Читать книгу Dr. Laurin Classic 51 – Arztroman - Patricia Vandenberg - Страница 3

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»Also, dann bleibt uns wohl nichts weiter übrig, als die Prof.-Kayser-Klinik am Donnerstag zu schließen«, sagte Dr. Laurin lachend.

Hanna Bluhme sah ihren Chef entgeistert an.

»Wegen der Ölkrise?«, fragte sie bestürzt.

»Dann würde ich wahrhaftig nicht mehr lachen«, sagte Dr. Leon Laurin.

»Habe nicht bemerkt, dass Sie lachen«, sagte Hanna.

»Dann schauen Sie mich doch zur Abwechslung auch mal wieder an«, fuhr er neckend fort. »Sie haben wohl gar nichts für mich übrig, Hanna?«

»Sie werden genug angehimmelt«, sagte sie beleidigt.

Hanna ging mittlerweile auf die Fünfzig zu, war bereits doppelte Großmama und, obgleich früh verwitwet, immer gut gelaunt und für Dr. Laurin eine überaus zuverlässige Hilfe.

Jetzt wollte sie aber doch wissen, was es mit seiner Bemerkung von vorhin auf sich hätte, und Dr. Laurin gab ihr bereitwillig Auskunft.

»Dr. Howard und Biggi Petersen heiraten«, begann er.

»Waaas?«, rief Hanna gedehnt aus. »Das wird doch noch was?«

»Daran bestand nie ein Zweifel, nur über den Termin konnte man sich nicht einigen. Biggi hat ihren eigenen Kopf.«

»Wie ihr hochgeschätzter Bruder«, sagte Hanna.

Dr. Lars Petersen war wirklich hochgeschätzt in der Prof.-Kayser-Klinik, aber seinen eigenen Kopf hatte er wahrhaftig auch. Wenn man sich an seine Eigenarten gewöhnt hatte, kam man allerdings prächtig mit ihm aus. Für Dr. Laurin war Lars Petersen mehr als ein Kollege. Ja, man konnte sagen, dass er sein bester Freund geworden war.

Ebenso gut verstanden sich Antonia Laurin und Dagmar Petersen. Und Biggi sollte nun endlich Dr. Howards Frau werden, den sie schon fast zehn Jahre kannte.

Das war eine Liebesgeschichte, wie man sie wohl selten erlebt hatte.

»Dann ist natürlich auch Dr. Sternbergs vierzigster Geburtstag nicht zu vergessen«, riss Dr. Laurin Hanna aus ihren Gedanken. »Und auch nicht Leonies Verlobung. So ist also Herr Bennet auf die grandiose Idee gekommen, alles unter einen Hut zu bringen. Er will es sich auch nicht nehmen lassen, das Fest auszurichten.«

»Herr Bennet«, sagte Hanna gedankenvoll. »Na ja, er hat das meiste Geld.«

»Und ein großes, gutes Herz«, sagte Dr. Laurin voller Wärme. »Ihn hat das Geld jedenfalls nicht verdorben. Ja, seine Großzügigkeit stellt uns jedoch vor Probleme. Da ist zuerst mal Lars Petersen, der natürlich Brautführer sein muss. Auf mich will die Gesellschaft auch nicht verzichten.«

»Das ist ja wohl selbstverständlich«, warf Hanna ein. »Dr. Rasmus und Dr. Thiele sind auch noch da.«

»Nun, an Dr. Sternbergs Geburtstagsfeier möchten wohl so ziemlich alle teilnehmen, und Leonies Verlobung wollen sich die Schwestern auch nicht entgehen lassen. Ich hab’s ja gesagt. Am besten wird es sein, wir schließen die Klinik, damit jedem gerecht wird«, lächelte Dr. Laurin. »Aber nun mal ernst, Hanna. Irgendwie müssen wir es hinbringen, dass jeder etwas davon hat. Wie ich Herrn Bennet kenne, wird es ein zauberhaftes Fest werden.«

»Sie freuen sich ja richtig«, staunte Hanna.

»Zuerst mal darüber, dass Howard zu seiner Frau kommt. Lange genug hat Biggi ihn ja zappeln lassen. Aber dem Sprössling zuliebe tauscht sie den Namen Petersen doch gegen Howard ein.«

»Als ob es ihr um den Namen ginge. Sie wollte doch nur, dass er Boden unter den Füßen bekommt und sich nicht angebunden fühlt.«

»Und dabei hat er sich nichts sehnlicher gewünscht. Frauen sind schon manchmal komisch.«

Dr. Donald Howard hatte als Chefarzt eine Klinik übernommen, deren Besitzer Dr. Laurin einmal in große Schwierigkeiten gebracht hatte. Durch seinen Tod hatte sich dann alles zum Guten gewendet. Dr. Howard leitete das jetzige Gesundheitszentrum vorbildlich. Es hatte neben der Prof.-Kayser-Klinik nun den besten Ruf, vor allem als Entbindungsheim, ohne dass die beiden Ärzte sich als Konkurrenten betrachteten.

Und die Geschichte mit Biggi, ja, das war schon fast ein Roman.

Schwester Marie war gerade dabei, ihn Schwester Leonie zu erzählen.

*

Die attraktive Schwester Leonie war erst einmal sehr in Verlegenheit gebracht worden, als Dagmar Petersen ihr in ihrer liebenswürdigen Art eröffnete, dass ihre Verlobung gleich mitgefeiert werden sollte.

Eigentlich hatten Leonie und ihr zukünftiger Mann Adrian von Burkhardt von einer offiziellen Feier absehen wollen, da Adrians Mutter erst vor einigen Monaten gestorben war. Doch Dr. Petersen und seine schöne Frau vertraten den Standpunkt, dass die Jugend und das Leben ein Vorrecht hätten. Alle hatten Leonie gern und gönnten ihr das private Glück, das sie so selbstlos für einige Jahre mit ihrem aufopferungsvollen Beruf als Krankenschwester vereinbaren wollte.

Ja, Leonie konnte man mit Birgit Petersen vergleichen, und das tat Schwester Marie.

»Mit Biggi haben Sie viel Ähnlichkeit, Leonie«, sagte sie gedankenverloren. »Wissen Sie, als Dr. Petersen zu uns kam, war er ein vom Schicksal geschlagener Mann, Leonie. Lange Jahre hatte er in Südamerika in einem Hospital gearbeitet unter den primitivsten Bedingungen. Seine Schwester Biggi war mit ihm gegangen. Und dort arbeitete auch Dr. Howard. Biggi verlobte sich mit ihm.«

»Damals schon?«, fragte Leonie überrascht.

»Ja, damals«, sagte Schwester Marie sinnend. »Dr. Petersen heiratete eine junge Südamerikanerin, aber ihnen war nur ein kurzes Glück vergönnt. Sie starb bei Ronalds Geburt. Und Biggi sah nun ihre Lebensaufgabe darin, das Kind ihres Bruders aufzuziehen. Sie löste ihre Verlobung.«

»Und dann kam Dr. Petersen an die Prof.-Kayser-Klinik?«, fragte Leonie.

»Nach Jahren. Ich muss ganz offen gestehen, dass ich zuerst ein bisschen skeptisch war.«

»Warum?«

»Weil er das Format zum Chefarzt hat.«

»Aber er versteht sich doch so gut mit dem Chef. Einfach einmalig«, sagte Leonie.

»Ja, einfach einmalig. Da haben sich zwei gesucht und gefunden. Etwas Besseres konnte unserem Dr. Laurin gar nicht widerfahren. Und dann hat Dr. Petersen auch bald Dagmar Bennet kennen gelernt. Sie hatte Pech in ihrer ersten Ehe. Behalten Sie es für sich, Leonie. Davon wird nicht mehr geredet. Ihre kleine Nicole und Dr. Petersens Ronald sind wie richtige Geschwister. Sie haben beide längst vergessen, dass es nicht immer so war.«

»Und wie kam dann Dr. Howard hierher?«, fragte Leonie, nun doch ein bisschen neugierig.

»Ganz zufällig. Sie hatten nichts mehr voneinander gehört. Er kam gerade im richtigen Augenblick, denn so ganz leicht war es für Biggi nicht, nun den kleinen Ronald hergeben zu müssen. Sie war wirklich wie eine Mutter für ihn.«

Schwester Marie machte eine kleine Pause. »Eine Geschichte, die das Leben schrieb«, fuhr sie dann sinnend fort. »Dr. Howard übernahm die ehemalige Schollmeier-Klinik, das jetzige Gesundheitszentrum, nach den schrecklichen Vorfällen, die Ihnen vielleicht auch bekannt sind.

Dr. Howard hat es gewiss nicht leicht gehabt, aber Biggi hat ihm geholfen, alle Schwierigkeiten zu überwinden, so dass die Patientinnen wieder ohne Angst dort ihre Kinder zur Welt bringen konnten. Und Dr. Laurin, das darf dabei auch nicht vergessen werden, hat sich intensiv für Dr. Howard eingesetzt. Ihre Verlobung werden Sie wirklich in allerbester Gesellschaft feiern, Leonie.«

»Aber richtige Freude wird es mir nur machen, wenn Sie dabei sind, Schwester Marie«, sagte Leonie.

»Ja, wie wir das organisieren wollen, weiß ich jetzt auch noch nicht. Aber irgendwie wird es schon gehen. Herr Bennet hat viel Gemüt. Er wird sich sicher etwas ganz besonders Schönes ausgedacht haben für diesen Tag.«

Ja, und gerade das hatte Clemens Bennet getan!

*

»Ich finde es rührend von dir, Daddy, dass dir Biggis Hochzeit so am Herzen liegt«, sagte Dagmar Petersen zu ihrem noch immer jugendlichen Vater, »aber unmöglich kann das ganze Klinikpersonal anwesend sein.«

»Kann man denn keine Vertretungen beschaffen?«, fragte Clemens Bennet.

»Bist du mit einem minderwertigen Ersatz einverstanden, wenn du Musikproduktionen machst, Daddy?«, fragte Dagmar nachsichtig. »In einer Klinik geht es um Menschenleben.«

Aber als Clemens Bennet dann ein so betrübtes Gesicht machte, legte sie den Arm um seine Schultern. »Irgendwie werden sie sich schon abstimmen. Die Hauptpersonen werden auf jeden Fall aller Verpflichtungen entbunden werden.«

»Wenigstens ein Trost«, sagte Clemens Bennet. »Und wie ist es mit den Kindern?«

»Da gibt es keine Schwierigkeiten«, erwiderte Dagmar lächelnd. »Nikki, Ronald und Kaja streuen Blumen. Konstantin und Kevin tragen den Schleier. Dass Konstantin sich dazu bereit findet, ist ohnehin ein großes Zugeständnis.«

»Schwer genug war es ja sowieso, Biggi zu bewegen, in Weiß zu heiraten«, seufzte Clemens Bennet. »Don wird wahrhaftig froh sein, wenn er diesen Tag hinter sich hat.«

»Wir auch«, sagte Dagmar mit einem leisen Lachen. »Aber wir freuen uns jetzt erst mal darauf. Was hast du dir noch für Überraschungen ausgedacht, Daddy?«

»Es wären keine Überraschungen, wenn ich es verraten würde«, erwiderte er.

Clemens Bennet hatte es schon wieder eilig. Er musste zu seinem Studio fahren, denn die größte Überraschung für das bevorstehende Fest wartete dort auf ihn.

Ihr Name war wohlbekannt in allen Kontinenten und wurde fast mit Ehrfurcht genannt. Victoria Sudoran, der man nachsagte, dass sie den schönsten Mezzosopran des Jahrhunderts besäße. Hinzu kam noch, dass sie vom Äußeren her wohl eine der schönsten Sängerinnen war, die je auf einer Bühne gestanden hatte.

Was sie so unglaublich sympathisch machte, war jedoch ihre Natürlichkeit. Clemens Bennet, der allergisch gegen aufgetakelte Frauen war, hatte sehr viel übrig für Victoria. Auch deshalb, weil sie so zuverlässig war.

Seine Verehrung galt einer großen Künstlerin, die seines Geschäftsführers Horst Worrel wohl aber doch mehr der schönen Frau, wie Clemens Bennet recht unwillig zur Kenntnis nehmen musste.

Die Aufnahmen verliefen ohne Schwierigkeiten.

Nur eine gewisse Müdigkeit machte sich an diesem Tag bemerkbar.

»Ich muss ein paar Tage ausspannen«, sagte sie zu Clemens Bennet. »Und meine Familie möchte mich auch mal wieder daheim sehen.«

»Dann wird es wohl nichts aus unserer Vereinbarung?«, sagte Clemens Bennet niedergeschlagen.

»Clem, ich halte mein Wort«, erwiderte Victoria. »Ich habe noch nie einen Freund enttäuscht, und du bist ein wahrhaftiger Freund. Auf dich habe ich mich immer hundertprozentig verlassen können, auch als ich noch nicht ›die‹ Sudoran war, und du kannst dich auch auf mich verlassen. Außerdem will ich es mir keinesfalls entgehen lassen, deine so großgewordene Familie einmal kennen zu lernen. Aber«, sie machte eine kleine Pause und sah sinnend in die Ferne, »ich fürchte, dass ich meine Familie verlieren werde, wenn ich niemals für sie Zeit habe. Eines Tages wird man vor die Alternative gestellt.«

»Vor welche?«, fragte Clemens Bennet geistesabwesend.

»Vor welche schon? Ehefrau und Mutter…, oder Sängerin zu sein«, erwiderte Victoria.

»Und wie würdest du dich entscheiden, Victoria?«

Ihre großen dunklen Augen, die in dem blassen und ein wenig müden Gesicht brannten, was ihrer Schönheit aber keinen Abbruch tat, sahen ihn nachdenklich an.

»Ich kann es mir nicht vorstellen, nicht mehr zu singen, Clem«, sagte sie leise. »Früher dachte ich, man könne alles unter einen Hut bringen, aber es ist sehr, sehr schwer. Ich war schon drei Monate nicht mehr daheim.« Sie fasste sich an den Hals. Es war eine Bewegung, die er während dieser Tage schon öfter bemerkt hatte.

Darüber aber dachte er nicht lange nach. »Du würdest also eher auf deine Familie verzichten, Victoria?«, sagte er ruhig. »Aber nicht etwa wegen Horst?«

Ihre schön geschwungenen Augenbrauen hoben sich. »Du meinst Herrn Worrel? Wie kommst du da-rauf?«

»Er himmelt dich an.«

Sie lachte leicht auf. »Das tun viele Männer, Clem. Du lieber Gott, wenn ich das ernst nehmen würde. Nein, dafür habe ich nun, weiß Gott, keine Zeit. Wenn ich abends in mein Bett sinke, bin ich nur noch müde.«

»Wie müde bist du heute, Victoria? Können wir noch zusammen essen?«

»Nur wir beide? Dann sage ich ja. Aber kein großer Kreis.«

»Nur wir beide«, sagte er.

»Dafür bin ich nicht zu müde.«

Sie lächelte und sah bezaubernd aus.

Clemens Bennet kannte Victoria schon zehn Jahre. Er hatte sie sozusagen entdeckt. Genau genommen hatte er die Fachwelt auf sie aufmerksam gemacht, als sie bei ihm die ersten Aufnahmen mit einer Gruppe machte.

Ein Jahr später hatte sie geheiratet. Sie hatte eine gute Partie gemacht. Martin Sudoran besaß mehrere Kaufhäuser. Er war zwölf Jahre älter als Victoria und konnte es sich leisten, eine schöne Frau nach Herzenslust zu verwöhnen. Er war auch sehr stolz auf ihre märchenhaft schöne Stimme, die sich nach der Geburt ihres ersten Kindes Fabian so richtig entwickelte. Nein, er hatte ihr nichts in den Weg gelegt, als ihre Karriere steil bergan ging. Nur einmal hatte sie eine Pause gemacht. Als ihre Tochter Caroline geboren wurde. Damals hieß es, dass Victoria sich ganz ihrer Familie widmen würde, aber schon bald leuchtete ihr Stern noch heller am Musikhimmel.

Im Kollegenkreis witzelte man schon darüber, dass sie mit jedem Kind berühmter werden würde. Aber es blieb bei den beiden, Fabian und Caroline, und Clemens Bennet war einer der wenigen, die wussten, dass diese beiden Kinder von Victorias Schwester Rosmarie aufgezogen wurden, während ihre Mutter die ganze Welt bereiste und sie mit ihrer wundervollen Stimme beglückte.

Hier und dort war Martin Sudoran aufgetaucht, aber immer seltener. Und selbst jetzt, da Victoria in München weilte und er nur knapp hundert Kilometer entfernt war, ließ er sich nicht blicken.

Daran dachte Clemens Bennet, als er mit Victoria in einem bekannten Feinschmeckerlokal saß. Sie machte jetzt einen fast erschöpften Eindruck.

»Ich dachte, dass Martin mal herüberkommen würde«, sagte Clemens.

»Er hat viel zu tun, und er lässt die Kinder nicht gern allein mit Rosmarie«, erwiderte Victoria. »Sie hängen sehr an ihm. Er denkt wohl auch, dass sie den Vater nicht missen sollten, wenn die Mutter schon so wenig daheim ist. Clem – was würdest du an meiner Stelle tun?«

»Das ist sehr schwer zu sagen. Ich bin ein Mann, Victoria.«

»Aber für Dagmar hättest du doch jeden Termin abgesagt«, bemerkte sie.

»Dagmar ist jetzt glücklich verheiratet. Es war eine vorübergehende Phase. Jetzt bin ich auch sesshaft geworden. Tüchtige Leute arbeiten für mich. Ich brauche nicht mehr alles selbst zu tun.«

»Ich kann niemanden für mich singen lassen«, sagte Victoria.

»Aber um des Geldes Willen brauchst du nicht zu singen.«

»Nein, deshalb nicht. Wenn du mich nicht verstehst, Clem, dann weiß ich nicht, wer mich verstehen könnte.«

»Ich verstehe dich, aber wenn du in einen Gewissenskonflikt gebracht wirst, musst du dich entscheiden, was dir wichtiger ist, dein Mann und deine Kinder, oder dein Beruf, deine Kunst, Victoria. Ich glaube tatsächlich nicht, dass man auf Dauer beidem gerecht werden kann.«

»Erzähle mir von dir. Man sagt, dass du der vollkommene Großpapa geworden seist.«

»Vollkommen? Das will ich nicht sagen. Ich bin glücklich in der Rolle. Glücklich vor allem, weil Dagmar glücklich ist und Nikki nicht allein aufzuwachsen braucht. Und in nicht allzu ferner Zeit werden es drei sein. Ich habe einen Schwiegersohn bekommen, mit dem ich mich prächtig verstehe, obwohl er Arzt ist und ich immer etwas gegen Ärzte hatte.«

»Ihr seid also rundherum glücklich«, sagte sie gedankenverloren.

»Ja, rundherum. Du wirst dich davon überzeugen können, wenn du am nächsten Donnerstag kommst. Bring doch deinen Mann, deine Kinder und deine Schwester mit. Ich würde mich freuen.«

»Du bist lieb, Clem. Vielleicht bringe ich sie alle mit. Warum soll ich dich nicht schädigen.«

»Tu es. Man muss die Feste feiern, wie sie fallen. Du wirst wahnsinnig nette Menschen kennen lernen. Mein bester Entschluss war überhaupt, mich hier niederzulassen. Man braucht ein Stück Land, auf das man gehört, ein Haus, in dem man sich ausruhen kann, eine Familie, die man liebt und von der man geliebt wird. Man braucht Zeit, um das zu begreifen, aber dir wird es auch einmal nicht anders ergehen, Victoria, glaub es mir.«

Clemens Bennet entging es nicht, dass sie sich wieder an den Hals griff, und dann stieg eine hektische Röte in ihr zartes Gesicht.

»Fühlst du dich nicht wohl, Victoria?«, fragte er besorgt.

»Ich bin nur mal wieder zu warm angezogen«, erwiderte sie.

An diesem Abend dachte Clemens Bennet nicht nur daran, dass bei der Hochzeitsfeier auch alles perfekt klappte, sondern er dachte auch über Victoria Sudoran nach.

Victoria befand sich in einem Zwiespalt, das war nicht zu übersehen. Doch Clemens Bennet ahnte nicht, dass die berühmte Sängerin noch ganz andere Sorgen hat-

te.

Sie zitterte am ganzen Körper, als sie sich später im Spiegel betrachtete. Sie griff sich an die Kehle, hatte das Gefühl zu ersticken. Sie fand sich abstoßend, und eine schreckliche Angst ergriff sie.

Mit hochgeschlossenen Kleidern ließ sich dieses Übel, das ein Arzt als Kropf bezeichnet hatte, noch verdecken, aber natürlich würde Martin diese Veränderung auch bemerken und Fragen stellen.

*

Dr. Eckart Sternberg, dem Chefarzt der Chirurgischen Abteilung der Prof.-Kayser-Klinik, behagte es nicht, dass auch Notiz von seinem vierzigsten Geburtstag genommen werden sollte.

»Muss das sein?«, fragte er seinen Freund Dr. Laurin.

»Warum soll es dir anders ergehen als mir?«, erwiderte Leon Laurin lächelnd. »Vierzig ist ein schönes Alter. Jetzt kommt das Jahrzehnt der Genießer.«

»Oh, du liebe Güte, was genießen wir denn?«

»Unsere zauberhaften Frauen und Kinder«, erwiderte Leon.

»Die genießen wir mit siebzig auch noch, wenn es uns beschieden ist«, sagte Eckart Sternberg. »Herr Bennet meint es ja gut, und Corinna meint auch, dass es eine hübsche Idee ist…«

»Dann lass mal deine Einwände«, unterbrach ihn Leon.

»Wenn du mir sagst, wie der Betrieb hier aufrechterhalten werden soll.«

»Auf Uhl ist doch Verlass, und aus der Welt sind wir nicht. Was denn macht eigentlich der große Schweiger Hillenberg?«

Dr. Michael Hillenberg war noch neu in der Prof.-Kayser-Klinik und allem Anschein nach ein noch weit größerer Einzelgänger, als Dr. Uhl und Dr. Rasmus es mal gewesen waren.

»Er arbeitet schweigend«, erwiderte Dr. Sternberg. »Man muss schon Fragen an ihn richten, damit er mal den Mund auftut.«

»Ist er arrogant?«

»Nicht die Spur. Nur verschlossen. Er scheint schlechte Erfahrungen mit Frauen gemacht zu haben. Von den Schwestern findet auch nur Melanie Gnade vor seinen Augen.«

»Er muss sich auch erst einleben«, meinte Dr. Laurin nachsichtig. »Solche sind uns doch lieber als Wichtigtuer und Schwätzer.«

Er kehrte auf seine Station zurück. Auch hier gab es eine Frisch-operierte, die ihm einige Sorgen bereitete. Sie war erst Anfang Dreißig, seit fünf Jahren verheiratet und kinderlos geblieben. Nun hatte sich herausgestellt gehabt, dass sie ein mehrpfündiges Myom hatte, und da es mit der Gebärmutter verwachsen gewesen war, hatte diese teilweise amputiert werden müssen. Das bedeutete für diese junge Frau, dass sie keine Kinder mehr bekommen konnte, und sie war darüber tief verzweifelt. Sie litt unter so starken Depressionen, dass die Genesung einfach nicht voranging, und selbst Dr. Laurin hatte sie nicht zuversichtlich stimmen können.

Ursula Gärtner hieß die Patientin, und eben kam ihr Mann mit niedergeschlagener Miene aus ihrem Krankenzimmer. Er kam immer in seiner Mittagspause und war rührend besorgt um seine Frau. Darüber hätte sie wahrhaftig keine Klage zu führen brauchen, aber wohl gerade deshalb, weil sie eine so gute Ehe führten, bedrückte es sie, dass sie ihrem Mann keine Kinder schenken konnte.

»Es geht Uschi von Tag zu Tag schlechter«, sagte Klaus Gärtner deprimiert. »Kann man denn gar nichts machen, Herr Doktor?«

»Um gesund zu werden, müsste sie aber schon ein bisschen mithelfen. Vielleicht sollten Sie einmal mit ihr darüber sprechen, dass Sie ein Kind adoptieren könnten«, sagte Dr. Laurin.

»Darüber haben wir schon gesprochen, aber sie hat Angst, dass man ihr das Kind dann später wieder wegnehmen könnte.«

»Das kommt im Falle einer Adoption überhaupt nicht in Frage«, sagte Dr. Laurin.

»Aber ich habe mich erkundigt. Drei Monate muss man warten. In der Zeit hat auch eine uneheliche Mutter noch das Recht, ihr Kind zurückzufordern. Das wäre für Uschi dann doch noch viel schlimmer, wenn sie sich erst mal an das Kind gewöhnt hätte.«

Gewiss war das ein Argument, das nicht wegzureden war. Es war schon öfter passiert, dass solches geschehen war. Dr. Laurin runzelte nachdenklich die Stirn.

»Aber im Prinzip wären Sie nicht gegen eine Adoption?«, fragte er.

»Wenn wir das Kind dann ganz bestimmt behalten könnten, würden wir gern eins adoptieren.«

»Ich werde mich mal umhorchen«, sagte Dr. Laurin. »Soll es ein Junge oder ein Mädchen sein?«

»Das ist doch egal. Hauptsache, es ist gesund und es würde uns nicht wieder weggenommen werden.«

»Verbinden Sie mich doch bitte mal mit Dr. Howard«, sagte Dr. Laurin zu Hanna Bluhme, als er durch das Vorzimmer ging.

Er musste ein paar Minuten warten, da die Nummer besetzt war. Dann meldete sich Dr. Howard.

»Fragen Sie bitte nicht, was wir uns zur Hochzeit wünschen«, sagte er sogleich seufzend.

Geschenke waren immer Antonia Laurins Angelegenheit. Darum kümmerte sich Dr. Laurin nie. Antonia fand stets das Richtige.

»Ich brauche ein Kind«, sagte er ohne Umschweife. »Ihr habt doch öfter solche Fälle, dass die Mütter schon vor der Geburt einer Adoption zustimmen.«

Dr. Howard zeigte sich nicht mal überrascht. Er ließ sich von Dr. Laurin jedoch erklären, um welchen besonderen Fall es sich handelte.

»Ich werde Herrn Gärtner Bescheid geben, dass er sich mit Ihnen in Verbindung setzt, Don«, sagte Leon Laurin. »Na, schon aufgeregt?«, erkundigte er sich dann aber doch ganz privat.

»Ich bin froh, wenn ich den Trauschein in der Tasche habe«, versicherte Dr. Howard.

*

Während Dr. Laurin sich darum bemühte, Ursula Gärtners heißen Wunsch nach einem Kind der Erfüllung näherzubringen, machte Antonia Laurin mit ihrer Schwägerin Sandra Brink Einkäufe in der Stadt.

»Vergessen wir bitte nicht, für Eckart ein Geburtstagsgeschenk zu besorgen«, erinnerte Antonia ihre temperamentvolle Schwägerin, die nun auch noch Schuhe entdeckt hatte, die ihr besonders gut gefielen.

Sie suchten ein Antiquitätengeschäft auf. Eckart und Corinna Sternberg sammelten Antiquitäten, alte Stiche und Fayencen.

»Du, das ist doch die Sudoran«, raunte Sandra ihrer Schwägerin Antonia ins Ohr. »Andreas großer Schwarm. Er hat neulich erst wieder drei CDs von ihr mitgebracht.«

Antonia war da nicht so informiert. Sie liebte mehr sinfonische Musik als Gesang, und sie betrachtete auch mehr die beiden Kinder, die gelangweilte Mienen machten.

Sie hörte sich gelassen an, was Sandra alles über die Sudoran wusste. »Hast du gemerkt, wie komisch fleckig ihr Gesicht war?«, fragte Sandra.

»Was dir alles auffällt«, sagte Antonia neckend.

»Sie hat ja wirklich eine tolle Stimme, aber so berauschend schön finde ich sie nicht, wenn man sie von nahem sieht. Mir gefällt ihre Schwester viel besser. Die andere war ihre Schwester. Die Ähnlichkeit ist unverkennbar. Ich verstehe ja nicht, wie man nur dem Erfolg nachjagen kann und die Familie vernachlässigt. Da braucht sie sich wirklich nicht zu wundern, wenn die Kinder nichts für sie übrig haben.«

»Sandra, das ist doch nicht unser Bier«, sagte Antonia mahnend.

»Ach was, solche Frauen sollten nicht heiraten und schon gar nicht Kinder in die Welt setzen.«

Antonia ließ Sandra reden. Sie wusste ja, dass sie nicht zu bremsen war. Und dann dachte Sandra wieder an die Schuhe, und Victoria Sudoran war vergessen.

*

Von ihr wurde erst am Tag der Hochzeit wieder gesprochen. Antonia war auch froh, als die Woche herum war, denn für ihre Kinder war dies natürlich ein ganz besonderes Ereignis.

Kyra wollte auch Blumen streuen und wollte es nicht verstehen, dass sie dazu noch zu klein sei. Leon meckerte herum, weil ihm der Smoking ein kleines bisschen zu eng geworden war, und Kevin stieß in der Aufregung Kajas Blumenkörbchen um. Da hätte es bei ihr fast wieder Tränen gegeben.

Dann kamen sie gerade noch rechtzeitig zur Kirche.

Dagmar und Antonia tauschten einen langen verständnisinnigen Blick und seufzten beide gleichzeitig, denn Dagmar war es auch nicht viel anders ergangen als Antonia.

Aber mit einem Schlag war alle Unbill vergessen, als das Brautpaar erschien.

Biggi, die sonst immer alles getan hatte, um möglichst unauffällig zu wirken, sah einfach wunderschön aus, und Donald Howard in seinem phantastisch sitzenden Frack, zu dem Clemens Bennet ihn mühevoll überredet hatte, war kaum wiederzuerkennen.

Es gab nicht die kleinste Panne. Mit wahrer Hingabe streuten Nicole, Ronald und Kaja den Blumenteppich, über den das Brautpaar dann zum Altar schritt.

Leonie, die reizendste Krankenschwester, die es je in der Prof.-Kayser-Klinik gegeben hatte, nun selbst schon glücklich verlobt, fungierte als Brautjungfer und nahm Biggi das Brautbukett und die Handschuhe ab.

Sie sah so bezaubernd aus, dass Adrian von Burkhardt, der sie einmal auch zum Traualtar führen wollte, ein tiefer Seufzer entfloh, den Antonia, die dicht vor ihm stand, mit einem weichen Lächeln zur Kenntnis nahm.

Der ganz große Augenblick kam aber erst dann, als eine zauberhafte weiche Stimme das Ave Maria sang.

Atemlose Stille herrschte im Kirchenschiff. Selbst Sandra wartete, bis der letzte Ton verklungen war, bevor sie Antonia staunend zuflüsterte: »Die Sudoran!«

Nun, Clemens Bennet hatte wirklich alles getan, um diesen Tag zu einem unvergesslichen Erlebnis zu gestalten. Er hatte sich nicht nur als perfekter Organisator bewiesen, sondern auch als ein Mensch mit sehr viel Gefühl.

Als dann die feierliche Stimmung in den festlich geschmückten Räumen des Jagdhofes, den er für diesen Tag gemietet hatte, einer fröhlichen wich, bewährte sich Clemens Bennet auch als vollendeter Gastgeber.

Es waren so viele schöne Frauen versammelt, dass Victoria Sudoran nicht besonders aufgefallen wäre. Aber sie fiel gerade deshalb auf, weil sie das schlichteste Kleid trug, aus schmeichelnder königsblauer Seide, hochgeschlossen und mit langen Ärmeln. Sie war sehr geschickt, wenn auch auffallend blass geschminkt.

Und was vor allem Sandra Brink sofort zur Kenntnis nahm: Horst Worrel, Clemens Bennets Geschäftsführer, wich nicht von ihrer Seite.

Nachdem Andreas Brink sich bewundernd über ihre einmalig schöne Stimme geäußert hatte, sagte Sandra in ihrer sehr direkten Art: »Na, vielleicht kann dein Bruder Friedrich bald ihren Scheidungsprozess führen.«

Sandra war nun mal so. Andreas lachte leise dazu: »Sie hat überall Verehrer«, meinte er nachsichtig.

»Zu denen du auch gehörst«, rieb Sandra ihm gleich hin.

»Als Frau gefällst du mir besser, mein Schatz«, sagte er, »und wenn du noch so falsch singst.«

»Und dir würde es bestimmt nicht gefallen, wenn ich dich mit den Kindern dauernd alleinlie-ße.«

»Nein, das würde mir ganz und gar nicht gefallen«, gab er unumwunden zu.

Antonia lernte nun Victoria Sudoran auch persönlich kennen, und sie begegnete dieser Frau ohne jedes Vorurteil.

»Haben wir uns nicht schon einmal gesehen?«, fragte Victoria nachdenklich, als sie mit Antonia bekannt gemacht wurde.

»Ja, vorige Woche im Antiquitätengeschäft«, gab Antonia sofort zu.

»An sich habe ich ja ein schlechtes Personengedächtnis, aber manche Gesichter prägen sich mir sofort ein«, sagte Victoria. »Clem hat mir schon sehr viel von Ihnen erzählt. Eigentlich wollte ich meine Familie ja mitbringen«, fuhr Victoria fort, »aber meine Kinder haben ganz plötzlich die Röteln bekommen. Ich bin nur hier, weil ich es Clem versprochen hatte.«

Ganz plötzlich war sie dann auch verschwunden. Allerdings auch Horst Worrel, doch das nahm nur Sandra zur Kenntnis.

Die Stimmung litt nicht darunter. Clemens Bennet hielt Reden auf das Brautpaar, auf Eckarts Geburtstag, und auch Leonie und ihr Verlobter Adrian wurden mit einem launigen Vers bedacht.

Unauffällig wechselte auch der Kreis der Gäste. Selbst Schwester Marie weilte ein Stündchen unter ihnen und konnte berichten, dass es in der Klinik keine besonderen Vorfälle gäbe.

Und der junge Ehemann, Dr. Howard, fand in all dem fröhlichen Trubel ein paar Minuten Zeit, um mit Dr. Laurin zu sprechen. Aber da mischte sich Antonia ein.

»Ihr werdet doch heute nicht fachsimpeln?«, sagte sie, als sie hörte, dass von einem Kind die Rede war.

»Keineswegs«, sagte Leon. »Don hat mir nur eben gesagt, dass die Gärtners die kleine Sabine adoptieren können.«

»Nicht mal an seinem Hochzeitstag kann er abschalten«, meinte Antonia kopfschüttelnd.

»Biggi hat mich daran erinnert, dass der Bescheid gestern gekommen ist«, sagte Donald Howard entschuldigend.

»Ihr werdet ein Ehepaar sein!«, sagte Antonia.

»Und was für eins«, lachte Don glücklich. Und dann war er wirklich nur noch für seine Frau da.

Antonia hing sich bei ihrem Mann ein. »Und du denkst jetzt natürlich nur noch daran, dass es die Gärtners möglichst bald erfahren«, sagte sie.

Konstantin drängte sich zwischen sie. »Du, Papi, Onkel Lars tanzt mit Tante Dagmar«, sagte er. »Warum tanzt du nicht auch mal mit Mami?«

»Ja, warum eigentlich nicht?«, fragte Antonia lachend.

Und da legte er schon den Arm um ihre schlanke Taille. Sie schwebten über das Parkett, als würden sie jeden Tag trainieren.

»Unsere Eltern können viel schneller tanzen als eure«, sagte Kevin zu Nikki und Ronald, und seine Stimme war voller Stolz.

»Unsere Mami bekommt auch ein Baby«, erklärte Nikki. »Da darf man sich nicht so schnell drehen«, und damit nahm sie Kevin den Wind aus den Segeln.

Sehr skeptisch sah er, dass nun auch Leon und Antonia langsam tanzten.

»Du lieber Himmel«, seufzte Kevin, »wir werden doch nicht auch noch ein Baby bekommen?«

»Wie kommste denn darauf?«, fragte Konstantin bestürzt.

»Weil sie so langsam tanzen.«

»Ich finde tanzen doof«, sagte Konstantin. »Von der Eisbombe ist noch was da. Tante Dagmar hat gesagt, das können wir noch schlecken.«

»Und wenn wir uns den Magen verderben, haben wir den Salat«, meinte Kaja. »Ich finde tanzen toll. Ich schaue noch zu.«

So amüsierte sich jeder auf seine Weise, die Großen und auch die Kleinen, und es wurde noch lange darüber gesprochen, wie schön es gewesen war. Und wie sich dann herausstellen sollte, war den Kindern manches aufgefallen, was ihren Eltern entgangen war.

Am nächsten Morgen fiel das Aufstehen schwer. Zwar waren die Kinder noch zu einer annehmbaren Zeit ins Bett gekommen, aber nachdem die kleine Gesellschaft zu Bett gebracht worden war, waren Antonia und Leon noch zu den Sternbergs gefahren. Dort hatten sich auch Professor Joachim Kayser und seine Frau Teresa eingefunden, und auch Schwester Marie.

Zum Schlummertrunk, wie Corinna gesagt hatte, aber bei einem war es nicht geblieben.

Diskret gähnend setzte sich Leon an den Frühstückstisch. »Ich bin für die nächsten Tage vollgestopft«, sagte er zu Antonia, als sie ihm ein Brötchen hinschob.

»Nun übertreibe nicht«, sagte sie.

»Blöd, wenn man nicht ausschlafen kann«, sagte Konstantin.

»Wir wollten ja früher aufbrechen, aber ihr wolltet nicht«, erklärte Antonia.

»Und ihr seid noch mal weggegangen«, meinte Kaja entrüstet.

»Ist das wahr?«, fragte Kevin empört.

»Müssen wir euch um Erlaubnis fragen?« Leon warf einen Blick in die Runde, und seine Sprösslinge machten betretene Gesichter.

»Hanna hat oft mit Onkel Clemens getanzt«, lenkte Konstantin sofort auf ein anderes Thema über.

»Mit Schwester Marie hat Onkel Clemens auch getanzt«, sagte Kevin.

»Aber nur einmal. Mit Hanna viel öfter«, meinte Kaja.

»Vielleicht ist er verliebt in sie«, überlegte Konstantin.

»Jesses, ihr habt Ideen!«, rief Leon aus.

»Sie haben langsam getanzt«, sagte Kevin.

»Sie sind auch nicht mehr die Jüngsten«, meinte Leon.

Missbilligend sah Konstantin seinen Vater an. »Alt sind sie auch noch nicht. Omi hat gesagt, dass sie ein hübsches Paar wären.«

»Oh, diese Kinder!«, murmelte Leon, und dann entschwand er.

Hanna saß bereits frisch und munter wie immer an ihrem Schreibtisch.

»Warum schauen Sie mich so prüfend an, Chef?«, fragte sie heiter, als Leon sich vor ihr aufbaute.

»Wie lange ist denn noch gefeiert worden?«, fragte er.

»Bis Glockenschlag zwölf.«

»Wir oft haben Sie noch mit Clemens getanzt?«, fragte er anzüglich.

Sie sah ihn etwas konsterniert an. »Ich habe es nicht gezählt. Es hat doch nicht etwa Missfallen erregt?«

»Aufsehen bei meinen Kindern«, erwiderte er, und da errötete sie flüchtig. »Herr Bennet tanzt sehr gut, und ich tanze gern mal wieder«, erklärte Hanna. »Aber das war gestern, und heute sitze ich wieder an meinem Schreibtisch.«

»Gern?«, fragte Dr. Laurin, die Arme über die Brust verschränkend.

»Sehr gern«, erwiderte Hanna lächelnd.

Das Telefon läutete.

»Vorzimmer Dr. Laurin«, meldete sich Hanna. »Ja, Frau Schirmer? – Was ist denn?«

Hanna legte die Hand auf die Sprechmuschel.

»Sie weint«, flüsterte sie Dr. Laurin zu. »Sie möchte zu Ihnen kommen.«

»Soll sie«, erwiderte er.

»Heute noch?«, fragte Hanna.

Er nickte. »Sie können heute kommen, Frau Schirmer«, sagte Hanna in den Apparat. »Natürlich können Sie Andrea mitbringen.«

»Will mir gar nicht in den Kopf«, sagte Hanna, als sie den Hörer aufgelegt hatte. »Frau Schirmer ist doch die Ruhe selbst. Jetzt ist sie ein Nervenbündel.«

»Wann kommt sie?«, fragte Dr. Laurin.

»Gegen elf Uhr.«

»Okay.« Er war an den Schrank gegangen und suchte die Krankenakte von Anneliese Schirmer selbst heraus.

»Andrea ist jetzt fast ein Jahr«, sagte er. »Vielleicht stellt sich wieder Nachwuchs ein. Ich bin jetzt bei Frau Gärtner, falls ich gebraucht werden sollte.«

Für Dr. Laurin hatte der Klinik-alltag begonnen.

*

Ursula Gärtners Gesicht bekam Farbe, als sich Dr. Laurin an ihr Bett setzte. »Jetzt müssen Sie aber schnell gesund werden, wenn Sie das Baby abholen wollen«, begann er.

»Mein Mann hat es schon gesehen. Gestern hat er es mir gesagt. So was ganz Winziges wäre es, meint er, aber das ist ja grad recht. Nur wegnehmen darf es uns dann niemand mehr, Herr Doktor.«

Ihre Stimme zitterte, und ihre Augen sahen ihn flehend an.

»Niemand wird es Ihnen wegnehmen, Frau Gärtner. Die kleine Sabine braucht eine fröhliche, gesunde Mutter«, sagte Dr. Laurin. »Keine, die sich mit dem Gedanken quält, an einer unheilbaren Krankheit zu leiden. Ich hoffe, dass Sie jetzt endlich überzeugt sind, dass ich Ihnen die ganze Wahrheit über Ihren Gesundheitszustand gesagt habe, Frau Gärtner.«

»Und wann werde ich entlassen?«, fragte sie ganz aufgeregt.

»Am Montag.«

Er verriet ihr nicht, dass er alle seine Verbindungen hatte spielen lassen, damit es so einfach und schnell gegangen war.

Dr. Laurin Classic 51 – Arztroman

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