Читать книгу Sophienlust Classic 48 – Familienroman - Patricia Vandenberg - Страница 3

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Denise von Schoenecker atmete tief auf. Dann strich sie sich mit der für sie typischen Bewegung das Haar aus dem Gesicht und ließ sich in den bequemen alten Ledersessel zurücksinken. Der junge Rechtsanwalt Dr. Lutz Brachmann lachte sie an und sammelte die Papiere ein, die den großen Tisch bedeckten.

Denises Blick ging durch den Raum. Er war dunkel und doch anheimelnd. Das helle Sonnenlicht wurde durch die hohen Bäume des Gartens gebrochen und gab dem Raum einen grünlichen Schein. Die holzgetäfelten Wände erschienen dagegen fast schwarz. Hinter dem mächtigen Schreibtisch des Rechtsanwalts ragte ein Polsterstuhl mit einer hohen Lehne hervor. Um den Konferenztisch, an dem beide saßen, stand eine Sitzgarnitur aus tiefgrünem Leder, das an einigen Stellen schon etwas abgeschabt war und deutliche Altersspuren aufwies.

Abermals lächelte Dr. Brachmann, als er Denises Blick bemerkte.

»Ich habe nichts verändert«, sagte er mit seiner leisen und doch volltönenden Stimme. »Ich habe alles so gelassen, wie es der alte Herr liebte. Er soll sich wie zu Hause fühlen, wenn er ab und zu einmal in die Kanzlei kommt.«

Denise nickte verstehend. »Man könnte den Eindruck gewinnen, im Arbeitszimmer eines Londoner Rechtsanwalts zu sitzen – Brachmann, Brachmann und Brachmann, mit der Tradition einer jahrhundertealten Familie von Rechtsgelehrten, in der sich der Beruf vom Vater auf den Sohn und den Enkel vererbt.«

»Du könntest recht haben«, bestätigte Dr. Brachmann, »nur musst du dir die modernen Anlagen wie Telefone und Diktiergeräte wegdenken. Im Vorzimmer musste ich natürlich manches verändern. Ohne die moderne Technik lässt sich heute eine Rechtsanwaltskanzlei nicht mehr betreiben.«

»Ich habe es ja ebenso gehalten«, erwiderte Denise versonnen. »Im Biedermeierzimmer der Urgroßmutter von Wellentin habe ich keine Änderungen vorgenommen, obwohl wir ansonsten Sophienlust tüchtig renoviert haben.«

Sie hatte sich den ganzen Nachmittag mit dem Rechtsanwalt beraten. Es ergaben sich immer wieder Rechtsfragen, die geklärt werden mussten. Zum Teil hingen sie mit dem Schicksal der Kinder zusammen, die ihr anvertraut waren und die Sophienlust beherbergte, zum anderen aber auch mit der Verwaltung des großen Gutes. Dr. Brachmann erledigte die meisten Rechtsgeschäfte selbstständig, doch gab es immer wieder Fragen, die nur Denise selbst entscheiden konnte.

Claudia Brachmann steckte den Kopf durch den Türspalt herein. »Seid ihr endlich fertig?«, fragte sie. »Du musst ja ganz erledigt sein, Denise. Dieser Barbar lässt dich nicht los, bevor nicht auch die letzte Angelegenheit geklärt ist.« Sie trat in das Zimmer und begrüßte Denise mit einem Kuss auf die Wange. »Kommt jetzt herüber«, forderte sie ihren Mann und ihre Freundin auf. »Ein Kaffee wird euch guttun.«

Denise erhob sich, und Dr. Brachmann folgte ihr und seiner Frau in das gemütliche Wohnzimmer.

Denises Anspannung klang langsam ab. Die Besprechungen mit Lutz waren immer sehr anstrengend, aber sie mussten sein. Nun tat es wohl, mit den alten Freunden zusammenzusitzen und von vergangenen Zeiten zu plaudern.

»Als wir uns zum ersten Mal sahen, Denise«, ulkte Dr. Brachmann, »hätte ich nie gedacht, dass ich durch dich eine Frau kennenlernen würde, die ihren Mann bei seiner besten Mandantschaft schlechtmacht. Erinnerst du dich noch an unsere erste Begegnung?«

Claudia protestierte heftig, aber Denise ging auf seinen Ton ein. »Und ob! Es war bei der Testamentseröffnung. Damals nahm ein würdiger Rechtsanwalt und Notar die Amtshandlung vor. Ein junger Rechtsanwalt begleitete ihn, der sich soeben bei seinem Vater die ersten Sporen verdiente.«

Lutz lachte. »Die Situation werde ich nicht vergessen. Ich hatte Zeit und Gelegenheit genug, meine Umgebung zu beobachten. Ich muss noch heute lachen, wenn ich an die verblüfften Gesichter der Wellentins denke, als sie dich und deinen Sohn vorfanden und den veränderten Inhalt des Testamentes der alten Frau von Wellentin zur Kenntnis nahmen. Dominik schaute ganz verloren drein und drängte sich an dich, Denise. Er war damals noch viel zu klein, um zu begreifen, dass er mit einem Schlag der Erbe eines großen Vermögens geworden war. Hubert von Wellentin aber platzte fast vor Wut.«

»Wir sollten das vergessen«, meinte Denise ernsthaft. »Dominiks Großeltern haben sich längst geändert. Sie sind liebenswürdige Menschen geworden. Hättest du damals für möglich gehalten, dass Irene und Hubert von Wellentin ein armes kleines Mädchen adoptieren und es wie ihre eigene Tochter lieben könnten?«

»Sie haben an Kati all das gutgemacht«, mischte sich Claudia in das Gespräch ein, »was sie an dir und Nick versäumt haben. Denkst du noch hier und da daran, Denise, wie schwer du schuften musstest, um dich und deinen Sohn durchzubringen? Die Tänzerin Denise Montand musste damals jedes Engagement annehmen, um die hohen Unterhaltskosten für das Schweizer Kinderheim aufbringen zu können, in dem sie ihren Sohn Dominik untergebracht hatte. Ich jedenfalls kann mich noch gut daran erinnern, wie du manchmal vor Sehnsucht nach Nick beinahe umkamst.«

»Du hast mir sehr geholfen, Claudia. Ohne dich hätte ich es nicht durchgestanden. Und heute dürfen wir alle froh und glücklich sein, dass sich alles zum Guten gewendet hat. Allein schon der Gedanke, wie segensreich sich die Bestimmung der alten Frau von Wellentin, aus Sophienlust ein Kinderheim zu machen, für viele Kinder und deren Eltern ausgewirkt hat, erfüllt mich mit Genugtuung.«

»Wobei wir nicht vergessen wollen«, wandte Lutz Brachmann ein, »dass es eine gewisse Denise von ­Schoenecker war, die den Buchstaben mit Leben erfüllt und aus dem Gut eine echte Heimat für verlassene und elternlose Kinder gemacht hat. In Sophienlust finden Kinder das Wichtigste, das es für sie gibt: die Liebe.« Dr. Brachmann hatte bis zu diesem Augenblick ernst gesprochen, doch nun schlug seine Stimmung um. Immer zu humorvollen Bemerkungen aufgelegt, fuhr er fort: »Ich weiß nicht, woran es lag. Aber als du, Denise, eines Tages ein ehemaliges Karbolmäuschen zu deiner Unterstützung herangezogen hattest, war es um mich geschehen.«

Claudia, eine alte Freundin von Denise, war Krankenschwester gewesen, ehe sie nach Sophienlust gekommen war und Lutz Brachmann geheiratet hatte. Jetzt stürzte sie sich mit hocherhobenen Fäusten, komisch drohend, auf ihren Mann. Lutz fing sie lachend auf und nahm sie in seine Arme. Da Claudia das Spiel noch nicht aufgeben wollte und sich sträubte, brachte Lutz nur mühsam, unter Lachen und nach Atem ringend, hervor: »Du musst mich zu Ende reden lassen, Claudia. Zu meinem Glück, wollte ich sagen.«

Denise hatte amüsiert dem heiteren Geplänkel des Ehepaares zugeschaut. Sie stand auf. »Man soll sich nicht einmischen, wenn Eheleute sich streiten. Ich gehe lieber.«

Trotz des Protests von Claudia und Lutz ließ sie sich nicht zurückhalten, sondern verabschiedete sich.

Von der Sonnenhelle des Nachmittags geblendet, schloss sie für einen Augenblick die Augen, als sie, von Lutz und Claudia geleitet, vor die Haustür trat. Die Kinder des Ehepaares kamen aus dem Garten gerannt, weil sie Tante Isi auf Wiedersehen sagen wollten. Sie winkten ihr noch nach, als Denise mit ihrem Wagen bereits um die nächste Straßenecke bog.

Denise überquerte den Marktplatz des Städtchens, in dessen Mitte ein alter Brunnen lustig plätscherte. Ihre Augen glitten kurz über die Fassaden der alten Häuser, die das Alter der Stadt widerspiegelten. Bald hatte sie das Städtchen hinter sich und bog in die Landstraße ein, die unweit von Sophienlust und Schoeneich vorüberführte.

Auf der verkehrsarmen Straße konnte Denise ihren Gedanken nun freien Lauf lassen. Das Gespräch mit den Freunden hatte die Erinnerung an vergangene Jahre wieder in ihr lebendig werden lassen. Claudia hatte recht, sie hatte schwere Zeiten erlebt, nachdem ihr erster Mann, Dietmar von Wellentin, den sie gegen den Willen seiner Eltern geheiratet hatte, noch vor der Geburt ihres Sohnes Dominik tödlich verunglückt war. In ihrem Stolz hatte sie die Wellentins nicht einmal über die Geburt des Enkels informiert. Die adels- und geldstolze Familie der Wellentins hatte die ehemalige Tänzerin verachtet und sie als Frau ihres Sohnes nicht anerkannt. Erst als Sophie von Wellentin durch einen Zufall Nick begegnet war und in ihm durch die Ähnlichkeit mit seinem Vater ihren Urenkel erkannt hatte, den sie zu ihrem Erben eingesetzt hatte, war in ihrem Leben und dem ihres Sohnes eine Änderung eingetreten. Doch auch die erste Zeit auf Sophienlust war für sie schwer gewesen. Sie hatte sie nur ertragen, weil der Gutsnachbar Alexander von Schoen­ecker ihr zur Seite gestanden war. Alexanders Kinder aus erster Ehe, Sascha und Andrea, hatten damals in einem Internat gelebt. Aus der Freundschaft zwischen ihr und Alexander war bald Liebe geworden. Sie hatten geheiratet. Heute lebt auf Schoeneich eine glückliche Familie. Sascha und seine jüngere Schwester Andrea hatten in Denise eine liebevolle Mutter gefunden, und Alexander von Schoenecker war für Nick ein Vater geworden, zu dem der Junge aufblicken konnte. Als später der kleine Henrik geboren wurde, war das Glück der Schoeneckers vollkommen geworden.

Über allem aber hatte Denise nie die einstmals übernommene Aufgabe vergessen. Dr. Brachmann hatte recht. Sophienlust kannte nur fröhliche und glückliche Kinder. Das Gut war zu einer Heimstatt für elternlose und verlassene Waisen geworden. Natürlich konnte niemand den Kindern die Eltern voll ersetzen, doch auf Sophienlust lernten viele von ihnen zum ersten Mal das Gefühl der Geborgenheit kennen. Wie viel menschliches Leid und Elend war an Denise in den verflossenen Jahren herangetragen worden! Doch wie oft war es ihr auch gelungen, Not und Kummer abzuwenden. Auch die Zahl derer, die trauernd und verzweifelt nach Sophienlust gekommen waren und nach einiger Zeit als heitere und dem Leben positiv gegenüberstehende Menschen wieder gegangen waren, ließ sich kaum noch überblicken. Denise wusste, dass ihr dies nur gelungen war, weil sie Mitarbeiter gefunden hatte, die, selbst durch trübe Erfahrungen geläutert, echtes Verstehen für andere aufbringen konnten.

Denise schrak aus ihren Grübeleien auf. In der untergehenden Sonne zeichnete sich am Straßenrand eine kleine Gestalt silhouettenhaft ab, die dem herankommenden Auto entgegenwinkte. Denise bremste und hielt. Schon häufig war sie Anhaltern und Anhalterinnen begegnet, doch nicht immer hatte sie ihnen Aufmerksamkeit geschenkt. Es war in mancher Beziehung gefährlich, wildfremde Menschen mitzunehmen. Auch Alexander hatte sie schon des öfteren davor gewarnt. Doch dieses schmale, kindlich wirkende Geschöpf erregte ihre Aufmerksamkeit. Sie öffnete das Wagenfenster.

Das kleine Mädchen raffte ein Bündel vom Boden auf, lief hinter dem Wagen her und trat bescheiden an das Fenster. In den verwaschenen Bluejeans, der abgetragenen Bluse und dem dünnen Mäntelchen machte die Kleine einen erbarmungswürdigen Eindruck.

Denise betrachtete die schmale Figur, das feingeschnittene Gesichtchen mit den großen blauen Augen und die strähnig herunterhängenden blonden Haare.

Sie konnte nicht verhindern, dass Mitleid mit dem Mädchen in ihr aufkeimte, dessen Alter sie auf etwa dreizehn bis vierzehn Jahre schätzte.

»Können Sie mich vielleicht ein Stück mitnehmen?«, fragte die Streunerin bescheiden.

Unwillkürlich horchte Denise auf. Der Ton der Stimme und die Sprechweise des Mädchens wirkten kultiviert.

»Wohin willst du denn?«, fragte Denise. Es war ihr unerklärlich, wie ein solches Mädchen auf die Landstraße kam.

Das Mädchen zuckte gleichgültig mit der Schulter und meinte, es wolle in die nächste Großstadt.

»Aber dahin fahre ich nicht.« Denise antwortete in einem freundlichen Ton, um das Kind nicht abzuschrecken.

»Das macht nichts«, erwiderte die Kleine. »Wenn ich nur ein Stück weiterkomme. Sie müssen nämlich wissen, ich halte nur Autos an, in denen Frauen sitzen.«

»Steig ein!«, forderte Denise das Mädchen auf.

Die Kleine öffnete die Tür und saß im nächsten Augenblick neben Denise. »Danke schön«, sagte sie leise. Ihr scheuer Blick streifte Denise und musterte sie vom Kopf bis zu dem Fuß, der auf das Gaspedal trat. Erst dann ließ sie sich in das Polster zurücksinken.

»Es wird bald Nacht«, begann Denise ein Gespräch mit dem Mädchen. »Du kannst heute dein Ziel nicht mehr erreichen. Wo willst du dann bleiben?«

»Das ist nicht so schlimm.« Das Mädchen verzog das Gesicht zu einem Lächeln, doch seine Augen blieben ernst. »Ich finde schon irgendwo einen Heuschober, in dem ich unterkriechen kann. Es wäre nicht das erste Mal.«

»Hast du denn keine Angst?«, fragte Denise, auf die Antwort des Mädchens gespannt.

»Doch«, antwortete das Mädchen ehrlich. »Manchmal habe ich sogar mächtige Angst. Eigentlich jedesmal, wenn ich in einen fremden Wagen steige. Aber meistens sind die Damen recht freundlich zu mir.«

»Erzähl mir etwas von dir«, bat Denise. »Wie heißt du, wo kommst du her, wo willst du hin, und warum reist du als Anhalterin auf der Landstraße?«

»Oje!« Das Kind erschrak. »Muss ich all diese Fragen beantworten? Dann lassen Sie mich lieber wieder aussteigen. Ich könnte Ihnen einen Haufen von Lügen auftischen, aber das will ich nicht. Ich fahre per Anhalter, weil ich kein Geld habe. Ich heiße Vilena. Genügt Ihnen das?«

Denise gefiel die Ehrlichkeit des Mädchens. Sie erwiderte: »Vorerst ja. Vilena heißt du? Das ist einer schöner und seltener Name. Also schön, wenn du nicht mehr sagen möchtest, wollen wir es dabei bewenden lassen. Ich mache dir einen Vorschlag, Vilena. Ich nehme dich mit. Wir haben ein großes Haus, in dem viele Kinder wohnen. Auch Mädchen in deinem Alter. Ich schätze, du bist etwa dreizehn Jahre alt.«

Misstrauisch fragte das Mädchen: »Ist das etwa ein Heim? Welche Bedingungen sind daran geknüpft?«

»Gar keine«, antwortete Denise sachlich. »Wenn du willst, kannst du es ein Heim nennen. Aber wahrscheinlich machst du dir dabei falsche Vorstellungen. Ein Heim im üblichen Sinne ist es nicht.«

»Dann komme ich gern mit. Ich hatte nur gedacht, es handle sich um ein Heim für gefallene Mädchen oder so. In solch ein Heim möchte ich nämlich nicht. Da gehöre ich nicht hin.«

Da Vilena jetzt eher bereit schien, Fragen zu beantworten, entschloss sich Denise, sie noch etwas auszuforschen. Doch während sie noch überlegte, wie sie die nächste Frage formulieren sollte, begann das Mädchen von selbst zu sprechen.

»Ich treibe mich schon drei Wochen herum«, bekannte Vilena offen, »aber bisher hat mich noch nie jemand nach Hause eingeladen. Ich hatte im Gegenteil den Eindruck, dass alle heilfroh waren, wenn sie mich wieder loswurden. Ich kann es ja verstehen und nehme es den Leuten auch nicht übel. Alle nehmen an, sie könnten Ärger bekommen. Sicherlich glauben alle, wenn ein vierzehnjähriges Mädchen sich herumtreibt, dann würde es gesucht. Das schreckt ab. Aber Sie brauchen keine Angst zu haben. Mich sucht niemand.«

Denise ließ sich ihr Erstaunen nicht anmerken, denn natürlich hatte sie angenommen, Vilena sei aus irgendeinem Grund von zu Hause ausgerissen und werde schon lange gesucht. Weitere Fragen unterließ sie jedoch im Moment, da sie in die Abzweigung nach Sophienlust einbog.

Vilenas Stirn legte sich in Falten, als sie in die verhältnismäßig schmale Straße einfuhren. Ihr schienen erneut Bedenken zu kommen. »Das ist aber sehr abgelegen«, meinte sie.

»Ja, es ist etwas abgelegen«, erwiderte Denise ruhig. »Dafür ist es aber auch still. Warte nur ab. Wenn ich still sage, meine ich damit den Verkehrslärm. Unsere Kinder machen Krach genug.«

Als sie aus dem Wald herausfuhren und die Dächer von Sophienlust rot in der Abendsonne glänzten, deutete Vilena nach vorn. »Das ist ja ein Schloss!«, stellte sie mit Erstaunen fest. »Wollen wir dorthin?«

Denise nickte stumm und fuhr kurz darauf in den weiten Gutshof ein.

Vilenas Erstaunen vertiefte sich. Sie fand, dass alles noch viel größer und schöner war, als sie aus der Ferne angenommen hatte. Als sie vor dem Portal vorfuhren, bemerkte Vilena einen hochaufgeschossenen schlaksigen Jungen, der etwa in ihrem Alter oder ein wenig älter sein mochte. Er saß auf einem Fahrrad, kam wie der Blitz auf das Auto zugeschossen, sprang vom Rad und öffnete der Dame die Tür. Vilena überlegte, dass sie von der Autofahrerin noch ebenso wenig wisse wie diese von ihr, eigentlich noch weniger. Sie kannte nicht einmal deren Namen. Etwas ängstlich war ihr nun doch zumute. Doch als der Junge zu sprechen begann, begriff sie überhaupt nichts mehr.

»Da bist du ja endlich, Mutti«, begrüßte Nick seine Mutter. »Heute hat dich Onkel Lutz aber lange festgehalten.«

Die Dame war also die Mutter dieses Jungen. Vilena kam aus dem Staunen nicht heraus. Sie wirkte doch noch so jung und hatte schon einen so großen Sohn. Andererseits war es beruhigend, dass sie Kinder hatte.

So weit war Vilena in ihren Gedanken gekommen, als Nick verblüfft fragte: »Wen hast du denn da mitgebracht? Ich wusste gar nicht, dass wir wieder Zuwachs bekommen.« Ein leichter Vorwurf klang aus seiner Frage heraus.

»Ich auch nicht«, antwortete Denise trocken. »Wenigstens bis vor einer Viertelstunde noch nicht.« Dann machte sie die beiden miteinander bekannt. »Das ist mein Sohn Dominik«, stellte sie vor, »und das ist Vilena.«

Nick ging um den Wagen herum und reichte Vilena zuvorkommend die Hand. Er glaubte die Vorstellung seiner Mutter ergänzen zu müssen. »Ja, ich bin Dominik von Wellentin. Herzlich willkommen auf Sophienlust, Vilena. Darf man fragen, wie du weiter heißt?«

»Tu das lieber nicht«, antwortete Denise warnend. »Das möchte Vilena nämlich nicht verraten.«

Zum ersten Mal musste Vilena lachen. »Deine Mutter hat mich auf der Straße aufgelesen, Dominik«, erklärte sie. »Sie weiß auch nicht, wie ich weiter heiße. Ich möchte es auch nicht sagen. Aus dem einfachen Grund nicht, weil ich ausgekniffen bin und nicht zurück will. Kannst du das verstehen?«

Nick war ein wenig enttäuscht. Die Antwort befriedigte ihn nicht. Aber es gelang ihm recht gut, seine Enttäuschung zu überspielen.

»Wir können hier alles verstehen. Das wirst du bald merken. Übrigens brauchst du mich nicht Dominik zu nennen. Ich heiße zwar so, aber alle meine Freunde nennen mich Nick. Wir wollen doch Freunde werden?«

Vilena kam alles hier merkwürdig vor. Die fremde schöne Frau, die sie mitgenommen hatte, der große Junge, der so freundlich war und ihr die Freundschaft anbot, obwohl er nicht wusste, wer sie war. So viel Güte und Entgegenkommen war ihr seit Jahren nicht mehr begegnet. Sie wirkte beinahe schüchtern, als sie Nick antwortete. Doch in ihren großen blauen Augen leuchtete es auf.

»Gern, Nick. Aber vielleicht ziehst du dein Angebot wieder zurück, wenn ich dir erzähle, dass ich mich schon drei Wochen lang auf der Landstraße herumtreibe, also eine richtige Streunerin bin.«

Denise war über die Offenheit des Mädchens ebenso verblüfft wie über seine gewandte und gewählte Ausdrucksweise. Aus der Gosse kam dieses Kind bestimmt nicht.

Nick betrachtete das Mädchen von oben bis unten und stellte dann sachlich fest: »Dafür siehst du aber ganz ordentlich aus.«

Vilena lachte hellauf. Ihr Lachen war perlend und glockenklar. »Du meinst, weil ich nicht total verdreckt bin? Weißt du, das ist so. Ich habe mir alle paar Tage meine Hose und meine Bluse gewaschen, wenn ich irgendwo im Wald einen Bach entdeckt hatte. Wenn man nämlich schmutzig ist, nimmt einen keiner in seinem Wagen mit, denn die Leute haben Angst, man könnte ihnen die Polster verschmieren. Das kannst du dir merken für den Fall, dass du auch einmal als Anhalter mitgenommen werden willst.«

Frau Rennert trat jetzt aus dem Portal. Denise nahm die Gelegenheit wahr, das Gespräch zwischen Nick und Vilena zu unterbrechen. Sie fasste Vilena um die Schultern und führte sie die Stufen hinauf.

»Frau Rennert, hier bringe ich Ihnen Vilena. Ich denke, wir geben ihr das Zimmer neben Vicky.« Für Vilena fügte sie hinzu: »Frau Rennert ist nämlich unsere Heimleiterin.« Danach wandte sie sich an Nick. »Nick, würdest du Vilena ihr Zimmer zeigen?«

Bereitwillig nahm Dominik dem Mädchen das kleine Bündel, das es in der Hand trug, ab und spielte übermütig den Hoteldiener. »Mit dem größten Vergnügen. Wenn Sie mir bitte folgen wollen, mein Fräulein! Ich darf Ihnen wohl das Gepäck abnehmen?«

Das Mädchen nickte. Als es an Frau Rennert vorüberging, reichte ihr auch diese die Hand: »Ich hoffe, du wirst dich bei uns wohlfühlen, Vilena.«

Das Mädchen glaubte in eine andere Welt versetzt zu sein. Keiner von all diesen Menschen kannte sie, und doch kamen ihr alle so liebenswürdig und hilfsbereit entgegen.

Denise hatte Nick in voller Absicht mit Vilena vorausgeschickt. Sie wollte das Mädchen vor unnötigen Fragen schützen. Aus diesem Grunde erzählte sie Frau Rennert, dass sie Vilena auf der Straße angetroffen habe und dass das Mädchen über Name und Herkunft nicht sprechen wolle. Wenn Frau Rennert unterrichtet war, konnte sie die anderen Kinder daran hindern, Vilena auszufragen.

Nick kam zurück. »Die hat sich gefreut«, lachte er, »als sie ihr Zimmer sah. Beim Anblick der Dusche hat sie vor lauter Wonne geschrien. Eine eigene Dusche hätte sie noch nie gehabt, hat sie gesagt.«

Denise bat Nick, in Schoeneich anzurufen und mitzuteilen, dass sie zum Abendessen auf Sophienlust bleiben wolle. Es lag ihr daran, das fremde Mädchen näher kennenzulernen und es unauffällig zu beobachten.

Nick verschwand, um seinen Auftrag auszuführen. Denise unterhielt sich noch eine Weile mit Frau Rennert, die diese Gelegenheit nutzte. Es gab immer eine ganze Anzahl von Dingen, die besprochen werden mussten.

Danach verließ Denise das Haus und ging in den Park. Wie ein Lauffeuer hatte es sich in Sophienlust herumgesprochen, dass Tante Isi angekommen sei und ein Mädchen mitgebracht habe. Die größeren Kinder kamen vom Reiten zurück und wollten gern Näheres wissen. Denise gab bereitwillig Auskunft, bat jedoch, Vilena keine Fragen zu stellen, sondern zu warten, bis sie von sich aus bereit sei, zu sprechen. Sie forderte außerdem Malu und Pünktchen auf, sich des Mädchens etwas anzunehmen, denn sie fürchtete, Vilena könnte den Abend nutzen, um wieder zu verschwinden. Sie wollte aber das Mädchen nicht noch einmal einem ungewissen Abenteuer ausgesetzt wissen.

Malu und Pünktchen hatten Verständnis für den Auftrag. Sie konnten sich leicht vorstellen, dass das Mädchen nicht ohne Grund davongelaufen war. Es brauchte also Hilfe. Für alle in Sophienlust verstand es sich aber von selbst, Menschen, die in Not waren, zu helfen.

Nach einer Weile erschien Vilena im Park. Denise staunte. Vilena hatte geduscht und sich die Haare gewaschen. Sie fielen nun nicht mehr in Strähnen herunter, sondern umrahmten das feine Gesicht des Mädchens in locker fallenden Wellen. Hose und Blüschen waren zwar noch immer etwas zerknittert, doch merkte man, dass sich Vilena Mühe gegeben hatte, sie so glatt wie nur möglich zu ziehen. Jetzt erst bemerkte man richtig, dass Vilena ausgesprochen hübsch war.

Denise machte sie mit den übrigen Kindern bekannt, von denen Vilena ebenso herzlich begrüßt wurde wie zuvor von Nick. Besonders Sascha und Andrea, die an diesem Tag ebenfalls in Sophienlust waren, begrüßten Vilena sehr herzlich.

Vilena sagte überrascht zu Denise: »Ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken soll, gnädige Frau. Ich weiß vor allem nicht, womit ich das Vertrauen, das Sie mir schenken, verdient habe. Sie haben mich von der Straße aufgelesen, und ich habe Ihnen nicht einmal meinen Namen gesagt. Trotzdem haben Sie mich mitgenommen und mir ein wunderschönes Zimmer gegeben. Außerdem sind alle hier so nett zu mir, als würden sie mich schon lange kennen.«

Denise konnte nicht antworten. Denn Wolfgang Rennert hatte eben seine Musikstunde im Pavillon beendet. Nun stürzte sich die gesamte Schar der kleineren Kinder auf sie, um sie zu begrüßen.

Vilena war sprachlos. Das, was sie hier sah, hatte mit den Vorstellungen, die sie sich von einem Heim gemacht hatte, nichts zu tun.

Es schien vielmehr eine einzige große Familie zu sein, in der jeder den anderen gern hatte.

Nick stellte Vilena seine spezielle Freundin Pünktchen vor. »Das ist unser Pünktchen, Vilena«, sagte er. »Sie hat diesen Namen bekommen, weil sie so viele kleine lustige Pünktchen auf dem Näschen hat.«

Pünktchen gab Vilena mit einem kleinen Widerstreben die Hand. Doch das bemerkte nur Nick, der seine kleine Freundin genau kannte. Immer, wenn ein anderes Mädchen auftauchte, wurde Pünktchen von Eifersucht geplagt, weil sie ständig in der Furcht lebte, jemand könnte ihr Nicks Freundschaft nehmen.

Das junge Ehepaar, Carola und Wolfgang Rennert, näherte sich nun der Gruppe. Auch mit ihnen wurde Vilena durch Nick bekannt gemacht.

Carola betrachtete das Mädchen aufmerksam. Nachdenklich wiederholte sie den Namen: »Vilena, Vilena? Mir ist, als hätte ich deinen Namen schon einmal gehört. Er ist so selten, dass man ihn kaum vergessen kann. Und wenn ich dich ansehe, habe ich das Gefühl, als hätte ich dich oder ein Bild von dir schon einmal gesehen. Aber das muss Jahre zurückliegen, denn wenn mich nicht alles täuscht, warst du damals noch viel jünger.«

Vilena erschrak zutiefst. Unwillkürlich machte sie eine Bewegung, als wollte sie fliehen. Doch dann fasste sie sich wieder und antwortete in ruhigem Ton: »Das kann nicht stimmen. Sie irren sich gewiss, oder Sie verwechseln mich. Vielleicht ist es eine Ähnlichkeit, durch welche Sie sich irreführen lassen.«

Inzwischen hatte Denise, von Vilena unbemerkt, Carola ein Zeichen gegeben. Die junge Frau deutete es richtig. Deshalb antwortete sie schnell: »Wahrscheinlich hast du recht. Ich habe mich sicher nur durch eine Ähnlichkeit täuschen lassen.«

Vilena fing den zugeworfenen Ball auf und griff danach wie nach einem Rettungsanker. »Ganz gewiss ist es so«, sagte sie. »Ich muss ein Dutzendgesicht haben, denn ich werde oft mit allen möglichen anderen Mädchen verwechselt.« Da sie bei diesen Worten jedoch über und über rot wurde, wusste Denise, dass sie gelogen hatte.

Nick hatte mit seinem feinen Empfinden sofort gespürt, dass hier eine etwas heikle Situation entstanden war. Er wollte sie retten.

»Wir haben noch eine halbe Stunde Zeit bis zum Abendessen. Soll ich dir bis dahin wenigstens einen kleinen Teil von Sophienlust zeigen?«, meinte er.

Vilena bejahte stumm, sichtlich froh, sich aus Carolas Nähe entfernen zu können.

Nick forderte Pünktchen auf: »Komm mit, Pünktchen. Wir zeigen Vilena zunächst einmal unsere Ponys und die Pferde. Du magst doch Tiere?«, fragte er das Mädchen.

»Ja, sehr«, antwortete Vilena lebhaft. Ohne es zu wissen, hatte sie damit Nick vollends für sich gewonnen. Denn einen Menschen, der Tiere ablehnte, verstand er einfach nicht. Mit Pünktchen an der Hand und auf seiner anderen Seite Vilena, machte er sich davon.

»Ich bin überzeugt, dass ich schon einmal ein Bild von ihr gesehen habe«, wandte Carola sich an Denise, nachdem sich die drei etwas entfernt hatten. »Es war ein Kinderbild. Aber es war unverkennbar dieses Mädchen. Vilena hat ein bisschen geschwindelt, als sie von Verwechslungen sprach.«

»Wahrscheinlich hast du recht, Carola.« Denise war überzeugt, dass sich das Auge der jungen Malerin nicht täuschen ließ.

»Ich muss nachher in meinem Atelier nachsehen. Ich werde sicher das Bild noch finden. Es muss in einer Zeitschrift gewesen sein«, fuhr Carola fort.

Doch Denise bat sie, das nicht zu tun. »Wir wollen Vilenas Willen respektieren und ihr nicht nachspionieren, Carola. Lassen wir ihr Zeit. Ich muss morgen sowieso mit ihr sprechen. Wenn wir sie erschrecken, jagen wir das arme Kind nur wieder auf die Landstraße hinaus. Doch wenn Vilena erst Vertrauen zu uns gewonnen hat, wird sie von selbst zu erzählen beginnen.«

Bei den Koppeln der Ponys und Pferde war Nick bereits auf dem besten Wege, das Vertrauen des Mädchens zu gewinnen. Vilena war begeistert von allem, was sie sah.

Stolz auf ihren großen Freund, erklärte Pünktchen: »Du musst nämlich wissen, Vilena, Sophienlust gehört eigentlich Nick. Seine Mutter verwaltet es nur für ihn, bis er großjährig ist.«

Vilena blickte Nick fragend an. »Ist das wahr? Gehört dir dieses herrliche Gut und das Schloss?«

Nick war so oft ermahnt worden, nicht den Besitzer herauszukehren, dass ihm Pünktchens Bemerkung sogar etwas peinlich war. Deswegen versuchte er eine kleine Tiefstapelei: »Ja, es stimmt schon. Es gehört mir. Aber ein Schloss ist Sophienlust nicht. Außerdem hat meine Urgroßmutter schon bestimmt, dass wir aus dem Gut ein Heim für heimatlose Kinder machen sollen.«

Vilena fand alles großartig. Mit Trauer dachte sie daran, dass sie bald wieder fort musste. Sie wäre von Herzen gern bei diesen Menschen geblieben, die alle so nett und freundlich waren. Doch sie konnte nicht hierbleiben. Nur ein paar Tage durfte sie sich hier ausruhen.

Beim Abendessen fand Vilena ihren Platz zwischen Sascha und Nick. Pünktchen und Malu saßen ihr gegenüber.

Zu Nicks Freude griff das Mädchen tüchtig zu. Nick ahnte allerdings nicht, dass dies für Vilena nach langer Zeit die erste richtige Mahlzeit war. Seit Wochen hatte sie nur von trockenen Brötchen oder von den Vorräten gelebt, die mitleidige Autofahrer mit ihr geteilt hatten.

Auch Denise beobachtete Vilena. Mit Befriedigung stellte sie fest, dass das Mädchen mit gesundem Appetit aß. Es hatte gewiss Hunger, aber es zeigte auch bei Tisch tadellose Manieren.

Nach dem Essen brach Denise mit ihren Kindern nach Schoeneich auf. Sascha, Andrea und Nick verabschiedeten sich von Vilena, die nicht begreifen konnte, dass Denise und ihre drei Kinder nicht in Sophienlust wohnten. Aber nach der Abfahrt der Schoeneckers stellte sie Malu und Pünktchen einige geschickte Fragen und erfuhr die Zusammenhänge.

Die drei Mädchen machten noch einen Abendspaziergang im Park. Malus kleiner Wolfsspitz Benny der Zweite sprang munter kläffend um sie herum. Malu erzählte, dass sie vor vielen Jahren mit Benny dem Ersten nach Sophienlust gekommen sei, nachdem ihr Väterchen gestorben war und sie ganz allein war. Auch vom Schicksal anderer Kinder berichtete sie.

Vilena hörte sich alles an, ließ sich aber nicht dazu verleiten, von sich selbst zu erzählen. Als sie sich später in dem schönen breiten Bett streckte, dachte sie über die Schicksale der Kinder nach, von denen sie im Laufe des Abends erfahren hatte. Sie räkelte sich wohlig.

Auch das war schon lange her, dass sie in einem richtigen Bett geschlafen hatte. Warum nur konnte und durfte sie nicht hierbleiben?

Ihr ganzes Elend kam ihr wieder zu Bewusstsein. Natürlich wäre sie auch gern wieder zur Schule gegangen. Aber es ging nicht. Man durfte sie nicht entdecken.

Um keinen Preis wollte sie das noch einmal mitmachen, was sie hinter sich hatte. Sie weinte ein wenig. Doch das weiche Bett, die Sicherheit, die sie umgab, das sanfte Rauschen der Bäume und das Plätschern des fernen Bächleins ließen sie bald in einen tiefen

traumlosen Schlaf fallen.

*

Auf Schoeneich schlief man an diesem Abend noch nicht. Sofort nach der Rückkehr hatte Denise nach dem kleinen Henrik gesehen. Alexander war zwar schon am Bettchen des Kleinen gewesen, doch ohne einen Gute-Nacht-Kuss von seiner Mutti wäre Henrik nicht eingeschlafen.

Nick hatte natürlich die Gelegenheit genutzt, die große Neuigkeit zu verkünden: »Du, Vati, wir haben ein neues Kind auf Sophienlust bekommen.«

Alexander lachte: »Was du nicht sagst! Das ist doch nichts Besonderes. Wir bekommen doch häufig neue Kinder.«

Aber Nick widersprach. »Aber diesmal ist es doch etwas Besonderes. Mutti hat das Mädchen auf der Landstraße gefunden und mitgebracht. Sie hat einen ganz seltsamen Namen. Sie heißt Vilena. Hast du das schon einmal gehört?« Seine Frage war rein rhetorisch, denn er ließ Alexander überhaupt keine Zeit zur Antwort, sondern sprach sofort weiter: »Sie hat selbst zu mir gesagt, sie sei eine Streunerin.«

Alexander blickte ihn zweifelnd an. Die Geschichte erschien ihm reichlich unwahrscheinlich. Aber Sascha bestätigte den Bericht seines Bruders. »Doch, es stimmt alles, was Nick erzählt hat, Vati. Sie ist sogar ein sehr hübsches Mädchen.«

»Das fiel dir natürlich sofort auf.« Alexander lächelte.

Nun mischte sich auch Andrea in das Gespräch. »Sie ist wirklich so hübsch, dass es jedem auffallen muss, Vati. Dabei ist sie noch jünger als ich. Vierzehn wäre sie, hat Nick gesagt.«

Denise kam die Treppe zur Halle hinab. Sie verharrte auf den Stufen und hörte der Unterhaltung einen Augenblick zu.

»Na?«, fragte sie, »habt ihr eure Neuigkeit schon an den Mann gebracht?«

Aller Köpfe drehten sich ihr zu.

»Klar«, antwortete Alexander für die Kinder. »So wichtige Begebenheiten vertragen keine Verzögerung. Oder denkst du etwa anders?«

Denise berichtete nun ausführlich von ihrer Begegnung mit Vilena. Nick erfuhr dabei einiges, was er noch nicht gewusst hatte. Auch Carolas Vermutung, sie habe in einer Zeitschrift schon einmal ein Bild des Mädchens gesehen, verschwieg Denise nicht.

In Alexanders Augen trat ein zweifelnder Ausdruck. »Ich verstehe durchaus, mein Liebes, dass du das Kind nicht am Straßenrand ungewissen Gefahren überlassen konntest. Aber es muss doch etwas dahinterstecken, wenn das Mädchen so beharrlich seinen Namen verschweigt. Hoffentlich hast du dir da nicht eine üble Geschichte auf den Hals geladen. Aber wie ich dich kenne«, fügte er lächelnd hinzu, »hast du dir schon längst überlegt, was du tun willst.«

Denise kauerte sich behaglich in ihren Lieblingssessel neben dem Kamin. »Ich werde morgen mit dem Mädchen reden«, sagte sie. »Ich hatte den ganzen Abend über Gelegenheit, Vilena zu beobachten. Manchmal schaute sie sich mit einem Blick voller Trauer um. Ich hatte den Eindruck, dass es sie schmerzte, nicht auf Sophienlust bleiben zu können. Wenn ich ihr jedoch klarmache, dass sie bleiben kann, wenn sie will, und dass ich in diesem Fall bereit bin, mit ihren Angehörigen, wenn sie welche hat, zu sprechen, dann wird sie schon aus sich herausgehen und mir erzählen, was sie auf die Landstraße getrieben hat. Es müssen schwerwiegende Gründe sein. Denn sie ist alles andere als leichtfertig.«

»Bist du sicher, dass du dich nicht getäuscht hast?«, fragte Alexander.

Doch noch ehe Denise antworten konnte, sprang Sascha in die Bresche. »Davon bin ich fest überzeugt, Vati. Mutti täuscht sich eigentlich nie. Und wenn du Vilena gesehen hast, stimmst du Mutti bestimmt zu.«

»Oha, Vati!«, lachte Nick. »Dein Ältester steht in hellen Flammen.«

Sascha bekam einen roten Kopf. »So’n Quatsch, Nick. So blöd kannst auch nur du daherreden. Das ist doch noch ein Kind. Kaum vierzehn Jahre alt.«

Denise fand es an der Zeit, einzugreifen. »Wir wollen nicht streiten«, mahnte sie. »Jeder soll seine Meinung zum Ausdruck bringen. Deshalb ist es unrichtig von dir, Nick, Sascha gleich persönliche Motive zu unterstellen.«

Nick lenkte sofort ein. »Ich finde sie ja auch recht hübsch. Und ehrlich ist sie auch. Ich habe lange mit ihr gesprochen. Ich hätte es sofort gemerkt, wenn sie ein Flittchen wäre.«

»Dominik!«, rief Denise. »Wo hast du nur den Ausdruck wieder aufgeschnappt?«

Wenn seine Mutti Dominik sagte, wusste Nick, was die Glocke geschlagen hatte. Doch unerwartet fand er in Sascha einen Verteidiger: »Wo schon, Mutti. In der Schule natürlich. Wir kennen alle diese Ausdrücke. Nur ist Nick so unvorsichtig, sie auch zu benutzen.«

Alexander von Schoenecker wandte sich ab. Er musste heimlich lachen. Gott sei Dank, dachte er, habe ich noch nicht vergessen, dass ich auch einmal ein Junge war. Aber es ist ganz prächtig, wie die Rasselbande zusammenhält, wenn es wirklich darauf ankommt.

Er drehte sich wieder um und sagte: »Lassen wir die Sache auf sich beruhen. Mutti wird schon alles in Ordnung bringen. Und nun schlage ich vor, dass unsere Jugend ins Bett verschwindet, während wir Alten uns noch einen Schlummertrunk genehmigen.«

Dominik hatte schon wieder Oberwasser. »Ich höre immer ›Alten‹«, sagte er verschmitzt. »Solltest du diesen Ausdruck etwa in Bezug auf meine Eltern gebrauchen, müsste ich mir das energisch verbitten. Wir sind in der glücklichen Lage, noch recht jugendliche Eltern zu haben.«

Damit hatte er die Lacher auf seine Seite gebracht. So war es immer auf Schoeneich. Einen richtigen Streit gab es eigentlich nicht. Er wurde immer im Keime erstickt.

Sascha, Andrea und Nick zogen ab, nachdem sie sich von ihren Eltern mit einem Gute-Nacht-Kuss verabschiedet hatten. Sie gönnten ihrem Vati und ihrer Mutti das abendliche Plauderstündchen, denn beide hatten den ganzen Tag über wenig Gelegenheit, allein zu bleiben.

»Was nimmst du, mein Liebes, einen Whisky oder einen Kognak?«

»Gib mir einen Kognak«, bat Denise. »Ich glaube, ich habe ihn heute nötig.«

Alexander mischte sich einen Whisky mit Eis und Soda und brachte Denise ihren Kognak. Schweigend nahm er einen kräftigen Schluck, während Denise nur an ihrem Glas nippte.

»Mir geht das Mädchen nicht aus dem Sinn«, begann sie, indem sie das Glas abstellte. »Ich konnte sie beobachten, als Carola davon sprach, sie habe schon einmal ein Bild von ihr gesehen. Sie war tödlich erschrocken. Für einen Augenblick gewann ich den Eindruck, sie wolle davonlaufen.«

»Wahrscheinlich stimmt dann also Carolas Beobachtung. Als Malerin hat sie einen guten Blick und vergisst kaum jemals etwas, was ihr einmal aufgefallen ist. Besonders dann nicht, wenn es mit ihren künstlerischen Ambitionen in Zusammenhang steht. Dieser Gedanke bringt mich in eine bestimmte Richtung.«

»Eben!«, warf Denise ein. »Diese Idee kam mir auch, als ich Carolas Äußerung hörte. Höchstwahrscheinlich hat jemand das Kind einmal gemalt, und das Bild wurde in einem Katalog oder einer Zeitschrift abgebildet. Aber wozu sollen wir uns jetzt darüber den Kopf zerbrechen. Im Grunde ändert sich dadurch nichts an den Tatsachen. Ich werde morgen mit Vilena sprechen. Es wird sich schon herausstellen, was mit ihr los ist. Ich bin allerdings ganz sicher, dass Nick damit recht hat, dass sie kein Flittchen ist.«

Alexander lachte aus vollem Halse. »Also Ausdrücke hast du! Ich muss schon sagen, das ist wirklich allerhand. Ich möchte nur wissen, wo du das wieder aufgeschnappt hast!«

Fröhlich stimmte Denise in sein Gelächter ein. Alexander beugte sich zu ihr hinab und küsste sie zart und innig. »Komm, mein Liebes, wir wollen schlafen gehen. Du hast einen anstrengenden und aufregenden Tag hinter dir.«

»Und doch einen guten«, stimmte ihm Denise zu. »Ich glaube kaum, dass wir dieses Kind so bald wieder verlieren werden. Es spricht gar nichts dafür. Und mein Gefühl trügt mich selten.«

*

Am anderen Morgen fuhr Denise sehr zeitig nach Sophienlust. Sie wollte Klarheit haben. Es war sowohl im Interesse des Mädchens wie auch in ihrem eigenen.

Vilena erwachte an diesem Morgen von den hellen Stimmen der Kinder, die durch die Gänge und Treppen des Hauses hallten. Sie musste sich einige Augenblicke besinnen, bis sie sich zurechtfand und wieder wusste, wo sie war. Sie hatte schon lange nicht mehr so gut und so tief geschlafen. Viele unruhige Nächte lagen hinter ihr. Denn wenn sie in einen Heustadel gekrochen war oder die Nacht in einer Scheune verbracht hatte, war sie vor Angst immer wieder aufgewacht.

Nun schien die frühe Sonne in ihr Zimmer, und die Vorhänge blähten sich im leichten Morgenwind. Vilena genoss die Wärme und die Weichheit des Bettes. Am liebsten hätte sie sich umgedreht und weitergeschlafen. Doch sie dachte daran, dass in einem Heim, in dem so viele Kinder lebten, eine gewisse Ordnung herrschen musste, wenn der Betrieb in geregelten Bahnen verlaufen sollte. So dehnte sie sich nochmals, gähnte herzhaft, schlug dann mit einem Ruck die Decke zurück und sprang aus dem Bett.

Fürsorglich hatte ihr Frau Rennert am vergangenen Abend einen Schlafanzug auf das Bett gelegt. Vilena streifte ihn ab, eilte in die Duschnische, zog die Vorhänge hinter sich zu und drehte die Hähne auf. Es war für sie ein wundervoller Genuss, das warme Wasser an ihrem Körper zu spüren, sich richtig abseifen zu können und sich ordentlich zu waschen. Das hatte sie unterwegs am meisten entbehrt.

Rasch schlüpfte sie danach in ihre Kleider. Es tat ihr leid, dass sie wieder die ausgewaschenen Bluejeans und die zerknitterte Bluse anziehen musste. Doch sie hatte nichts anderes. Vorsichtshalber packte sie ihr Bündelchen wieder zusammen, denn sie wusste ja nicht, ob sie noch einen oder zwei Tage würde bleiben dürfen.

Als sie ins Erdgeschoß kam, waren alle Kinder schon beim Frühstück. Frau Rennert begrüßte sie und wünschte ihr einen guten Morgen. »Warum bist du schon aufgestanden, Vilena?«, fragte sie. »Du brauchst doch nicht zur Schule. Also hättest du ruhig einmal tüchtig ausschlafen können.«

Vilenas Blick verriet Überraschung. »Aber dann hätte ich Ihnen den ganzen Haushalt durcheinandergebracht.«

»Darüber würde ich mir an deiner Stelle keine Sorgen machen«, lachte Frau Rennert. »So genau nehmen wir das nicht. Aber wenn du schon aufgestanden bist, kannst du auch gleich mit den übrigen Kindern frühstücken.«

Schon beim Frühstück ging es recht lustig zu. Die Kinder schwatzten und lachten durcheinander. Dann brachen alle auf, weil sie zur Schule mussten. Zuerst die Größeren, die in der Stadt das Gymnasium besuchten.

Vilena begleitete Pünktchen und Malu auf den Gutshof hinaus. Der Schulbus wartete schon und fuhr nach wenigen Minuten ab. Als kurz darauf auch die kleineren Kinder zur Dorfschule abgefahren waren und Schwester Gretli die noch nicht schulpflichtigen Kinder abgeholt hatte, um mit ihnen spazierenzugehen, wurde es ziemlich still auf Sophienlust.

Sich selbst überlassen, streifte Vilena umher. Ihr Blick erfasste die Schönheiten der herrlichen Parklandschaft, die Äcker, Wiesen und Felder, die sich an die Hügelkette schmiegten, unterbrochen von einzelnen Baumgruppen und Waldstücken. Wie eingebettet lag Sophienlust inmitten dieser landschaftlichen Schönheiten mit seinem schlossartigen Hauptgebäude und den zahlreichen Nebengebäuden. Über allem spannte sich ein blassblauer Himmel, durch den einzelne weiße Wölkchen im leichten Sommerwind dahinsegelten.

Vilena ging in den Park. Noch glitzerten Tautropfen an den Gräsern, am Gebüsch und an den Blättern und Ästen der Bäume. Vilena blieb stehen. Erinnerungen an glückliche Tage aus ihrer frühen Kindheit wurden schmerzhaft in ihr wach. Mit einem kleinen Seufzer wandte sie sich wieder dem Haus zu. Am Eingang traf sie auf Denise.

»Guten Morgen, Frau von Schoenecker«, grüßte sie höflich.

»Guten Morgen, Vilena.« Denises Stimme klang freundlich. »Hast du schon einen Morgenspaziergang gemacht?«

»Ich habe mich ein wenig umgesehen«, antwortete Vilena leise. »Es ist wunderschön hier.«

»Ich freue mich, wenn dir Sophienlust gefällt. Es liegt ganz bei dir, ob und wie lange du bleibst. Komm mit mir, wir wollen einmal darüber reden.«

Schade, dachte Vilena, es geht schneller zu Ende, als ich gedacht hatte. Mit zögernden Schritten folgte sie Denise, die sie in das Biedermeierzimmer führte. Überrascht blieb Vilena auf der Schwelle stehen. Ihre Augen tasteten den Raum ab, erfassten die hohen Fenster mit den seidenen Vorhängen, die schönen alten Möbel mit ihren schlichten Formen, die gestreiften Bezüge der Polsterungen.

»Das ist schön und stilvoll«, äußerte sie leise.

»Gefällt es dir?«, fragte Denise und wunderte sich über den ausgeprägt guten Geschmack des Mädchens. »Hier hat schon Nicks Urgroßmutter gelebt. Ich habe nichts geändert. Komm! Setz dich. In diesem Raum kann man in aller Ruhe über alles sprechen. Er hat schon viel gehört. Aber die Gegenstände hier bleiben stumm, sie verraten nichts von dem, was hier gesprochen wird.«

Denise nahm Vilena gegenüber Platz und ließ eine Weile vergehen, ehe sie das Gespräch begann. »Ich habe vorhin gesagt, Vilena, du könntest bei uns bleiben, solange du willst. Aber es gibt da einiges, über das wir unbedingt sprechen müssen. Du wolltest nichts von dir erzählen. Ich nehme an, dass du gewichtige Gründe dafür hast. Andererseits musst du natürlich bedenken, dass ich dich nicht ohne weiteres hierbehalten kann. Ein vierzehnjähriges Mädchen kann nicht einfach verschwinden. Es wäre immerhin möglich, dass du Angehörige hast, die sich deinetwegen Sorgen machen.«

Vilena schüttelte den Kopf. Es fiel ihr schwer zu sprechen, weil sie gegen die aufsteigenden Tränen ankämpfen musste.

»Ich habe gewusst, dass ich nicht hierbleiben kann. Aber ich hatte nicht geglaubt, dass es so schnell gehen würde. Es war eben eine Illusion. Glauben Sie bitte nicht, Frau von Schoenecker, dass ich Ihren Standpunkt nicht verstehen könnte. Ihre Bedenken sind mir völlig klar. Ich habe mir schon selbst dasselbe gesagt. Nein, ich habe keine Angehörigen, die sich um mich sorgen. Aber ich kann auch nicht dorthin zurück, woher ich gekommen bin. Nein, niemals möchte ich das noch einmal erleben, was ich durchgemacht habe.«

Vilena brach ab, weil sie nicht mehr weitersprechen konnte. Tränen liefen über ihre Wangen. Es war ein stilles, lautloses Weinen, das sie erschütterte.

Denise ließ ihr Zeit. Sie ergriff tröstend die Hand des Mädchens und behielt sie in der ihren.

»Ich glaube nicht, dass du zurückgehen musst, Vilena«, sagte sie leise und ernst. »Ich bin im Gegenteil fest davon überzeugt, dass du hierbleiben kannst. Aber dazu müssen wir etwas unternehmen. Das kann ich jedoch nicht, wenn ich nicht weiß, an wen ich mich wenden muss. Du musst mir vertrauen. Ich kann und will dich nicht zwingen, doch musst du mir glauben, dass hier nichts gegen deinen Willen geschieht. Deshalb schlage ich vor, dass du mir alles rückhaltlos erzählst. Dagegen verspreche ich dir, dass ich mit keinem Menschen darüber reden werde, falls du der Meinung bist, wir könnten dir nicht helfen. Wir sind uns dann niemals begegnet, ich werde dich nicht zurückhalten, du kannst wieder verschwinden und untertauchen, wie du gekommen bist. Ich nehme aber nicht an, dass es dazu kommen wird. Du bist zwar erst vierzehn Jahre alt, aber weit über dein Alter hinaus gereift. Also wirst du vernünftigen Überlegungen zugänglich sein.« Denise ließ eine Pause eintreten, um dem Mädchen Gelegenheit zum Nachdenken zu geben. Dann fügte sie mit einem halben Lächeln hinzu: »Wollen wir diesen Pakt schließen?«

Vilena hatte in der Zwischenzeit ihre Ruhe wiedergefunden. Sie nickte stumm mit dem Kopf, ehe sie antwortete: »Ich habe Vertrauen zu ihnen, Frau von Schoenecker. Ich glaube, dass ich bisher kaum jemals zu einem Menschen so viel Vertrauen gehabt habe wie zu Ihnen. Ich verstehe Ihre Gründe und bin gescheit genug, um zu begreifen, dass es so mit mir nicht weitergehen kann wie bisher.« Sie lächelte ein wenig bitter. »Es wird nicht sehr erfreulich sein, was ich Ihnen zu erzählen habe. Lassen Sie mich vorausschicken, dass ich gestern Abend sehr glücklich war, als ich hierbleiben durfte. Ich habe die freundliche Atmosphäre, die mich umgab, förmlich in mich hineingesogen, weil ich dergleichen viele Jahre hindurch nicht mehr erlebt habe. Es wird Ihnen nicht entgangen sein, wie sehr ich erschrak, als Carola Rennert gestern Abend erwähnte, sie habe schon einmal ein Kinderbild von mir gesehen. Schön. Sie hat recht gehabt. Wahrscheinlich hat sie in irgendeiner Zeitschrift oder in einem Katalog einer Kunstausstellung ein Bild von mir gesehen. Ich habe aus Angst gelogen. Aber Lügen haben kurze Beine.«

Sophienlust Classic 48 – Familienroman

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