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Bedeutung virtueller Bildungsräume
ОглавлениеWährend es zu Beginn der Entwicklung von E-Learning-Angeboten, z. B. bei individuell am heimischen PC zu nutzenden Lernprogrammen (Computer Based Training, CBT), kaum ein Bewusstsein für die Bedeutung virtueller Bildungsräume gab, wuchs mit dem Angebot an internetbasierten, Kommunikation und Gruppenarbeit integrierenden Kursen (Web Based Training, WBT) die Nachfrage nach geeigneten technischen Lösungen, die auch dem weniger technisch versierten Lehrenden bei der Vorbereitung und Durchführung der Veranstaltung unterstützen und dem Lernenden einen geschützten Raum für das Lernen bieten. In der Folge wurden eine Vielzahl unterschiedlicher technischer Systeme für E-Learning entwickelt, welche die Planer von E-Learning-Angeboten vor nicht unerhebliche Entscheidungsfragen bzgl. der Auswahl der geeigneten technischen Infrastruktur stellen. Denn die Anschaffung kann nicht nur mit erheblichen Kosten verbunden sein, sondern die technische Infrastruktur muss auch möglichst passgenau und anpassbar an die Bedarfe der Nutzer, der Lehrenden und Lernenden, sein. Die Einführung einer Lernplattform beeinflusst nicht zuletzt auch die zukünftige strategische Ausrichtung des Bildungsanbieters bzgl. des Aufbaus seiner Bildungsangebote. So stellt Schulmeister fest: „Die Auswahl des Portals und die Entscheidung für eine Lernplattform dürfte zum Problem jeder Hochschule werden. Diese Entscheidung sollte nach einer auf breiter Basis geführten Diskussion gefällt werden“ (Schulmeister 2000, 8; vgl. auch Arnold/Prey/Wortmann 2006). Jedoch kann davon ausgegangen werden, dass dieser Prozess bei den meisten Bildungsanbietern abgeschlossen ist und die genutzten Lernplattformen an die aktuellen Bedarfe der Bildungsanbieter angepasst werden.
Zwar ist es prinzipiell möglich, dass die Teilnehmenden an einem virtuellen Kurs auch ohne eine Lernplattform mithilfe der im Internet vorhandenen Dienste (wie E-Mail, Chat, Diskussionsforen, Wikis, zunehmend auch soziale Netzwerke und cloudbasierte Dienste wie Webspeicher und Kollaborationswerkzeuge usw.) miteinander kommunizieren und kooperieren. Die Entwicklung und Etablierung des Web 2.0 (siehe Kap. 3.4) fördert diese Option, und Beispiele zeigen, dass Lehr-/Lernszenarien auch ohne den Einsatz entsprechender Lernplattformen möglich sind (z. B. Johannes Gutenberg Universität Mainz 2012). Jedoch erleichtert ein gemeinsamer (virtueller) Lernort, der Zugriff auf alle notwendigen Bereiche eines Kurses bietet (wie z. B. Informationen zu den Lehrenden, den Teilnehmenden, dem Kursplan und -verlauf, aktuellen Terminen, Prüfungen, Lernmaterialien und unterschiedlichen Kommunikationsfunktionen), die Gestaltung und Organisation der Lerprozesse erheblich. Nicht zuletzt liegt ein entscheidender Vorteil von Lernplattformen darin, dass die Lernumgebungen geschützt vor äußeren Zugriffen sind. Dies ist für die Gestaltung und Durchführung von Lernprozessen nicht unerheblich, da in solchen Kontexten die Möglichkeit vorbehalten bleiben muss, dass Lernende ihre Lernhandlungen ausprobieren und dabei auch Irrwege gehen können und dürfen. Dies gilt nicht nur für Seminar- und Unterrichtsräume, sondern gleichfalls für virtuelle Bildungsräume. Diese Sicherheit kann in frei zugänglichen virtuellen Bildungsräumen, wie sie z. B. auf Social-Media-Plattformen angeboten werden, nicht gewährleistet werden. Gerade vor dem Hintergrund der Diskussionen in jüngerer Zeit gewinnt der Datenschutz an Bedeutung und ist insbesondere in E-Learning-Bereichen wie Learning Analytics (Kap. 7.9) und Educational Data Mining (Kap. 5.2.1) zum Schutz aufgezeichneter privater Daten über die individuellen Lernprozesse sehr wichtig (Chatti u. a. 2012, 24; Schön, M./Ebner 2013, 7).
Allerdings zeichnen sich Lernplattformen auch dadurch aus, dass sie nur einen begrenzten Umfang an Informationen im Vergleich zu den Angeboten des Internets bieten, da in ihnen nur die Informationen in Form von Lernmaterialien, Übungsaufgaben etc. zu finden sind, die Lehrende oder zunehmend auch Lernende sowie weitere an der Kursgestaltung beteiligte Personen ablegen. Auch die Kommunikations- und Kooperationsmöglichkeiten sind begrenzt: einerseits auf die Auswahl entsprechender Instrumente (z. B. Chat, Foren, Kollaborationsinstrumente usw.) und andererseits auf die Gruppe der Kommunikationspartner, die sich üblicherweise neben den Mitlernenden auch aus Lehrenden und Tutoren zusammensetzt. Neben den Vorteilen, die eine derartige Begrenzung bietet (z. B. alle kennen die Chatfunktion und können diese bedienen; alle wissen, wo die Lernmaterialien liegen und haben Zugriff darauf; Lehrende haben idealerweise die Lernmaterialien didaktisch für die Lernenden aufbereitet u. v. m.), gibt es jedoch auch Nachteile. Denn nicht jede/r Lernende kann ggf. etwas mit dem Angebot anfangen, manch eine/r sucht lieber Unterstützung in Communitys außerhalb der Lernplattform oder nach Informationen, die über die auf der Lernplattform bereitgestellten Materialien hinausgehen. Dies führte zu einer neuen Sicht auf die technischen Infrastrukturen des E-Learnings, und es fand eine Einbeziehung von Internetressourcen in die Lernplattformen statt. Diese neue Sicht zeigte, dass die begrenzende Perspektive auf die Lernplattform und deren Gestaltung Lehr- und Lernprozesse behindern kann, und sie führte zu einer Erweiterung zum virtuellen Bildungsraum. Dieser enthält z. B. ein Learning Management System, berücksichtigt aber auch die Einbindung von Internetressourcen in die Gestaltung der Lehr-Lern-Szenarien. Die Diskussionen um die Gestaltung sogenannter Persönlicher Lernumgebungen (engl. Personal Learning Environment, PLE; siehe Kap. 3.5.2) verdeutlichen diese Entwicklung. Auch der inzwischen abgeklungene Hype bzgl. der Entwicklungen von Massive Open Online Courses (MOOCs) zeigt, dass eine Erweiterung von reinen Lernplattformen zu virtuellen Bildungsräumen stattfindet: Bildungsanbieter organisieren E-Learning auf ihren Plattformen und binden zusätzlich fremd erstellte MOOCs in das Kursgeschehen ein. Zugleich bieten diese MOOCs den Lernenden die Möglichkeit, sich mit anderen Lernenden außerhalb der Lernplattform, jedoch innerhalb des MOOCs auszutauschen.
Die Erweiterung der Perspektive von der Lernplattform auf den virtuellen Bildungsraum birgt viele Potenziale, aber auch einige Unsicherheiten für Lehrende und Lernende, da der Verlauf von E-Learning-Angeboten nicht mehr komplett geplant werden kann. Denn neue Informationsquellen und Kommunikationskanäle dringen in den Lernprozess, und Unsicherheiten bzgl. der Qualität und Nutzbarkeit der Ressourcen aus dem Web kommen hinzu. Zugleich können jedoch Lerngegenstände multiperspektivischer bearbeitet werden, und Lernende können ihren Intentionen und ihrem Vorwissen entsprechend geeignetere Quellen in ihre Lernprozesse einbeziehen. Damit die Lernenden und Lehrenden diesen neuen Anforderungen und Chancen gerecht werden können, müssen sie ihre Medienkompetenzen in der erforderlichen Breite und Tiefe entwickeln (siehe ausführlich Kap. 6).
Was einen guten virtuellen Bildungsraum kennzeichnet, kann nicht von vornherein bestimmt werden und unterliegt lehr- und lernkulturellen sowie technischen Entwicklungen. Diese sind unter anderem abhängig sowohl von Nutzungsgewohnheiten der Lehrenden und der Lernenden, den technischen Innovationen oder auch von den Vermarktungsformen der Angebote im Internet. Die optimale Lösung wird es nicht geben. Auch die Räume in Bildungseinrichtungen sind unterschiedlich ausgestattet, z. B. der Hörsaal für Germanisten an einer Universität, der PC-Raum für EDV-Kurse an einer Volkshochschule oder der Chemieraum einer allgemeinbildenden Schule. Durch die Verbindung von Lernplattform und Internet und die damit einhergehende Entstehung eines virtuellen Bildungsraums bieten sich jedoch neue weitreichende Möglichkeiten der Gestaltung und Durchführung von Lehr-Lern-Szenarien, die weniger durch die technischen Rahmenbedingungen als durch weiterzuentwickelnde medientechnische und -didaktische Kompetenzen, fehlende Kreativität oder auch Zeitmangel bzgl. ihrer pädagogischen Inszenierung begrenzt sein können.