Читать книгу Dr. Norden Bestseller 339 – Arztroman - Patricia Vandenberg - Страница 3

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Dr. Norden hatte einige Patienten, bei denen er tägliche Hausbesuche machen mußte. Sein schwerster Fall derzeit war jedoch Ilse Köster, verheiratet seit zehn Jahren mit dem Drogisten Herbert Köster. Sie war vierzig, zwei Jahre älter als er, aber sie hatte das Geld in die Ehe gebracht und die gutgehende Drogerie, die immer noch unter ihrem Mädchennamen Weller geführt wurde.

Ilse Köster hatte Krebs, aber noch vor einem Jahr hätte niemand für möglich gehalten, daß sie überhaupt je krank werden könnte. Da hatte sie auch jeden Tag im Geschäft gestanden, und mit Maren Axmann, der jungen Verkäuferin, hatte sie sich gut verstanden.

In den Semesterferien kam auch Ilses jüngerer Bruder Lothar, um sich zu überzeugen, daß das Geschäft auch gut genug gehe, damit er immer seinen Monatsscheck bekommen konnte. Er konnte ein sorgloses Studentenleben führen. Er war Miterbe, aber er sollte den monatlichen Scheck nur bis zum Abschluß seines Studiums bekommen. Der alte Weller hatte seinem lebenslustigen Sohn nie so recht getraut. Er hatte ihm schon während der Schulzeit einige Sorgen bereitet, und jetzt, mit achtundzwanzig Jahren war er immer noch nicht fertig. Er hatte sich eingebildet, Arzt werden zu müssen, schon aus Prestigegründen, aber zuerst hatte er keinen Studienplatz bekommen, weil er den Numerus clausus nicht erbracht hatte, und so hatte er erst Biologie studiert.

Dr. Norden wußte das alles, denn es hatte Ilse Köster viel Kummer bereitet, daß er so wenig zielstrebig war. Herbert Köster bereitete er noch mehr Sorgen, weil er in letzter Zeit immer mehr Geld haben wollte und manchmal recht unverschämt wurde. Er hielt Herbert vor, daß er seine Schwester ja nicht aus Liebe geheiratet hätte, sondern nur wegen ihres Geldes.

Eine Liebesheirat war es sicher nicht gewesen, aber sie verstanden sich gut. Es war eine harmonische Ehe geworden und auch jetzt, während ihrer schweren Krankheit, gab es keine Streitigkeiten. Ilse Köster war eine geduldige Kranke.

Als Dr. Norden an diesem Abend kam, räumte Maren Axmann den Laden auf. Sie war ein sehr apartes Mädchen. Sie war als Waise bei Verwandten aufgewachsen, auch das hatte Dr. Norden nach und nach erfahren, obgleich Maren scheu und nicht mitteilsam war. Sie war sehr ausgenutzt worden, das hatte ihm Herbert Köster erzählt.

Dr. Norden hatte auch Marens Vertrauen gewonnen gehabt, aber seit einigen Wochen ging sie ihm aus dem Weg, wann immer es ihr möglich war. Warum nur, dachte er auch an diesem Abend wieder, als sie nur verlegen grüßte und dann gleich wieder den Staubsauger anstellte.

Die Privatwohnung der Kösters lag über dem Geschäft. Es war ein zweistöckiges Haus, das sehr gepflegt wirkte. Auch das gehörte zu Ilse Kösters Erbe, wie auch noch ein anderes Miethaus und verschiedene Grundstücke.

Es war eine alteingesessene Familie, und Herbert Kösters Eltern waren sehr mit den Wellers befreundet gewesen, aber bei weitem nicht so vermögend wie diese. Schon deshalb waren auch sie sehr an einer Verbindung der beiden Familien interessiert gewesen, aber Herbert Köster war nicht allein deshalb Drogist geworden.

Er war schon als Junge bei den Wellers ein und aus gegangen und hatte sich sehr für alles interessiert, was es da so zu kaufen gab. Und er hätte Ilse nicht geheiratet, wenn sie sich nicht so gut verstanden hätten. Daß sie zwei Jahre älter war als er, hatte ihn nicht gestört.

Dr. Norden betrachtete Maren noch mit einem forschenden Blick, und ihm fiel auf, daß sie rundlicher geworden war. Ihm kam da ein Gedanke, den er gar zu gern von sich gewiesen hätte, aber er konnte diesen nicht verdrängen.

Von Herbert Köster wurde er freundlich begrüßt, aber auch den maß er mit einem besorgten Blick, denn Köster sah matt und deprimiert aus.

»Ilse geht es wieder schlechter«, sagte er leise. »Sie tut mir so leid.«

Er tat Dr. Norden leid. Es mußte ihm ja alles über den Kopf wachsen, wenn er keine Nacht richtig schlafen konnte.

»Sollten wir Ihre Frau nicht doch in die Klinik bringen, Herr Köster?« fragte Dr. Norden leise.

»Das kann ich ihr nicht antun, nein, das bringe ich nicht übers Herz.«

»Dann sollten wir doch eine Nachtschwester bestellen. Es wird in diesem Fall sicher möglich sein.«

Er zuckte resigniert die Schultern, dann fuhr er sich mit der Hand durch das dichte dunkle Haar, das nun jedoch an den Schläfen schon grau wurde.

Er war ein gutaussehender, sympathischer Mann, eigentlich ein jugendlicher Typ, aber der Kummer hatte seine Spuren schon hinterlassen, und Dr. Norden dachte, daß diese Krankheit sich noch Monate hinziehen könnte. Für Ilse Köster gab es keine Rettung, man konnte ihr nur noch die Schmerzen lindern, aber lange würde Herbert Köster es auch nicht mehr durchhalten, das fürchtete Dr. Norden, und vielleicht litt auch Maren, die tagsüber auch mit die Kranke betreute, so oft sie abkommen konnte.

Dr. Norden wußte sehr gut, daß die Angehörigen bei solchen Krankheiten oft mehr ausstehen mußten als die Patienten selber, und er hatte es auch schon oft genug erlebt, daß sie es nicht ertragen konnten, auf längere Zeit solches Leiden anzusehen.

Ilse Köster sah ihn dankbar an, als er an ihr Bett trat. Geistig war sie immer noch da, und selten kam ein Wort der Klage über ihre Lippen.

»Meinetwegen kommen Sie auch wieder nicht pünktlich zum Essen, Herr Doktor«, sagte sie stockend. »Ich weiß doch noch, wie oft Ihre Frau das damals zu mir sagte, wenn sie bei uns eingekauft hat, aber da habe ich nicht daran gedacht, daß ich auch mal zu Ihren Plagegeistern gehören würde.«

»Sie sind kein Plagegeist, Frau Köster, Sie sind eine ganz liebe geduldige Patientin.«

»Aber Hoffnung können Sie mir trotzdem nicht machen, daß es noch mal besser werden könnte. Wunder vollbringt der Herrgott doch nicht, wenn man auch noch soviel betet.« Sie schöpfte Atem. »Geh zu Maren, Berti«, sagte sie zu ihrem Mann. »Sie soll sich nicht übernehmen. Sie hat heute wieder arg blaß ausgesehen. Aber das darf man ihr ja nicht sagen, sie hetzt trotzdem rauf und runter. Vielleicht sollten Sie ein Machtwort sprechen, Herr Dr. Norden.«

Ihn erstaunte es immer wieder, wie sie an allem teilnahm und tatsächlich auch noch wahrnehmen konnte, was um sie herum vor sich ging. Sie hörte auch noch Radio, und manchmal wollte sie auch fernsehen.

Herbert Köster hatte das Zimmer verlassen. Ilse winkte Dr. Norden, der die Injektion aufzog, noch dichter zu sich heran.

»Wie lange werde ich noch zu leben haben, Herr Doktor?« fragte sie leise, aber deutlich und ohne zu zögern. »Ich will es wissen.«

»Aber das kann ich nicht sagen und auch sonst niemand«, erwiderte er.

»Aber Hoffnung gibt es doch keine? An das Wunder glaube ich schon lange nicht mehr. Ich muß Ihnen etwas sagen. Ich habe mein Testament gemacht. Das liegt schon ein paar Wochen zurück. Es liegt in meinem Sekretär. Ich möchte nicht, daß es verschwindet. Würden Sie es bitte an sich nehmen und wenn es sein muß, auch bestätigen, daß ich es bei klarem Verstand geschrieben habe?«

»Warum bestellen Sie nicht einen Anwalt oder Notar?« fragte er.

»Weil es Berti dann merken würde. Er geht nicht an meine Sachen, aber wenn Lothar kommt, da bin ich nicht sicher. Er ist mein Bruder, aber ich trau’ ihm nicht. Das möchte ich auch sagen. Er redet immer davon, daß sich Berti in ein gemachtes Nest gesetzt hat und davon profitiert, aber das stimmt nicht. Mein Mann arbeitet sehr hart, und er hat auch gesorgt, daß immer alles stimmt. Er hat nichts genommen, er hat alles noch vermehrt, Lothar kommt nur, um abzukassieren. Unter meinem Kopfkissen liegt mein Täschchen, da ist der Schlüssel zur Schublade drin. Bitte, nehmen Sie den Umschlag an sich, zu Ihnen habe ich Vertrauen.«

»Ich darf das nicht, Frau Köster«, sagte Daniel Norden.

»Aber Sie könnten es zu einem Anwalt oder Notar bringen. Er kann Ihnen doch eine Quittung geben, dann hat alles seine Ordnung, und keiner kann Ihnen was anhaben. Ich weiß ja, wie das ist. Die Wellers waren auch immer korrekt, und mein Mann ist es auch. Er soll nicht denken, daß ich ein Testament gemacht habe, weil ich ihm nicht traue. Aber ich habe meine Gründe, alles genau zu bestimmen, so, wie es auch mein Vater gemacht hat.« Sie sah den Arzt flehend an. »Sie werden doch tun, worum ich Sie bitte?«

»Es ist gut, Frau Köster, ich werde das Testament zu Notar Dr. Hafermann bringen, den kennen Sie doch auch.«

Er nahm die Schlüssel und holte den Umschlag aus der Schublade.

Er war ziemlich dick, und er fragte sich, was sie da wohl alles geschrieben haben mochte. Aber er wußte auch, daß Ilse Köster zäh war, und die Krankheit war erst in den letzten drei Wochen so fortgeschritten, daß die Schwä­che auch Arme und Beine ergriffen hatte.

Er gab ihr das starke Schmerzmittel. Sie spürte den Einstich schon gar nicht mehr und sah ihn dankbar an.

»Sie sind so gut, ich habe großes Vertrauen zu Ihnen, Dr. Norden«, flüsterte sie, »Sie hätten mir geholfen, wenn Sie es könnten, das weiß ich auch. Andere Ärzte kommen ja nicht mal ins Haus. Die schieben einen gleich ab ins Krankenhaus. Und da hat auch niemand Zeit, wenigstens sich mal ein paar Minuten ans Bett zu setzen, daß man mit einem Menschen reden kann.«

»Nehmen wir mal an, Sie brauchen noch mehr Pflege, Frau Köster, wenn Sie dann in die Behnisch-Klinik gehen würden, hätte bestimmt oft jemand für Sie Zeit. Da gibt es eine Beschäftigungs­the­rapeutin, die mit Ihnen spielt oder Ihnen etwas vorliest.«

»Das gibt es, daß sich Leut’ dafür Zeit nehmen?«

»Ja, sie sind extra dafür da, die Patienten zu betreuen.«

Sie schloß die Augen. Sie wurde jetzt schon müde. »Ich überleg’ mir das auch, weil Sie so lieb sind«, murmelte sie. »Und weil der Berti so lieb ist.«

Herbert Köster redete indessen schon auf Maren ein.

»Was ist eigentlich mit dir los, Maren? Warum hörst du nicht, was ich sage?«

»Die Arbeit muß gemacht werden, aber wer soll sie machen, wenn ich nimmer hier bin?« Ihre Stimme bebte.

»Du willst weggehen?« fragte er bestürzt.

»Ich kann nicht bleiben, ich halte das nicht mehr aus.« Sie schluchzte fast.

»Ich weiß ja, daß es schwer ist, Maren, für mich auch, aber Dr. Norden hat schon gesagt, daß Ilse dann doch in die Klinik muß. Sie wird davon dann gar nicht mehr viel merken.«

»Es ist eine schreckliche Krankheit«, sagte Maren tonlos, »und es trifft meist die falschen Menschen. Manche sind so gefühllos, die setzen sich über alles hinweg, Hauptsache, ihnen geht es gut, und ich mag Ihre Frau so sehr, Herr Köster. Sie war immer freundlich und gut zu mir, und ich habe auch viel sparen können, weil ich das schöne Zimmer habe und dafür nichts zu zahlen brauchte, aber ich kann trotzdem nicht bleiben.«

»Warum nicht, Maren? Kannst du es mir nicht sagen?«

Sie schüttelte den Kopf. Sie sah ihn nicht an. Er sah ihr feines Profil, das wunderschöne Haar, das zu einem dicken Zopf geflochten war.

Ihr Gesicht war so traurig. So verloren sah sie aus, daß er den Arm um ihre Schultern legte. Aber sie zuckte zusammen und entzog sich dieser Berührung.

Sein Gesicht überschattete sich. »Gut, wenn du gehen willst, ich kann dich nicht halten. Niemand soll mir nachsagen, ich hätte dich auch ausgenutzt.«

»Das ist es nicht«, erwiderte sie tonlos.

»Was ist es dann, Maren?« fragte er heiser.

»Ich kann es Ihnen nicht sagen. Es ist auch wegen Ihrer Frau. Die Leute klatschen so leicht.«

»Aber über uns gibt es doch nichts zu klatschen.«

»Das denken wir. Fragen Sie doch mal Ihren Schwager.«

»Ich werde ihn fragen, darauf kannst du dich verlassen«, sagte er grimmig. »War er unverschämt zu dir?«

»Ich bin doch nur eine Verkäuferin, die froh sein kann, hier zu leben. Und mehr will ich nicht sagen.«

»Ich werde das nicht hinnehmen, Maren. Ich kann dich nicht halten, aber beleidigen lasse ich dich nicht.«

»Er ist doch der Bruder Ihrer Frau, und sie soll sich nicht aufregen. Sie soll wenigstens ruhig sterben dürfen.«

Dr. Norden kam schon die Treppe herunter. Er hatte schon einiges gehört, aber das ließ er sich nicht anmerken.

»Ihre Frau schläft jetzt, Herr Köster«, sagte er. »Legen Sie sich auch gleich hin, damit Sie wenigstens ein paar Stunden Ruhe haben.«

»Ja, ja, und Sie können auch Maren sagen, daß sie Ruhe geben soll, sonst klappt sie auch zusammen.«

Dr. Norden warf Herbert Köster einen zwingenden Blick zu, und er entfernte sich. Dann wandte er sich Maren zu.

»Ich sehe doch auch, daß Sie verändert sind, Maren«, sagte er. »Was fehlt Ihnen?«

»Ich fühle mich nicht wohl. Ich würde ja zu Ihnen kommen, aber ich kann doch nur Mittwoch- oder Samstagnachmittag, und da haben Sie keine Sprechstunde.«

»Am Mittwochnachmittag kom­men auch Patienten. Ich erwarte Sie um vier Uhr.«

»Und wenn mir etwas fehlt, sagen Sie es nicht Herrn Köster und seiner Frau?«

»Es unterliegt der ärztlichen Schweigepflicht, Maren. Aber Sie müssen mir auch genau sagen, was für Beschwerden Sie haben.«

»Das sage ich Ihnen dann schon«, erwiderte sie fast trotzig.

Ob doch etwas zwischen Köster und ihr ist, überlegte Dr. Norden auf der Heimfahrt. Er konnte es sich nicht so recht vorstellen, aber andererseits hätte er es sogar verstanden, denn Maren war ein liebes Geschöpf, und Herbert Köster hatte wahrhaftig sonst nichts mehr, was ihm Freude bereiten konnte, als der Anblick dieses reizenden Mädchens.

Daniel Norden hätte zu gern gewußt, woher Maren kam, wer ihre Eltern gewesen waren. Der Vorname kam aus dem Dänischen, das hatte ihm schon Fee einmal erklärt, denn auch sie hatte schon über Maren nachgedacht.

Maren hatte ein feines, zartes Gesicht, kein bißchen nichtssagend oder gar ordinär. Sie hatte auch ein angeborenes Taktgefühl, und sie konnte sich ausdrücken, wie man es gewiß nicht auf einer Volksschule oder gar schon im Waisenhaus lernte.

Friseuse hatte sie werden wollen, das hatte er auch erfahren, aber sie mußte die Lehre abbrechen, weil sie allergisch auf die chemischen Mittel reagierte. Und dann hatte eine alte Bekannte der Familie Köster Herbert auf das Mädchen aufmerksam gemacht.

So war Maren hierher gekommen, und sie hatte tatsächlich so etwas wie ein Zuhause bei dem kinderlosen Ehepaar gefunden.

Daß Ilse Köster keine Kinder bekommen konnte, hatte sie seelisch sehr belastet. Sie hatte oft mit Dr. Norden darüber gesprochen, bevor sie für ihn ein schwerer Fall geworden war. Es waren eigentlich ihre einzigen Beschwerden gewesen, daß die Ehe kinderlos blieb und für sie auch keine Hoffnung bestand, eines Tages doch noch Mutter zu werden.

Sie war für Maren wie eine große Freundin geworden, hatte für die Jüngere gesorgt, ihr Familienanschluß gegeben, sie auch gegen ihren Bruder Lothar verteidigt, der anscheinend besorgt war, daß er zu kurz kommen könnte.

Sie hatte nie die Befürchtung geäußert, daß Maren das Wohlgefallen ihres Mannes auf sich ziehen würde.

*

Daniel wurde von seiner Frau Fee liebevoll empfangen. »Spät kommt er, aber er kommt«, tönte Dannys Stimme aus dem Hintergrund. Die Kinder saßen schon beim Abendessen.

»Ich mußte noch Hausbesuche machen«, sagte Daniel entschuldigend.

»Weiß ich doch«, erwiderte Fee, »das ist nichts Neues.«

»Und jetzt hast du wohl Hunger, Papi?« fragte Anneka, die schnell herausgekommen war, um ihren geliebten Papi zu begrüßen.

»Das kann man laut sagen, mein Schätzchen«, erwiderte Daniel.

Lenni brachte gleich sein Essen, das natürlich warmgestellt worden war, und dazu ein kühles Bier.

»Bier smeckt nich«, sagte Jan, der männliche Zwilling, der weit weniger plapperte als sein Schwesterchen Désirée, die gleich sagte: »Papi mag Bier. Dési mag Kako.«

Da eilte Lenni gleich, um Kakao zu holen. Die Zwillinge durften länger aufbleiben, damit sie ihren Papi auch mal wieder sehen konnten. In der letzten Zeit war Daniel abends immer spät heimgekommen, und bis dann auch an diesem Abend endlich Ruhe einkehrte, wurde es fast zehn Uhr.

»Auch keine Erziehung«, meinte er mit einem Augenzwinkern zu seiner Frau.

»Ob sie nun im Bett herumtoben oder noch bei uns sitzen, ist doch wirklich egal, Daniel«, meinte Fee. »Sie beschwindeln uns wenigstens nicht. Wenn andere Eltern abends ausgehen, sitzen die Kinder manchmal bis fast Mitternacht vor der Glotze, und dann tun sie so, als hätten sie brav geschlafen, und es wird ihnen auch noch abgenommen und belohnt.«

»Und woher weißt du das?«

»Weil Danny und Felix es mir erzählen, und weil ihre Schulfreunde von Filmen erzählen, die nicht mal wir anschauen würden.«

»Sollte man da nicht auch mal nachgrasen?« fragte er.

»Ich habe mir angewöhnt nichts mehr zu sagen, seit ich von Frau Herkert die Abfuhr bekommen habe, daß es mich gar nichts angeht, wie sie ihre Kinder erzieht. Diese Eltern müssen es doch selber ausbaden.«

»Hast ja recht, mein Schatz, so traurig es auch sein mag. Mal was anderes, ich mache mir Sorgen um Maren und auch um Herrn Köster.«

»Die müssen doch bald zusammenbrechen«, sagte Fee mitfüh­lend.

»Aber anscheinend will Maren weg. Es ist etwas nicht in Ordnung. Am Mittwochnachmittag kommt sie zu mir. Für Köster kann das ganz schlimm werden.«

»Es wird eben zuviel getratscht. Sie reden doch schon darüber, ob Maren nicht was mit ihm hat. Die Menschen haben eine schmutzige Phantasie. Eine kranke Frau, ein gutgehendes Geschäft, ein sehr hübsches Mädchen, das sehr, sehr nett vom Chef behandelt wird. Das wäre doch schon eine Story wert. Weißt du noch, wie sie über Apotheker Mallinge geredet haben?«

»Na, er ist jedenfalls jetzt weit von hier und mit seiner Rosalie glücklich geworden. Jeder zieht die Konsequenzen auf seine Weise. Und Frau Köster wird nicht mehr lange leben. Warum sollte man dem netten Herbert Köster nicht auch ein bißchen Glück gönnen? Er ist achtunddreißig, im besten Alter, sieht doch gut aus und kann auch einer jüngeren Frau gefallen.«

»Maren ist noch nicht zweiundzwanzig.«

»Na und? Solche Verbindungen sind manchmal sehr glücklich. Sie ist Waise, sie hat keine Eltern und mußte auf einen Vater verzichten. Da ist so eine Vaterfigur ein Vorbild.«

»So groß ist der Altersunterschied nun auch wieder nicht, und wir wollen uns solchen Prognosen lieber nicht hingeben, vielleicht könnten beide darüber zornig werden. Wenn Maren weg will, wird sie allerdings einen triftigen Grund haben.«

*

Den hatte sie, wie Dr. Norden am Mittwochnachmittag feststellen konnte. Maren war schwanger. Aber was ihm fast den Atem stocken ließ, verriet sein Ultraschallgerät, das er seit einigen Wochen in der Praxis hatte, weil es auch bei organischen Krankheiten sehr nützliche Hinweise geben konnte.

Alles deutete darauf hin, daß Maren Zwillinge bekommen würde. Er wollte es ihr nicht sagen, er spürte, wie niedergeschlagen sie war, als er ihr den Befund mitteilte.

»Ich habe es geahnt, und deshalb will ich auch weg«, sagte sie leise.

»Ohne mit Herrn Köster zu sprechen darüber?« fragte Daniel Norden bestürzt.

»Herr Köster hat damit gar nichts zu tun, und getratscht wird sowieso schon zuviel. Und Sie sollen es auch vergessen, was Sie festgestellt haben. Ich wollte es nur genau wissen, weil es ja auch manchmal gar keine Schwangerschaft ist, sondern was anderes, wenn alles im Körper und in der Seele durcheinander ist.«

»Sie wollen auch nicht sagen, wer der Vater ist?«

»Nein, ich werde überdenken, ob ich das Kind überhaupt zur Welt bringen will. Aber ich kenne Ihre Einstellung, und deshalb würde ich Sie niemals in einen Gewissenskonflikt bringen.«

Er war schon in einem, weil er nicht wagte zu sagen, daß es möglicherweise Zwillinge werden könnten.

»Es ist allein Ihre Entscheidung, Maren, aber bitte begeben Sie sich nicht in die Hände eines Pfuschers. Ich würde Ihnen bei der Lösung Ihrer Probleme behilflich sein.«

»Man traut mir wenig zu, Herr Dr. Norden, aber ich kann sehr gut über mich selbst entscheiden. Wenn man als Waise aufwächst, bekommt man ein dickes Fell.«

»Das Sie aber nicht haben, Maren. Sie dürfen mir schon einige Menschenkenntnis zutrauen.«

»Sie sind ein sehr guter Arzt, das weiß ich, aber wenn ich weggehe, kümmern Sie sich besser um Herrn Köster, der schafft es bald auch nicht mehr. Sie ist ein lieber Mensch, aber weil sie zu Hause sein will, arbeitet sie ihre Umwelt auf, und die besteht doch nur aus Herrn Köster und mir. Ich würde ja bleiben, aber wenn man erst sieht, daß ich schwanger bin, guter Gott, ich will gar nicht daran denken, was dann los sein könnte. Das will ich ihr und Herrn Köster ersparen. Und wenn Sie jetzt sagen, daß Sie mir so was nie zugetraut hätten, dann kann ich nur die Schultern zucken. Gewollt habe ich es auch nicht, aber reden tue ich nicht darüber.«

»Und ich sage nicht, daß ich es Ihnen nicht zugetraut hätte, Maren. Es ist menschlich, es sollte nicht verurteilt werden.«

»Wenn Sie es sagen?«

Er sah sie forschend an. »Ich würde so gern etwas über Ihre Eltern erfahren, Maren.«

»Ich weiß nichts von meinen Eltern. Niemand hat mir etwas von ihnen erzählt, nur, daß sie einen Autounfall hatten, als sie zur Klinik fahren wollten. Mich haben sie dann noch auf die Welt geholt, kurz bevor meine Mutter starb, anstatt mich auch sterben zu lassen. So grausam kann man sein, und dann kommt man in ein Heim, und dann ins Waisenhaus.«

»Wurden denn keine Adoptiveltern für dich gefunden, Maren?« fragte Dr. Norden.

Sie zuckte die Schultern. »Darüber wurde nicht geredet, und ich habe später nicht danach gefragt. Wozu auch? Ich kam zu Pflegeeltern, die ein billiges Dienstmädchen brauchten. Das hat auch niemanden gekümmert. Ich hätte es doch gut, wurde mir gesagt, als ich gern noch zur Schule gehen wollte. Ich solle nur was fürs Leben lernen. Das ist auch nicht so einfach. Als Friseurlehrling wollten sie mich nicht behalten, weil ich entzündete Hände bekam. Dann kam ich in ein Lebensmittelgeschäft, bis Frau Schro­bel mich an die Kösters vermittelt hat, und da ging es mir sehr gut. Ich bin den Kösters dankbar, und deshalb muß ich weggehen. Gerade deshalb, damit es kein Getratsche gibt. Ich weiß doch, wie die Menschen sind. Sie finden immer etwas, womit sie anderen weh tun können.« Sie sah Dr. Norden wieder flehend an. »Sie werden doch nichts sagen, Herr Doktor, ganz bestimmt nicht?«

»Ich darf doch nichts sagen, Maren, ich bin an die Schweigepflicht gebunden, wenn ich es auch für richtiger halten würde, Herrn Köster die Wahrheit zu sagen, damit er nicht enttäuscht ist. Er war doch immer sehr nett zu dir.«

»Ja, wie ein Vater oder fast so. Er hat gesagt, daß er mir ein guter Freund sein möchte. Er hat so viel Kummer. Es ist doch schrecklich, einen Menschen so leiden zu sehen, und wenn Frau Köster endlich erlöst sein wird, wird er sich mit seinem Schwager herumärgern müssen.«

»Ist der so schlimm?«

»Ich möchte mich nicht äußern«, erwiderte sie, und Dr. Norden staunte wieder über ih­re Ausdrucksweise. Sie lernte schnell. Sie war bildungsfähig. Es war wirklich ein Jammer, daß diesem Mädchen keine größere Chance gegeben worden war, wenn man bedachte, wie wenig andere oft zu nutzen wußten, was ihnen vom Elternhaus her geboten wurde.

Und nun sollte Maren Mutter werden. Der Gedanke beunruhigte Dr. Norden sehr, denn er spürte, daß kein Schimmer vom Glück einer jungen, wenn auch flüchtigen Liebe vorhanden war. Aber sie war auch nicht bereit, darüber zu sprechen. Sie war ganz auf Abwehr eingestellt.

»Überlegen Sie sich alles gut, Maren«, sagte Dr. Norden eindringlich. »Ich bin jederzeit bereit, Ihnen zu helfen, und ich bin überzeugt, daß auch Herr Köster Sie nicht im Stich lassen würde.«

»Ich weiß, daß er sich auch um mich sorgen würde, aber er hat wahrlich genug Last zu tragen, und Sie haben so viele Patienten, die Hilfe brauchen, Herr Doktor. Es gibt eben Umstände, mit denen man ganz allein fertig werden muß.«

»Darf ich dennoch eine Bitte äußern, Maren?«

»Ich bringe mich nicht um, wenn Sie das denken sollten.«

»Das denke ich nicht, aber ich würde gern einmal Nachricht bekommen, wie es Ihnen geht. Und wenn Sie gar nicht weiterwissen sollten, dann erinnern Sie sich bitte an mich.«

»Ich werde immer sehr gern an Sie denken«, erwiderte sie leise.

Er fühlte sich momentan ziemlich hilflos, weil er nichts tun konnte, und in diesem Fall hatte Fee ihm auch keinen Rat geben können, als den, Maren zu verstehen zu geben, daß er zu jeder Hilfe bereit sei.

So konnte er nur hoffen, daß sie Herbert Köster wenigstens andeuten würde, warum sie weggehen wollte von München.

*

Maren ging gedankenlos durch die Straßen. Sie wollte sich alles durch den Kopf gehen lassen und gleich heute noch mit Herbert Köster reden. Sie wollte es nicht vor sich her schieben, da sie wußte, daß es mit jedem Tag schwerer werden würde.

Und als sie dann heimkam, schob sie es doch wieder auf, weil er ihr gleich mit dem Ausdruck größter Erleichterung erklärte, daß schon ab morgen eine Pflegerin ins Haus kommen würde.

»Es wird dann leichter werden, auch für dich, Maren«, sagte er.

Und der Klatsch wird noch mehr blühen, ging es ihr durch den Sinn. Aber nun wollte sie doch den nächsten Tag abwarten, ob die Pflegerin wirklich kommen würde und wie sie war.

Leicht fiel es ja nicht, so entschlossen die Konsequenzen zu ziehen, und sie hatte auch Angst vor der Zukunft, obgleich sie schon wußte, wohin sie gehen würde.

Die Pflegerin kam tatsächlich. Sie war so um die vierzig und recht nett und freundlich. Das beruhigte Maren, und sie konnte sich auch überzeugen, daß Ilse Köster mit ihr einverstanden war. Aber trotzdem wußte sie nicht, wie sie es Herbert Köster sagen sollte.

Sie schob es noch auf bis zum Samstag. Es hatte sich mit der Pflegerin, die Bertl genannt werden wollte, schon alles eingespielt.

»Warum ausgerechnet Bertl?« meinte Herbert zwar brummig, aber zu ihr wollte er lieber nichts sagen. Sie war recht energisch, aber sie beherrschte, was man von ihr erwartete. Und sie war so selbständig, daß man ihr schon bald gar nichts mehr zeigen und sagen mußte. Das war freilich eine Erleichterung für den geplagten Herbert, und Maren meinte nun auch für sich, daß er sie wohl gar nicht so sehr vermissen würde, denn eine Verkäuferin würde er jetzt sicher auch wieder finden, wenn diese nichts mit seiner kranken Ehefrau zu tun hatte.

So faßte sich Maren ein Herz und sagte ihm ohne lange Vorrede, daß sie zum kommenden Ersten gehen würde.

Herbert Köster blickte sie voller Entsetzen an. »Maren, warum denn?« fragte er mit einer Stimme, die ihm nicht gehorchen wollte.

»Weil ich ein Kind bekomme«, erwiderte sie tonlos.

»Nein, wieso denn das? Das kann ich nicht glauben«, stammelte er. »Ich kenne dich doch viel zu gut.«

»Ich möchte mich dazu nicht weiter äußern. Ich habe es nicht gewollt, aber es ist geschehen, obwohl ich meinte, es wäre nur ein schrecklicher Traum gewesen. Mehr möchte ich nicht sagen, aber Sie waren immer so gut und anständig zu mir, daß ich nicht einfach ohne Erklärung gehen kann. Dr. Norden hat das auch gesagt.«

»Er weiß Bescheid?«

Sie nickte. »Er wird es für sich behalten, und ich will, daß hier keine Gerüchte fabriziert werden, die Ihnen schaden könnten.«

»Du meinst, man könnte auf den Gedanken kommen, ich sei derjenige?« murmelte er bestürzt.

»Natürlich wird man das denken«, sagte sie tonlos. »Sie wissen doch, wie die Leute sind. Denen ist es egal, wer leiden muß, wenn sie nur ihre Sensatiönchen haben.«

Er fuhr sich über die Augen. »Mir gefällt das alles nicht, Maren«, sagte er heiser. »Willst du dich mir nicht anvertrauen?«

»Nein, das will ich nicht.«

»Willst du den Mann heiraten?«

»Nein, dann wäre doch manches anders. Dann könnte ich ja auch bleiben«, flüsterte sie. »Bitte, fragen Sie mich nicht, es ist doch auch für mich schlimm genug.«

»Aber dann könntest du mir doch wenigstens gestatten, daß ich für dich sorge.«

»Damit alles noch schlimmer wird! Dann würde doch erst recht geklatscht.«

»Das braucht doch niemand zu erfahren. Ich kann es nicht zulassen, daß du es allein durchstehen mußt. Sag mir doch, wer es war.«

»Nein, ich sage es nicht«, erwiderte sie mit fester Stimme.

»Willst du ihn schützen?«

»Bitte, Herr Köster, ich möchte nie daran erinnert werden.«

Er sah sie mit einem genauso traurigen Blick an, wie sie ihn anblickte.

»Kind, hat er dir Gewalt angetan?« fragte er mit versagender Stimme.

Sie wandte sich ab. »Ich bitte nur darum, daß Sie verstehen, daß ich gehen will, daß mich die Leute hier nicht anstarren, Fragen stellen und schließlich auch über Sie reden. Ich habe Sie und Ihre Frau sehr gern, und ich möchte nicht, daß mir auch die beste Zeit meines Lebens vergällt wird.«

»Maren, ich will nicht, daß du Not leidest, daß du allein bist und verzweifelst. Ich habe dich sehr lieb gewonnen«, flüsterte er. »Ich habe gedacht, daß wir eines Tages in aller Ruhe an die Zukunft denken können. Bitte, verstehe mich richtig, ich hätte nie darüber gesprochen, solange Ilse lebt. Aber wenn du jetzt gehst, wie soll ich dich dann wiederfinden?«

Tränen rannen über ihre Wangen, und sie preßte ihre Hände über ihrem Bauch zusammen. »Ich darf nicht glücklich sein«, sagte sie bebend, »es ist mein Schicksal von Geburt an. Ich werde aber immer in Dankbarkeit an die Zeit zurückdenken, die ich hier verbringen durfte.«

Und dann lief sie hinauf zu ihrem Zimmer. Dort weinte sie sich aus. Sie wollte sich nicht mehr umschauen. Es war alles so behaglich, sie hatte sich so wohl gefühlt.

Sie trat ans Fenster und blickte auf den Garten hinab. Ja, hier gab es noch Grün, Bäume und Blumen, es war keine Mietskaserne, und sicher konnte hier auch ein Kind gesund und fröhlich heranwachsen. Aber welches Leben würde ihr und ihrem Kind beschieden sein?

Sie wollte es nicht töten lassen, es sollte leben, und deshalb hatte sie sich auch schon nach Adoptionseltern erkundigt. Sie hatte in einer Illustrierten gelesen, daß es da eine private Vermittlung gab, so daß das Kind gar nicht erst in ein Heim kommen mußte.

Wir helfen werdenden Müttern, hatte die Annonce gelautet. Sprechen Sie persönlich mit uns. Sie hatte sich diese Annonce ausgeschnitten, und dorthin wollte sie auch fahren.

Sie hatte angerufen, und man hatte ihr sehr freundlich Auskunft gegeben. Aber jetzt dachte sie an Herbert Kösters traurige Augen. Niemals hätte sie zugegeben, daß sie diesem Mann ihr ganzes Herz geschenkt hatte, und sie konnte ihm auch nicht sagen, auf welch gemeine Art sie vergewaltigt worden war. Nein, das brachte sie nicht fertig. Sie wußte, daß es ihm unsagbar weh tun würde. Er war so feinfühlig, so voller Herzenswärme. Sie hatte so unendliches Vertrauen zu ihm, aber über die schlimmste Stunde ihres Lebens hätte sie auch zu ihm nicht sprechen mögen. Lange hatte sie sich eingeredet, daß es wirklich nur ein Alptraum gewesen sei, bis sie dann spürte, daß in ihrem Körper etwas vor sich ging, was harte Wirklichkeit war.

Ja, sie hätte diese entsetzliche Stunde aus ihrem Gedächtnis verdrängen können, wenn sie nicht schwanger geworden wäre, aber nun würde sie ewig daran erinnert werden, und es würde eine Kettenreaktion geben, weil sie das Kind weggeben würde.

Sie hatte sich nie nach einer Ehe, nach einem Kind gesehnt, weil sie wußte, unter welchen Umständen sie zur Welt gekommen war. Sie hatte immer wieder darüber nachgedacht, wie schrecklich es für ein Kind sein mußte, ohne Mutter, gar ohne Eltern aufzuwachsen. Immer wieder hatte sie daran gedacht, wie sie aufgewachsen war, wie freudlos ihre Kindheit und Jugend gewesen war.

Ihr einziger Wunsch war gewesen, es weiterzubringen im Leben, einmal unabhängig zu sein, genügend Geld zu verdienen, daß sie sich Bücher kaufen und auch mal Reisen machen konnte. Daß sie in die Oper und ins Theater gehen könnte, daß sie auch Fortbildungskurse besuchen würde. Ja, das alles hatte sie erstrebenswert gefunden, aber nicht eine Ehe, nicht ein Kind.

Und jetzt redete sie sich immer wieder ein, daß sie das Kind nicht vermissen würde, wenn sie es zur Adoption freigab.

Unten saß ein einsamer trauriger Mann in seinem Büro und machte seine Abrechnungen. Er wußte nicht, was Ilse sagen würde, wenn Maren fortging. Vielleicht begriff sie es dann schon nicht mehr. Aber er würde Maren vermissen, er würde sich grausam allein fühlen. Das wußte er ganz genau.

Für ein Kind wäre doch auch Platz im Haus, dachte er, aber dann kam ihm auch der Gedanke, was wohl sein würde, wenn Ilse starb.

Lothar wartete doch nur auf ihren Tod, um das Sagen zu haben. Angedeutet hatte er das doch oft genug. Und er traute ihm zu, daß er alles verkaufen würde. Er wußte ja, wie das Testament des alten Weller lautete, wenngleich er sich nie Gedanken darüber gemacht hatte, daß es durch seine Heirat mit Ilse veränderte Umstände gab Herbert Köster wußte zwar mit dem Steuerrecht Bescheid, weil er ein sehr korrekter Mann war, aber sonst kümmerte er sich nicht um die Gesetze, denn dazu hatte er wahrhaftig zuviel zu tun, und er war ein so anständiger Mann, daß er auch nicht daran dachte, was ihm selbst möglicherweise nach dem Tod seiner Frau zustehen würde.

Momentan dachte er überhaupt nur an Maren und ihr Kind. Sie hatte mit Dr. Norden gesprochen, das war ihm ein kleiner Trost. Er wollte auch mit ihm sprechen und hoffte, von ihm mehr erfahren zu können.

Wenn er schon von Maren nichts erfahren würde, so wollte er doch nichts unversucht sein lassen, sich Informationen anderswo zu beschaffen. Und wann sollte Maren überhaupt mit einem Mann zusammengekommen sein? Etwa damals, als sie mal ein Wochenende nach Salzburg gefahren war, weil ihr eine gute Kundin, die plötzlich erkrankt war, eine Karte für die Festspiele geschenkt hatte?

Maren war sehr beliebt bei der Kundschaft. Er konnte sich einfach nicht vorstellen, daß sie übler Nachrede ausgesetzt werden könnte. Sie war sogar oft von Ehepaaren zu einem Ausflug eingeladen worden, und mit den Weilers und den Möllers war sie auch mitgefahren an den Chiemsee und ins Allgäu.

Sie konnte so fröhlich erzählen von ihren Erlebnissen, und ganz besonders von Salzburg hatte sie geschwärmt. Aber wenn sie da wirklich ein so romantisches Erlebnis mit einem Mann gehabt hatte, warum war sie dann jetzt so voller Abwehr?

Warum hat sie kein Vertrauen zu mir, ging es ihm durch den Sinn. Aber vielleicht habe ich mir auch zuviel eingebildet, daß es für uns einmal eine gemeinsame Zukunft geben könnte. Eigentlich bin ich ja auch zu alt für sie.

Aber was hatte er denn schon vom Leben gehabt, als diesen Traum. Die Ehe mit Ilse war im harmonischen Gleichklang, aber ohne Wünsche und Emotionen verlaufen. Sie war genauso für das Geschäft da wie er, und wenn sie mal über Kinder sprachen, wurde sie still und sagte auch manchmal, sie sei wohl doch nicht die richtige Frau für ihn, aber an eine Adoption wollte sie auch nicht denken. Dann gab es die Sorgen mit Lothar, dem ewigen Studenten, der anscheinend nie fertig wurde und lieber sein Leben genoß. Er brauchte Kleidung und immer wieder mal ein neues Auto. Seine Miete mußte bezahlt werden. Ilse hoffte, daß er mal eine Frau finden würde, die ihn zur Räson brachte. Aber Frauen schien es in seinem Leben nicht zu geben. Er hatte andere Hobbys.

Dr. Norden Bestseller 339 – Arztroman

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