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Vorwort

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Was die Spitex für das Leben bedeuten kann, erfuhr ich erstmals durch meine Eltern. Die Mutter war an Alzheimer erkrankt, der Vater an Krebs. Sie wohnten noch immer in dem abgelegenen Haus, wo ich vor dreissig Jahren ausgezogen war und wo ich mich eingeengt fühlte, weshalb ich sie selten besuchte. Ich konnte mir nicht vorstellen, irgendwann für meine Eltern zu sorgen, falls ihnen etwas zustossen würde. Als kurz nacheinander die beiden Diagnosen gestellt wurden, befürchtete ich, nicht geben zu können, was sie brauchen würden. An die Spitex dachte ich damals in keiner Weise.

Dann fügte sich manches besser als erwartet. Wir erfuhren, dass meine Eltern am richtigen Ort wohnten: In diesem kleinen Dorf hatten Arzt und Spitex neu den Fachbereich der Palliative Care aufgebaut, um Menschen mit einer unheilbaren Krankheit gut daheim begleiten zu können. Mein Vater, der auf keinen Fall ins Spital wollte, konnte im eigenen Schlafzimmer die Pflege annehmen und verstand sie als Zuwendung. Was die Fachpersonen einbrachten, öffnete meine Beziehung zu den Eltern. Indem ich die Pflegenden beobachtete und mich anleiten liess, wurde ich handlungsfähig, verlor die inneren Widerstände und konnte den sterbenden Vater und später die Mutter betreuen und pflegen.

Mein Vater vertraute den Frauen der Spitex. Er konnte sich zwar oft nicht an ihre Namen erinnern, spürte aber ihr aufrichtiges Interesse, wenn sie fragten, wie es ihm gehe. Eines Morgens erzählte er einer Pflegefachfrau den folgenden Traum, der diesem Buch schliesslich den Titel gab:

«Ich sass an einem runden Holztisch, auf dem ich gedörrte, dreieckige Ananasstücke zu einem grossen Puzzle zusammenfügte. Bevor mir klar wurde, welches Bild entstehen sollte, verlor ich die Geduld. Plötzlich habe ich ein Puzzleteil in den Mund genommen, war zuerst erstaunt, wie hart es war, dann beglückt, wie süss es schmeckte. Im Traum noch habe ich bemerkt, dass ich nun mein Puzzle nicht beenden konnte, weil ein Stück fehlte und ich zudem noch mehr davon essen wollte.»

Die Pflegefachfrau berichtete mir vom Ananastraum des Patienten erst, nachdem er gestorben war. Damit gab sie mir die Lösung für ein Rätsel, das mich beschäftigt hatte: Als mein kranker Vater noch gern gegessen hatte, wünschte er sich plötzlich und dringend gedörrte Ananasstücke. Nein, keine frische Ananas und auch keine Ringe aus der Konservenbüchse wie an Weihnachten. Er wusste genau, wonach ihn gelüstete. Wie der überraschend klare Wunsch entstanden war, hatte ich verpasst zu fragen. Ich brachte aus dem Dorfladen gedörrte Ananasstäbchen, doch er wies sie zurück, verlangte Stift und Papier und zeichnete kleine Dreiecke. Genau solche Ananasteile wolle er im Mund saugen, er könne sie jetzt schon schmecken. In der Stadt fand ich sie tatsächlich. Er strahlte, als ich ihm die Zellophantüte ans Bett brachte. Erst durch die Erzählung der Spitex-Pflegefachfrau erfuhr ich, dass er das Puzzle seines Traums, der in einer seiner letzten Nächte aufgetaucht war, vervollständigen wollte und deshalb Ananas bestellt hatte.

Nach Vaters Tod ging die Zusammenarbeit mit der Spitex weiter, da wir uns um meine Mutter kümmerten, deren Leben durch den Verlust ihres Mannes und durch ihre eigene Krankheit in Fragmente zerfiel. Zusammenhalten konnte sie diese einigermassen gut, solange sie in den vertrauten Räumen lebte. Dort wäre sie auch gern geblieben, aber wir gelangten mit der ambulanten Pflege an unsere Grenzen, hinter denen sich das Pflegeheim befand.

Während der letzten Lebenswochen des Vaters und der jahrelangen, engen Begleitung der Mutter erhielt ich viele unmittelbare Einblicke in die anspruchsvolle Pflegearbeit, die von Aussenstehenden selten richtig wahrgenommen und wertgeschätzt wird. Ich erfuhr in jener Zeit auch, dass der finanzpolitische Rückhalt der lokalen Spitex-Basisorganisation nicht gesichert war. Der Kontrast zwischen den eigenen Erfahrungen und dem mangelnden öffentlichen Bewusstsein für die Notwendigkeit der Nonprofit-Spitex mit ihren unverzichtbaren Leistungen veranlasste mich, dieses Buch zu konzipieren und zu schreiben. Es entstand aus eigener Initiative, basierend auf vierzig ausführlichen Gesprächen mit Menschen, die für Spitex-Organisationen arbeiten und sich für ein gutes Leben zu Hause einsetzen. Ihre für unsere Gesellschaft wertvolle Arbeit findet jederzeit und überall statt, auf diskrete Weise, weshalb sie kaum gesehen und häufig unterschätzt wird.

Im Buch erzählen Menschen, die bei der öffentlichen Spitex arbeiten, von ihren Beweggründen, diesen Beruf auszuüben, von dem, was sie beschäftigt und berührt und worauf es ankommt in einem Alltag, der kaum Routine kennt. Weil die Arbeit im privaten Umfeld stattfindet, erfahren die Menschen der Spitex viel über das Leben derer, die sie pflegen. Zu den meisten existenziellen Themen wie Autonomie, Würde oder Sterben und Tod haben sie einen direkten Bezug und reflektieren durch ihren Beruf bedeutsame Aspekte des Lebens. Aus den Gedanken und Ansichten der Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner sind für das Buch acht thematische Kapitel entstanden. Jedes dieser Kapitel beginnt mit einer von mir persönlich erlebten Geschichte, geschrieben aus Sicht der Tochter, die ihre Eltern dank Spitex zu Hause betreuen konnte.

Die themenzentrierten Kapitel wechseln sich ab mit Porträts von Frauen und Männern, deren Aufgaben verschiedene Schwerpunkte haben. Mir war wichtig, bei der Wahl der Interviewpersonen möglichst viele Aspekte der Nonprofit-Spitex zu berücksichtigen, so beispielsweise nicht allein die somatische, sondern auch die psychiatrische Pflege, oder nicht nur die Pflege, Behandlung und Beratung, sondern auch die hauswirtschaftlichen Leistungen sowie den Stellenwert der Spitex als Ausbildungsort von Jugendlichen. Gefunden habe ich die Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner über direkte Anfragen bei verschiedenen Spitex-Betrieben, nachdem ich bei meinen Recherchen auf besondere Angebote aufmerksam geworden bin, wie zum Beispiel in Ilanz, wo die Spitex mit dem Palliativen Brückendienst ein Tandem bildet, damit schwer kranke Menschen bis zum Tod daheim bleiben können. Oder wie in Zürich, wo Pflegeexpertinnen in besonders komplexen Situationen beigezogen werden. Dazu gehören auch die Übergänge zwischen Spital und zu Hause oder zwischen zu Hause und Pflegeheim, um die sich mancherorts, so in Balsthal, spezialisierte Teams kümmern.

Was ich damals im Dorf meiner Eltern von der Spitex kennengelernt habe, ist zweifellos aussergewöhnlich, aus Sicht der Tochter. Dass die berufliche Kompetenz und die Wertvorstellungen überall hoch sind, aber in einem Spannungsfeld von Ansprüchen und Abgrenzung stehen, dies erfuhr ich während meiner Arbeit an diesem Buch. Die vielen persönlichen Erfahrungen und Gedanken von Spitex-Mitarbeitenden zeigen, was es für das Leben bedeuten kann, auf den Wunsch nach Selbstbestimmung der Klientinnen und Klienten einzugehen.

Den Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartnern danke ich für ihre Offenheit und das Vertrauen. Ein erstes Puzzleteil zu diesem Buch trug jene Pflegende bei, die mir vom geträumten Geduldspiel mit den Ananasstücken erzählte. Seither fügen sich viele, unterschiedlich geformte Puzzleteile zu einem Bild der spitalexternen Pflege, zu dem auch die persönlichen Erfahrungen der Leserinnen und Leser weiter beitragen werden.

Pascale Gmür

Neben das Bett meiner damals noch jungen Mutter hatte die Gemeindekrankenschwester ein Taburettli, einen kleinen Hocker, gestellt. Darauf platzierte sie für mich, die Dreijährige, den Teller mit Honigschnittchen und die warme Ovomaltine. Immer morgens, vielleicht während einer Woche in jenem weit zurückliegenden April, als Frau Hofstetter nach meiner Mutter schaute und mich verwöhnte. Auf dem Bettrand zu sitzen und zu frühstücken, dabei zu sein, während die beiden Frauen miteinander sprachen, bedeutete Aussergewöhnliches. Ich erinnere mich an ein warmes Gefühl. Den am Fenster stehenden Stubenwagen, in dem mein kleiner Bruder lag, habe ich einzig von den vergilbten, quadratischen Fotos im Gedächtnis. Frau Hofstetter sahen wir später immer mal wieder, wenn sie zufälligerweise in der Nähe war und Zeit für einen kurzen Besuch hatte. Sie erwähnte jene kritischen Tage, als die Mutter nach der Hausgeburt hohes Fieber bekommen hatte, das sich nicht senken wollte. Die Sorgen hatten mich damals wohl nicht erreicht, aus meiner Sicht war es eine ruhige Zeit des Geborgenseins gewesen. Wann es ihr wieder besser ging, weiss ich nicht, nur, dass ich als Mädchen nie mehr im Elternschlafzimmer frühstückte.

Beinahe fünfzig Jahre vergingen bis zum nächsten Frühstück im selben Zimmer. Mein kranker Vater konnte kaum mehr aufstehen, klagte über die geschwollenen Füsse und Waden, zeigte aber jeden Morgen seine Freude über das knusprige Brot und den Kaffee mit Schäumchen. Er bemerkte auch die von seiner Frau liebevoll bestrichenen Schnitten, jede mit zwei verschiedenen Konfitüren. Der Farben wegen, sagte Sylvia, denn es sei ihr schon längst aufgefallen, dass ihr Mann mit den Augen esse. Bruno rückte im Bett etwas zur Seite, damit wir uns neben ihn hinsetzen konnten, das Tablett mit den Tellern und Tassen auf unseren Knien balancierend. Wir redeten kaum in diesen frühen, noch dunklen Stunden.

Erst wenn die Pflegefachfrau der Spitex klingelte, schienen wir zu erwachen. Schnell erhob sich Sylvia vom Bettrand und sagte bestimmt, sie habe das Motorengeräusch erkannt. Dann eilte sie die Treppen hinunter, um die Türe zu öffnen. Das Erwarten der Spitex-Frauen, wie sie meine Mutter nannte, zählte ab jetzt zu ihrem Leben, genauso wie der langsame Verlust ihres Mannes und ihre fortschreitende Alzheimerkrankheit.

Jedes Mal, wenn wir von Wolfhalden nach Heiden zum Einkaufen fuhren, hielt sie Ausschau nach dem Spitex-Wägeli, einem hellblauen Auto mit dem unverkennbaren Schriftzug. Lange war sie davon überzeugt gewesen, in diesem Auto sitze ihre persönliche Besucherin. Erst als wir eines Nachmittags in kurzem Abstand drei dieser Autos kreuzten, schien ihr klar zu werden, dass die Spitex-Frauen auch zu anderen Leuten im Dorf unterwegs waren.

Puzzeln mit Ananas

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