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Gut oder Böse?
ОглавлениеGut oder Böse?
Keywords-Handlung:
Seelenreise durchs Fegefeuer, Gewissensfragen,
Bekanntschaft Thessa, Erklärung Zeitreisen, Gefühle.
Am nächsten Morgen wachte Jonas früh auf. Seine Mutter ging in seinem Zimmer gerade ihrer Routine nach. Sie stellte seinen Kalender auf das aktuelle Datum. Es war schon hell draußen, doch er öffnete seine Augenlider, mit Absicht, noch nicht.
Was habe ich da nur für einen seltsamen Traum gehabt, sagte er sich entschlossen.
Ich habe geträumt, ich bin der Zeit gereist und war wieder 7 Jahre alt. Aber, mit meinem Bewusstsein, eines 15-Jährigen!
Seinen ersten Blick wandte er seinem Tisch zu, auf dem immer noch der Sponk, die Fernsehzeitung, das Krankenhausbild und sein Brief an Edith lag.
Oh nein, ich habe nicht geträumt!, fiel es ihm wie Schuppen von den Augen.
Jonas guckte auf seinen Kalender. Der rote Rahmen umschloss die 6. Heute, das war für Jonas der 06.04.2007.
»Moin Jonas. Wir müssen nach dem Frühstück, ausführlich über unsere Situation reden. Ich habe fast die ganze Nacht wach gelegen und nachgedacht.«
Jonas folgte dem mütterlichen Befehl.
»Ja Mama, ich steh jetzt auf.«
Im Badezimmer guckte Jonas, beim Zähneputzen, sein Gesicht im Spiegel an. Seine Gedanken passten gar nicht zu dem, was er da sah.
Ein 15 jähriger Junge im Körper eines 7-Jährigen. Zurück im Zimmer, sah er sich sein Bild genauer an. Er hatte das Gefühl, das die Farben etwas blasser waren.
Wird sich das Bild allmählich auflösen? Jonas kratzte sich, nachdenklich und immer noch verschlafen, am Kopf.
»Ich fühle mich wie das Bild. Löse ich mich etwa auch in Luft auf? Ich muss mir heute genau überlegen, wie das weitergehen soll«, plante Jonas strategisch, im Selbstgespräch.
In der Küche gab es frisches Obst, warmen Kakao und Vollkornbrötchen. Auf Muttern war, wie immer, verlass.
»Jonas, was sollen wir machen? Oder besser, was können wir machen? Oder sollen wir so tun, als wenn nichts wäre? Es ist sehr schön, dass ich jetzt ganz normal mit dir reden kann. Aber, so ganz wirklich ist das nicht. Oder?«
»Ich fühle mich in meinem Körper auch nicht richtig Zuhause. Da passt was nicht.« erwiderte Jonas.
»Als ich mich heute Morgen im Spiegel ansah, kam mir das sehr komisch vor, wie Fischbrötchen auf dem Münchner Oktoberfest. So soll das nicht bleiben!«
Jonas und Edith wägten alle für und wider, einer erneuten Zeitreise, ab. Einerseits war Jonas in der Vergangenheit nicht mehr autistisch. Andererseits passte Jonas Körper dann nicht zu seinem gefühlten Ich.
Eins stand also mindestens fest: Jonas befand sich im Jahr 2007, obwohl er nicht dahin gehört.
Ich denke, also bin ich
René Descartes
...traf hier nicht richtig zu. Da hatte der Philosoph René Descartes, der das im Jahre 1641 formulierte, bei Jonas, nicht so ganz Recht.
Zumindest, befand sich Jonas zugleich, an verschiedenen Orten. Einmal in seiner Gegenwart und als 7-Jähriger, in seiner Vergangenheit.
Weiterhin schrieb Descartes, in seinen Meditationen über die Grundlagen der Philosophie, über einen möglichen bösartigen Dämon, durch den Sinne und Wahrnehmung getäuscht werden könnten.
War das bei ihm der Fall?
Jonas und Edith hatten darauf keine, plausible Antwort. Was geschieht da, mit Jonas?
Aber eins wussten sie genau: Täuschend echt, ist ganz falsch. Sie beschlossen deshalb den ursprünglichen Zustand wieder herzustellen. Eine kleine Befürchtung blieb. Sie waren ja dabei, den Verlauf ihres Lebens zu verändern: Wenn Jonas Vater nicht stirbt, wie wird sich das auf seine eigentliche Gegenwart, das Jahr 2015, auswirken?
»OK Mama, ich werde mich nachher auf die Reise begeben«, sagte Jonas voller Zuversicht.
»Gut, aber da möchte ich jedoch nicht dabei sein. Das macht mir Angst.«
»Ist schon gut, ich schaffe das schon.«
Die Entdeckung und Gewissheit, dass er in der Zeit reisen konnte machten ihn, trotz der Ungewissheiten, besonders mutig.
Jonas beschäftigte sich in seinem Zimmer mit dem Bild, das er ja im Krankenhaus malen wird, beziehungsweise, so hoffte er natürlich, niemals malen müsste.
Das Bild war noch blasser geworden, als es am Morgen beim Aufstehen schon war. Die Farben waren nicht mehr so kräftig. Jonas ging es genauso. Er fühlte sich schwach und wurde beständig schwächer. Er überlegte, welche Farbe die Zeit wohl hat. Am ehesten terrakottafarben und grün, fühlte er in sich hinein, wie die Farben der Erde und die der Natur.
»Es wird Zeit, zurückzureisen. Sonst löse ich mich noch ganz in Luft auf«, diagnostizierte er.
Jonas beschloss, sich selbst einen Brief zu schreiben. Den wollte er mitnehmen, damit er die speziellen Ereignisse seiner Vergangenheit, klar vor sich hat.
»Lesen kann ich ja, auch als Autist«, überlegte er laut und sehnte sich nach seiner eigenen, entfernten Gegenwart.
Hallo Jonas,
ich schreibe mir selbst, diesen Brief hier. Damit ich mich immer daran erinnern kann. Ich heiße Jonas Wellenstein. Wohne in Hamburg Poppenbüttel, Minsbekweg 11.
Ich bin 7 Jahre alt, fühle mich aber gar nicht so jung. Das liegt daran, dass ich aus meiner Zukunft gekommen bin. Meine tatsächliche Gegenwart ist das Jahr 2015.
Heute, wo ich das jetzt schreibe, ist aber das Jahr 2007. Ich habe an meinem 15ten Geburtstag, am 5. April des Jahres 2015, eine Figur aus Ton geknetet, den Sponk. Immer wenn ich, sehr doll, an etwas in der Vergangenheit denke und meinen Sponk bei mir habe, dann lande ich genau dort.
Das ist jetzt schon 3-mal passiert, oder öfters. Dieses Mal habe ich alles Muttern erzählt. Edith weiß Bescheid. Ich werde eine Reise zurück, in meine Zukunft, oder besser, in meine tatsächliche Gegenwart machen.
Gespannt bin ich, ob Papa dann wieder da ist.
Also, liebes ich, dann bis gleich!
Um das Geheimnis seiner Reisen besser zu verstehen, müssen wir uns die Grundbausteine unserer Welt, unseres Daseins, anschauen.
Materie besteht aus Atomen. Die bestehen aus Elektronen, Neutronen und Protonen. Neutronen und Protonen bestehen aus je 3 Quarks. Das sind eindimensionale Energiefäden, Strings genannt, die auf ganz besondere Art und Weise hin und her schwingen und damit alle Teilchen und Kräfte, sogar Schwerkraft und Licht erzeugen. So wie die Saiten einer Geige Töne hervorbringen.
Solche Strings benötigen mindestens 11 Dimensionen, damit sie, in der mathematischen Theorie, erklärbar werden. Die Erforschung, dieser merkwürdigen Energiefäden, geht auf Edward Witten zurück und wird als M-Theorie bezeichnet.
Nach dieser Theorie umgeben uns diese versteckten Raumdimensionen genau so wie die uns bekannten drei Dimensionen: Länge, Breite, Höhe. Wir können sie nur nicht sehen, sie sind in unglaublich kleine Gebilde zusammengerollt.
Wir merken nichts davon, weil sich unsere Welt in sehr viel größeren Verhältnissen abspielt. Jonas, mit seiner besonderen Gabe zum Detail, allerdings schon. Er benutzt diese Raumzeitdimensionen für seine Zeitreisen.
Man stelle sich eine Ameise vor, die auf einer Wäscheleine herumkrabbelt. Aus einigen Metern Entfernung sehen wir, wie sie sich entweder in die eine oder andere Richtung bewegt. Ihr steht also, zum krabbeln, eine Dimension zur Verfügung. Tritt man jedoch ganz nah heran, so erkennen wir, dass sie nicht nur vor und zurück laufen kann, sondern auch noch um die Wäscheleine herum. Es gibt unsichtbare Dimensionen, die erst durch deren Schwingungsmustern messbar und erreichbar werden.
Wie kann so etwas wie schwingende Energie, also etwas so gar nicht Handfestes, unsere Welt hervorbringen? Energie kann man doch nicht anfassen?!
Oh doch, man kann. Materie ist nur eine spezielle Form von Energie. Albert Einstein, der berühmte Physiker und Weltbürger, hat das sehr übersichtlich dargestellt, mit seiner Formel der Relativitätstheorie: E=mc².
Dabei steht E für Energie, m für Masse und das c für die Lichtgeschwindigkeit. Die Formel sagt aus, dass Masse nichts anderes ist als Energie, lediglich in einer anderen Erscheinungsform und das nichts schneller als Licht sein kann.
Bis auf die Energie der Gedanken und der Seele, die aber, spielten bei Einsteins Mathematik, noch keine Rolle.
Dieser Dualismus, von Materie und Geist, ist Albert Einstein allerdings schon damals aufgefallen. Als er auf diesen seltsamen Effekt, bei der Singularität in der Quantentheorie gestoßen war, hatte er ihn jedoch als spukhafte Fernwirkung zu den Akten gelegt. Über schwingenden Strings, wusste Albert noch nichts.
Jonas zog aus seinen Gedanken und seinem Sponk diese Energie.
Er bündelte diese spezielle Energie, wie Licht, zu einem Laserstrahl. Seine Seele wanderte auf dieser Gedankenenergie, mit unmessbarer Geschwindigkeit, in andere Dimensionen.
Auch wir sind mit unseren Gedanken, irgendwohin im Kosmos, schneller als das Licht. Unser Denken hat keine Grenzen, keine Zäune. Unsere Gedanken sind eben frei. Frei von physikalischen Grenzen.
Jeder ist, mit seinen Gedanken, schneller bei der Sonne, als das Licht. Das Licht braucht 8 Minuten von der Sonne zur Erde. Unsere Gedanken brauchen von der Erde zur Sonne keine Zeit. Denken schafft das in Echtzeit, ist sofort da. Was wir wahrnehmen, ist genau betrachtet, immer unsere Vergangenheit. Viele Sterne, die wir am Himmel sehen, gibt es schon gar nicht mehr, da das Licht, das sie aussenden, viele Milliarden Jahre unterwegs ist, bis wir es mit unseren Augen sehen können.
Die neuesten Experimente, aus dem Kernforschungszentrum CERN in Genf und dem Large Hadron Collider (LHC), haben die Physiker aus aller Welt elektrisiert. Dort wurden Neutrinos mit dem Teilchenbeschleuniger gemessen, die schneller als das Licht sind.
Ende März 2015 ist der LHC, der mit 1300 aneinandergereihten Dipolmagneten größte Teilchenbeschleuniger der Welt, nach einer zweijährigen Pause wieder hochgefahren worden.
In dem, in hundert Metern Tiefe und einem rund 27 Kilometer langen, ringförmigen Tunnel untergebrachten LHC, beschleunigen Teilchenphysiker Protonen oder Blei-Ionen nahezu auf Lichtgeschwindigkeit und lassen sie dann mit immenser Energie zusammenstoßen.
Das Resultat: Beim Aufprall werden die Teilchen zertrümmert, und es entstehen neue. Die CERN-Forscher hoffen, bei diesen Kollisionen Elementarteilchen beobachten zu können, die bislang nur in der Theorie existierten — wie das im Juli 2012 entdeckte Higgs-Boson, das aller Materie erst ihre Masse verleiht
Nach der String Theorie, der M-Theorie, können wir versteckte Raumdimensionen durch sog. Wurmlöcher, theoretisch sogar erreichen.
Bereits 1935 haben Albert Einstein und Nathan Rosen erkannt, dass die Relativitätstheorie prinzipiell Brücken zulässt. Diese Einstein-Rosen-Brücken bezeichnen wir heute als Wurmlöcher. Sie stellen eine tunnelförmige Abkürzung zwischen entfernten Orten, im unendlichen Kosmos, dar. So, wie die Ameise auf der Wäscheleine, die nicht auf der Leine krabbelt, sondern um sie herum.
Jonas benutzte diesen Weg. Er sauste mit seinen Gedanken und dem Sponk, schneller als das Licht, mitten durch Raum und Zeit, durch ein Wurmloch, in eine andere Dimension. In eine, seiner parallelen Welten. Vorhang auf, für den Blick, in eine andere Welt.
Jonas betrachtete seinen Sponk.
»Was hat nur meine Tonfigur damit zu tun?«, grummelte er, einen kurzen Augenblick, vor sich hin. Unentschlossen sah er dabei aus.
»Ich muss ja wissen, ob es ohne geht oder eben nicht«, führte er sein Selbstgespräch fort und schob seinen Sponk dabei von sich weg.
Jonas dachte kurz an seine Mutter. Ich werde Mama ja gleich sehen, beruhigte er sich. Er blickte, noch einmal, auf seinen Brief und schloss dann die Augen.
Seine Gedanken fingen die Bilder seines 15ten Geburtstag-Apfelkuchens ein. Der mit den Nüssen drin, Zimt und Streusel oben drauf.
Er sah alles, wie in echt, vor sich. Minuten vergingen. Es passierte nichts. Keine einzige Regung in seiner Gefühlswelt. Gar nichts! Empört öffnete Jonas seinen Blick wieder.
»Ohne Sponk geht gar nix.« Im Nachhinein hatte Jonas das Gefühl, er hätte es wissen müssen.
Er zog, ein bisschen verliebt, seinen Sponk wieder näher zu sich ran. Jonas hatte, für einen Moment, ganz leuchtende Augen. Sanft umschloss er, mit seinen kleinen Händen, den Sponk und seinen aufgerollten Brief. Die Reise sollte beginnen.
Jonas schloss alle seine Türen zur Außenwelt. Nichts sehen, nichts hören. Nur Denken und erinnern. Bilder von der Apfelkuchensituation, an seinem 15ten Geburtstag, erschienen ihm vor seinem inneren Auge. Er fühlte sich geborgen und sicher.
Aus der Mitte seiner Stirn sauste eine gleißend helle Kugel in die unendlichen Sphären des Multiversums. Der Kugelblitz seiner Gedanken. Jonas war auf dem Weg in eine parallele Raumzeit-Dimension. DAS ZIEL: Der 15te Geburtstag, seine eigentliche Gegenwart.
Seine, vom Leib getrennte, Seele - seine Aura -, befand sich in einem gewunden Schlauch und entfernte sich mit rasender Geschwindigkeit von der Erde, heraus aus seiner körperlichen Zeit, hinein in eine andere Dimension. Am Ende des Schlauches leuchtete ein helles Licht. Es wirkte sehr einladend, fast so, als würde es ihn zu sich hinziehen. Kurz vor dem Eingang zu diesem Licht, sah Jonas, links und rechts entlang dem Schlauch, Menschenkörper verharren.
Sie sahen alle ängstlich aus und kamen nicht weiter voran, in die Richtung des anziehenden, wolligen Lichtes. Sie befanden sich, in so einer Art, Warteschlange im Fegefeuer.
Jonas konnte deren Leiden hören. Es waren lautlose, jammernde und gequälte Stimmen. Er erhielt einen Tsunami an Hilferufen. Jonas hatte das Gefühl, ihnen beistehen zu müssen.
Dann waren da Stimmen, die er nicht zuordnen konnte. Dunkle und böse Stimmen, die nicht von den Menschen kamen. Diese unheimlichen Stimmen wollten ihn davon abhalten.
»Der Teufel spricht zu mir«, vermutete Jonas.
Seine Reise geriet ins Stocken. Etwas hielt ihn fest. Eine Stimme machte ihm verlockende Angebote:
»Jonas höre auf mich. Komm mit mir. Ich kann dir alle Fragen beantworten. Dich von jedem Schmerz befreien. Ich mache dich reich und mächtig.«
Andererseits riefen ihm die gequälten Menschen aus der Trauerhölle zu:
»Höre nicht auf das Böse. Es wird dich ins Verderben führen. Wir sind von Gier, Hochmut, Wollust, Völlerei, Faulheit, Zorn, Mord, Neid und vieles mehr, hier gefangen.«
Sein Gewissen war gespalten. Sein Bedürfnis zu helfen, das Gute in ihm, kämpfte gegen die Verführung, gegen diese finstere Macht, Böse zu sein. Er wusste, dass sich beides gegenseitig bedingt. Das hatte er schon lange begriffen.
Das Gute kann ohne das Böse nicht existieren und auch nicht umgekehrt. Liebe kann nicht entstehen, ohne das Gefühl des Hasses zu kennen, beides will gelebt werden. Es ist die gleiche Energie, dieselbe Kraft. Es gibt kein Entweder-oder. Es kommt auf die Form und Mischung an, dem Verhältnis, den goldenen Schnitt.
Jonas hatte entschieden, mit dem Bösen ernsthaft umzugehen und dem Guten spielerisch zu begegnen. Satan versucht uns und Gott prüft uns, war sein Wahlspruch. Den Unterschied von Versuchung und Prüfung zu erkennen, das eine von dem anderen zu trennen, zu unterscheiden, war jedoch nicht immer so einfach, in einer konkreten Situation.
Jonas kämpfte immer noch gegen seine Begierde, dem Teufel zu folgen. Die Verlockungen waren groß und stark. Er erinnerte sich an den Apostel Jakobus aus seiner uralten Bibel:
Jeder wird versucht, wenn er von seiner eigenen Begierde fortgezogen und gelockt wird. Wenn dann die Begierde befruchtet ist, gebiert sie Sünde; die Sünde aber, wenn sie vollbracht ist, bringt Tod hervor.
(Jakobus 1,13-16)
Ein 14 jähriges Mädchen aus der Menge der gequälten Menschen flüsterte ihm zu:
»Hallo Du, ich heiße Thessa, Thessa Linke. Folge nicht den bösen Verlockungen. Du wirst uns und mir dann nicht helfen können.«
Als Jonas die zierliche Stimme vernahm, war er sofort verliebt.
Liebe ist etwas, auf das man keinen Einfluss hat, sondern etwas, das einen findet. Ohne Grund, ohne Kommentar und ohne, dass man sich dagegen wehren kann. Vielleicht ist es mit der Liebe so, wie mit schöner Musik. Man kann sie nicht erklären, sie trifft einen wortlos, mitten ins Herz. Alles was man dazu braucht ist, dafür offen zu sein.
Selbst Albert Einstein löste sich dafür von seiner Physik. Er spielte seinem zweiten, jüngeren und an Schizophrenie erkrankten Sohn, Eduard Einstein, in der Nervenheilanstalt, anstatt mit ihm zu reden, lieber ein Geigenstück vor.
»Warum bist du denn hier?«, fragte Jonas mitleidsvoll.
»Ich habe einen ganz dummen Fehler gemacht. Ich habe mir die Pulsadern aufgeschnitten. Ich konnte meinen Liebeskummer nicht mehr aushalten. Und du?«
»Das ist ja krass. Ich kann in der Zeit reisen. Ich bin mit Hilfe meiner Gedankenenergie und einer Tonfigur ins Jahr 2007 gereist, um meinen Vater zu retten. Eigentlich bin ich jetzt auf dem Weg zurück, zu meinem Geburtstag, ins Jahr 2015.«
Es war schon sehr gewöhnungsbedürftig für Jonas, weit weg von seinem Körper, ein Gespräch zu führen. Seelen können sich sehr gut unterhalten. Nur wir hören sie oft nicht. Es ist eine Sprache ohne Worte, eine Sprache des Herzens. Im Laufe der Zeit, haben wir einfach vergessen ihnen zuzuhören. Unsere Vorfahren konnten das besser.
Die dunkle Stimme mischte sich ein. Sie machte sich über Jonas autistische Zurückgezogenheit und seine Verliebtheit lustig.
»Hey Jonas, willst du auf ewig so eine seltsame Erscheinung bleiben, ich lade dich ein, auf jede Party. Liebe gibt es überall. Kaufe sie dir! Ich gebe dir Wissen, Macht und Geld.«
»Auf dich werde ich bestimmt nicht hören! Liebe ist nicht käuflich! Zieh dich warm an, du Teufel. Der Umweg ist das Ziel. Täuschend echt, ist verdammt falsch!«, schimpfte Jonas. Seine Gefühle waren stärker, als seine Begierde nach Macht, Geld und Allwissenheit.
Thessa sah ihre zweite Chance gekommen.
»Oh Jonas, das ist ja wunderbar. Dann kannst du mir doch bestimmt helfen?«
»Ja, das werde ich tun. Sag mir wann und wo das passiert ist. Ich werde dann in deine Vergangenheit reisen und dich davon abbringen. Sag mir etwas, was nur du wissen kannst!« versprach Jonas voller Stolz.
»Es war am 11.04.2014, in meinem Zimmer in Hamburg Poppenbüttel. Wir wohnen dort in der Harksheider Straße 7. Das Messer hatte einen roten Griff.«
»Krass, so ein Zufall. Ich wohne auch in Poppenbüttel. Ok, das kann ich mir leicht merken. Ich schwöre dir, ich werde dir helfen. Darauf kannst du dich verlassen!«, beantwortete Jonas seine Gretchenfrage.
Wer nicht weiß, was die Gretchenfrage ist, dem sei gesagt, das kommt aus der Tragödie in Goethes Faust. Es sind Fragen, des Gewissens. Fragen, die eine grundsätzliche Entscheidung verlangen. Die Absicht und Gesinnung wird, durch solche Fragen, offenbart.
Aus der Antwort kannst du entnehmen, welche Seele du vor dir hast: Eine Gute, eine Böse oder gar keine. Dann bist du im Pudels Kern, im Herzstück bei der wirklichen Entscheidungsfindung: Was oder Wen will ich vor mir haben? Wo will ich hin? Wie will ich sein? Was will ich tun?
Mit der neuen Liebe im Herzen, mit Schmetterlingen im Bauch, wie Florence Converse es in ihrem Buch: House of Prayer, schon 1908, beschrieb. Mit diesem eigenartigen Kribbeln in der Magengegend, mit diesem Kribbeln im Bauch, entschied er sich ganz leicht dafür, Gut zu sein.
Ist ein Mensch verliebt, dann befindet sich der Körper und die Seele dieses Menschen in einem Ausnahmezustand. Die Nervenzellen, in den Urgründen des Gehirns, die für Emotionen und Gefühle zuständig sind, setzten eine Vielzahl an chemischen Botenstoffen, die Endorphine frei.
Diese Glückshormone laufen dann die Nervenbahnen am Magenraum entlang und lösen dadurch das berühmte Kribbeln im Bauch aus.
Die Fesselung in dem Zeitschlauch lockerte sich nun. Jonas hatte es nun eilig raus zu kommen, aus dem Gefangen sein, um Thessa zu retten!
»Thessa, ich bin wohl gleich weg. Bitte, halte es hier aus. Ich komme dich in deiner Vergangenheit besuchen.«
Jonas bewegte sich jetzt entlang der Zeit. Seine Gefühlswelt hatte sich verändert. In seinen verliebten Kopf, hörte einen Song von Eric Clapton, Tears in Heaven, der schon oft sein Herz bewegte:
Would you know my name
If I saw you in heaven?
Would it be the same
If I saw you in heaven?
I must be strong
And carry on
'Cause I know I don't belong
Here in heaven
Seine Gedanken und Wünsche steuerten ihn nun Zielgerecht. Die kosmische Erde - sein Sponk - tat sein übriges. Die Stimmen klangen leiser, bis er sie gar nicht mehr hörte.
Jonas glitt zurück, in seine gewohnte Parallelwelt, in sein Zimmer. Wie aus einem Traum erwacht, saß er da, an seinem Tisch. Wie eine Raupe, die gerade zum Schmetterling geworden ist, die eine Verwandlung, eine Metamorphose, durchgemacht hat.
Er dachte immer noch an Thessa. Die Verliebtheit hatte ihm Kraft gegeben. Er erinnerte sich sofort an das Datum 11.04.2014, da hatte Thessa sich das Leben genommen, mit einem Messer, mit rotem Griff.
Seinen neuen Gefühlen sofort nachgehen, das wollte er. Etwas steuerte ihn, sein Empfinden übernahm seine Gedanken. Die Musik konnte das am besten ausdrücken. Wie bei seiner ersten Begegnung mit Thessa, gab er seinen Gefühlen den freien Lauf. Er griff sich sein iPhone und hörte sich ein weiteres seiner Lieblingsstücke an, von Deep Purple, Sweet Child in Time:
Sweet child in time
You'll see the line
The line that's drawn between
Good and bad
See the blind man
Shooting at the world
Bullets flying
Ohh taking toll
If you've been bad
Oh Lord I bet you have
And you've not been hit
Oh by flying lead
You'd better close your eyes
Ooohhhh bow your head
Wait for the ricochet
Jonas schmiedete einen verwegenen Plan. Er wollte den Todestag von Thessa, diesen Ricochet, den Querschläger des Lebens, den 11.04.2014 verhindern.
»Ich reise ein paar Tage, in die Zeit davor. Der Tag muss anders verlaufen. Ich muss Thessa retten!«, beschloss er.
Jonas hatte soviel Liebe in sich, das machte ihn besonders stark und mutig. Er stellte seine mentalen Fühler auf Abflug, schnell weiter reisen, hin zu Thessa.
Gut oder Böse, das hatte er jetzt vollständig begriffen, gibt es nicht. Beides bedingt sich, für die wahre Liebe. Aus der, im Idealfall, die Geburt eines Kindes, die Inkarnation einer neuen Seele hervorgeht.
Er saß immer noch in seinem Zimmer und bereitete sich auf seine nächste Zeitreise vor.
Und die Zeit der Menschen tickt, aufgeregt weiter.