Читать книгу Familie Dr. Norden Classic 45 – Arztroman - Patricia Vandenberg - Страница 3

Оглавление

Es war Donnerstag, der dreizehnte April, als die Familie Norden beim Abendessen am großen runden Tisch saß. Es gab Hühnerfrikassee auf Reis, und eigentlich mochten das alle ganz gern, nur Anneka gab sich mitleidvollen Gedanken über die armen Hühnchen hin.

»Sie müssen viele Eier legen, weil bald Ostern ist«, meinte sie wehmütig. »Und dann dürfen sie sich nicht mal freuen, wenn sie bunt gefärbt werden.«

Felix wollte solche Betrachtungen nicht noch vertiefen. »In einer Woche ist Gründonnerstag, da gibt es wieder Spinat und Ei«, erklärte er. »Kann es nicht mal was anderes geben?«

»Mit dem Blubb?« meinte Jan. »Schmeckt doch gut.«

Diesbezüglich waren die Meinungen allerdings geteilt, und auch Daniel sagte, daß man sich mal was anderes einfallen lassen könnte.

»Warum muß da denn immer was Grünes dabei sein?« fragte Danny.

»Weil Gründonnerstag ist«, meinte Anneka.

»Und warum heißt es Gründonnerstag?« fragte Felix. »Kann das mal einer genau erklären?«

Fee seufzte. »Weil man eben am letzten Tag der Fastenzeit etwas Grünes essen soll«, sagte sie.

»Weil es der Tag der Büßer ist«, trumpfte Danny auf, »und weil die durch ihre Buße wieder zu grünen Zweigen der Kirche werden. Aber daß wir was Grünes essen sollen, verstehe ich auch nicht.«

»Danny ist so wahnsinnig schlau«, sagte Anneka andächtig.

»Wir haben heute in der Schule davon gesprochen. Ich bin aber genauso froh wie ihr, daß wir bald Ferien haben.«

»Da fällt mir ein, was Felix damals zur Fastenzeit gesagt hat, als er das erste Jahr in der Schule war. Weißt du das auch noch, Felix?«

»Nö, begeistert war ich da auch schon nicht von der Schule.«

»So war es«, sagte Fee. »Und als die Lehrerin euch danach fragte, worauf ihr in der Fastenzeit verzichten wollt, erklärte unser lieber Felix: Auf die Schule.«

»Na und, ich war immer ehrlich«, gab Felix zu. »Ihr könnt ruhig lachen.«

Die Zwillinge kicherten ein bißchen, weil sie im Grunde gar nicht verstanden, worum es eigentlich ging.

Das Telefon läutete, und diese Unterbrechung wollte ihnen nicht gefallen.

»Sicher wieder ein Notfall«, nörgelte Felix.

So war es auch. Dr. Norden wurde dringend zu Torsten Hanson gerufen.

»Er ist plötzlich zusammengebrochen«, erklärte er, als Fee ihn fragend anblickte.

»Zuviel Streß, zu fettes Essen und zuviel Alkohol«, sagte sie, als sie ihn zur Tür begleitete. »Hattest du ihn nicht gewarnt?«

»Mehr als einmal, aber wer richtet sich schon danach. Ist er eigentlich schon vierzig?«

»Ich glaube nicht, aber die Frau hat ihn bestimmt auch ein paar Jahre gekostet.«

»Du kannst ganz schön spitz sein«, lächelte er und küßte sie schnell auf die Nasenspitze, »aber du hast wie immer recht.«

»Ich hänge niemand etwas Falsches an«, erwiderte Fee verschmitzt.

Daß es ein falscher Alarm war, wie bei so manchen anderen, glaubte sie nicht. Karin Hanson war viel zu egoistisch und herzlos, um übermäßig um ihren Mann besorgt zu sein.

Die Kinder diskutierten über Ostern und was da wohl für Wetter sein könnte.

»Es wäre blöd, wenn es wieder schneit oder regnet und wir im Haus Eier suchen müssen«, meinte Felix.

»Osterhasi kann doch nicht Treppen steigen«, sagte Dési. »Hat kurze Beinchen.«

»Will mal sehen, wie er Eier versteckt«, wünschte sich Jan.

Es war jedenfalls ein Thema, das zu Überlegungen herausforderte, und inzwischen war Dr. Norden bei den Hansons angekommen.

Es war eine jener alten, vornehmen Villen aus der Gründerzeit, die stilvoll renoviert worden und ein wahres Schmuckstück war zwischen den supermodernen Neubauten, die dagegen kalt und unpersönlich wirkten. Karin Hanson hätte allerdings lieber in einem jener Bungalows gewohnt, und dort hätte sie auch in ihrer gestylten Ausdruckslosigkeit besser hineingepaßt. Sie wirkte wie eine Schaufensterpuppe, die man mit teuren Sachen behängt hatte.

»Ich weiß nicht, was mit Torsten los ist, er ist einfach umgefallen und so liegt er immer noch. Sie werden schon wissen, was zu tun ist, Herr Doktor.«

Es war gut, daß sie nicht erraten konnte, was Daniel Norden über sie dachte, es war jedenfalls nicht schmeichelhaft. Als er Torsten Hanson auf dem Teppich liegen sah, hätte er es am liebsten doch ausgesprochen.

»Sie hätten lieber gleich die Ambulanz rufen sollen«, sagte er mit deutlichem Vorwurf, den sie aber anscheinend gar nicht begriff.

»Ich habe doch Sie angerufen«, sagte sie mit einem törichten Augenaufschlag.

Bevor er den bewußtlosen Mann berührte, rief er den Krankenwagen herbei, dann auch gleich die Notaufnahme des Klinikums.

»Ja, was ist denn überhaupt?« echauffierte sich Karin Hanson, »er kann doch nicht so einfach umfallen. Wir hatten gerade noch geredet.«

»Hat er sich aufgeregt? Es liegt eine Apoplexie vor.«

Er gebrauchte bewußt die lateinische Bezeichnung, um Fragen herauszufordern, aber sie fragte nichts, sie sah ihn nur wieder mit einem törichten Ausdruck an. »Was werden Sie tun?« fragte sie nur nach längerem Überlegen.

»Ihn in die Klinik bringen lassen. Hier kann ich gar nichts für ihn tun.«

»Warum wacht er nicht auf?«

»Weil er bewußtlos ist, und mehr als diese Injektion kann ich ihm nicht verabreichen. Ihr Mann ist gelähmt.«

Jetzt bekam ihr Gesicht einen schreckenstarren Ausdruck. »Gelähmt«, wiederholte sie zitternd, »o mein Gott, womit habe ich das verdient? Ich kann doch nichts dafür, wenn er geschäftliche Schwierigkeiten hat, das hängt bestimmt mit der Rückkehr seines Bruders zusammen.«

Daniel Norden horchte auf. Er äußerte sich nicht zu der Bemerkung, aber sie stimmte ihn sehr nachdenklich, denn es lag schon Jahre zurück, daß Albert Hanson noch einen zweiten Sohn hatte, der auch nicht nach dem Tode des Vaters zurückkehrt war. Sollte Nicolas Hanson jetzt tatsächlich den Weg zurückfinden, oder war das nur eine Vermutung dieser geistlosen Frau? Jedenfalls befand sich Torsten Hanson, gerade achtunddreißig Jahre alt, in einem desolaten, lebensbedrohenden Zustand.

Die Ambulanz kam. Vorsichtig wurde er auf die Trage gelegt. »Zum Klinikum, die Notaufnahme ist verständigt«, sagte Dr. Norden.

»Und was soll ich tun?« fragte Karin Hanson.

»Das müssen Sie selbst wissen«, erwiderte Dr. Norden kühl. »Die meisten Frauen begleiten in solchen Fällen ihren Mann.«

»Dem bin ich nicht gewachsen«, jammerte sie. »Ich muß wohl auch meiner Schwiegermutter Bescheid sagen. Helfen kann ich ja doch nicht.«

Sie sank stöhnend in einen Sessel.

Dr. Norden ging. Es wäre jedoch interessant für ihn gewesen zu hören, daß sie nicht etwa ihre Schwiegermutter anrief, sondern einen gewissen Peter Porter.

»Torsten ist zusammengebrochen, er ist gelähmt«, sagte sie gedämpft. »Er hat sich aufgeregt wegen des Anrufes. Ich glaube, er hat uns bespitzelt. Ich muß jetzt aufpassen, daß ich keinen Ärger bekomme, falls er mit jemand darüber gesprochen hat. Es ist besser, wenn wir uns in der nächsten Zeit nicht sehen.«

Was sie als Antwort bekam, befriedigte sie nicht. Gereizt legte sie den Hörer auf und überlegte.

*

Daniel Norden rief vom Auto aus zu Hause an und sagte Fee Bescheid, daß er zum Klinikum fahren würde. Gewissenhaft und verantwortungsbewußt wie er war, wollte er sich doch vergewissern, von wem Torsten Hanson untersucht werden würde. Er wußte, daß er in diesem Fall ambulant kaum etwas tun konnte. Es konnte auch eine Gehirnblutung vorhanden sein. Er hatte Torsten Hanson wegen seines hohen Blutdrucks behandelt, der allerdings in den Griff zu bekommen war, wenn die ärztlichen Anordnungen befolgt wurden.

Torsten Hanson hatte des Guten immer zuviel getan, was Essen, Alkohol und ungesunde Lebensweise betraf. Dazu diese Frau, die nur an sich dachte, keinen Finger rührte, nur das Geld mit vollen Händen ausgab. Daniel Norden dachte über Nicolas nach, Nick, wie er genannt wurde, den er als netten Jungen in Erinnerung hatte, als mittelmäßigen Schüler, der ein Jahr vor dem Abitur das Handtuch geworfen hatte, als es Krach mit seinem Vater gab. Warum eigentlich, wußte so recht niemand. Jedenfalls war der Streber Torsten immer der bevorzugte Sohn gewesen.

Wo Nick abgeblieben war, wußte auch niemand. Vielleicht seine Mutter, aber die behielt es für sich, wenn es so war.

Roberta Hanson hatte in ihrer Ehe gelernt zu schweigen. Einen Arzt hatte sie selten gebraucht. Sie lebte auf dem Land, nahe des Tegernsees. Sie lebte gesund und war immer noch sportlich. Die wenigen Menschen, die sie richtig kannten, konnten feststellen, daß sie nach dem Tod ihres Mannes richtig aufgeblüht war. Albert Hanson war ein schwieriger Mann gewesen, kein treuer Ehemann, aber immerhin waren seine Affären diskret behandelt worden, und als Roberta die ganze Wahrheit darüber erfuhr, war er bereits tot.

Als Daniel Norden im Klinikum ankam, erfuhr er, daß Dr. Hausmann sich um den Patienten bemühte. Das war für ihn eine angenehme Überraschung, denn Klaus Hausmann war ein Kommilitone, den er in guter Erinnerung hatte, was nicht bei allen so war. Er mußte warten, bis er ihn sprechen konnte, und in dieser Zeit dachte er wieder an Nick Hanson. Würde er wirklich kommen, und was hatte er in all den Jahren getrieben, wo war er gewesen? Es war schon eigenartig, wenn ein junger Mensch sein reiches Elternhaus sang- und klanglos verließ, um in eine unbekannte Welt zu gehen, die voller Gefahren war, das Risiko gegen Sicherheit einzutauschen.

Seine Gedanken wurden unterbrochen, als Dr. Hausmann kam, genauso sympathisch, wie Daniel ihn in Erinnerung hatte.

»Ist das eine Freude, wenn auch der Anlaß ernst ist«, sagte Klaus Hausmann, »du hast dich nicht verändert, Daniel.«

»Du auch nicht, Klaus, aber lange bist du noch nicht hier.«

»Erst seit sechs Wochen, und es war eine große Umstellung. Ich war im Rheinland, meiner Frau zuliebe, die ich leider vor einem Jahr verloren habe. Da hat es mich wieder in heimatliche Gefilde gezogen, die du anscheinend nie verlassen hast.«

»Meine Familie und meine Praxis halten mich fest, aber mich zieht es auch nicht hinaus. Tut mir leid, daß dir das Schicksal übel mitgespielt hat.«

»Rena war lange krank. Es ist schlimm, wenn man der eigenen Frau nicht helfen kann.«

Daniel nickte. »Hast du Kinder?«

»Ja, zwei, sie können hier bei meinen Eltern sein, das ist beruhigend. Wie viele hast du?

Zwei habe ich noch mitbekommen.«

»Inzwischen sind es fünf, aber wir möchten keins missen.«

»Sie werden auch gut gelungen sein«, meinte Klaus, »das kann ich auch von meinen sagen. Sie sind jetzt acht und zehn Jahre.«

»Wir können uns doch mal treffen bei uns, es wäre nett.«

»Momentan bin ich noch in der Umgewöhnphase. Hier ist es ziemlich anstrengend, und du bringst mir auch noch so einen schweren Fall.«

»Wie stehen die Chancen?«

»Schlecht. Wie lange hat er schon gelegen?«

»Ich weiß es nicht. Seine Frau behauptet zwar, sie hätte mich sofort gerufen, aber ich traue ihr nicht. Sie ist gleichgültig und oberflächlich.«

»Sind Kinder da?«

»Ein kleiner Sohn.«

»Hoffentlich hat Hanson alles geordnet. Er wird kaum noch fähig sein, ein Testament zu machen.«

»Du sagst mir bitte Bescheid, wenn sich etwas ändert. Wir bleiben in Verbindung, Klaus.«

»Es ist schön, wenn man alte Freunde wiedertrifft. Auf bald, Daniel.«

*

Daniel konnte Fee genug erzählen. Sie erinnerte sich auch noch recht gut an Klaus. Fee ging es immer nahe, wenn gute Bekannte von tragischen Schicksalsschlägen betroffen wurden und vor allem, wenn Kinder ihre Mutter verloren.

Aber der kleine Mario Hanson würde seinen Vater verlieren, und man konnte sich Karin Hanson nicht als liebevolle Mutter vorstellen.

»Er ist achtunddreißig und muß sterben«, sagte Fee düster.

»Der Tod richtet sich nicht nach dem Alter, mein Liebes, und wir wissen nicht, wann uns die Stunde schlägt.«

Fee drängten sich gleich Tränen in die Augen. Sie umarmte und küßte ihren Mann.

»Was sollte ich ohne dich machen, Daniel?« flüsterte sie.

»Und ich ohne dich, aber wir wollen nicht daran denken. Wir führen ein sehr vernünftiges Leben und fordern nichts heraus, aber was wissen wir denn schon, was uns beschieden ist. Wir wollen dankbar sein für jeden Tag. Karin Hanson wird es nicht aufregen, wenn sie die Nachricht bekommt, daß sie Witwe ist. Sie ist so was von gefühllos, daß man friert in ihrer Nähe.«

»Und ein Tröster wird schon zur Stelle sein«, sagte Fee. »Der Bub tut mir leid, aber vielleicht kommt er dann zur Großmama.«

»Hast du schon was gehört, daß Nick heimkehrt?«

»Nein, ist davon die Rede?« fragte Fee hastig.

»Frau Hanson hat so eine Andeutung gemacht, daß sich ihr Mann darüber aufgeregt haben könnte.«

»Er wird sich über etwas ganz anderes aufgeregt haben, vielleicht über ihren Hausfreund Peter Porter. Ich will ja nicht klatschen, aber beim Friseur wird ziemlich laut davon geredet und so fange ich doch manches auf.«

»Ich habe gehört, daß es um die Firma nicht gut bestellt sein soll. Wundern würde es mich nicht. Torsten Hanson hat nicht den Geschäftssinn seines Vaters. Aber was geht es uns an. Freuen würde es mich allerdings, wenn es Nick allen zum Trotz doch zu etwas gebracht hat. Hier hat man ihm ja keine Chance gegeben.«

»Du hast ihn sehr gemocht«, meinte Fee.

»Er war ein richtig lieber Junge, halt nicht so ein Ehrgeizling wie sein Bruder. Sie haben sich ja auch überhaupt nicht verstanden.«

»Der Altersunterschied war sicher auch zu groß, und Torsten hat es mit seinem Vater besser verstanden. Wer weiß denn schon, was es da gegeben hat.«

Es war spät geworden, als sie nun endlich zum Schlafen kamen. In Sydney war es bereits Morgen, und Nick Hanson war auf dem Weg zum Airport.

»Wann kommen Sie zurück, Mr. Hanson?« fragte der Chauffeur, als sie dort angelangt waren.

»Ich weiß es nicht, Joke.«

»Wir werden Sie sehr vermissen.«

Nicks Blick schweifte in die Ferne. Das hatte damals niemand zu ihm gesagt, als er der Heimat Adieu sagte.

»Ich lasse von mir hören, Joke. Grüß noch mal alle. Es war eine gute Zeit mit euch.«

Er wollte keine Wehmut aufkommen lassen. Er gab das Gepäck auf und begab sich zur Longe.

»Nick, Nick, so warte doch!« rief eine helle Stimme, und wie ein Wirbelwind kam ein zierliches Mädchen auf ihn zugelaufen und warf sich an seinen Hals. Eigentlich sah sie aus wie ein Junge in den verwaschenen Jeans und dem gestreiften Baumwollpulli.

»Pepper, was soll das, wo kommst du her?« fragte Nick erschrocken.

»Geh nicht fort, Nick, oder nimm mich mit«, flehte sie.

»Das geht doch nicht, ich habe es dir oft gesagt, Pepper. Du hast liebe Eltern und ein schönes Zuhause. Sie wären sehr traurig, wenn du sie verlassen würdest.«

»Aber ohne dich gefällt es mir nicht mehr«, schluchzte sie. »Warum verläßt du uns?«

»Weil es Zeit ist, daß ich mich um meine Mutter kümmere.«

»Das kommt nur davon, weil Kassandra gesagt hat, daß nach dir gerufen wird. Man muß nicht alles glauben, was Kassandra sagt. Manches mag eintreffen, aber nicht alles. Ich will nicht, daß du weggehst«, sagte sie trotzig. »Dad will es auch nicht. Wir lieben dich.«

Er war gerührt. Pepper hing an ihm wie eine Klette, seit er sie kannte. Damals war sie ein überaus lebhaftes und wißbegieriges Kind gewesen, jetzt war sie ein junges Mädchen, das erwachsen wurde und er war ein bißchen besorgt, daß sie sich mehr erhoffte, wenn sie sich so an ihn klammerte. Er strich ihr über das krause Haar. »Fahr wieder heim, Pepper. Ich werde dir schreiben, und wenn es deine Eltern erlauben, kannst du mich nächstes Jahr besuchen.«

»Wirst du dann auch keine Frau haben, Nick, die mich nicht leiden kann?«

»Bestimmt nicht.«

Dicke Tränen kullerten über ihre Wangen. »Ich liebe dich doch so sehr, Nick. Ich werde dich nie vergessen.«

»My little girl«, sagte er weich. Dann kam der letzte Aufruf für seinen Flug, und er schob Pepper sanft von sich.

»Sei nicht so traurig, Bobby mag dich doch auch«, sagte er.

Da drehte sie sich um und lief weg. Plötzlich fühlte er einen heftigen Schmerz, da ihm bewußt wurde, daß er auch viel vermissen würde.

Damals, als er die Heimat verließ, war es anders gewesen. Da war er trotzig und entschlossen gegangen, obgleich auch ein Mädchen ihn zurückhalten wollte, genauso alt wie er. Sie hatte aber nicht gesagt: »Nimm mich mit.« Sie hatte gesagt: »Ich verstehe dich nicht, du wirst das bereuen.«

»Willkommen an Bord, Mr. Hanson«, sagte die hübsche blonde Stewardess, die ihn an Caroline erinnerte und zum ersten Mal seit langer Zeit fragte er sich, ob er sie nach all den Jahren wiedersehen würde.

Er war auf einen langen Flug vorbereitet. Damals war er etappenweise nach Australien gekommen, und es war alles andere als eine Urlaubsreise gewesen.

Was wird Mama sagen? ging es ihm durch den Sinn. Was mag sie sich in all den Jahren gedacht haben? Er hatte sie manchmal angerufen, aber nie hinreichende Auskunft über sein Leben gegeben. Sie hatte keine bohrenden Fragen gestellt, war nur froh gewesen, von ihm zu hören und hatte gesagt, daß er ihr sagen könne, wenn er etwas brauche. Er hatte nichts gebraucht, schon lange nicht mehr. Die kargen Jahre waren nur lehrreich gewesen. Jetzt konnte er es sich in der Firstclass bequem machen, die Füße hochlegen und sich bringen lassen, wonach ihm gelüstete. Die blonde Stewardess hätte gar zu gern mit ihm geflirtet, denn ein so attraktiver Mann konnte sie zum Träumen bringen. Aber ihm stand nicht nach einem Flirt. Er mußte an Pepper denken, die bald als Lady Penelope Hamilton in die Gesellschaft von Sydney eingeführt und sicher bald umschwärmt werden würde. Sie war ein bezauberndes Geschöpf, das konnte auch er nicht leugnen. Aber er sah sie als Kind, als Kobold. Aber es hatte nicht kindlich geklungen, als sie sagte: »Ich liebe dich so sehr!« Warum tönte das in seinen Ohren fort?

»Wünschen Sie noch etwas, Mr. Hanson?« fragte die Stewardess.

»Nein, danke, ich werde jetzt schlafen«, erwiderte er.

*

Am Freitagvormittag erschien Roberta Hanson in der Praxis. Wendy stockte gleich der Atem, denn die hoheitsvolle Erscheinung machte einen gewaltigen Eindruck auf sie.

Mit einem freundlichen Lächeln stellte sie sich vor und sagte, daß sie sehr gern Dr. Norden gesprochen hätte, wenn es möglich wäre.

Das Wartezimmer hätte noch so voll sein können, dieser Dame hätte Wendy keine Absage erteilt.

Sie führte Frau Hanson in das kleine Wartezimmer, aber Roberta brauchte nicht lange zu warten. Ab und zu machte auch Dr. Norden eine Ausnahme.

»Ich hörte, daß Sie meinen Sohn ins Klinikum gebracht haben, Dr. Norden, und ich wollte mich bei Ihnen erkundigen, wie Sie ihn vorfanden.«

Ohne Umschweife kam sie ganz direkt auf ihr Anliegen zu sprechen, und er ahnte, daß sie ihrer Schwiegertochter mißtraute.

Er erzählte ihr, wann er den Anruf bekam und wann er dann im Haus eintraf. Vorsichtig erklärte er, was er dann getan und veranlaßt hatte.

»Ich habe mit meinem Enkel gesprochen, obgleich Karin das verhindern wollte«, erklärte sie, »und er sagte mir, daß es einen Disput gegeben hätte, den er von seinem Zimmer aus hörte. Karin hatte ihm dann verboten, das Zimmer zu verlassen. Aber er hörte, daß sie mit Ihnen telefonierte. Ich habe mich in diese Ehe nie eingemischt, aber jetzt geht es mir um Mario. Ich kann ihn nicht bei ihr lassen, er ist völlig verstört, und ich möchte Sie bitten, mich zu unterstützen, damit ich ihn zu mir holen kann. Sie hat kein Interesse an dem Kind, aber sie wird es auf eine Machtprobe ankommen lassen. Es ist für mich eine schwierige Situation, da man mir kaum Hoffnung macht auf eine Genesung. Wenn ich auch kein besonderes Verhältnis zu Torsten habe, er ist mein Sohn.«

»Ich verstehe Sie, Frau Hanson, selbstverständlich werde ich Ihrer Bitte entsprechen. Darf ich fragen, ob es stimmt, daß Nick zurückkommt?«

»Ich hoffe es. Ich habe ihn darum gebeten, als mir klar wurde, daß die Firma zusammenbricht. Torsten wollte zuviel auf einmal und verlor den Boden unter den Füßen, aber schließlich ist er nicht der einzige Hanson. Nicolas hat ein Mitspracherecht. Ob er es wahrnimmt, ist eine andere Frage, aber ich hoffe doch, daß er auf meiner Seite ist. Mein Mann hatte wenigstens soviel Anstand, daß er testamentarisch die Anteile gerecht verteilte. Ich werde nicht zulassen, daß sich Karin noch mehr bereichert. Sie war sehr pikiert, daß ich erschienen bin und faßte dann sehr schnell den Entschluß, in die Klinik zu gehen. Ich hoffe, Sie empfinden es nicht als Belästigung, daß ich Ihnen mit meinem Anliegen Zeit raube und nicht als Patientin komme.«

»Ich bin sehr froh, daß Sie wohlauf sind. Es wird gut für Mario sein.«

Er ist ein verängstigtes Kind. Jetzt denkt er, daß Karin seinem Papa etwas angetan hat. Er hat Angst vor ihr, das ist schrecklich. Wie kann ein Kind Angst vor seiner Mutter haben?«

»Das ist öfter der Fall, als man denkt. Kürzlich hatten wir den Fall eines mißhandelten Kindes. Es kam bei der Schuluntersuchung heraus. Verdächtigt wurde der Vater, doch es war die Mutter, die das Kind so zugerichtet hatte. Ich will Ihrer Schwiegertochter nicht unterstellen, daß sie Mario mißhandelt, wenigstens körperlich nicht, aber wie ist es mit der Kinderseele? Was bekommt er alles mit, ohne mit jemand darüber sprechen zu können?«

Roberta Hanson senkte den Blick. »Ich habe mich wohl zu sehr reserviert von allen. Es war feige. Ich hätte an den Jungen denken und mich damals auch schützend vor Nick stellen müssen, aber ich wollte die Fassade schützen, hinter der wir uns versteckten, mein Mann mit seinen Affären, Torsten mit seiner Arroganz und den Sticheleien gegen seinen Bruder, und ich, weil ich Gerede vermeiden wollte und nicht den Mut hatte, mich von meinem Mann zu trennen. Wenn ich in den Spiegel schaue, frage ich mich, was für ein Mensch

ich bin. Jetzt werde ich meinen Ältesten verlieren. Er war, wie ich jetzt weiß, auch ein sehr unglücklicher Mensch. Er dachte, er würde eine bequeme Frau bekommen, als er Karin aus ihrer bescheidenen Umgebung holte. Sie spielte ihre Rolle als dankbares Mädchen anfangs auch gut, aber sie entwickelte sich zu einem Vampir, der ihn aussaugte, ihn dem soliden Fundament entriß. Mein Mann war, trotz seiner Affären und sonstigen Schwächen ein guter Geschäftsmann mit Überblick, aber Torsten wollte das schnelle Geld und immer mehr Geld. Wenn Nick zurück kommt, weiß ich auch nicht, was er tun oder nicht tun wird, aber jedenfalls kann er nicht erfolgloser sein als Torsten, denn immerhin kann er den Flug selbst bezahlen.«

Sie sah Dr. Norden mit einem weltenfernen Blick an. »Es klingt wohl lächerlich, wie ich das sage, aber ich bin tatsächlich froh darüber, denn der Flug von Australien bis München kostet doch ein schreckliches Sümmchen.«

»Nick war also in Australien«, sagte Daniel nachdenklich.

»Jedenfalls die letzten sechs Jahre, und von dort aus bekam ich dann auch die erste Nachricht von ihm, wo er vorher war, weiß ich nicht, und was er überhaupt gemacht hat, sagte er nicht. Ich würde schon eines Tages alles erfahren, meinte er nur. Mir ist es auch egal, ich bin froh, daß er lebt und ich ihn wiedersehen darf.«

»Ich habe Nick immer gemocht«, erklärte Daniel. »Er ist bestimmt nicht einfach davongelaufen. Er hat es sich gut überlegt.«

»Hat Torsten erfahren, daß er kommt?«

»Ich habe es ihn wissen lassen. Darüber hat er sich bestimmt nicht aufgeregt. Er sagte, es sei gut, daß Nick käme. Er war deprimiert, aber ich glaube, daß Karin ihn aufgeregt hat. Mario sagte etwas von einem Peter, über den sie gesprochen hätten. Jedenfalls wird Nick bei seiner Heimkehr ein Chaos vorfinden. Damals wurde ihm keine Chance gegeben, sich irgendwie zu bewähren, jetzt wird er hier kaum noch Gelegenheit dazu haben. Ich fürchte, er wird nicht lange bleiben.«

»Sehen Sie jetzt nicht zu schwarz, Frau Hanson. Sie haben soviel überstanden, jetzt lassen Sie bitte den Mut nicht sinken.«

»Ich bin dankbar, daß ich mit Ihnen sprechen konnte. Es ist nicht einfach, wenn man niemanden hat, dem man vertrauen kann. In meinem Haus fühle ich mich fremd, es ist ja auch nicht mehr mein Haus.«

»Ich dachte, Sie fühlen sich wohl im Grund.«

»Das tue ich, aber ich vermisse doch viel, und die Leute dort haben alle große Familien, sind fröhlich beisammen, da kommt man sich erst recht einsam vor.« Ihr Blick schweifte zum Fenster hinaus, und ihre Augen waren feucht geworden.

»Sie sind doch noch so fit, Frau Hanson«, stellte Daniel fest.

»Aber den ganzen Tag mag ich auch nicht mehr herumlaufen und in die Berge gehen. Aber lassen wir das, ich stehle Ihnen nur kostbare Zeit.«

»Ich freue mich, daß Sie mal wieder den Weg zu mir gefunden haben.«

»Manchmal denke ich, wenn ich krank werde, wer sich dann wohl um mich kümmern würde.«

»Warum nehmen Sie sich denn nicht ein junges Mädchen ins Haus?«

»Wer will denn schon so einsam leben, wenn man jung ist? Ich verstehe es ja, daß sie das Leben genießen wollen. Die jungen Leute zieht es doch mehr in die Stadt. So, jetzt habe ich genug gejammert. Ich fahre zur Klinik und schaue nach Torsten, und dann kümmere ich mich um meinen Enkel. Karin paßt es zwar nicht, daß ich in der Stadt bleibe, aber das soll mir egal sein.«

»So ist es recht. Kopf hoch, Frau Hanson, freuen Sie sich auf Nick. Ich freue mich auch, wenn ich ihn wiedersehe.«

Es sah fast so aus, als wolle Roberta ihn umarmen. »Sie sind ein so lieber Mensch, Dr. Norden«, sagte sie mit soviel Wärme, daß er ein wohliges Gefühl dabei bekam.

*

Roberta Hanson mußte sich nach zwei Umleitungen erst auf den richtigen Weg zum Klinikum finden, und als sie endlich einen Parkplatz fand, der schon überfrequentiert war, entdeckte sie Karin, die auf einen Mann zuging, der auf sie wartete. Roberta konnte nicht hören, was sie sagte, aber die Umarmung und der Kuß sagten ihr genug. Ganz spontan faßte sie den Entschluß, den beiden nicht aus dem Weg zu gehen. Es bereitete ihr sogar eine Genugtuung zu erleben, wie Karin erschrak und entsetzt ihre Schwiegermutter ansah.

»Weiterhin viel Spaß«, sagte Roberta spöttisch und ging weiter.

Karin schnappte nach Luft.

»Das war meine Schwiegermutter«, stammelte sie. »Ausgerechnet jetzt muß sie kommen, das ist fatal.«

»Ich denke, Torsten wird sowieso sterben«, sagte Peter Porter zynisch.

»Aber er lebt noch. Weiß der Teufel, was ihr jetzt einfallen wird, um mich auszuschalten.«

»Was kann sie denn schon tun? Dir steht dein Erbe zu, daran ist nicht zu rütteln. Laß uns von hier verschwinden. Ich mag Krankenhäuser nicht.«

»Denkst du, mir gefallen sie? Und wie Torsten aussah, einfach schrecklich. Aber sein Arzt ist ein flotter Typ.«

»Wenn du meinst, du kannst mich eifersüchtig machen, irrst du dich. Wenn du abspringst, warten schon ein paar andere.«

Karin kniff die Augen zusammen. »Wenn du dich weiterhin so benimmst, kannst du dich anderweitig umschauen. Mir macht es nichts aus. Ich brauche nur mit den Fingern zu schnippen.«

Das war typisch für sie, charakterlos und ohne jedes Gefühl und kalt funkelten auch ihre Augen. Aber Peter Porter war aus dem gleichen Holz, er verstand es nur noch besser als sie, seine Vorteile zu nützen.

Roberta empfand bei aller Verachtung für Karin jetzt doch eine gewisse Genugtuung. Sie hatte jetzt den deutlichen Beweis, daß Karin Torsten betrog.

Wenn sie auch so manches Mal gedacht hatte, daß er es nicht anders verdiene, empfand sie jetzt doch Mitleid mit ihm. Ihr kamen die Tränen, als sie ihn so verfallen und dem Tode näher als dem Leben sah. Er hatte kaum noch Ähnlichkeit mit dem Torsten, den sie kannte.

Dr. Hausmann hatte sie begrüßt, und mit ihm konnte sie dann einige Minuten reden.

»Meine Schwiegertochter war wohl auch gerade hier? Haben Sie mit ihr gesprochen?« fragte sie.

»Wenig, sie hat sich nicht lange aufgehalten. Manche Menschen ertragen die Krankenzimmeratmosphäre nicht.«

»Sie hat andere Interessen«, sagte Roberta kühl. »Aber sie weiß doch sicher, wie schlecht es um Torsten steht?«

»Das mußte ich ihr sagen.«

»Es besteht wohl keinerlei Hoffnung auf eine Besserung?«

»Das geschieht immer wieder mal, aber in seinem Fall würde er behindert bleiben. Eigentlich erhalten ihn nur die Geräte am Leben. Aber solange das Herz schlägt, werden sie nicht abgeschaltet.«

»Wenn sie aber abgeschaltet werden, wird das Herz doch aufhören zu schlagen?«

»Ihr Sohn hat darüber keine Verfügung getroffen.«

»Er ist achtunddreißig und hat bestimmt nicht daran gedacht, daß ihm so etwas passieren würde.«

»Aber ein Testament hat er doch sicher gemacht?«

»Das weiß ich nicht, es wäre auch überflüssig, da mein Mann schon seine Verfügungen für die nächste Generation getroffen hat und das ist gut so. Vielleicht ist doch noch wenigstens etwas zu retten.«

»Er hatte also geschäftliche Sorgen? Das könnte ein Grund für den Schlaganfall sein.«

»Immerhin kann er niemand anderen verantwortlich machen für das Dilemma, zu dem sicher seine Frau einiges beigetragen hat. Entschuldigung, ich wollte das nicht sagen.«

»Aber es bewegt Sie, und Sie sollten Ihre Sorgen nicht einfach nur herunterschlucken.«

»Ich hätte mich früher kümmern sollen«, sagte Roberta leise. »Jetzt sind Selbstvorwürfe nicht angebracht.«

Dr. Hausmann machte sich seine Gedanken, weil er Karin und Roberta Hanson nicht in Einklang bringen konnte. Er hatte ja erlebt, wie unverfroren Karin mit ihm zu flirten versuchte und für ihren Mann nicht das geringste Gefühl zeigte.

Er kannte solche Frauen, die begegneten ihm öfter im Krankenzimmer. Jedesmal dachte er, daß solche Frauen leben durften, während seine Rena so früh sterben mußte. Das Schicksal war oft so ungerecht.

Roberta Hanson litt, wenn sie es auch nicht zeigen wollte. Als sie ging, begleitete er sie hinaus. Es tat ihm auch gut, mal frische Luft zu atmen.

»Wie lange wird Torsten noch leben?« fragte sie leise.

»Das kann ich nicht sagen. Vielleicht ein paar Tage, vielleicht nur noch Stunden. Er muß aber nicht leiden.«

»Vielleicht hätte es ihn verändert, wenn er gelernt hätte, Schmerzen zu erdulden«, sagte sie tonlos. »Ich danke Ihnen für Ihr Verständnis, Herr Doktor.«

Dr. Hausmann ging zurück an die Arbeit. Er hatte einen schweren Tag. Torsten Hanson war nicht der einzige Patient, dessen Leben zu Ende ging.

*

Als Nick Hanson das Flugzeug verließ und den anderen Passagieren durch lange Gänge folgte, war es ihm direkt ein bißchen unheimlich zumute, denn alles war ihm fremd. Das war nicht der alte Flughafen, von dem aus er seine Reise ins Ungewisse angetreten hatte. Er kam sich fast verloren vor in den großen Hallen, und als er sich von dem Zollbeamten beobachtet fühlte, wurde es ihm unbehaglich, obgleich er kein schlechtes Gewissen zu haben brauchte. Aber der Blick aus hellen Augen war so durchdringend, daß er meinte, er würde bis ins Innerste durchschaut.

»Nick Hanson, ist das eine Überraschung«, sagte der Beamte, der jetzt lächelte. »Du erkennst mich auch nicht mehr.« Er sprach leise. »Florian Brandl. Jetzt kann ich nicht mehr sagen: Wäre nett, wenn wir uns mal treffen könnten.«

»Flo, liebe Güte, hast du dich verändert. Der kleine Flo.«

»Ruf mich an, ich stehe im Telefonbuch.«

»Bestimmt, auf bald«, sagte Nick. Er fühlte sich plötzlich so viel freier und leichter. Ein schmächtiges blasses Bürscherl war der Flo gewesen, aber flink und pfiffig, und jetzt war er Zollbeamter. Jedenfalls ein netter Schulfreund, den man gern wiedersah.

Er konnte die Halle verlassen, nahm seinen Koffer und den Trolly. Dann war er draußen und atmete die frische Luft ein. Taxis gab es genug, aber er hatte es nicht eilig. Niemand wußte, wann er ankommen würde und nur seine Mutter war überhaupt von seinem Kommen informiert.

Er ließ anderen, die es eilig hatten, den Vortritt, dann war aber ein ganz fixer Taxichauffeur zur Stelle, nahm sein Gepäck und legte es in den Kofferraum.

»Wohin darf ich Sie fahren?« fragte er höflich.

Nick nannte seine Adresse und sah den jungen Mann forschend an.

»Sind Sie Student?« fragte er.

»Sie sind aber schnell im Durchschauen«, erwiderte der junge Mann staunend.

»Man bekommt so einen Blick dafür, was aber nicht heißt, daß man immer gleich richtig liegt.«

Er setzte sich neben ihn. »Was studieren Sie?« fragte er.

»Schätzen Sie doch mal«, sagte der andere mit einem verschmitzten Lächeln.

»Ich würde sagen Ingenieur.«

»Stimmt auch, Maschinenbau, aber es ist schwer, da einen Job zu finden, wenn man noch nicht fertig ist.«

»Wann sind Sie fertig?«

»Noch ein Semester. Ich muß es mir selbst verdienen, und dann würde ich auch gern nach Australien gehen. Ich hab’ es nicht geraten sondern am Aufkleber gesehen«, fügte er hinzu.

»Leicht wird es einem da auch nicht gemacht, und man wird ganz schön zur Kasse gebeten, wenn man die Arbeitserlaubnis haben will.«

»Aber Sie gehen doch sicher wieder zurück?«

»Das weiß ich noch nicht.«

»Aber es hat Ihnen bestimmt gefallen?«

»Ja, das kann man sagen, aber ich will meine Mutter wiedersehen.«

»Meine jammert jetzt schon, wenn ich sage, daß ich mal ins Ausland gehen will. Sie meint, daß es nirgends schöner sein kann als bei uns.«

»Es ist hier auch schön«, sagte Nick gedankenvoll.

»Ich heiße Bernd Heimbuchner. Mein Vater ist der Taxiunternehmer. Wenn Sie mal wieder ein Taxi brauchen, würde ich mich freuen, wenn Sie auf mich zurückkommen.«

»Sehr gern, ich kenne mich in München gar nicht mehr aus, es hat sich viel verändert. Man merkt, wieviel Zeit vergangen ist.«

»Wie lange waren Sie weg?«

»Fast zehn Jahre.«

»Ja, das ist eine lange Zeit, aber da müssen Sie noch sehr jung gewesen sein. Sie sind doch höchstens Mitte zwanzig.«

»Achtundzwanzig.«

Bernd wollte nicht indirekt sein, also fragte er nicht, warum Nick in so jungen Jahren in die Welt gezogen war, aber er machte sich Gedanken. Wie ein Abenteurer oder schräger Vogel sah er nicht aus. Als Taxifahrer hatte sich Bernd auch schon einige Menschenkenntnis angeeignet. Ob er wohl Schwierigkeiten mit seinem Vater gehabt hatte? Bernd hatte auch welche, weil sein Vater wollte, daß er das Taxiunternehmen weiterführte. Er wollte aber nicht ewig hinter dem Steuer sitzen, alle Kunden waren nicht so sympathisch wie Nick.

Sie unterhielten sich nach einer kleinen Denkpause wieder sehr angeregt, denn die Fahrt zur Villa Hanson war ziemlich weit. Wenn es nach Bernd gegangen wäre, hätte sie noch länger dauern können.

»Schade«, sagte er, als das Ziel erreicht war.

»Ich komme auf Ihren Vorschlag zurück«, sagte Nick, »wenn ich ein Taxi brauche, rufe ich Sie an. Es hat gut angefangen hier. Der Zollbeamte war ein früherer sehr netter Schulfreund, und dann konnten wir uns so angeregt unterhalten. Ich bin wieder richtig in Übung gekommen mit der deutschen Sprache.«

»Sie haben nichts verlernt und sind ein dufter Typ.«

Nick lachte. »Wir sehen uns, Bernd«, sagte er. »Ich heiße übrigens Hanson, Nick Hanson.«

Familie Dr. Norden Classic 45 – Arztroman

Подняться наверх