Читать книгу Dr. Norden Classic 46 – Arztroman - Patricia Vandenberg - Страница 3

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»Felix, machst du bitte mal auf?«, schallte Lennis Stimme durchs Haus der Familie Norden. Die Haushälterin steckte in der hintersten Ecke der Speisekammer, von wo es so schnell kein Entkommen gab. »Ich kann gerade nicht!«

Verschlafen schreckte der zweitälteste Sohn der Familie Norden aus seinem Nachmittagsschlaf auf der Couch. In wenigen Tagen begann sein freiwilliges soziales Jahr, das er bei einer Ergotherapeutin in der Behnisch-Klinik absolvieren würde. Bis es so weit war, genoss er sein Leben in vollen Zügen. Dazu gehörte es auch, sich tagsüber die eine oder andere Ruhepause zu gönnen.

»Felix, wo steckst du denn?«, rief Lenni noch einmal, diesmal deutlich ungeduldig, als es erneut klingelte.

»Ich mach ja schon«, antwortete er und hievte sich kraftlos von der Couch hoch. Er schlurfte durch den Flur und öffnete die Haustür.

»Ja bitte?«, fragte er ein bisschen mürrisch und fuhr sich durch das verstrubbelte Haar.

»Bin ich hier richtig bei Norden?«

Als Felix die melodische weibliche Stimme hörte, war er mit einem Schlag hellwach.

»Ja, klar. Steht doch auf dem Namensschild.« Ungläubig starrte er die aparte junge Frau an, die vor ihm stand. Um ihre vollen Lippen zuckte ein Lächeln, und Felix konnte sich den Grund dafür lebhaft vorstellen. »Lachst du mich etwa aus?«, fragte er trotzdem.

»Hmm, der Effekt der Nähe besagt, dass man einen Menschen umso attraktiver findet, je mehr Zeit man mit ihm verbringt«, ließ eine freche Antwort nicht lange auf sich warten. »Wenn ich dich noch ein bisschen anstarre, siehst du ja vielleicht irgendwann aus wie ein Mensch«, lachte das blonde Mädchen.

»Moment mal!«, reklamierte Felix postwendend. »Normalerweise bin ich in diesem Haus für die frechen Sprüche verantwortlich.«

»Mag sein. Aber ich bin ja auch nicht im Haus.« Sie legte den Kopf schief und sah ihn an. »Ich steh davor.«

»Eins zu null für dich«, musste Felix zugeben und zupfte sich verlegen am Ohrläppchen. Je wacher er wurde, umso bewusster wurde ihm, welch atemberaubende Schönheit er da vor sich hatte. »Dich muss die gute Fee hergeschickt haben«, versuchte er, mit einem Kompliment Pluspunkte zu sammeln.

»Wenn die gute Fee männlich und Mitte 60 ist und Jakob Rieger heißt, dann hast du recht«, erwiderte die Schönheit unbeeindruckt.

Während Felix nachdachte, seufzte er abgrundtief.

»Ich seh schon, du lässt dich nicht so leicht beeindrucken. Soweit ich weiß, ist Jakob Rieger der Verehrer von Dads Assistentin Wendy.«

»Nicht nur das. Nebenbei ist er auch noch mein Großonkel. Mein Name ist Susanne Rieger«, stellte sich die junge Frau sichtlich amüsiert vor. »Und ich bin hier wegen der Skier, die ihr zu verkaufen habt. Wendy hat meinem Onkel Jakob davon erzählt, und der hat sofort an mich gedacht. Sind sie noch zu haben?«

Die Unsicherheit in Susannes Augen sorgte dafür, dass Felix wieder Boden unter den Füßen bekam.

»Du hast Glück gehabt und den langen, beschwerlichen Weg nicht umsonst gemacht«, beruhigte er sie und griff nach dem Garagenschlüssel, der am Schlüsselbrett neben der Garderobe hing. Gleichzeitig sah er auf die Uhr. »In einer halben Stunde kommt eine Interessentin. Aber wenn du sie haben willst, lasse ich dir natürlich den Vortritt.« Er ging an ihr vorbei aus dem Haus und winkte sie mit sich.

Susanne folgte ihm. Vor Argwohn waren ihre Augen schmal geworden.

»Warum bekomme ich eine Sonderbehandlung?«

»Nicht, weil du so atemberaubend schön bist«, erwiderte Felix und freute sich, seine Schlagfertigkeit wiedergefunden zu haben.

»Dein Glück. Sonst wäre ich sofort wieder gegangen. Ich kann oberflächliche Menschen nämlich nicht leiden«, stand Susa ihm jedoch in nichts nach und sah ihm dabei zu, wie er die Garage aufschloss.

»Dann hätten wir das ja geklärt«, grinste Felix und ließ Susanne den Vortritt. »Immer herein in die gute Stube. Die Ski stehen auf der rechten Seite. Du brauchst nicht zufällig auch einen tiefgründigen Lehrer?«, ließ er nicht locker. Sein wohlgefälliger Blick ruhte auf Susannes geschmeidiger Figur. Natürlich war er nicht oberflächlich und neben einem angenehmen Erscheinungsbild waren ihm bei einer Frau durchaus auch andere Qualitäten wichtig. Aber so ein erbaulicher Anblick, wie seine Besucherin bot, hatte doch durchaus etwas für sich.

Mit dieser Frage schien er Susanne erwischt zu haben. Einen Moment lang stand sie vor dem neuwertigen Paar Skier, das Anneka Norden nur eine Saison lang gefahren hatte, und dachte nach.

»Wenn du so fragst: Eigentlich schon«, gestand sie schließlich und streckte die Hand aus, um mit den Fingern über die scharf geschliffenen Kanten zu streichen.

Als er ihre Absicht erkannte, erschrak Felix.

»Vorsicht!« Er griff nach ihrer Hand und zog sie fort. »Die sind frisch geschliffen. Nicht, dass du dich schneidest.«

Einen Augenblick lang war Susa überrascht, und schnell wand sie sich aus der Umklammerung. Dabei lag ein solcher Ekel in ihrem Gesicht, dass sich Felix nur wundern konnte.

»Ich geh mal davon aus, dass das ein plumper Annäherungsversuch war«, ging sie zum Angriff über, um ihre Verwirrung zu überspielen. »So scharf werden die Dinger schon nicht sein.«

Unwillig schüttelte Felix den Kopf.

»So nötig, wie du denkst, hab ich’s nun auch wieder nicht«, gab er patzig zurück und griff nach einem alten Lumpen, der im Regal in der Ecke lag.

Er spannte ihn zwischen den Händen und fuhr damit über die scharfe Stahlkante eines Skis. Mit einem leisen Ratschen teilte sich der Stoff.

Susa hatte ihn mit großen Augen beobachtet.

»Oh, die Dinger sind ja wirklich scharf.« Fast sofort stand ihr das schlechte Gewissen ins Gesicht geschrieben.

Sie sah so zerknirscht aus, dass Felix ihr nicht böse sein konnte.

»Daraus kann ich schließen, dass du blutige Anfängerin bist, nicht wahr?«, fragte er und legte die beiden Lumpenstücke zurück ins Regal.

»Allerdings.« Susanne schenkte ihm ein reumütiges Lächeln. »Freunde haben mich gefragt, ob ich nicht Lust hätte, im Winter mit ihnen Skifahren zu gehen«, beantwortete sie auch sofort die Frage, die Felix als nächstes stellen würde. »Darüber habe ich mich mit Onkel Jakob unterhalten, und er hat mir eure Adresse gegeben.«

»Eine weise Entscheidung. Hier findest du alles, was du rund ums Skifahren brauchst und wissen musst.« Am liebsten hätte Felix ein »und noch viel mehr« angehängt. Da er aber nicht überheblich wirken wollte, verzichtete er darauf und beschränkte sich auf eine perfekte Kaufberatung. »Die Ski haben die ideale Größe für dich. Und passende Schuhe sollten wir auch noch haben.«

»Wirklich? Das wäre toll.« Susannes Freude war echt, und Felix sprang davon, um sich auf die Suche nach zu machen.

Als Susanne Rieger das Haus der Familie Norden eine halbe Stunde später verließ, war sie nicht nur stolze Besitzerin einer kompletten Skiausrüstung, sondern hatte auch noch eine Verabredung zu einer Theoriestunde mit Felix Norden in der Tasche. Nach der freundlichen und überaus kurzweiligen Beratung, in der Felix seinen Geist und Witz hatte sprühen lassen, war es ihr nicht schwer gefallen, ihn gleich am selben Abend in einem Café in der Innenstadt zu treffen.

*

»Nachts würde ich dieser Frau aber nicht gern begegnen«, raunte Dr. Nordens langjährige Assistentin Wendy ihrer Freundin und Kollegin Janine Merck zu, kaum dass die Tür hinter der Patientin Dorothee Miller zugefallen war. Normalerweise lästerte sie nicht über die Patienten der Praxis. Dass sie es sich diesmal nicht verkneifen konnte, hatte mehrere Gründe. »Tatjana hat recht. Ihre ehemalige Chefin hat wirklich ein Gesicht wie eine Bulldogge.«

»Dabei ist das ungerecht. Diese Hunde haben nämlich ein ausgesprochen freundliches Gemüt. Im Gegensatz zu Frau Miller«, teilte Janine die Ansicht ihrer Freundin. »Kein Wunder, dass Tatjana nicht mit ihr arbeiten kann.«

»Was höre ich da, meine Damen?« Auf dem Weg zum Tresen hatte Danny Norden den Namen seiner Freundin aufgeschnappt. Er gesellte sich zu seinen beiden Mitarbeiterinnen und sah sie fragend an. »Meine Freundin und Frau Miller haben eigentlich keine Probleme mehr miteinander.« Seine Augen blitzten übermütig, und sowohl Janine als auch Wendy kannten den Grund dafür.

»Das liegt aber nur daran, dass Tatjana inzwischen stolze Besitzerin der Bäckerei Bärwald und damit Chefin von Dorothee ist«, erinnerte Wendy ihren jungen Chef an die unabänderlichen Tatsachen.

Danny zuckte unschuldig mit den Schultern.

»Und wenn schon …?« Zufrieden lächelnd griff er nach der nächsten Patientenkarte.

»Wie sieht es denn jetzt eigentlich aus?«, nutzte Janine die Gunst der Stunde, um ein paar Neuigkeiten zu erfahren, ehe sich Danny wieder an die Arbeit machte. »Bleibt Dorothee denn jetzt in der Bäckerei? Ich dachte, Tatjana wollte sie so schnell wie möglich loswerden.«

Diese Annahme entsprach durchaus den Tatsachen, zumal Dorothee Miller die Bäckerei mit dem angeschlossenen Café um ein Haar in den Ruin getrieben hätte. Schuld daran waren ihre Pläne, das kleine Geschäft ihrer Freundin Hilde Bärwald an eine Kette zu verkaufen und selbst die Filialleitung zu übernehmen. Doch diese Suppe hatte Tatjana Bohde ihr gründlich versalzen. Mit einer beispiellosen Crowdfunding-Aktion hatten Danny und Tatjana eine ansehnliche Summe gesammelt, mit der sie Frau Bärwald ausbezahlen konnte. Bis Tatjana ihre Prüfung zur Bäckerin und Konditorin abgelegt hatte, war Hilde Bärwald noch auf dem Papier Geschäftsführerin. Danach würde Tatjana das Geschäft allein gehören. Auf diesen Tag fieberte sie bereits hin. Doch bis es so weit war, gab es noch jede Menge zu tun.

»Ehrlich gesagt bin ich froh, dass sie Dorothee im Augenblick gesundheitsbedingt nicht kündigen kann. Immerhin gibt es jetzt viel zu tun«, beantwortete Danny bereitwillig Janines Frage. »Die Renovierung und der Umbau der Bäckerei sind eine Menge Arbeit. Mal abgesehen davon, dass ich ja auch noch mitten drin stecke in meiner Doktorarbeit und meine Freundin hin und wieder als moralische Stütze brauche.«

»Was fehlt Frau Miller eigentlich?«, erkundigte sich Wendy.

»Sie hat massiven Bluthochdruck«, machte Danny kein Geheimnis aus den Tatsachen. »Sie muss ihre Ernährung komplett umstellen, Medikamente nehmen und sollte darüber hinaus jede Aufregung und jeden Stress vermeiden.« Nachdenklich wiegte er den Kopf. »Schon allein deswegen wird sie es sich in Zukunft überlegen, ob sie sich noch einmal mit Tatjana anlegt.«

»Aber wird sie denn mit dieser Erkrankung genauso belastbar sein wie bisher?«, stellte Janine eine berechtigte Frage.

Auf diesem Gebiet hatte sie Erfahrung. Die ehemalige Krankenschwester der Behnisch-Klinik verdankte ihre Stelle bei Dr. Norden ihren Rückenschmerzen, wegen denen sie die schwere Arbeit in der Klinik nicht mehr hatte verrichten können.

Daran hatte Danny noch gar nicht gedacht und er runzelte die Stirn.

»Zumindest hoffe ich es! Denn seit der Aktion im Internet läuft die Bäckerei besser als je zuvor.« Es wurde Zeit für den nächsten Patienten, und der junge Arzt griff nach der Patientenkarte, die obenauf auf seinem Stapel lag. Die Vorsorgeuntersuchung eines Kleinkindes stand auf dem Programm. »Es wird sich eine Lösung finden. Zuerst einmal treffen wir uns wegen des fälligen Umbaus heute Abend mit Jenny Behnisch und ihrem Lebensgefährten Roman Kürschner. Danach sehen wir weiter«, tat Danny seine Hoffnung kund und ging zum Wartezimmer, um seinen kleinen Patienten mitsamt dessen Vater ins Behandlungszimmer zu rufen. Auch wenn er sich die Belange seiner Freundin auf die Fahne geschrieben hatte, konzentrierte er sich tagsüber voll und ganz auf seine Patienten. Das war er ihnen schuldig.

*

Die langen Sommertage hatten ein Ende, und immer früher verschwand die Sonne hinter Baumwipfeln und Dächern, um einer empfindlich kühlen Dämmerung Platz zu machen. Ein eindeutiges Zeichen dafür, dass der Herbst Einzug gehalten hatte.

»Ganz schön kalt!« Bibbernd zog Jenny Behnisch die Jacke enger um sich, und ihr Freund legte den Arm schützend um ihre Schultern, als sie den Gartenweg zum Haus der Familie Norden hinauf gingen.

»Schön, dass ihr so schnell Zeit gefunden habt!« Freudig, aber ebenfalls fröstelnd stand Felicitas Norden in der Tür und begrüßte ihre Gäste, die sich an diesem Abend zu ihnen an den Esstisch gesellten.

»Ich bitte dich, Fee«, erwiderte Jenny und küsste ihre langjährige Freundin und Kollegin rechts und links auf die Wangen. »Wer eine Einladung bei euch nicht gleich annimmt, ist selbst schuld.« Schnell traten die beiden ein, und Fee schloss die Tür hinter ihnen, um die kühle Abendluft auszusperren.

Während Daniel seiner Freundin die Jacke abnahm, hob sie schnuppernd die Nase. Sie hatte sich nicht getäuscht. Ein verführerischer Duft nach Kräutern und Knoblauch zog durch den Flur.

»Hab ich es dir nicht gesagt?«, wandte sich Jenny triumphierend an ihren Lebensgefährten, den Architekten Roman Kürschner, der ihr Leben schon seit einigen Jahren bereicherte.

»Manchmal vergesse ich, dass du so eine Feinschmeckerin bist«, erwiderte er, nachdem er zuerst Fee und dann Daniel begrüßt hatte. »Wenn ich höre, was du Tag für Tag in der Klinik isst … schnell hier ein halbes Brötchen und dort eine Scheibe Käse …« Unwillig schüttelte er den Kopf. »Als Klinikchefin solltest du eigentlich wissen, wie wichtig eine gesunde Ernährung ist.«

»Aber wenn ich doch so viel Arbeit habe, dass tagsüber zum Essen keine Zeit bleibt …«, hielt Jenny trotzig dagegen.

»Gerade dann!«, mischte sich Daniel Norden schelmisch lächelnd und sehr zum Bedauern seiner Freundin in das Gespräch ein.

Sie fuhr herum und schickte ihm einen blitzenden Blick.

»Du fällst mir in den Rücken, du Pharisäer? Das hätte ich nicht von dir gedacht.«

Daniel lachte. »Ganz im Gegenteil. Wir laden dich zum Essen ein, damit du nachholen kannst, was du tagsüber verpasst. Und uns darüber hinaus noch lange erhalten bleibst«, versprach er und führte seine Gäste ins Esszimmer, wo Tatjana und Danny bereits den Tisch gedeckt hatten.

»Jenny, Roman, wie schön, dass ihr da seid«, freute sich auch das junge Paar über den Besuch, der nicht zuletzt wegen ihnen gekommen war.

Auf Tatjanas Bitte hin hatte Roman Kürschner die kleine Bäckerei schon des Öfteren besucht. Dank seiner tatkräftigen Unterstützung nahmen die Umbau-Pläne allmählich Gestalt an. An diesem Abend sollten Nägel mit Köpfen gemacht und Termine festgelegt werden. Doch zuerst drehte sich alles um das leibliche Wohl.

»Bitte setzt euch doch!«, lud Fee ihre Gäste mit einer Handbewegung an den Tisch ein. »Tatjana hat mit Lenni in der Küche gezaubert. Ich bin selbst gerade erst von der Arbeit gekommen und gespannt darauf, was dabei herausgekommen ist.«

Aufmerksam wie immer rückte Roman seiner Lebensgefährtin den Stuhl zurecht, ehe er selbst Platz nahm.

»Was habt ihr denn mit euren restlichen Kindern gemacht?«, fragte Jenny irritiert.

Vergeblich suchte sie die vier anderen Sprösslinge der Familie.

»Die haben wir in den Keller gesperrt, damit mehr Essen für uns übrig bleibt«, erwiderte Danny übermütig und erntete belustigtes Gelächter für diese Vorstellung.

»Das also waren früher deine Fantasien, wenn dir deine Geschwister auf die Nerven gegangen sind«, sagte Daniel seinem ältesten Sohn belustigt auf den Kopf zu. »So­ langsam kommt es ans Tageslicht.«

»Natürlich sind sie nicht im Keller.« Lächelnd schüttelte Fee den Kopf und klärte ihre Freunde auf. »Dési ist beim Tanzen, Janni bei einem Freund und Anneka besucht mit ihrem Freund Noah eine Fotoausstellung.«

»Dann bleibt nur noch mein zukünftiger Mitarbeiter Felix übrig«, stellte Jenny fest.

»Der hat eine Verabredung mit einer jungen Frau, der er heute eine komplette Skiausrüstung verkauft hat«, konnte Fee auch diese Frage beantworten.

»Oh, aus dem wird mal ein guter Geschäftsmann«, lobte Roman den Eifer des jungen Mannes anerkennend.

»Ich glaube eher, dass seine Geschäftstüchtigkeit abhängig ist von der Attraktivität seiner Kundschaft«, platzte Danny heraus, und wieder lachten alle. »Das kann ja heiter werden, wenn er sein freiwilliges soziales Jahr bei dir in der Klinik macht«, wandte er sich an die Freundin der Familie.

»Oh, da mache ich mir keine Sorgen.« Unbekümmert winkte Jenny ab und drehte sich nach Lenni um, die mit einer Platte ins Esszimmer kam. »Die Ergotherapeutin Silvie Riemerschmidt wird ihm schon zeigen, wo der Hammer hängt.«

Mit hungrigen Augen bestaunte sie den mit Kräutern gefüllten Schweinebraten im Brotteig, den Tatjana und Lenni gemeinsam kreiert hatten.

Der unwiderstehliche Duft zog alle Aufmerksamkeit auf sich.

»Ich sehe schon, meine Hoffnungen werden nicht enttäuscht«, seufzte Roman zufrieden. »Hast du nicht noch ein paar Geschäfte, die ich auf Vordermann bringen kann, damit ich öfter in diesen Genuss komme?«, scherzte er in Tatjanas Richtung.

Die strahlte von einem Ohr zum anderen. Seit die Bäckerei in ihren Besitz übergegangen war, hatten sich zumindest ihre größten Sorgen und Probleme in Luft aufgelöst.

»Bis wir mit meinem Café fertig sind, werden wir deine Hilfe sicher noch oft brauchen, und du wirst somit noch manches Festmahl bekommen«, unkte sie und schnitt den Braten auf, um ihn an die hungrigen Gäste zu verteilen.

Die ersten Minuten der Mahlzeit verliefen in genussvollem Schweigen.

»Erstklassig«, erklärte der Architekt nach den ersten Bissen begeistert.

»Falls dir Backen irgendwann mal zu langweilig ist, kannst du mit Lenni ja ein Restaurant aufmachen«, empfahl Jenny und steckte ein weiteres Stück Braten in den Mund.

Während sie kaute, verdrehte sie verzückt die Augen.

»Im Augenblick sieht es eher danach aus, als ob ich noch nicht mal mit der Bäckerei fertig werden würde«, erwiderte Tatjana und wischte sich den Mund mit einer Serviette ab. »Leider hat Lenni noch keine Zeit, um mir ab und zu unter die Arme zu greifen. Ich hab sie schon gefragt.« Sie beugte sich tief über den Teller, damit sie weder in Daniels noch in Fees Gesicht sehen musste.

Doch die erwartete Standpauke blieb aus, und der Arzt lachte gutmütig.

»Am Ende muss ich Lenni noch einen Treuebonus bezahlen, damit sie diesem verlockenden Angebot widersteht«, scherzte er, während Fee einen ganz anderen Gedanken verfolgte.

»Hast du wirklich so viel mehr Arbeit jetzt?«, erkundigte sie sich interessiert bei ihrer Schwiegertochter in spe.

»Und ob. Durch die Aktion im Internet hat sich unser Bekanntheitsgrad quasi über Nacht vervielfacht«, berichtete Tatjana freimütig. »Manchmal stehen die Kunden schon Schlange, wenn ich morgens die Tür aufschließe.«

»Auf der einen Seite ist das natürlich ein riesiger Vorteil«, erläuterte Danny und nahm sich noch eine Scheibe von dem köstlichen Braten, zu dem Lenni einen bunten Salat reichte. »Alle wollen jetzt Tatjanas Leckereien probieren. Vor allen Dingen die Süßigkeiten finden reißenden Absatz.«

»Andererseits gehen mir in letzter Zeit immer wieder schon vormittags die Waren aus. Ganz zu schweigen von Aufträgen wie Kuchen und Torten, die ich gar nicht annehmen kann«, seufzte die junge Bäckerin, und allmählich verschwand das Strahlen aus ihrem Gesicht. »Das ist auch nicht gut fürs Geschäft.«

»Ich glaube, für dieses Problem habe ich eine Lösung«, verkündete Fee und legte ihr Besteck beiseite.

Während sie aufmerksam zugehört hatte, war ihr etwas eingefallen.

»Wirklich?« Nicht nur Tatjana sah sie überrascht an.

»Erinnerst du dich an Marianne Hasselt?«, machte Felicitas kein Geheimnis aus ihrer Idee.

»Du meinst die alleinerziehende Mutter, für die wir neulich das Gartenfest organisiert haben?«

Auch Jenny wusste, von wem die Rede war. Sie drehte sich zu Roman um. »Frau Hasselts Sohn wurde bei einem Eishockeyspiel brutal zusammengeschlagen«, erklärte sie ihm den Sachverhalt. Er war auf einer Geschäftsreise gewesen, als das Fest stattgefunden hatte. »Tobias wurde mit Erfolg bei uns in der Klinik operiert. Da er erst vor kurzem seinen Vater verloren hat, wollten die Nordens den beiden eine Freude machen.«

»Ich bin sicher, dass der Plan gelungen ist.« Zu gut erinnerte sich Roman an die legendären Feste der Familie Norden.

»Ja, es war wirklich sehr schön«, bestätigte Fee denn auch mit glänzenden Augen.

Daniel, der seine Frau beobachtete, konnte sich angesichts ihres Eifers ein Schmunzeln nicht verkneifen. Er wusste, worauf sie hinaus wollte.

»Frau Hasselt ist Konditormeisterin und auf der Suche nach einem Job. Das hat sie mir zumindest auf dem Fest erzählt, als sie deine Quark-Limonen-Schnitten gekostet hat«, berichtete sie Tatjana das, was sie ganz vergessen hatte. »Sie war restlos begeistert und meinte, sie würde was drum geben, wenn sie wieder ein paar Stunden arbeiten könnte. Nach dem Tod ihres Mannes hat sie ihren Job verloren und bisher nicht die Kraft gehabt, sich einen neuen zu suchen.«

Fees Aufregung war ansteckend, und Tatjana begann, unruhig auf ihrem Stuhl hin und her zu rutschen.

»Wirklich? Das klingt ja zu schön, um wahr zu sein«, geriet sie unvermittelt ins Schwärmen. »Zu dumm, dass ich keine Gelegenheit hatte, mich mit ihr zu unterhalten.«

»Das lässt sich ja glücklicherweise ganz leicht nachholen«, erklärte Daniel Norden und kratzte die letzten Reste von seinem Teller, ehe er das Besteck zur Seite legte.

Auch er hatte seine Mahlzeit inzwischen beendet und lehnte sich zurück.

Alle sahen satt und zufrieden aus. Bis auf Roman Kürschner. Der hatte das Gespräch mit gerunzelter Stirn verfolgt.

»Hmm, wenn du jetzt schon solche Probleme hast, deine Kundschaft zufrieden zu stellen … wie soll das dann erst während des Umbaus werden?«, stellte er eine berechtigte Frage und dankte Lenni, die die Teller abräumte, um Platz für den Nachtisch zu schaffen. »Du weißt ja, dass das Geschäft ein paar Wochen lang nur eingeschränkt laufen kann.«

»Darüber hab ich mir auch schon Gedanken gemacht«, gestand Tatjana besorgt. »Die Öfen können ja auch während des Umbaus weiterarbeiten. Aber wie das mit dem Verkauf klappen soll, wenn ich keine Theke mehr habe … Dafür ist mir bis jetzt noch keine Lösung eingefallen.«

Nachdenkliches Schweigen senkte sich über den Tisch.

»Vielleicht ist es doch ein Fehler, alles auf einmal zu machen«, brach Danny die fast gespenstische Stille endlich.

Doch davon wollte seine Freundin nichts wissen.

»Das Problem wird immer das gleiche sein«, warf Tatjana ein, und Jenny nickte.

»Wo sie recht hat, hat sie recht. Ein Umbau kommt nie zur passenden Zeit«, wusste sie aus eigener Erfahrung zu berichten.

Auch in der Klinik gab es immer wieder etwas zu renovieren. Wände mussten neu gestrichen, Zimmer modernisiert und Geräte ersetzt werden. Von diesen Unannehmlichkeiten konnte die Klinikchefin ein Lied singen, und sie wollte eben eine lustige Geschichte zum Besten geben, als Lenni in diesem Augenblick mit der Nachspeise hereinkam.

Hauchdünne Pfannkuchen, in Frankreich Crêpes genannt, hatte sie in einer Mischung aus Orangensaft und Grand Manier zunächst mariniert und dann flambiert. Dazu reichte sie zartgelbes Bourbon-Vanilleeis.

»Ich glaube, über dieses Problem müssen wir uns ein andermal unterhalten«, seufzte sogar Tatjana ergeben, als Lenni ihr einen Crêpe auf den Teller legte.

Der verführerische Duft benebelte die Sinne der jungen Bäckerin, und sie konnte sich nur noch auf den Teller vor sich konzentrieren.

»Das macht nichts. Rom ist schließlich auch nicht an einem Tag erbaut worden«, gab Roman ihr recht und machte sich wie alle anderen auch über die herrliche Nachspeise her, die keine Wünsche offen ließ.

Der Abend war noch jung, und im Kreise der gut gelaunten, optimistischen Familie war sich der Architekt sicher, gemeinsam eine kreative Lösung für alle Probleme zu finden, die noch auf die junge Bäckerin zukommen mochten.

*

»Bist du sehr böse, wenn ich doch keine Lust auf das Bistro hab?« Die Hände in den Jackentaschen vergraben, stand Susanne Rieger vor dem Café, wo sie mit Felix Norden verabredet war und musterte ihn unsicher.

»Kein Problem«, erwiderte der junge Mann. »Auf was hast du dann Lust?«

»Wir könnten ein bisschen am Isarufer spazieren gehen. Schau mal, da hinten brennt sogar noch ein Feuer«, machte Susa einen Vorschlag und deutete auf den flackernden Lichtschein unter ihnen.

»Super Idee«, stimmte er zu und sah sich suchend um.

Im Licht der Straßenlaterne war der Weg hinunter ans Flussufer leicht zu finden. Als er aber um ein Haar über eine Wurzel gestolpert wäre, hielt er inne und streckte die Hand nach Susanne aus. »Warte, ich helf dir!«, bot er fürsorglich an.

Doch statt eines Danks erntete er eine böse Abfuhr.

»Hältst du mich für ein Kleinkind, oder was?«, fauchte Susa und drängte sich an ihm vorbei.

Mit flinken Schritten sprang sie auf das gekieste Ufer. Die Steine klackerten unter ihren Füßen leise aneinander, als würden sie die Besucherin begrüßen.

»Sorry, ich hab’s ja nur gut gemeint«, gab Felix mit belegter Stimme zurück und überlegte schon, ob diese Verabredung eine gute Idee gewesen war, als Susanne ihn auslachte.

»Sag bloß, du bist jetzt beleidigt, du Miezi!«, spottete sie gutmütig, lachte dabei aber so nett, dass Felix ihr nicht böse sein konnte.

»Ganz im Gegenteil!«, versicherte er herablassend. »Ich bin froh, dass ich nicht den Babysitter für dich spielen muss.«

Mit dieser Antwort hatte Susa nicht gerechnet und schickte ihrem Begleiter einen kritischen Seitenblick.

»Gut, dann sind wir uns ja wieder mal einig«, stellte sie dann fest und begann, am Ufer entlang zu wandern.

Felix tat es ihr gleich, und eine Weile gingen sie schweigend nebeneinander her in Richtung des Feuers. Tausend Fragen schwirrten in Felix’ Kopf, die er aber nicht zu stellen wagte. Am Ende würde er sich wieder eine Abfuhr einhandeln.

»Lebst du schon lange in München?«, konnte der junge Mann seine Neugier aber schließlich nicht länger in Zaum halten. Schon wartete er auf einen dummen Spruch, bekam aber unvermutet eine ernsthafte Antwort.

»Ich bin erst vor zwei Wochen von Frankfurt hierher gezogen, weil ich einen Ausbildungsplatz hier bekommen habe«, berichtete Susa bereitwillig.

»Tatsächlich?« Diesmal staunte Felix. Das hatte er der zarten jungen Frau nicht zugetraut. »So ganz allein?«

Susanne lachte. Es gefiel ihr, dass sie offenbar Eindruck geschunden hatte.

»Klar ganz allein. Man könnte auch sagen, dass ich alle Brücken hinter mir abgebrochen habe, um hier ganz neu anzufangen. Onkel Jakob ist meine Anlaufstelle, falls ich mal Probleme haben sollte. Aber der ist ja im Augenblick auch nicht da.«

»Stimmt. Er ist auf Kur auf der Insel der Hoffnung«, erinnerte sich Felix an Wendys Verehrer. »Aber so, wie ich dich bis jetzt kennengelernt habe, ist dir das sowieso ganz recht. Schließlich bist du ja kein Baby mehr.«

Wieder schickte Susanne ihm einen belustigten Seitenblick und lachte leise.

»Du lernst schnell«, lobte sie Felix und bückte sich, um nach einem flachen Stein zu suchen.

Der Mond spiegelte sich auf der Wasseroberfläche, und kleine Kreise kräuselten das gemächlich dahinfließende Wasser, als der Stein mehrfach darüber sprang und schließlich verschwand.

»Ein Lob aus deinem Munde!«, spottete Felix belustigt und ging weiter. »Das ist ja wie ein Geschenk.«

Verwundert sah Susanne ihm nach.

»Was ist? Willst du dich nicht mit mir messen? Mein Stein ist sieben Mal gesprungen.«

»Nein, danke, mir ist nicht nach Wettkampf«, winkte Felix lapidar ab ohne sich umzudrehen.

Einen Moment lang starrte Susanne ihrem Begleiter verblüfft nach. Dann lief sie ihm nach.

»Hey, lauf doch nicht davon. Erzähl mir lieber, was du so treibst.«

»Ich lebe noch bei meinem Eltern und fange in ein paar Tagen mein freiwilliges soziales Jahr bei einer Ergotherapeutin an. Und nein, ich habe nicht vor, sämtliche Brücken hinter mir abzubrechen«, fügte er vorsichtshalber gleich dazu. »Meine Familie zu verlassen? Unvorstellbar. Warum tut man so was?«

Inzwischen hatte Susa wieder aufgeholt und wanderte wieder neben Felix her über das steinige Ufer. Sie näherten sich dem Feuer, und im Lichtschein zeichneten sich ein paar Gestalten ab, die trotz der feuchten Kühle dort ausharrten. Funken stiegen in die Luft und verglühten wie Sternschnuppen am Abendhimmel.

Susanne zuckte mit den Schultern.

»Schon mal was von Abenteuerlust gehört?«, fragte sie herausfordernd. »Warum würdest du nicht weggehen? Hast du Angst?«

»Wovor? Ich bin einfach gern mit meiner Familie und meinen Freunden zusammen. Das Leben wird uns früh genug trennen. Warum es also erzwingen?« Felix wunderte sich selbst über die Selbstverständlichkeit, mit der er diese Worte aussprach. Bisher hatte er kaum einmal über die Möglichkeit nachgedacht, sein Umfeld nach dem Abitur zu verlassen, wie so viele seiner Klassenkameraden es taten. Umso mehr erstaunte es ihn, dass er den Grund dafür wusste, ohne sich überhaupt Gedanken darüber gemacht zu haben.

Während er darüber nachsann, hatten sie das Lagerfeuer erreicht. Susanne wechselte ein paar Worte mit einem der jungen Männer, die bereitwillig zur Seite rückten, um sie in ihren Kreis aufzunehmen. Sie ließ sich auf die kühlen Steine nieder. Felix, der kein Spielverderber sein wollte, tat es ihr nach und setzte sich neben sie. Es dauerte nicht lange, und schon hielten sie zwei Flaschen Bier in den Händen und waren in ein Gespräch verwickelt. Felix unterhielt sich ebenso gut wie Susa, und beide hatten viel zu lachen. Hin und wieder erwischte er sie dabei, wie sie ihn von der Seite ansah. Wenn er ihren Blick erwiderte, sah sie wie ertappt weg und nahm das Gespräch mit ihrem Nachbarn wieder auf.

Irgendwann spürte Felix, wie sich eine Hand auf seine Schulter legte.

»Tolle Freundin hast du da!«, raunte ihm einer der jungen Männer zu, die mit ihnen ums Feuer saßen. »Aber an deiner Stelle würde ich aufpassen. Der Leo ist ein ziemlicher Schürzenjäger.«

Er deutete mit dem Kopf in Richtung des Mannes, der neben Susanne saß und sich angeregt mit ihr unterhielt.

Augenblicklich zog sich Felix’ Magen zusammen. Im Laufe des Abends hatte er mehr und mehr Gefallen an dem hübschen, intelligenten Mädchen gefunden. Ihre tiefen Blicke hatten ihm Hoffnungen gemacht, die er nicht gleich wieder zerstört sehen wollte. Einer Eingebung folgend beugte er sich zu ihr hinüber und legte besitzergreifend den Arm um ihre Schultern.

Im ersten Augenblick schien Susa die Berührung zu genießen. Doch dan wurde ihr schmaler Körper steif, und sie sprang abrupt auf.

»Bist du jetzt völlig übergeschnappt?«, kreischte sie und stürzte in blinder Wut nach vorne.

Mit vor Schreck weit aufgerissenen Augen starrte Felix ihr nach. In dem Moment, als er sie stolpern sah, sprang auch er auf die Beine. Doch es war zu spät. Ehe er handeln konnte, stürzte Susanne in Richtung des Feuers zu Boden. Im flackernden Lichtschein sah Felix ihre schreckgeweiteten Augen. Er sah, wie sie die Hände ausstreckte, um den Sturz abzufedern. Und gleich darauf hörte er ihren entsetzlichen Schrei, als sie auf dem Boden aufkam. Es sah aus, als ob die Flammen sie bei lebendigem Leib verschlucken wollten.

*

»Kannst du mir mal bitte eine Frage beantworten?« Felicitas Norden saß auf der Couch neben ihrem Mann. Sie hatte die Beine angezogen und blickte in das prasselnde Feuer – das erste des Herbstes –, das Daniel im Kamin angezündet hatte, nachdem sich der Besuch verabschiedet hatte.

Ihre Stimme klang so nachdenklich, dass Daniel Norden aufhorchte.

»Natürlich, mein Engel.«

»Warum ist eigentlich alles so schön mit dir?«

»Wie bitte?«, hakte Daniel verständnislos nach. Er hatte mit einem Problem gerechnet.

Fee lachte leise und schmiegte sich eng an ihren Mann.

»Ich meine … das ist doch nicht normal. Dass wir nach so vielen Jahren immer noch so glücklich sind und die Zeit zusammen so genießen können. Ich zumindest.« Sie sah zu ihm auf, und Daniel konnte nicht anders als ihren süßen Mund zu küssen.

Als er sich von ihr löste, lächelte er schelmisch.

»Stimmt. Jetzt, wo du es sagst … Es ist tatsächlich immer noch genauso aufregend, dich zu küssen, wie damals. Wenn nicht noch aufregender«, raunte er ihr zu und wollte sich wieder über seine Frau beugen, als Lärm im Flur zu hören war.

»Dad? Mum? Seid ihr da?« Es war unverkennbar Felix’ aufgeregte Stimme, die durch das Haus hallte.

Unwillig verdrehte Daniel die Augen.

»Ausgerechnet jetzt«, murrte er und ließ unwillig von seiner Frau ab.

»Wie heißt es so schön?«, scherzte Fee, um ihre Enttäuschung zu überspielen. »Man soll aufhören, wenn es am schönsten ist. Deshalb ist unser Liebesleben wahrscheinlich auch bis heute so spannend wie am ersten Tag. Weil wir immer unterbrochen werden, wenn es am schönsten ist.«

»Ach, mein Feelein …« Daniel war an der Tür und schickte seiner Frau einen Handkuss, ehe er sich seinem Sohn zuwandte, der inzwischen vor der Wohnzimmertür stand.

Er war nicht allein.

»Puh, ein Glück, dass ihr noch wach seid«, begrüßte er seine Eltern erleichtert und stellte Susanne vor.

Sie hielt die Handflächen zum Körper und rang sich ein Lächeln ab.

»Freut mich, Sie kennenzulernen. Auch wenn die Umstände ein bisschen blöd sind.« Sie blickte auf ihre Hände.

»Was ist passiert?«, erkundigte sich Dr. Norden besorgt.

»Susa ist gestolpert und hat sich dummerweise auf einem glühenden Ast abgestützt.« Felix schilderte den Sachverhalt so knapp wie möglich. »Kannst du dir das mal bitte anschauen?«

»Ich hab ihm gesagt, dass das nicht nötig ist«, versicherte Susa. »Aber Felix hat darauf bestanden, dass ich mit hierher komme.«

»Das war eine seiner besseren Ideen«, entfuhr es Fee scherzhaft. Sie war ebenfalls herangekommen, um die jungen Leute zu begrüßen.

Im Normalfall hätte Felix über diesen Kommentar gelacht und seiner Mutter Paroli geboten. Doch in dieser angespannten Situation hatte er keinen Sinn für Humor.

»Sehr witzig, Mum. Vielen Dank«, knurrte er und sah seinen Vater fragend an. »Ist es sehr schlimm?«

»Dazu muss ich mir die Sache erst mal im Licht ansehen«, erklärte Daniel und bat Susanne hinüber in sein Arbeitszimmer. Dort gab es eine helle Lampe und darüber hinaus sämtliche Utensilien, die er zur Behandlung einfacher Verletzungen brauchte. »Können Sie bitte die Jacke ausziehen?«, bat er Susanne, während er seine Arzttasche öffnete. Als er sich zu ihr umdrehte, stand sie immer noch mitten im Zimmer. Sie schien seine Bitte nicht gehört zu haben. »Bitte ziehen Sie die Jacke aus. Ich kann Sie sonst nicht anständig untersuchen.«

Dr. Norden Classic 46 – Arztroman

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