenn Wohl und Wehe des Staates auf dem Spiel stehen, schweigen andere Rücksichten. Du, liebe Schwägerin,“ — er drehte sich zu Ada — „wirst das begreifen und entschuldigen!“
Natürlich wusste er Ada über Verdacht erhaben. Doch gerade als seine Verwandte hatte sie sich allen Unannehmlichkeiten des Verhörs zu unterwerfen. Ihr gutes Gewissen schien ihr auch Ruhe zu schenken. Unbekümmert, obwohl schnell atmend, sass sie wieder nieder und nickte dem Kriegsgerichtsrat zu:
„Darum bitte auch ich.“
Lund verbeugte sich:
„Können gnädige Frau also erklären, wie das Taschentuch hierher kommen mag?“
Sie verneinte mit einem Kopfschütteln, ohne die Lippen zu öffnen, senkte die Augen und trommelte mit den Fingern der Rechten auf die Lehne des Ledersessels, als sei sie verlegen. Der Kriegsgerichtsrat konnte sich nur an den Holländer wenden.
„Haben Sie sich das Taschentuch Ihrer Herrin angeeignet?“
Carl Hentjen lächelte nachsichtig: „In einem Haushalt wie dem meiner Herrschaft kann der Diener gar nicht an Damenwäsche gelangen.“
Der belehrende Ton verstimmte den Kriegsgerichtsrat: „Das Tuch könnte verloren und von Ihnen gefunden sein.“
„Ausgeschlossen, Herr Kriegsgerichtsrat! Das Aufräumen besorgen die Mädchen. Ich betrete die Zimmer erst, wenn es getan ist!“
„Was sind denn Ihre Pflichten?“
„In Berlin bediene ich den Herrn Botschaftsrat beim Ankleiden, warte bei Tisch auf, putze Silber und öffne die Tür. Auf der Jacht bin ich Steward und helfe auch beim Segeln. Hier im Haus des Herrn Admirals tue ich überhaupt nichts!“
„Warum begleiteten Sie dann die gnädige Frau nach Emden? Herr Harder ist doch in Berlin.“
Wieder sprach der Admiral, aber nicht streng, sondern leicht befangen:
„Lassen Sie mich erklären, Herr Kriegsgerichtsrat, und nehmen Sie nur das Nötige zu Protokoll. Hentjen trat als Steward in den Dienst nur meiner Schwägerin. Ihr, aber nicht ihrem Mann, gehört nämlich die einst amerikanische Jacht ‚Fly‘. Während der ersten Fahrt von Cowes nach Kiel und dort, bei den Wettfahrten, zeigte Hentjen sich überraschend geschickt auch bei seemännischen Hantierungen. Darum hielt meine Schwägerin ihn fest und machte ihn zum Diener ihres Mannes, aber nahm ihn stets auch wieder auf die Jacht mit. Nun komme ich zu etwas Peinlichem. Meine Schwägerin lebt seit dem Mai unter meinem Dach, weil sie sich von Herrn Harder zu trennen denkt. Er will den Diener nicht aufgeben und sie ihren segelkundigen Steward behalten. Damit nun der Botschaftsrat Hentjen nicht überreden kann, bei ihm zu bleiben, schickte sie den Mann nach Ablauf der Kieler Woche nicht nach Berlin zurück, sondern brachte ihn mir nach Emden.“
Der Kriegsgerichtsrat wendete sich wieder an Frau Harder: „Also hätte kein eigener Wunsch den Holländer nach Emden geführt, gnädige Frau? Anfänglich schien mir nämlich verdächtig, dass der Ausländer sich in Cowes zum Dienst bei Ihnen meldete, gerade ehe Sie zur Regatta nach einem deutschen Kriegshafen fuhren!“
Frau Ada schüttelte den Kopf:
„Nein, Herr Kriegsgerichtsrat! Carl, wie wir ihn nennen, ist auf mein Geheiss in Emden und dachte anfänglich überhaupt nicht an längeren Dienst in unserem Haus. Er hatte sich als Steward nur für die Regattazeit gemeldet und blieb auf mein Zureden. Uebrigens kann ich ihn nur loben. Er ist zuverlässig, anhänglich und wohl auch von anständigerer Gesinnung als gemeinhin Leute seines Berufes.“
„Wie äussert sich das, gnädige Frau?“
„Es lässt sich weniger gut sagen als fühlen. Wir glaubten oft, er möge kein Trinkgeld nehmen. Auch mied er die Küche und den Klatsch mit anderen Dienstboten, von denen er sich abschloss, um eigene Wege zu gehen.“
Der Kriegsgerichtsrat lächelte in ihre fast schwarzblauen Augen hinter langen Wimpern. Ihm schien belastend, was ihr entlastend dünkte. Doch gleich stellte er dem Holländer neue Fragen, beugte sich über den Schreibtisch, als wolle er wieder am Protokoll schreiben, und griff plötzlich nach der Unterlage. Sein Zeigefinger wies auf den Abdruck im Löschblatt:
„Kennen Sie die Schrift, Hentjen?“
Der Mann zuckte die Achseln: „Nein!“
Lund stand auf: „Setzen Sie sich hier an den Schreibtisch und schreiben Sie schnell, aber sehr schnell Ihren Namen, Beruf und Geburtsort!“
Endlich schien Carl Hentjen verlegen und stotterte:
„Ich ... kann nicht ... schreiben, Herr Kriegsgerichtsrat!“
„Was? Sie behaupten nicht schreiben zu können und sagten eben, dass Sie ausser Ihrer holländischen Muttersprache Deutsch, Französisch und Englisch sprechen?“
„Nein, ich kann weder lesen noch schreiben!“
Verblüfft sah Lund auf des Mannes Herrin: „Sind gnädige Frau in der Lage, das zu bestätigen oder zu bestreiten?“
Ada nickte: „Auch wir wunderten uns, als der sonst kluge oder fast welterfahrene Diener behauptete, er habe keine Schule besucht. Um seine Wahrheitsliebe zu prüfen, versuchte mein Mann ihn durch Ueberraschung oder List zum Lesen zu bringen. Alles war vergeblich. Wir überzeugten uns, dass Carl wirklich weder schreiben noch lesen könne. Uebrigens ist es keine Seltenheit, dass Illiteraten mehrere Sprachen reden. Namentlich italienische Kellner in den grossen Hotels und Restaurants der europäischen Hauptstädte plappern oft in fünf Zungen, ohne Zeitungen lesen zu können.“
Auch der Admiral wollte gerecht sein: „Wenn der Mann lesen und schreiben könnte, hätte er längst das Steuermannsexamen gemacht oder wäre Schiffsführer. Sein praktisches Können als Seemann ist erstaunlich und befähigt ihn dazu!“
„Dann ... dann bin ich mit Carl Hentjen fertig,“ sagte der Kriegsgerichtsrat mit einem Achselzucken, schrieb am Protokoll und befahl dem Holländer, drei Kreuze darunter zu setzen.
„Sie bleiben noch,“ entschied der Admiral. „Aber du lässt uns jetzt wohl allein, liebe Schwägerin!“
Doch der Kriegsgerichtsrat bat, Frau Harder noch befragen zu dürfen. Sie war schon an der Tür, aber trat wieder ins Zimmer.
Lund sprach nochmals von dem Taschentuch. Der Holländer möge zwar hier im Haus des Admirals ihre Zimmer nicht betreten haben. Sei es aber nicht möglich, dass er das Tuch schon vor längerer Zeit, vielleicht in Berlin, oder auf der Jacht an sich gebracht habe?
Frau Ada schloss die Augen und hob dann die langen Wimpern mit einem zweifelnden oder fragenden Blick auf Riessthal. Zögernd verneinte sie zunächst durch ein Kopfschütteln und sagte dann:
„Unter dem Monogramm sehen Sie die Ziffer Eins. Das Tuch ist das erste eines neuen Dutzends, das der Postbote mir gestern nachmittag brachte, als ich während einer Arbeitspause der Herren mit den beiden Admiralstabsoffizieren meines Schwagers in der Gartenlaube Tee trank. Nachdem ich meinen Namen auf die Quittung für das eingeschriebene Paket gesetzt hatte, öffnete ich den Karton und nahm das oberste Tuch gleich in Gebrauch, weil ich meinen Nachbarn die eigenartig hübsche Stickerei zeigen wollte!“
Lund nickte eine Aufforderung zum Weiterreden. Er fühlte, dass Frau Harder nur sprach, weil der Kapitänleutnant das Herausnehmen des Taschentuches gesehen hatte. Riessthal aber schüttelte den Kopf, als ärgere ihn die Gesprächigkeit der Dame, und auch der Admiral schien verdriesslich: „Dann ist es dir also verlorengegangen, vielleicht gestohlen oder genommen?“
Sie nickte mit geschlossenen Lippen. Der Kriegsgerichtsrat fragte:
„Wann und wo, gnädige Frau, haben Sie das Tuch zum letztenmal in der Hand oder bei sich gehabt?“
Wieder suchte ein scheuer oder verlegener Blick der schwarzblauen Augen Riessthal: „Das war . . . . . . im Korridor!“
„Die Zeit, gnädige Frau?“
„Mein Gott, ich trage keine Uhr!“
„Wann gingen Sie zu Bett, gnädige Frau?“
Trotz ihres Erschreckens konnte Ada sich zum Lächeln zwingen:
„Wer denkt beim Schlafengehen an die Zeit?“
„Besinne dich, liebe Schwägerin,“ mahnte der Admiral mit leichtem Vorwurf in der Stimme. Adas Verhalten missfiel ihm und musste den Verdacht wecken, dass sie etwas verheimliche. Um ihr zu helfen, wendete er sich an Lund:
„Meine Frau legte sich schon vor zehn Uhr zur Ruhe, und da meine Schwägerin nie länger aufbleibt, dürfen wir annehmen, dass beide Damen um die gleiche Stunde zu Bett gingen.“
Der Kriegsgerichtsrat glaubte, dass Rücksicht auf den Vorgesetzten weiteres Fragen verbiete und sprach wieder zu Hentjen:
„Wann gingen Sie zu Bett?“
„Um elf Uhr. Eine Stunde später schlief ich, als der Bursche vom Herrn Admiral in meine Kammer kam, um eine Zigarre zu borgen!“
Im Zimmer war ein beklemmendes Schweigen. Lund sah nicht vom Papier auf und grübelte noch über das eigentümliche Verhalten der Frau Harder, als sie schon wieder aufstand: „Darf ich gehen?“
„Gewiss! Nur um die Unterschrift bitte ich noch.“ Er reichte ihr die Feder und sah sie mit runden, flüssigen Buchstaben ihren Namen schreiben. Seine Augen glitten zu den Abdrücken auf dem Löschblatt. Eine Aehnlichkeit der Schrift war nicht zu bestreiten. Doch neuerdings pflegten viele Damen die aus England gekommene Schreibart. Die Schrift allein konnte darum keinen Verdacht wecken. Frau Harder war allerdings Gattin eines fremden Diplomaten, aber wer durfte eine Verwandte des Admirals Barenheim der Spionage fähig glauben? Ihr Schwager schien keinen Verdacht gegen sie zu hegen. Höflich geleitete er sie aus dem Zimmer und drehte sich um:
„Herr Kriegsgerichtsrat, geben Sie also die Leiche zur Bestattung frei. Sie, Riessthal, bestellen das Begräbnis. Heidebreegs Bruder ist als Offizier wohl unabkömmlich. Wir wollen ihn unter Kameraden als erstes Opfer des Krieges in die Erde legen!“
Mit gesenktem Kopf trat er wieder an das Sofa, aber hob nach kurzem Sinnen ein dienstlich strenges Gesicht: „Noch etwas, meine Herren?“
Lund verbeugte sich:
„Jawohl, Herr Admiral. Ich bitte gehorsamst um den Befehl, dass kein Bewohner die Villa verlässt, bis die Kriminalpolizei eine Haussuchung vorgenommen hat!“
Barenheim nickte Riessthal zu: „Den Posten sagen!“
„Dann hätte ich auch eine Frage an den Herrn Kapitänleutnant — wer hat Herrn von Heidebreeg gestern abend als letzter gesehen?“
Riessthal strich mit der Hand über die Stirn: „Muss die Postordonnanz gewesen sein. Der Mann stand noch im Korridor, als ich gegen zwei Uhr aufbrach. Dann erst wird Heidebreeg ihm die noch auf dem Tisch liegende Mappe gegeben haben. Er wollte noch einen Brief schreiben und ein Paket für die Post fertig machen!“
„Die Ordonnanz muss ich vernehmen,“ sagte Lund, und die drei Herren brachen auf.