Читать книгу Familie Dr. Norden Classic 39 – Arztroman - Patricia Vandenberg - Страница 3

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Fee Norden hatte ihren Mann schon eine ganze Weile beobachtet, ohne etwas zu sagen. Sie wußte, daß es etwas zu bedeuten hatte, wenn er so schweigsam war und immer wieder hörbar seufzte.

»Nun red schon endlich und sag was dich bedrückt«, drängte sie, als er aufstand und zum Fenster ging.

»Schau dir diesen herrlichen Sternenhimmel an, Feelein, müssen wir uns da fragen, ob es irgendwo in der Galaxie Planeten gibt mit Lebewesen, die uns vernichten wollen?«

»Seit wann beschäftigt dich denn das?« fragte sie ganz erstaunt.

»Seit sich der Zustand von Romanus so verschlechtert hat. Ich mache mir Sorgen, daß sich sein Geist verwirrt.«

Erschrocken sah Fee ihn an. »Man sagt, daß Genie und Wahnsinn dicht zusammenliegen, ich halte ihn für ein Genie.«

»Nicht nur du, mein Schatz! Er ist ein Genie, aber er redet jetzt nur noch von einer Invasion aus dem Weltall, die ihm sein Doppelgänger bereits angekündigt hat.«

»Sein Doppelgänger?« fragte Fee konsterniert.

»Das ist ein Alien, er ist bereits hier und besucht ihn von Zeit zu Zeit. Er wolle eine friedliche Lösung, meint er, aber er hege seine Befürchtungen.«

»Das gibt aber sehr zu denken«, sagte Fee bestürzt. »Solltest du nicht lieber einen Psychiater hinzuziehen oder einen Neurologen?«

»Das würde möglicherweise alles noch verschlimmern. Abgesehen von diesen Psychosen ist er völlig normal. Manchmal habe ich das Gefühl, er will mich nur auf die Schippe nehmen oder einen Versuch machen, wie weit er mich von seinen Ideen überzeugen kann.«

»Laß das bloß die Kinder nicht hören, die reden auch manchmal solchen Unsinn. Es wird ja auch durch die Filme und die Spielzeugindustrie forciert. Ich finde das auch nicht lustig, aber wir können sie ja nicht zu Außenseitern werden lassen. Es gibt genug ernsthafte Wissenschaftler, die an intelligente Lebewesen in der Galaxie glauben. Wenn wir uns damit beschäftigen, machen wir uns auch noch verrückt. Glaubst du etwa, daß auch schon geklonte Menschen herumlaufen?«

Daniel seufzte wieder. »Manchmal denke ich, in der heutigen Zeit ist nichts mehr unmöglich. Dauernd gibt es irgendwelche Wundermittel, die den Alterungsprozeß aufhalten, andere, durch die man von einer Tonne zum Bleistift werden kann und so weiter. Zu mir kommen dann die, die so was nehmen und mir die Ohren volljammern, weil sie die Wechselwirkungen nicht verkraften! Aber selbstverständlich sind nicht die diversen Mittel daran schuld, sondern das Wetter, die Umwelt, der Streß und der Ärger, den man mit den lieben Mitmenschen hat.«

»Ich weiß, mein Schatz«, sagte Fee mitfühlend, »sonst noch was, was dir zu schaffen macht?«

Sie ahnte, daß da noch was war!

Daniel nickte. »Seiner Tochter wurde anheimgestellt, ihre Stellung in der Chirurgie aufzugeben und sich um ihren Vater zu kümmern. Ich kann mich über den Kollegen Dietrich nur wundern.«

Für ein paar Minuten war Fee sprachlos, dann sagte sie sehr ungehalten, daß Viktoria ihrem Chef wohl auf den Schlips getreten sei.

»Was wird sie tun?« fragte sie.

»Ich werde morgen mit ihr sprechen. Sie nimmt erst mal ihren Jahresurlaub, dann sehen wir weiter. Dieter würde sie gern nehmen, da es ihm zur Zeit nicht so gutgeht. Aber bitte nichts davon zu Jenny. Sie könnte sich erst an Vicky gewöhnen, bis Dieter mal Pause macht. Die muß sein, das habe ich ihm gesagt.«

»Dann redet doch mal darüber, ich kenne euch doch.«

»Meinst du, Jenny würde es nicht auffallen, daß Dieter nur noch mit gedrosselter Kraft arbeitet? Sie macht sich schon länger Sorgen. Was fehlt ihm? Ich bin doch keine Klatschbase.«

»Beginnende Arthrose. Er hat manchmal große Schmerzen und fürchtet, daß ihm bei einer Operation das Skalpell aus der Hand fällt, wenn er einen Schmerzanfall bekommt.«

»Dann stimmt Jennys Vermutung, und ich kann mir vorstellen, daß Vicky in dieser Situation die richtige Gesellschaft für sie wäre. Ob Dietrich sie belästigt hat? Zutrauen würde ich es ihm. Er hat schon mal eine Affäre mit einer Ärztin gehabt. Wieso hat Vicky eigentlich ihre Verlobung gelöst, weißt du etwas darüber?«

»Keine Ahnung, Romanus hat nie darüber gesprochen. Er war wohl gleich dagegen.«

»Es war wohl eine Urlaubsliebe, er war Italiener.«

»Was nicht besagt, daß er ein Hallodri gewesen sein muß, aber wie es scheint, war es ein Flop. Mal sehen, ob Vicky darüber spricht.«

»Wir haben sie lange nicht gesehen, lade sie ein, uns zu besuchen.«

»Wer weiß, wie sie jetzt zu ihrem Vater steht. Ich will einen Konflikt vermeiden. Romanus ist ein kranker Mann.«

»Und dein Patient, das ist vorrangig, ich verstehe das.«

*

Dr. Franz Dietrich sah Viktoria Romanus aus zusammengekniffenen Augen an. An sich war er ein gut aussehender Mann, aber jetzt war sein Gesicht verzerrt. Es behagte ihm nicht, daß Viktoria ihn so offen mit einem verächtlichen Blick musterte.

»Wenn Sie mir Schwierigkeiten machen wollen, werden Sie es bereuen«, stieß er zwischen den Zähnen hervor. »Sie haben keine Chance und sollten meine Großzügigkeit nützen, um mit heiler Haut davonzukommen.«

»Den Teufel werde ich«, erwiderte sie eisig. »Sie wollen Krieg, den können Sie bekommen. Er fängt erst richtig an, wenn ich diese Klinik verlasse, denn ich habe Kollegen, die Ihretwegen ihre Stellung nicht verlieren sollen. Jetzt nehme ich meinen Urlaub, dann sehen wir weiter.«

»Sie sind ja schon genauso verrückt wie Ihr Vater und so kriminell wie Ihr Verflossener.«

»Er war wenigstens nicht so verkommen wie Sie!« Mit einem hörbaren Knall machte sie die Tür hinter sich zu.

Schwester Gerda lief ihr nach. »Entschuldigung, Frau Doktor, aber Sie möchten zu Prof. Degenhart kommen.«

»Auch das noch«, murmelte Viktoria.

»Und ich möchte auch sagen, daß es uns leid tut, daß Sie uns verlassen.«

»Es ist besser so, Gerda. Nett von Ihnen.«

»Mehr darf ich ja nicht sagen.«

Viktoria lächelte flüchtig, ging zum Lift und fuhr nach oben, zu Prof. Degenharts geheiligten Räumen.

Er war dafür bekannt, daß er sich nur in den seltensten Fällen mit Untergebenen unterhielt, und sich auch nicht in interne Streitigkeiten einmischte.

Viktoria war auf alles gefaßt, aber sie machte keineswegs einen ängstlichen Eindruck.

»Nehmen Sie doch bitte Platz, Frau Romanus«, sagte er höflich. »Darf ich mich vorab erkundigen, wie es Ihrem Vater geht?«

»Ganz gut, soweit ich informiert bin«, erklärte sie lakonisch.

Will er mich über Vater aushorchen? fragte sie sich.

»Er wird sich freuen, wenn Sie wieder in München tätig sind. Ich bedaure sehr, daß Sie uns verlassen. Es wäre doch durchaus möglich gewesen, eine andere Lösung zu finden.«

»Das glaube ich nicht. Da ich annehme, daß Sie über die Gründe informiert sind, Herr Professor, möchte ich mich dazu nicht mehr äußern. Was ich gegebenenfalls noch gegen Dr. Dietrich unternehmen werde ist meine Privatangelegenheit.«

»Dann brauche ich Sie wohl nicht zu bitten, noch einmal offen mit mir diese Angelegenheit aus Ihrer Sicht zu erörtern.«

»Es hat mit Ihnen überhaupt nichts zu tun.«

»Sie haben jetzt noch vier Wochen Urlaub. Vielleicht ergibt sich in dieser Zeit einiges, das die Wogen glättet. Ich hoffe es auch in Ihrem Interesse.«

»Ich kann ruhig schlafen. Ein gutes Gewissen ist ein sanftes Ruhekissen.«

Jetzt lächelte er sogar flüchtig und erhob sich, um sich zu verabschieden. »Grüßen Sie bitte ihren Vater. Ich wünsche ihm alles Gute.«

*

Eine schlanke blonde Frau betrat sein Zimmer, als Viktoria gegangen war.

»Sie vertraut wohl niemandem mehr«, sagte sie nachdenklich. »Wäre es nicht besser, du würdest Norden reinen Wein einschenken?«

»Wozu die Geschichte noch komplizieren? Er ist Menschenkenner genug, um sich selbst ein Bild zu machen.«

»Sie ist so kompromißlos.«

»Sie hat ihren Stolz und den Eigensinn ihres Vaters. Und Dietrich kann bleiben!«

»Solange keine handfesten Beweise gegen ihn erbracht sind, sind mir die Hände gebunden. Viktoria sagt, daß es ihre Privatangelegenheit ist.«

»Da ist diese unangenehme Angelegenheit mit diesem Manzini.«

»Ich will davon nichts mehr hören.«

»Je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr sieht es mir nach einem Komplott aus.«

»Das uns aber nichts angeht, Dorte.«

»Ich weiß nicht, Hanno, Viktoria gehört nicht zu den Frauen, die so was abschütteln können.«

»Warum stehst du ihr nicht bei? Du bist doch ihre Cousine.«

»Sie hat keine Ahnung, wie wir zueinander stehen, Hanno, und sie will keine Hilfe. Ich werde es aber noch mal versuchen, wenn ich Vinzenz in München besuche.«

»Hast du keine Angst vor den Aliens?« scherzte er.

»Mach dich nicht darüber lustig. Ich bin überzeugt, daß er sich in eine Vision verstrickt hat! Was wissen wir denn schon, was sich in der Galaxie abspielt?«

»Was wissen wir, was in hundert Jahren sein wird. Das muß uns auch nicht mehr beschäftigen, denn wir werden nicht mehr dasein, sofern wir nicht geklont sind.«

»Du nimmst das nicht ernst!«

»Ich werde mich hüten, mich damit verrückt zu machen. Es geschieht so schon jeden Tag genug, was uns Angst einjagt.«

»Widmen wir uns also lieber der Gegenwart.«

»Genießen wir sie auch ein bißchen. Was wäre ich ohne dich, Dorte.«

»Du bist auch ohne mich ganz gut zurechtgekommen«, scherzte sie.

»Aber was war das für ein freudloses Leben!«

»Ich bin gespannt, was Viktoria sagen wird, wenn sie erfährt, daß wir zusammen sind.«

»Und erst der gute Vinzenz Romanus! Jetzt muß ich aber überlegen, wer Dietrich auf die Finger schauen kann. Wem kann man vertrauen?«

»Auf keinen Fall der Gillis.«

»Und Peter Brixen?«

»Der leidet selbst unter Dietrich.«

»Dann wäre er doch ansprechbar. Ich hasse es zwar, so etwas zu machen, aber es geht schließlich auch um den Ruf der Abteilung.«

Dorte nickte. »Ich fahre jetzt heim, Hanno. Wann wirst du kommen?«

»Bestimmt nicht so spät. Ich mache jetzt Visite. Vielleicht kann ich unauffällig mit Brixen sprechen.«

Viktoria hatte ihre Sachen schon gepackt. Sie wollte gleich nach München fahren. Ihr Wagen war zwar schon recht klapprig, aber diese Fahrt würde er wohl noch aushalten. In München würde sie dann U-Bahn fahren, es kam darauf an, wo sie eine Stellung fand. Darüber hatte sie sich noch nicht den Kopf zerbrochen, sie wollte nur weg. Eine Bleibe hatte sie ja auf jeden Fall bei ihrem Vater, in ihrem Zuhause.

Ein eigenartiges Gefühl war das schon, wieder dorthin zurückzukehren, wo sie die meiste Zeit ihres Lebens verbracht hatte, da sie ja auch in München studieren konnte. Mit welcher Euphorie hatte sie damals, vor zwei Jahren, die Stellung in Würzburg angenommen, obgleich ihr Vater ihr abgeraten hatte.

Jetzt fragte sie sich, ob er ihretwegen so eigenartig geworden war. Sie fühlte sich schon schuldbewußt. Wie würde sich dieses Zusammenleben überhaupt gestalten? Wie stellte sich Daniel Norden das vor?

Sie schätzte ihn und seine Frau sehr, und ihr Gefühl sagte ihr, daß er ihr nicht etwas zumuten würde, was ihre eigene Entwicklung behinderte. Es kam vor allem auf ihren Vater an, der wahrhaft immer ein schwieriger Mensch gewesen war. Sie war nicht verwöhnt worden, obgleich sie das einzige Kind war und er hatte ihr nicht die Steigbügel zum Erfolg gehalten. Hätte sie Müller oder Schulze geheißen, wäre niemand auf den Gedanken gekommen, sie für Prof. Romanus’ Tochter zu halten, diesen bekannten Wissenschaftler, der schon so viele Auszeichnungen bekommen hatte.

Sie tuckerte auf der Autobahn so dahin, wie es ihr Auto hergab, wurde angehupt, obgleich sie niemanden behinderte.

Aber sie schaffte es bis nach München und auch durch die ganze Stadt durch, bis in den Südwesten. Es hatte sich viel verändert in den Jahren, die sie nicht zu Hause gewesen war. Plötzlich hatte sie ein beklemmendes Gefühl, daß sich ihr Vater von ihr im Stich gelassen gefühlt hatte.

Aber hatte er nicht selbst es gewollt, den Grund dazu gegeben, den Grund, der Antonio Manzini hieß?

Ich war doch gar nicht mehr so jung und naiv, daß ich so blindlings auf ihn hereinfallen konnte, dachte Viktoria, und Schmeicheleien lagen mir auch nicht. Was hat mich nur so an ihm gefesselt, daß mein Verstand aushakte?

Sie hätte gern jeden Gedanken daran verbannt, aber sie konnte die Erinnerung nicht bewältigen, sie war zu zornig auf sich. Schließlich hatte diese an sich kurze Episode in ihrem Leben auch Erfolg, die bittere Erkenntnisse brachten.

Beinahe wäre sie an ihrem Elternhaus vorbeigefahren, so sehr waren ihre Gedanken abgeirrt. Sie wunderte sich im Nachhinein, daß sie tatsächlich das Ziel ohne Unfall erreicht hatte. Mittlerweile war es schon sehr dunkel geworden.

Sie mußte läuten, und es dauerte eine Weile, bis Marie die Tür öffnete. Müde und verhärmt sah sie aus, aber als sie Viktoria erkannte, ging ein Lächeln über ihr faltiges Gesicht und ihre Augen wurden feucht.

»Vicky«, flüsterte sie, »kann es denn wahr sein?«

»Es ist wahr Marie, ich bin wieder da.« Sie umarmte die alte Frau, die trocken aufschluchzte. »Ich war wohl zu lange fort.«

Marie nickte und brachte noch kein Wort über die trockenen Lippen, deutete nur auf eine Tür.

Viktoria wußte, daß sie ihr damit sagen wollte, daß dort der Hausherr zu finden war.

»Ich muß mich erst säubern, dann gehe ich zu Papa«, sagte sie leise.

Marie räusperte sich, dann konnte sie endlich sprechen. »Er hat eine Infusion bekommen. Dr. Norden war grad vorhin da. Er wußte nicht, daß du schon heute kommst, und ich habe es gar nicht geglaubt. Gebetet hab’ ich dafür, aber auch zweifeln müssen. Geh ins Bad, und komm dann in die Küche. Ich setze Teewasser auf und richte dir ein Essen her.«

»Dagegen habe ich nichts, Marie. Seit heute morgen habe ich nichts gegessen.«

Auch das war ihr grad erst bewußt geworden. Sie hatte ein leeres Gefühl im Magen und Durst auch.

Das Bad war nicht warm. Sie drehte die Heizung weiter auf. Das ganze Haus wirkte ungemütlich. Marie konnte nicht alles machen, und es war auch in den letzten Jahren nichts mehr erneuert worden. Viktoria war nicht die geborene Hausfrau, aber sie hatte Schönheitssinn und wollte es gemütlich haben. An Geld mangelte es ihrem Vater bestimmt nicht, sie fragte sich nur, ob er etwas herausrücken würde.

Nachdem sie sich erfrischt hatte, ging sie zu Marie in die Küche. Marie hatte schon ein Essen gerichtet. Anscheinend war es Sauerbraten, dazu Gemüse und Kartoffeln.

»Ich muß immer etwas parat haben, weil der Herr Professor nicht regelmäßig ißt, sondern nur, wenn er dazu aufgelegt ist. Und essen muß er, sonst kommt er ganz vom Fleisch.«

»Seit wann geht das so?« fragte Viktoria beklommen.

Marie zuckte die Schultern. »Ich versteh’ ja nichts davon. Zuerst war er ab und zu so merkwürdig, aber nicht krank, nur komisch geredet hat er dann, daß ich auch dachte, die Welt würde bald untergehen. Aber was kann ich machen, die Menschen machen doch alles selbst kaputt. Da wird mit den Autos gerast, und aus dem Radio und Fernsehen erfährt man lückenlos alles Schlechte aus der Welt. Da war dann noch so was mit einem Schaf, aus dem sie ein zweites gemacht haben, damit fing beim Professor alles an, wenn ich mich recht erinnere.«

»Du meinst das Schaf, das geklont wurde«, sagte Viktoria.

»Ich weiß nicht, was das heißt und wie das zustandekommt, aber der Professor hat gesagt, daß man das mit Menschen auch machen kann. Er hat noch Spaß gemacht und gemeint, es wäre gut, wenn wir eine zweite Marie hätten, damit nicht soviel Arbeit an mir hängenbleibt, aber ich arbeite lieber allein.«

»Es macht auch keiner so gut wie du«, sagte Viktoria ihr zum Trost. »Das Essen ist köstlich wie immer, Marie.«

»Es würde ja auch mehr Spaß machen zu kochen, wenn es gegessen wird, aber der Professor will kein Fleisch von anderen Viechern, nur vom Seithuber Michel, es ist wirklich nicht mehr einfach mit ihm. Aber vielleicht macht er sich wieder, wenn du jetzt zu Hause bist, Vicky. Du hast ihm halt arg gefehlt, wenn er es auch nicht sagt.«

»Ich geh’ jetzt mal zu ihm«, sagte Viktoria leise.

Vinzenz Romanus schlief.

Wie kann er nur so erschöpft sein, fragte sich Viktoria, als sie ihn betrachtete. Er ist wirklich keinen großen Belastungen ausgesetzt, wenn er sich nicht selbst Streß macht.

Machte er sich so viele Gedanken über den Fortbestand der Welt und der Menschen, daß er keine Ruhe mehr gefunden hatte, bis der Zusammenbruch gekommen war und er ärztlich behandelt werden mußte?

Ich muß unbedingt mit Dr. Norden sprechen, dachte sie, und genau wissen, was mit Vater los ist.

Ob er ihre intensiven Gedanken spürte? Ganz plötzlich schlug er die Augen auf, blinzelte und lächelte.

»Du bist da, du bist wirklich bei mir, ich habe es nicht geträumt, meine Kleine.«

Da war nichts in seiner Stimme, in seinem Mienenspiel, was an seinem Verstand zweifeln ließ.

»Wie fühlst du dich, Papa?« fragte sie sanft.

»Jetzt fühle ich mich gut, sehr gut. Ich weiß überhaupt nicht, was mit mir eigentlich los war. Es war sicher diese tückische Grippe, dieser chinesische Virus, den sie nicht in den Griff kriegen können. Hast du damit auch Erfahrung, Vicky?«

»Ich bin Chirurgin, Papa, es werden keine Grippekranken operiert, wenn nicht ein dringender Notfall vorliegt.«

»Ich bin froh, daß du von dort fortgegangen bist, Vicky. Diese Klinik hat dir nicht gutgetan. Das soll keine Kritik an Degenhart sein. Hanno ist ein guter Arzt. Aber lassen wird das. Dr. Norden sagt, daß man dich an der Behnisch-Klinik brauchen kann, wenn du nichts anderes im Sinn hast.«

»Du hast doch hoffentlich nicht Werbung für mich betrieben, Papa«, sagte sie anzüglich.

»Wir haben nur so darüber gesprochen, weil Norden sich immer wieder nach dir erkundigt hat.«

Er spricht doch völlig normal, dachte Viktoria wieder. Wie kann man da auf den Gedanken kommen, daß er einen Psychiater braucht?

Aber später sollten ihr dann auch solche Gedanken kommen.

»Hast du schon Nachrichten gehört?« fragte er. »Was ist mit dem Meteor?«

»Ich weiß nichts von einem Meteor, Papa. Was soll mit ihm sein?«

»Er hat sich gespalten, wird trotzdem großen Schaden anrichten, wie ich es errechnet habe. Niemand kann es wegreden. Es wird starke Strahlungen geben. Lohnt es sich, die Menschheit zu retten, was meinst du, Vicky?«

»Ich glaube nicht an den Weltuntergang, Papa. Denkst du denn wirklich, du könntest die Welt retten?«

»Ich kann genau errechnen, wo die Meteoriten abstürzen. Dann wird es nicht lange dauern und sie werden hier landen.«

»Wer wird hier landen?«

»Die Marsbewohner. Wenn ich doch nur wüßte, ob sie als Freunde oder als Feinde kommen. Man sollte sich vorbereiten können.«

»Bis jetzt ist keine Invasion in Sicht, und ich hoffe, daß sie auch nicht kommt. Du solltest dich lieber mit etwas Positiverem beschäftigen.«

»Aber es ist positiv, wenn man weiterdenkt und nicht engstirnig alles negiert. Ich wünsche so sehr, daß du über die Enttäuschungen hinwegkommst, Vicky, du verdienst es, glücklich zu werden.«

»Es war keine Enttäuschung, Papa. Ich habe einen Fehler gemacht und wurde dafür bestraft, so sehe ich es.«

»Könnte es dir nicht helfen, wenn du dich aussprichst?«

»Nein, ich muß damit allein fertig werden, aber ich weiß noch nicht, wohin mein Weg führt.«

»Er hat dich heimwärts geführt, und ich bin froh darüber. Die Zeit heilt alle Wunden.«

Ob das auch für mich gilt, fragte sich Viktoria.

Sie hielt jedoch die Hand ihres Vaters mit einem behutsamen Griff umschlossen.

*

Viktoria brauchte nicht zu Dr. Norden zu fahren. Er kam jeden Tag vor der Sprechstunde, um seinem Patienten eine Injektion oder Infusion zu geben und war überrascht, als ihm Viktoria die Tür öffnete. Er hatte sie so schnell nicht erwartet.

Sie tauschten einen festen Händedruck und forschende Blicke.

»Papa schläft noch, wir haben uns gestern abend lange unterhalten«, erklärte sie. »Haben Sie Zeit, daß ich Ihnen ein paar Fragen stellen kann, Daniel?«

»Die nehme ich mir. Es wird heute nicht so wild, da das Faschingsende naht. Die jungen Leute sind dann seltener krank und die alten Patienten geduldig. Das Wartezimmer ist ein beliebter Treffpunkt für sie.«

»Weil Sie ein beliebter Arzt sind.«

Er sah sie wieder nachdenklich an. »Sie haben schlechte Erfahrungen mit Kollegen gemacht, Viktoria?«

»Darüber reden wir jetzt lieber nicht. Papa ist vorrangig. Was können Sie über seinen Zustand sagen?«

»Eine Diagnose ist sehr schwierig. Eine Paranoika kann man in Betracht ziehen, aber bei ihm muß man andere Maßstäbe anlegen. Er ist Wissenschaftler und überzeugt, daß es Leben auf anderen Planeten gibt. Für ihn gilt nicht die allgemeine Vorstellung, daß die Erde der einzige bewohnte Planet ist, das Weltall ist groß und noch lange nicht erforscht. Wenn man sich zu sehr in die Vorstellung vertieft, wo die Galaxie ein Ende haben könnte, fängt man leicht zu fantasieren an, das meint auch Fee. Wir wissen ja nicht mehr, was sich in der Vergangenheit alles abgespielt hat. Immer wieder gibt es neue Erkenntnisse. Wir tun gut daran, uns an das Sichtbare und Wesentliche zu halten. Vinzenz grübelt darüber nach, wie viele geklonte Menschen schon auf der Erde weilen könnten, wieviel Versuche, von denen wir nichts wissen, mit und an Menschen durchgeführt werden. Diese Gedanken gefallen ihm nicht, verfolgen ihn im Schlaf, erwachen in den Träumen. Er denkt einfach zuviel, das ist die Ursache für seine Zerrissenheit. Ich hoffe, daß es sich jetzt wieder bessert, wenn Sie bei ihm sind, mit ihm reden und Ihre Probleme für ihn wichtiger sind, Viktoria.«

»Aber meine Probleme sind für ihn doch auch eine Belastung.«

»Nicht so, wie Sie meinen. Das Gefühl, Ihnen womöglich helfen zu können, läßt ihn vergessen, was in seinem Kopf herumspukt. Schließlich bildet er sich doch ein, daß dieser Dr. Dietrich und seine Assistenzärztin Alien sein müssen, weil er den Mitmenschen nicht soviel Böses zutraut. Seine These, daß der Mensch an sich gut sei, bedingt für ihn die Vorstellung, daß die bösen Menschen, die Kriminellen, alle von gefühllosen Wesen gezeugt wurden.«

»Es macht mir Angst, wenn er sich so hineinsteigert.«

»Er hat seinen Verstand nicht verloren, man kann mit ihm ganz vernünftig reden. Er war nur zuviel allein. Mit wem sollte er reden, außer mit Marie?«

»Ich habe mich gut mit ihm unterhalten, nur manchmal wich er ab, redete von den Meteoriten, die Vernichtung bringen. Ich mache mir Vorwürfe, ihn im Stich gelassen zu haben, weil ich zu sehr mit mir selbst beschäftigt war. Es ist nicht einfach, einen Vater zu haben, der ein Genie ist, wenn man sich selbst viel auf sein eigenes Wissen einbildet. Er hat mir einmal gesagt, daß ich lernen muß, mich nicht selbst zu überschätzen und war beleidigt. Ich mußte bald einsehen, daß ich noch viel lernen muß und es nicht für bare Münze nehmen darf, wenn ich bewundert werde. Es gibt Menschen, die können überzeugend lügen.«

Daniel wußte, daß sie dies auf Antonio Manzini bezog. Gar zu gern hätte er mehr von dieser Episode ihres Lebens erfahren und von diesem Mann, der wohl ihre Illusionen über die Liebe zerstört hatte.

Sie wechselte das Thema, fragte ihn, wie sie sich verhalten solle, wenn sich ihr Vater in Hirngespinsten verlor.

»Gehen Sie darauf ein, Viktoria, versuchen Sie, solche Gespräche auf eine wissenschaftliche Basis zu bringen. Geben Sie ihm das Gefühl, daß andere auch ernsthaft über diese unerforschten Dinge nachdenken und lenken Sie das Gespräch dann auf die Satelliten, die eingesetzt werden zum Nutzen der Menschen.«

»Ich habe mich mehr mit Menschen befaßt und wie ich ihnen zu einem normalen Weiterleben verhelfen kann. Aber jede Operation ist auch ein Eingriff in die menschliche Natur, wenn man es genau nimmt. Wir beweisen damit, daß manches im Körper überflüssig oder auch ersetzbar ist.«

»Aber das mußte auch erst bewiesen werden. Es waren kluge Ärzte, die herausfanden, daß man auch ohne Galle leben kann, daß der Blinddarm überflüssig ist, daß man Herzen, Nieren und auch die Leber ersetzen kann. Es ist bei allem aber immer auch ein Risiko dabei, auch wenn die Technik immer weiterentwickelt wurde. Mir geht es so mit der Erprobung von Medikamenten. Jeder Patient reagiert anders, und man kann nicht immer gleich auf Anhieb helfen. Ich verstehe auch, daß die Patienten dann ungeduldig werden.«

»Aber manche nehmen die Medikamente auch gar nicht und schimpfen nur«, sagte Viktoria. »Ich werde versuchen, auf Paps’ Eigenheiten einzugehen. Ich will ihn nicht noch konfuser machen, indem wir einen Psychiater hinzuziehen und vertrauen unserem guten Freund Daniel.«

Es machte ihn froh, daß sie das sagte, denn es bewies ihm, daß ihr Mißtrauen nicht gegen jeden gerichtet war, daß sie Freund und Feind noch zu unterscheiden wußte.

Viktoria ahnte nicht, was er von Degenhart und Dorte alles über sie erfahren hatte, sie hatte immer noch nicht die leiseste Ahnung, daß Dorte und Hanno Degenhart schon länger ein Paar waren. Eigentlich wußte das niemand.

Nachdem Daniel Norden seinen Patienten versorgt hatte, fühlte sich Viktoria erleichtert. Da war jemand, auf den sie sich verlassen konnte. Beim Abschied hatte er gesagt, daß Dieter und Jenny Behnisch sich freuen würden, wenn sie sich für die Behnisch-Klinik entscheiden könnte.

Sie sollte die Entscheidung bald treffen, denn schon am Nachmittag rief Jenny an und bat sie dringend um ihre Hilfe, weil Dieter Behnisch durch einen Hexenschuß außer Gefecht gesetzt worden war.

»Was meinst du, Papa, soll ich es tun?« fragte sie, obgleich ihr Entschluß schon gefaßt war. Sie wollte ihm jedoch das Gefühl geben, seine Meinung sei gefragt und außerdem konnte sie dabei feststellen, ob er egoistisch dachte.

»Ich glaube, daß es gut für dich ist, in einer solchen Atmosphäre zu arbeiten und zu vergessen, wie intrigant es unter Dietrich zugegangen ist. Ich fühle mich wirklich wohl und bin nicht so verrückt, wie manche meinen«, fügte er mit einem spöttischen Lächeln hinzu.

»Du denkst das doch nicht von Daniel und mir? Das würde ich dir sehr verübeln«, sagte sie.

»Ich weiß, was andere reden, weil ich so ungeschickt war, über meine Thesen zu sprechen. Ich hoffe, daß uns auch dann, wenn du wieder arbeitest, Zeit bleibt für Gespräche.«

»Das wird es, Papa, ich wohne ja hier.«

Und jetzt hatte sie auch wieder das Gefühl, daß sie zu Hause, daß München ihre Heimat war. Sie dachte auch wieder an frühere Jahre, als sie sich im Spiegel betrachtete. Sie war nicht der Typ, auf den Männer sofort flogen, dazu wirkte sie zu kühl und unnahbar. Das hätte sie auch bedenken müssen, als Antonio Manzini sie so umschmeichelte. Man hatte sie schon in der Schule scherzhaft Gräfin Romanus genannt, weil sie so reserviert war. Aber mit ihren Schulfreundinnen hatte sie sich trotzdem gut verstanden.

Wo mochten sie jetzt sein? Sie hatte den Kontakt zu ihnen verloren. Von Lisa und Petra hatte sie hin und wieder gehört, als sie noch studierten, aber Medizin hatte keine gewählt. Julia war zweimal geschieden und lebte allein mit ihren beiden Kindern, aber was sie machte, wußte Viktoria auch nicht mehr. Dagegen kam sie sich uralt vor. Allerdings hatte nur Julia so früh geheiratet und sollte auch wieder in München wohnen.

Ich werde jedoch keine Zeit haben, alte Bekanntschaften wieder aufzufrischen, dachte sie. Es blieb jedoch nicht aus, daß ihr auch Chris Vorbeck einfiel. Chris der Spießer, wie er verspottet worden war, weil er sich nie an den mehr oder weniger dummen Streichen beteiligt hatte, von denen sich Viktoria auch meist ferngehalten hatte. Da hatte Petra immer zu den Anstifterinnen gehört.

Julia war ein originelles Mädchen gewesen, immer zu Späßen aufgelegt, aber nie verletzend. Wieso waren eigentlich zwei Ehen bei ihr schiefgegangen?

Wie war ich, überlegte Viktoria. Auf jeden Fall ehrgeizig. Etepetete hatte man sie bezeichnet, aber sie wurde gebraucht, damit die anderen drei einigermaßen gute Noten zusammenbrachten. Hatte man sie eigentlich gemocht?

Sie wollte sich darüber keine Gedanken machen, sondern einen guten Eindruck auf Jenny Behnisch. Mit Kolleginnen hatte Viktoria keine gute Erfahrung gesammelt. Wenn sie an Carla Gilles dachte, kroch Kälte durch ihren Körper, aber sie wollte ohne Vorurteile an neue Kollegen herangehen.

Höflich wurde sie empfangen, von den Schwestern, die ihr begegneten, neugierig beäugt, doch dann lernte sie Jenny Behnisch kennen und die innere Ruhe kehrte zurück.

»Ich bin Ihnen sehr dankbar, daß Sie so schnell gekommen sind, Frau Romanus. Mein Mann hat schon seit Tagen Beschwerden, aber jetzt kam ein Fall mit einem akuten Schock. Sie können ihn gleich als Ihren ersten Patienten betrachten. Daniel Norden hat bereits erste Hilfe geleistet.«

»Sie sind befreundet, das weiß ich schon. Ich habe meine Zeugnisse mitgebracht, die von der Klinik stehen noch aus.«

»Die interessieren mich nicht. Daniel hat mich schon informiert. Wir werden uns sicher verstehen.«

Das Gefühl hatte Viktoria auch. Jenny brachte sie zu Dieter Behnisch, der jetzt Patient in der eigenen Klinik war und stöhnte.

»Du hast dich immer über die Patienten beschwert, die immer noch stöhnen, wenn ihre Schmerzspritze auch bereits wirkt«, sagte Jenny lächelnd, »also, was fehlt dir jetzt noch?«

»Ich hasse es, herumzuliegen, das weißt du.«

»Es muß sein, und Frau Romanus wird sich jetzt um dich kümmern. Ich mache Visite.«

»Wollen Sie die Visite nicht mitmachen, Kollegin?« fragte er Viktoria. Dann bekommen Sie gleich einen Eindruck, wer hier das Regiment führt.«

»Übertreib nicht, Dieter«, erwiderte Jenny, »ich überlasse das Kommando gern dir. Frau Romanus wird morgen mit uns Visite machen, ich möchte sie erst den Schwestern vorstellen.«

»Dann unterhalten wir uns ein bißchen«, schlug Dieter vor. »wie lange praktizieren Sie?«

»Zwei Jahre.«

»Dann waren Sie mit dem Studium aber schnell fertig. Alle Achtung.«

»Ich bin immerhin fast neunundzwanzig.«

»Ich habe zwei Jahre länger gebraucht und habe gern studiert. Da hatte man noch keine Verantwortung. Aber jetzt bin ich sehr gern Arzt und verärgert, daß mir so was passieren muß.«

»Es ist die Bandscheibe, damit ist nicht zu spaßen. Ich weiß, daß Ärzte schwierige Patienten sind.«

»Was Sie nicht sagen«, murmelte er mit einem schiefen Lächeln. »Mit welchen Ärzten hatten Sie denn bisher zu tun?«

»Mit nicht gerade sympathischen, Prof. Degenhart ausgenommen.«

»Kenne ich nicht, habe aber schon von ihm gehört. Ihr Vater ist auch Professor. Wie kommen Sie mit ihm aus?«

»Gut, er hat zur Zeit auch Probleme, das wissen Sie sicher von Daniel Norden.«

»So was weiß Jenny immer besser, ich höre gar nicht hin, wenn es mich nichts angeht. Denken Sie aber nicht, daß bei uns getratscht wird. Was schlagen Sie für eine Behandlung bei mir vor?«

»Ich würde es mit Physiotherapie versuchen. Wenn es nicht hilft, dann sollten wir Röntgenaufnahmen machen. Es gibt ja neue Behandlungsmethoden mit Laser und Injektionen. Aber es sollte natürlich erst festgestellt werden, wo die Ursache ist.«

»Wir werden sehen, Jenny hat Ähnliches gesagt, Sie haben wohl die gleiche Wellenlänge. Ich hoffe, wir kommen gut miteinander aus. Vorerst bin ich ja hilflos.«

Viktoria schätzte ihn richtig ein, er würde ein sehr schwieriger Patient werden, wenn ihm nicht schnell geholfen würde, aber ihr war es auch klar, daß er überarbeitet war und Erholung brauchte. Darüber wollte sie aber nicht gleich mit ihm reden, das war ein zu heikles Thema.

Daß Dieter und Jenny keine Turteltauben waren, hatte sie auch schnell durchschaut, aber die beiden waren Partner im besten Sinne des Wortes, ehrlich und zuverlässig, auf jeden Fall sympathischer als ihre früheren Kollegen, die ihr von Anfang an nur Steine in den Weg gelegt hatten.

Dieter Behnisch war eingeschlafen. Die Infusion tat ihre Wirkung, denn ihr war ein starkes Beruhigungsmittel zugesetzt worden.

Jenny hatte die Visite beendet und kam, um nach ihrem Mann zu sehen. Sie war beruhigt, daß er eingeschlafen war.

»Er denkt natürlich, er versäumt etwas und daß es ohne ihn gar nicht geht. Es gibt mehr Männer mit dieser Vorstellung! Wenn Sie hier nicht gebraucht werden, bringe ich Sie zu einem Frischoperierten.«

Sie betraten wenig später ein Einzelzimmer. Der Patient war aus der Narkose noch nicht aufgewacht. Jenny erklärte, daß er knapp vor dem Blinddarmdurchbruch operiert worden war.

Viktoria hatte das Schild am Bett schon gelesen. Der Patient hieß Hans-Joachim Singer.

Er hatte ein sehr schmales Gesicht, das jetzt blutleer war, dichtes fast blauschwarzes Haar, das den romanischen Gesichtsschnitt noch unterstrich. Ihr Blick wanderte zu den Händen, die schmal und ausdrucksvoll waren.

»Ist er Künstler?« fragte sie.

»Gut geraten«, sagte Jenny Behnisch, »er ist Klarinettist. Einer von denen, die in ihrem Beruf alles vergessen, auch ihre Schmerzen. Es hätte ihn das Leben kosten können, und er ist keineswegs außer Gefahr, aber das dürfen wir seiner Mutter nicht sagen. Sie ist hochgradig hysterisch und würde uns verrückt machen, wenn sie genau informiert würde.«

»Es ist gut, daß ich es weiß, ich werde mich danach richten«, sagte Viktoria.

»Und seien Sie vorsichtig bei jedem Gespräch mit Frau Singer. Er hat nämlich eine Freundin, die sie nicht mag und schon erklärt, daß sie die hier nicht sehen will. Dann wäre da noch Herr Beyer. Er ist ein ruhiger Patient, seine Frau ist genau das Gegenteil, hat immer etwas zu beanstanden und weiß alles besser. Nehmen Sie sie nicht ernst, wenn sie Ihnen unterstellt, daß Sie zu nett zu ihm sind. Sie betrachtet Sie gleich als Nebenbuhlerin.«

»Da kann sie unbesorgt sein«, sagte Viktoria.

Familie Dr. Norden Classic 39 – Arztroman

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