Читать книгу Mein Freund Frisky - Patricia St. John - Страница 5
1. Kapitel
ОглавлениеJuhu! Endlich halb vier!« Es war ein warmer, sonniger Nachmittag im Frühsommer. Die Kinder freuten sich, dass die Schule zu Ende war. Sie rannten über den Schulhof und schoben und quetschten sich durch das Tor. Einige sprangen in wartende Autos, doch die meisten Kinder liefen die Straße hinunter auf das Dorf zu. Auch Colin und sein Freund Bill schlugen diesen Weg ein. An der Kreuzung blieben sie stehen.
»Hier!«, sagte Bill und kramte in seiner Schultasche herum. »Ich hab noch was für ihn. Meine Mutter hat gesagt, ich kann die Reste mitnehmen.« Damit drückte er Colin eine fettige Papiertüte in die Hand.
»Danke«, strahlte Colin. »Aber kommst du denn nicht mit? Wir müssen doch sehen, wie es ihm geht!«
Bill schüttelte den Kopf. »Nichts zu machen. Wir wollen heute Abend noch zu meiner Großmutter, und Mama hat mir ausdrücklich befohlen, ich soll sofort nach Hause kommen. Vielleicht morgen. Übrigens, Colin, da fällt mir was ein: Mein Vater sagt, wir müssen was unternehmen oder es irgendwem melden. Wir können ihn nicht immer füttern. Was soll aus ihm werden, wenn wir ins Ferienlager fahren?«
Colin stopfte die fettige Papiertüte zu seinen Schulbüchern in die Tasche und nickte. »Ich sag’s heute Abend meinem Vater«, murmelte er. »Der weiß sicher, was wir machen sollen. Ich wünschte … Mensch, wenn ich doch nur …«
»Nur was?«
»Wenn ich ihn doch nur behalten könnte!«, seufzte Colin. »Wenn er doch nur mir gehörte! Ich würde schon dafür sorgen, dass er bald nicht mehr so dünn ist.«
Bill nickte. »Vielleicht kann ich eine Wurst von meiner Großmutter mitbringen«, versuchte er seinen Freund zu trösten. »Sie hat immer jede Menge. Also dann bis morgen, Colin.« Er rannte die Straße hinunter, und Colin bog in den Fahrweg ein, der sich den Hügel hinaufzog und an ihrem Hof vorbeiführte. Er war ganz froh, dass er allein war, denn er musste über vieles nachdenken. Es war ein herrlicher Tag. An den Straßenrändern wuchsen die letzten Glockenblumen und Butterblumen. Die Sonne wärmte Colins Gesicht. Irgendwo im Eichenwäldchen rief ein Kuckuck. Nach einer Weile bog Colin in einen schmalen Feldweg ein, der zu einem Haus führte. Es war von einem eingezäunten Garten umgeben.
Einige Latten des Gartentors waren abgebrochen. Überall blätterte die Farbe ab. Colin lehnte sich über das Tor und betrachtete die Wildnis vor sich. Im Garten wucherte das Unkraut, und das Gras war schon kniehoch. Die Fenster des Hauses waren schmutzig und fest verschlossen.
Colin pfiff leise. Nichts geschah.
Colin pfiff noch einmal, diesmal laut, und ließ dabei die Fenster nicht aus den Augen.
Plötzlich bewegte sich etwas, und dann kam ein schwarzer Hund – ein Mischling mit großen Schlappohren und zottigem Fell – um das Haus herumgerannt und bellte aufgeregt. Er legte die Vorderpfoten auf den unteren Querbalken des Törchens und quetschte seine Schnauze durch ein Loch zwischen den morschen Latten. Dabei zitterte sein dünner Körper vor Aufregung. Colin zog zwei zerdrückte Papiertüten aus seiner Schultasche – seine eigene und die, die Bill ihm eben gegeben hatte. Er fütterte den Hund mit einer halben Pastete, einem Stück Brot, ein paar zerbrochenen Keksen und einer kalten Kartoffel. Er streckte seine Hand durch die Latten und streichelte die dünnen Flanken des Tieres. Man konnte jede Rippe zählen. Der Hund beschnüffelte sein Gesicht, fuhr ihm mit der Zunge über die Wangen und winselte vor Freude.
»Geh nicht weg!«, schien er zu sagen. »Geh bitte nicht weg! Ich brauche dich doch.«
Colin konnte sich nicht losreißen. Er streichelte und tätschelte den Hund und sprach leise auf ihn ein. Das Tier schien ihn zu verstehen. »Ich erzähle gleich meinem Vater von dir«, versprach Colin. »Ich werde etwas unternehmen. Wenn du doch bloß mir gehörtest! Ich würde dich gut füttern, und dann wärst du bald der beste und schönste Hund im Dorf. Aber ich fürchte, Papa lässt mich nicht; wir haben doch schon Gruffi auf dem Hof.«
Es war höchste Zeit zum Gehen. Immer wieder wandte Colin sich um und winkte dem schwarzen Hund zu, der seine Nase durch die Latten des Gartentors presste. Erst als Colin zwischen den ersten Bäumen im Wald verschwand, hörte das helle Bellen auf. Colin war ganz unglücklich, obwohl er versprochen hatte, morgen zurückzukommen. Er wusste nicht, wer in diesem Häuschen wohnte. Aber es war klar, dass der Besitzer den Hund verhungern ließ. Colin eilte den Hügel hinauf zu dem Bauernhof, wo er wohnte.
Da oben hatte man eine herrliche Aussicht. Blickte man nach Norden, sah man die Schule und dahinter die Hügelkette mit ihren steilen Abhängen. Auf der anderen Seite erstreckten sich in sanften Bögen Wiesen und Felder, dazwischen Waldstücke und dann die großen Obstplantagen, für die Worcestershire bekannt war. Von hier aus konnte man die ganze Welt überblicken, fand Colin. Er trabte über den Hof zum Melkschuppen. Es war schon ziemlich spät. Bestimmt war Vater dort drinnen beschäftigt. Colin drückte sich an den geduldig wartenden Kühen vorbei und betrat das Gebäude.
Sein Vater trug einen weißen Kittel und befestigte gerade die Schläuche der elektrischen Melkmaschine am Euter einer Kuh. Die Elektropumpe gurgelte. Milch sprudelte in den Tank. Ein paar Kühe muhten zufrieden. Es war ziemlich laut.
»Papa!«, rief Colin und hüpfte von einem Bein aufs andere. »Da ist der Hund. Und der ist ganz dünn …«
»Was sagst du da?«, wandte sich sein Vater zu ihm um. »Unsinn! Ich hab ihn doch eben noch gefüttert! Gruffi geht es prima. Lauf schnell rüber und sag Mama, dass ich in einer halben Stunde fertig bin!«
Colin seufzte. Es war zwecklos, Papa beim Melken anzusprechen. Vielleicht konnte Mama ihm helfen. Er rannte zum Wohnhaus hinüber. In der Küche schob Mama gerade einen großen Kartoffelauflauf in den Ofen. Colins Schwester Joy war auch gerade von der Schule heimgekommen.
»Mama!«, sprudelte Colin heraus. »Da ist so ein armer Hund. Der ist ganz dünn. Total abgemagert. Der verhungert noch!«
»Dann rufen wir am besten den Tierschutzverein an. Wem gehört der Hund denn, Colin?«
»Keine Ahnung. Er ist bei dem kleinen Haus da unten. Und es sieht aus, als sei alles verriegelt und verrammelt. Was ist denn das für ein Verein, dieser Tierverein oder wie der heißt?«
»Der Tierschutzverein kümmert sich um Tiere, die schlecht behandelt werden. Wenn der Hund tatsächlich am Verhungern ist, kommen sie und nehmen ihn mit. Aber jetzt geh und zieh dich um, Colin. Du kannst noch die Eier einsammeln.«
Als die ganze Familie etwa eine halbe Stunde später beim Abendessen saß, versuchte es Colin noch einmal. »Papa, also da ist dieser Hund. Und er ist ganz dünn, fast verhungert. Wie kriege ich den Wie-heißt-er-noch-Verein?«
»Wie? Ach so, am besten versuchst du zuerst einmal herauszufinden, wem der Hund überhaupt gehört. Wo hast du ihn denn gesehen?«
»Bill und ich haben letzte Woche da unten, bei dem kleinen Haus, herumgespielt. Du weißt doch, das da unten am Feldweg. Es ist ganz schmutzig und unordentlich. Türen und Fenster sind fest verschlossen. Und der Hund ist sooo dünn.«
Colins Vater blickte seinen Sohn interessiert an. »Du meinst das Haus vom alten Charlie«, sagte er. »Ja ja, er ist in das Häuschen gezogen, nachdem seine Frau gestorben war. Er muss etwas seltsam sein, sagt man. Lässt keinen in sein Haus. Aber der Hund ist sein bester Freund. Der alte Charlie würde ihn nie schlecht behandeln. Da muss irgendwas los sein. Warum hast du uns das nicht früher erzählt?«
»Das ist unser Geheimnis gewesen, und wir haben gedacht, wir füttern ihn selbst. Und dann haben wir plötzlich gedacht, vielleicht ist ja keiner da, und wir sagen es besser.«
»Es könnte sein, dass der alte Charlie krank ist«, mischte sich Mama ins Gespräch ein. »Wir sollten mal nachsehen, oder vielleicht rufen wir besser die Polizei an.«
»Also, ich weiß nicht, das hat er sicher nicht so gern«, überlegte Papa laut. »Wie wäre es mit dem Pfarrer? Lauf doch mal zum Pfarrer rüber, Colin, und sag ihm, er soll mal beim alten Charlie vorbeischauen.«
Colin warf einen Blick aus dem Fenster. Die Schatten waren zwar schon lang, aber der Himmel war noch hell. Die Sonne würde noch nicht untergehen. »Ich gehe sofort«, murmelte er und machte sich auf den Weg.