Читать книгу Dr. Norden Bestseller 338 – Arztroman - Patricia Vandenberg - Страница 3

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Dr. Daniel Norden betrachtete den jungen Mann, den er gerade untersucht hatte, nachdenklich und besorgt zugleich. Ulrich Roeder war ihm seit gut zehn Jahren bekannt, nämlich seit der Zeit, als Alwin Roeder, Ulrichs Vater, von ihm ärztlich betreut wurde. Alwin Roeder litt an Magenkrebs, und er mußte ein langes, schmerzvolles Leiden ertragen. Man konnte ihm nachsagen, daß er es mit unendlicher Geduld und Tapferkeit ertrug, wenngleich auch mit der Hoffnung, daß ihm doch noch geholfen werden könnte.

Für seine Frau Heike und für die beiden Kinder Ulrich und Angela war es auch eine schwere Zeit, und Alwin Roeders Tod bedeutete nicht nur für ihn eine Erlösung. Damals war Uli, wie Dr. Norden ihn auch jetzt noch nannte, vierzehn gewesen.

Jetzt war er ein sehr gut aussehender junger Mann, mehr als mittelgroß, mit einem schmalen, klugen Gesicht ausgestattet, dunklen Haaren und noch dunkleren Augen. Sein Gesicht war geprägt vom Ernst des Lebens, aber sein gutgeschnittener Mund verriet dennoch Humor.

»Sie sollten sich nach dieser schweren Erkältung schonen, Uli«, sagte Dr. Norden eindringlich. »Studium und dann die nächtlichen Taxifahrten werden zuviel.«

»Ich kann den Chef jetzt nicht im Stich lassen, Dr. Norden. Es sind zwei in Urlaub, und drei sind abgesprungen. Herr Hermann hat mich damals auch gleich genommen, obwohl ich Anfänger war, und außerdem brauche ich Geld. Mutsch hat sich genug abgerackert für uns. Die Rente ist lächerlich, und was sie selbst verdient, soll ihr endlich auch bleiben. Geli kann doch noch nicht viel zubuttern.«

Dr. Norden wußte, wie sehr Ulrich und seine drei Jahre jüngere Schwester Angela an ihrer Mutter hingen, die ja auch alles für ihre Kinder getan hatte, was ihr möglich war, damit sie nicht zuviel durch den frühen Tod ihres Vaters entbehren mußten, aber Uli dachte überhaupt nicht an sich selbst. Es war nichts dagegen einzuwenden, wenn er in den Semesterferien Taxi fuhr, aber jetzt, da er tagsüber in der Uni war, dann nachts noch sechs Stunden Taxi fuhr, von zwanzig Uhr bis nachts zwei Uhr, das war zuviel, und als Arzt konnte er es fast nicht verantworten.

»Ich bin doch okay«, sagte Uli, als Dr. Norden ihn so forschend anblickte. »Bitte, sagen Sie nicht zu meiner Mutter, daß mir etwas fehlt. Es fehlt mir wirklich nichts.«

»Normalerweise würde ich das auch nicht sagen, Uli, aber in dieser Streßsituation werden die Nachtfahrten wirklich zuviel für dich.«

»Ab nächste Woche bin ich nur vier Stunden eingesetzt, das schaffe ich leicht. Ich verdiene gut. Nachts sind die Fahrgäste spendabler als tagsüber. Und was man da so alles mitbekommt, das kann man zu abenteuerlichen Geschichten verarbeiten. Ich überlege schon, ob ich nicht lieber Dramaturg werden soll.«

»Als Redakteur können Sie solche abenteuerlichen Geschichten vielleicht auch unterbringen, Uli«, meinte Dr. Norden. »Aber wenn Sie auf der Nase liegen, bevor Sie überhaupt richtig Fuß fassen in dem erhofften Beruf, nützen Ihnen all diese Geschichten auch nichts.«

»Keine Sorge, ich schaffe das, und es dauerte ja nicht mehr lange, bis ich mit dem Studium fertig bin. Vielleicht erlebe ich mal so eine ganz tolle Story, die gleich Zündstoff ist und mir zu dem großen Sprung verhilft.«

»Ich wünsche es Ihnen, Uli«, sagte Dr. Norden, und es kam ihm aus dem Herzen, denn er wußte nur zu gut, wie tapfer, fleißig und begabt dieser junge Mann war, dem keine Arbeit zuviel wurde, um seiner Mutter zu helfen.

Zu einem eigenen Auto hatte ihm sein Chef Theo Hermann verholfen, der auch sehr auf Ulrich Roeders Fortkommen bedacht war. Ganz uneigennützig dachte er dabei allerdings nicht, denn Theo Hermann hatte schon lange ein Auge auf Heike Roeder geworfen, und das war auch der Grund gewesen, daß er Uli sofort eingestellt hatte, wenn er das auch

hübsch für sich behielt, und bereuen brauchte er es schließlich auch nicht, denn Uli war der gewissenhafteste und ehrlichste Fahrer in seinem recht großen Unternehmen.

*

Als Uli die Praxis von Dr. Norden verließ, dachte er vorerst aber nicht an seinen Job, sondern seine Gedanken galten einem reizenden jungen Mädchen, das in einem kleinen Café auf ihn wartete.

Antonia Sudhoff wartete geduldig, aber ihre wunderschönen veilchenblauen Augen strahlten wie Sterne, als sie ihn kommen sah.

»Es hat ein bißchen länger gedauert, Toni«, sagte er entschuldigend. »Du bist doch nicht böse?«

»I wo, was hat Dr. Norden gesagt?«

»Daß ich gesund bin, und daran wirst du wohl auch nicht zweifeln.«

»Aber ist er denn einverstanden, daß du nachts fährst neben dem Studium? Das kann ich mir nicht vorstellen, ich kenne ihn doch, Uli.«

Antonia konnte man nicht beschwindeln. Das brachte auch Uli nicht fertig, obgleich er arg in Verlegenheit geraten war.

»Er hat gesagt, daß ich es nicht übertreiben soll, aber ich fühle mich wirklich wohl, Toni.«

Sie sah ihn forschend an. »Ich würde gern wissen, was Dr. Norden sagen würde, wüßte er, daß wir befreundet sind«, sagte sie mit einem schelmischen Lächeln.

»Ich kann mir vorstellen, was er denken würde. Nämlich, daß Frau Generaldirektor Sudhoff es keineswegs billigen wird, daß sich ihre Tochter mit einem Taxifahrer eingelassen hat.«

Heiße Röte stieg in Antonias Wangen. »Du sollst es nicht so sagen, Uli. Außerdem ist es mir egal, was meine Eltern sagen oder denken würden, wenn es um meine Gefühle geht. Das entscheide ich allein, und ich bin volljährig. Und jetzt ist das schon gar kein Thema. Ich denke lieber daran, wie wir uns kennenlernten, und wahrscheinlich hätte ich dich nie kennengelernt, wenn du in jener verrückten Nacht nicht Taxi gefahren hättest. Und so sollte es für dich nur zählen, daß ich dich liebe.«

Er nahm ihre Hand und drückte sie an seine Wange. »Du sollst einmal nichts entbehren müssen, Toni«, sagte er zärtlich. »Ich liebe dich so sehr, daß ich dir die Sterne vom Himmel holen möchte.«

»Das wollen wir mal lieber bleiben lassen, Uli. Wir schauen doch so gern in den Sternenhimmel, und wenn die Sternschnuppen fallen, können wir uns etwas wünschen. Ich weiß genau, daß mein größter Wunsch in Erfüllung gehen wird und ich überhaupt nichts entbehren werde.«

»Und welcher ist das?« fragte er.

»Daß du mich immer liebst und wir ein langes Leben gemeinsam verbringen können. Dann werde ich wirklich nichts entbehren. Wenn es am Geld und am Prestige hängen sollte, du liebe Güte, ist meine Mutter etwa eine zufriedene und glückliche Frau? Und ist mein Vater mit ihr nach fünfundzwanzig Jahren noch glücklich? Er hat mal klein angefangen, und er hat ihr alles bieten wollen, dabei ist sie ja auch nicht gerade in eine goldene Wiege gelegt worden, sondern in die schlichte eines Schreinermeisters, der schwer gearbeitet hat für seine Familie, aber sie war dann ja die Tochter eines ›Möbelfabrikanten‹, als sie Papa geheiratet hat. Liebe Güte, ich habe für das Brimborium überhaupt nichts übrig. Schluß der Debatte.«

»Du bist zauberhaft, Toni. So viel Glück, wie ich habe, muß auch verdient werden.«

Sie sah ihn zärtlich an. »Ich möchte aber auch, daß du nachts nicht soviel fährst, Uli. Es passiert soviel. Neulich ist wieder eine Taxifahrerin überfallen worden.«

»Ich weiß, mein Herzblatt, ich bin vielleicht ein besserer Menschenkenner. Die meisten schauen sich die Fahrgäste ja gar nicht an, weil sie froh sind, eine Fuhre zu haben. Aber wenn mir jemand nicht gefällt, sage ich, tut mir leid, ich bin bestellt. Und heute abend bin ich am Flughafen, wie damals, als ich dich dort kennenlernte. Da war ich nicht frei. Ich sollte auf jemand warten. Aber dann kamst du! Und ich bekam zum erstenmal Ärger mit Theo. Und da habe ich geschwindelt und gesagt, daß du gesagt hast, daß ein Taxi für dich bestellt worden sei.«

Sie lachten beide. »Und der Clou war, daß die Maschine, mit der Graumann kommen sollte, in Paris wegen eines Defektes gar nicht gestartet war«, sagte Antonia. »Ich habe alles schon aufgeschrieben für unsere Nachkommen. Sie sollen ganz genau wissen, wie sie zu ihrem so heißgeliebten Vater gekommen sind.«

»Mit Kindern müssen wir aber schon noch ein bißchen warten, Toni«, sagte er stockend.

»Es wird aber nichts geplant, Uli. Ich finde es schrecklich, wenn junge Paare alles genau festlegen. Erst das Auto, dann die Wohnung, nach und nach die Einrichtung und dann ein Kind, wenn die Finanzen stimmen und die Stellung der jungen Mutter möglichst auch nicht gefährdet ist. Wir haben keine Großeltern, die sich um das Baby kümmern würden, wenn ich arbeite. Meine würden es nicht tun, und deine Mutter ist berufstätig.«

»Ich will aber nicht, daß du arbeitest, wenn wir mal Kinder haben«, sagte er.

»Wir werden auch diesbezüglich keine Pläne machen, mein Schatz. Ich werde weiterhin als Auslandskorrespondentin für unsere Firma arbeiten, und wenn Papa auch Zicken macht, suche ich mir anderswo eine Stellung. Aber zum Glück ist mein Vater nicht so überheblich wie Mama, und eigentlich wäre es an der Zeit, daß ihr euch mal kennenlernt.«

»Ich will aber nicht, daß du Schwierigkeiten bekommst, Toni.«

»Du brauchst dich wahrhaftig nicht zu verstecken, Uli, und ich lasse mich durch nichts und niemand beeinflussen, vor allem nicht von meiner Mutter. Ihr könnte ich höchstens sagen, daß sie sich ein Beispiel nehmen soll an deiner Mutter. Und jetzt fährst du heim und ruhst dich noch ein paar Stunden aus, sonst gebe ich mir alle Schuld, wenn du zusammenklappst.«

Momentan war er nicht müde, aber er wußte, daß die Müdigkeit kommen würde. Er war vernünftig und sich der Verantwortung für diejenigen bewußt, die er fahren mußte.

Antonia war mit ihrem eigenen Wagen unterwegs. Bisher hatten sie immer Glück gehabt, keine Bekannten zu treffen, aber an diesem Tag sollte ihnen ausgerechnet eine Nachbarin in den Weg laufen, die dazu auch noch als Klatschbase bekannt war. Sie kam nicht allein, sondern mit zwei anderen Damen.

Uli grüßte höflich, aber auch Antonia sagte lässig: »Grüß Gott.«

»Kennst du Frau Betge auch?« fragte er, als sie draußen standen.

»Zufällig kenne ich eine Frau Heinrich«, erwiderte sie und lachte amüsiert. »Na, nun können sie ja einen richtigen Kaffeeklatsch machen.«

»Es tut mir leid, Toni«, sagte er.

»Wieso denn, das war doch schon überfällig, und genauso ist es an der Zeit, daß meine Eltern über uns Bescheid wissen.«

»Es wird Ärger geben«, seufzte er.

»Es wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird«, lachte sie übermütig. Und sie war bezaubernd anzusehen.

»Das ist doch mal ein hübsches Paar«, sagte eine Dame älteren Semesters zu ihrem Begleiter, der besonders Antonia wohlgefällig gemustert hatte. »So was sieht man noch selten, so fröhlich und natürlich.«

Sie hatte es ziemlich laut gesagt, und ein paar Leute schauten nun auch aufmerksamer zu den beiden hin.

»Siehst du, Uli, wir gehören schon zu den Ausnahmen«, meinte Antonia neckend. »Ich fühle mich sehr geschmeichelt. Bist ja auch ein ganz besonders fescher Typ.«

»Jetzt hör aber auf«, murmelte er. »Du bist eine Augenweide; ist doch klar, daß das anderen auch auffällt. Nun weißt du hoffentlich auch, warum mir immer bange ist.«

»Weiß ich nicht.«

»Es gibt feschere Typen als mich, die dazu noch ein dickes Bankkonto haben.«

»Und einen schlechten Charakter. Ich kenne doch solche Typen auch, mein Schatz, und ich weiß genau, warum ich dich liebe.«

Er war glücklich, er konnte es sein, denn wem passierte es schon, daß er bei einem Job, der wirklich nichts über seine geistigen Qualitäten aussagte, ein Mädchen wie Antonia kennenlernte, die nicht nur schön war, sondern auch klug, und dazu auch mit beiden Beinen fest im Leben stand, und nicht nur die verwöhnte Tochter spielen wollte.

Er sah ihrem Auto nach und versank für ein paar Sekunden in Träume. Er wünschte so sehr, bald in der Lage zu sein, mit ihr ernsthaft über die Heirat sprechen zu können.

Er fuhr heim, nachdem er für seine Mutter noch ihre Lieblingspralinen gekauft hatte. Immer, wenn er einen Tag gut verdient hatte, brachte er ihr etwas mit, und jetzt, während der Urlaubszeit, kamen viele Touristen, die sich gern mit dem Taxi herumfahren ließen und spendabel waren. Diesbezüglich hatte Uli keinen Stolz, weil er sich sagte, daß sie nicht mehr geben würden, wenn sie es nicht hätten. Bei den deutschen Fahrgästen passierte es eher, daß über die Preise gemeckert wurde, und auch dafür hatte Uli Verständnis, aber er hatte die Preise nicht gemacht, und wenn das Benzin teurer wurde, mußten sie auch nachziehen.

Sie wohnten in einem ansehnlichen Zweifamilienhaus. Heike Roeder hatte alles darangesetzt, daß sie die Wohnung halten konnte, obgleich die Miete ziemlich teuer war. Doch die Hausbesitzer Erwin und Erika Hallstein waren sehr anständig und erhöhten die Miete nicht, wie es rundherum in diesem Viertel geschah.

Als Uli jetzt jedoch seine Schwester Angela auf der Straße mit Andy Hallstein sah, die beiden schienen sich sehr angeregt zu unterhalten, war ihm das durchaus nicht recht. Andy war auch Student, und er war auch ein netter Bursche, aber er war der einzige Sohn und dementsprechend von seinen wohlhabenden Eltern verwöhnt.

Die Hallsteins besaßen ein sehr gutgehendes großes Elektrogeschäft, und sie hätten sich längst ein großzügigeres Haus leisten können, aber da sie beide tagsüber im Geschäft tätig waren, meinten sie, daß die geräumige Wohnung ausreiche. Andy hatte schon seit zwei Jahren eine Eigentumswohnung. Er fuhr einen flotten Wagen, er hatte einige kostspielige Hobbys wie Golf und Segeln, und trieb auch sonst so viel Sport, daß Uli sich manchmal fragte, wie er da überhaupt zum Studieren kam. Jedenfalls war er nach Ulis Ansicht kein Mann für Angela, und er wollte seiner hübschen Schwester auch gleich auf den Zahn fühlen, wie sie zu Andy eingestellt war.

Sie wurde nicht verlegen, als Uli aus seinem Wagen stieg. »Kommst du endlich«, sagte sie, »ich habe nämlich meinen Schlüssel vergessen.«

»Hallo, Uli, wie geht’s?« fragte Andy. »War nett, mal wieder mit Geli plaudern zu können. Bei der Gelegenheit möchte ich euch gleich zum Sommerfest im Golfclub einladen.«

»Das ist nichts für uns«, erwiderte Uli.

»Wieso denn nicht?« warf Angela unwillig ein.

»Uli denkt, daß da nur Geldadel spielt«, meinte Andy grinsend. »Na ja, Geld schon, Adel wenig, jedenfalls in unserem Club nicht. Und was Bildung anbetrifft, meine ich, daß ihr mehr zu bieten habt als die meisten. Aber meine Eltern haben auch die gleiche Einladung wie du, Uli. Sie gehen lieber in den Biergarten bei schönem Wetter, als zum Sommerfest in den Club.«

»Und du hast doch sicher andere Gesellschaft als uns«, meinte Uli anzüglich.

»Weißt du, ich spiele gern Golf, und es gibt ein paar Leute, mit denen man sich sehr gut unterhalten kann. Für dich wäre das doch auch interessant, weil auch ein paar vom Fernsehen und von Zeitungen da sind. Es finden sich schon immer die richtigen Grüppchen zusammen.«

»Ich habe abends zu tun«, erklärte Uli. »Vielleicht fahre ich da auch ein paar Leute zum Golfclub, die vorsichtshalber ihr Auto zu Hause lassen.«

»Kann schon sein, aber die meisten fühlen sich ohne ihre Schlitten doch nackt und bloß. Glaub nur nicht, daß ich mich im Höhenflug befinde. Wenn es so wäre, würden mir meine Eltern schnell das Konto einfrieren. Es sind Grenzen gesetzt, falls das eine Beruhigung für dich ist.«

»Mir kann es doch egal sein, was du mit deinem Geld machst«, sagte Uli. »Du brauchst nicht denken, daß ich dich beneide. Aber meine Schwester ist kein Partygirl, merk es dir, Andy.«

»Liebe Güte, laß das doch«, brauste Angela auf. »Ich kann für mich selbst denken.«

»Und ich weiß, was sie für ein Mädchen ist, Uli«, sagte Andy in versöhnlichem Ton. »Ich weiß Unterschiede zu machen. Alles okay?«

»Wenn du es wirklich so meinst?«

Andy streckte ihm die Hand entgegen. »Ehrenwort. Und wir könnten doch Freunde sein, Uli. Ich bin auch nicht so einer, der sich mit jedem abgibt, wenn es auch manchmal den Anschein hat. Meine Eltern sind Geschäftsleute, da heißt es immer verbindlich sein, und das wird einem von Kindheit an eingebleut. Ist ja auch nicht übel, aber es muß nicht in Vertraulichkeit ausarten.«

Ob ich ihn unterschätzt habe? ging es Uli durch den Sinn, als er dann mit Angela zur Wohnung hinaufging.

Sie ging hinter ihm, und sie sprach erst wieder, als sie die Wohnungstür geschlossen hatten.

»Du brauchst dich wirklich nicht mehr als großer Bruder aufzuspielen«, sagte sie, »und du kannst es mir überlassen, mit wem ich mich unterhalte und verabrede. Und wenn du meinen solltest, es könnte den Hausfrieden stören, weil es Andy ist, irrst du dich gewaltig. Seine Mutter hat mich nämlich gestern gefragt, ob ich mich mal von Andy einladen lassen würde. Er traut sich nicht zu fragen, und ihr wäre es nur recht, wenn wir uns mehr anfreunden würden, weil sie unsere Verhältnisse kennt. Stinkt es dir vielleicht, daß es bei dir nicht so ist?«

»Ich weiß nicht, was du meinst.«

»Ich meine Antonia Sudhoff. Sie ist reizend, unbestritten, aber ihre Mutter ist ein arrogantes Weib mit anderen Ambitionen. Und ich habe keine Tomaten auf den Augen, Bruderherz, und zudem ein sehr gutes Gehör. Der Klatsch blüht, auch wenn du noch im Liebestaumel blind und taub einherwandelst. Mich brauchst du nicht zu warnen, aber ich warne dich vor Antonias Eltern. Da gibt es nämlich einen Grafen, der außerdem ein reicher Großgrundbesitzer ist.«

»Kleven, du liebe Güte, dieser trunksüchtige Lebemann? Da kann Toni doch bloß lachen.«

»Aber ihre Mutter möchte auch hoch hinaus, Uli, und ein Student, der als Taxifahrer arbeitet, ist unter ihrem Niveau.«

»Sie ist eine Schreinerstochter, das wird Toni ausspielen«, sagte Uli.

»Guter Gott, ich dachte, sie wäre mindestens eine Fürstentochter, wie sie sich bei der Vernissage aufgespielt hat.«

»Bei welcher Vernissage?« fragte er.

»Liebes Brüderchen, ich verdiene mir auch mein Taschengeld, und meine Kunstkenntnisse kommen mir dabei zugute. Modezeichnerin ist zwar ein hübscher Beruf, wenn man sich erst mal etabliert hat, aber vorerst könnte ich noch nicht davon leben. Madame Molinar vermittelt mir kleine Nebengeschäfte, weil sie weiß, daß wir nicht auf Rosen gebettet sind, und so hat jeder von uns seine Mäzene, oder meinst du, Theo würde dich gleich genommen haben und so gut bezahlen, wenn er nicht ein Auge auf Mutsch geworfen hätte.«

»Das glaubst du doch wohl selber nicht«, stieß Uli gereizt hervor. »Mutsch würde sich doch niemals mit ihm einlassen.«

»Das habe ich auch nicht gesagt, Uli, aber er lebt vielleicht auch in dem Wahn.«

»Und wieso auch?«

Sie runzelte leicht die Stirn. »Du wirst doch nicht glauben, daß du den Sudhoffs als Schwiegersohn willkommen bist.«

»Ich wiege mich nicht in dem Glauben, und wir werden trotzdem heiraten.«

»Na gut, dein Wort in Gottes Ohr«, sagte sie anzüglich.

»Du entwickelst dich zu einem richtigen kleinen Biest«, stellte Uli fest.

»Selbstschutz, lieber Bruder, auch deine kleine Schwester ist einigen Gefahren ausgesetzt, aber du wirst hoffentlich merken, daß sie sich sehr gut selbst verteidigen kann. Man bekommt Haare auf den Zähnen.«

Jetzt mußte er doch lachen. »Dafür sehen sie aber sehr schön aus.«

»Ich oder die Zähne?« gab sie ebenfalls lachend zurück.

»Natürlich die Zähne, aber du bist auch nicht zu verachten. Deshalb darf dein großer Bruder doch auch immer noch ein bißchen aufpassen.«

»Ist schon okay, Uli, du darfst.«

Richtigen Streit gab es zwischen ihnen nie, aber sie hatten beide ihre eigenen Ansichten und auch einen starken Charakter. Jedenfalls herrschte wieder Frieden, als Heike heimkam, ziemlich geschafft, wie sie auch zugab, und das war selten genug der Fall.

»Fehlt dir was, Mutsch?« erkundigte sich Uli besorgt.

»Ich habe irrsinnige Kopfschmerzen und weiß nicht woher«, erwiderte sie müde.

»Das kann auch vom Hunger kommen«, meinte Angela.

»Bestimmt nicht. Appetit habe ich auch nicht«, sagte Heike. »Ich gehe ins Bad, vielleicht wird es mir wohler.«

»Ich mache uns einen Tee, und das Essen steht auch schon auf dem Herd«, erklärte Angela.

»Und ich habe dir auch deine Lieblingspralinen mitgebracht, Mutsch«, sagte Uli.

»Ihr seid lieb«, sagte sie leise. »Aber anscheinend soll ich mich nicht freuen dürfen.«

Mit diesen rätselhaften Worten entschwand sie, und die beiden schauten sich nachdenklich an.

»Es scheint was passiert zu sein«, sagte Angela nachdenklich. »Sind in der Zentrale eigentlich auch viele in Urlaub?«

»Sie sind gut besetzt, das muß ja auch sein«, erwiderte Uli, »aber es sind schon ein paar Dämchen da, die sich mächtig aufspielen. Aber Theo würde nie etwas auf Mutsch kommen lassen, in dieser Beziehung magst du recht haben mit deiner Andeutung. Er ist ein netter Mensch und ein cleverer Geschäftsmann. Wenn man sich vorstellt, was er auf die Beine gebracht hat…«

»Er hat ein tolles Haus und bestimmt ein dickes Bankkonto, darauf sind doch die meisten Frauen scharf«, warf Angela ein. »Und da könnte es schon sein, daß eine dabei ist, die Mutti mies macht, um sich bei ihm einzuschmeicheln.«

»So leicht ist Theo nicht zu beeinflussen«, sagte Uli. »Warten wir ab, was Mutti sagt.«

Heike war nach dem Bad gleich in ihrem Schlafzimmer verschwunden. Die Kopfschmerzen waren nicht besser geworden, und sie nahm diesmal sogar eine Tablette, was sie sonst weitgehendst unterließ. Ihr war so heiß und kalt, und dann bekam sie einen richtigen Schüttelfrost, aber sie wollte nicht nach Angela und Uli rufen. Nach ihm schon gar nicht, weil sie ja wußte, daß er nachts fahren mußte.

Aber damit würde es bald zu Ende sein, und auch sie konnte sich nach einer anderen Stellung umsehen. Plötzlich überfiel sie der Schlummer, und ihre Gedanken wurden ausgelöscht.

Angela war es unheimlich geworden. Uli schlief jetzt auch eine Stunde. Auf Zehenspitzen ging sie zum Schlafzimmer ihrer Mutter, öffnete leise die Tür und trat an ihr Bett. Es war noch hell, sie konnte das fieberheiße Gesicht deutlich sehen, und eine höllische Angst erfaßte sie plötzlich.

Sie lief zum Telefon und rief Dr. Norden an. Er war noch in der Praxis. Es gab an diesem Tag viele unerklärliche Fälle, die er nur auf eine noch unbekannte Virusinfektion zurückführen konnte. Immer waren es die gleichen Symptome. Starke Kopfschmerzen vom Nacken über den Hinterkopf emporsteigend, um dann in den Schläfen bohrend zu verbleiben, dann mehr oder weniger heftig ansteigendes Fieber, allgemeine Schwäche, bei Kreislaufgeschädigten auch Herzbeschwerden, Schwindelanfälle und sogar Ohnmachten.

Als Angela ihn so besorgt anrief, sagte er ihr, daß ihm schon mehrere solcher Fälle bekannt wären, und er würde so bald wie möglich kommen.

Angela weckte Uli und sagte ihm, was sie ängstigen würde. Er war auch gleich auf den Beinen.

»Hat Mutti sonst noch was gesagt?« fragte er.

»Überhaupt nichts, aber Dr. Norden sagt, daß es mehrere Fälle gibt. Er kommt bald.«

»Wenn es ein sehr ansteckender Virus ist, muß ich mich fernhalten, Geli. Versteh das bitte. Ich muß noch Geld verdienen. Ich kann mich nicht darauf verlassen, daß ich mal einen einflußreichen Mann kennenlerne, der mir weiterhilft.«

»Oder eine Frau?«

»Wieso eine Frau?«

»Es gibt auch einflußreiche Frauen bei Fernsehen und Presse.«

»Ich liebe Toni, damit du es weißt und merkst. Vielleicht bietet sich dir eine lukrative Partie.«

»Dummkopf, als ob es mir darauf ankommt.«

»Na also. Wenn Toni auch reiche Eltern hat, wir wollen allein weiterkommen. Und nun lassen wir mal das Thema und kümmern uns um Mutti.«

»Ich werde mich um sie kümmern«, erwiderte Angela. »Du steckst dich nicht an.«

*

Als Dr. Norden kam, schlug Heike die Augen auf. Sie blickte den Arzt verwirrt an.

»Was ist denn los? Warum sind Sie da, Dr. Norden?« fragte sie.

»Weil Sie Fieber haben, Frau Roeder, und es ist gut, daß Angela mich gleich gerufen hat. Es ist ein böser Virus, der jetzt umgeht, und es ist gut, wenn wir gleich etwas unternehmen, da es dabei leicht zu einer Lungenentzündung kommen kann. Ich habe schon zwei Fälle dieser Art.«

»Kann man einem die Schwindsucht an den Hals wünschen?« murmelte sie.

Er sah sie bestürzt an. »Wie kommen Sie denn auf so was?« fragte er.

»Ich habe so eine liebe Kollegin, die sie mir gewünscht hat, als ich sagte, daß ich mich nicht wohl fühle.«

»So etwas sollte man nicht sagen, es kann schnell auf denjenigen selbst zurückfallen.«

»Sie war erkältet, und ich habe nur zu ihr gesagt, daß sie besser zu Hause geblieben wäre.«

»Und nun wurden Sie wahrscheinlich angesteckt«, meinte Dr. Norden. »Aber das werden wir schon bald in den Griff bekommen.«

Aus fiebrigen Augen blickte sie ihn an. »Ich habe für Dienstag eine Opernkarte geschenkt bekommen von einem zufriedenen Kunden«, murmelte sie. »Ich möchte so gern hingehen. Sie war neidisch, deswegen war sie so unfreundlich.« Heike war schon wieder matt und fast im Einschlafen.

Dr. Norden gab ihr eine kreislaufunterstützende Injektion und ließ gleich zwei Medikamente da, damit Angela am Abend nicht mehr weglaufen mußte. Dr. Norden wußte ja, daß Uli wieder fahren mußte.

Heike Roeder war in der Zentrale des Funktaxiunternehmens, das Theo Hermann gehörte, beschäftigt. Sie hatte die Leitung über die Angestellten bekommen, und das hatte vor allem Gerda Reske erbost, die nicht nur ein Auge auf Theo Hermann geworfen hatte, sondern alle zwei, und die sich eingebildet hatte, bei ihm Favoritin zu sein, bis sie merkte,

daß Heike bevorzugt wurde, was Heike allerdings gar nicht recht war.

Sie war Theo Hermann dankbar, daß er ihr die Stellung gegeben hatte, ohne daß sie Referenzen oder Zeugnisse aufweisen konnte, und auch dafür, daß Uli den guten Job bekam, aber sonst hatte sie keine Absichten. Dr. Norden wußte das alles, denn Heike schüttete ihm auch manchmal ihr Herz aus.

Er sagte zu Angela, daß es gut gewesen sei, daß sie ihn gleich gerufen hätte.

»Ihre Mutter wird jetzt schlafen, und dann sorgen Sie dafür, daß Sie die Tropfen nimmt. Ich habe alles genau notiert, und morgen kann Uli dann die anderen Medikamente besorgen.«

»Ist es schlimm, Herr Doktor?« fragte Angela ängstlich.

»Wir müssen dafür sorgen, daß der Kreislauf stabilisiert wird. Und sie hat nicht viel zuzusetzen.«

»Das ist es ja, was wir auch sagen, aber sie hat so selten mal Appetit. Mutti hatte eben zuviel Sorgen.«

Auch das wußte Dr. Norden. Er schätzte Heike als eine sehr tapfere, charakterfeste Frau, die nicht so zerbrechlich war, wie sie wirkte. Aber er wußte auch, daß sie sehr empfindliche Stellen hatte und so schnell nichts abschütteln konnte, was sie als ungerecht empfand.

Ohne daß Heike viel gesagt hatte, spürte er, daß jene unfreundliche Kollegin eine sehr empfindliche Stelle bei ihr getroffen haben mußte, oder es spielte auch noch etwas anderes mit.

Uli war schon wieder unterwegs, als Dr. Norden ging. »Hoffentlich erwischt es ihn nicht«, sagte Angela.

»Er hat schon wieder Abwehrkräfte getankt. Bei ihm war es nur eine schwere Erkältung, die nichts mit dieser Virusgrippe zu tun hat.«

»Aber Uli hat es auch ganz schön geschlaucht. Hoffentlich bleibe ich jetzt verschont«, meinte Angela.

»Viel Vitamine zu sich nehmen«, sagte Dr. Norden aufmunternd.

»Mache ich. Obst und Salate, es schmeckt, und man hält die Figur«, erwiderte sie lächelnd.

Sie wird auch immer hübscher, dachte Dr. Norden. Als Teenager war Angela mager, jungenhaft und sehr eigenwillig gewesen. Sie hatte ihrer Mutter oft Sorgen bereitet, ohne daß Heike dies hatte laut werden lassen. Sie hatte jede harte Konfrontation vermieden, um das Vertrauen ihrer Kinder nicht zu verlieren, und jetzt machte sich der Erfolg dieser Erziehung bemerkbar in der Anhänglichkeit und Liebe, die ihr von beiden geschenkt wurde.

Dr. Norden selbst genoß das Glück, eine Frau zu haben, die es ebenfalls verstand, die Kinder mit sanfter Hand und doch einer gewissen fast unmerklichen Autorität zu erziehen.

Fee Norden brauchte nur zu sagen: Das gefällt mir nicht oder ich glaube, Papi würde sehr enttäuscht sein, wenn er das hören oder sehen würde, und dann wurde bei den Norden-Kindern sofort umgeschaltet.

Er selbst sagte manchmal sehr energisch, jetzt langt es aber, und das langte wirklich. Eigentlich brauchte er nur ein paar Blicke in die Runde zu werfen.

Als er an diesem Abend heimkam, schliefen die Kinder schon. Es war spät geworden. Fee und Lenni warteten. Sie saßen vor dem Fernsehapparat, weil mal wieder ein Film gesendet wurde, den man anschauen konnte. Er war fast zu Ende.

»Laßt euch nicht stören«, sagte Daniel. »Ich muß eh’ erst duschen.«

Lenni eilte aber sofort in die Küche. Das Essen für den Doktor war wichtiger als der Film.

Fee konnte ihn noch zu Ende sehen. Der Tisch war gedeckt. Und als Daniel aus dem Bad kam, sagte sie, daß der Film doch nicht so gut wäre, wie sie gemeint hätte. Das Happy-End hätte überhaupt nicht gepaßt.

»Aber es ist doch schön, wenn es ein Happy-End gibt«, meinte er schmunzelnd.

»Es kommt auf die Akteure und die Situation an«, erwiderte Fee.

Lenni servierte schon das Essen. Wenn es auch spät war, etwas Warmes braucht der Mann, hieß ein Slogan, und Daniel Norden brauchte in solchen Tagen wie diesen Kraft. Man war darauf bedacht, ihm dann auch seine Leibgerichte zu servieren. Geschnetzeltes mit Spätzle war auch zu der späten Stunde noch bekömmlich.

»Frau Roeder hat es auch erwischt«, erzählte er, nachdem er den ersten Hunger gestillt hatte, »und sonst habe ich noch ein paar schwere Fälle. Paßt jetzt nur gut auf, diese Grippe ist nicht leichtzunehmen.«

»Ich würde zu gern wissen, wieviel Viren es noch gibt«, meinte Fee, die ja auch Medizinerin war, nachdenklich. »Man kann doch gar keine richtige Diagnose stellen, wenn die Symptome so unterschiedlich sind.«

»Schlimmer noch ist es, die richtigen Medikamente zu finden, Fee. Es kann ganz schön kritisch werden.«

»Die Zivilisation fordert ihre Tribute«, sagte Fee sinnend.

»Vor allem der Wohlstand. Die natürliche Abwehr wird auf ein Minimum gesenkt. Und warum? Sofort greifen die Menschen gleich zu irgendwelchen Tabletten, die ja auch ihre Nebenwirkungen haben. Da kann man predigen, was man will, die Raucher lassen das Rauchen nicht, und solange Bier und Wein noch schmecken, wird da auch nichts geändert.« Er lächelte. »Mir schmeckt das Bier heute allerdings auch besonders gut.«

»Und darauf wirst du bestimmt auch gut schlafen, mein Schatz«, sagte Fee. »Frau Roeder wird hoffentlich bald wieder gesund sein.«

»Sie soll sich ruhig mal pflegen lassen. Angela ist übrigens ein ganz reizendes Mädchen geworden. Sie hat sich in letzter Zeit sehr gemausert. Und sie ist auch besorgt um ihre Mutter.«

»Frau Roeder ist auch eine sehr gute Mutter. Ich würde ihr von Herzen wünschen, daß sie wieder einen guten Partner findet, der ihr auch ein sorgenfreies Leben bieten kann. Sie ist eine so liebenswerte Frau.«

»Und Chancen hätte sie auf jeden Fall bei Theo Hermann, aber sie will nicht, Fee.«

»Wahrscheinlich stellt sie mehr geistige als materielle Ansprüche.«

»Aber das Leben kostet nun mal Geld, das ist durchaus nicht böse gemeint. Es sollte dem Gefühlsleben Sicherheit geben.«

»Das hast du aber schön gesagt«, meinte Fee neckend.

»Bist du etwa anderer Meinung?«

»Wie könnte ich. Aber es ist nun mal so, daß jeder Mensch das für sich allein entscheiden muß, mein Schatz, und wenn alles scheinbar zusammenstimmt, gibt es auch nicht immer ein Happy-End, das wollte ich gesagt haben. Aber jetzt sollten wir lieber zu Bett gehen.«

Dagegen hatte Daniel nichts einzuwenden.

*

Uli war indessen per Funk zum Hotel Sheraton beordert worden. Eine sehr elegante Frau war sein Fahrgast, und sie wollte zum Flughafen. Das paßte bei ihm in den Plan, denn um diese Zeit landeten noch mehrere Maschinen, während die Starts doch schon reduziert waren.

Aber die schweigsame Frau wollte nicht wegfliegen. Sie wollte jemanden abholen, wie sie erklärte, als sie das Ziel erreicht hatten. Sie fragte Uli, ob er sie dann auch wieder zurückbringen könne.

»Ich kann leider nicht so lange warten«, erwiderte er höflich, »aber es sind genügend Taxis da. Es geht dort immer der Reihe nach.«

Sie maß ihn mit einem langen Blick. »Aber Sie sind kein gewöhnlicher Taxifahrer«, erwiderte sie in gebrochenem Deutsch. »Ich schätze Höflichkeit.«

Uli wurde verlegen. Es war sehr selten, daß er solche Anerkennung erfuhr.

»Vielleicht kommen wir zufällig wieder zusammen«, erwiderte er stockend. »Wenn es nicht zu lange dauert.«

»Ich warte auf das Flugzeug aus Paris«, erwiderte sie. »Ich weiß leider nicht, ob es pünktlich landet.«

»Das dauert aber noch. Bis dahin könnte ich ja wieder zurück sein, wenn ich vorher eine nicht zu weite Fahrt habe.«

Er wußte selbst nicht, warum er das sagte, aber irgend etwas faszinierte ihn an dieser Frau, obgleich sie alles andere als herausfordernd wirkte.

Sie lächelte flüchtig. »Ich hatte ja auch nicht damit gerechnet, so schnell hier zu sein. Die meisten Fahrer machen Umwege. Es dauert länger, und man zahlt mehr. Sie sind für mich eine angenehme Überraschung.«

»Sie können sich aber beschweren, wenn Sie sich übervorteilt fühlen«, erklärte Uli.

Ihr Lächeln vertiefte sich. »Um ein paar Euro hin und her geht es ja nicht, und vorher wußte ich auch nicht, daß man schneller herkommen kann und auch weniger zahlen muß.«

Uli hatte das eigentümliche Gefühl, daß sie ein Gespräch wünschte, das aber nicht persönlich werden sollte.

Dann aber sagte sie: »Sie haben vielleicht eine Karte, damit ich Sie rufen lasse, falls ich wieder ein Taxi brauchen sollte. Ich bleibe noch zwei Wochen in München.«

Er gab ihr eine Karte. Theo Hermann legte großen Wert darauf, daß nicht nur die Nummer der Zentrale, sondern auch der Name des Fahrers vermerkt war, da es manchmal Reklamationen solcher Art gab, wie diese Dame angesprochen hatte.

»Ich heiße Diana Morgan«, sagte sie leise, aber mit einer seltsamen Betonung, die ihn nachdenklich stimmte. Er hatte das Gefühl, daß sie ihm etwas mitteilen wollte, dann aber schalt er sich wegen dieser Regung.

Er wurde sehr verlegen, als sie ihm die Hand reichte. »Vielleicht erinnern Sie sich an mich, wenn Sie meinen Namen hören«, sagte sie dann und verabschiedete sich mit einem rätselhaften Lächeln, das ihm in Erinnerung bleiben sollte.

Aber diese sollte nicht die einzige rätselhafte Begegnung sein an diesem Abend. Plötzlich war ein heftiger Wind aufgekommen, der die Regenwolken mit Blitzesgeschwindigkeit vorantrieb, und schon öffneten sich die Schleusen, und der Regen prasselte herab.

Die hintere Autotür wurde hastig geöffnet, bevor Uli den Fahrgast noch gewahrt hatte.

Als er aufstand, sagte eine angenehme dunkle Männerstimme: »Bleiben Sie sitzen, ich habe nicht viel Gepäck. Ich möchte zum Sheraton.«

Uli stutzte. Es war das zweite Mal an diesem Abend, daß dieses Hotel erwähnt wurde. Er blickte in den Rückspiegel, und seine Augen weiteten sich.

Gleich drehte er sich um. »Dr. Norden?« staunte er.

»Was meinen Sie?« fragte der Mann.

»Mein Gott, Dr. Norden, fehlt Ihnen etwas?«

»Ich weiß nicht, was Sie meinen«, erwiderte der Fremde in stockendem Deutsch. »Mein Name ist Matthews, Dan Matthews.«

»Ich bitte vielmals um Entschuldigung, Mr. Matthews, aber Sie sehen genauso aus wie Dr. Norden. Er heißt Daniel Norden.«

»Ist mir leider nicht bekannt, aber ich finde es interessant, wenn man einen Doppelgänger hat, von dem man nichts weiß.«

»Dr. Norden ist Arzt, unser Hausarzt. Aber ich will Sie damit jetzt nicht langweilen. Also zum Sheraton.«

»Sie langweilen mich nicht. Wenn es nicht so stark regnen würde, käme ich nach vorn, dann könnten wir uns unterhalten.«

»Ich sehe Sie im Rückspiegel. Die Ähnlichkeit ist frappierend. Aber Dr. Norden würde ja nach Hause fahren, und außerdem habe ich ihn ja erst vor ein paar Stunden in seiner Praxis gesehen.«

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