Читать книгу Im Sonnenwinkel Classic 45 – Familienroman - Patricia Vandenberg - Страница 3

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Felix Münster, der Chef der Münster-Werke, war kein Freund von großen Parties, doch manchmal war es einfach nicht zu umgehen, dass er seine zahlreichen Geschäftsfreunde nach Hohenborn einladen musste. Die Einweihung eines neuen Fabriktrakts bot dazu einen Anlass. Allerdings hatte ihm seine hübsche Frau Sandra ordentlich zureden müssen.

Sandra fand es ganz amüsant, ab und zu andere Gesichter zu sehen, obwohl sie sich in ihrem schönen Haus auf dem Sonnenhügel von Erlenried recht wohl fühlte. Dort empfingen sie auch nur die engsten Freunde.

Felix hätte ganz energisch protestiert, wenn sein Heim der Schauplatz eines großes Festes gewesen wäre. Er war am liebsten allein mit Sandra und den Kindern, dem siebenjährigen Manuel und den achtzehn Monate jungen Zwillingen, die ihre Namen nach den Eltern bekommen hatten, aber nur Flipp und Flapp genannt wurden.

Sandra hatte ihrem Mann die Vorbereitungen für dieses Fest abgenommen, die Einladungen verschickt, das kalte Büfett zusammengestellt und eine Tanzkapelle engagiert. Ihr Mann war diesbezüglich schwer ansprechbar.

»Wenn ich mir vorstelle, wie viel Männer wieder mit dir tanzen werden, kommt mir jetzt schon die Galle hoch«, sagte er brummig, als Sandra verkündete, dass nun eigentlich nichts mehr schiefgehen könnte.

»Sie werden ja nichts von mir abbeißen«, erklärte sie lachend. »Wenn ich mir vorstelle, wie viel Damen darauf brennen, mit dir tanzen zu dürfen, werde ich eifersüchtig.«

»Du hast es gerade nötig.« Er zog ihren Kopf zu sich herab, da er faul im Sessel lehnte, und küsste sie. »Mir tut es leid, dass der alte Röttgen nicht kommen kann«, fuhr er fort, nachdem er den Kuss sekundenlang ausgedehnt hatte. »Mit ihm hätte ich mich gern wieder mal unterhalten. Das ist noch ein Unternehmer, auf den man sich verlassen kann.«

»Auf seinen Sohn aber anscheinend weniger«, meinte Sandra. »Er füllt nur die Klatschspalten der Illustrierten.«

»Das darf man auch nicht alles für bare Münze nehmen. Na, wir werden ihn ja wohl kennenlernen.«

»Wenn er unseren Galaabend nicht als Ausrede für ein anderes Abenteuer benutzt«, äußerte Sandra skeptisch.

Dieses Gespräch fand zwei Tage vor dem Fest statt. Claudius Röttgen, von dem die Rede gewesen war, besuchte an diesem Abend die Oper in Stuttgart, in der das Ballett »Schwanensee« aufgeführt wurde. Er hatte nur Augen für die junge Solotänzerin Eva Rudolph, die er vor ein paar Wochen in Hamburg kennengelernt hatte.

Claudius Röttgen war eine blendende Erscheinung, an der keine Frau vorbeisehen konnte. Das einzige ernsthafte Interesse, das ihm eigen war, war seine Liebe zur Kunst in jeder Form. Arbeit war eine lästige Sache, der er nur zu gern aus dem Weg ging, zum großen Kummer seines Vaters.

Ludwig Röttgen hatte nur diesen einen Sohn und lebte ständig in Sorge, dass Claudius den Besitz schneller vergeuden würde, als dieser von ihm erarbeitet worden war, müsste er ihm eines Tages die Zügel überlassen. Seit einigen Wochen hatte es den Anschein, als würde dies bald der Fall sein, denn Ludwig Röttgen fühlte sich müde und alt.

Bevor Claudius an diesem Tag nach Stuttgart geflogen war, um Eva zu treffen, hatte es eine ernste Auseinandersetzung mit seinem Vater gegeben. Es ging um das Unternehmen und auch um die geplante Verlobung des Röttgen-Erben mit Anke von Halling.

Anke war ein reizvolles Mädchen, aber sie bedurfte selbst einer starken Hand. Ludwig Röttgen hatte das längst erkannt. Er hatte seinen Sohn ernsthaft ermahnt, sich zu prüfen, bevor er diese Verbindung eingehen wollte.

»Einerseits liegst du mir dauernd in den Ohren, dass ich heiraten soll, andererseits willst du es mir ausreden, Papa«, hatte Claudius gesagt. »Was willst du wirklich? Anke ist hübsch und reich, beste Familie und keine Spießerin. Du hast sie doch gern.«

Ja, der alte Ludwig Röttgen hatte Anke von Halling gern, aber gerade deshalb dachte er nüchtern. Doch was nutzte es, Claudius Vorhaltungen zu machen. Er tat doch, was er wollte.

Jetzt dachte er überhaupt nicht mehr an die Unterredung mit seinem Vater. Er war fasziniert von Eva Rudolph, und genau genommen konnte er sich gar nicht mit dem Gedanken vertraut machen, den seriösen Ehemann zu spielen. Er wollte sein Leben viel lieber genießen. Jetzt ein paar Tage mit Eva.

Er wartete auf sie am Ausgang. Er wartete ungeduldig, aber als sie erschien, entzückend aussehend in dem grünen Tuchmantel mit großen Fuchskragen, der ihr ovales, zartes Gesicht umschmeichelte, war seine Ungeduld vergessen. Er nahm ihren Arm und drückte ihn an sich.

»Jetzt teile ich dich mit niemandem mehr! Sag nur nicht, dass du wieder mit Kollegen beisammen sein willst.«

Das wollte Eva nicht. Sie hatte diesen Abend auch mit Ungeduld erwartet. Sie hatte sich Hals über Kopf in Claudius verliebt, und all die Warnungen ihrer Freunde waren vergessen, als er sie im Wagen küsste.

»Eine Woche, Ev«, sagte Claudius, »eine Woche, die nur uns gehört! Können wir gleich fahren?«

»Meinen Koffer müssen wir noch holen«, erwiderte sie mit ihrer weichen Stimme, die immer zärtlich klang, wenn sie mit ihm sprach.

»Du warst wunderbar, aber ich mag es nicht, wenn ein anderer Mann dich im Arm hält.«

Das mochte er wirklich nicht. Er teilte nicht gern.

»Was denn für ein Mann?«, fragte Eva verwundert.

»Dein Partner auf der Bühne.«

Sie lachte leise. »Du liebe Güte, wenn du auf den eifersüchtig bist! Lassen wir das doch, Claudius. Für mich gibt es nur dich.«

Sie war jung und voller Illusionen. Sie lebte wie in einem Traum, seit Claudius Röttgen ihren Weg gekreuzt hatte, in einem wundervollen Traum, aus dem sie am liebsten nie erwachen wollte, denn sie glaubte an seine Liebe. Und vielleicht glaubte Claudius jetzt auch daran, denn ein Mädchen wie Eva war ihm noch nie begegnet.

*

Sie hatten ihren Koffer aus dem Hotel geholt und fuhren nun hinein in die Nacht.

»Wohin?«, fragte sie, sich wohlig in den weichen Lederpolstern rekelnd.

»Du wirst es schon sehen, Liebling«, sagte Claudius. »Einen Abend müssen wir opfern. Ich muss zu einem Empfang. Papa vertreten. Es ist nicht zu umgehen, sonst grollt er. Aber natürlich kommst du mit. Du wirst die bezauberndste Frau sein.«

Für Eva war dies ein weiterer Beweis seiner Liebe. Er versteckte sie nicht. Er war sogar stolz, sie herzuzeigen. Noch wusste sie nicht, wie wenig Skrupel Claudius diesbezüglich besaß.

Vielleicht war er sich selbst nicht bewusst, dass er manchmal unverantwortlich handelte. Zu vieles war ihm nachgesehen worden. Von seiner Mutter sträflich verwöhnt, war er nach deren Tod auch von seinem Vater mit Nachsicht behandelt worden, weil sie gleichermaßen unter dem schweren Verlust litten.

Mochte es auch so gewesen sein, dass der damals erst Achtzehnjährige diesen Schmerz betäuben wollte, so hatte er später schnell Gefallen an dem unbeschwerten Leben gefunden. Allem Zwang abhold, hatte er es drei Jahre im Ausland genossen.

Das Studium in England wurde ihm nicht schwer. Er war intelligent und brauchte sich nicht zu plagen. Was andere sich erarbeiteten, fiel ihm zu.

Zudem verfügte er stets über genügend Geld. Ludwig Röttgen war nicht kleinlich. Er liebte seinen Sohn. Er sah in ihm immer den kleinen Jungen und vergaß über seiner Arbeit fast, dass er nun erwachsen war.

»Wird es deinem Vater auch recht sein, wenn du mich mitnimmst?«, fragte Eva nach einer gedankenvollen Pause.

»Warum sollte es ihm nicht recht sein? Dich kann man doch herzeigen, Ev.« Er lachte dazu.

Ein wenig merkwürdig tönten diese Worte doch in ihren Ohren, aber sie liebte sein jungenhaftes Lachen, sie liebte alles an ihm.

Gegen Mitternacht hielten sie vor einem Haus, das wie ein kleines Schloss aussah. Wie ein Märchenschlösschen, dachte Eva.

Der Portier kam ihnen entgegen.

»Guten Abend, Herr Röttgen«, sagte er. Dann machte er eine Verbeugung vor Eva. Sie bemerkte den erstaunten Ausdruck in seinen Augen nicht.

»Parkhotel!«, las sie über dem Eingang. Sie war noch nie mit einem Mann in einem Hotel gewesen, noch nie mit einem Mann in der Nacht allein. Ihr Herz klopfte, und sie lächelte verlegen, als sie durch die teppichbelegte Halle gingen.

»Ist alles okay, Liebling«, raunte Claudius ihr zu. »Wir haben getrennte Zimmer. Wenigstens für die Öffentlichkeit.«

Eva war völlig benommen. Etwas in ihr lehnte sich gegen diese Selbstverständlichkeit auf, aber als er sie dann in den Armen hielt und küsste, war jeder Widerstand erstickt. Sie wusste, dass dieser Mann ihr Schicksal war, der erste und der letzte Mann in ihrem Leben, die ganz große Liebe.

*

Zu allen äußeren Vorzügen hatte Claudius auch die Gabe in die Wiege gelegt bekommen, jeder Frau das Gefühl zu vermitteln, dass sie die einzige für ihn sei. Viel gedacht hatte er sich nie dabei, aber bei Eva war es doch etwas anders.

Die Erkenntnis, dass sie noch ein völlig unerfahrenes Mädchen war, hatte ihn verblüfft, vielleicht sogar ein wenig bestürzt, aber er war einfach verrückt nach ihr. Es wurde ihm nicht bewusst, dass er in ihrer Gegenwart ein anderer Mann war, fast ein glücklicher Junge, im siebten Himmel schwebend und jeden Konflikt von sich weisend.

Und Eva, für die es nur diesen einen Mann auf der Welt gab, schwebte wie auf Wolken, befreit von aller Erdenschwere, ihre Jugend war weniger erfreulich und unbeschwert verlaufen. Die ehrgeizigen Eltern hatten das Talent ihrer Tochter gefördert, aber sie pochten auch hartnäckig auf ihren Dank, der sich auch in klingender Münze äußern sollte.

Eigentlich hätte Eva die Woche Urlaub, die sie vor der Auslandstournee hatte, bei ihren Eltern verbringen sollen. Aber sie hatte ihnen geschrieben, dass sie sich noch für einige Rollen vorbereiten müsse, da diese Tournee ihr den Durchbruch in die Weltklasse bringen solle, vielleicht sogar eine Filmrolle. Das Letzte stimmte, das andere war nur Ausrede und die erste große Lüge ihres Lebens.

Doch schon an diesem Tag war sie überzeugt, dass sie sich mit dieser Lüge ein unvergängliches Glück erkauft hätte.

Das Mädchen aus bescheidenem bürgerlichem Haus und der Millionenerbe war ein richtiges Märchen!

Das Frühstück wurde ihnen in diesem Luxushotel, das sich bestimmt nur wenige leisten konnte, auf dem Zimmer serviert.

»Was sollen sie nur von mir denken«, äußerte Eva befangen, als der Ober den Servierwagen ins Zimmer geschoben hatte.

Claudius Röttgen lachte nur.

»Du bist süß«, meinte er später, als sie ihm den Kaffee einschenkte. »Jetzt fühle ich mich fast als Ehemann. Ein recht unerfreulicher Gedanke, dass wir bald durch Meere getrennt sein werden, Ev.«

Daran wollte sie augenblicklich gar nicht denken, und wenn er sie gefragt hätte, ob sie nicht für immer bei ihm bleiben wolle, hätte sie jubelnd ja gesagt. Aber er fragte nicht.

»Komm mir nur ja nicht mit einem amerikanischen Millionär zurück«, bemerkte Claudius beiläufig.

»Wie kannst du nur so etwas denken«, entgegnete Eva ernsthaft. »Ich liebe dich, Claudius. Ich werde nie einen anderen Mann lieben.«

Ein unbehagliches Gefühl erfasste ihn. Liebe war für ihn ein Wort, nur ein Wort, das zu oft unnütz gebraucht wurde. Zu viele Frauen hatten gesagt: »Ich liebe dich.«

Es gefiel ihm ganz und gar nicht, diese Worte aus Evas Mund zu hören. Aber sie tönten doch anders und stimmten ihn nachdenklich.

Ich werde nie einen anderen Mann lieben – das klang schon fast wie ein Bekenntnis! Und wie sie ihn anblickte! Dieser Schimmer in ihren Augen, dieses Lächeln, das sich um ihren schönen Mund legte, um diesen Mund, den er so gern küsste.

Er küsste sie auch jetzt, und es dauerte lange, bis sie zu ihrem Frühstück kamen.

»Wonach steht dir jetzt der Sinn?«, fragte er dann.

Ihr Blick schweifte zum Fenster hinaus. »Ich würde gern durch den Wald gehen, lange«, sagte sie gedankenverloren. »Es ist ein herrlicher Tag, Claudius.«

Er war es gewohnt, mit dem Wagen zu fahren. Spaziergänge liebte er gar nicht, aber er widersprach nicht.

Es wunderte ihn ein wenig, aber er ging mit ihr durch den Wald und fand sogar Gefallen daran. Sie kam ihm vor wie eine Elfe, die ihn mit einem rätselhaften Zauber eingefangen hatte. Es war mal etwas anderes. Evas Natürlichkeit reizte ihn. Er berauschte sich förmlich an ihrer Anmut und wünschte, Maler zu sein.

»Wenn ich nur malen könnte, Eva«, bemerkte er. »Es würde bestimmt ein Gemälde werden, um das sich alle reißen würden.«

»Von mir?«, fragte sie schelmisch.

»Natürlich von dir. Aber ich würde es nie hergeben. Ich würde es in mein Zimmer hängen und jeden Tag betrachten. Ich würde dich nie vergessen.«

»Würdest du mich sonst vergessen?«

Er legte den Arm um sie.

»Aber wie kannst du nur so etwas denken, Ev! Du wirst mich schneller vergessen, wenn du berühmt bist. Du willst doch berühmt werden?«

»Nein, Claudius, es gibt etwas Schöneres«, erwiderte sie verhalten. »Ich weiß jetzt, was Glück ist.«

*

Sandra Münster kleidete sich an. Das zauberhafte Abendkleid hatte sie in Paris erstanden, als sie vor ein paar Wochen ihren Mann dorthin begleitete. Sie freute sich richtig, es nun einmal tragen zu können.

Felix betrachtete sie kritisch.

»Ist der Ausschnitt nicht ein bisschen zu weit, Sandra?«, fragte er.

»Lieber Himmel, du wirst dich wundern, welche Dekolletés du heute sehen wirst. Außerdem wird es ganz schön heiß werden. Ich kann doch nicht immer zugeknöpft gehen, Felix. Gefalle ich dir nicht?«

»Anderen brauchst du nicht zu gefallen«, entgegnete er.

»Ich finde Mami sehr schön«, mischte sich Manuel ein, der unbemerkt eingetreten war. »Ricky hat auch einen ganz tiefen Ausschnitt. Bambi hat es mir erzählt. Und Fabian hat auch schon gemeckert.«

»Die Männer sind doch alle gleich«, lächelte Sandra. »Ich bin wirklich froh, dass auch unsere Freunde kommen, Felix. Viel ist ja hier wirklich nicht los.«

»Möchtest du mehr Abwechslung haben?«, fragte er betroffen.

»Unsinn, Brummbär. Wie ich mich kenne, bin ich morgen heilfroh, dass der Trubel wieder vorbei ist und wir unseren Sonnenwinkel genießen können. Aber nun ein bisschen dalli, wir müssen aufbrechen.«

»Ruf mal die Omi an, Manuel«, wandte Felix sich an seinen Sohn. »Sag ihr, dass wir gleich fertig sind.«

»Das ist nicht nötig. Sie kommen etwas später nach«, warf Sandra ein. »Carlo hat Herrn Dressler doch tatsächlich überredet mitzukommen.«

»Ist es die Möglichkeit«, bemerkte Felix.

Carlo Heimberg, der zweite Mann von Sandras Mutter, ein sehr bekannter Architekt, der auch die Siedlung Erlenried geplant und gebaut hatte, hatte seit einigen Tagen Besuch von Lothar Dressler, einem bekannten Maler, der aber eine recht eigenwillige Persönlichkeit war. Sandra und Felix schätzten ihn allerdings ebenso wie die Heimbergs.

»Anscheinend möchte sich Dressler hier für einige Zeit niederlassen«, erzählte Sandra ihrem Mann auf der Fahrt nach Hohenborn.

»Das erfahre ich jetzt erst?«

»Wann hattest du während der letzten Tage schon mal Zeit für einen Plausch«, äußerte Sandra leichthin.

»Wenn ich nicht hinterher gewesen wäre, könnten wir diese lustige Party in rohen Mauern feiern«, brummte er.

»Wird sie lustig?«, scherzte Sandra. »Steck deine Gäste nur nicht mit deiner sauren Miene an, Herzallerliebster.«

»Wenn du nur deinen Spaß hast«, meinte er.

Sandra lehnte ihren Kopf an seine Schulter.

»Ich zeige mich eben gern mit einem attraktiven Mann. Ab und zu dürfen wir doch mal demonstrieren, dass wir glücklich sind. Oder?«

»Wir sind es. Wir brauchen es nicht zu demonstrieren, Sandra«, erwiderte er zärtlich.

Und jeder konnte es sehen! »Sie sind ein Traumpaar«, sagte Ricky Rückert, geborene Auerbach, zu ihrem Mann Fabian.

»Wir etwa nicht?«, fragte er verschmitzt. »Und da kommt das nächste.«

Nicht nur Ricky blickte zum Eingang, wo jetzt Claudius Röttgen und Eva erschienen.

»Sie ist entzückend«, bemerkte Ricky, »aber an ihm stört mich etwas.«

Das Gleiche dachte Sandra Münster, als Claudius sich über ihre Hand neigte, ein vollendeter Kavalier, an dem es eigentlich nichts auszusetzen gab, doch es störte sie, wie er sie ansah.

»Sie werden mir doch nicht böse sein, dass ich meine Freundin mitgebracht habe, gnädige Frau!«, sagte Claudius.

Auch das störte sie. Sandra fand Eva ebenfalls reizend, und nun war sie besonders herzlich zu ihr.

Gewiss waren Sandra, Ricky und Eva nicht die einzigen schönen Frauen in dieser Gesellschaft, aber irgendwie stachen sie hervor, jeder in ihrer besonderen Art.

»Drei Grazien«, sagte Professor Werner Auerbach zu seiner Frau Inge, die dazu lächelte.

»Wiederhole das morgen bitte nicht vor Bambi«, entgegnete sie, »sonst hat sie wieder etwas, was sie tagelang beschäftigt. Das also ist der junge Röttgen.«

»Woher kennst du ihn?«, fragte Werner Auerbach irritiert.

»Aus den Illustrierten. Der Playboy, der Schlagzeilen macht.«

»Schade um dieses süße Mädchen«, meinte Werner Auerbach.

»Wer ist diese junge Dame?«, fragte im gleichen Augenblick Lothar Dressler seinen Freund Carlo Heimberg.

»Welche?«

»Die im grünen Kleid.«

»Keine Ahnung. Eine unbekannte Schöne. Aber Sandra wird dir Auskunft geben können. Ist sie nicht ein bisschen jung für dich, Lothar?«

Der Mann mit der graumelierten Künstlermähne schien das gar nicht zu hören.

»Das wäre ein Modell«, sagte er gedankenverloren.

Eva überfiel eine unerklärliche Befangenheit, als Lothar Dressler ihr später von Sandra vorgestellt wurde. Sie fühlte sich von diesen glasklaren und doch so warmen Augen durchbohrt. Es war ihr, als würde dieser Mann sie bis ins Innerste durchschauen.

Claudius tanzte mit Sandra, von Felix Münsters eifersüchtigen Blicken verfolgt.

»Ich wusste nicht, dass Felix Münster eine so zauberhafte Frau hat«, bemerkte er.

»Nun wissen Sie es«, erwiderte Sandra gelassen.

Wenn es nötig war, konnte sie eiskalt sein. Dieser Draufgänger, dachte sie. Weiß diese reizende kleine Person eigentlich, mit wem sie sich da eingelassen hat?

Über Claudius Röttgens Schulter hinweg sah sie Eva bei Lothar Dressler stehen. Sie unterhielten sich jetzt angeregt, und darüber konnte sich Sandra gar nicht genug wundern, denn Lothar Dressler war kein geselliger Mensch.

»Mein Vater weiß nicht, dass ich Eva hierher mitgenommen habe«, sagte Claudius jetzt. »Es hat sich so ergeben.«

»Diesbezüglich haben Sie guten Geschmack bewiesen, Herr Rängen.«

Es klang anzüglicher, als Sandra beabsichtigt hatte, aber Claudius nahm es gelassen hin.

»Es freut mich, dass Sie Eva akzeptieren. Mein Vater würde es wohl nicht tun. Sie ist Tänzerin.«

Sandra machte nur eine kurze Umdrehung, dann blieb sie stehen.

»Sie ist eine junge Dame«, äußerte sie kühl. »Bitte, verstehen Sie, dass ich mich jetzt wieder um unsere Gäste kümmern muss.«

Alles in allem wurde es ein sehr gelungener Abend. Ziemlich spät waren noch Dr. Allard von der Sternseeklinik und seine Frau Sabine gekommen. Sie saßen dann mit Ricky, Fabian und Eva in einer improvisierten Birkenlaube beieinander, während sich Felix Münster mit Claudius Röttgen unterhielt und Sandra eine Ruhepause an dem Tisch einlegte, an dem ihre Mutter, Carlo, Lothar Dressler und die Auerbachs saßen.

»Liest Felix jetzt dem jungen Röttgen die Leviten, weil er dich beim Tanzen so an sich gedrückt hat, Sandra?«, fragte Carlo Heimberg scherzend.

»Dieser Playboy«, meinte Sandra verächtlich. »Manchmal stimmt der Klatsch.«

»Diese kleine Eva ist zu schade für ihn«, äußerte Lothar Dressler gedankenvoll.

»Sie haben recht, Herr Dressler«, pflichtete Sandra ihm bei.

Aber sie liebt ihn, ging es Inge Auerbach durch den Sinn, und als sie Marianne Heimberg ansah, wusste sie, dass diese das Gleiche dachte.

*

Als Eva sich von Sandra verabschiedete, ergab es sich, dass sie noch ein paar Worte wechseln konnten.

»Es würde uns sehr freuen, wenn wir Sie wieder einmal bei uns sehen könnten, Eva«, bemerkte Sandra.

»Sie waren alle sehr liebenswürdig«, entgegnete Eva verlegen. »Ricky hat mich auch schon eingeladen.«

»Machen Sie Gebrauch davon. Sie müssen unseren Sonnenwinkel einmal bei Tage kennenlernen. Es wird Ihnen gefallen. Wollen Sie nicht noch einen Tag bleiben?«

»Es geht leider nicht«, erwiderte Eva leise.

Sandra wusste selbst nicht zu erklären, warum sie darauf sagte: »Unser Haus steht Ihnen jederzeit offen. Erinnern Sie sich daran.« Und später, als sie dann heimfuhren, gestand sie ihrem Mann: »Ludwig Röttgen tut mir leid, aber diese kleine Eva noch mehr. Er wird ihr das Herz brechen.«

»Ludwig Röttgen?«, fragte Felix müde.

»Sein Sohn, mein Schatz. Das wird einer sein. Diesen Typ habe ich noch nie leiden können.«

»Das wird gut sein. Du bist meine Frau«, murmelte er.

Sandra, die am Steuer saß, bremste.

»Schlaf jetzt nicht ein, wir sind zu Hause.«

»Gott sei Dank! Die nächsten zehn Jahre passiert nichts mehr«, sagte Felix.

»Gar nichts?«, fragte sie.

»Keine Party.«

»Sie war ein Erfolg, Schätzchen.«

»Du bist süß, Schätzchen«, kam das Echo.

»Du hast einen Schwips«, lachte Sandra.

»Mit jedem muss man prosten. Es ist fürchterlich«, stöhnte Felix. »Der gute Ludwig Röttgen hätte es sich wohl nicht träumen lassen, dass er mal eine solche Schwiegertochter bekommt.«

»Hat er das gesagt?«, fragte Sandra staunend.

»Wer?«

»Der Junior natürlich.«

»Gesagt hat er es nicht, aber er wird doch nicht so blöd sein und dieses Mädchen laufen lassen.«

»Wie ich ihn einschätze, ist er so blöd, so arrogant und selbstherrlich. Er hält sich für unwiderstehlich.«

»Intelligent ist er aber auch. Er könnte allerhand auf die Beine bringen, wenn er ernsthaft wollte.«

»Er könnte, wenn er wollte«, wiederholte Sandra spöttisch. »Aber er will nicht!«

*

Eva war nach diesem Abend wie verändert, was Claudius zu der Bemerkung veranlasste, dass ihr der Ausflug in die Hautevolee wohl nicht bekommen sei. Sein Sarkasmus versetzte ihr einen schmerzhaften Stich.

»Es war nicht das erste Mal, dass die kleine Tänzerin ein solches Fest besuchte«, erwiderte sie trotzig, »aber ich habe noch nie so interessante und zugleich liebenswerte Menschen getroffen.«

»Mit diesem Opa hättest du dich aber nicht so eingehend zu befassen brauchen«, warf er ihr vor.

Mit dem »Opa« meinte er Lothar Dressler. Eva wusste es. Sie glaubte nun, dass Claudius eifersüchtig gewesen sei und lächelte versöhnlich.

»Herr Dressler ist das, was du vor

ein paar Tagen gern sein wolltest,

Claudius«, erklärte sie sanft. »Kunstmaler.«

Aber Claudius war gereizt. Sandra Münsters kühle Abweisung hatte ihn arg verletzt, und noch mehr, dass man von Eva mehr Notiz genommen hatte als von ihm.

»Solltest du ihm Modell stehen?«, fragte er ironisch.

»Davon kann keine Rede sein«, widersprach Eva. »Im Übrigen war ich nicht allein mit ihm, sondern in Gesellschaft sehr geistreicher Menschen.«

»Eva macht in Geist«, witzelte er. »Wie putzig.«

»Du hältst mich für dumm? Du siehst wohl nur die Tänzerin in mir, die ihre Glieder verrenkt. Zu mehr reicht es deiner Ansicht anscheinend nicht bei mir«, begehrte sie auf.

Sie wunderte sich selbst, dass sie dazu fähig war, aber in dieser Nacht hatte sie an Claudius manches entdeckt, was ihr bisher verborgen geblieben war. Es war ihr nicht entgangen, wie abschätzend er Sandra gemustert hatte, und dann auch Ricky. So, als wollte er sich vergewissern, wie weit man bei ihnen gehen könnte. Sie hatte auch bemerkt, dass Ricky wie Sandra kühl und eisig wurden.

»Wenn wir streiten wollen, sollten wir uns lieber trennen, Ev«, sagte Claudius da.

Sie war wie gelähmt. So schnell ging das bei ihm? Konnte man sich über gewisse Dinge nicht vernünftig auseinandersetzen?

»Entschuldige, Claudius«, äußerte sie beklommen. »Deine Worte haben mich verletzt.«

»Mich deine auch.«

Sie hatte ihm noch sagen wollen, dass es sie auch verletzt hatte, dass er sich so wenig um sie kümmerte, aber sie ließ es. Plötzlich hatte sie Angst, dass sie ihre Liebe einem Mann geschenkt hatte, dem sie nicht viel bedeutete, für den sie nur eine Episode war. Aber wie immer er sie auch kränkte, ihre Liebe für ihn blieb.

»Felix Münster hat mir ins Gewissen geredet, dass ich Papa jetzt unterstützen müsse. Anscheinend ist er ernstlich krank«, fuhr Claudius fort. »Es ist wohl besser, wenn ich heimfahre.«

Evas Augen begannen zu brennen.

War das schon das Ende dieses Traumes? Aber vielleicht war es nur ein Traum gewesen, und irgendwann kam das Erwachen. Manchmal schneller, manchmal langsamer.

Sie hatte Menschen kennengelernt, zu denen sie sich hingezogen gefühlt hatte. Hatte sie deshalb Claudius verloren? Ihre Gedanken verwirrten sich, ihr Herz begehrte auf, aber sie bemerkte an Claudius keine Gemütsbewegung.

»Felix Münster schätzt meinen Vater sehr«, sagte er jetzt. »Ich glaube, dass ich mich tatsächlich mal um die Geschäfte kümmern muss. Du kannst ja zu deinen Eltern fahren. Ich bringe dich hin, und bevor du dann nach Amerika abdampfst, treffen wir uns noch einmal in Hamburg. Einverstanden, Ev?«

Ob er sich ernste Sorgen um seinen Vater machte? Sie suchte nach Entschuldigungen. Sie war bereit, diese anzuerkennen, aber sie fragte doch: »Ist das der Abschied, Claudius?«

Ihre Stimme bebte, ihre Augen wurden feucht. Irgendwie rührte ihn das.

Er legte seine Hand unter ihr Kinn und erwiderte: »Was du gleich denkst, Schäfchen. Natürlich werden wir uns noch treffen.«

*

Eva hatte Claudius nicht mehr zu bitten gewagt, ihren Eltern wenigstens guten Tag zu sagen. Im Gegenteil, sie ließ sich nicht einmal bis vor das Haus bringen, weil ihr ganz plötzlich bewusst wurde, welch eine Kluft sie von der Herkunft her trennte. Er, der Sohn aus reichem Hause, der sich nie Einschränkungen aufzuerlegen brauchte, sie, die Tochter eines bescheidenen Angestellten, der es gerade zu einer Vierzimmerwohnung in einem einfachen Mietshaus gebracht hatte.

Deswegen hatte Eva nie an Minderwertigkeitskomplexen gelitten, aber der Stimmungsumschwung bei Claudius machte sie unsicher.

Claudius hielt auf ihren Wunsch in einer Seitenstraße an.

»Es sind nur noch ein paar Meter«, sagte Eva leise.

Er sah die grauen Häuser, die alle gleich aussahen, und war nun doch ein wenig betroffen, dass Eva in einer solchen Umgebung aufgewachsen war. Eigentlich passte sie nicht in ein solches Milieu.

Unwillkürlich tat er jetzt das, was er bei manchem anderen Mädchen auch schon getan hatte, wenn der Abschied nahte. Er griff in seine Brieftasche und nahm ein Bündel Hunderteuroscheine heraus.

»Kauf dir noch etwas Schönes, Kleines«, meinte er gönnerhaft, sie an sich ziehend.

Entsetzt sah sie ihn an. Dann stemmte sie ihre Hände gegen seine Brust.

»Ich brauche kein Geld!«, stieß sie hervor. »Überlegst du dir eigentlich …« Sie konnte nicht weitersprechen. Ihre Stimme erstickte in Tränen.

»Ev, sei doch nicht albern!«, rief Claudius, aber sie war schon aus dem Wagen gestiegen. Ihr Gesicht war bleich.

»Adieu, Claudius«, sagte sie leise.

Er war, verwirrt und bestürzt, ebenfalls ausgestiegen. Unbehagen erfasste ihn. Es war ein ganz merkwürdiges Gefühl, das ihm bisher unbekannt gewesen war.

»Dein Koffer, Ev«, bemerkte er stockend. »Musst du wirklich nicht weit gehen?«

»Nein.«

Er wollte nach ihren Händen greifen, aber sie wich noch weiter zurück.

»Ich dachte nicht, dass ich ein Objekt für dich bin, Claudius«, erklärte sie bebend. »Das hättest du nicht tun dürfen.«

»Rede doch keinen Unsinn, Ev! Ich verstehe dich nicht.«

»Nein, du verstehst mich nicht.« Und dann eilte sie auch schon davon.

Sekundenlang stand er da, bewegt von dem unguten Gefühl, dass er etwas sehr Schönes, dessen er sich gar nicht so recht bewusst geworden war, zerstört hatte. Aber Niederlagen konnte Claudius Röttgen nur schwer hinnehmen.

Vielleicht ist es gut so, redete er sich ein, als er weiterfuhr.

Vielleicht ist es gut so, dachte auch Eva, als sie vor der Wohnungstür ihrer Eltern stand und nun einigermaßen die Fassung wiedererlangt hatte. Ich habe etwas in ihn hineingelegt, was nicht vorhanden ist. Ich war für ihn nur ein Abenteuer wie viele andere. Ich wollte ja die Ohren vor all den Warnungen verschließen.

*

Claudius Röttgen erreichte am späten Nachmittag die prachtvolle Villa, die den Röttgens bereits in der dritten Generation gehörte. Innen war sie modernisiert worden, aber der herrliche Bau, einst der Landsitz eines Fürsten, war nicht verunstaltet worden.

Ludwig Röttgen liebte die Fassade mit den Stuckverzierungen, er liebte die hohen, weitläufigen Räume, den Blick aus den Fenstern seines Arbeitszimmers über den herrlichen Park.

Er leitete seit einigen Wochen sein Unternehmen von diesem Zimmer aus. Es war ihm zu anstrengend geworden, Tag für Tag in die Fabrik zu fahren. Hier war Stille um ihn. Er hatte auch den Wagen nicht kommen hören.

Der Butler unterdrückte einen erstaunten Ausruf, als Claudius in der Halle erschien.

»Ich bin es, Julius«, sagte Claudius, »kein Geist.« Julius machte eine kleine steife Verbeugung. Vor Überraschung konnte er noch immer nichts sagen.

»Ist mein Vater zu Hause?«, fragte Claudius.

»Herr Röttgen hat seit drei Wochen das Haus nicht verlassen«, erklärte Julius. »Sie wollten doch erst Ende der Woche zurückkommen.«

»Wollte ich, aber ich habe es mir anders überlegt. Bei meinem letzten Besuch schien mir Vater nicht ganz auf dem Posten zu sein. Wie geht es ihm?«

Julius zuckte die Schultern.

»Er klagt nicht«, erwiderte er.

»Ist er in seinem Arbeitszimmer?«

Julius nickte. »Wie immer.«

Claudius verschwand erst in seinen Räumen, duschte und kleidete sich um. Dann suchte er seinen Vater auf.

Ludwig Röttgen saß an seinem Schreibtisch. Nichts in seiner Miene verriet, dass er von Julius bereits über die Ankunft seines Sohnes informiert worden war.

»Du überraschst mich«, erklärte er ruhig. »Was verschafft mir diesen unerwarteten Besuch?«

»Vielleicht nostalgische Gründe«, entgegnete Claudius und ließ sich in einem Sessel nieder.

»Ein Wort, das einem lästig werden kann«, bemerkte Ludwig Röttgen. »Es wird zu viel im Munde geführt, und leider auch dann, wenn es nicht angebracht ist.«

Wie das Wort »Liebe«, ging es Claudius durch den Sinn. Unwillkürlich musste er wieder an Eva denken.

Er zuckte zusammen, als sein Vater sagte: »Felix Münster rief mich heute Vormittag an. Du warst also tatsächlich dort.«

Claudius fühlte sich unsicher. Ob Felix Münster auch über seine Begleiterin gesprochen hatte?

»Natürlich war ich dort. So war es doch verabredet, Papa. Sandra Münster ist übrigens eine bezaubernde Frau.«

Er hoffte, mit dieser Äußerung seinem Vater das Eingeständnis zu entlocken, dass er von Eva wusste. Aber der Ältere lächelte ironisch.

»Es sind immer nur die Frauen, die dich interessieren, Claudius«, bemerkte er.

»Übertreib nicht, Papa. Ich habe mich lange mit Felix Münster unterhalten. Ein kluger, weitsichtiger Unternehmer.«

»Willst du damit sagen, dass ich zurückgeblieben bin?«, fragte Ludwig Röttgen sarkastisch.

Claudius stieg das Blut in die Stirn.

»Gewiss nicht, aber manches sollte auch bei uns rationalisiert werden. Ich habe da so einige Ideen.«

»Dann setze sie in die Tat um. Deinem Arbeitseifer wären keine Grenzen gesetzt.«

»Es muss alles wohlüberlegt werden«, sagte Claudius.

»In Nachtlokalen, am Spieltisch oder im Schlafzimmer irgendeiner Frau«, meinte Ludwig Röttgen anzüglich. »Du bist achtundzwanzig Jahre, Claudius. Es wird Zeit, dass du dich daran erinnerst, dass ich vielleicht bald abtreten muss.«

Nun sah Claudius ihn doch ehrlich erschrocken an.

»Das höre ich nicht gern, Papa. Du bist sechzig, das ist doch kein Alter.«

»Ich fühle mich wie achtzig und bin es müde, von allen Seiten zu hören, dass mein Sohn ein Playboy ist.«

»Hat Felix Münster das gesagt?«, entfuhr es Claudius.

Forschend betrachtete Ludwig Röttgen seinen Sohn.

»Er nicht. Er hat gemeint, dass du ein intelligenter Bursche bist, der seine Fähigkeiten zu wenig nutzt. Du hast ihm da einige Ideen eingegeben, die ihm zu gefallen scheinen.«

»Na, das ist doch wenigstens etwas«, bemerkte Claudius, froh, dass kein Wort über Eva fiel. »Vielleicht können wir uns darüber auch einmal unterhalten, Papa.«

*

Im Verlauf der nächsten Tage schien es tatsächlich, als wollte Claudius sich ernsthaft mit den Neuplanungen für das Unternehmen beschäftigen. Dann wurde es ihm zu langweilig in dem einsamen Haus, und er schlug seinem Vater vor, sich in der Fabrik umzusehen.

Ludwig Röttgen war skeptisch, aber er wollte sich nicht von diesem Gefühl dazu verleiten lassen, Claudius zu kontrollieren. Er war so tolerant, von seinem Sohn nicht von heute auf morgen eine völlige Wandlung zu erwarten.

In seiner Stadtwohnung fand Claudius einen Brief von Eva vor. Es waren nur wenige Zeilen.

Wir starten zwei Tage früher als vorgesehen. Lass es Dir gut gehen, Claudius. Vielleicht erinnerst Du dich auch einmal zweier wunderschöner Tage, die wie ein Traum für mich waren.

Wie ein Traum! Er sah sich mit Eva Hand in Hand durch den Wald gehen, er sah ihr Gesicht vor sich, als er sie in den Armen hielt, das Glück in ihren Augen, dieses scheue Lächeln. Das Klingeln des Telefons riss ihn aus seinen Gedanken. Der Traum zerstob. Es war Anke von Halling.

»Bist du endlich wieder im Lande, Claudius?«, fragte sie. »Übermorgen ist meine Geburtstagsparty. Hast du es vergessen?«

Er hatte es fast vergessen, aber nun erinnerte sie ihn ja daran. Und sie erinnerte ihn auch daran, dass für diesen Tag ihre Verlobung geplant war.

Also gilt, dachte Claudius, versuchen wir mal ein solides Leben. Er rief seinen Vater an und unterrichtete ihn davon, dass er sich mit Anke verloben wolle.

»Du wirst doch kommen, Papa?«, fragte er.

»Ich fühle mich nicht wohl. Außerdem werde ich lieber warten, ob auch die Hochzeit zustande kommt«, tönte die Antwort durch den Draht.

Claudius fuhr zum Wohnsitz der Hallings. Hier wurde er auf das Freundlichste empfangen. Anke sah bezaubernd aus, und Claudius kam zu der Überzeugung, dass es sich mit ihr leben lassen würde.

Die Verlobung war perfekt, die Hochzeit war für vier Wochen später geplant.

*

Bambi Auerbach spielte Babysitter bei ihrem Neffen Henrik. Sie war unsagbar stolz, in so jungen Jahren schon Tante zu sein, und erfüllte ihre Pflicht mit größter Gewissenhaftigkeit.

Ricky war mit ihrer Mutter nach Hohenborn zum Friseur gefahren, denn am Abend waren sie bei den Münsters eingeladen, die Besuch von Ludwig Röttgen bekommen hatten. Er hatte sich endlich doch zu einer dreiwöchigen Kur aufgerafft und machte auf der Heimfahrt bei ihnen Station.

Henrik klatschte gleich in seine Händchen, als Bambi ihm die Rassel hinhielt.

»Bist ja ein ganz braver Junge«, meinte Bambi zärtlich. »Unser allerliebster Schatz. Wirst wohl gar nicht müde heute, mein Kleiner.«

Es sah bezaubernd aus, wie sie sich über den Kleinen neigte, und Ricky, die unbemerkt eingetreten war, betrachtete hingerissen das Bild, das sich ihren Augen bot. Selbst ihr kleiner Sohn konnte die Liebe, die sie für ihr Schwesterchen empfand, nicht schmälern.

»Da bin ich wieder«, sagte sie.

Bambis dunkles Lockenköpfchen nickte empor.

»Das ging aber schnell, Ricky, wir waren ganz brav.«

»Das weiß ich ja«, äußerte Ricky liebevoll. »Auf unsere Bambi können wir uns verlassen.«

»Das wäre auch noch schöner«, erwiderte Bambi. »Du siehst sehr, sehr hübsch aus. Es ist Post gekommen, Ricky. Darf ich Hannes die Briefmarken mitnehmen?«

»Wir wollen erst mal sehen, wer geschrieben hat«, meinte Ricky. »Oh, Eva! Das ist aber eine liebe Überraschung.«

»Von der Eva, die ihr auf dem Fest kennengelernt habt?«, fragte Bambi.

Ricky nickte. Sie hatte den Umschlag geöffnet und den Briefbogen auseinandergefaltet. Ihr Gesicht überschattete sich immer mehr, je weiter sie las. Bambi beobachtete die große Schwester.

»Schreibt sie traurig?«, fragte sie.

Geistesabwesend sah Ricky die Kleine an.

»Nicht eigentlich traurig.«

»Hat sie Heimweh? Wo ist sie denn jetzt?«

»In Rio.«

»Wo immer der große Karneval ist? Da waren Mami und Papi doch auch schon.«

Rickys Augen hingen an den Zeilen.

Vielleicht erinnern Sie sich meiner gar nicht mehr, Ricky, aber ich muss so oft an Sie denken und hatte Ihnen doch einen Kartengruß von dieser großen Reise versprochen. Nun wird es ein Brief. Einen Abend habe ich mal für mich. Es ist eine einzige Hetze. Das Klima bekommt mir auch nicht recht.

Die Tournee ist ein großer Erfolg, und eigentlich sollte ich glücklich sein.

Aber sie war es nicht. Ricky fühlte es, als sie diese Zeilen las, und sie hatte eine ferne Ahnung, dass Claudius Röttgen schuld daran war.

In acht Tagen wäre sie in New York, schrieb Eva weiter, und die Adresse ihres Hotels hatte sie auch angegeben.

Ein Gruß von Ihnen würde mich sehr freuen und auch aufmuntern, Ricky. Ist das sehr vermessen?

Ricky schrieb noch am gleichen Tag, und sie nahm sich vor, Ludwig Röttgen ein wenig auf den Zahn zu fühlen, was eigentlich mit seinem Sohn los sei, wenn sich dazu eine Gelegenheit bot.

Bambi trabte mit den Briefmarken heim und verkündete ihrer Mami, dass Ricky einen Brief aus Rio bekommen hätte.

»Von Eva«, erklärte sie. »Sie hat wohl Heimweh. Gell, wir hätten auch welches, wenn wir so weit weg wären.«

»Und wir haben Post von Jörg und Stella«, sagte Inge Auerbach. »Nächste Woche kommen sie für ein paar Tage.«

»Fein! Sie haben bestimmt auch Heimweh«, meinte Bambi. »Kannst du dich an Eva nicht mehr erinnern, Mami?«

»O doch«, erwiderte Inge, aber ihre Gedanken waren dabei nicht froh, denn vor ein paar Minuten hatte Sandra Münster ihr erzählt, dass Claudius Röttgen am Wochenende heiraten würde. Da sie es von seinem Vater höchstpersönlich erfahren hatte, gab es keinen Zweifel daran.

Arme kleine Eva, dachte Inge Auerbach, und Bambi wunderte sich, dass auch ihre Mami so betrübt dreinschaute.

*

Ludwig Röttgen hatte selbst den Wunsch geäußert, Magnus von Roth und Professor Auerbach kennenzulernen, nachdem Sandra so viel von dieser Familie erzählt hatte. So war es zu dieser Einladung gekommen, zu der Magnus und Teresa von Roth, Werner und Inge Auerbach, Fabian und Ricky Rückert wie auch Marianne und Carlo Heimberg mit Lothar Dressler erschienen.

Ludwig Röttgen fühlte sich in dieser harmonischen Gesellschaft sichtlich wohl.

»Diese drei Tage haben meine Lebensgeister mehr gestärkt als die ganze Kur«, erklärte er.

»Sie hätten halt ein paar Wochen bei uns verbringen sollen, Herr Röttgen«, sagte Sandra. »Aber warum wollen Sie nicht noch einige Tage bleiben?«

»Es gibt noch etliches zu erledigen, bevor Claudius heiratet. Ich hoffe ja, dass er nun endlich zur Vernunft gekommen ist«, äußerte Ludwig Röttgen seufzend.

Ricky hatte sich kerzengerade aufgerichtet, als diese Bemerkung fiel.

»Ich habe doch heute noch einen Brief von Eva aus Rio bekommen«, entfuhr es ihr unbedacht. »Wann findet die Hochzeit denn statt?«

Ludwig Röttgen blickte sie irritiert an.

»Eva?«, fragte er gedehnt. »Wer ist Eva?«

Rickys Gesicht war in Glut getaucht. Ihre Mutter war aufgestanden und hatte ihre Hand auf Rickys Schulter gelegt.

»Entschuldigung«, murmelte Ricky. »Das war ungeschickt.«

»Gibt es etwas, was ich nicht wissen soll?«, fragte Ludwig Röttgen wachsam.

»Wir hatten auf unserem Fest eine junge Dame zu Gast, mit der Claudius geflirtet hat«, erklärte Sandra geistesgegenwärtig. »Ricky dachte wohl, dass sie die Auserwählte Ihres Sohnes sei.«

»Ich bin manchmal so naiv«, stotterte Ricky.

»Die zukünftige Frau von Claudius heißt Anke von Halling«, sagte Sandra betont.

»Entschuldigen Sie bitte, Herr Röttgen«, warf Ricky nun wieder ein, »das war dumm von mir.«

»Ehrlich sein ist niemals dumm«, bemerkte Ludwig Röttgen gedankenvoll. »Es wird wohl kaum eine Zufallsbekanntschaft gewesen sein.«

Es war dann Carlo Heimberg, der alles überspielte und das Gespräch in ganz andere Bahnen lenkte. Ludwig Röttgen schien vergessen zu haben, was Ricky gesagt hatte.

Sie trat mit ihren Angehörigen recht niedergeschlagen den Heimweg an.

»Das war ein Fauxpas«, äußerte sie bekümmert. »Ich bin doch eine blöde Gans.«

»Dieser Claudius Röttgen ist ein Lümmel«, meinte Fabian tröstend. »Das ist schlimmer. Das schlägt dem Fass den Boden aus. Bringt dieses Mädchen mit in diese Gesellschaft und heiratet ein paar Wochen später eine andere. Ich bin ja gewiss kein Moralapostel, aber dieser nette Ludwig Röttgen wird wohl noch allerhand Kummer mit seinem Sprössling erleben.«

»Ich könnte mir selbst eine runterhauen«, murmelte Ricky.

»Nun übertreib nicht, Kleines«, erklärte Werner Auerbach bedächtig. »So schlimm war das nun auch wieder nicht.«

Immerhin beschäftigte es Ludwig Röttgen. Am nächsten Morgen, kurz vor seiner Abreise, fragte er Sandra:

»Was war mit dieser Eva? Möchten Sie mir nicht reinen Wein einschenken, Frau Münster?«

»Wollen wir es nicht lieber vergessen?«, entgegnete sie.

»Ungern. Diese junge Frau Rückert war richtig entsetzt, als von Claudius’ zukünftiger Frau die Rede war. Er hat diese Eva gar nicht erst hier kennengelernt, wie ich vermute. Er hat sie mitgebracht.«

Im Sonnenwinkel Classic 45 – Familienroman

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