Читать книгу Dr. Norden Bestseller Classic 49 – Arztroman - Patricia Vandenberg - Страница 3

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Daisy Thurau war eine Patientin, über deren Besuch sich Dr. Norden immer freute, obwohl sie selten ärztliche Hilfe brauchte. Vor drei Wochen hatte sie sich den rechten Fuß verstaucht, als sie auf einer Bananenschale ausgerutscht war, und das war nicht mit ein paar Tagen abgetan wie ihr Frühlingsschnupfen, der sich jedes Jahr pünktlich einstellte. Manchmal kam sie auch mit einer Schnittwunde oder einer Brandblase. Daisy war Besitzerin eines exclusiven Speiselokals, und sie bereitete die Spezialitäten, die sich größter Beliebtheit erfreuten, meistens selbst zu. Bei ihrem Temperament war es nicht weiter verwunderlich, daß sie sich dabei schnitt oder verbrannte. Aber das gehörte dazu, nach ihren eigenen Worten, und sie war alles andere als wehleidig.

Der Fuß hatte ihr zu schaffen gemacht, aber sie hatte sich auch nicht so geschont, wie Dr. Norden es ihr geraten hatte.

»Nun rollen Sie den Fuß mal ab«, sagte er. »Tut es noch weh?«

»Ein bißchen, aber nächste Woche muß ich fit sein. Da will ich zu meinem fünfzigsten Geburtstag das Tanzbein schwingen, und ich hoffe doch sehr, daß ich Ihre Frau und Sie auch zu meinen Gästen rechnen darf.«

Dr. Norden kannte ihr Geburtsdatum, aber das hätte sie glatt wegleugnen können. Sie war rank und schlank, hatte nur ein paar winzige Augenfältchen, und ihr schönes aschblondes Haar bedurfte keinerlei Nachhilfe.

Sie war eine Frau, die sich nie hatte unterkriegen lassen. Man mußte sie bewundern. Mit neunzehn hatte sie geheiratet, mit zwanzig ihren Sohn bekommen. Er war ihr einziges Kind geblieben, denn mit zweiundzwanzig war sie bereits Witwe gewesen. Ihr Mann war als Rennfahrer tödlich verunglückt. Einen Beruf hatte Daisy nicht erlernt. Sie stand da mit dem kleinen Sohn und einer Lebensversicherung, von der sie nicht ein ganzes Leben zehren konnte. Ihr Hobby, das Kochen, sollte fortan ihren und ihres Kindes Lebensunterhalt sichern.

Dr. Norden kannte ihre Lebensgeschichte aus ihrem Munde, aber man konnte sie manchmal auch in Zeitschriften lesen, denn mittlerweile war Daisy Thuraus Kochkunst berühmt geworden.

Es war kein leichter Weg gewesen, doch davon sprach sie nicht mehr. Man sprach auch nicht über Affären in ihrem Leben, denn es gab keine. Daisy wurde von ihren Gästen geliebt und verehrt, doch ihre ganze Liebe gehörte ihrem Sohn Arne. Daß er mit seinen neunundzwanzig Jahren noch immer Junggeselle war, kam wohl auch daher, daß er seine Mutter über alles liebte und bewunderte und es für ihn kein vergleichbares weibliches Wesen gab.

Arne, der nicht nur in den Augen seiner Mutter ein Genie war, hatte sich der Technik verschrieben. Er konstruierte Autos, aber zu Daisys Erleichterung fuhr er keine Rennen wie sein Vater. Daisy war gesellig und vital, ihr Sohn ein großer Schweiger und in mancher Augen sogar ein Sonderling. Dr. Norden kannte auch ihn, da er bei Arne Thurau die Impfungen durchgeführt hatte, die er für seine Auslandsaufenthalte benötigte.

Wenn Arne im Ausland weilte, passierte es schon, daß Daisy unter Angstzuständen litt und sich Beruhigungstabletten verschreiben ließ, aber war er wieder im Lande, war sie verkörperter Frohsinn.

»Sie müssen kommen zu meinem Fest, lieber Dr. Norden«, sagte Daisy bittend. »Es gibt auch eine besondere Überraschung. Arne hat eine Freundin.«

Sie sagte es triumphierend, und das erstaunte ihn doch. Daisy konnte in Gesichtern lesen.

»Sollte ich mich nicht freuen?« fragte sie. »Schließlich möchte ich doch auch mal Enkel haben. Und wenn es soweit ist, setze ich mich zur Ruhe.«

Hoffentlich wird sie von der Schwiegertochter nicht enttäuscht, dachte Dr. Norden. Diese lebenstüchtige, imponierende Frau konnte bei einer Jüngeren leicht Neidgefühle hervorrufen oder Minderwertigkeitskomplexe entfachen, die dann zu Aggressionen führten. Aber an so was schien Daisy überhaupt nicht zu denken.

»Sie werden doch kommen«, drängte sie wieder.

»Wenn es irgend möglich ist. »

»An diesem Tag ist das Lokal nur für die nettesten Menschen reserviert«, versicherte sie, »Geschlossene Gesellschaft.«

»Wenn es irgend möglich ist, werden wir kommen«, versprach er. »Aber Sie wissen ja, wie es bei mir manchmal zugeht.«

»Dann beten wir um gutes Wetter und wenig Kranke«, sagte Daisy mit ihrem anziehenden Lächeln. »Liebe Grüße an die reizende Fee.«

*

Fee Norden freute sich über die Einladung. »Mir läuft schon das Wasser im Mund zusammen, wenn ich an Daisys Spezialitäten denke«, sagte sie. »Und wenn sie sagt, daß nur nette Leute kommen, kann man sich darauf verlassen.«

Daisy war Daisy und wurde von allen so genannt, die bei ihr ein und aus gingen, und wann immer Daniel und Fee Norden mal ausgehen konnten, landeten sie gewiß bei ihr. Leider war das selten der Fall.

»Arne hat eine Freundin. Voller Stolz hat es mir Daisy erzählt«, sagte Daniel.

»Wie ist sie?« fragte Fee.

Daniel lachte herzlich auf. »Wie soll ich das wissen? Ich kenne sie noch nicht. Aber diese Frau ist einfach umwerfend. Sie feiert ihren Fünfzigsten, ohne ein Geheimnis daraus zu machen.

Dabei sieht sie wie höchstens vierzig aus. Und nun redet sie auch schon von Enkeln. Und dann will sie sich zur Ruhe setzen.«

»Warten wir es ab«, meinte Fee. »Eine liebevolle Omi wird sie bestimmt. Sie ist eine bewundernswerte Frau.«

Sogar Fee sagte das, obgleich sie sonst mit Superlativen sparsam war.

»Wollen wir hoffen, daß ihre zukünftige Schwiegertochter das auch sagen wird«, meinte Daniel nachdenklich.

»Arne muß ja nicht gleich die erste Freundin heiraten«, sagte Fee. »Viel Erfahrung mit Frauen hat er bestimmt noch nicht. Erinnerst du dich, wie ihn die kapriziöse Donna zu becircen versuchte? Sie hat es nicht geschafft, und das war bestimmt ihre erste Niederlage.«

Besagte Donna hieß eigentlich Donata was Fee sehr viel hübscher fand, entstammte einem alten Adelsgeschlecht, worauf sie wiederum nicht pochte, was Fee jedoch sympathisch fand. Sie war ein sehr cleveres Mädchen, das sehr gern flirtete und auch umschwärmt war, sich aber sehr emanzipiert gab. Sie erfreute sich nur geteilter Sympathien, da sie manchmal arrogant, manchmal frivol, manchmal aber auch sehr charmant sein konnte. Mit Daisy kam sie jedenfalls glänzend aus, urd Fee konnte sich durchaus vorstellen, daß Daisy gern solch eine Schwiegertochter gehabt hätte, die sich kein X für ein U machen ließ.

Doch man konnte gewiß sein, daß Daisy ihrem Sohn diesbezüglich gewiß keine Vorschriften machen würde.

Jedenfalls dachte Fee, daß es nicht nur ein amüsanter, sondern auch ein interessanter Abend werden würde, falls Donna auch zu den Gästen zählte. Oder sollte Arne Thurau doch Gefallen an ihr gefunden haben? Fee war ziemlich neugierig, und sie freute sich ungemein, als der Tag herangekommen war und Daniel ihr verkündete, daß keine besonderen Vorkommnisse wären und sie Daisys Einladung Folge leisten könnten.

Ein Geschenk hatte Fee schon besorgt. Sie wußte, daß Daisy Miniaturen sammelte und hatte eine ganz besonders hübsche erstanden. Mit einem bezaubernden neuen Kleid konnte sie auch ihren Mann erfreuen.

Fee sah entzückend aus, und welchen glücklichen Ehemann freute es nicht, wenn er sich mit einer solchen Frau zeigen konnte.

Daisy strahlte, als sie kamen. Sie konnte sich so von Herzen freuen, daß man sich mitfreuen mußte, und alle, die an diesem Abend in ihrem urgemütlichen Lokal versammelt waren, brachten ihr herzliche Zuneigung entgegen.

Natürlich war ein Trubel nicht zu vermeiden. Jeder wollte Daisy gratulieren, aber sie hatte die Zahl ihrer Gäste auf etwa fünfzig beschränkt. Ganz im Hintergrund hatte Fee Arne entdeckt, an der Seite eines sehr zierlichen Mädchens mit herrlichem rotblonden Haar. Es war eine ganz seltene Farbe, die man künstlich bestimmt nicht erzeugen konnte. Fee hatte dafür einen Blick.

Es war auch kein Dutzendgesicht, keine Puppenschönheit. »Ist Isabell nicht entzückend?« fragte Daisy, und so erfuhren die Nordens, daß das Mädchen Isabell hieß.

Als Isabell Thies wurde sie ihnen dann auch von Arne vorgestellt. Sie war genauso zurückhaltend wie er, aber Fee fand schnell heraus, daß sie in geistiger Beziehung Schritt mit ihm halten konnte. Allerdings war sie in keiner Weise renommiersüchtig. Sie trug ein sehr schlichtes, aber sehr geschmackvolles nilgrünes Kleid, keinen Schmuck außer einer Perlenkette. Es waren rosa Perlen, und mit Kennermiene stellte Fee für sich fest, daß es echte Perlen und dementsprechend kostbare waren. Und wunderschöne Hände hatte Isabell.

Fee konnte sehr gut verstehen, daß Daisy von solch einer Schwiegertochter begeistert sein würde, jedoch deutete in dem Benehmen des jungen Paares nichts darauf hin, daß sie himmelstürmend verliebt wären.

Das sagte Fee auch zu Daniel, und er lächelte hintergründig. »Sie sind beide nicht der Typ dafür, Gefühle zur Schau zu stellen, Liebes, und schon gar nicht in einer so bunten, lauten Gesellschaft. Wahrscheinlich kennen sie sich auch noch nicht lange.«

Das stimmte, wie sie später erfahren sollten, denn es ergab sich so, oder vielleicht hatten sie auch alle ein bißchen nachgeholfen, daß Fee, Daniel, Isabell und Arne an einem Tisch im kleineren Nebenraum saßen.

Auf Daisy waren Toasts ausgebracht worden, Schmunzelverse, die auf ihr Alter anspielten, wurden vorgetragen. Daisy mußte sich immer wieder in den Arm nehmen lassen und bekam soviel Herzlichkeit zu spüren, wie sie verdiente.

»Es ist herrlich, wenn man mit fünfzig Jahren so jung ist und so frei von Oberflächlichkeit und Eitelkeit«, sagte Isabell gedankenvoll. »Du hast eine wunderbare Mutter, Arne.«

Sie sagte es leise, doch Fee hörte es, und sie schloß daraus, daß Isabell auch Daisy noch nicht lange kannte, vielleicht erst heute kennengelernt hatte.

Dann erfuhren sie auch nebenbei, daß Isabell erst am Vormittag dieses Tages aus Holland zurückgekehrt war, wo ihr Vater lebte. Doch sonst war Isabell, was ihre Person anbetraf, nicht mitteilsam. Dann setzte sich Daisy, die natürlich keinen der Gäste vernachlässigen wollte, zu ihnen an den Tisch.

»Jetzt werde ich mich erst einmal ein bißchen verschnaufen«, sagte sie. »Der Abend ist ja noch lang und auch ganz hübsch anstrengend. Aber schön ist es doch, wenn so viele nette Menschen versammelt sind.«

Und da kam Donna. Es war ein Auftritt, obwohl man ihr wohl zugestehen mußte, daß sie dies nicht bewußt emporspielte. Sie war eine faszinierende Erscheinung, ziemlich groß und mit allen Vorzügen einer wohlwollenden Natur ausgestattet. Mandelförmige Augen in einem herzförmig geschnittenen Gesicht, das von blauschwarzem Haar umrahmt wurde. Anders als Isabell hatte sie zwar der Natur etwas nachgeholfen, aber so geschickt, daß es kaum bemerkbar war. Makellos war ihre Haut, und das rotschwarzgemusterte Hosenkleid sah sehr nach Paris aus.

Donnas ganze Aufmerksamkeit galt für die nächsten Minuten nur Daisy.

»Meine Allerliebste«, sagte sie, und in ihrer rauchigen Stimme schwang so viel Wärme, daß man an der Aufrichtigkeit dieser Worte nicht zweifeln konnte. Es folgten die Glückwünsche, und dann die Bemerkung, daß sie sich wünsche, mit fünfzig Jahren auch so jung, so charmant und so beliebt zu sein.

»Aber das werde ich nicht schaffen«, fügte Donna hinzu. »Das muß einem angeboren sein.«

Dann wurde Fee umarmt, und sie konnte darüber nicht böse sein, weil Donna aufrichtige Herzlichkeit ausstrahlte.

»Fee Norden wird es schaffen, Daisy«, sagte Donna. »Sie ist deine stärkste Konkurrenz.«

»Die leider nicht in Erscheinung tritt«, warf Daisy lächelnd ein, »und als Konkurrenz kann ich sie nicht bezeichnen. Was ich für den Magen der lieben Mitmenschen tue, tut sie für’s Herz, und das ist doch noch mehr wert.«

»Sag nicht, daß du nichts für’s Herz tust, Daisy«, sagte Donna nun, seltsam ernst und nachdenklich. »Viele Verzweifelte hast du schon getröstet und aufgerichtet.« Aber dann wanderte ihr Blick schnell zu Arne und Isabell.

»Diese junge Dame kenne ich noch nicht«, sagte sie.

Arne hatte sich erhoben und machte eine knappe Verbeugung vor Donna. Aber nur vor Fee Norden hatte er sich tiefer verneigt, wie Daniel insgeheim feststellte.

»Isabell Thies, eine gute Bekannte«, stellte Arne vor.

»Eine reizende Bekannte«, sagte Donna liebenswürdig.

»Baronesse Donata von und zu Rettinghaus«, sagte Arne steif.

»Das kannst du dir sparen, Arne«, lachte Donna. »Ich erstarre ja gleich in Ehrfurcht bei solcher Vorstellung. Ich heiße Donna für meine Freunde, Isabell.«

Sie war nicht irritiert, sie war selbstsicher wie immer und bei aller Lässigkeit, die sie an den Tag legte, konnte sie die Herkunft, die Erziehung nicht leugnen. Sie war kapriziös, aber sie war auch eine Lady. Und sie war wie ein fremder Vogel, der zwitschern konnte, und dann doch den Kopf unter den Flügel steckte.

»Wer sie ergründet, muß ein Zauberer sein«, sagte Fee leise zu Daniel.

»Wer sie zähmt, muß die Qualitäten eines Dompteurs haben«, erwiderte er ironisch.

»Format muß er haben und sehr viel Geduld«, sagte Fee. Aber keiner von ihnen wäre auf den Gedanken gekommen, abfällig über Donna zu reden. Vielleicht war Arne Thurau bisher der einzige Mann, der ihrem Charme widerstanden hatte, aber das schien sie nicht zu tangieren. Sie verstand es, Grenzen zu ziehen. Sie flirtete, auch an diesem Abend mit mindestens zehn Männern, aber es gab keinen Schmus. Es gab nichts an ihr auszusetzen.

Arne verschwendete keinen Blick an sie. Er unterhielt sich dann sehr angeregt mit Daniel darüber, wie man die Sicherheit für Autofahrer vergrößern könnte, über den Risikofaktor mancher Kopfstützen und die Unzuverlässigkeit mancher Sicherheitsgurte.

Isabell und Fee tauschten einen Blick und lächelten, dann standen sie auf und gingen zu Daisy, die noch köstliche Desserts anbot.

Aber die meisten hatten sich an dem reichhaltigen Büfett gütlich getan. Es gab an diesem Abend natürlich nicht Daisys Fischspezialitäten, dafür aber alle Delikatessen so zubereitet, daß man gar nicht wiederstehen konnte.

»Ich kann einfach nicht mehr«, Daisy«, sagte Fee. »Ich platze gleich.«

»Ach was, die Desserts sind ganz leicht und für jeden ist etwas dabei«, widersprach Daisy.

»Die Schokosahne ist himmlisch«, sagte Isabell.

»Dann nirum nur, du Fliegengewicht«, sagte Daisy mütterlich.

Donna gesellte sich zu ihnen. »So schlank mußte man halt sein«, sagte sie. »Sagen Sie, Isabell, haben Sie nicht einen Bruder?«

»Ja, ich habe einen Bruder«, erwiderte Isabell zurückhaltend.

»Was macht er?« fragte Donna.

»Das weiß ich nicht.«

»Wenn das René Thies ist, handelt es sich um den besten Pokerspieler, der mir je begegnet ist«, sagte Donna.

Fee beobachtete Isabell. Sie war blaß geworden. »Mein Bruder heißt Markus«, sagte sie kühl.

»Dann ist es wohl eine Namensgleichheit, aber der René, den ich kenne, hat genau die gleiche Haarfarbe wie Sie, faszinierend. Dadurch bin ich erst aufmerksam geworden. Sonst merke ich mir Nachnamen überhaupt nicht. Sie rauschen so an meinem Ohr vorbei. Aber nehmen Sie mir diese Bemerkung bitte nicht übel, Isabell. Es gibt ja so merkwürdige Ähnlichkeiten. Ich muß dazu sagen, daß René auch einer der geistreichsten Männer war, die mir je begegnet sind. Und wenn ich persönlich keinen Wert darauf lege, mit meinem hochtrabenden Namen vorgestellt zu werden, kommt es daher, daß ich einen Bruder habe, der diesen Namen nicht gerade mit Ruhm bekleckert hat.«

Fee hielt den Atem an. Sie wußte momentan nicht, was sie von diesem Monolog halten sollte. Ihr Blick hing noch an Isabells Gesicht, in deren Augen jetzt ein staunender Ausdruck war. Dann glitt ihr Blick zu Donna, die völlig geistesabwesend schien und so unwirklich schön, wie sie sie nie zuvor gesehen hatten. Und nun schien sie in die Wirklichkeit zurückzukehren und lächelte.

»Es hätte mich sehr gefreut, Isabell, etwas von René zu erfahren«, sagte Donna leise. »Ich denke sehr gern an ihn.«

Dann umarmte sie Daisy impulsiv. »Meine Allerliebste, ich muß mich verabschieden. Es war ein reizender Abend. Feiere noch viel solche Geburtstage, Daisy, auch den Hundertsten. Und wie gern würde ich dann wieder dabei sein. Fünfzig Jahre älter und weiser.

Das Geschenk habe ich dir übrigens in die Wohnung schicken lassen. Ich hoffe, daß es unbeschädigt angekommen ist.«

Sie küßte Daisy auf beide Wangen, nickte den andern zu und ging davon.

Daisy blickte ihr nach. »Irgend etwas ist mit ihr«, sagte sie leise.

»Ein exzentrisches Geschöpf, das sich interessant zu machen versteht«, sagte ein Mann, der an ihre Seite getreten war.

»Werde nicht sarkastisch, Sascha«, sagte Daisy. »Du bist bei Donna abgeblitzt wie viele, aber laß dir von mir sagen, daß sie sich niemals interessant machen will. Man mißversteht das.«

»Ja, das glaube ich auch«, sagte Isabell zu Fees Erstaunen.

*

»Ein sehr interessanter Abend«, sagte Daniel auf der Heimfahrt.

»Ja, sehr interessant, aber du hast dich ja nur mit Arne unterhalten. Du hast viel versäumt, Daniel.«

»Was denn? Daisy ist gefeiert worden wie ein Weltstar und sie hat es mehr verdient als solcher. Sie ist eine Frau mit Herz.«

»Das ist sie. Aber Donna hat auch viel mehr Herz als man ihr zutraut.«

»Was du nicht sagst.«

»Spotte nicht. Ich denke über sie nach.«

»Und was denkst du nach, Allerschönste? Sie kann dir nicht das Wasser reichen!«

»Übertreibe bitte nicht. In ihr steckt viel mehr als man annimmt. Sie hegt eine starke Zuneigung zu einem René Thies.«

»Thies kommt mir bekannt vor«, sagte Daniel.

»Es ist Isabells Familienname, und sie wurde blaß, als Donna sie fragte, ob sie einen Bruder hätte, der René Thies heißt.«

»Hat Isabell einen Bruder?« frage Daniel.

»Ja, aber er heißt Markus. Ich frage mich nur, warum sie so blaß wurde, als Donna nach René fragte.«

»Deine Phantasie treibt mal wieder Blüten, mein Liebes. Lenk dich ab, damit es dich nicht im Schlaf verfolgt, was du erlebt hast. Arne ist ein immens gescheiter Mann.«

»Er beschäftigt dich, und mich beschäftigen Isabell und Donna. In unseren Träumen werden wir uns vielleicht treffen«, sagte Fee schelmisch. »Es sind zwei so gegensätzliche Frauen.«

»Und beide sind vielleicht auf Arne Thurau aus«, meinte Daniel. »Es könnte ein kalter Krieg beginnen.«

»Das glaube ich nicht. Es gab keine Feindseligkeit zwischen ihnen. Ich habe sie beobachtet. Ja, sie sind grundverschieden und sich doch so nah.«

»Mein Liebes, du träumst ja schon«, sagte Daniel, »aber es war wirklich kein verlorener Abend. Ich möchte fast meinen, Arne braucht keine Frau. Er braucht nur seine Arbeit. Er ist besessen.«

»Wie du?«

»Na, warte nur, ich werde dir schon zeigen, was mich am meisten fasziniert«, erwiderte er lachend.

*

Daisy war auch müde. »Du kannst doch bei uns wohnen, Isabell«, sagte sie, als Arne erklärte, daß es jetzt wohl an der Zeit wäre, Isabell zum Hotel zu bringen. »Bitte, tu mir den Gefallen, Kleines. Wir müssen doch ein bißchen Zeit füreinander haben.

Zu Arnes Überraschung stimmte Isabell zu. »Aber meine Koffer sind schon im Hotel«, sagte sie.

»Das macht doch nichts. Du kannst alles von mir haben, was du brauchst. Ich bin doch so froh, daß ich dich endlich kennenlerne, Isabell.«

»Endlich?« sagte Arne gedehnt. »Ich habe Isabell erst vor vier Wochen kennengelernt, Mama, und heute sehe ich sie zum dritten Mal.«

Daisy war sehr überrascht, aber sie zeigte es nicht, und Arne fügte schnell hinzu: »Wenn man allerdings so viel gemeinsame Interessen hat, spielt die Zeit keine Rolle.«

Gemeinsame Interessen, überlegte Daisy schnell. Arne interessierte sich doch nur für seinen Beruf und für alles, was mit der Technik zusammenhing.

Dann fiel sie aus allen Wolken, als sie hörte, daß auch Isabell ein Ingenieurstudium abgeschlossen hatte.

»Nun bin ich aber sprachlos«, sagte sie, »wie alt bist du überhaupt, Isabell?«

»Vierundzwanzig«, erwiderte Isabell lächelnd.

»Ja, da staunst du, Mama«, sagte Arne.

»So was Zierliches und Ingenieur«, meinte Daisy kopfschüttelnd.

Arne tippte sich an die Stirn. »Da muß man es haben, liebste Mama, nicht in den Muskeln.«

Es war schon sehr spät, und sie waren müde. Daisy meinte, daß man ja anderntags Zeit füreinander hätte. In ihrer schönen Maisonettewohnung wartete auf Isabell ein hübsches Gästezimmer. Arne hatte nebenan seine eigene Wohnung.

Vor dem Einschlafen dachte Daisy noch bedauernd, daß es wohl doch keine Liebe zwischen Arne und Isabell sei, aber dann fielen ihr schon die Augen zu.

Erst am späten Vormittag fanden sie sich am Frühstückstisch ein, der reichlich gedeckt war. Daisy fiel es nicht schwer, allerlei Köstlichkeiten herbeizuzaubern. Man sah ihr nicht an, daß sie eine lange Nacht hinter sich hatte. Isabell bewunderte die Ältere sehr.

Es war ein herrlicher warmer Tag. Sie konnten draußen sitzen. Die Loggia war so groß wie der Wohnraum und mit seinen Grünpflanzen und Blumen ein Gartenersatz.

In Daisys Gegenwart kamen keine Hemmungen auf. Ihre Fröhlichkeit war ansteckend. In dieser Atmosphäre war auch Arne viel aufgeschlossener.

Plötzlich lachte Daisy ganz unvermittelt auf. Die beiden jungen Leute sahen sie erstaunt an.

»Das muß ich geträumt haben«, sagte Daisy.

»Was?« fragte Arne.

»Daß Isabell Ingenieur ist.«

»Du hast es nicht geträumt, Mama. Es stimmt.«

»Das will mir nicht in den Kopf. Mit diesen zarten Händen«, sagte Daisy ungläubig.

»Sie braucht keine mechanischen Arbeiten zu verrichten, Mama«, sagte Arne nachsichtig.

»Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, daß eine Frau so etwas kann«, sagte Daisy.

»Es ist erblich bedingt«, erklärte Isabell. »Ich kann wieder nicht begreifen, wie man im Handumdrehen so himmlische Sachen zubereiten kann.«

Daisy spürte, daß sie ablenken wollte, und sie war viel zu taktvoll, Isabell auszufragen.

»Reden wir nicht von der Arbeit, genießen wir diesen Tag. Ich bin sehr glücklich, daß ich ihn mit euch allein verbringen kann.«

»Ich wollte mir eigentlich eine Wohnung suchen«, sagte Isabell.

»Aber warum denn? Hier ist doch genug Platz. Ich nütze die Wohnung viel zu wenig aus«, sagte Daisy.

»Und ich wollte vorschlagen, daß Isabell meine Wohnung haben kann, da ich drei Wochen abwesend sein werde«, warf Arne ein.

»Davon weiß ich gar nichts«, sagte Daisy bestürzt.

»Es hat sich auch erst gestern entschieden und bei der Geburtstagsfeier konnte man darüber nicht sprechen. Ich fahre nach Holland, Mama.«

»Arne hilft meinem Vater bei einem wichtigen Projekt«, erklärte Isabell. »Ich bin ihm sehr dankbar dafür.«

Daisy warf ihrem Sohn einen Seitenblick zu und las in seinen Augen, daß darüber nicht mehr gesprochen werden sollte. »In meinem Atelier kann Isabell ungestört arbeiten«, sagte Arne. »Allerdings wäre es lieb, wenn du ein bißchen für ihr leibliches Wohl sorgen würdest, Mama.«

»Das ist doch selbstverständlich. Ich freue mich, wenn ich so liebe Gesellschaft habe.«

»Vielen Dank, Frau Thurau«, sagte Isabell.

»Nicht Frau Thurau, sag Daisy, Isabell.«

Es herrschte vollste Harmonie. Nach dem Frühstück, das das Mittagessen voll ersetzte, holte Arne Isabells Koffer aus dem Hotel. Sie konnte sich umkleiden, denn in Daisys Sachen verschwand das zierliche Persönchen. Dann fuhren sie an die Osterseen und machten einen langen Spaziergang.

Sie unterhielten sich angeregt, aber über ihren Vater und ihren Bruder sprach Isabell nicht, auch Donna wurde nicht erwähnt.

*

Zu Donna wurde Dr. Norden am Nachmittag gerufen. Es paßte nicht in seinen Plan, denn er mußte ziemlich weit fahren, aber sie hatte es so dringend gemacht, daß er sie nicht warten lassen konnte.

Tatsächlich war sie in schlechter Verfassung, so heiser, daß sie kaum sprechen konnte, aber auch in einem außergewöhnlichen Erregungszustand. Dafür gab sie allerdings keine Erklärung.

»Ich war gestern schon nicht gut beisammen«, sagte sie, »aber Daisy wollte ich doch gratulieren. Sie bedeutet mir viel.«

Donna wohnte fürstlich. Ihr Heim war der Landsitz, der seit Generationen ihrer Familie gehörte. Hier, in dieser Umgebung, mußte man sie als die Baronesse von und zu Rettinghaus betrachten, und immer wieder setzte es Dr. Norden in Erstaunen, daß sie darauf überhaupt keinen Wert zu legen schien.

»Daß ich hier wohne, ist ein sentimentaler Entschluß«, hatte sie einmal gesagt. »Ich möchte nicht auf meine Pferde verzichten.«

Der Unterhalt dieses Landsitzes mußte Unsummen kosten, aber nichts verriet, daß diese nicht vorhanden wären. Das Haus, der Park, die Ställe waren in bestem Zustand. Doch die junge Besitzerin war in denkbar schlechter Verfassung.

Das Sprechen fiel ihr schwer, und Dr. Norden stellte fest, daß sie eine Kehlkopfentzündung hatte.

»Ich wäre dafür, daß dies klinisch untersucht würde, Baronesse«, sagte er.

»Donna«, krächzte sie ungehalten. »Wie oft soll ich das noch sagen?«

»Dann eben Donna«, sagte Dr. Norden. »Ich habe Ihnen schon mehrmals gesagt, daß Sie das Rauchen einstellen sollten.«

»Ich rauche nicht mehr viel«, erwiderte Donna. »Das – kommt immer, wenn ich…« sie unterbrach sich und wandte sich ab. »Hubertus ist tot, Dr. Norden«, flüsterte sie heiser.

Er ergriff ihre Hand. »Es hat Sie erschüttert, Donna«, sagte er leise.

»Er war mein Bruder, mein einziger Verwandter. Er wollte mich noch sprechen, aber ich zog es vor, Daisy zum Geburtstag zu gratulieren. Mein Bruder ist im Gefängnis gestorben, Dr. Norden. Vielleicht gerade in dem Augenblick, als ich sagte, daß er unseren Namen nicht mit Ruhm bekleckert hat. Aber ich wußte nicht, daß er Kehlkopfkrebs hatte. Werde ich auch daran sterben? Ist es ein Erbübel?«

»Aber nein, Donna«, erwiderte Dr. Norden bestürzt. »Jetzt sollten Sie davon und überhaupt nicht so viel sprechen.«

»Aber ich muß mit jemandem sprechen. Hubertus muß es gewußt haben, daß er nicht lange lebt. Und er wollte leben. Deshalb hat er all diese Dummheiten gemacht. Er hat sie gemacht, weil ich kein Geld herausrückte. Aber ich wollte nicht, daß dieses Haus unter den Hammer kommt.«

Sie faßte sich an die Kehle, und Dr. Norden legte seine Hände um ihre Schultern.

»Ich bringe Sie jetzt zu einem Facharzt, Donna«, sagte er.

»Ich muß dafür sorgen, daß Hubertus begraben wird«, flüsterte sie.

»Ich muß dafür sorgen, daß sich Ihr Zustand nicht verschlimmert. Bitte, seien Sie vernünftig.«

»Wozu? Ist dieses Leben nicht sinnlos? Ich habe viel verloren, und auch alle Illusionen. »Schluchzend brach sie nun zusammen.

Dr. Norden mußte zur Injektionsspritze greifen. Es blieb ihm jetzt keine Wahl. Donna zitterte am ganzen Körper. Der totale Nervenzusammenbruch konnte nur noch durch ein Beruhigungsmittel verhindert werden.

Es dauerte zehn Minuten, bis sich die Wirkung bemerkbar machte, und diese Minuten wurden ihm zur Ewigkeit.

Er dachte daran, welche Selbstbeherrschung Donna stets an den Tag legte, wenn sie in Gesellschaft war. Man war geneigt, sie als oberflächlich, genußsüchtig und überheblich einzustufen.

Dr. Norden wußte auch, daß sie keine enge Bindung an ihren Bruder gehabt hatte. War noch mehr auf sie eingestürmt?

Unwillkürlich kam ihm der Gedanke, daß es sie tief getroffen haben könnte, Arne Thurgau in Gesellschaft einer anderen Frau gesehen zu haben, aber er wollte jetzt keine Fragen stellen, die etwas aufwühlten, was ihr noch mehr schaden könnte. Willenlos folgte sie ihm dann zu seinem Wagen. Er brachte sie zu seinem Freund Dr. Dieter Behnisch, in dessen Privatklinik eine Untersuchung möglich war, wenn man Dr. Forster hinzuzog.

Als Donna in ein Krankenzimmer gebracht worden war, sank sie auf das Bett und schlief sofort

ein.

»Sie scheint die ganze Nacht nicht geschlafen zu haben«, sagte Dr. Norden. »Die Dosis, die ich ihr gespritzt habe, war nicht sehr stark.«

»Dann gib mir mal einen Hinweis, was mit ihr los ist, Daniel«, sagte Dr. Behnisch.

Es war nicht allzuviel, was Daniel Norden wußte. Hubertus von und zu Rettinghausen war zwei Jahre jünger gewesen als seine Schwester. Die Mutter war kurz nach seiner Geburt gestorben, der Vater vor fünf Jahren bei einem Jagdunfall, den man als Selbstmord hinstellen wollte. Donna hatte erreicht, daß solche Vermutungen aus der Welt geschaffen wurden.

»Weil ihr Vater ein Kehlkopfleiden hatte und ihr Bruder nun an einem Kehlkopfkrebs gestorben ist, meint sie, daß sie dieses Leiden auch geerbt hat«, erklärte Daniel. »Aber meine Meinung ist, daß es bei ihr psychisch bedingt ist. Ich möchte jedoch diese Diagnose bestätigt wissen, Dieter.«

»Werden wir machen«, erwiderte sein Freund. »Aber was war denn eigentlich mit ihrem Bruder? Ich bin nicht über ihn informiert.«

»Er war ein Spieler, ein leidenschaftlicher Spieler, und als ihm das Geld ausging, begann er zu pumpen. Es blieb nicht dabei. Er hatte kein Glück im Spiel. Mit seinem Namen hatte er immer Kredit, ließ sich in krumme Geschäfte ein und verkaufte gefälschte Bilder, als angeblich echte und angeblich auch aus Familienbesitz, die er selbst gefälscht hatte. Er nutzte ein Talent unrechtmäßig aus. Eigentlich ist es schade um ihn. Er war begabt. Eines Tages, vor ein paar Monaten, kam es auf und er wurde zu zweijähriger Gefängnisstrafe verurteilt. Deshalb legt Donna auch keinen Wert auf den Namen Rettinghaus. Sie hat nicht mal versucht, alles zu vertuschen. Sie ist mir ein Rätsel, aber anscheinend habe ich sie verkannt.«

»Warum?«

»Ich möchte dazu vorerst nichts sagen. Darüber muß ich selber noch nachdenken, Dieter.«

»Und, wie ich dich kenne, mit Fee sprechen«, sagte der andere nachdenklich.

»Recht hast du. Halt mich schnellstens auf dem laufenden.«

»Selbstverständlich.«

*

Mit dem Bescheid mußte Dr. Norden bis zum nächsten Tag warten, aber mit seiner Frau Fee hatte er lange über Donna gesprochen.

»Diese Geschichte mit dem Bruder muß doch ein entsetzlicher Schlag für sie gewesen sein«, meinte Fee. »Und es geschieht ja oft, daß gerade bei so selbstbeherrschten Menschen eine Reaktion eintritt, die sich auch physisch äußert.«

Fee Norden konnte mitreden, da sie selbst Ärztin war, wenn sie auch ihren Beruf nicht mehr ausübte, seit sie Mutter geworden war.

»Wie hat sie eigentlich auf Isabell reagiert?« fragte Daniel. »Eifersüchtig?«

»Nicht die Spur! Sie fragte Isabell später, ob sie einen Bruder hätte, der René heißt. Da wurde Isabell blaß, erwiderte aber, daß sie nur einen Bruder namens Markus hätte.«

»Du hast beide aber auch sehr genau beobachtet, Fee«, stellte Daniel fest.

»Sie sind sehr gegensätzlich, und ich habe überlegt, wer die stärkere Persönlichkeit wäre.«

Daniel sah seine Frau überrascht an. »Und zu welchem Ergebnis bis du gekommen?«

»Daß Isabell die stärkere Persönlichkeit ist.«

»Ein erstaunliches Ergebnis«, sagte Daniel.

»Isabell ist sehr klug. Ich möchte sie nicht als intellektuell bezeichnen, dazu ist sie zu sensibel. Verstand und Gefühl halten sich bei ihr die Waage. Donna dagegen ist in eine Haut geschlüpft, in die sie nicht hineinpaßt.«

»Zu dieser Erkenntnis bist du aber erst gestern gekommen.«

»Ich habe sie nur ein paarmal getroffen. Gestern hatte ich das Gefühl, daß sie sich an Daisy klammert. Wahrscheinlich hat sie Daisy manches anvertraut, was sie vor anderen verbergen wollte. Aber es ist schwer, Donna zu durchschauen.«

»Wie verdient sie eigentlich ihr Geld?« fragte Daniel.

»Warum interessierst du dich dafür?« fragte Fee zurück.

»Da draußen ist alles tadellos im Schuß, das Haus, der Park, die Ställe. Aber wenn genügend Vermögen vorhanden wäre, hätte Donna ihrem Bruder doch wohl aus der Klemme geholfen, um ihren Namen nicht ins Gerede zu bringen. Im Gegenteil, dazu will sie sich dieses Namens nicht bedienen.«

*

»Darüber habe ich auch schon nachgedacht, mein Liebster«, sagte Fee. »Donna macht alles, was Geld bringt. Modefotos, Modeschauen, Nebenrollen bei Filmen und im Fernsehen, Synchronisation, wenn eine rauchige Stimme gebraucht wird. Außerdem soll sie Glück beim Spiel haben, und natürlich auch bei Reitturnieren. Die Klatschspalten berichten darüber, falls du wissen möchtest, woher ich es weiß. Sie erwähnte übrigens, daß René Thies der beste Pokerspieler sei, dem sie je begegnet wäre. Ich habe das Gefühl, daß ihr dieser Mann viel bedeutet hat oder noch bedeutet. Und ich hatte auch das Gefühl, daß Isabell der Name René nicht unbekannt war. Jedenfalls war Donna gestern abend kein dunkler Punkt in dem bunten Wirbel. Es war ein hübscher Abend.«

»Ich sage nichts dagegen. Ich hatte aber nicht den Eindruck, daß eine intime Beziehung zwischen Arne und Isabell besteht.«

»Man könnte vielleicht sagen: Nomen est omen«, bemerkte Fee lächelnd. »Unsere Isabel war auch schwer durchschaubar.«

Sie meinte damit Isabel Schoeller, geborene Guntram, die früher eine bekannte Journalistin gewesen war, eine sehr gute Bekannte von Daniel, auf die Fee mächtig eifersüchtig war vor ihrer Heirat. Isabel war jetzt mit dem Arzt Jürgen Schoeller verheiratet, der mit Fees Vater Dr. Cornelius das Sanatorium »Insel der Hoffnung« leitete.

»Isabel und Isabell sind nicht vergleichbar«, sagte Daniel.

»Da bin ich anderer Meinung. Sie gehören beide nicht zu der Kategorie Frau, die ihre Gefühle zur Schau tragen. Außerdem bin ich überzeugt, daß Arne und Isabell sich noch gar nicht lange kennen. Was mich nachdenklich stimmt ist die Tatsache, daß Arne sie zur Geburtstagsfeier seiner Mutter mitgebracht hat. Das hätte er nicht getan, wenn er nichts für sie übrig hätte.«

Daniel schwieg eine Weile. »Meinst du nicht, daß wir da in gewisse Personen zuviel hineingeheimnissen, Fee?« fragte er.

»Über interessante Menschen kann man nachdenken«, erwiderte sie. »Es waren viele interessante Menschen zugegen. Daisy versteht es, Spreu vom Weizen zu scheiden. Nur dieser Sascha fiel aus dem Rahmen.«

»Welcher Sascha?« fragte Daniel.

»Ich kenne ihn. Ein dunkler Typ. Er sagte, daß Donna eine Person sei, die sich interessant zu machen verstehe, und Daisy erwiderte darauf, daß er nur bei ihr abgeblitzt sei.«

»Du bist der reinste Computer. Du merkst dir alles, Feelein.«

»Nur dann, wenn ich wirklich interessiert an Menschen bin«, erwiderte Fee lächelnd. »Aber du hältst Donna ja jetzt auch nicht mehr für ein oberflächliches Jet-Set-Geschöpf.«

»Sie ist krank«, sagte Daniel.

*

Am nächsten Tag bekam er noch eine andere Patientin, die ihn genauso beschäftigen sollte. Es war Isabell.

Damit hatte nun niemand rechnen können. Arne sollte an diesem Tag nach Amsterdam fliegen. Daisy bestand darauf, daß sie vorher noch in ihrem Lokal essen sollten. Das wurde von Isabell ebenso wie von Arne akzeptiert. Nach dem Essen wollte Isabell ihn dann zum Flughafen fahren.

Das Lokal war gesteckt voll. Was serviert wurde, sah einladend aus.

»Scampis mag ich eigentlich nicht«, sagte Isabell leise zu Arne.

»Es ist Mamas Spezialität. Du mußt sie probieren. Solche hast du bestimmt noch nicht gegessen, Isabell«, erwiderte er.

Die Scampis waren eine Delikatesse. Sie schmeckten so köstlich, daß Isabell sie mit großem Appetit aß. Ihr sonst blasses Gesicht bekam Farbe, dann sogar eine tiefe Röte.

»Es ist heiß hier«, sagte sie, sich an die Wangen fassend.

»Es ist überhaupt heiß«, sagte Arne. »Wir haben Hochsommer. Ich bin ganz froh, ein paar Wochen umfächelt von kühlem Meereswind arbeiten zu können.«

Isabell hatte das Gefühl, als würde ihr Gesicht zusehends anschwellen. Sie sagte das auch zu Arne.

»Das wird besser, wenn wir zum Flughafen fahren. Da machen wir die Fenster auf, und es ist schön kühl. Entschuldigst du mich ein paar Minuten, Isabell? Ich habe noch etwas mit Mama zu besprechen. Bestell dir noch einen Nachtisch.«

»Gibt es die Schokosahne?« fragte sie.

»Sicher. Wenn nicht, wird man sie für dich zubereiten.«

»Möchtest du keine?« fragte sie.

»Nein, du Süßschnabel.«

In seiner Stimme schwang ein Unterton mit, der aufhorchen ließ, aber niemand hörte es, Isabell ausgenommen. Sie lächelte ihm zu.

Er ging zu Daisy, die in der Küche die Köche dirigierte. »Nur ein paar Minuten, Mama«, sagta Arne. »Könnte man Isabell eine Schokosahne bringen?«

»Aber gewiß doch«, erwiderte Daisy.

»Und dann wollte ich dich noch um etwas bitten, Mama. Hast du ein bißchen Zeit?«

»Fur dich immer, Arne«, erwiderte sie. »Mit solchem Betrieb habe ich heute nicht gerechnet. Tut mir leid, mein Junge.«

Sie gingen schnell ins Büro. Daisy war echauffiert, was wahrlich selten vorkam.

»Schade, daß wir nicht länger beisammen sein können«, sagte Daisy.

»Das können wir nachholen, Mama. Irgendwann werde ich Isabell mal heiraten.«

»Irgendwann?« fragte Daisy atemlos.

»Vielleicht bald. Ich möchte dich nur bitten, Sie nicht auszufragen. Ihr Vater ist krank. Er hat eine tolle Maschine entwickelt. Das behältst du aber für dich. Streng geheim. Bring sie nicht in Verlegenheit.«

»Du solltest mich eigentlich kennen, Arne«, sagte Daisy.

»Ist ja gut. Ich bin halt im Augenblick schon nicht mehr ganz da. Ich wollte dir auch noch sagen, daß Isabell nicht sehr gesellig ist und du es nicht übelnehmen sollst, wenn sie keine Einladung annimmt. Und außerdem wäre es mir sehr lieb, wenn sie nicht mit Donna zusammenkommen würde.«

»Ist schon gut.« Daisy wußte, daß Arne nicht viel Worte machte. »Aber eine Frage möchte ich doch stellen, Arne. Liebst du Isabell?«

»Mehr als alles auf der Welt, Mama, dich ausgenommen.«

»Dann liebe sie mehr als mich«, sagte Daisy. »Euch gehört die Zukunft.«

»Meine wundervolle Mama, ich danke dir«, sagte Arne zärtlich. »Ich habe nicht daran geglaubt, daß mir eine Frau begegnen könnte, die ich so liebe wie dich.«

»Isabell werde ich ja heute abend daheim sehen«, sagte Daisy. »Laß von dir hören, Arne.«

»Ja, das wollte ich dir auch sagen. Ich rufe vom Flugplatz an, wenn ich angekommen bin, aber dann bekommt ihr keine Nachricht mehr. Isabell weiß es. Aber was sie nicht von sich aus sagt, versuche bitte nicht in Erfahrung zu bringen, Mama. In drei Wochen sehen wir uns wieder.«

Daisy sah ihren Sohn nachdenklich an. »So viele Menschen kommen mit all ihren Sorgen zu mir«, sagte sie leise, »aus meinem Sohn werde ich niemals klug.«

»Dein Sohn liebt dich, Mama«, erwiderte Arne. »Aber er kann alles selbst entscheiden. Okay?«

»Darf ich etwas fragen, Arne?«

»Bitte.«

»Es steht ganz fest, daß du Isabell heiraten wirst?«

»Sie oder keine«, erwiderte er. »Aber das weiß sie selbst noch nicht. Richte dich danach.«

Verflixter Bengel, dachte Daisy, als er gegangen war. Und das hatte sie schon oft gedacht, vor allem während seiner Schulzeit. Er hatte immer tiefgestapelt, war nie mit sich zufrieden gewesen. Und dann hatte er Zeugnisse heimgebracht, bei denen ihr die Augen übergingen. Alles Einser, nur im Turnen einen Dreier.

Sie dachte nicht mehr an ihre Küche. Ihr Junge liebte Isabell. Er wollte sie heiraten, aber davon wußte Isabell noch nichts. Typisch Arne, dachte Daisy. Er wird es ihr jetzt auch nicht sagen.

Und damit hatte sie recht. Worüber Arne und Isabell sprachen, hätte sie sowieso nicht verstanden. Und daß Isabells Gesicht glühte als sie sich von Arne verabschiedete, hätte Daisy auf die Aufregung, die ein Abschied immer mit sich brachte, geschoben.

Isabell nahm ihre letzt Kraft zusammen. Überall juckte es sie. Sie war richtig froh, als Arne ging. Sie hätte sich die Kleidung vom Körper reißen können.

Sie wurde angestarrt, als sie im Eilschritt zu ihrem Wagen lief, und als sie in den Rückspiegel blickte, erschrak sie, denn sie blickte in ein fremdes, geschwollenes, glühendes Gesicht.

War das Scharlach, Masern, Röteln? Oder was für Krankheiten gab es noch, die solchen Ausschlag mit sich brachten? Sie hatte plötzlich eine höllische Angst, daß es eine ansteckende Krankheit sei und auch Arne davon betroffen werden könnte, gerade jetzt, wo ihr Vater ihn so unbedingt nötig brauchte. Jedenfalls mußte sie unbedingt einen Arzt aufsuchen, oder besser noch, ihn rufen.

Aber wenn nun Daisy daheim war und sie so sah? Mußte sie nicht erschrecken? Nein, wenn es ansteckend war, durfte sie gar nicht in Daisys oder Arnes Wohnung.

Gewöhnt, sonst sehr sachlich zu denken und alles zu überlegen, kam Isabell zu dem Entschluß, Dr. Norden anzurufen. Das Ehepaar war ihr sehr sympathisch gewesen, und Daisy hatte geschwärmt, welch ein guter Arzt Dr. Norden sei.

Sie sah vom Auto aus mehrere Telefonzellen, aber die Straßen waren so belebt, und sie wagte sich nicht unter Menschen zu gehen, die vor ihrem Anblick erschrecken mußten. So fuhr sie, bis sie in eine stille Seitenstraße kam, an deren Kreuzung eine Telefonzelle stand. Sie mußte Dr. Nordens Nummer erst aus dem Telefonbuch heraussuchen und atmete erleichtert auf, als sie diese endlich gefunden und gewählt hatte, und sich die Praxis meldete.

Loni war immer freundlich, auch dann wenn ihr ein Name ganz unbekannt war. Nur stellte sie nicht gleich zu Dr. Norden durch.

Isabell sagte, daß sie Dr. Norden bei Daisy kennengelernt hätte und er sich sicher an sie erinnern könnte, und sie brauche ganz dringend seinen Rat.

In ihrer Stimme mochte Angst durchklingen, denn Loni beeilte sich, sie mit Dr. Norden zu verbinden.

Der war im ersten Augenblick auch erschrocken, als Isabell so überstürzt sprach.

»Ich sehe fürchterlich aus«, erklärte sie stockend. »Ich weiß nicht, was ich machen soll und ob ich überhaupt in Ihre Praxis kommen darf.«

»Loni wird Sie gleich in einen Nebenraum führen«, erwiderte er. »Aber ich würde auch zu Ihnen kommen.«

»Ich möchte nicht, daß Daisy mich so sieht«, sagte Isabell.

»Dann kommen Sie her.«

Daniel hatte blitzschnell überlegt. Natürlich konnte es eine ansteckende Krankheit sein und es war ein Risiko, wenn sie mit anderen Menschen in Berührung kam. Aber nun hatte er ja gesagt und mußte Wort halten, denn erreichen konnte er sie nicht.

Loni staunte, als er sie fragte, ob sie Masern oder Scharlach gehabt hätte.

»Und die Röteln auch«, bestätigte sie. »Ich bin von keiner Kinderkrankheit verschont geblieben.«

»Die bei Erwachsenen ziemlich gefährlich sein können«, sagte er. »Wenn Isabell Thies kommt, führen Sie sie bitte schnell ins Labor.«

Loni wußte Bescheid. Allerdings dauerte es ein bißchen, bis Isabell die Praxis gefunden hatte, denn dieses Stadtviertel kannte sie nicht.

Ganz konnte Loni ihr Erschrecken dann allerdings auch nicht verbergen, denn inzwischen war Isabells Gesicht noch mehr angeschwollen. Ihre Augen waren nur noch Schlitze. Sie sah keineswegs so apart und anmutig aus, wie Dr. Norden sie kennengelernt hatte. Aber als er sie betrachtete und die Tränen in ihren Augenwinkeln sah, erinnerte er sich eines ähnlichen Falles, den er einmal behandelt hatte.

»Nur nicht weinen, dadurch wird es noch schlimmer«, sagte er.

»Es tut auch weh«, flüsterte Isabell.

Dr. Norden maß die Temperatur, fühlte den Puls, maß den Blutdruck. Sie mußte die Zunge herausstrecken, und er blickte ihr in den Hals.

»Es ist eine Allergie, eine sehr schlimme zwar, aber keinesfalls eine ansteckende Krankheit«, erklärte er.

»Sind Sie sicher?« fragte Isabell leise.

Dr. Norden Bestseller Classic 49 – Arztroman

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