Читать книгу Dr. Norden Bestseller 340 – Arztroman - Patricia Vandenberg - Страница 3

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Dr. Daniel Norden hörte schon das Telefon läuten, bevor er seine Praxis betrat. Es schien wieder mal ein heißer Tag zu werden, und die letzten drei hatten es auch schon in sich gehabt, daß er sich nach einer Verschnaufpause sehnte.

Dorthe Harling saß schon am Telefon, blickte zu ihm und sagte: »Jetzt kommt er gerade, Frau Borg, Sie können ihn selbst spre­chen. Bitte, noch einen Augen­blick Geduld.«

Sie stellte schon durch und sagte dann: »Es scheint dringend zu sein, wenn Frau Borg so schnell ei­nen Termin haben will. Und natür­lich wird Diskretion erwartet.«

Dr. Norden kannte Pamela Borg recht gut. Sie war eigentlich nie krank, hatte aber öfter mal ei­ne Verletzung, und außerdem war die weltgewandte Reporterin eine gute Bekannte von Katja und Da­vid Delorme, die zur engsten Fami­lie der Nordens gehörten.

Wenn es bei Pamela Borg drin­gend war, konnte man sich darauf verlassen, daß es sich nicht um Ge­schwätz handeln würde, denn sie hatte für solches nie Zeit. Sie war eine sehr clevere Reporterin, dau­ernd unterwegs und ständig in Zeitnot.

Dr. Norden griff in seinem Sprechzimmer zum Telefon und meldete sich.

»Wann kann ich Sie sprechen, Doc?« fragte sie. »Es eilt, weil ich mittags nach Rom fliegen muß, und es ist wirklich sehr dringend.«

»Dann kommen Sie gleich, ich richte es ein.«

»Sie sind ein wahrer Schatz«, sagte Pamela, »vielen Dank.«

Was mag sie auf dem Herzen haben, dachte Daniel Norden, denn er kannte Pamela Borg als ei­ne sehr selbständige Frau, die mit ihren Problemen sehr gut allein fertig wurde.

Das Wartezimmer hatte sich gleich gefüllt, aber als Pamela kam, konnte er es so einrichten, daß sie nicht zu warten brauchte.

Sie war eine Persönlichkeit, die nicht einfach nur daherkam. Es war ein Auftritt, ohne daß sie ihn beabsichtigte.

Dabei war sie knapp mittelgroß, schlank, aber wohlproportioniert, mit einem herben Gesicht, das von großen, weit geschnittenen grüngrauen Augen beherrscht wurde. Eine kurze, gerade Nase, ein schöner Mund, gaben diesem Gesicht einen ganz besonderen Reiz. Sie hatte eine moderne Kurzhaarfrisur, die keck wirkte, aber so gut zu dem Gesamtbild paßte, daß der Anblick alles in allem, mit der lässig-sportlichen Kleidung, das beeindruckende Bild einer modernen, selbstbewußten, jungen Frau vermittelte.

»Ich fasse mich kurz, Ihre Zeit ist noch kostbarer als meine«, sagte sie. »Ich möchte Sie fragen, ob Sie wissen, wo Nadine Castello sich aufhält. Ich weiß, daß sie eine Patientin von Ihnen war und Sie überaus schätzt.«

»Nadine Castello?« widerholte Daniel verblüfft. »Soviel mir bekannt ist, ging sie nach Paris. Ich habe seither nichts mehr von ihr gehört.«

»Können Sie sich erinnern, wann sie nach Paris ging?«

»Genau nicht. Es ist mehr als zwei Jahre her, aber Dorthe kann in der Kartei nachschauen. Darf ich wissen, worum es geht?«

»Sie dürfen es wissen«, erwiderte sie betont. »Es geht um Raimondo Castello und noch um ein paar andere Männer, über die ich recherchiere. Es ist vielleicht ganz gut, daß Sie es wissen, denn unter Umständen könnte ich da auf der Strecke bleiben, aber bisher hat noch niemand eine Ahnung, was mir zufällig zu Ohren kam. Leider geht es dabei auch mit um meine Schwester Janet, die aber auch ahnungslos ist. Wenn ich Nadine Castello finden könnte, würde ich rascher weiterkommen.«

»Sie schrieb mal aus Paris, aber soweit ich mich erinnere, war es keine Adresse. Fragen Sie Dorthe, sie kannte Nadine recht gut.«

»Und Sie merken sich den Namen Castello, wenn mir etwas passieren sollte?«

»Guter Gott, sagen Sie doch, was Sie fürchten, Frau Borg.«

»Es geht um einen Millionenbetrug, und der muß so raffiniert abgewickelt worden sein, daß man an die Hintermänner gar nicht herankommt.«

»Und einer davon ist Raimondo Castello?«

»Ich kann es noch nicht beweisen, aber ich hörte, daß seine Frau sich von ihm trennte, als sie schwanger war, und sich scheiden ließ.«

»Sie war schwanger«, sagte Dr. Norden, »aber ich wußte nicht, daß sie sich scheiden lassen wollte. Woher wissen Sie es?«

»Von ihrer Mutter. Sie erzählte mir kurz vor ihrem Tod eine denkwürdige Geschichte. Und neugierig wie ich bin, begann ich zu recherchieren. Mehr kann ich momentan nicht sagen. Aber es hat in jüngster Zeit ein paar Todesfälle von prominenten Leuten gegeben, Bankier Bruns, Anlageberater Stavros, vielleicht merken Sie sich auch diese Namen. Stavros war doch auch mal Ihr Patient?«

»Vor nicht allzulanger Zeit, aber ich hatte keine Ahnung, daß er tot ist.«

»Er ertrank in der Karibik bei einem Bootsunfall. Es ist hier noch nicht bekannt. Er lebte ja schon eine Zeit auf den Bahamas.«

»Sie wissen viel«, sagte Dr. Norden staunend.

»Noch viel zuwenig. Und beweisen kann ich noch gar nichts.«

»Und was möchten Sie beweisen?« fragte er nachdenklich.

»Ich möchte vor allem verhindern, daß gutgläubige Menschen betrogen werden, und daß Unschuldige auf der Strecke bleiben, womit ich aber nicht sagen will, daß Stavros ein Unschuldslamm war. Sie haben bei ihm hoffentlich kein Geld angelegt.«

Daniel lachte auf. »Ich lege jeden Pfennig, den wir entbehren können, auf der Insel der Hoffnung an, aber wenn man fünf Kinder hat, bleibt nicht viel übrig.«

»Aber viele wollen ihr sauerverdientes Geld gut anlegen, um ihrer Familie Sicherheit zu verschaffen, und dann bleibt nichts«, sagte Pamela tonlos. »Ich habe jetzt schon ein bißchen viel gesagt, aber an Sie wird auch viel herangetragen, und wenn Sie etwas hören über jene Leute, deren Namen ich erwähnte, könnten Sie mir sehr helfen, wenn Sie mir Mitteilung machen würden.«

Er sah sie ernst an. »Seien Sie vorsichtig, Frau Borg, ich weiß, daß es auch hier eine Mafia gibt. Denken Sie mal an die Überfälle auf die Restaurants, an die sogenannten Schutzgelder, die verlangt werden. Ein paar Opfer aus der Umgebung mußte ich schon verarzten, und ich kann mir vorstellen, daß sie in der Angst leben, es könnte ihnen nochmals so ergehen.«

»Wenn ich Angst hätte, könnte ich meinen Beruf an den Nagel hängen, Doc, aber ich liebe meinen Beruf.«

»Und es gibt immer noch keinen Mann?«

Sie warf ihm einen schrägen Blick zu. »Sie sind ja leider verheiratet, und ich habe noch keinen kennengelernt, der so viel Charakter hat wie Sie.«

Sie sagte wenigstens nicht, der so aussieht wie Sie, aber Dr. Norden wußte auch, daß sie auch nicht den kleinsten Annäherungsversuch mit solchen Worten machen wollte. Sie hatte auch Charakter. Aber er konnte sich vorstellen, daß mancher Mann an ihr auch ganz persönlich interessiert war.

»Lassen Sie mich bitte wissen, wie Ihre Recherchen weitergehen«, sagte er, als sie sich verabschiedete.

»Vielleicht erfahren Sie es aus der Zeitung«, sagte sie lässig, »aber die Namen, die ich nannte, sollten Sie sich merken.«

»Sind notiert, und außerdem habe ich für Besonderheiten ein gutes Gedächtnis. Und Sie können Dorthe gern noch fragen, ob sie etwas über Nadine Castello weiß.«

Dorthe konnte nur sagen, daß Nadine nicht lange in Paris gelebt hatte. »Sie hat mich mal angerufen und mir gesagt, daß sie einen ganz süßen Sohn hätte, und ob Castello sich nach ihr erkundigt hätte. Anscheinend hatte sie Angst, daß er sie finden könnte. Sie hat mir auch nicht gesagt, wo sie lebt. Aber es könnte sein, daß sie nach Südafrika gegangen ist. Sie wußte, daß ich dort gelebt habe und hat sich genau erkundigt, wie man sich da einstellen müsse. Ich hatte sie gewarnt, aber es kann ja sein, daß sie einen neuen Partner gefunden hatte. Von Castello wollte sie jedenfalls nichts mehr wissen.«

»Wissen Sie, warum Sie sich scheiden ließ?«

»Sie hat nicht viel darüber gesagt, aber sie hat ihn wohl nicht richtig gekannt, als sie ihn geheiratet hat, und anscheinend ging es da wohl auch um den Besitz ihrer Eltern. Mehr kann ich nicht sagen. Nadine hat sich auch nicht klar ausgedrückt. Sie hat auf mich einen sehr verwirrten und unglücklichen Eindruck gemacht.«

»Ich wünschte, ich könnte mit ihr sprechen«, sagte Pamela.

Dorthe machte sich genauso viel Gedanken wie Dr. Norden, denn Pamela Borg hatte auf sie beide einen sehr verwirrten Eindruck gemacht.

Pamela war gleich von der Praxis aus zum Flughafen gefahren. Sie hatte nicht viel Gepäck. Ihre Reisetasche konnte sie gleich ins Flugzeug mitnehmen, so würde sie auch Zeit sparen bei der Zollabfertigung nach der Landung.

Sie bemerkte in der Wartehalle einen Mann, der ab und zu verstohlen zu ihr herüberschaute. Er mochte Mitte Dreißig sein, und obgleich er ziemlich groß war, konnte man nichts Auffälliges an ihm feststellen, wenn man nicht eine so gute Beobachterin und Menschenkennerin war wie Pamela.

Der Mann war in ihren Augen ein typischer, weltfremder Intellektueller, ein Professorentyp, der mit seinen Gedanken nicht bei der Sache war, sondern über die Menschen hinwegschaute. Um so mehr irritierte es sie, als sein Blick dann voll den ihren traf und ihre vorgefaßte Meinung ganz schnell ins Wanken gebracht wurde, denn dieser Mann war ganz da und schien durch sie hindurchzuschauen.

Und dann saß er im Flugzeug auch noch neben ihr. Das konnte zwar nur Zufall sein, ihrer Meinung nach, aber er sagte gleich mit einer Selbstverständlichkeit, die sie noch mehr verwirrte: »Nett, daß wir uns einmal kennenlernen. Mein Name ist Kai Wallner.«

Pamela starrte ihn an. Er schien eine Reaktion von ihr zu erwarten und war sichtlich verunsichert, als sie nichts sagte.

»Mein Name sagt Ihnen nichts?« fragte er stockend.

»Bedauere, sollte ich ihn kennen?« fragte sie kühl.

Er wurde sehr verlegen. »Ich mußte annehmen, daß Sie informiert sind, Miß Borg.«

»Worüber sollte ich informiert sein?«

»Daß ich in der gleichen Angelegenheit wie Sie nach Rom fliege.«

»In welcher Angelegenheit meinen Sie?« fragte Pamela kühl.

Er war irritiert. War sie wirklich nicht informiert, oder war sie so mißtrauisch, daß sie sich hinter schweigende Abwehr verschanzte?

Aber auch er hegte jetzt Zweifel, daß er falsch informiert sein könnte.

»Ich möchte nicht aufdringlich sein, aber haben Sie Zimmer im Palace reserviert?«

Sie sah ihn jetzt nachdenklich an. Er war sympathisch und wirkte durchaus nicht wie ein Abenteurer, der es raffiniert anfing, Bekanntschaften zu machen.

»Und wenn es so wäre?« fragte sie ironisch.

»Vielleicht hat jemand die Reservierung für uns beide übernommen.«

»Conradi, mein Chef«, sagte sie beiläufig.

In seinen Augen blitzte es auf. »Hamburg – München – Paris – Zürich«, murmelte er.

»Wir werden wohl später noch Gelegenheit zu einer Unterhaltung haben«, sagte sie, als nun die Lunchwagen angerollt kamen.

Es gefiel ihr nicht, daß die hübsche Stewardeß diesen Kai Wallner gleich zweimal mit einem langen Blick bedachte, weil sofort ein neues Mißtrauen in ihr aufkam, aber dann regte sich auch schon ihr bereits berühmter Spürsinn, und sie nahm sich vor, an diese Bekanntschaft mit Wallner mit aller ihr zur Verfügung stehenden Raffinesse heranzugehen.

Sie schaute ziemlich lange zum Fenster hinaus, aber dann zuckte sie zusammen, als er sagte: »Janet ist auch in Rom.«

Ihr Kopf fuhr herum, sie sah ihn mit staunenden Augen an. »Sie kennen meine Schwester?«

»Ganz flüchtig, aber ich weiß, daß sie mit Reno Castello liiert ist.«

»Das ist nicht wahr«, widersprach Pamela heftig. »Sie ist seine Sekretärin.«

Er blieb ruhig. »Mich würde es freuen, wenn Sie recht hätten«, erwiderte er. »Meine Informationen lauten anders.«

»Kommen die alle von Conradi?«

»Nein, er tappt doch selbst im dunkeln. Wann haben Sie ihn gesprochen?«

»Gestern«, erwiderte sie zögernd.

»Er hat Sie heute morgen nicht mehr angerufen?«

»Ich war heute morgen anderweitig engagiert. Er konnte mich nicht erreichen.«

»Das erklärt manches. Er wird bestimmt mit Ihnen telefonieren, wenn wir in Rom sind.«

»Im Palace«, sagte sie spöttisch, »Sie und ich. Ich habe von Ihnen noch nie etwas gehört.«

»Ich habe von Ihnen um so mehr gelesen«, erwiderte er.

Pamela wurde tatsächlich verlegen, als er nun aufzuzählen begann, was er für Reportagen von ihr gelesen hatte.

»Und jetzt hängen Sie an einer ganz heißen Sache«, sagte er heiser, »genauer gesagt, wir beide. Aber Sie sollten besonders vorsichtig sein und auch auf Ihre Schwester achten.«

Pamelas Augenbrauen schoben sich zusammen. »Sagen Sie mir, was Sie wissen.«

»Sie sind sehr scharfsinnig, und vielleicht bin ich nicht richtig informiert.«

»Aber Sie vertrauen Conradi?«

»So ganz sicher bin ich mir da auch nicht. Sie kennen ihn sicher länger als ich. Und auch besser.«

»Jetzt fehlt nur noch, daß ich mit ihm auch intim sein soll«, platzte sie unwillig heraus. »Er übertreibt gern und oft, und ich verlasse mich lieber auf mich selbst, wenn ich eine interessante Spur habe.«

»Jedenfalls sind Sie auf einer ganz heißen, und Sie sollten ein Hilfsangebot zu gegebener Zeit nicht ablehnen.«

Sie versank wieder in Schweigen. Ihr Beruf brachte es mit sich, daß sie sich auf sich selbst verließ, denn eine gute Story wurde von anderen sofort aufgegriffen. Sie war nicht nur Männern gegenüber mißtrauisch, sondern auch Frauen, aber ihre Schwester Janet war in ihren Augen ein ganz unschuldiges Lämmchen. Reno Castello galt als seriöser Geschäftsmann, und es bestand anscheinend keine Beziehung zu seinem zwielichtigen Bruder Raimondo, aber insgeheim hoffte Pamela doch, über Janet mehr über die angeblich feindlichen Castello-Brüder zu erfahren.

Nachdem sie eine Weile überlegt hatte, gestand sie sich ein, daß Kai Wallner sie bereits verunsichert hatte, und das gefiel ihr gar nicht.

Als sie zu ihm hinüberblickte, hatte er die Augen geschlossen, aber sein Gesicht hatte einen grüblerischen Ausdruck. Kann man ihm trauen, kann man sich auf ihn verlassen, fragte sie sich. Ihr Gefühl sagte ja, ihr Verstand warnte sie, da es ihr jetzt ganz bewußt war, daß sie sich da in eine brisante Sache verstrickt hatte.

Aber wer konnte denn davon schon wissen? Conradi mochte etwas ahnen, weil er ja ein Fuchs war, aber worauf sie hinauswollte, hatte sie ihm auch nicht gesagt. Es war ihr durchaus bewußt, daß ein paar Leute sie gern mundtot machen wollten, wenn sie ihr auf die Schliche kamen.

*

Als Dr. Norden seine Sprechstunde beendet hatte, gab er Dorthe den Zettel, auf den er die Namen notiert hatte, die ihm Pamela genannt hatte.

»Bewahren Sie die so auf, daß wir nicht lange suchen müßten, falls Frau Borg irgendwie Hilfe brauchen sollte«, sagte er, »aber sonst wird Stillschweigen über sie bewahrt.«

»Ist doch selbstverständlich«, erwiderte Dorthe. »Ich gebe am Telefon niemals Auskünfte.«

»Es könnte ja auch jemand hier erscheinen und sich als guter Freund ausgeben. Ich habe ein dummes Gefühl, wenn ich auch keine Erklärung dafür habe.«

»Pamela Borg lebt gefährlich, das ist bekannt. Sie haben schon viele auf dem Kieker. Manchmal sind ihre Unternehmungen auch geradezu tollkühn. Wenn ich an den Entführungsfall Dörmer denke, bei dem sie ja schneller Hinweise auf die Täter fand als die Polizei, und dann auch die Reportage über die Autoschieberbande, sie fürchtet sich vor nichts.«

»Eine erstaunliche Frau, und wer würde es ihr schon zutrauen, wenn sie so damenhaft auftritt.«

»Vielleicht ist das ihre beste Waffe. Man traut es ihr nicht zu, daß sie so viel Mut hat.«

Dorthe heftete den Zettel an Pamelas Karteikarte. »Da geht er nicht verloren«, stellte sie fest, »aber jetzt wartet das Mittagessen, Chef.«

»Und mit wem essen Sie, solange Franzi noch im Urlaub ist?«

»Ich specke ab.«

Er lachte auf. »Weil Sie es nötig haben«, scherzte er.

»Drei Kilo zuviel, und deshalb wird der Rockbund zu eng.«

»Ich kann das nicht feststellen. Sie sehen blendend aus, Dorthe.«

»Danke vielmals, mir geht es auch gut, aber dennoch müssen ein paar Kilo runter.«

»Aber nicht so viel, daß Sie umfallen, Dorthe.«

Sie schaute ihm nach. Sie hatte keinen Appetit. Sie dachte an Pamela Borg und verspürte Unruhe. Sie mochte diese mutige und intelligente junge Frau sehr, und sie wußte auch, daß Pamela sich schon oftmals in Gefahr begeben hatte, um der Gerechtigkeit zu dienen. Pamela scheute sich auch nicht, öffentlich ihre Meinung kundzutun, wenn es darum ging, Mißstände anzuprangern, und Dorthe wurmte es mächtig, wenn Vergehen mit zweierlei Maß gemessen wurden, wenn es auf der einen Seite um prominente Leute ging, auf der anderen aber um solche, die sich keinen teuren Anwalt leisten konnten und manchmal sogar ohne eigenes Verschulden in eine mißliche Situation geraten waren.

Sie nahm noch mal Pamelas Karte heraus und betrachtete den Zettel mit den drei Namen, die sie sich gleich einprägte. Dann suchte sie die Karte von Nadine Castello, die mit Blutergüssen am Körper in die Praxis gekommen war. Dr. Norden stellte dann

auch noch fest, daß sie schwanger

war.

Das lag mehr als zwei Jahre zurück, und das Kind mußte jetzt fast zwei Jahre alt sein. Aber wo Nadine Castello jetzt lebte, wußte sie wirklich nicht.

*

Daniel Norden hatte keine Zeit, mit seiner Frau über Pamela zu sprechen, denn die Kinder hielten ihn in Atem. Die drei »Großen« waren im neuen Schuljahr eine Klasse aufgerückt und hatten neue Lehrer.

Anneka war zufrieden, ihre Brüder Danny und Felix hatten schon manches zu bemängeln.

Die Zwillinge Jan und Desiree wollten auch zu ihrem Recht kommen beim Papi und sagten: »Schule doof!«

Das hatten sie freilich von ihren großen Brüdern, denn gerade das, was sie nicht sagen sollten, plapperten sie ganz rasch nach. Aber sie waren dabei so putzig, daß man auch noch über sie lachen mußte.

»Da ist ein Brief für dich gekommen, Daniel«, sagte Fee, »sieht sehr persönlich aus. Eine Frauenhandschrift.«

»Von wem?«

»Weiß ich nicht. Ich wollte ihn lieber nicht lesen.«

»Ich habe keine Geheimnisse vor dir, das weißt du doch. Du kannst ihn ruhig lesen. Ich habe jetzt keine Zeit mehr. Heute abend kann ich dir allerhand erzählen.«

»Dann lies den Brief, und erzähle mir, was drin steht.«

»Schatz, sei doch nicht komisch, du wirst mir doch nicht mißtrauen.«

Er lachte herzlich auf, aber Fee blieb ernst. »Es gibt manches, was man nur einem bestimmten Menschen anvertrauen mag. Wenn du darüber reden willst, ist es mir recht, aber ich vertraue dir so sehr, daß ich wirklich nicht alles zu wissen brauche, was an dich herangetragen wird. Der Brief ist an die Praxis adressiert und wohl versehentlich hierher gebracht worden.«

»Was doch aber öfter passiert, Fee. Nun, wie du willst, ich werde ihn lesen, wenn ich Zeit habe.«

Er küßte sie zärtlich, und Fee brachte ihn zum Wagen. »Paß auf dich auf, mein Schatz«, sagte sie betont.

»Heute bist du wirklich ein bißchen komisch«, stellte er fest und küßte sie nochmals auf die Nasenspitze.

Er hatte den Brief in die Jackentasche gesteckt, ihn aber vergessen, weil er in der Praxis gleich erwartet wurde. Die kleine Mertens war mit dem Rad gestürzt, und sie sah zum Fürchten aus. Ihre aufgeregte Mutter war völlig außer Atem.

»Sie will ja zu keinem andern Arzt, Herr Doktor«, sagte sie, »und außerdem war auch keiner zu erreichen.«

»Ist schon gut, Frau Mertens. Wir wollen mal sehen, was da alles kaputt ist.«

»Viel«, sagte Nina. »Tut schon weh, war aber selber schuld, nicht der Fridolin.«

»Wer ist Fridolin?« fragte Dr. Norden.

»Der Hund von einer Bekannten«, erklärte Senta Mertens. »Er läuft Nina immer nach, und wahrscheinlich wollte sie ihn nicht anfahren.«

»Stimmt doch gar nicht, Mami«, sagte Nina. »Ich bin durch den Park gefahren und habe nicht aufgepaßt, weil andere Kinder Ball gespielt haben.«

»Jedenfalls kann sie denken und reden, und das ist wichtig.«

»Aber wie sie aussieht«, stöhnte Senta Mertens, »und wir wollen am Wochenende zu den Großeltern fahren!«

»Bis dahin ist alles wieder gut«, erklärte Nina kategorisch, »daß du dich immer so aufregen mußt! Ist doch bloß ein Zahn raus, und der hat sowieso gewackelt.«

»Sie haben eine sportliche Tochter, Frau Mertens«, sagte Dr. Norden lächelnd. »Keine Spur wehleidig.«

»Aber vorhin hat sie gebrüllt«, erklärte Frau Mertens leicht beleidigt.

»Das war der Schock, und es ist gut, wenn die Kinder ihn herausschreien«, erklärte er.

»Siehst du, der Doktor weiß es«, sagte Nina triumphierend. »Und er macht alles ganz toll, da tut gar nichts weh.«

Nun lächelte Frau Mertens auch. »Ich bin ja so froh, daß wir Sie haben, Herr Doktor. Es wird schlimm werden, wenn wir wegziehen bis ans andere Ende der Stadt.«

»Es gibt überall gute Ärzte, Frau Mertens, wann ist es denn soweit?«

»Im Frühjahr. Für meinen Mann ist es dann bequemer, und für die Kinder ist es besser, wenn man ein eigenes Haus hat, wo man nicht immer mahnen muß.«

»Dann brauche ich auch nicht alles gleich wegzuräumen«, sagte Nina.

»Na, darüber reden wir noch«, sagte ihre Mutter energisch. »Auf den Mund gefallen ist sie wirklich nicht.«

»Seien Sie froh, daß Nina so ist, Frau Mertens. Es gibt Kinder, die ihren Eltern ganz andere Sorgen bereiten.«

»Wir sind ja auch zufrieden, aber andere meckern halt so oft über ›diese Jugend‹.«

»Omi sagt aber, daß sie auch nicht anders waren. Die meisten täten es nur vergessen«, gab Nina ihren Kommentar dazu.

So verschwollen und zerkratzt ihr niedliches Gesichtchen auch war, sie konnte schon wieder lächeln, und es machte ihr auch nichts aus, daß Dr. Norden die Wunde an der Stirn klammern mußte.

So hatte der Nachmittag begonnen, und es war dann so viel zu tun, daß Daniel Norden den Brief ganz vergessen hatte. Fee erinnerte ihn wieder daran, als er heimkam. Da war es auch schon acht Uhr, weil er noch einige Hausbesuche hatte machen müssen.

Sie fiel nicht mit der Tür ins Haus, so neugierig sie auch war. Sie ließ ihn erst in Ruhe essen, nachdem er den Kindern gute Nacht gesagt hatte.

Aber dann fragte sie doch, von wem der Brief sei. »Welcher Brief?« fragte er.

»Liebe Güte, du hast ihn doch mitgenommen und wolltest ihn lesen.«

»Du hast ihn mir aufgedrängt«, meinte er schmunzelnd, »und du wüßtest längst, von wem er ist, wenn du ihn gelesen hättest. Ich hatte ihn schon wieder vergessen.«

»Und wo ist er, Daniel?«

»Sicher noch in meiner Jackentasche.«

»Es könnte doch auch was Wichtiges sein«, meinte Fee vorwurfsvoll. Sie hatte sich schon erhoben, um ihn zu holen.

»Für wichtige Dinge gibt es Telefon, aber nun werde ich es ja gleich wissen, mein Schatz. Du siehst, daß ich vor dir nun mal keine Geheimnisse habe und kein schlechtes Gewissen zu haben brauche.«

Es war ein Brief, dessen Inhalt beide erschüttern sollte, obgleich sie erst überlegen mußten, um wen es sich bei der Schreiberin handelte. Geraldine Bollmann?

Daniel schaute Fee fragend an.

»Jerry?« sagte sie nachdenklich, »Jerry Kayser? Sie muß es sein. Großer Gott.«

Lieber Daniel, endlich habe ich den Mut, Dir zu schreiben. Du wirst Dich wahrscheinlich kaum noch an mich erinnern, und da ich keinerlei Verbindung zur Heimat hatte, weiß ich nicht, wie Deine Ehe verlaufen ist. Deine Adresse habe ich aus dem Telefonbuch, denn seit zwei Wochen bin ich in Wiesbaden und nach langen ereignisreichen Jahren zurück aus Kanada. Vielleicht erinnerst Du Dich doch noch, daß ich Heiner Bollmann ziemlich überstürzt geheiratet habe, weil er mich mitnehmen wollte nach Kanada.

Bis dahin hatte Fee ihrem Mann vorgelesen, dann blickte sie auf.

»Erinnerst du dich jetzt, Daniel?« fragte sie. »Jerry Kayser, die Lottomillionärin. Jedenfalls eine gute Partie.«

»Jetzt werde ich aber auch neugierig, was sie eigentlich von mir will. Lies weiter, Schatz.«

Ich ging mit, weil ich schwanger war, und er nahm mich mit, weil ich plötzlich Geld hatte, aber das ist mir erst später klar geworden. Fee hat mal zu mir gesagt, daß ich zu naiv sei. Sie hat gewußt, daß ich in Dich verliebt war.

Fee hielt wieder inne. »Kann mich nicht erinnern«, murmelte sie, »wußtest du es, Daniel?«

Er lächelte flüchtig. »Bevor ich dein endgültiges Jawort bekam, hatte ich mich mancher Versuchung zu erwehren«, erklärte er anzüglich, »aber ich war ja nur auf dich fixiert, und so scheine ich besagte Jerry auch nur vage zur Kenntnis genommen zu haben. Was will sie denn eigentlich?«

Fee hatte die nächsten Zeilen schon überflogen und ihr Gesicht war sehr ernst geworden.

»Sie braucht Hilfe, Schatz, das ist ein Notschrei.«

Meine Ehe wurde die Hölle. Mein einziger Trost war mein Kind. Daniela ist jetzt zwölf Jahre alt. Ich bekam noch einen Sohn, er wäre jetzt acht Jahre, aber er starb durch Heiners Verschulden. Seit dieser tragischen Begebenheit, die jetzt sechs Jahre zurückliegt, wurde es immer schlimmer mit Heiner. Er schlug mich, quälte mich, so daß ich mich nicht mehr unter Menschen wagte. Bei andern war er so beliebt, daß ihm auch geglaubt wurde, ich sei nicht ganz zurechnungsfähig. Mich von ihm zu trennen war unmöglich, dann wäre meine Tochter ihm ganz ausgeliefert gewesen. Geschäftlich war er erfolgreich, mit meinem Geld, aber ich habe nichts davon. Nun aber bekam ich die Nachricht, daß mein Vater, der zum zweiten Mal verheiratet und wieder geschieden war, mich als Alleinerbin eingesetzt hat. Er ist vor acht Wochen gestorben, und ich durfte deshalb nach Deutschland fliegen. Als Faustpfand behielt er Daniela zurück. Er ist auch überzeugt, daß ich zurückkommen werde, um sie nicht zu verlieren, und er wird auch das Erbe meines Vaters an sich reißen.

Ich habe niemanden, den ich um Rat fragen kann, der mich von früher kennt und mir Glauben schenken würde. Geblieben bist nur Du, und ich weiß, daß Du ein kluger und grundanständiger Mann bist und dazu auch Arzt. Du würdest mir sehr helfen, wenn ich Dich aufsuchen dürfte, damit Du Dich überzeugen kannst, daß ich keine Lügenmärchen schreibe. Und vielleicht kannst Du mir einen Anwalt vermitteln, der mir weiterhelfen kann. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich bin verzweifelt, obgleich ich nun wieder über ein Vermögen verfügen kann. Ich möchte meine Tochter nicht verlieren, ich möchte sie auch nicht diesem grausamen Vater überlassen, sonst hätte ich meinem Leben längst ein Ende bereitet. Bitte, hilf mir, Daniel. Ich bin in Wiesbaden unter der angegebenen Telefonnummer zu erreichen.

Fee ließ den Brief sinken. Daniel starrte vor sich hin. »Um eine alte Bekanntschaft auffrischen zu wollen, wäre da wohl doch zu dick aufgetragen«, sagte er sinnend.

»Sie braucht Hilfe«, sagte Fee. »Ruf sie an.«

»Jetzt gleich? Es ist schon spät.«

»Vielleicht wartet sie schon den ganzen Tag.«

»Ich kann mich nicht mal erinnern, wie sie ausgesehen hat«, brummte er, aber er ging zum Telefon.

Bedächtig wählte er die Nummer, und Fee ließ ihn nicht aus den Augen.

»Ja, hier spricht Daniel Norden. Frau Bollmann, früher Jerry Kayser? Fee hat sich erinnert, wir haben gerade deinen Brief gelesen. Das beste wird sein, du kommst her, dann können wir alles in Ruhe besprechen.«

Er redete noch tröstend auf sie ein, und dann setzte er sich mit ernster Miene wieder zu Fee.

»Sie ist fertig mit den Nerven, sie hat nur geschluchzt. Aber sie wird kommen.«

Fee verschlang die Hände ineinander. »Wie war ich eigentlich vor zwölf Jahren, Daniel?« fragte sie leise.

»Bezaubernd, umwerfend, und du bist es geblieben, du bist nur noch schöner, klüger und reifer geworden.«

»Ich bin eine glückliche Frau«, sagte sie träumerisch. »Ich habe dich ja auch nicht Hals über Kopf geheiratet.«

»Du hast mich ganz schön zappeln lassen«, stellte er fest. Dann legte er den Arm um sie. »Aber diese frühere Jerry Kayser ist heute eine ganz arme Haut, auch wenn sie wieder mal zu Geld gekommen ist.«

»Was muß das für ein Mann sein, der ihr das Geld und auch das Kind wegnimmt und sie dafür verprügelt«, sagte Fee nach einem kurzen Schweigen nachdenklich.

»Wahrscheinlich in gewisser Weise krankhaft veranlagt, sofern er nicht Alkoholiker ist.«

»Dann haben wir also wieder mal zwei Probleme.«

»Wieso zwei?« fragte Daniel.

»Zwei ganz grundverschiedene Frauen mit sehr unterschiedlichen Problemen«, erwiderte Fee. »Pamela Borg und Jerry Kayser.«

Daniel tippte sich auf die Stirn. »Und da fällt mir ein, daß Na­dine Castello erwähnte, sie hätte in Kanada eine Deutsche kennengelernt, die über mich gesprochen hätte, als München erwähnt wurde.«

Fee küßte ihn auf die Wange. »Manchmal hast du doch ein ganz gutes Gedächtnis«, meinte sie.

»Aber ich kann mich nicht erinnern, daß da der Name Bollmann oder Kayser erwähnt wurde.«

»Du mußt eben zu viele Namen im Kopf haben, mein Schatz.«

*

In Rom herrschte drückende Gewitterschwüle, und irgendwie war Pamela auch in solcher Stimmung.

Nach der Landung hatte sie es abgelehnt, mit Kai Wallner im gleichen Taxi zum Hotel zu fahren, und er hatte sich auch ihrem Argument gebeugt, als sie ganz kühl erklärte, daß er wohl auch interessiert sein dürfe, nicht mit ihr in einen engen Zusammenhang gebracht zu werden, falls sie beide an der gleichen zwielichtigen Affäre interessiert sein sollten. Falls es irgendwelche Berührungspunkte gäbe, könne man sich ja unauffällig im Hotel verständigen.

Sie wollte sich nicht in ihre Karten sehen lassen, obgleich sie schon einige Vorurteile gegen Kai abgebaut hatte, der einen so seriösen Eindruck auf sie machte, daß sie an ihrer Menschenkenntnis zweifeln würde, wenn er sich als Gegner erweisen sollte. Und Kai bewunderte mittlerweile schon ihre Vorsicht und Taktik.

Noch vom Airport aus hatte Pamela einige Anrufe getätigt, und Kai hatte aus Distanz beobachtet, ob sie dann von jemandem verfolgt würde. Er konnte nichts feststellen und bemerkte nicht, weil er nur auf Pamela achtete, daß er dann verfolgt wurde.

Im Hotel angekommen, verbrachte Pamela eine Stunde im Bad. Die Hitze machte ihr zu schaffen, was an sich ungewöhnlich war, denn sie war an schnellen Klimawechsel gewöhnt, und ihr Kreislauf hatte ihr noch nie Schwierigkeiten gemacht.

So gelangte sie zu der Erkenntnis, daß ihr diese Geschichte, in die sie sich eingelassen hatte, weit mehr zu schaffen machte, als je eine zuvor.

Es erfüllte sie auch mit Neugierde und Ungeduld, was Kai Wallner wirklich für eine Rolle spielte in diesem undurchsichtigen Geschehen.

Etwas war ihr nicht geheuer. Woher sollte Paul Conradi wissen, weshalb sie nach Rom geflogen war. Sie hatte zwar in der Redaktion kein Geheimnis daraus gemacht, daß sie nach Rom fliegen wollte, aber sie hatte niemandem gesagt, in welche Richtung ihre Recherchen gingen.

Conradi war Chefredakteur, sehr clever, und er scheute sich auch nicht, mit Kriminellen zu reden, wenn er bestimmte Informationen haben wollte. Als Krimiautor war er noch weitaus erfolgreicher, wenn dies auch nur wenigen bekannt war, da er ein Pseud­onym benutzte und auch mit seinen weltweiten Beziehungen keine Werbung für sich betrieb.

Flüchtig erinnerte sich Pamela, daß Paul sich ein paarmal mit Janet getroffen hatte, und daß Janet ihn als einen arroganten, kaltschnäuzigen Lümmel bezeichnet hatte.

Diese Meinung konnte Pamela nicht teilen. Es mochte sein, daß er mit Frauen nicht gerade sanft umsprang und daß man ihm das auch als Arroganz auslegen konnte, aber sie mochte solche Männer lieber als diese Schmuser, denen man nicht über den Weg trauen konnte. Aber Janet erkannte nicht, daß Paul Format hatte, sie war leicht zu täuschen. Und es wurde Pamela nun wieder siedendheiß, als ihr in den Sinn kam, daß Kai Wallner gesagt hatte, Janet sei mit Reno Castello liiert.

Sie trat ans Fenster, das noch feuchte Haar hing ihr ins Gesicht, und ein paar Tropfen rollten an der Scheibe herunter, als sie ihre Stirn an das Glas lehnte, das aber auch nicht kühl war.

Da läutete das Telefon. Sie konnte es nicht verhindern, daß ihre Hand leicht zitterte, als sie den Hörer aufnahm und sich meldete. Auch ihre Stimme klang belegt.

»Ich bin es, Paul«, sagte eine vertraute Stimme, »ich habe es vorhin schon mal versucht, Pam.«

»Ich war im Bad, es ist sehr schwül hier.«

»Es kann noch auf andere Weise schwül werden. Sei wachsam. Janet scheint sich da in eine gefährliche Situation hineinmanövriert zu haben, aber laß dir um Himmels willen nichts anmerken, wenn du sie triffst. Kai kannst du vertrauen. Er ist in jeder Beziehung verläßlich.«

»Warum hast du mich nicht ausreichend informiert?«

»Das kann ich auch jetzt nicht. Aber ich konnte dich vormittags nicht mehr erreichen. Eigentlich sollte ich dich warnen, Pam, aber da Kai mit von der Partie ist, bin ich halbwegs beruhigt.«

Trotz regte sich in ihr. »Ich brauche keinen Aufpasser, und was ich bisher getan habe, konnte ich auch ohne Hilfe zu Ende bringen.«

»Aber diesmal könnte es um Leben und Tod gehen, Pam, ich sage es dir eindringlich. Ein kleiner Fehler, und…« Plötzlich war die Leitung unterbrochen, und ebenso plötzlich kroch ein Frösteln durch Pamelas Körper. Sie kleidete sich an, um sich zum Hotelrestaurant zu begeben. Im Lift waren schon vier Leute, drei Männer und eine Frau. Sie schienen in bester Stimmung zu sein, und einer der Männer fragte Pamela auch gleich, ob man sie in die Bar einladen dürfe.

Danach stünde ihr nicht der Sinn, sie hätte etwas anderes vor, erklärte sie. Man nahm es zur Kenntnis und ließ sie in Ruhe.

Ich darf nicht gegen alle und jeden mißtrauisch sein, dachte sie. Und ich darf mich jetzt wirklich nicht kopfscheu machen lassen.

Als sie das Spezialitätenrestaurant betrat, wurde sie schon von dem Geschäftsführer erkannt, der sie sehr höflich begrüßte und sagte, daß es ihm eine ganz besondere Freude sei, sie wieder hier begrüßen zu dürfen. Leider könne er ihr aber nur einen Platz an einem kleinen Tisch anbieten.

»Das macht mir nichts aus. Mir ist nicht nach Gesellschaft«, erklärte sie.

»Aber einen Herrn müßten Sie akzeptieren, Signora«, erklärte er, und da war auch schon Kai Wallner aufgesprungen.

Es war seltsam, aber Pamela hatte es erwartet. Sie war nicht überrascht, sie hatte das Gefühl, daß sie mit diesem Mann, den sie bis zum heutigen Tag nicht kannte, durch eine Antenne verbunden war.

»Es ist Ihnen doch nicht unangenehm, Signora«, sagte er in bestem Italienisch und so deutlich, daß man ihn auch an den beiden Nebentischen verstehen konnte, und Pamela ahnte, daß er gehört werden wollte.

»Ich akzeptiere es, weil ich Hunger habe«, erwiderte sie auch auf Italienisch.

»Es ist sehr nett von Ihnen«, sagte er dann leiser.

Pamela folgte seinem Blick und sah zwei Männer, die halb links hinter ihnen saßen. Aber sie hatte so den Kopf gedreht, daß man meinen konnte, sie blicke auf ihre Handtasche, die sie neben sich auf den freien Stuhl gestellt hatte.

»Ich verstehe«, sagte sie leise. »Aber wir werden uns dem Essen widmen, das hier ausgezeichnet ist.«

Es war sogar excellent, und sie gingen dann auch noch in die Bar. Dorthin hatte Kai sie allerdings mit sanfter Gewalt dirigiert, aber als sie diese betrat, wußte Pamela, warum er es so gewollt hatte, denn sie sah ihre Schwester Janet in Gesellschaft von vier Männern und drei Frauen, und es war eine Janet, die Pamela völlig fremd war.

Dr. Norden Bestseller 340 – Arztroman

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