Читать книгу Im Sonnenwinkel Classic 39 – Familienroman - Patricia Vandenberg - Страница 3

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Wie ein Wirbelwind stürmte Bambi Auerbach ins Haus. Sie musste erst ein paarmal nach Luft schnuppern, bevor sie ein Wort hervorbrachte.

»Wer ist dir denn auf den Fersen, Schätzchen?«, fragte Inge Auerbach ihre Jüngste, die heute mit einem solchen Tempo aus der Schule kam.

»Stell dir vor, Mami, im Sonnenwinkel wollen sie filmen!«, rief Bambi, noch ganz außer Atem. »Nicht bloß so, sondern richtig.«

Es blieb Inge Auerbach vorerst überlassen, was sie darunter verstehen wollte. Aber sie wusste ja, dass sie hinreichend aufgeklärt würde, sobald Bambi wieder Atem geschöpft hatte. Zuerst trank sie ein Glas Milch, dann ging es los.

»Eine Filmgesellschaft ist das, Mami. Den ganzen Seeblick haben sie schon gemietet, und im Fohlenhof werden auch noch ein paar Leute untergebracht. Wie findest du denn so was? Ohne uns zu fragen, kommen sie daher!«

»Es wird nicht so schlimm werden«, sagte Inge Auerbach begütigend.

»Du wirst es schon sehen«, sprudelte es über die rosigen Kinderlippen, und der Gesichtsausdruck der bildhübschen Sechsjährigen zeigte größten Unwillen. »In der Schule waren sie nämlich auch schon und haben gefragt, ob sie Aufnahmen machen können, und ein kleines Kind suchen sie auch noch, weil sie ein Findelkind brauchen. Sie müssen was gehört haben, dass es auf der Felsenburg mal ein Findelkind gegeben hat.«

Inge Auerbach lächelte, aber Bambi warf ihr einen kritischen Blick zu.

»Mir macht das gar keinen Spaß. Wenn die vielleicht denken, dass unsere Kinder solchen Schmarren mitmachen, dann haben sie sich doch getäuscht! Na, ich bin aber sehr gespannt, was die Richters sagen werden.«

Anton und Carla Richter, die Besitzer des Gasthofs Seeblick, sahen die kommenden Ereignisse auch von zwei Seiten.

Einerseits war es ein gutes Geschäft für sie, alle Zimmer gleichzeitig und für längere Zeit zu vermieten. Andererseits waren sie ein bisschen verschreckt, weil die bekannte Filmschauspielerin Manja Corby wohl besondere Ansprüche stellen würde.

Dann war da auch noch ihr kleiner Adoptivsohn Toni, dem man schon besondere Aufmerksamkeit geschenkt hatte.

»Das fehlte gerade noch, dass unser Toni in einem Film mitspielt«, sagte Anton Richter brummig zu seiner Frau. »Das kommt nun wirklich nicht infrage.«

Waren sie eben noch geteilter Meinung über die zu erwartenden Gäste gewesen, so gab es in Bezug auf den kleinen Toni keine Differenzen.

Toni hatte auch sogleich ein höllisches Gebrüll angestimmt, als die elegante fremde Dame ihn auch nur angefasst hatte.

Carla und Anton Richter wussten indessen so viel, dass ein Kind zwischen zwei und drei Jahren gesucht wurde, um das sich die ganze Filmstory drehte. Das sprach sich auch schnell herum, aber im Sonnenwinkel und in Erlenried war man sich einig, dass ein solches Kind anderswo gesucht werden musste. Hier fanden sich bestimmt keine Eltern bereit, eines ihrer Kinder diesem Trubel auszusetzen, der nicht nur im Gasthof Seeblick und im Hause Auerbach hinreichend Gesprächsstoff abgab.

»Die Gegend entspricht genau meinen Vorstellungen«, sagte der Regisseur Bob Calgero zu seiner Hauptdarstellerin Manja Corby, die, die Beine graziös übereinandergeschlagen, in einem Sessel lehnte.

»Mir gefällt es hier auch«, erklärte sie mit einer dunklen melodischen Stimme.

Er war sichtlich überrascht, dass sie ihm beipflichtete.

»Es freut mich, Manja. Ich dachte, es wäre dir zu einsam.«

»Was du immer denkst«, entgegnete sie spöttisch. »Aber wenn wir kein passendes Kind finden, brauchen wir gar nicht erst anzufangen.«

»Für diese Leute hier spielt Geld anscheinend keine Rolle«, meinte Bob Calgero nachdenklich.

Manjas Augenbrauen ruckten leicht empor.

»Wenn ich ein Kind hätte, würde ich es um keinen Preis diesem hektischen Getriebe aussetzen«, äußerte sie kühl. »Ich verstehe die Eltern.«

Dem Mann verschlug es die Stimme. Er starrte die bildschöne Frau an, als sähe er sie zum ersten Mal.

»Du bist doch in dieser Welt zu Hause, Manja«, sagte er staunend. »Du überraschst mich.«

»Warum? Ich habe diesen Beruf ergriffen, als ich bereits Verstand hatte, aber ein Kind wird in eine Welt hineingezwungen, die ihm fremd ist. Schau zu, wie du solch ein kleines Wesen findest, das deiner Vorstellung entspricht. Das ist nicht mein Bier.«

Sie erhob sich und ging langsam an ihm vorbei. Sie faszinierte ihn wie eh und je, aber das schien sie nicht zu bemerken.

»Ich freue mich jedenfalls auf ein paar geruhsame Tage«, erklärte sie, »und die werde ich genießen.«

*

Die junge Maskenbildnerin Gabi Gerlach unterhielt sich währenddessen mit dem Kameramann Ted Ludolf über das gleiche Thema.

»Wenn wir nicht bald ein passendes Kind finden, platzt der Film«, sagte er. »Jeder Tag kostet Geld.«

»Du redest, als handele es sich um ein Paar Schuhe«, entgegnete Gabi aggressiv. »Du sprichst von einem Kind!«

»Sei doch nicht gleich böse«, lenkte er ein. »Ich habe die Story nicht geschrieben. Bob war fasziniert davon. Man hätte sich ja auch etwas anderes einfallen lassen können. Schau dir doch die Kinder hier mal an, Gabi. Eines ist so nett wie das andere. Aber die Eltern sind stur. Herrgott, es wird doch ein zwei- bis dreijähriges Kind zu finden sein.«

Gabi Gerlach trat auf den Balkon und blickte gedankenverloren über den Sternsee.

Sie zuckte zusammen, als Ted ihr die Hand auf die Schulter legte.

»Ich habe mich auf unser Beisammensein gefreut, Gabi«, bemerkte er. »Wir haben jetzt ein paar Tage für uns.«

Er wollte den Arm um sie legen, aber sie entzog sich dieser Berührung schnell.

»Ich bleibe nicht hier, Ted«, erwiderte sie. »Ich habe andere Dinge zu tun. Manja braucht mich noch nicht.«

Enttäuschung malte sich auf seinen Zügen.

»Schade«, sagte er leise, »ich dachte, wir hätten endlich einmal Zeit für uns.«

»Für uns?«, wiederholte sie fragend.

»Weißt du noch immer nicht, wie sehr ich dich mag?«

Gabi presste die Lippen aufeinander.

»Schlag dir das aus dem Kopf«, stieß sie hervor. »Lass mich jetzt bitte allein.«

*

Auf dem Fohlenhof trafen Bob und Ted zusammen.

»Dir ist wohl eine Laus über die Leber gekrochen?«, fragte Bob.

»Du siehst auch nicht gerade zufrieden aus«, konterte Ted. »Wie wär’s mit einem Whisky?«

»Ziemlich früh am Tag«, sagte Bob, auf seine Armbanduhr blickend, »aber ich habe nichts dagegen.«

Trübsinnig starrten sie bald darauf in ihre Gläser. »Schlechte Organisation«, meinte Ted.

»Mach mich nicht dafür verantwortlich. Das Besetzungsbüro hat wohl gedacht, wir brauchen bloß zu winken. Da haben wir uns was Schönes eingebrockt. Mit Manja ist überhaupt nicht zu reden.«

»Ich möchte mal erleben, dass ihr einer Meinung seid«, bemerkte Ted. »Findest du, dass Manja für die Mutterrolle geeignet ist?«

Bob Calgero runzelte die Stirn.

»Wenn man aus ihr nur klug werden könnte«, brummte er. »Sie hat sehr überzeugend versichert, dass sie ihr Kind auch nicht für einen Film hergeben würde.«

»Hat sie denn eins?«, fragte Ted geistesabwesend.

»Quatsch! Woher denn? Ich kenne sie seit acht Jahren, und sie hat kaum eine Pause gemacht.«

Er versank für Minuten in Schweigen.

»Ich dachte immer, sie wäre nur karrieresüchtig, aber bei dieser Frau muss man immer wieder auf Überraschungen gefasst sein.«

»Wollte sie nicht mal heiraten?«, fragte Ted tiefsinnig. »Vor ein paar Jahren wurde doch mächtiges Gedönse um eine Romanze gemacht.«

Daran wollte Bob sich nicht erinnern. Er trank hastig sein Glas leer.

»Ich schaue mich noch ein bisschen in der Gegend um«, sagte er. »Eine herrliche Luft ist hier. Das ist man überhaupt nicht mehr gewohnt.«

Manja lag auf ihrem Bett, als es klopfte. Sie schrak zusammen. Eben war sie mit ihren Gedanken weit entfernt gewesen. Sie atmete auf, als Gabi eintrat.

»Du bist es«, rief sie erleichtert. »Ich dachte schon, Bob würde mir wieder auf die Nerven fallen.«

Gabi sah die schöne Frau nachdenklich an.

»Was hast du eigentlich gegen Bob?«, fragte sie.

»Gar nichts«, erwiderte Manja schnell. Eine Idee zu schnell vielleicht. »Ich will einfach ein paar Tage Ruhe haben und nicht dauernd seine Launen ertragen.«

»Er ist gereizt, weil nichts klappt«, meinte Gabi begütigend. »Es hängt doch jetzt alles davon ab, dass ein geeignetes Kind gefunden wird.«

»Fang du um Himmels willen nicht auch noch damit an, Gabi, ich habe mir heute diese Kinder angesehen. Ist es nicht ein Verbrechen, wenn man eines in eine Rolle zwingen will, es zum Spielball macht?«

»Einem dreijährigen Kind würde das doch gar nicht bewusst«, entgegnete Gabi. »Man muss es nur richtig behandeln, und das traue ich dir zu, Manja.«

»Du traust es mir zu?« Manja sah die Jüngere verwundert an.

»Ja«, antwortete Gabi mit einem flüchtigen Lächeln. »Manchmal glaube ich, dass dir ein Kind fehlt.«

Manja drehte ihr Gesicht zur Seite.

»Wie kommst du darauf?«, fragte sie tonlos.

»Ich kenne dich schon ziemlich lange. Du hast viel Erfolg, Manja, aber glücklich bist du nicht. An Männern würde es dir nicht mangeln, wenn du wolltest, aber du willst ja nicht, und dein Beruf füllt dich auch nicht aus.«

»Blödsinn! Ich könnte nicht auf meinen Beruf verzichten, sonst hätte ich René geheiratet. Das weißt du doch, Gabi.«

»Da bin ich nicht sicher. Wenn du ihn wirklich geliebt hättest, wäre dir dein Beruf nicht wichtiger gewesen. Ist es nicht Bob …« Sie kam nicht weiter, denn Manja fiel ihr ins Wort: »Hör auf damit. Das bildest du dir ein.«

Gabi betrachtete die schöne Frau gedankenvoll.

»Verzeih, Manja. Eigentlich war ich nur gekommen, um dir zu sagen, dass ich bis Montag nach Luzern fahre. Ich habe etwas Dringendes zu erledigen.«

»Es ist gut«, erwiderte Manja müde.

Was ist nur mit ihr, dachte Gabi, als sie in ihr Zimmer zurückging. Ist sie krank, hat sie Kummer?

Doch dann beschäftigte sie sich mit ihren eigenen Problemen, die auch nicht so leicht beiseitezuschieben waren.

*

Gabi war noch am Freitag abgereist. Manja hatte in dieser Nacht ein paar Schlaftabletten genommen und endlich einmal wieder richtig geschlafen. Am Morgen fühlte sie sich wohler.

Sie stand spät auf, badete ausgiebig und nahm dann ihr Frühstück ein. Dass es fast Mittag war, störte sie nicht.

Im Gasthof Seeblick machte man der berühmten Schauspielerin Zugeständnisse. Nur sah es Carla Richter nicht allzu gern, dass Manja sich mit dem kleinen Toni beschäftigte, der nun schon recht zutraulich geworden war. Und doch war etwas in diesem schönen, von honigblondem Haar umgebenen Gesicht dieser Frau, das sie hinderte, Toni zu sich zu rufen.

Carla Richter verschlug es die Stimme, als Manja sie fragte, ob sie Toni auf einem Spaziergang mitnehmen dürfe. Aber mittags war so viel Betrieb im Speisesaal, dass sie eigentlich dankbar sein musste, wenn sich jemand Tonis annahm.

Manja wartete geduldig, bis Toni sein Gemüse gegessen hatte. Er verstand es schon recht geschickt, mit dem Löffel umzugehen, und Manja betrachtete ihn mit einem Blick, in dem Sehnsucht und Zärtlichkeit lagen.

»Bist du verrückt, Carla?«, bemerkte Anton Richter zu seiner Frau. »Unser Toni und eine Filmschauspielerin! Sie will uns doch nur einwickeln, damit wir ihn doch noch für den Film hergeben.«

»Das glaube ich nicht, und außerdem willige ich da nie ein. Sie mag Kinder. Schau sie doch einmal richtig an.«

Dass Manja Kinder mochte, schien auch der kleine Toni zu empfinden, nachdem er seine erste Scheu überwunden hatte. Munter plappernd ging er an Manjas Hand.

»Da kommt Bambi mit ihrem Jonny«, verkündete der kleine Toni plötzlich. »Bambi ist lieb.«

Manja fand das kleine Mädchen bezaubernd. Sie war hingerissen von dem unbefangenen Charme, dem umwerfenden Lächeln und der Intelligenz dieses Kindes.

Es gab keine Situation, der Bambi sich nicht gewachsen zeigte, denn sie war in einer Familie aufgewachsen, in der es kaum Tabus gab. Dafür sorgten die aufgeschlossenen Eltern und die großen Geschwister wie auch die Großeltern, Magnus und Teresa von Roth, die mit der Zeit gingen und ihren Enkeln keinen Zwang auferlegten.

Jeder kannte Bambi, und Bambi kannte jeden in Erlenried. Sie hatte schon oft Babysitter bei Toni gespielt, und natürlich wusste sie auch schon, dass Manja Corby eine Filmschauspielerin war.

Der prächtige Collie Jonny blieb ein paar Schritte in Distanz, als Bambi den kleinen Toni in so unerwarteter Begleitung sah.

»Is Manja«, plapperte Toni. »Heißt so und wohnt bei uns.«

»Guten Tag«, sagte Bambi höflich. Manja streckte ihr die Hand entgegen.

»Guten Tag«, sagte sie ebenfalls. »Du bist Bambi?«

»Hm«, machte Bambi. »Ich wollte gerade mal gucken, was Toni macht. Heute ist wohl wieder viel Betrieb im ›Seeblick‹?«

»Ja, es geht hoch her«, erwiderte Manja. »Wohnst du hier?«

»Da.« Bambi deutete mit ausgestreckter Hand auf das Haus im Sonnenwinkel. »Bleiben Sie lange hier?«

Das interessierte sie am meisten, wenngleich sie augenblicklich nicht gar so aggressiv gegen die Leute vom Film eingestellt war, denn Manja gefiel ihr recht gut, und wenn Bambi jemand gefiel, war sie auch zugänglich.

»Ich weiß es noch nicht«, entgegnete Manja.

»Gefällt es Ihnen?«, fragte Bambi.

»Sehr gut. Ich könnte euch beneiden«, war Manjas Antwort.

Das gefiel Bambi noch besser.

»Es ist der schönste Fleck auf der ganzen Welt«, behauptete sie. »Aber hier gibt keiner sein Kind für einen Film her.«

Das musste sie anbringen. Zu große Zugeständnisse machte sie auch den Leuten nicht, die ihr gefielen.

Manja setzte sie mit ihrer Antwort in Erstaunen, denn eine solche hatte sie nicht erwartet.

»Das gefällt mir sehr«, erklärte Manja nämlich.

»Aber Sie suchen doch ein Kind«, bemerkte Bambi verblüfft.

»Ich nicht, sondern die Filmgesellschaft. Reden wir jetzt nicht darüber. Ich möchte mich gern ein bisschen umschauen. Weißt du, wie die Burg heißt?«

Bambi nickte eifrig. »Felsenburg. Ich weiß eine Menge, und besichtigen kann man die Burg auch. Wollen Sie das?«

»Gern, aber heute werde ich mit Toni spazieren gehen. Willst du mitkommen, Bambi?«

»Wenn es Ihnen nichts ausmacht? Ich habe Zeit«, versicherte Bambi.

»Wie alt bist du denn?«, fragte Manja, als sie schweigsam ein Stück gegangen waren.

»Sechs Jahre, und in die Schule gehe ich auch schon. Wir waren mit die ersten hier. Die Häuser sind alle erst später gebaut worden. Und Toni ist auch noch nicht so lange hier.« Sie schöpfte Atem und fuhr dann fort: »Wir fanden es gar nicht schön, dass hier gefilmt wird. Nachher sehen die Leute, dass es so schön bei uns ist, und dann kommen immer mehr hierher. So viel Betrieb wollen wir gar nicht haben.«

»Das kann ich verstehen«, sagte Manja, und damit gewann sie Bambis Sympathie ganz.

*

Auch Bob Calgero durchstreifte die Gegend, und er sah Manja mit den beiden Kindern.

Sie saßen jetzt auf einer Bank dicht am See und wussten nicht, dass sie beobachtet wurden.

Momentan hatte sich in Bob der Wunsch geregt, dieses Bild filmen zu können, denn nie hatte er Manja so gelöst und heiter gesehen. Aber das war ein Anblick, den er niemanden gönnte, und er wollte ihn allein genießen.

Manja erschien ihm plötzlich nicht als unerreichbare Karrierefrau, sondern so, wie sie in Wirklichkeit war, wenn sie das auch niemandem zeigen wollte.

Er vernahm ihr dunkles warmes Lachen und sah, wie sie ihren Kopf Bambi zuneigte.

Er sah auch, wie Toni sich an sie schmiegte, jauchzte und seine Händchen in ihr Gesicht patschte.

Er pirschte sich näher heran, um verstehen zu können, was sie sagte.

»Unser Haus dürft ihr nicht nehmen«, erklärte Bambi eben. »Da wird mein Papi grantig. Wer hat euch eigentlich gesagt, dass es hier so schön ist?«

»Das weiß ich auch nicht, Bambi«, erwiderte Manja. »Aber meinst du nicht, dass Menschen, die in großen Städten wohnen, auch ein Anrecht darauf haben, ein solches Paradies wenigstens im Film zu sehen?«

»Wenn sie nicht alle kommen«, entgegnete Bambi. »Es kommen so schon genug.«

Ihr Gesicht drückte Skepsis aus, aber dann räumte sie ein: »Ja, wenn alle Filmleute so nett sind wie Sie, dann ist es nicht so schlimm.«

»Danke, Bambi«, sagte Manja.

Bob durchzuckte ein ganz eigentümliches Gefühl. Sein Blick saugte sich an ihrem Gesicht fest, und vielleicht spürte sie es, denn nun wandte sie den Kopf und sah ihn an.

Schnell trat er näher heran, da er nun nicht mehr ausweichen konnte.

»Nett, dich zu treffen«, äußerte er mit gepresster Stimme.

»Ich bin beschäftigt, wie du siehst«, bemerkte sie unwillig.

»Das möchte ich doch lieber als eine angenehme Unterhaltung bezeichnen. Wen haben wir denn da?«

Er sah Toni an, dann erst Bambi. Widersprüchliche Gedanken gingen ihm durch den Sinn.

Hatte Manja sich doch eines anderen besonnen und versuchte diplomatisch, diesen hübschen kleinen Jungen für den Film zu gewinnen? Irgendwie behagte ihm ein solcher Gedanke nicht.

Und dann war dieses entzückende kleine Mädchen, wie geschaffen für einen Film! Bambi musterte ihn kritisch.

»Wer ist das?«, fragte sie Manja.

»Unser Regisseur. Wenn du schon da bist, Bob, könntest du dich ruhig mit den Kindern bekannt machen«, sagte Manja ironisch.

Damit brachte sie ihn in Verlegenheit. Tatsächlich, er war verlegen, wenn er sich auch nicht begriff.

»Ich heiße Bob«, erklärte er.

»Mein Name ist Bambi, und das ist Toni. Aber Sie brauchen nicht zu denken, dass wir im Film mitspielen wollen.«

So, das hatte sie ihm klar und deutlich gesagt, und nun konnte er sich danach richten.

Aber Bambi fand ihn eigentlich ganz nett, wenn er lächelte. Sie überlegte angestrengt, warum Manja ihn so abweisend behandelte.

Jonny, der am See entlang auf Erkundung gegangen war, kam angetrottet.

»Das ist ja ein Prachtexemplar«, rief Bob aus. »Na, den könntest du uns aber mal ausleihen, Bambi.«

»Da würden Sie nicht viel Spaß haben«, meinte Bambi. »Jonny hat seinen eigenen Kopf, wie ich auch.«

»Gib es ihm nur, Bambi«, sagte Manja lachend. »Er ist ein bisschen zu sehr daran gewöhnt, alles zu bekommen, was er haben will.«

Diese hintergründigen Worte trieben Bob das Blut in die Wangen. Er stand da wie ein begossener Pudel. Diesen Vergleich zog jedenfalls Bambi, und Manja dachte ähnlich.

»Ich muss jetzt heim«, erklärte Bambi. »Es war sehr nett, Manja. Vielleicht können wir uns noch öfter unterhalten.«

»Es würde mich freuen, Bambi«, erwiderte Manja mit weicher Stimme.

»Und unser kleiner Toni wird jetzt auch müde.«

Er war so müde, dass er gar nicht mehr laufen mochte. Manja trug ihn, aber er wurde ihr doch ein bisschen schwer.

»Gib ihn mir«, sagte Bob, der unaufgefordert an ihrer Seite geblieben war.

Sie warf ihm einen schrägen Blick zu, aber Toni hatte seltsamerweise nichts dagegen einzuwenden, auf den Arm des Mannes zu wandern.

»Wie alt ist er?«, fragte Bob.

Manjas Kopf nickte herum.

»Toni kommt keinesfalls infrage«, äußerte sie heftig.

»Ich habe nur gefragt, wie alt er ist«, wiederholte Bob.

»Fast drei Jahre, glaube ich.«

»Ich wusste nicht, dass du Kinder magst.«

»Du weißt vieles nicht, Bob«, entgegnete sie.

Im »Seeblick« war der größte Trubel vorbei. Carla Richter kam ihnen entgegen. Sie musterte Bob eindringlich und nahm ihm den Kleinen ab.

»Jetzt ist er aber müde«, sagte sie. »Vielen Dank, Frau Corby. Es war sehr nett von Ihnen, dass Sie sich um ihn gekümmert haben.«

»Für mich war es auch nett, aber jetzt habe ich richtigen Hunger bekommen.«

»Dem kann abgeholfen werden«, lächelte Carla. »Ausverkauft sind wir noch nicht,«

»Gestattest du, dass ich dir Gesellschaft leiste, Manja?«, fragte Bob höflich.

»Wenn du sonst nichts mit deiner Zeit anzufangen weißt«, erwiderte sie anzüglich.

*

Das Essen war vorzüglich. Bob entwickelte einen guten Appetit.

»So werden wir wenigstens für alle Unbill entschädigt«, stellte er fest.

Manja ging darauf nicht ein.

»Wer ist eigentlich auf den Gedanken gekommen, den Film hier zu drehen?«, fragte sie.

»Ich«, gab er zögernd an.

»Du?«, bemerkte sie verwundert. »Wie kommst du denn in diese Gegend?«

»Ich habe hier mal einen Freund besucht, und es hat mir sehr gefallen. Da habe ich auch die Geschichte mit dem Findelkind von der Felsenburg gehört, und ich habe gedacht, dass wir dieses Kind bekommen könnten, aber die Eltern wollen nichts davon wissen.«

»Sie wohnen noch hier?«, fragte Manja staunend. Dann lächelte sie spöttisch. »Findest du nicht, dass du reichlich taktlos bist?«

»Wieso denn taktlos. Du musst die Geschichte erst kennen. Sie ist ergreifend. Das Leben schreibt die besten Romane, liebe Manja. Die Menschen haben in all der Hektik unserer Zeit Sehnsucht nach der heilen Welt. Hier gibt es sie.«

»Aber du musst in einem menschlichen Schicksal herumstochern«, sagte Manja vorwurfsvoll.

»Warum bist du nur so aggressiv«, meinte er in versöhnlichem Ton. »Die Story habe ich nicht geschrieben, und sie deckt sich auch nicht mit der wahren Geschichte. Das Findelkind von der Felsenburg war ein Baby. Eine Frau, die keine Kinder bekommen konnte, wurde dadurch glücklich. Unser Kind ist knapp drei Jahre und wird von seiner Mutter im Stich gelassen. Eine andere Frau nimmt sich seiner an und …«

»Ja, das weiß ich alles«, fiel Manja ihm ins Wort. »Ich habe mich mit meiner Rolle beschäftigt. Mich wundert es nur, dass du mir nicht die der herzlosen Mutter zugedacht hast.«

»Das ist eine Nebenrolle, und die hättest du wohl kaum angenommen«, konterte er.

»Aber du meinst doch wohl, dass sie besser zu mir gepasst hätte?«

»Nein, seit heute weiß ich, dass du dich dazu gar nicht geeignet hättest, Manja«, erwiderte Bob sehr nachdenklich.

Das Blut schoss ihr in die Wangen, und sie senkte den Blick.

»Ich habe Kinder sehr gern«, gestand sie ein. »Ja, ich hätte gern ein Kind, damit du es weißt. Ich habe nur nicht den Mann gefunden, den ich gern als Vater dieses Kindes sehen möchte.«

»War René nicht der Mann?«, entfuhr es ihm.

Manja blickte an ihm vorbei, erhob sich wortlos und ging. Er war so bestürzt, dass er ihr nicht folgte.

*

»Sie heißt Manja und ist sehr nett«, verkündete Bambi am Mittagstisch.

»Wer heißt Manja?«, fragte Professor Auerbach.

»Die Filmschauspielerin«, erklärte Bambi. »Sie ist nicht so blöd wie die im Fernsehen. Sie ist gar nicht geziert. Man kann richtig mit ihr reden.«

»Schauspieler sind auch Menschen«, äußerte Werner Auerbach nachsichtig. »Im Film oder auf der Bühne müssen sie ihre Rolle spielen, aber im Leben sind sie auch aus Fleisch und Blut.«

Bambi nickte dazu. »Du hast ja immer recht, Papi. Manja war sehr lieb zu Toni. Sie will auch gar nicht, dass er im Film mitspielt. Ich bin sehr gespannt, was für ein Kind sie finden.«

»Na, bei uns bestimmt keins«, mischte Hannes sich ein.

»Hab’ ich auch nicht gesagt«, pflichtete Bambi ihm bei. »Bob wollte Jonny gern für den Film haben, aber da habe ich auch gleich abgewinkt.«

Werner und Inge Auerbach tauschten einen verständnisinnigen Blick. Sie wussten, dass ihre Jüngste da keinerlei Hemmungen hatte und kurzen Prozess machte.

»Ideen haben die Leute«, brummte Hannes. »Wer ist denn Bob?«

»Der Regisseur. Habe ich das richtig gesagt? Da bricht man sich ja die Zunge ab.«

»Was bereitet dir schon Schwierigkeiten, Bambi«, meinte Hannes neckend. »Wann geht der Trubel denn los? Hoffentlich verziehen sie sich bald wieder.«

»Ach, Manja kann ruhig noch bleiben. Ich unterhalte mich gern mit ihr. Da kann man auch was lernen.«

»Hoffentlich kommst du nicht auf den Gedanken, auch zum Film zu gehen«, bemerkte Hannes anzüglich.

»Ich doch nicht«, erklärte Bambi fest.

»Was sagst du eigentlich zu der Filmerei, Papi?«, fragte Hannes seinen Vater.

»Solange sie uns in Ruhe lassen, ist es mir egal«, erwiderte Werner Auerbach. »Warum sollen wir Sturm laufen. Dabei kommt doch nichts heraus. Und unser Opi ist ganz stolz, wenn die Felsenburg gefilmt wird.«

»Waas?«, fragte Bambi gedehnt. »Da macht Opi mit?«

»Es bringt Geld, mein Schätzchen. Du bist doch auch immer darauf bedacht, dass Geld für die Felsenburg einkommt.«

Da gab es nichts zu widersprechen, denn es stimmte.

*

Die Kirchenglocken läuteten den Sonntagmorgen ein. Bald war die Kirche bis auf den letzten Platz besetzt, und Orgelklänge erfüllten den Raum.

Da wurde die Tür noch einmal leise geöffnet, und eine junge Dame kam herein. Auf der hintersten Bank rückte man zusammen, und das schlanke Mädchen bekam noch einen Platz.

Sie war fremd in Erlenried, nur wenige hatten sie schon einmal gesehen. Es war Gabi Gerlach, und sie war so andächtig im Gebet versunken, dass sie Ted Ludolf nicht bemerkte.

Ihn hätte sie in der Kirche wohl auch kaum erwartet. Er Gabi jedoch auch nicht, denn er hatte nicht damit gerechnet, dass sie schon heute zurück sein würde.

Er saß auch auf der letzten Bank, jedoch auf der anderen Seite des Ganges, und er konnte der warmherzigen Predigt des jungen Pfarrers Frerichs kaum folgen, weil er immerzu an Gabi denken musste und sich fragte, warum sie nun doch schon zurück sei.

Als der Gottesdienst zu Ende war und Gabi die Kirche schnell verlassen wollte, folgte er ihr.

»Gabi«, rief er sie leise an.

Ihr Kopf fuhr herum. Fast entsetzt blickte sie ihn an. Ihre Lippen bebten, und ihre Augen schlossen sich.

»Du warst in der Kirche?«, fragte sie stockend.

»Jagt dir das solchen Schrecken ein?«, entgegnete er scherzend. »Du starrst mich wie einen Geist an.«

»Ich habe nicht damit gerechnet, dich hier zu treffen«, erwiderte sie gepresst.

»Und ich wähnte dich in Luzern!«

»Ich bin früher zurückgekommen«, sagte sie überstürzt.

»Wieso?«

»Manja war so eigenartig, als ich mich von ihr verabschiedete. Ich bin gerade erst gekommen, und da hörte ich die Glocken läuten.«

Wie in Trance sprach sie, als wäre sie mit ihren Gedanken weit entfernt.

»Dann bist du ziemlich früh weggefahren«, bemerkte er gedankenvoll. »Hast du überhaupt schon gefrühstückt?«

»Nein, ich war noch gar nicht im Seeblick, antwortete sie hastig.

»Wie ich Manja kenne, wird sie noch schlafen«, sagte Ted. »Komm doch mit auf den Fohlenhof, Gabi. Es ist sehr hübsch dort. Ich glaube nicht, dass du dir Sorgen um Manja machen musst. Sie war gestern Abend ganz vergnügt. Wir haben noch beisammengesessen. Die Atmosphäre hier tut ihr gut. Sie hat sich schon mit ein paar Kindern angefreundet und ist ganz aufgekratzt. Sie schläft bestimmt noch.«

Gabi überlegte ein paar Sekunden.

»Na schön, dann komme ich mit.«

*

Manja schlief nicht mehr, denn eine ganz ungewohnte Unruhe war in dem Gasthof.

Sie hörte erregte Stimmen und das Weinen eines Kindes. War es Tonis Weinen? War ihm etwas passiert?

Manja fuhr sich mit der Bürste durch das Haar und schlüpfte in ihren Morgenmantel. Sie öffnete ihre Zimmertür und konnte nun die erregten Stimmen verstehen.

»Aber das Kind kann doch nicht allein hierhergekommen sein«, hörte sie Anton Richter sagen.

»Schüchtere sie doch nicht noch mehr ein«, erwiderte Carla darauf. »Wein doch nicht, Kleines. Wir werden deine Mutti schon finden.«

Manja blickte über das Treppengeländer und sah ein kleines Mädchen auf einem Stuhl sitzen. Carla beugte sich zu ihr hinab.

Manja lief die Treppe hinab.

»Was ist denn?«, fragte sie aufgeregt.

Zwei tränenerfüllte Kinderaugen blickten sie an.

Dann legten sich kleine, nicht ganz saubere Hände wieder vor das tränenüberströmte Gesichtchen.

»Das Kind saß hier in der Halle«, erklärte Carla atemlos. »Es saß einfach da.«

Fassungslos sah sie Manja an.

»Wir wissen nicht, zu wem sie gehört. Ist es vielleicht das Kind, das in dem Film mitspielen soll, Frau Corby?«

»Ich habe keine Ahnung«, entgegnete Manja. Dann legte sie ihren Arm um das kleine Mädchen. »Sagst du mir, wie du heißt?«

»Mädi«, erwiderte die Kleine flüsternd.

»Und wie noch?«, fragte Manja mit weicher Stimme.

Das Kind ließ die Hände sinken und sah Manja aufmerksam an.

»Weiß nicht«, kam die Antwort.

»Wer hat dich denn hergebracht?«, fragte Manja weiter.

»Weiß auch nicht. Hab’ geschlafen.«

»Das geht doch nicht mit rechten Dingen zu«, brummte Anton Richter.

»Reg dich ab, Toni«, bemerkte seine Frau. »Du müsstest doch wissen, wie Kinder sind. Sie sind verschüchtert. Möchtest du etwas, Mädi?«, fragte sie mütterlich. »Hast du Durst oder Hunger?«

»Durst«, erwiderte die Kleine. »Möchte Milch.«

Die Tränen waren versiegt. Sie blickte sich jetzt neugierig um. Manja betrachtete das Kind mit einem seltsamen Ausdruck.

»Ich ziehe mich rasch an, und dann frühstücken wir«, erklärte sie. »Willst du?«

Das Kind nickte und hielt ihr zutraulich die Hand hin. Carla Richter wurde davon ganz eigenartig berührt.

Manja musste etwas ganz Besonderes haben, dass die Kinder so schnell Kontakt zu ihr bekamen.

*

»Hattest du Ärger, Gabi?«, fragte Ted Ludolf indessen die junge Kollegin.

»Nicht eigentlich«, erwiderte sie ausweichend. »Du meinst also, Manja geht es gut.«

»Du tust so, als wärst du mit ihr verheiratet«, sagte er neckend.

»Wir mögen uns.«

»Mir wäre es lieber, wenn du mich auch mögen würdest.«

Ted griff nach ihrer Hand, aber sie entzog ihm diese schnell.

»Du solltest meine Prinzipien kennen, Ted«, erklärte sie mahnend.

»Deine Prinzipien.« Er lachte leicht auf. »So oft haben wir nun auch nicht beruflich miteinander zu tun, dass du daran festhalten müsstest, Gabi. Ich frage dich jetzt allen Ernstes, willst du meine Frau werden.«

Gabi zuckte zusammen. Der gleiche angstvolle Ausdruck war in ihren Augen wie vorhin in der Kirche.

»Ich mag dich sehr, Ted«, erwiderte sie mit belegter Stimme, »aber sprich bitte nicht von Heirat.«

»Dann sag mir doch wenigstens, was dich bedrückt. Wenn du schon nicht anders willst, möchte ich dein Freund sein.

»Du meinst es gut. Ich will dir auch nicht weh tun. Lass mir ein bisschen Zeit, Ted. Ich habe augenblicklich wirklich Sorgen. Meine Mutter ist gestorben. Schon vor zwei Wochen. Ich habe es erst am Freitag erfahren.«

»Es tut mir leid«, murmelte Ted. Das waren Worte, und er hatte das Gefühl, dass sie an ihrem Ohr vorbeigingen.

»Wir standen uns nicht sehr nahe«, sagte Gabi. »Es war meine Stiefmutter, aber es hat mein Leben doch irgendwie verändert.«

Er hatte das Gefühl, dass sie das gar nicht hatte sagen wollen. Nun schwieg sie auch und starrte vor sich hin. Dann sprang sie plötzlich auf.

»Ich muss jetzt zu Manja!«, stieß sie hervor.

»Darf ich dich begleiten?«, fragte er.

»Nein. Bitte nicht«, entgegnete sie. »Vielleicht brauche ich wirklich einen Freund, Ted, aber ich möchte bezweifeln, dass du es dann noch sein willst.«

Mit dieser rätselhaften Bemerkung ging sie.

Er wusste nicht, was er davon halten sollte. Gar zu gern wäre er ihr nachgelaufen und hätte ihr gesagt, dass sie solche Gedanken nicht zu hegen brauche. Doch sie war schon in ihren Wagen gestiegen und fuhr davon.

Er blieb nur ein paar Minuten allein, dann setzte sich Bob zu ihm.

»War das nicht Gabi?«, fragte er.

»Ja, sie war es.«

»Wollte sie nicht länger fortbleiben?«

»Es hat sie zu Manja gezogen«, erwiderte Ted geistesabwesend.

»Eine komische Freundschaft«, murmelte Bob.

»Wieso komisch?«

»Sie sind doch völlig verschieden.«

»Gegensätze ziehen sich an«, sagte Ted.

»Bist du verliebt in Gabi?«, fragte Bob.

Ted spielte mit dem Löffel.

»Ich liebe sie, aber es scheint aussichtslos zu sein.«

»Reichen wir uns die Hand«, meinte Bob mit einem gequälten Lächeln.

Verwundert sah Ted ihn an.

»Liebst du sie etwa auch?«, fragte er heiser.

»Nicht Gabi«, antwortete Bob ablenkend. »Und nun frag nicht mehr.«

*

»Schmeckt es, Mädi?«, fragte Manja. »Gut.« Mädi schleckte sich den Mund. »Bin schon ganz satt.«

Da trat Gabi ein. Wie erstarrt blieb sie in der Tür stehen, als sie Manja und das Kind im Tisch sitzen sah.

»Was schaust du so?«, fragte Manja vergnügt. »Komm doch her. Habe ich nicht eine bezaubernde kleine Freundin?«

»Tata da«, sagte Mädi.

»Wieso Tata? Das ist Gabi, meine Freundin«, erklärte Manja. »Und das ist Mädi«, fuhr sie fort. »Du wirst es nicht glauben, Gabi, aber wir haben tatsächlich ein Findelkind.«

Gabi sagte nichts. Sie ließ sich auf einen Stuhl sinken und sah Manja nur flüchtig an.

»Wieso bist du schon zurück?«, fragte Manja.

»Ich dachte, du wärst allein«, erwiderte Gabi. »Ich konnte alles schneller erledigen, als ich dachte. Was ist mit dem Kind?«

»Es saß in der Halle auf einem Stuhl, einsam und verlassen. Ich frage mich, ob das ein besonderer Clou von Bob ist. Ihm traue ich alles zu.«

»Inwiefern ein Clou?«, fragte Gabi verwirrt.

»Wir brauchen doch ein Kind, und vom Himmel gefallen kann Mädi nicht sein. Sie scheint niemandem zu gehören, aber sie ist da, aus Fleisch und Blut, und sehr hungrig. Irgendjemand muss sie schließlich hergebracht haben.«

»Wie heißt sie denn?«

»Mädi, etwas anderes sagt sie nicht.«

»Sag’ ich nicht«, warf das Kind schelmisch ein. Sie blinzelte zu Gabi hinüber. »Mag Manja, mag dich auch.«

»Und niemand hat gesehen, mit wem das Kind gekommen ist?«, fragte Gabi schleppend.

»Niemand«, entgegnete Manja.

»Und du meinst, dass Bob sich das ausgedacht hat?«

»Ihm würde ich es jedenfalls zutrauen. Du siehst sehr angegriffen aus, Gabi.«

»Ich bin kaum zum Schlafen gekommen.«

»Dann leg dich jetzt hin. Ich gehe mit Mädi spazieren. Du hast dir doch nicht etwa meinetwegen Sorgen gemacht?«

»Doch, aber mit dir erlebt man immer neue Überraschungen«, erwiderte Gabi geistesabwesend.

*

Im Sonnenwinkel und in Erlenried wurde es ein unruhiger Tag. Überall wurde nachgeforscht, wer das Kind hergebracht haben könnte. Aber keiner wusste es, und Bob Calgero beteuerte seine Unschuld an diesem Ereignis überzeugend.

Es kam zu einer recht temperamentvollen Aussprache zwischen ihm und Manja, als Mädi zu Bett gebracht worden war. Bob steckte nichts ein.

»Du wirfst mir Dinge vor, die du gar nicht verantworten kannst, Manja!«, begehrte er auf. »Ich bin doch kein Kidnapper! Ich habe ja schon manches von dir eingesteckt, aber das ist zu viel! Ich werde Himmel und Hölle in Bewegung setzen, damit die Angehörigen des Kindes gefunden werden. Solche Gags liebe ich durchaus nicht.«

Und da gesellte sich Gabi zu ihnen.

»Worüber streitet ihr denn?«, fragte sie tonlos. »Immer noch wegen des Kindes? Sei doch vernünftig, Manja. Du müsstest Bob doch eigentlich kennen. Reklametricks sind ihm doch verhasst. Dazu nimmt er seine Arbeit viel zu ernst.«

Manjas Miene zeigte Betroffenheit.

»Du verteidigst ihn ja leidenschaftlich, Gabi«, sagte sie unbeherrscht. »Mich dünkt, du bist seinetwegen und nicht meinetwegen so früh zurückgekommen.« Und damit ließ sie die beiden stehen.

»Jetzt ist sie durchgedreht«, stöhnte Bob. »Liebe Güte, dieser Film wird eine Nervenprobe. Was sagst du, Gabi?«

»Ich gehe jetzt an die frische Luft.«

Er folgte ihr. Eine Weile ging er schweigend neben ihr her. Sie schien es gar nicht zu bemerken.

»Du bist doch ein Mädchen, das mit beiden Beinen fest auf dem Boden steht, Gabi«, begann er dann. »Du bist mit Manja befreundet. Kannst du mir vielleicht sagen, was mit ihr los ist?«

»Was soll mit ihr los sein?«

»Ich habe nie bemerkt, dass sie kindernärrisch ist, aber seit wir hier sind, befasst sie sich ausschließlich mit Kindern, und dies durchaus nicht im Interesse unserer Produktion. Und jetzt benimmt sie sich, als wäre dieses kleine Mädchen ihr Kind.« Eine Pause folgte, in der Gabi seine schnellen Atemzüge vernahm. »Ist es vielleicht ihr Kind?«, fragte er dann hastig.

»Blödsinn. Mädi müsste es ja schließlich wissen.«

»Vielleicht kennt das Kind seine Mutter gar nicht«, überlegte Bob. »Nehmen wir mal an, Manja hätte das Kind zur Welt gebracht und es dann in Pflege gegeben, weil es ihrer Karriere im Weg stand. Nun hat sie die Karriere satt und sich auf das Kind besonnen.«

»Du redest Unsinn, Bob«, sagte Gabi. »Manja würde ihr Kind nie verleugnen.«

»Lehre du mich die Frauen kennen. Die Affäre mit René ging doch recht tief. Herrgott, Mädchen, ich will doch nur eine vernünftige Erklärung. Du musst es doch wissen. War da nicht auch deine Schwester im Spiel? Was ist eigentlich aus ihr geworden?«

Gabi wich zurück. »Lass das doch, Bob. René hatte für Manja nicht die Bedeutung, wie du meinst.«

Er griff nach ihrem Ann. Wie Eisenklammern schlossen sich seine Finger um ihn. Es tat Gabi weh, aber sie rührte sich nicht. Sie war wie erstarrt.

»Ich werde dir jetzt etwas sagen, was niemand weiß, Gabi«, stieß Bob hervor. »Ich kenne Manja acht Jahre, und ebenso lange liebe ich sie. Sie treibt mich noch zur Verzweiflung. Man kommt nicht an sie heran. Ich bin durch eine Hölle gegangen. Nein, nicht durch eine. Immer wieder, wenn ich sie traf, war es eine neue Hölle. Sie behandelt mich wie den letzten Dreck.«

»Sag das doch nicht, Bob«, flüsterte Gabi. »Du verkennst Manja. Vielleicht denkt sie ebenso wie du. Damals, als ihr euch kennenlerntet, warst du verheiratet.«

»Auf dem Papier. Mit einer Frau, die mich nicht nur einmal betrogen hat, und die Scheidung lief bereits. Das kann doch nicht der Grund sein.«

»Frag Manja einmal. Versuch es anders als bisher«, bemerkte Gabi leise, »ich kann mich täuschen. Alles weiß ich auch nicht, aber ich weiß, dass sie nicht glücklich ist und nie glücklich war. Es mag sein, dass es hier anders geworden ist, ich wusste auch nicht, dass sie sich so sehr nach einem Kind sehnt, sonst …« Sie unterbrach sich und presste die Lippen aufeinander.

»Sonst?«, fragte Bob. »Was wolltest du sagen?«

»Sonst hätte ich ihr abgeraten, diese Rolle zu spielen«, erwiderte Gabi nach einer langen Pause. »Nein, ich habe nicht bedacht, was daraus entstehen könnte.«

Er starrte sie sekundenlang an.

»Du bist auch ein Buch mit sieben Siegeln«, äußerte er gedankenvoll.

Er umfasste ihre Schultern und schüttelte sie.

»Ich liebe Manja, hörst du! Und Ted liebt dich!«

Und da sah er Tränen in ihren Augen.

*

Ted war herumgelaufen, getrieben von dem Wunsch, Gabi zu treffen, aber da sah er sie mit Bob.

Deutlich konnte er erkennen, wie Bob sich zu ihr herabneigte und die Hand unter ihr Kinn legte.

Also doch, dachte er. Bob ist derjenige welcher. Es gab ihm einen schmerzhaften Stich.

Ganz schnell ging er zum Fohlenhof zurück. Dort wurde er mit großem Hallo von seinem Team empfangen.

»Na, was ist nun mit dem Kind?«, wurde er gefragt. »Können wir mit den Dreharbeiten beginnen?«

»Fragt doch Bob«, knurrte er. »Diese Nostalgiewelle regt mich auf. Sehnsucht nach der heilen Welt. Idiotisch, einfach idiotisch. Die Welt wird nie mehr heil.«

»Eine Laune hat er«, wurde eine Stimme laut.

»Das wird ja eine Woche werden«, sagte eine andere.

Ted hörte nicht zu. Er ging mit schweren Schritten an die Bar und trank innerhalb kurzer Zeit drei Whisky.

Es machte ihm nichts aus, nur sein Zorn wurde stärker. Du wirst dich wundern, Bob, dachte er. So schnell gebe ich mich nicht geschlagen.

Er fuhr sich mit den Fingern durch das dichte blonde Haar. Gabi und Bob, das war einfach unvorstellbar. Mit ihm musste sie ja unglücklich werden.

Er fühlte, wie alle ihn anstarrten, stellte das Glas mit einem harten Ruck hin und ging wieder hinaus.

Blindlings lief er hinein in die Nacht, die weich wie Samt war, windstill und sternenklar.

Er lief zu der Stelle, wo er Gabi und Bob zuvor gesehen hatte, aber da war niemand.

Er rannte ein Stück die Straße entlang und dann hinunter an den See. Eine schattenhafte Gestalt stand dort, in sich selbst versunken. Gabi! Sie war allein.

Ted kannte kein Halten mehr. Er lief auf sie zu und legte seine Arme fest und entschlossen um sie. Die Worte sprudelten über seine Lippen.

»Sag es mir, Gabi, was hat er dir angetan? Warum hat er dich allein gelassen?«

»Wer?«, fragte sie verwirrt.

»Bob, wer sonst? Du musst mir alles sagen! Ich breche ihm sämtliche Knochen, wenn er dich unglücklich gemacht hat?«

Gabi erwachte aus ihrer Apathie.

Ihr Gesicht entspannte sich, und ein weiches Lächeln huschte über ihr Gesicht.

»Du bist ein richtiger Bär, Ted«, bemerkte sie leise. »Ich habe mit Bob doch gar nichts zu schaffen. Wie kommst du denn darauf?«

»Ich habe euch vorhin beisammen gesehen!«, stieß er heiser hervor.

»Na und? Er hat mich wegen Manja ausgefragt, und dann …« Sie hielt mitten im Satz inne.

»Und dann? Sag es, Gabi! Du wirst mich nicht los, bevor ich alles weiß!«

»Und dann sagte er mir, dass du meinetwegen unglücklich bist, Ted. Das will ich nicht. Ich mag dich wirklich, viel mehr als jeden andern Menschen. Ich habe nur Angst.«

All sein Zorn verflog.

»Wovor hast du Angst?«, fragte er.

»Dass auch du mich nicht verstehst.«

»Davor brauchst du niemals Angst zu haben«, flüsterte er. »Ich verstehe alles. Ich will gar nichts wissen und werde dich auch nicht fragen. Aber ich könnte es nicht ertragen, dass du unglücklich wirst.«

Im Sonnenwinkel Classic 39 – Familienroman

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