Читать книгу Dr. Norden Classic 39 – Arztroman - Patricia Vandenberg - Страница 3

Оглавление

»In den Nachrichten haben sie gemeldet, dass ein Sturm aufzieht«, erklärte Felicitas Norden. Sie hielt das Telefon ans Ohr und blickte forschend durchs Wohnzimmerfenster nach draußen. »Bist du sicher, dass dein Flug geht?«

Ihr Mann Daniel Norden hatte an einem Kongress in London teilgenommen und war im Begriff, in das nächste Flugzeug nach München zu steigen.

»Hier ist alles in Ordnung, und es gibt auch keine Meldungen«, versuchte Daniel, Fee zu beruhigen. »Wahrscheinlich übertreiben die Medien wieder mal schamlos. Um das Sommerloch zu füllen, ist ihnen jedes Mittel recht.«

Während er telefonierte, saß er am Tresen einer Bar, eine Cola vor sich, und beobachtete eine blonde Frau, die ein Stück von ihm entfernt ebenfalls auf einem Barhocker saß. Sie erregte nicht etwa seine Aufmerksamkeit, weil sie ein außergewöhnliches Gesicht hatte. Vielmehr war ihm aufgefallen, wie sie nervös mit den Fingern auf den Tresen aus schwarzem Marmor klopfte.

»Schon möglich«, räumte Fee in die Gedanken ihres Mannes hinein ein und unterdrückte ein Husten.

Seit Tagen fühlte sie sich nicht wohl in ihrer Haut und kämpfte tapfer gegen den Anflug einer Sommergrippe, wie sie vermutete.

Aufmerksam, wie er war, bemerkte Daniel, dass etwas nicht stimmte.

»Bist du immer noch krank?«

»Ach, krank ist übertrieben. Ich habe ein bisschen Schnupfen, mehr nicht.« Die schmerzhaften Blasen, die sie am Morgen auf ihrer Mundschleimhaut entdeckt hatte, erwähnte sie vorsichtshalber nicht. Auf keinen Fall wollte sie ihren Mann beunruhigen. »Zum Glück hab ich mir heute Urlaub genommen. Ich werde es mir also mit meinen Büchern auf der Couch bequem machen und für meine Facharztprüfung büffeln.«

»Mir wäre es lieber, du würdest es dir mit mir dort gemütlich machen«, entfuhr es Daniel, und Fee lachte geschmeichelt.

»Mir auch«, ging sie auf seine sehnsüchtige Liebeserklärung ein. »Darauf kannst du Gift nehmen.«

»Lieber nicht!«, raunte er in den Hörer. Die Frau am Tresen war inzwischen aufgestanden und wanderte rastlos auf und ab, wie er aus den Augenwinkeln bemerkte. Und auch für ihn wurde es langsam Zeit, sich auf den Weg zu machen. »Es reicht, wenn du mir die Sinne benebelst. Und das wirst du mit Sicherheit tun, wenn du wieder vor mir stehst.« Schon jetzt freute er sich auf dieses besondere Kribbeln, das ihn auch nach all den Jahren noch überfiel, wenn er seine Frau nach längerer Trennung wiedersah.

Wieder lachte Fee, diesmal leise und verführerisch.

»Ich werde mein Bestes geben«, versprach sie fast feierlich, bevor sie eine völlig andere Art von Kribbeln fühlte. Schnell hielt sie den Hörer vom Kopf weg und nieste herzhaft. »Bist du noch dran?«, fragte sie dann schniefend.

»Gesundheit, mein Schatz«, wünschte Daniel mitfühlend. »Ich seh schon, es wird höchste Zeit, dass ich endlich heimkomme und dir meine Spezialbehandlung angedeihen lasse.«

»Ich kann’s kaum erwarten.« Als Felicitas einen Kuss in den Hörer hauchte, war der angekündigte Sturm längst vergessen, und schon jetzt konnte sie es kaum erwarten, ihren geliebten Mann endlich wieder in die Arme zu schließen.

*

»Haben Sie Flugangst?«, erkundigte sich Dr. Daniel Norden mitfühlend bei der Frau, die neben ihm im Flugzeug Platz genommen hatte. Wie es der Zufall wollte, war es dieselbe, die er schon an der Bar beobachtet hatte.

Sie saß noch nicht richtig, als sie sich auch schon anschnallte und mehrfach prüfte, ob der Gurt auch richtig saß. Als der Arzt sie ansprach, hielt sie inne und musterte ihn verlegen aus grünen Katzenaugen.

»Nein!«, erklärte sie dann mit Nachdruck heraus. »Nein, ich habe keine Angst. Ich habe … na ja, ein bisschen vielleicht«, räumte sie schließlich zögernd ein. »Aber vielleicht sollte ich mich erst mal vorstellen«, wechselte sie schnell das Thema und hielt ihm verkrampft lächelnd die Rechte hin. »Mein Name ist Ricarda Schmied.«

»Daniel Norden. Freut mich, Frau Schmied.«

Während die Stewardess durch die Gänge ging und prüfte, ob die Fluggäste die Gurte geschlossen hatten, musterte Ricarda ihren Sitznachbarn forschend.

»Kann es sein, dass wir uns irgendwoher kennen?«, fragte sie dann.

»Wir waren in derselben Bar«, klärte Daniel sie lächelnd auf. »Dort habe ich bemerkt, dass Sie ganz schön aufgeregt sind.«

»Dann ist Leugnen also zwecklos.«

Die Maschine setzte sich in Bewegung und rollte auf die richtige Startbahn. Als sie abhob, schloss Ricarda die Augen und umklammerte die Lehnen, dass ihre Fingerknöchel weiß hervor traten. Sie entspannte sich erst wieder ein bisschen, als der Gong ertönte zum Zeichen, dass der Startvorgang abgeschlossen war.

»Wissen Sie, dass die meisten Flugzeuge beim Start und bei der Landung abstürzen?«, wandte sie sich an Daniel, der inzwischen ein Magazin aufgeschlagen hatte. »Das ist ja schon im Normalfall nicht besonders toll. Aber ausgerechnet jetzt wäre es noch viel blöder.«

Daniel ahnte, dass das Mitteilungsbedürfnis der jungen Frau von ihrer Nervosität rührte, und klappte das Heft wieder zu. Er hatte ohnehin keine Lust zu lesen und wandte sich an Ricarda.

»Ach, wirklich?«

Eine Flugbegleiterin bot Getränke an. Ricarda entschied sich für Sekt, während Dr. Norden mit einem Glas Wasser Vorlieb nahm.

»Nicht, dass Sie denken, ich trinke tagsüber schon«, beeilte sie sich zu versichern. »Aber Alkohol beruhigt ja bekanntlich die Nerven. Allerdings sollte ich auch nicht betrunken sein, wenn mich Sebastian abholt.« Sie dankte der Stewardess und nahm das Glas mit zitternden Fingern. »Wissen Sie, Sebastian war meine erste Liebe. Damals war ich vierzehn. Aber unser Glück währte nur ein paar Wochen. Dann wurde mein Vater versetzt und wir sind weggezogen. Seitdem habe ich Sebastian nicht wiedergesehen.« Ricarda hielt inne und trank einen großen Schluck Sekt.

»Und jetzt haben Sie sich wiedergefunden?«, fragte Daniel teils interessiert, teils aus Mitgefühl für die von Angst geplagte junge Frau.

»Ja, ist das nicht ein Wunder?« Ricardas Augen leuchteten auf und für einen kurzen Moment vergaß sie ihre Panik. »Er hat mich auf einem sozialen Netzwerk im Internet gefunden und mich angeschrieben. Seitdem wird der Kontakt immer intensiver«, geriet sie unvermittelt ins Schwärmen. Unschwer zu erkennen, dass sie bis über beide Ohren verliebt war.

»Und jetzt fliegen Sie zu ihm, um ihn zu besuchen?«, zog Dr. Norden den richtigen Schluss aus ihren Worten.

Ricarda wollte antworten, als das Flugzeug einen Ruck machte. Sogar die Flugbegleiterin wurde überrascht und stolperte. Unvermittelt griff Ricarda nach Dr. Nordens Hand und umklammerte sie so fest, dass er vor Schmerz um ein Haar aufgeschrien hätte.

»Was war das?«, keuchte sie, Panik im Blick. »O mein Gott, das ist doch Wahnsinn, was ich hier tue! In diesem riesigen Haufen Blech hoch über den Wolken zu sitzen. Ohne Fluchtmöglichkeit. Keine Chance, einen Absturz zu überleben.«

In ihre Worte hinein gab es einen erneuten Stoß, der viel heftiger war als der erste. Diesmal war Ricarda nicht die einzige, die schrie. Auch andere Passagiere kreischten auf und umklammerten die Lehnen. Wie ein Stein stürzte das Flugzeug in die Tiefe. »Wir sterben! Wir müssen alle sterben!«, schrie Ricarda aus Leibeskräften. Taschen flogen umher, Getränke spritzten durch die Luft. Eine Flugbegleiterin war hingefallen und klammerte sich an einem Sitz fest.

Daniel schrie nicht. Doch auch aus seinem Gesicht sprach die Angst, während er sich nach vorn beugte und den Kopf mit den Händen schützte.

Ehe die Passagiere begriffen, was geschah, war auf einmal alles wieder normal. In die gespenstische Stille hinein rauschte und knackte der Lautsprecher.

»Sehr verehrte Fluggäste, hier spricht der Kapitän«, tönte eine männliche Stimme aus dem Lautsprecher. »Wir sind von sogenannten Clear-Air-Turbulenzen überrascht worden. Wahrscheinlich bleibt es auch weiterhin etwas unruhig, zumal zusätzlich ein Sturmtief über Süddeutschland zieht. Es steht zu befürchten, dass wir nicht pünktlich landen können. Bitte bewahren Sie Ruhe. Ich melde mich wieder, sobald mir neue Informationen vorliegen.«

»Ruhe bewahren?« Verächtlich schüttelte Ricarda den Kopf und sah hinüber zu Daniel Norden, der auch wieder aufrecht in seinem Sitz saß. »Der Mann hat Humor.«

Doch ehe Dr. Norden etwas erwidern konnte, gab es einen weiteren Ruck. Der Horrorflug war noch nicht zu Ende.

*

An diesem Morgen waren die Zwillinge Jan und Dési und ihre große Schwester Anneka bei leichtem Regen und böigem Wind in die Schule aufgebrochen.

»O Mann, dabei wollte ich heute mit Tom und Luis ins Freibad«, meckerte Janni und zog die Kapuze seiner Regenjacke tiefer in die Stirn.

»Du gibst doch immer damit an, dass du dich nach Nervenkitzel sehnst und vor nichts und niemandem zurückschreckst«, war Dési nicht um eine spöttische Antwort verlegen. »Dann hast du heute die beste Gelegenheit, das zu beweisen. Vorausgesetzt natürlich, das Freibad fliegt nicht samt Inhalt davon.« Eine besonders wütende Böe riss ihr die Worte aus dem Mund und trieb sie vorwärts, dass sie stolperte.

»Der liebe Gott straft jede kleine Sünde sofort«, witzelte Janni, half Dési aber trotzdem wieder auf die Beine. »Mann, ich war noch nie so froh, in der Schule zu sein, wie jetzt«, erklärte er, als sie das schützende Schulgebäude endlich erreicht hatten. Er schüttelte sich, dass die Tropfen zu allen Seiten sprühten, und machte sich damit nicht gerade beliebt bei seinen Mitschülern.

»Hey, kannst du nicht aufpassen?«, fauchte eine Elftklässlerin ärgerlich, als sie an ihm vorbei hastete.

»Reg dich ab! Bei dir kann man eh nichts mehr verderben!«, rief ihr einer von Jannis Freunden frech nach. Er hatte es nur der vorgerückten Uhrzeit zu verdanken, dass er ungeschoren davon kam.

Lachend und scherzend machten sich die Jungs auf den Weg ins Klassenzimmer, wo Dési schon die Neuigkeiten des vergangenen Nachmittags mit ihren Freundinnen besprach.

Während es draußen immer dunkler wurde, begann der Unterricht.

»Kann mal einer das Licht anmachen?«, fragte der Lehrer Martin Müller. »Hier sieht man ja bald die eigene Hand vor Augen nicht mehr.«

»Muss das sein? So kann man doch viel besser schlafen«, ließ eine vorlaute Antwort nicht lange auf sich warten.

Alle lachten, einschließlich Herrn Müller.

»Schön, dass du dich freiwillig meldest, Paul.« Er hatte die Stimme seines Schülers erkannt, und murrend machte sich der junge Mann auf den Weg zur Tür.

Als er auf seinen Platz neben Jan Norden zurückkehrte, peitschte der Regen mit einer solchen Wucht an die Scheiben, als würde jemand mit kleinen Steinen um sich werfen. Allmählich wurde es auch dem frechen Paul unheimlich zumute. »Schau mal, da drüben der Mann«, machte Jan seinen Banknachbarn entsetzt auf einen Mann aufmerksam, der vor dem Fenster mit seinem Fahrrad einfach auf die Straße geweht wurde. Er hatte nur Glück, dass in diesem Augenblick kein Auto kam. Sonst wäre er glatt überfahren worden.

Doch Pauls Aufmerksamkeit galt einem anderen Ereignis.

»Unser Dach fliegt durch die Luft.« Mit leichenblassen Gesicht deutete er auf die Ziegel, die reihenweise auf dem Schulhof zerbarsten.

Gleich darauf machte Martin Müller dem Spektakel ein Ende.

»Rollläden schließen!«, rief er und bahnte sich einen Weg durch die Schüler, die in Trauben vor den Scheiben hingen und das Spektakel mehr oder weniger beeindruckt verfolgten. »Schnell!«

Beherzt griff Dési nach einer der Kurbeln und drehte in Windeseile die Jalousie herunter. Keinen Augenblick zu früh, wie der Knall bezeugte, der gleich darauf das Klassenzimmer erschütterte.

»Das ging ja gerade nochmal gut«, stöhnte der Klassenleiter sichtlich erleichtert auf.

Die meisten seiner Schüler waren ausnahmsweise einmal derselben Meinung. Nur Dési war ein schrecklicher Gedanke gekommen. Sie packte ihren Bruder so fest am Arm, dass Janni aufschrie.

»Aua! Bist du verrückt geworden?«, fragte er schroffer als beabsichtigt.

Doch diesmal störte sich seine Zwillingschwester nicht an seinem Kommentar.

»Hoffentlich ist Dads Flugzeug nicht aus London gestartet«, teilte sie ihre sorgenvollen Gedanken mit ihrem Bruder.

Daran hatte Jan noch gar nicht gedacht, und schlagartig wich alle Farbe aus seinem Gesicht.

»Ich ruf Mum schnell an. Vielleicht weiß sie was«, raunte er ihr seine Entscheidung zu. Im Normalfall war es verboten, in der Schule ein Mobiltelefon zu benutzen. Doch Martin Müller war gerade mit einer weinenden Mitschülerin beschäftigt, sodass Jan es trotzdem wagte. Er wartete vergebens auf eine Antwort. Die Leitung war tot.

*

Auch in der Praxis Dr. Norden hatten die beiden Assistentinnen Janine Merck und Annemarie Wendel, von allen nur Wendy genannt, und der junge Arzt Danny Norden alle Hände voll zu tun, um die wenigen Patienten zu beruhigen, die den Weg in die Praxis noch vor Ausbruch des Infernos gefunden hatten.

»Bitte regen Sie sich nicht auf. Hier sind Sie in Sicherheit«, versprach Danny den beiden Männern und der Frau, die eingeschüchtert im Wartezimmer zusammen gerückt waren. »Außerdem haben wir Beruhigungsmittel für ungefähr drei Wochen hier«, versuchte er, seinen Patienten die Anspannung mit einem Witz zu nehmen.

Der Versuch glückte, und die drei lachten, wenn auch verhalten.

»Ihr Vater kann stolz auf Sie sein«, lobte Katharina Herzog den jungen Arzt und lächelte warm.

Im Normalfall hätte sich Danny Norden ehrlich über dieses Kompliment gefreut. Doch im Augenblick überwogen die Sorgen, wenn er an seinen Vater dachte. Er hatte bereits mehrfach versucht, Daniel zu erreichen. Vergebens, und so blieb ihm im Moment nichts anderes übrig, als sich um die Patienten zu kümmern.

Endlich ließ der Wind nach und auch das Trommeln des Regens wurde weniger, sodass Janine es wagte, die Jalousien wieder hochzuziehen.

Durch eine Lücke in der tiefgrauen Wolkendecke fiel ein vorwitziger Sonnenstrahl auf den Boden. Doch selbst dieses hoffnungsvolle Bild konnte den Schrecken der ehemaligen Krankenschwester nicht mildern, als sie mit wenigen Blicken das ganze Ausmaß der Katastrophe erfasste. Der Orkan war vorbei gezogen und hatte eine Spur der Verwüstung hinter lassen. Überall lag Laub und Glasscherben. Äste waren abgebrochen, ganze Bäume entwurzelt und hatten Autos zertrümmert. Allerhand Müll hatte sich großflächig verteilt.

»Da draußen sieht es aus wie nach einen Bombenangriff«, berichtete Janine kopfschüttelnd.

In ihre Worte hinein klingelte das Telefon. Wendy übernahm es, das Gespräch entgegen zu nehmen. Es dauerte nur kurz.

»Das war die Klinik«, erklärte sie ihrem jungen Chef, der immer noch bei den Patienten im Wartezimmer stand. »Es sind haufenweise Notrufe eingegangen. Jede Hand wird gebraucht, und Jenny Behnisch lässt anfragen, ob du kommen kannst.«

Diese Frage konnte Danny nicht aus dem Stegreif beantworten. Er zögerte kurz, den nachdenklichen Blick auf seine Patienten gerichtet.

Wendy wusste sofort, worüber er nachdachte.

»Also, Herr Jobst braucht lediglich einen neuen Verband. Das kann Janine übernehmen und gleichzeitig die Wunde begutachten. Falls Handlungsbedarf besteht, kannst du heute Abend nach der Klinik noch einmal bei ihm vorbeifahren«, schmiedete sie sofort maßgeschneiderte Pläne. Simon Jobst nickte zustimmend, und sie wandte sich an den Herrn neben ihm. »Herr Wagner ist wegen der Ergebnisse seiner Blutuntersuchung hier. Ich habe genug Erfahrung, um ihm die Werte zu erklären und zu entscheiden, ob eine weiterführende Behandlung notwendig ist.«

»Und ich bin ja nur wegen einer Vorsorgeuntersuchung hier«, stellte Alexa Müßiggang abschließend fest und stand auf. »Ich vereinbare einfach einen neuen Termin. Das kommt mir ganz gelegen. Ich will nämlich unbedingt wissen, ob bei mir zu Hause alles in Ordnung ist.«

Erleichtert und fast dankbar sah Danny von einem zum anderen.

»Vielen Dank für Ihre Unterstützung«, lächelte er in die verständnisvollen Gesichter, ehe er das Mobiltelefon aus der Kitteltasche zog. Frau Müßiggang hatte das entscheidende Stichwort gegeben. Während sich Janine und Wendy um die Patienten kümmerten, rief er zuerst seine Freundin in der Bäckerei an.

»Alles in Ordnung«, antwortete Tatjana Bohde zu seiner Erleichterung munter wie immer. »Stell dir vor: Durch das Schaufenster der Bäckerei wurde ein niederländischer Tourist geweht. Glücklicherweise ist ihm nichts passiert. Ihm zu Ehren werde ich ein neues Gebäck mit Namen ›Fliegender Holländer‹ kreieren«, teilte sie ihrem über die Maßen erleichterten Freund mit, sodass er das Gespräch beenden und bei seiner Mutter anrufen konnte.

»Bei Mum, Lenni und Felix ist auch alles klar«, berichtete Danny seinen beiden Mitarbeiterinnen wenig später. »Das Haus ist zwar ein bisschen lädiert. Aber ansonsten geht es allen gut.« Damit ging er zur Garderobe, um sich für den Aufbruch zu rüsten.

»Sie haben Glück, dass Ihr Parkplatz heute nicht frei war«, bemerkte Janine trocken, während sie ihrem jungen Chef dabei zusah, wie er den Kittel gegen seine Jacke tauschte und nach der Arzttasche griff. »Andernfalls wäre von Ihrem Auto nicht mehr viel übrig.« Sie deutete auf die Dachziegel, die sich durch die Windschutzscheibe eines fremden Autos gebohrt hatten. Und auch sonst war der Wagen reichlich lädiert.

»Ich hoffe, dem Flugzeug meines Vaters ist es nicht ähnlich ergangen«, waren Dannys Gedanken jedoch schon weiter geeilt. »Bitte informiert mich, sobald ihr irgendwas von Dad hört.«

»Du kannst dich voll und ganz auf uns verlassen«, versprach Wendy fast feierlich.

Von draußen ertönten Feuerwehrsirenen und Martinshörner.

Der junge Arzt zögerte noch einen Augenblick. Die Sorge um seinen Vater stand ihm ins Gesicht geschrieben, und am liebsten hätte er sich selbst ans Telefon gesetzt und Nachforschungen angestellt. Doch schließlich siegte sein Pflichtbewusstsein, und er machte sich – vorsichtshalber zu Fuß – auf den Weg in die Behnisch-Klinik.

*

Ein Gebet auf den gesprungenen Lippen saß Ricarda Schmied wie erstarrt in ihrem Flugzeugsitz und wartete auf den letzten, alles verschlingenden Knall. Als sich eine Hand auf ihre Schulter legte, zuckte sie erschrocken zusammen und riss die grünen Augen auf. Sie starrte direkt ins Gesicht der Flugbegleiterin.

»Entschuldigen Sie bitte!«

»Was?«, fragte Ricarda verwirrt. »Was ist denn?«

Die Stewardess lächelte sie freundlich an.

Im Glauben zu träumen, drehte Ricarda rasch den Kopf zu ihrem Banknachbarn. Doch auch Dr. Norden lächelte.

»Wir sind gelandet!« Die liebenswürdigen Worte der Flugbegleiterin hallten in Ricardas Ohren.

»Wir sind gelandet?«, wiederholte sie ungläubig. Als sie sich umsah, stellte sie fest, dass das Flugzeug tatsächlich auf festem Boden stand. Die anderen Passagiere begannen bereits damit, sich auf den Ausstieg vorzubereiten, öffneten die Gepäckboxen über den Sitzen, um ihre Rucksäcke und Bordcases herauszuholen und zogen ihre Jacken an. Ricarda beobachtete das geschäftige Treiben um sich herum. Trotzdem traute sie dem Frieden nicht.

»Es ruckelt ja gar nicht mehr.«

Das Lächeln auf Daniels Gesicht wurde noch tiefer.

»Nein, es ruckelt schon seit einer ganzen Weile nicht mehr. Aber Sie waren wie paralysiert und wollten nicht auf mich hören.«

Ricarda Schmied schien immer noch nicht glauben zu können, dass wirklich alles gut war.

»Dann sterben wir also doch nicht?«, fragte sie weiter.

»Nein! Zumindest nicht hier und heute.«

»Oh, gut.« Verlegen kaute Ricarda auf ihrer Unterlippe.

»Wenn Sie jetzt bitte aussteigen würden«, bat die Flugbegleiterin freundlich, aber bestimmt.

Die Gefahr war vorüber, die Nerven hatten sich beruhigt, und es galt, das Flugzeug für den nächsten Flug vorzubereiten. Alles ging seinen gewohnten Gang.

»Ja, natürlich«, stammelte die junge Frau und erhob sich von ihrem Sitz.

Sie schwankte, und instinktiv streckte Dr. Norden die Hände aus, um sie zu stützen. Ricarda war verschwitzt, ihr Haar wirr und ihre Wangen glühten noch von der überstandenen Aufregung.

»Vorsicht. Nicht, dass Ihnen auf den letzten Metern noch was passiert!«, bemerkte Daniel und sorgte dafür, dass er beim Aussteigen immer in ihrer Nähe blieb.

Seite an Seite standen sie schließlich am Gepäckband und warteten auf ihre Koffer.

»Waren Sie geschäftlich in London?«, erkundigte sich Ricarda. Endlich konnte sie wieder an etwas anderes denken als an den überstandenen Schrecken.

»Ich habe einen Ärztekongress besucht«, gab Dr. Norden bereitwillig Auskunft.

»Oh, Sie sind Arzt!«, ließ eine begeisterte Feststellung nicht lange auf sich warten. »Das war auch immer mein Traum. Leider hat es dann aber nur zur Krankenschwester gereicht. Ich arbeite im Londoner Bridge Hospital.«

»Eine ausgezeichnete Adresse!« Daniel nickte anerkennend. »Wenn ich nicht irre, ist diese Klinik nicht nur für ihre medizinischen Verdienste bekannt, sondern auch für die ausgezeichnete Pflege, die den Patienten dort zuteil wird.«

»Das wissen Sie?« Wieder begannen Ricardas Wangen zu glühen. Diesmal jedoch vor Stolz und nicht aus Angst. Das Gepäckband setzte sich in Bewegung, und ihr Blick suchte nach ihrem Koffer. »Aber dieser ausgezeichnete Arbeitgeber hat auch einen Nachteil.« Nach und nach verschwand das Lächeln wieder von ihrem Gesicht. Sie musterte Daniel aus ihren grünen Katzenaugen. »Es ist nicht so leicht, etwas Vergleichbares zu finden.«

»Sie wollen wechseln?«, wunderte sich Daniel.

»Na ja, Sebastian und ich … ich meine … wie soll das weitergehen? Er ist Dachdecker und spricht kein Englisch. Deshalb bietet es sich an, dass ich zu ihm nach Deutschland komme«, erzählte Ricarda munter vor sich hin. »Dachdecker, stellen Sie sich das mal vor! Er verbringt jeden Tag in schwindeinden Höhen. Dabei war ich nie froher als jetzt, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben.« Unvermittelt waren Ricardas Gedanken schon weitergeeilt in eine unbestimmte Zukunft.

Doch Daniel Norden verweilte beim zuerst angeschnittenen Thema.

»Moment mal«, hakte er interessiert nach. »Wenn ich Sie recht verstanden habe, haben Sie sich seit Jahren nicht gesehen«, wandte er zu Recht ein. Er hatte seinen Koffer entdeckt, der gemächlich auf dem Gepäckband in seine Richtung ruckelte.

»Stimmt schon«, gab Ricarda bereitwillig zu. »Aber irgendwie hab ich es im Gefühl, dass Sebastian und ich eine Schicksalsgemeinschaft sind. Sonst hätte ich den Flug heute überhaupt nicht überlebt. Denken Sie doch nur, wie nahe wir an einem Absturz waren!« Während Ricarda sprach – und das tat sie offenbar leidenschaftlich gern – stand sie keine Sekunde still. Ständig zappelte eines ihrer schlaksigen Körperteile oder gleich die ganze temperamentvolle Frau.

»Nun ja, ganz so schlimm scheint es glücklicherweise noch nicht gewesen zu sein. Zumindest schien mir der Kapitän sehr gefasst«, versuchte Daniel, die Tatsachen ins rechte Licht zu rücken.

Mit einem kräftigen Ruck hob er seinen Koffer vom Band und half gleich darauf Ricarda mit ihrem poppig bunten Gepäckstück. Während sie dem Ausgang entgegen strebten, schaltete er sein Mobiltelefon ein. Er hatte noch keine Gelegenheit gehabt, die Nachrichten zu lesen, als seine Begleitung einen leisen Schreckensschrei ausstieß und ihn am Arm packte.

»Was ist denn jetzt schon wieder?«, entfuhr es ihm erschrocken.

Gleich darauf erblickte auch er das ganze Ausmaß der Bescherung.

Auch hier am Flughafen hatte der Sturm gewütet und ganze Arbeit geleistet. Überall vor den Fenstern lagen Trümmerteile herum, Müll häufte sich in Gebäudeecken.

»Das war also der Orkan, von dem meine Frau am Telefon gesprochen hat«, stellte Daniel fest, nachdem er die Nachrichten auf seinem Handy abgehört hatte. »Und deshalb werde ich auch dringend in der Klinik gebraucht.«

»Ist Ihrer Familie was passiert?«, fragte Ricarda, und ihre grünen Augen wurden kreisrund vor Schreck.

Trotz ihrer Lebhaftigkeit hatte sie etwas Rührendes an sich, und unwillkürlich musste Daniel lächeln.

»Bis auf ein kaputtes Fenster zu Hause glücklicherweise nicht. In der Praxis ist offenbar das Dach kaputt, und meine Freundin und Kollegin Jenny Behnisch bittet mich um Hilfe. Sie betreibt eine renommierte Privatklinik.« Unwillkürlich musste Daniel an Ricardas Bemerkung von vorhin denken. »Dieses Krankenhaus ist zwar viel kleiner als die Londoner Bridge-Klinik, ihr aber durchaus ebenbürtig. Die Behnisch-Klinik ist weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt für ihre ausgezeichnete Versorgung. Qualifizierte Fachkräfte wie Sie werden dort übrigens immer gesucht. Melden Sie sich, wenn ich ein gutes Wort für Sie einlegen soll.« Er nestelte eine Visitenkarte aus der Jackentasche und reichte sie der Krankenschwester.

Lächelnd revanchierte sich Ricarda mit der Karte ihres Freundes.

»Und das hier ist die Adresse von Sebastian. Er ist spezialisiert auf Dachschäden.« Sie lachte herzlich über ihren eigenen Scherz. »Bestimmt hat er in nächster Zeit viel zu tun. Aber wenn Sie sagen, dass Sie mich kennen, bekommen Sie sofort einen Termin. Versprochen!«

»Vielen Dank!« Erfreut steckte Daniel die Karte ein. Dann wurde es Zeit für den Abschied. »Dann wünsche ich dem jungen Glück alles Gute! Ich drücke Ihnen die Daumen.«

Ricarda winkte ihm und machte sich auf den Weg zum nächsten Taxi, das hinter seinem parkte. Daniel konnte beobachten, wie sie die Beifahrertür öffnete, sich zum Fahrer beugte und ihn mit einem Redeschwall übergoss.

Lächelnd wandte er sich ab und stieg in sein Taxi. Schon jetzt wusste er, dass er diesen Sebastian Hühn auf jeden Fall anrufen würde. Natürlich würde das in erster Linie deshalb geschehen, weil er die Dienste des Handwerkers in Anspruch nehmen musste. Aber wenn er dabei erfuhr, wie die Geschichte zwischen der Krankenschwester und dem Dachdecker weiterging, hatte er auch nichts dagegen.

*

»Sie wollen in diesem Zustand in die Klinik gehen?«, erkundigte sich die Haushälterin der Familie Norden unwillig und musterte ihre Chefin Felicitas unwillig. Dabei schüttelte sie den Kopf. »Kein Mensch hat was davon, wenn Sie vor Schwäche zusammenbrechen. Mal abgesehen davon, dass Sie die Patienten anstecken könnten«, versuchte sie, Fee mit vernünftigen Argumenten davon abzuhalten, das Haus zu verlassen.

Doch die Ärztin dachte gar nicht daran, Jenny Behnischs Hilferuf zu ignorieren.

»Das klingt ja so, als wäre ich halb tot«, verteidigte sie sich, während sie in eine Jacke schlüpfte. »Ich habe nur eine kleine Erkältung, mehr nicht. Falls es Sie beruhigt: Ich binde mir einen Mundschutz um und helfe nur dort, wo ich nicht unmittelbar mit Patienten in Berührung komme.« Aus Erfahrung wusste Fee, dass in solchen Notlagen jede helfende Hand gebraucht wurde. Und wenn sie nur Betten schieben oder Verbandmaterial auffüllen konnte, so war das immer noch besser, als tatenlos zu Hause herum zu sitzen.

Auf dem Weg in den Flur rief Fee nach ihrem zweitältesten Sohn.

»Felix!« Sie wartete, bis er oben am Treppenabsatz auftauchte. »Ich versuche, irgendwie in die Klinik zu kommen. Kümmerst du dich bitte inzwischen ein bisschen um Lenni und hilfst ihr beim Aufräumen?« Ihr Blick wanderte über die Scherben im Wohnzimmer. Ein großer Ast lag mitten auf dem Teppich.

»Ich brauch keinen Babysitter!«, schimpfte Lenni in ihrer Sorge um Fee ungehalten. »Mir wäre es lieber, Felix würde Sie begleiten und darauf aufpassen, dass Sie sich nicht übernehmen.« Sie hatte die Hände in die Hüften gestützt und machte ihrem Unmut lautstark Luft.

Doch die Ärztin winkte nur ungerührt ab.

»Ich hab doch schon mehr als einmal bewiesen, dass Unkraut nicht vergeht«, lächelte sie versöhnlich und griff nach ihrer Tasche. »Und bitte informiert mich, sobald ihr was von Dan hört. Sein Handy ist aus, und ich mach mir große Sorgen.« Obwohl sich Felicitas tatsächlich nicht so gut fühlte, wie sie vorgab, winkte sie zum Abschied und machte sich auf den Weg in die Behnisch-Klinik.

Lenni starrte ihr erbost nach.

»Warum ist diese Frau so stur?«

Diese Bemerkung brachte Felix zum Lachen.

»Was gibt’s denn da zu lachen?«, fragte die langjährige Haushälterin ungehalten. Immer noch grinsend legte Felix den Arm um ihre Schultern.

»Das fragen Sie noch?« Er drückte sie tröstend an sich. »Dabei dachte ich, dass gerade Sie diese Eigenart besonders gut verstehen können. Immerhin sind Sie ja selbst eine Frau.« Er hatte noch nicht, ausgesprochen, als er vorsichtshalber einen großen Schritt zur Seite machte, um Lennis gutmütigem Hieb auszuweichen.

Dabei entging ihm ihr Lächeln nicht und zufrieden damit, die Sorge wenigstens vorläufig aus ihrem Gesicht vertrieben zu haben, machte er sich auf den Weg, den Auftrag seiner Mutter auszuführen und darüber hinaus das klaffende Loch in der Scheibe mit Plastik abzukleben, um die unangenehme Kühle draußen zu halten.

*

»Ricarda!« Die Krankenschwester hörte ihren Namen, als sie gerade in das Taxi steigen wollte, und erkannte die Stimme sofort. Trotzdem wunderte sie sich.

Sie hatte Sebastian gebeten, nicht zum Flughafen zu kommen. Auf das erste Treffen nach so langer Zeit wollte sich die Krankenschwester in aller Ruhe vorbereiten. Ausgiebig baden, die widerspenstigen, rotblonden Haare zähmen, sich sorgfältig schminken und schick anziehen. Sebastian hatte ihr versprochen, ihren Wunsch zu respektieren. Deshalb hielt sie das Rufen für einen Irrtum.

»Ricarda! Nicht einsteigen! Ich bin hier, um dich abzuholen!«

Die Hand auf dem Türholm des Taxis drehte sie sich doch ungläubig um.

»Ist das …?«, stammelte sie. »Nein. Das kann nicht … das kann nicht sein.«

Doch es war wirklich Sebastian, der im Laufschritt und mit strahlendem Lächeln auf sie zu rannte. Augenblicklich zog sich Ricardas Herz zusammen.

Er sah herzergreifend gut aus. Sein welliges Haar war tiefschwarz und reichte ihm bis zu den Schultern. Seine seidige Haut hatte diesen italienischen Braunton, der in unwiderstehlichem Kontrast zu den tiefblauen Augen stand. Daran hatte sich in all den Jahren nichts geändert, und Ricarda konnte es kaum fassen, dass er wirklich vor ihr stand. Schlagartig wurde ihr bewusst, dass sie im Gegensatz zu ihm wie eine Vogelscheuche aussehen musste.

»Was machst du hier?«, fragte sie deshalb schroffer als beabsichtigt, als er sie ohne Umschweife in die starken Arme zog.

So dicht an seiner Brust konnte sie sein Herz schlagen fühlen.

»Gott sei Dank!«, raunte er ihr heiser ins Ohr. »Ich hatte solche Angst um dich. Geht’s dir gut?«

»Aber Basti, was machst du hier?«, wiederholte Ricarda ihre Frage. »Du weißt doch, dass ich erst ins Hotel gehen wollte.«

»Nicht böse sein. Aber ich konnte nicht anders.« Noch immer hielt er sie so fest, als wollte er sie nie mehr loslassen. »Als der Sturm losgebrochen ist, habe ich am Flughafen angerufen, um zu erfahren, ob alles in Ordnung ist. Sie haben mir gesagt, dass ihr in Turbulenzen geraten seid. Da konnte ich nicht anders und musste einfach herkommen.« Endlich löste er sich von ihr und schob sie ein Stück von sich, um sie zu betrachten. Sein Blick fühlte sich an wie ein Streicheln auf der Haut, und ein Schauer rann über Ricardas Rücken. »Ricky, ich habe die Rettungswagen hier am Flughafen gesehen. Und dann konnte ich dich nirgends entdecken. Es war schrecklich. Wenn dir was passiert wäre … Das hätte ich mir nie verzeihen können. Schließlich bist du ja nur wegen mir hierher geflogen.« Erst jetzt erkannte Ricarda die Spuren der ausgestandenen Angst auf seinem Gesicht, und vor Rührung zog sich ihr Herz schmerzhaft zusammen.

»Jetzt musst du keine Angst mehr haben, Basti. Mir geht’s gut. Aber es war wirklich schlimm und es hat eine Weile gedauert, bis ich mich wieder beruhigt habe. Zum Glück ist neben mir ein ganz netter Arzt gesessen. Er heißt Daniel Norden und hat einen Dachschaden …« Lachend hielt Ricarda inne. »Ich meine natürlich, dass der Sturm einen Schaden an seinem Praxis-Dach verursacht hat. Deshalb hab ich ihm deine Karte gegeben. Er wird sich mit dir in Verbindung setzen. Du musst ihm unbedingt helfen. Wenn er nicht gewesen wäre, wäre ich vor Angst gestorben. Er hat mir quasi das Leben gerettet«, purzelten die Worte nur so aus ihrem Mund.

Kopfschüttelnd lauschte Sebastian ihrer wortreichen Erklärung.

»Immer noch dieselbe Plaudertasche wie früher«, bemerkte er amüsiert, und Ricarda erschrak.

»Herrje, darüber hast du dich ja damals schon lustig gemacht«, erinnerte sie sich schlagartig an die Vergangenheit.

Doch Sebastian beruhigte sie sofort wieder.

»Keine Sorge. Damals war ich ein dummer Junge und wusste nicht, wie schön es ist, wenn ein Mensch so lebendig und fröhlich ist wie du. Wenn jemand etwas zu sagen hat. Und wenn es dann noch auf so charmante Art und Weise passiert, ist das umwerfend.« Er machte eine Pause und betrachtete sie zärtlich. »Außerdem gibt es da ein probates Mittel, dich zum Schweigen zu bringen«, erklärte er und schloss sie wieder in seine Arme. Ohne sie aus den Augen zu lassen, zog er sie zu sich. Ricarda bekam Herzklopfen, und als sich ihre Lippen berührten, war sie wieder einer Ohnmacht nahe. Diese Küsse waren es gewesen, nach denen sie so lange gesucht hatte. Nach Sebastian hatte sie kein Mann mehr so berührt …

»Oh, Basti, ich kann es gar nicht glauben«, stammelte sie, als sie sich nach einer gefühlten Ewigkeit voneinander lösten. Es kam selten vor, dass ihr die Worte fehlten. Doch Sebastian hatte es ihm Handumdrehen geschafft, ihr den Verstand zu rauben. »Das ist …, das ist …«

»Was denn?«, gab er heiser zurück und strich ihr eine wirre, krause Strähne aus dem Gesicht. »Was kannst du nicht glauben?«

Dr. Norden Classic 39 – Arztroman

Подняться наверх