Читать книгу Mami Jubiläum 9 – Familienroman - Patricia Vandenberg - Страница 3

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Angela Rösch blickte auf die Uhr. Es war schon weit nach Mitternacht. Ihr Mann war noch immer nicht daheim, obgleich das Konzert doch spätestens seit elf Uhr zu Ende war und er mit dem Wagen nur zehn Minuten bis zu ihrer Wohnung zu fahren hatte. Das war nun schon das vierte Mal innerhalb der letzten zwei Wochen.

Angela ahnte schon den Grund. Eine Unmutsfalte erschien auf ihrer glatten Stirn. Sollte sie sich das bieten lassen? Sie dachte nicht daran. Sie war fest entschlossen, ihm gehörig die Meinung zu sagen.

Sollte das verflixte siebente Jahr ihrer Ehe auch für sie eine Wendung bringen? Sie wollte es nicht begreifen. Sie waren doch immer glücklich gewesen, und langweilig konnte es bei ihnen gar nicht werden, da Wolfgang als Konzertmeister häufig auf Reisen war. Ob er ihr aber immer treu war? Sie war davon überzeugt gewesen, denn bis vor vierzehn Tagen hatte sie keinerlei Grund zur Klage gehabt.

Und dann hatte er diese Elke Wiedinger getroffen, seine Jugendfreundin, die ein paar Monate zuvor ihren Mann verloren hatte.

Unbefangen hatte er Angela von diesem Wiedersehen erzählt, und sie hatte Elke sogar zu sich zum Abendessen eingeladen.

Ja, sie war voller Mitgefühl gewesen, obgleich Elke wahrhaftig nicht wie eine trauernde Witwe aussah.

»Wir müssen uns ein bisschen um sie kümmern«, hatte Wolfgang gesagt. »Es wäre nett, wenn ihr Freundinnen würdet.«

Pustekuchen, dachte Angela jetzt. Eine schöne Freundschaft wäre das. Sie will mir meinen Mann wegschnappen. Aber ich werde es ihm zeigen, und er wird sich wundern! Wenn er in den nächsten zehn Minuten nicht kommt, packte ich die Koffer und fahre morgen mit Babsi zu Paps.

Wolfgang Rösch kam auch während der nächsten zwanzig Minuten nicht, und voller Zorn begann Angela ihr Vorhaben zu verwirklichen.

Babsi, ihr fünfjähriges Töchterchen, wurde durch die Geräusche, die dabei unvermeidlich waren, geweckt.

Sie stand in der Tür und sah ihre Mutter aus schläfrigen Augen an.

»Was machst du denn da, Mami?«, fragte sie.

»Ich packe die Koffer«, erwiderte Angela grimmig.

»Warum?«

»Weil wir morgen zu Opa fahren.«

Sie kam plötzlich wieder zu sich, denn an dem Kind brauchte sie ihren Groll wahrhaftig nicht auszulassen.

»Fährt Papi denn auch schon morgen weg?«, fragte Babsi.

»Wahrscheinlich. Schlaf jetzt, mein Kleines, wir werden sehr früh fahren.«

*

Als Konzertmeister eines großes Sinfonieorchesters war Wolfgang Rösch bewundernde Blicke von Frauen gewohnt. Er fühlte sich dagegen gefeit, obwohl man auch ihm eine gewisse Eitelkeit nicht absprechen konnte. Er war glücklich und zufrieden in seiner Ehe mit Angela, und er liebte vor allem sein Töchterchen abgöttisch.

Ein klein wenig anders war es allerdings doch geworden, als er Elke Wiedinger, seine Jugendliebe, wiedertraf. Elke zeigte so unendlich viel Verständnis für seinen Beruf, sie begeisterte sich an der Musik, sie besuchte jedes seiner Konzerte. Bei der Bewunderung, die sie ihm zollte, vergaß Wolfgang, dass Angela nur daheim blieb, weil sie Babsi nicht allein lassen wollte.

Was war auch schon dabei, wenn er nach einem Konzert noch ein Stündchen mit Elke beisammensaß? Sie waren gute Freunde, sie war eine charmante, sehr attraktive Frau, mit der man sich sehen lassen konnte.

Als sie an jenem Abend vor vierzehn Tagen plötzlich vor ihm stand, hätte er sie allerdings fast nicht wiedererkannt. Was war aus der kleinen, ein wenig farblosen Elke geworden, die einmal seine Tanzstundenpartnerin gewesen war!

Damals hatte er sich eigentlich aus Mitleid ihrer angenommen, weil sie gar so schüchtern war und nie so schick gekleidet wie die anderen jungen Mädchen. Hingebungsvoll hatte sie ihn angehimmelt, und weil er seine Geige damals schon mehr liebte als jede andere Unterhaltung, war es ihm recht gewesen, eine so anspruchsvolle Freundin zu haben.

Davon konnte jetzt nicht mehr die Rede sein, denn Elke war eine wirklich attraktive und sehr elegante Frau geworden. Wolfgang sah dennoch irgendwie das kleine Mädchen von ehemals in ihr, und sie verstand es auch, ihm begreiflich zu machen, dass sie trotz allem Reichtum, den ihr früh verstorbener Mann ihr hinterlassen hatte, todunglücklich sei.

Er verstand es als Kavalierspflicht, sich ihrer ein wenig anzunehmen. Was waren auch schon die paar Stunden im Anschluss an ein Konzert, die er mal mit ihr verbrachte.

An diesem Abend war es jedoch anders. Elke war wieder im Konzert gewesen, sie hatte wieder in der vordersten Reihe gesessen.

Und sie hatten sich dann am Bühnenausgang getroffen.

»Du warst fantastisch wie immer, Wolf«, sagte sie schmeichelnd. »Ich verstehe gar nicht, dass deine Frau nie ein Konzert besucht.«

»Wegen Babsi«, erwiderte er. »Sie lässt das Kind nicht gern allein in der Wohnung.«

War Angela ein Hausmütterchen? Nein, das konnte man wohl doch nicht sagen. Aber sie war eine sehr liebevolle, fürsorgliche Mutter.

»Gehen wir noch ein Glas Wein trinken?«, fragte er gedankenlos.

»Ich wollte dich bitten, mich heimzubringen, denn ich hatte Pech mit meinem Wagen. Du könntest dir dann gleich mal mein Haus anschauen, und ein Glas Wein kannst du auch bei mir trinken. Oder hast du Hemmungen?«, fragte sie mit leichtem Spott.

»Natürlich bringe ich dich heim«, sagte er. Er war zu höflich, um zu widersprechen. Angela würde das akzeptieren. Sie hatte bisher noch keine Bemerkung darüber verloren, dass er schon ein paarmal nach dem Konzert mit Elke ausgegangen war. Wäre sie eine spießige Frau, hätte sie ihm bestimmt schon eine Szene gemacht. Ja, er wollte das richtigstellen. Vielleicht musste er es Elke deutlich sagen, dass er zufrieden und glücklich mit seiner Frau war.

Sie sprach während der Fahrt nicht über Angela, sondern über ihren Mann. Bisher hatte sie dieses Thema vermieden. Er war der Meinung gewesen, dass es schmerzlich für sie sei.

Wolfgang Rösch war ein sensibler Künstler, ebenso wie als Mensch, er vermutete nie etwas Schlechtes in einem Menschen. Musik war etwas zu Beglückendes, wer Musik liebte, konnte zu nichts Bösem fähig sein. Von Elke hätte er das schon gar nicht gedacht. Er hatte sie ja gekannt, als sie jung und schüchtern war, so ganz anders, als die anderen Mädchen.

Er wusste nicht, dass sie damals unter Hemmungen litt, die in ihrem Elternhaus erzeugt wurden. Ein sehr strenger Vater, eine verbitterte Mutter, ein recht bescheidenes Zuhause. Wolfgang hatte es nie kennen gelernt. Er wusste auch nicht, dass Elke die Tanzschule nur

besuchen konnte, weil sie in den Morgenstunden Zeitungen austrug. Das

hatte sie nie gesagt, obgleich ihm vielleicht gerade das Achtung abgenötigt hätte.

Aber Elke wollte nicht als armes Mädchen gelten. Sie schämte sich ihres Elternhauses. Sie beneidete die anderen, denen es besserging, glühend. Sie wollte nichts anderes, als einmal über diesen stehen, die damals auf sie herabschauten. Sie hatte es erreicht.

»Max war mein Chef«, sagte sie. »Ich kam zu ihm als Sekretärin, und er verliebte sich Hals über Kopf in mich.«

Auch das entsprach nicht ganz der Wahrheit, denn sie war als Stenotypistin in die Großhandelsfirma gekommen, und es hatte einige Zeit gedauert, bis sie den schwerfälligen Max Wiedinger systematisch umgarnt hatte.

»Max betete mich an«, fuhr Elke fort, aber anstelle wehmutsvoller Worte über seinen Tod, wie Wolfgang sie erwartete, verblüffte sie ihn mit der Bemerkung, dass sie ihn dennoch nicht geheiratet hätte, wenn er, Wolfgang, sie nicht im Stich gelassen hätte.

»Ich habe dich doch nicht im Stich gelassen, Elke«, sagte er. »Ich musste studieren. Ich konnte an eine Bindung nicht denken.«

»Aber du hättest mir schreiben und ein bisschen Hoffnung lassen können«, sagte sie schmollend. »Hättest du mich geheiratet?«

Daran hatte er wahrhaftig nicht gedacht. Für ihn war das Studium viel wichtiger gewesen, und so tief waren seine Gefühle für Elke auch damals einfach nicht gewesen.

Und auch sie hatte nicht an eine Ehe mit dem Studenten gedacht, der von Haus aus nicht vermögend war. Sie wollte ja nicht Mauerblümchen bleiben. Sie wollte etwas darstellen. Sie wollte einen reichen Mann haben.

Jetzt lagen die Dinge anders. Wolfgang hatte nicht nur eine glänzende Position, er hatte auch eine Professur an der Hochschule für Musik. Außerdem war er nicht mehr der ungelenke Junge von damals, sondern ein ungewöhnlich interessanter Mann.

Von alldem wusste Wolfgang natürlich nichts. Für ihn war sie die bedauernswerte junge Witwe, die viel zu früh ihres liebevollen Mannes beraubt worden war. In manchen Dingen war Wolfgang Rösch noch immer weltfremd, obgleich er schon fast die ganze Welt bereist hatte.

Nun hielten sie vor dem Haus, einem prachtvollen Bau, der zwischen modernen Bungalows demonstrativ die Vornehmheit der Jahrhundertwende ausdrückte.

Elke hätte lieber in einem modernen Haus gewohnt, doch dieses verlieh ihrem einsamen Dasein, mit dem sie heftig kokettierte, ein ganz besonderes Flair.

»Fürchtest du dich nicht darin?«, fragte Wolfgang bestürzt, denn er hatte für so imposante Bauten nicht viel übrig.

»Einsam fühle ich mich«, sagte sie betont wehmütig, »aber es ist wunderschön drinnen. Du wirst es ja sehen.«

Das Haus war fantastisch eingerichtet. Echte Teppiche, wertvolle Gemälde und Plastiken, vornehme Stilmöbel. Wolfgang fand seine moderne Wohnung jedoch entschieden gemütlicher.

»Gefällt es dir nicht?«, fragte Elke.

»Doch, sehr schön«, erwiderte er gleichmütig, »aber ich kann mich nicht lange aufhalten, Elke, das verstehst du doch.«

»Einen Drink wirst du ja wohl annehmen«, sagte sie. »Ich werde dich überraschen.«

»Kein Mixgetränk, bitte, das bekommt mir nicht«, sagte er. »Ein Bier wäre mir sogar lieber als Wein.«

»Bier habe ich leider nicht im Haus, aber der Wein, den ich dir kredenze, wird dir schmecken. Entschuldige mich bitte einen Augenblick.«

Sie blieb ziemlich lange aus. Er schaute sich um, aber eine Fotografie von Max konnte er nirgends entdecken. Er konnte sich überhaupt keine Vorstellung von diesem Mann machen. Ob vielleicht doch sein Geld ausschlaggebend für Elke gewesen war? Nein, das passte nicht zu dem Mädchen von einst. Aber sie hatte sich sehr verändert. Sie hatte sich vom farblosen Entlein zum schönen Schwan gemausert, das musste er zugeben.

Warum auch nicht? Sie war eine Frau. Sie hatte begriffen, dass man etwas aus sich machen konnte.

Angela konnte eigentlich auch mehr für ihr Aussehen tun, ging es ihm durch den Sinn. Immer trägt sie diese schlichte Sportkleidung, und immer noch diesen Pagenschnitt wie zu der Zeit, als sie sich kennenlernten.

Dass ihm gerade dieser so gut gefallen hatte, wollte er nicht mehr wahrhaben.

Nun kam Elke zurück, mit kostbaren Gläsern und zwei Flaschen Wein.

»Gleich zwei?«, fragte Wolfgang ironisch. »Ein Glas, mehr nicht.«

Elke lächelte rätselhaft. »Es ist doch noch gar nicht so spät. So langsam wird sich Angela daran gewöhnen, dass du ab und zu mal länger ausbleibst, vielleicht bekommt sie dann Geschmack daran, dich auch ins Konzert zu begleiten.«

»Ach, so meinst du das«, sagte er naiv.

»Ja, so meine ich das. Wie lange seid ihr verheiratet, Wolf?«

»Sieben Jahre, das weißt du doch.«

»Na eben, sieben Jahre, und das siebte ist das kritische. Da ist es ganz gut, wenn man seine Frau mal ein bisschen eifersüchtig macht. Dann überwindet man die Krise eher.«

Von einer Krise hatte er in seiner Ehe eigentlich noch gar nichts gespürt, aber er hatte auch nicht darüber nachgedacht.

»Sie fühlt sich deiner anscheinend schon zu sicher«, fuhr Elke leichthin fort. »Sie weiß nicht, wie du von den Frauen angehimmelt wirst.«

»Ach, das ist doch Blödsinn. Das merke ich doch gar nicht.

»Aber ich habe es bemerkt, und ich habe mich schon gefragt, ob Angela darüber wohl nachdenkt. Ich mag sie wirklich gern, deine kleine Frau, in ihrer Bescheidenheit und Zurückhaltung, die deiner Stellung aber durchaus nicht angemessen ist. Sie stammt wohl aus kleinen Verhältnissen?«

Das tönte nun doch ein wenig zu anzüglich in seinen Ohren, denn obgleich Elke nie darüber gesprochen hatte, wusste er doch, dass sie selbst aus sehr bescheidenen Verhältnissen kam.

»Durchaus nicht«, erwiderte er. »Sie stammt sogar aus einer sehr vermögenden Familie, ihr Vater ist ein bedeutender Wissenschaftler.«

»War das ausschlaggebend für deine Entscheidung?«, fragte Elke spitz.

»Für welche Entscheidung?«, fragte Wolfgang verblüfft.

»Angela zu heiraten, was sonst?«

Eigentlich hätte er nun hellhörig sein müssen, aber er lag im Zwiespalt mit seinem Gewissen. Er dachte daran, dass Angela auf ihn warten würde.

»Es war eine Liebesheirat wie sie im Buche steht«, erwiderte er heiser.

»Dann trinken wir auf Angela, eure Ehe und weitere glückliche Jahre«,

sagte Elke mit größter Selbstbeherrschung.

»Ja, das ist lieb von dir«, sagte er. »Ich hoffe sehr, dass ihr euch besser kennenlernt und richtige Freundinnen werdet. Wir haben einen netten Bekanntenkreis, in dem du auch Abwechslung finden wirst. Ich möchte wirklich nicht, dass Angela auf falsche Gedanken kommt.«

»Du bist ja ein richtiger Pantoffelheld«, sagte sie neckisch, und damit traf sie ihn an einer empfindlichen Stelle, denn dies ging gegen seinen Stolz.

»Das ist lächerlich. Wenn man verheiratet ist, möchte man doch keine Differenzen haben, die völlig überflüssig sind.«

»Nun werde doch nicht gleich gereizt, Wolf«, besänftigte sie ihn scheinheilig. »Ich halte dich ja nicht hier fest.«

Sie konnte ruhig sein. Sie hielt einen guten Trumpf in der Hand, von dem er nicht die leiseste Ahnung hatte.

Er schalt sich aller misstrauischen Gedanken, als sie gar keinen Versuch mehr machte, ihn länger aufzuhalten. Elke war wirklich reizend und nur eine gute Freundin. Sicher hatte er manche Bemerkungen nur missverstanden.

Er war auch nicht misstrauisch, als sein Wagen nicht anspringen wollte. Er wurde jetzt nur in Erregung versetzt.

»Zum Teufel, was kann denn das sein. Er war doch erst in der Inspektion.«

Das wusste Elke, denn er hatte es ihr beim ersten Wiedersehen gesagt, weil er da mit dem Taxi heimfahren musste.

»Gerade da wird viel versiebt«, sagte sie. »Alles muss schnell gehen, damit sie viel Geld scheffeln können.«

»Aber meine Werkstatt ist sehr zuverlässig, und der Wagen ist doch auch bestens gelaufen. Was mache ich jetzt nur?«

Er raufte sich das Haar, denn in technischen Dingen war der Künstler total hilflos. Er hatte nicht die geringste Ahnung, dass man einen Wagen mit einem kleinen Handgriff außer Betrieb setzen konnte, und da Elke sich bestens auf diesen Abend vorbereitet hatte, war sie genau informiert gewesen, wie man das machen musste.

»Wir rufen ein Taxi«, sagte sie.

»Aber wenn ich ohne Wagen heimkomme, wird Angela fragen, wo er steht. Weißt du, sie macht ja alles. Ohne sie bin ich aufgeschmissen.«

»Ja, dann weiß ich auch nicht, was wir machen sollen«, sagte sie spöttisch. »Du hast ja förmlich Angst vor deiner Frau. Warst du denn noch nie eine Nacht weg?«

»Nein, wozu auch? Ich bin oft genug auf Reisen, und wenn ich hier bin, möchte ich auch möglichst viel daheim sein.«

»Dann kann ich mir ja direkt etwas darauf einbilden, dass du mir eine kurze Stunde gewidmet hast«, sagte sie.

»Ja, darauf könntest du dir etwas einbilden, aber bei alten Freunden mache ich gern eine Ausnahme. Ich muss Angela anrufen.«

»Um ihr zu sagen, dass du bei mir bist? Soll sie dich hier abholen? Ich kann dich ja leider nicht heimbringen, weil mein Wagen auch in der Reparatur ist.«

»Was mache ich nur?«, stöhnte er wieder.

»Jetzt trinkst du erst noch einen Schluck Wein zur Beruhigung«, sagte sie. »Ich versuche indessen ein Taxi zu bekommen, und ich werde Angela erklären, wie das gekommen ist. Du sagst doch, dass sie nicht spießig ist, also wird sie auch Verständnis haben.«

*

Erst fünf Uhr, dachte Angela niedergeschlagen. Da kann ich doch Babsi noch nicht aus dem Bett holen. In ihr war trostlose Leere, als sie auf das unbenutzte Bett ihres Mannes blickte.

Aber wenn sie noch lange grübelte, wurde sie noch müder und dann schlief sie womöglich doch noch ein.

Sie ging in das Kinderzimmer und setzte sich an Babsis Bett. Tränen stiegen ihr in die Augen, als sie die kleine Hand ergriff. Sie würgte sie hinunter.

»Babsilein, aufstehen, wir wollen fahren«, flüsterte sie.

Das Kind rieb sich die Augen. »Ist ja noch dunkel, Mami«, sagte sie.

»Es wird gleich hell sein, die Sonne geht schon auf«, sagte Angela. »Dann sind wir früh bei Opa.«

»Und was sagt Papi?«, fragte Babsi.

»Papi musste heute Nacht ganz

plötzlich verreisen, Liebling«, sagte Angela.

»Ohne mir zum Abschied einen Kuss zu geben?«, fragte die Kleine enttäuscht. »Das hat er doch noch nie gemacht.«

Und wenn er jetzt zur Tür hereinkommt, werde ich ihm ins Gesicht sagen, dass ich seinetwegen das Kind belügen musste. Wenn er schon nicht mehr an mich denkt, dürfte er doch Babsi nicht vergessen. Was musste diese Frau für eine Macht über ihn gewonnen haben!

So viel ging ihr durch den Sinn, während sie die schlaftrunkene Babsi ankleidete.

»Rede doch ein bisschen, Mami, sonst schlafe ich gleich wieder ein«, sagte Babsi.

Endlich standen sie dann mit den Koffern doch vor der Doppelgarage, in der nur Angelas Volkswagen stand.

»Ist Papi denn mit dem Auto gefahren?«, fragte Babsi. »Das macht er doch sonst nicht.«

»Es hat sich so ergeben«, erwiderte Angela. »Er nimmt jemanden mit.«

»Onkel Kurt und Herr Buchmann?«, fragte Babsi.

Mit denen spielte Wolfgang oft Trio, und da sie auch oft zu Hause probten, kannte Babsi die beiden ziemlich gut.

Um das Kind zu beruhigen, sagte Angela ja.

»Da werden sie wieder viel Blödsinn machen und schöne Geschichten erzählen«, sagte Babsi.

Dein Vater macht einen ganz anderen Blödsinn, dachte Angela, und das ist gar keine schöne Geschichte, dachte Angela sarkastisch.

*

Als Wolfgang erwachte, wusste er nicht, wo er war. Das Zimmer war dunkel, er selbst war benommen. Seine Hand tastete sich zur linken Seite, wie sie es immer tat, wenn er erwachte, und es war immer ein herrliches Gefühl, wenn er Angelas kühle glatte Haut berührte.

Auch jetzt berührte er Haut, dann seidigen Stoff.

Das war etwas Fremdes. Er richtete sich langsam auf und rieb sich die Augen. Er gewöhnte sich langsam an das Dämmerlicht und den fremden Raum, aber noch immer kam ihm keine Erinnerung. Doch dann erkannte er plötzlich Elkes schlafendes Gesicht, und er sprang abrupt auf.

»Zum Donnerwetter, was soll das bedeuten?«, schrie er.

Selbst Elke, die gewohnt war, lange zu schlafen, wurde aufgeschreckt.

»Schrei doch nicht so«, sagte sie. »Schlaf noch. Ich bin müde.«

»Bin ich denn wahnsinnig?«, fragte er. »Wie komme ich hierher?«

»Du hast mich heimgebracht, wir haben ein Gläschen Wein getrunken, und du bist hier geblieben, weil dein Wagen nicht mehr ansprang.«

Er starrte sie an. Inzwischen hatte er den Lichtschalter gefunden, und helles Licht durchflutete den Raum.

»Das Licht blendet mich«, murrte Elke. »Sei doch rücksichtsvoller.«

Er sank in einen Sessel und stützte den Kopf in die Hände. Sein Schädel brummte zum Gotterbarmen, und so sehr er ihn auch zermarterte, fand er keine Erinnerung.

»Wolfi, sei doch lieb«, sagte Elke. »Ich bin so glücklich, dass du bei mir bist.«

Er war kein Held, der Konzertmeister Wolfgang Rösch. Er war versponnen in seiner Musik und sehr zufrieden mit seinem Leben. Das war mit einem Schlage ins Wanken geraten.

»Ich werde dir alles erklären, Wolfi«, sagte Elke schmeichelnd.

»Nenne mich nicht Wolfi, das ist albern«, knurrte er. »Ich möchte wissen, was passiert ist.«

»Ist das so schwer zu verstehen?«, fragte sie hintergründig. »Der Wein war vielleicht ein bisschen schwer. Ich spüre es auch, aber ist es denn so schlimm, dass wir beisammen sind?«

»Du bist verrückt! – Ich bin verrückt, dass ich so viel trinken konnte«, stöhnte er. »Ich kann nichts vertragen. Angela weiß das.«

»Führ dich nicht so auf. Du wärest doch nicht der erste Mann, der mal bei einer anderen Frau schläft«, sagte sie.

»Hör auf, dazu habe ich keinen Grund und danach auch kein Verlangen, und solch Getue kann ich schon gar nicht leiden. Ich will nach Hause. Ich verstehe nicht – aber das ist jetzt egal. Ich will meine Frau nicht verlieren, hörst du?«

»Du redest ja laut genug. Geh doch, ich halte dich nicht«, sagte sie.

Allmächtiger, wie soll ich das nur Angela erklären, ging es ihm durch den Sinn. Dann griff er nach seinem Frack und zog ihn über. Lächerlich nahm sich dieser Aufzug im Morgengrauen aus. Schließlich war nicht Faschingszeit, sondern September.

Er griff an den Hals. Die Frackschleife hatte er noch um, sie war nur aufgebunden. Er kniff die Augen zusammen und starrte auf Elke herunter, die ihm den Rücken zuwandte.

»Das hast du fein eingefädelt«, sagte er zornig. »Jetzt durchschaue ich dich. Aber eins lass dir gesagt sein: Ich kenne mich. Wenn ich nur einen Schluck Alkohol zu viel getrunken habe, schlafe ich tief und fest, und dann würde mich die schönste Frau der Welt nicht munter bekommen, nicht mal meine Frau.«

»Sag nur, dass sie schön ist«, zischte Elke wütend.

»Für mich ist sie schön, und am Morgen sieht sie frisch und munter aus und nicht wie ein Clown. Ein Gutes hat es vielleicht. Ich weiß jetzt wieder, was ich an meiner Frau habe.«

»Hoffentlich«, sagte Elke höhnisch.

Wolfgang wankte zum Telefon. Irgendwie kam ihm jetzt doch eine Erinnerung. Sein Wagen war nicht angesprungen und Elke hatte ein Taxi rufen wollen. Hatte sie das wirklich getan? Es war kein Taxi gekommen, und dann musste er plötzlich eingeschlafen sein. Er trank selten Wein, aber bei besonderen Gelegenheiten kam er nicht umhin, und es war immer das Gleiche, während die andern fröhlicher wurden, schlief er ein. Angela hatte dann ihre liebe Not mit ihm.

Er wollte darüber mit Elke nicht debattieren. Er hatte jetzt andere Sorgen.

Endlich fand er im Telefonbuch die Nummer vom Taxistand. Seine Hand zitterte, als er sie wählte. Wenn sie heute Probe hätten, würde er schön versagen, ging es ihm flüchtig durch den Sinn, aber das, was ihm nun bevorstand, war weit schlimmer als ein Versagen auf der Probe. Er ahnte noch nicht, wie schlimm es für ihn sein würde.

Er ging schwankend ins Freie, ohne noch ein Wort an Elke zu richten. Das Taxi kam. Der Chauffeur zwinkerte anzüglich.

»War wohl mal wieder eine Party?«, fragte er unverblümt.

»Kommen Sie öfter hierher?«, fragte Wolfgang gedankenlos.

»Kann man wohl sagen. Bin ja immer der Erste am Stand. Na, ich will nichts gesagt haben. Wohin möchte der Herr?«

Wolfgang nannte die Adresse und blickte dabei auf die Uhr am Armaturenbrett. Wenn er Glück hatte, würde er wenigstens ungesehen ins Haus gelangen. Unentwegt überlegte er, was er Angela sagen sollte, um dann zwanzig Minuten später herauszufinden, dass er keine Erklärung mehr zu geben brauchte. Die Wohnung war leer. Angela und Babsi waren nicht da. Er war wie gelähmt. Dann sah er den Zettel auf dem Tisch.

Bin mit Babsi zu meinem Vater gefahren. Du wirst von meinem Anwalt hören. Amüsiere Dich gut mit Deiner Elke.

Nicht mal ihren Namen hatte sie daruntergesetzt. Es war nicht ein Schlag, es waren tausend Schläge, die diese Worte ihm versetzten. Und es dauerte lange, bis er fähig war, sich auszukleiden, und sich unter die Dusche zu stellen, damit sein Kopf endlich wieder klar würde.

Von Angelas Anwalt würde er hören! Herrgott, sie konnte doch nicht einfach die Scheidung einreichen. Sie konnte ihm doch nicht das Kind wegnehmen!

Dieses fatale Missverständnis musste schnellstens aus dem Wege geräumt werden. Sobald sein Wagen wieder in Ordnung war, würde er ihr nachfahren. Er musste es. Übermorgen begann die Tournee durch die Schweiz und Italien.

Er hatte sich rasiert und angekleidet. Er verspürte einen wahnsinnigen Durst, war aber nicht fähig, sich selbst ein paar Tassen Kaffee aufzubrühen.

Er lief bis zum Taxistand und ließ sich ein Stück in die Stadt fahren. Dort ging er erst in ein kleines Café, denn trotz allen Kummers hatte er Hunger. Vor dem Konzert aß er nie, und Elke hatte ihm nichts angeboten. Daheim hatte bestimmt das Essen gewartet, das er nach so anstrengenden Stunden mochte. Kaltes Roastbeef, Schinkentoast, Käse.

Jetzt trank er einen ziemlich dünnen Kaffee, aber der löschte wenigstens den Durst. Er aß ein Brötchen, aber das quoll ihm im Munde, weil er unentwegt an Angela denken musste. Wann waren sie denn nur schon weggefahren? Es war doch kaum später als sechs Uhr gewesen, als er heimkam. Hatte Babsi denn nicht nach ihm gefragt? Was mochte Angela ihr gesagt haben. Und was würde nun sein Schwiegervater sagen?

Vor Eberhard Jäger hatte Wolfgang Respekt, allerdings im guten Sinne des Wortes. Er schätzte den klugen, besonnenen Mann überaus, aber er wusste auch, dass er sich gegen ihn stellen würde, wenn er seine Tochter ungerecht behandelt wusste.

Es kam darauf an, was Angela ihrem Vater sagen würde, aber insgeheim hatte Wolfgang die Hoffnung, dass Eberhard Jäger ihn noch eher anhören würde als Angela, die sich in hochgradiger Erregung befunden haben musste. Das konnte er ihren Schriftzügen entnehmen, die sonst so klar waren wie sie selbst.

Hoffentlich fuhr sie wenigstens vorsichtig. Die Vorstellung, dass ihr und dem Kind noch etwas Böses geschehen könnte, raubte ihm den Atem.

Er sprang auf und warf einen Geldschein auf den Tisch. Die Bedienung lief ihm mit dem Wechselgeld nach. Achtlos steckte er es dann in die Tasche, nahm sich wieder ein Taxi und ließ sich zu Elkes Haus bringen. Die Jalousien waren noch herabgelassen. Sein Wagen stand dort, wo er ihn abgestellt hatte. Wieso war er nicht angesprungen, fragte er sich wieder.

Er kramte in seiner Tasche nach dem Schlüsselbund. Er schloss den Wagen immer ab, aber diesmal musste er es vergessen haben. Nun, wegfahren konnte ihn sowieso niemand, darüber brauchte er sich keine Gedanken zu machen. Aber er setzte sich doch ans Steuer und steckte den Zündschlüssel ein. Er drehte ihn um, und der Wagen sprang auf Anhieb an.

Das gibt es doch nicht, dachte er verblüfft, ich war doch ganz nüchtern, bevor ich das Haus betreten habe. Aber dann hatte er getrunken, und dieser Wein musste ihm höllisch ins Blut gegangen sein. Wußte Elke von dieser Wirkung? Natürlich musste sie es wissen. Jetzt war er erst recht in der richtigen zornigen Stimmung, ihr gegenüberzutreten und ihr die Meinung zu sagen.

Er läutete. Sie öffnete selbst in einem verführerischen Negligé und mit rosig überhauchtem Gesicht.

»Ich wusste doch, dass du wiederkommen würdest, mein Lieber«, säuselte sie.

Er dachte an das verschmierte Gesicht von heute Morgen, und ihm wurde fast übel vor Ekel.

»Ich muss schließlich meinen Wagen holen, und dann habe ich dir noch einiges zu sagen, Elke«, stieß er hervor. »Angela ist mit Babsi zu ihrem Vater gefahren.«

In ihren Augen leuchtete es triumphierend, aber sie senkte schnell die Lider und setzte eine bekümmerte Miene auf.

»Das verstehe ich nicht«, sagte sie. »Wie kann sie nur so unüberlegt sein? Komm herein, lass uns darüber reden, Wolf. Ich werde diese Geschichte selbstverständlich in Ordnung bringen. Das habe ich doch nicht gewollt.«

»Jedenfalls hat sie mir empfohlen, mich mit dir zu amüsieren. Also ahnt sie etwas.« Er sagte es heftig.

»Wolltest du dich denn mit mir amüsieren?«, fragte Elke spöttisch.

»Nein, bei Gott nicht.«

»Na, also, sie ist eifersüchtig. Das beweist, dass sie kein Vertrauen zu dir hat. Wer weiß, wie lange das schon in ihr schwelt. Du wirst ihr schon manches Mal Grund zur Eifersucht gegeben haben.«

»Nein, zum Donnerwetter«, sagte er. »Du bist der Grund, nur du.«

Sie sah ihn an. »Soll ich mir darauf etwas einbilden? Es ist immerhin ganz hübsch, wenn einem zugetraut wird, die einzige Frau zu sein, die Wolfgang Rösch gefährlich werden kann.«

Sie fühlte sich jetzt im Vorteil, da er noch immer sehr erregt war. Sie zeigte sich der Situation gewachsen und wollte dies ausnutzen.

»Du wirst mir nicht gefährlich«, knurrte er, ohne sie anzusehen.

»Okay, Wolf, lass uns ruhig reden«, sagte sie. »Ich würde es sehr bedauern, wenn Angela so dumm wäre, ihren Mann kampflos einer anderen zu überlassen.«

»Sie ist nicht dumm. Sie ist sehr gescheit, und spießig ist sie auch nicht. Ich möchte wissen, was du ihr erzählt hast.«

»Bitte, nicht solche Unterstellungen«, sagte sie arrogant. »Ich war zum Kaffeeklatsch bei euch, und du warst dabei. Im Übrigen hatte ich kein Verlangen, mit deiner Frau zu reden. Wir haben nichts gemeinsam.«

»Nein, das habt ihr nicht«, sagte Wolfgang voll dankbarer Überzeugung.

»Jedenfalls teile ich deine Interessen, Wolf. Du bist ein Künstler. Du kannst dich doch nicht mit Kleinkrämerei abgeben. Wenn sie dir davonläuft, stellt sie sich doch nur selber ein Armutszeugnis aus. Oder du dir, wenn du ihr jetzt nachläufst und sie auf den Knien anflehst, zu dir zurückzukehren.«

»Das ist meine Sache. Übermorgen gehen wir auf Tournee. Meinst du, ich könnte spielen, wenn zwischen uns nicht alles in Ordnung ist?«

Elke hatte sich das alles ein bisschen anders vorgestellt. Sie hatte sich vorgenommen, ihm nachzureisen und gemeint, dass er sich darüber freuen würde. Ja, sie hatte sich schon den Verlauf dieser Nacht ganz anders vorgestellt! Aber das war nun nicht mehr zu ändern, jetzt musste sie noch das Bestmögliche für sich aus der Situation machen. Sie musste vor allem herausbekommen, wo Angelas Vater wohnte.

»Nun sind wir aber wirklich vernünftig«, begann sie erneut. »Ich möchte keinesfalls, dass du dir Sorgen um Angela machen musst, wenn du auf Tournee gehst. Wohnt ihr Vater denn weit entfernt? Kannst du nicht mal anrufen?«

»Das überlege ich mir. Ich könnte auch hinfahren. Hohenborn ist nicht weit«, sagte er mehr zu sich selbst. »Zweihundert Kilometer etwa, und Erlenried ist nur einen Katzensprung entfernt.«

Nun wusste sie bereits genug. Wie arglos doch der gute Wolfgang war! Eigentlich tat er ihr fast ein wenig leid, aber dass er sie heute Morgen mit so verächtlichen Worten bedacht hatte, verlangte nach Rache. So wenig ihr es gefiel, so hatte sie doch begriffen, dass sie ihn verloren hatte, bevor sie ihn ganz gewinnen konnte. Und das kränkte ihre Eitelkeit maßlos.

»Also dann fährst du hin, sprichst mit ihr und sagst ihr, dass ich nur freundschaftliche Gefühle für dich hege. Wenn das auch nicht ganz stimmt, so werde ich meine Gefühle für dich künftig zu beherrschen wissen, Wolf. Es ist alles ein bisschen anders geworden, aber welcher Mensch macht keine Fehler im Überschwang seiner Gefühle. Es wäre ja alles nicht so gekommen, wenn dein Wagen angesprungen wäre.«

»Jetzt springt er wieder an!«, sagte er. »Ich habe es probiert.«

»Was du nicht sagst!«, erklärte sie mit gutgespieltem Erstaunen. »Vielleicht warst du nur nervös. Manche Wagen haben ihre Mucken.«

*

Angela starrte auf die Straße. Mit aller Gewalt musste sie sich konzentrieren. Babsi war auf dem Rücksitz wieder eingeschlafen. Sie war sehr zart und brauchte viel Schlaf. Sie wurde auch schnell einmal krank. Gerade deswegen und weil Wolfgang sich dann immer so aufregte, wollte Angela das Kind nie allein in der Wohnung lassen.

Anfangs hatte sie in Erwägung gezogen, ein Hausmädchen zu engagieren, damit immer jemand da wäre, aber Wolfgang mochte nicht ständig einen fremden Menschen um sich haben.

Angela hatte in jeder Beziehung Rücksicht auf ihren Mann genommen. Vielleicht zu viel? Nur flüchtig kam ihr dieser Gedanke und wurde gleich wieder verdrängt, denn Hohenborn lag vor ihr. Nun hatte sie ihren Vater doch nicht benachrichtigt. Wenn er nun gar nicht da war? Er unternahm oft Tagesausflüge. In seinem letzten Brief hatte er ihr geschrieben, dass Tante Gretel, seine Schwester zu ihrem verheirateten Sohn nach Berlin geflogen war, da seine Frau ein Baby erwartete. Es schien ihm nicht mal unwillkommen zu sein, seinen Tageslauf nach eigenem Ermessen einzuteilen.

Kurz entschlossen hielt Angela bei einer Telefonzelle an. Die Nummer ihres Vaters hatte sie im Kopf. Durch die Glasscheibe beobachtete sie den Wagen, in dem Babsi noch immer schlief. Das Freizeichen tönte in ihr Ohr, doch sie musste geraume Zeit warten, wobei ihr Herz schon tief sank, bis sich die Stimme ihres Vaters meldete.

»Angela, Kind«, tönte es dann erstaunt an ihr Ohr, »deine Stimme klingt aber nahe.«

»Ich bin auch schon ganz nahe, Paps«, sagte sie stockend. »Ich wollte dich nur vorbereiten, dass ich mit Babsi komme. Wir sind schon in Hohenborn.«

»Na, das ist aber eine Freude«,rief er aus. Er schien ohne Argwohn. Angela war ein wenig erleichtert.

Als Eberhard Jäger aber den Hörer aufgelegt hatte, runzelte er die Stirn. Wieso kam Angela so überraschend? Warum hatte sie ihn nicht gestern angerufen?

Er ging rasch ins Bad, um sich die Hände zu waschen. Er hatte im Garten gearbeitet.

Er räumte auch rasch noch ein bisschen das Wohnzimmer auf. Die Zugehfrau kam nur zweimal wöchentlich. Für sich selbst nahm er es nicht so genau mit der Ordnung. Seine Schwester Gretel war ihm fast ein wenig zu pingelig.

Eberhard Jäger war ein hochgewachsener jugendlich wirkender Mann, dem man seine fünfundsechzig Jahre nicht glauben konnte. Er hatte immer viel Sport getrieben, und war durchaus nicht der asketische Typ des Wissenschaftlers. Ein Lächeln ging über sein frisches Gesicht, als er ein Auto nahen hörte. Schnell ging er hinaus, und da flog ihm Angela auch schon an die Brust.

»Paps, lieber Paps«, flüsterte sie.

Hoppla, da ist doch was passiert, dachte er sofort. Aber Babsis Stimmchen tönte nun aus dem Wagen. »Opali, Opali.«

Er eilte zu ihr, nahm sie in die Arme und drückte sie zärtlich an sich.

»Mein kleiner Liebling besucht mich«, sagte er freudig. »Das ist die schönste Überraschung, die ihr mir bereiten konntet.«

Angela sollte nicht merken, dass sich in die Freude auch etwas Sorge mischte, denn ihr blasses, übernächtigtes Gesicht verriet mehr, als ihr lieb sein mochte.

»Jetzt werden wir uns erst mal ein leckeres Frühstück machen«, sagte er.

Babsi war nun putzmunter. Sie wich nicht von seiner Seite.

»Wie kommst du denn allein zurecht, Paps?«, fragte Angela.

»Bestens«, erwiderte er. »Gretel ist ja eine gute Seele, aber sie redet zu viel.«

»Ich möchte aber auch mit dir reden, Opali«, sagte Babsi.

»Das ist etwas anderes. Tante Gretels Themen kenn ich schon in- und auswendig. Euch sehe ich ja so selten. Hoffentlich bleibt ihr nicht nur ein paar Tage.«

»Nein, wir bleiben länger, wenn es dir recht ist«, sagte Angela. »Wolfgang ist für längere Zeit auf Konzertreise.«

»Ganz plötzlich und nicht mal Wiedersehen hat er mir gesagt. Wie findest du das, Opa?«

»Da hast du sicher noch geschlafen«, meinte Eberhard Jäger aufs Geratewohl. »Und du hast wohl wieder mal nachts Koffer gepackt, Angi? Du siehst müde aus. Leg dich ein bisschen nieder.«

Bleischwer waren ihre Glieder, sie war froh, sich ausstrecken zu können. Ihr Kopf schmerzte, der Rücken auch, und die Tränen saßen ihr schon wieder in der Kehle.

»Ich gehe schon ein bisschen in deinen schönen Garten«, sagte Babsi. »Darf ich doch?«

»Du darfst. Ich komme gleich nach«, sagte ihr Opa zärtlich. Er fühlte, dass Angela ihm etwas sagen wollte.

»Bitte, stell mir keine Fragen jetzt, Paps«, sagte sie mit müder Stimme. »Aber wenn Wolfgang anrufen sollte, gebrauche irgendeine Ausrede. Ich erkläre es dir dann später. Babsi braucht es nicht zu hören.«

Also war seine Ahnung richtig gewesen. Bekümmert blickte er seiner Tochter nach.

Babsi war unbekümmert. Sie war glücklich, bei ihrem Opa zu sein. Sie freute sich, dass er einen so schönen Garten hatte und so ein hübsches Haus. Sie plauderte munter drauflos.

»Wohin ist Papi denn diesmal gefahren?«, fragte Eberhard Jäger vorsichtig.

»Nach Italien und in die Schweiz«, berichtete Babsi. »Eigentlich wollte er aber erst übermorgen fahren. Weiß nicht, was da wieder dazwischengekommen ist.«

Ja, was wohl, überlegte Eberhard Jäger. Er verstand sich mit seinem Schwiegersohn ganz gut, aber in einer Konfliktsituation hätte er leidenschaftlich die Partei seiner Tochter ergriffen. Allerdings war er ein besonnener Mann, der alles durchdachte, bevor er eine Entscheidung traf. Und so war Angela eigentlich auch. Es musste schon besondere Gründe haben, dass sie überstürzt das Feld geräumt hatte.

Er lauschte, ob das Telefon läutete, das er leise gestellt hatte, damit Angela nicht gestört wurde, aber er hörte nichts.

Gegen ein Uhr erwachte Angela. Sie hatte von Wolfgang geträumt, Er hatte etwas zu ihr gesagt, was sie emporschreckte. Mit dem Erwachen hatte sie es jedoch vergessen, und nun kam ihr plötzlich der Gedanke, dass er gar nicht anrufen, sondern kommen würde.

Aber sie wollte ihn jetzt nicht sehen. Sie wollte Abstand gewinnen, innerlich wieder zur Ruhe kommen.

Sie nahm ein Bad und kleidete sich an. Ihr Vater und Babsi saßen auf der Terrasse.

»Bist ja schon wieder munter, Mami«, sagte Babsi.

Angela zwang ein Lächeln um ihre Lippen. »Ich habe Hunger«, sagte sie. »Wie wäre es, wenn wir irgendwohin zum Essen fahren würden?«

»Wir könnten in den Gasthof Seeblick gehen«, schlug ihr Vater vor. »Das ist ganz nahe.«

»Ich würde eigentlich lieber ein bisschen weiter wegfahren«, sagte sie gepresst.

Er warf ihr einen nachdenklichen Blick zu. »Dann fahren wir zum Forsthaus Gutenbrunn. Das liegt direkt im Wald und wird Babsi Spaß machen. Da gibt es ein Rehlein.«

»Ein lebendiges?«, fragte Babsi.

Er nickte. »Wir nehmen aber meinen Wagen, der ist bequemer.«

»Mir wäre es lieber, wenn wir mit meinem fahren würden«, sagte Angela schnell.

»Ach was, du bist für heute genug gefahren. Deinen Wagen stellen wir in die Garage.« Er ahnte schon, dass Angela die Befürchtung hegte, Wolfgang könnte kommen, und anscheinend wollte sie ihm nicht begegnen, und alles vermeiden, was auf ihre Anwesenheit hindeuten könnte.

Sie drängte voller Unruhe zum Aufbruch. Babsi sah sie ganz verwundert an. »Du musst aber mächtigen Hunger haben, Mami«, sagte sie.

Davon war allerdings nichts zu merken, als sie nach halbstündiger Fahrt das hübsch gelegene Forsthaus erreicht hatten und ihnen dort ein delikates Wildgericht serviert wurde.

»Schmeckt es dir nicht, Mami?«, fragte Babsi. »Es ist doch so gut, und du hattest solchen Hunger.«

Angela quälte sich ein paar Bissen hinunter. Zu hastig trank sie dann den Wein. In jeder Bewegung war ihre Nervosität zu spüren.

Babsi verzehrte mit gutem Appetit auch noch den Nachtisch. Angela hatte sich eine Tasse Mokka bestellt.

»Darf ich jetzt zu dem Rehlein gehen?«, fragte Babsi.

»Aber nicht weglaufen«, wurde sie von ihrem Opa ermahnt.

»Mach’ ich doch nicht! Ich kenne mich hier doch gar nicht aus«, erklärte sie.

»Wie verständig sie schon ist«, bemerkte Eberhard Jäger.

»Sie ist ein Stadtkind«, sagte Angela. »Für sie wäre es besser, wenn wir auch ein Haus mit Garten hätten.«

»Und warum entschließt ihr euch nicht dazu?«

»Wolfgang ist so viel auf Reisen. Er macht sich immer Sorgen«, sie unterbrach sich, »er machte sich früher Sorgen, muss ich wohl sagen. Er meinte, in einem Mietshaus wären wir sicherer.«

»Und jetzt meint er es nicht mehr?«, fragte ihr Vater behutsam.

»Es hat sich manches geändert, Paps«, sagte Angela leise. »Ich lasse mich scheiden.«

»Na, na, so schnell schießen die Preußen nicht«, sagte er. »Was ist denn los, Kind?«

»Seine Jugendliebe ist aufgetaucht. Früh verwitwet, aber eine recht lustige Witwe«, sagte sie bitter. »Wolfgang war voller Mitgefühl. Er hat sich einwickeln lassen von ihr.«

»Bist du sicher?«

»Natürlich. Er ist heute Nacht nicht nach Hause gekommen.«

»Er kann doch auch mal mit Kollegen versumpft sein. Welchem Mann passiert das nicht mal.«

»Nein, das hat er nie gemacht, aber diese Intrigantin hat es innerhalb kürzester Zeit fertig gebracht, ihn umzukrempeln.« Tränen standen wieder in ihren Augen. »Soll er mit ihr glücklich werden.«

»Das meinst du doch nicht ernst, Kleines«, sagte Eberhard Jäger. »Mir brauchst du nichts vorzuspielen. Ich weiß genau, wie dir jetzt ums Herz ist.«

»Was soll ich denn machen, Paps?«, fragte sie kläglich.

»Erst einmal ruhiger werden. Ich verstehe, dass du die Sachen gepackt hast, aber nach einer fast siebenjährigen Ehe gibt man doch dem Partner eine Chance. Es sei denn, dass du innerlich schon sehr weit entfernt von ihm bist, aber das glaube ich nicht.«

Angela schwieg. Sie starrte auf ihren Ringfinger, an dem der schmale Trauring steckte. Sie hatten sich auf Wolfgangs besonderen Wunsch für schmale Ringe entschieden, weil ein breiter ihn beim Spielen gestört hätte. Ich will ihn doch nicht abstreifen, Angela, hatte er damals gesagt.

Ob er ihn nun doch abgestreift hatte?

»Ich habe das Gefühl, dass Wolfgang kommen wird«, sagte Angela nun. »Vor dir hat er einen höllischen Respekt, und er wird bestimmt versuchen, alles zu bagatellisieren.«

»Nimmst du es nicht auch ernster, als es sein mag, mein Kind?«

»Willst du ihn verteidigen, Paps?«, fragte Angela leise.

»Nein, ich will gerecht sein. Ich denke auch an Babsi. Sie liebt ihren Papi, und er liebt sie. Gewiss nähme ich es ihm verdammt übel, wenn er dich betrügt, aber auch so was kann ein Ausrutscher sein, den man später bitter bereut. Ich möchte nicht wissen, wie viel Männer schon auf Abwegen waren, ohne dass ihre Frauen es merkten, und die Ehen blieben erhalten. Hat er sich denn geäußert, dass er die Trennung von dir wünscht?«

»Natürlich nicht, Paps. So mutig ist er nicht. Man müsste sich doch um die arme Elke ein bisschen kümmern, hat er gesagt. Freundinnen sollten wir werden.« Sie lachte bitter auf. »Ich habe sie gleich durchschaut. Ich habe nur gedacht, er würde selbst dahinterkommen, was sie für Absichten hat, aber anscheinend gefallen ihm diese Absichten.«

»Ist es denn eine solch verführerische Schönheit?«, fragte Eberhard Jäger.

»Schönheit? Darüber kann man geteilter Meinung sein. Verführerisch, na ja, Männer sehen das wohl anders. Mir geht jetzt so vieles durch den Sinn. Wolfgang war so viel unterwegs. Vielleicht hatte er da auch schon Abenteuer, und ich bin noch immer so naiv, dass ich daran nie dachte. Man darf sich seines Mannes nie zu sicher sein, hat Joana immer gesagt. Ich glaube, sie traut ihrem Franco heute noch nicht.«

»Aber verheiratet sind sie noch immer.«

»Und wie! Sie würde Franco und einer etwaigen Nebenbuhlerin die Augen auskratzen. Sie hat ein anderes Temperament als ich, Paps.«

»Nun, man braucht ja nicht gleich einem anderen die Augen auszukratzen, Angi, aber kapitulieren würde ich auch nicht. Was meinst du, wie sich diese Dame dann erst recht freut, wenn sie eine Intrigantin ist.«

Mami Jubiläum 9 – Familienroman

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