Читать книгу Dr. Norden Bestseller 344 – Arztroman - Patricia Vandenberg - Страница 3

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Dr. Dieter Behnisch zuckte erschrocken zusammen, als die Tür zu seinem Arbeitszimmer plötzlich aufging. Sein Kopf ruckte empor, und sein Blick schien aus Weltenferne zurückzukehren.

»Pardon, Doc«, sagte eine tiefe Männerstimme, »aber da ist Frau Dr. Ruhland, die Sie sprechen möchte.«

Dr. Nicolas Hastings, seit ein paar Wochen als Arzt auf Zeit an der Behnisch-Klinik, sprach ein gutes Deutsch, aber man hörte den gebürtigen Engländer heraus.

»Frau Dr. Ruhland?« wiederholte Dr. Behnisch fragend. »Verwandt mit dem Patienten Ruhland?«

»Das hat sie mir nicht gesagt. Sie ist sehr reserviert und möchte nur Sie sprechen.«

»Ja, dann muß ich sie wohl empfangen.«

»Sie ist eine Kollegin«, sagte Nicolas mit seinem charmanten Lächeln, bei dem alle Krankenschwestern dahinflossen.

Aber es war nur das Lächeln, das ihm angeboren war und das er nicht unter Kontrolle bekam. Er war ein durch und durch ernster Mann, und ein sehr guter Arzt, wie Dr. Behnisch sehr zufrieden und sogar beglückt feststellen konnte. Er hatte allerdings auch eine ganz besondere Beziehung zu Nicolas.

»Wir sprechen uns nachher noch«, sagte Dieter Behnisch, »schauen Sie mal nach meiner Frau, Nick.«

»Sofort«, kam die schnelle Erwiderung.

Jenny Behnisch war von einer Virusgrippe gepackt worden, und um sie machte sich Dieter Behnisch die größten Sorgen. Er machte sich auch bittere Vorwürfe, daß Jenny einfach überfordert war.

An sich selber dachte er nicht, denn er war genauso im Streß. Allerdings nahm ihm Nicolas jetzt viel ab.

Ja, er war ein Glücksfall in größter Not. Und nun trat Dr. Beatrice Ruhland ein, etwas mehr als mittelgroß, schlank, Kurzhaarfrisur, die ihr aber ausnehmend gut stand, da sie ein sehr apartes, aber herbes Gesicht hatte, und hellwache graue Augen blickten Dr. Behnisch forschend an.

»Guten Tag, Frau Kollegin«, sagte Dr. Behnisch beeindruckt, »was kann ich für Sie tun?«

»Ich wurde benachrichtigt, daß mein Vater hier in der Klinik liegt«, erwiderte sie. »Ich bin aus Klagenfurt gekommen, um mich über seinen Zustand zu informieren.«

Dieter Behnisch war überrascht, aber er zeigte es nicht. Angehörige erkundigten sich eigentlich nicht in so sachlich-kühlem Ton nach dem Befinden eines Kranken, und in diesem Fall handelte es sich um die Tochter von Eberhard Ruhland, von der allerdings bisher nie die Rede gewesen war, immer nur von Irene, die aber auch nur höchst selten in der Klinik erschien, in der Eberhard Ruhland nun schon mehr als vier Wochen lag. Er litt an einer schweren Hepatitis, und Dr. Behnisch zweifelte daran, daß die wirklich intensive Behandlung auch Erfolg bringen könnte.

»Ja, es stimmt, Herr Ruhland ist seit viereinhalb Wochen hier Patient.«

»Und wie lautet die Diagnose?«

»Hepattis lupoide«, erwiderte er knapp.

Ihre Augen weiteten sich. »Mir brauchen Sie ja nichts zu erklären, aber anscheinend ist sich meine Mutter der Tragweite nicht bewußt.«

»Den Eindruck habe ich auch, aber da Frau Ruhland sehr labil ist, wage ich nicht, ihr eine genaue Erklärung zu geben.«

»Das ist auch nicht nötig. Meine Mutter versteht es doch nicht. Sie ist eine Beamtenfrau, sie weiß mit dem Haushaltsgeld umzugehen, ist überaus penibel und auch eine sehr gute Köchin, aber mit Krankheiten hat sie sich nie befaßt. Und plötzlich erinnert man sich, daß man eine Tochter und Schwester hat, die Ärztin ist. Herr Kollege, ich möchte Sie nicht im unklaren darüber lassen, daß ich schon Jahre keine Kontakte mehr zu meiner Familie habe. Meine Schwester Irene scheint nur zu ahnen, daß mein Vater sterben könnte, und so kam sie nicht umhin, sich auf den Wunsch meiner Mutter zu informieren. Wird er sterben?«

Dr. Behnisch war momentan sprachlos. Er hatte noch nie eine nahe Verwandte kennengelernt, die sich so knapp und kühl äußerte, aber irgendwie bewunderte er diese junge Kollegin, weil sie gar nicht den Versuch machte, anders zu erscheinen, als sie war und dachte. Er schätzte sie auf Mitte zwanzig dem Aussehen nach, aber da sie bereits eine praktizierende Ärztin war, wie aus dem weiteren Gespräch hervorging, mußte sie wohl doch schon älter sein.

Beatrice war siebenundzwanzig, aber sie hatte schon mit knapp fünfundzwanzig Jahren ihren Doktor gemacht, und sie praktizierte in Klagenfurt an einer Klinik.

Dieter Behnisch konnte mit ihr ganz offen sprechen. Sie bestand sogar darauf.

»Er tut mir leid«, sagte sie, »er wollte nie krank sein, nie einen Tag im Amt versäumen, aus purer Angst, dann nicht befördert zu werden, und nun, da sich der Herr Steuerrat auf die Pensionierung freuen könnte, kommt das. Ich habe meine Mutter nur kurz gesprochen, aber wenn sie sich noch weiterhin so in ihren Schmerz hineinsteigert, wird sie auch nicht mehr lange leben. Es ist jedoch ihr wie auch meiner Schwester peinlich, daß er so sehr danach verlangte, mich zu sehen. Diesen Wunsch kann ich ihm nicht versagen.«

Es waren klare Worte, und wenn sie auch kalt klangen, Dr. Behnisch hörte auch etwas anderes heraus. Dr. Beatrice Ruhland mußte gute Gründe haben, Distanz zu ihrer Familie zu halten, und vielleicht war ein Grund die vier Jahre ältere Schwester Irene. Dr. Behnisch hatte sie schon mehrmals hier angetroffen. Sie schlug die süßesten und schmerzlichsten Töne an. Bei ihr wirkte alles so falsch, wie es bei Beatrice aufrichtig klang. Welch ein Unterschied war zwischen diesen Schwestern. Irene eine schon welkende, verlebte Schönheit, zimperlich und darauf bedacht, Eindruck zu machen oder wenigstens Mitgefühl zu erregen, und im Gegensatz dazu diese selbstbewußte junge Ärztin, der es anscheinend gleichgültig war, was man von ihr dachte.

Er konnte jedoch zufrieden sein, so mit ihr sprechen zu können, ihr nicht erklären zu müssen, welch ein schmerzhaftes Ende dieses Leben nehmen würde.

Beatrice sah ihn nachdenklich an. »Sie dürfen nicht denken, daß ich meine Eltern negativ einschätze, Dr. Behnisch. Sie haben ihr Leben ehrbar und anständig gelebt, manchmal für sich selber zu sparsam und auch zu engherzig. Aber ich habe seit meinem zwölften Lebensjahr bei meiner Großmutter gelebt, die leider vor einem halben Jahr verstorben ist und die ich schmerzlich vermisse. Aber wozu erzähle ich das?«

»Ich bedanke mich für Ihr Vertrauen, Frau Kollegin«, sagte Dr. Behnisch. »Vielleicht können wir uns länger unterhalten, wenn Sie öfter kommen.«

»Ich weiß noch nicht, wie es sich ergibt. Aber darf ich jetzt meinen Vater sehen?«

»Gewiß. Schwester Rosi wird Sie zu ihm bringen. Erschrecken Sie bitte nicht, er hat sich in letzter Zeit sehr verändert.«

»Ich weiß, wie sich Patienten mit dieser Krankheit verändern. Ist er überhaupt noch ansprechbar?«

»Ja, erstaunlicherweise sogar verhältnismäßig klar, wenn auch nicht immer. Aber er hat noch sehr gute Zeiten.«

Beatrice lernte Schwester Rosi kennen, die noch jung, frisch und richtig lieb war. Und ihr gegenüber schlug Beatrice ganz andere Töne an, so daß Rosi später voller Begeisterung über die goldige Ärztin sprach.

Man möge gar nicht glauben, daß sie die Schwester von dieser arroganten Irene Ruhland sei.

»Die denkt doch wunder, was sie sei«, meinte sie abfällig.

Leise war indessen Beatrice in das Krankenzimmer getreten. Auf Zehenspitzen ging sie zum Bett und blickte auf das gelbliche, eingefallene Gesicht des Kranken.

»Vater«, sagte sie leise. Mühsam öffnete er die Augen. »Bea«, murmelte er, »du bist gekommen.«

»Ich wäre früher gekommen, wenn man mich benachrichtigt hätte«, erwiderte sie.

»Konntest du denn weg?«

»Ich habe meinen Urlaub genommen. Ich trete ohnehin eine neue Stellung an.«

»Wo?«

»Ich kann es mir noch aussuchen. Ich habe drei Angebote, aber ich lasse mir Zeit.«

»Kannst du dir das finanziell leisten?«

»Darüber brauchst du dir keine Gedanken zu machen.«

Er ist diesbezüglich noch genauso wie früher, dachte sie. Nur immer auf Nummer sicher gehen, bloß kein Risiko eingehen.

»Du hast ja wohl Großmutter beerbt«, sagte er stockend.

Guter Gott, es wird ihm doch nicht darum gehen, ging es ihr durch den Sinn, und sie wappnete sich schon mit Abwehr.

»Ja, ich habe sie beerbt. Wir haben ja auch zusammen gelebt.«

»Es ist gut so, Bea. Es ist ein gerechter Ausgleich. Ich habe nicht gewollt, daß es so kommt, daß du uns entfremdet wirst, glaube mir das. Marga war vernarrt in Irene. Sie hat so viel in sie hineingeheimnist, aber daran war wohl auch ihre Freundin schuld, diese Astrologin Babette. Erinnerst du dich an sie?«

»Flüchtig. Ich war ein Kind, als ich sie zuletzt sah«, erwiderte Beatrice geduldig. Er sollte nur reden, wenn es ihm danach war. Er konnte endlich reden, ohne daß die Mutter und Irene dabei waren.

»Irene hat es doch zu nichts gebracht. Nun ist auch ihre zweite Verlobung in die Brüche gegangen. Hast du schon mit ihr gesprochen?«

»Nein.«

»Du mußt ihre Sticheleien einfach überhören«, fuhr er fort, und sie merkte, daß ihm das Atmen schwer wurde.

»Du sollst nicht so viel reden, Vater, ich komme öfter.«

Sie hielt seine Hand, und ein Frösteln kroch durch ihren Körper, als sie die knochigen Finger umschloß.

»Ich weiß doch, daß ich nicht mehr viel Zeit habe«, murmelte er. »Irene wird Marga kein Halt sein. Würdest du darauf achten, daß sie ihr nicht alles wegnimmt? Marga kommt doch nicht gegen sie an.«

»Wenn du es willst, werde ich dafür sorgen, daß Mutter ihr Auskommen hat. Hast du ein Testament gemacht?«

»Ja, aber das sollen sie nicht wissen. Aber ich kenne Marga. Sie wagt nicht, Irene zu widersprechen. Sie muß büßen…«, seine Stimme war immer leiser geworden, und nun zuletzt nur noch ein Hauch. Beatrice preßte die Lippen aufeinander. Sie wollte keine Bitterkeit in sich aufkommen lassen, aber sie wußte doch, daß sie nicht umhin kam, zurückzudenken. Die Vergangenheit holte sie jetzt ein am Krankenlager ihres Vaters.

Ihre Kindheit war immer überschattet gewesen von der Existenz der älteren Schwester. Sie bekam nie neue Kleidung. Sie mußte auftragen, was Irene ablegte, auch wenn es ihr später selbst schon zu eng und zu kurz war, da sie kräftiger wurde als die Ältere. Sie bekam höchstens mal ein paar neue Schuhe, nachdem ein Orthopäde festgestellt hatte, daß sie Einlagen tragen müsse.

Während sie noch in die Volksschule ging, gab es noch keinen Ärger, da Irene zu dieser Zeit auch eine gute Schülerin gewesen war, aber als sie dann aufs Gymnasium kam, ging es los mit den Gehässigkeiten, denn sie war in allen Fächern bedeutend besser als Irene, und diese nannte sie eine elende Streberin, die sie nur ausstechen wolle. Und als Irene dann in die Tanzstunde kam, immer noch die Hübscheste, gab es erst recht Streitereien, weil Beatrice anfing, sich zu wehren.

So kam es, daß Beatrice eines Tages von der Schule nicht nach Hause kam, sondern zu ihrer Großmutter fuhr. Bei ihr weinte sie sich aus, und Frau Agnete Ruhland zog energisch Konsequenzen. Sie setzte es durch, daß Beatrice bei ihr in Göttingen blieb. So hatte Beatrice in den wichtigsten Entwicklungsjahren bei ihrer liebevollen und alles verstehenden Omi das Zuhause, nach dem sie sich gesehnt hatte. Innerlich jedoch entfernte sie sich so weit von ihren Eltern, daß sie keinen vermißte. Sie hegte keinen Groll, es machte ihr nichts aus, daß Irene alles bekam und sie ab und zu mal ein Kleidungsstück, da die Großmutter es strikt abgelehnt hatte, daß sie weiterhin Irenes Sachen tragen sollte. Sie wurde von der Großmutter nicht verwöhnt, aber sie bekam, was sie brauchte, doch sie bekam auch sehr viel Liebe geschenkt, die sie bisher missen mußte.

Sie machte ihr Abitur, ein glänzendes Reifezeugnis war der Lohn für ihren Eifer. Ihr Entschluß, Ärztin zu werden, stand schon lange fest und wurde von der Großmutter unterstützt, während die Eltern meinten, sie solle lieber einen Beruf ergreifen, in dem sie schneller Geld verdienen könne, da sie ja doch mal heiraten würde. Ja, das war deren Wunschgedanke auch für Irene, die zwar umschwärmt war, aber richtig anbeißen wollte keiner. Es war ihr auch keiner gut genug. Sie wollte alles auf einmal. Er mußte gut aussehen, reich sein und möglichst zu den oberen Tausend gehören. Für einen Beruf zeigte Irene keine Neigung. Sie nahm Gesangsunterricht, sie meinte eine Zeit, eine große Schauspielerin zu werden, dann lernte sie tatsächlich einen Fabrikantensohn kennen, und es war schon von Heirat die Rede, bis herauskam, daß der Vater Konkurs anmelden mußte und der Sohn sich schnell für eine vermögende ältere Frau entschied.

Beatrices Gedankengänge, ihr Ausflug in die Vergangenheit, wurde jäh unterbrochen, als Dr. Nicolas Hastings eintrat.

»Ich wollte nur mal nachsehen«, sagte er entschuldigend, als Beatrice ihn verwirrt anblickte.

»Mein Vater schläft«, sagte sie.

»Er schläft sicher mehrere Stunden, wollen Sie nicht frische Luft schöpfen, Kollegin?«

»Eigentlich eine gute Idee«, erwiderte sie. »Die Tage werden kürzer und kälter.«

Sie sah ihn plötzlich voll an, und er wurde verlegen, was ihn selbst überraschte, aber ihm war es, als würde sie durch ihn hindurchschauen.

»Sie sind Amerikaner?« fragte sie zusammenhanglos.

»Engländer, aber ich habe eine Zeit in Harvard studiert.«

»Interessant, und wie sind Sie hier gelandet?«

»Einfach um Erfahrungen zu sammeln. Dr. Behnisch hat einen guten Ruf, und er ist ein guter Lehrmeister. An einer gutgeführten Privatklinik lernt man mehr, als wenn man als Anhängsel hinter einem ganzen Troß her dackelt.«

Er sagte es mit seinem unwiderstehlichen Lächeln, daß Beatrice unwillkürlich auch auflachte.

»Halten Sie mich bitte nicht für neugierig«, sagte sie, »aber wie ist es in England? Ich habe nämlich ein Angebot für ein wissenschaftliches Institut in Cambridge.«

Seine Augenbrauen hoben sich leicht, man konnte ihm die Überraschung ansehen.

»Das ist aber eine große Auszeichnung«, sagte er.

»Es ergab sich, weil ich den Sohn von Professor Lorring nach einem schweren Unfall versorgt hatte. Ich hatte Glück, weil er wieder völlig genas.«

»Glück allein wird das nicht gewesen sein«, meinte Nicolas.

*

Dr. Behnisch fragte Schwester Rosi, wo Dr. Hastings sei.

»Er unterhält sich mit der Frau Dr. Ruhland«, sagte Rosi. »Sie ist ja so nett«, fügte sie schwärmerisch hinzu.

»Was Sie nicht sagen«, staunte Dr. Behnisch. »Sie ist immer noch hier?«

»Sie war lange bei ihrem Vater, und jetzt unterhält sie sich mit Dr. Hastings.«

»Ich brauche ihn trotzdem«, sagte Dr. Behnisch.

»Ich sage ihm Bescheid«, erklärte Schwester Rosi und enteilte.

So wurde das noch anhaltende Gespräch zwischen Nicolas und Beatrice unterbrochen.

»Kommen Sie öfter mal her?« fragte er noch hastig.

»Ja, sicher«, erwiderte sie leicht verlegen, denn ihr wurde bewußt, daß sie sich lange und sehr gut mit ihm unterhalten hatte.

»Fein, dann sehe ich Sie vielleicht morgen wieder.«

Beatrice nickte Schwester Rosi freundlich zu, als sie ging. Doch nun wollte es der Zufall, daß sie vor dem Eingang ihre Mutter traf.

Marga Ruhland war einmal eine hübsche Frau gewesen, aber jetzt wirkte sie älter als Anfang fünfzig und grau in grau gekleidet wahrhaftig wie eine graue Maus.

In ihr blasses Gesicht schlug jedoch heiße Glut, als sie Beatrice erkannte, und maßlose Überraschung malte sich auf ihren Zügen.

»Du bist schon hier? Du bist rasch gekommen«, sagte sie stockend.

»Ich konnte Urlaub nehmen.«

»Dann bleibst du jetzt hier?«

»Vorerst.«

»Du wirst doch zu Hause wohnen?«

»Zu Hause?« wiederholte Beatrice gedehnt, und Marga Ruhland wurde blaß. »Ich wohne bei den Bertrams.«

»Du meinst bei Klaus Bertram?«

»Bei Klaus und Inge Bertram«, erwiderte Beatrice ironisch.

»Sie hat nichts dagegen?«

»Wieso denn, wir sind gute Freunde.«

»War er nicht einmal sehr an dir interessiert?«

Beatrice seufzte. »Du hast das alles wohl immer zu sehr dramatisiert, Mutter, oder es war Irene. Warum begleitet sie dich nicht?«

»Sie hat keine Zeit. Sie hat eine Ganztagsstellung.«

»Was du nicht sagst, seit wann denn?«

»Schon seit drei Monaten. Sie ist Geschäftsführerin in einer Boutique.«

Sie sah an Beatrice vorbei.

»Ich würde mich freuen, wenn wir einmal länger miteinander reden könnten, Beatrice.«

»Es wird sich vielleicht ergeben, Mutter.«

»Du hättest doch auch mal wieder nach München kommen können.«

Es war so, daß keiner so recht wußte, was er sagen sollte, aber Beatrice empfand jetzt nur Mitleid mit ihrer Mutter, die ihr so hilflos und gehemmt vorkam.

»Ich hatte wenig Zeit, und ich wurde ja auch nicht eingeladen. Ich bedaure auch, daß ich so spät von Vaters Erkrankung informiert wurde.«

»Wir wußten doch nicht, daß es so ernst ist«, sagte Marga bebend, und nun traten Tränen in ihre Augen. »Du ahnst ja nicht, was ich leide. Wir sind fast fünfunddreißig Jahre verheiratet.«

»Ich kann dich verstehen«, erwiderte Beatrice.

»Du hast aber manches falsch verstanden.«

»O nein, ich habe alles richtig verstanden, Mutter, und du brauchst nicht zu glauben, daß ich jemals Irene ihre Vormachtstellung streitig machen würde. Aber ich habe so viel Abstand gewonnen, daß wir uns vernünftig auseinandersetzen können, wie es Vater anscheinend wünscht.«

»Er hat mit dir gesprochen?« fragte Marga überrascht.

»Ja, wir haben uns eine Zeit unterhalten.«

»Wenn ich da bin, schläft er meistens.«

»Dann solltest du vielleicht länger bleiben und Geduld haben, bis er aufwacht. Seine schwere Krankheit bringt es mit sich, daß er schwach ist und auch schmerzstillende Medikamente bekommt.«

»Du verstehst das wohl besser, da du Ärztin bist. Wir erfahren ja zuwenig.«

»Man muß fragen, wenn man etwas wissen will. Dr. Behnisch ist gewiß zu jeder Auskunft bereit. Aber in diesem Stadium darfst du auch nicht die Augen verschließen, daß Vaters Leben erlöscht.«

»Aber ich habe doch noch Hoffnung«, schluchzte Marga auf. »Du kannst mir doch nicht alle Hoffnung nehmen.«

»Ich kann dich auch nicht täuschen, Mutter. Du wirst damit fertig werden müssen, und wenn du Hilfe brauchst, bin ich gern bereit, dir beizustehen.«

Marga blickte zu Boden. »Ich kann doch nichts dafür, daß du dich nicht mit Irene verstanden hast«, murmelte sie.

»Wir sollten es besser umgekehrt sagen. Irene wäre das typische Einzelkind, das immer die erste Geige spielen wollte. Du wirst es doch nicht leugnen wollen. Ich mache dir keinen Vorwurf. Es hat mich geformt. Ich brauche niemanden, und du wirst es mir hoffentlich nicht verdenken, wenn ich darauf stolz bin. Aber soviel wollte ich eigentlich gar nicht sagen. Es ist mir nur viel durch den Sinn gegangen, als ich bei Vater am Bett saß. Man kann nicht alles wegstecken wie ein paar alte Kleider, die nie recht passen wollten, oder ausgetretene Schuhe.«

Marga Ruhland zuckte zusammen. »Wir waren nie reich, Beatrice«, rechtfertigte sie sich. »Du solltest es nicht falsch verstehen.«

»Es war auch mehr symbolisch gemeint. Ich hatte eine sehr glückliche und zufriedene Zeit mit Omi, für die ich unendlich dankbar bin.«

»Du hast davon ja auch in mehrfacher Hinsicht profitiert«, kam die anzügliche Erwiderung

»Das mußte ja kommen. Auf bald«, sagte Beatrice und ging.

*

Dr. Behnisch wollte vor allem von Nicolas wissen, was er von Jennys Zustand hielt.

»Mir sagt sie ja nur, daß sie bald wieder okay ist«, brummte er.

»Ich meine, daß sie ein paar Wochen Kur brauchen würde«, sagte Nicolas.

»Das meine ich auch, aber sie winkt ab. Dabei könnte sie es auf der Insel der Hoffnung doch genießen, sich mal richtig auszuruhen.«

»Jenny denkt sicher, daß Sie genauso Urlaub brauchen, Dieter.« Wenn sie allein waren, redeten sie sich mit den Vornamen an. Nicolas war es aus seiner Heimat so gewohnt, wenn man sich mochte.

»Wir können aber beide nicht gleichzeitig weg«, sagte Dieter.

»Sie sollten aber nicht warten, bis Sie auch mal zusammenklappen. Es würde Jenny sicher helfen, daß Sie sagen, daß Sie auch mal ein paar Wochen ausspannen, wenn sie wieder wohlauf ist.«

»Jenny hat mehr durchgemacht als ich. Mir ist es immer gutgegangen. Und ich bin zäh.«

»Das will ich bei Gott nicht wegreden, aber es hat schon mancher gesagt, und dann lag er schon auf der Nase.«

»Ich werde mit Jenny reden, und was haben Sie mit Frau Ruhland geredet?«

»Sie ist eine interessante Frau. Sie hat ein Angebot nach Cambridge von Professor Lorring.«

»Tatsächlich? Kennen Sie ihn?«

»Nicht persönlich, aber er hat einen sehr guten Namen. Sie hat mal seinen Sohn betreut nach einem Unfall.«

»Rosi ist ganz begeistert von ihr. Auf mich hat sie einen sehr kühlen, reservierten Eindruck gemacht.«

»Der verwischt sich, wenn man länger mit ihr redet. Sie ist eine kluge Frau und kein bißchen kokett.«

»Spielen Sie auf die Schwester an, ich meine Irene Ruhland?«

»Da paßt doch gar nichts. Man könnte sie niemals für Schwestern halten.«

»Aber Irene Ruhland ist kokett.«

Nicolas lächelte spöttisch. »Ein bißchen zu aufdringlich. Sie hält sich wohl für unwiderstehlich. Wie gesagt, die Kollegin ist das Gegenteil.«

»Und der übrigen Familie gegenüber sehr distanziert.«

»Mich wundert das nicht«, sagte Nicolas, aber mehr wurde nicht geredet. Sie gingen beide wieder an ihre Arbeit, und Dr. Behnisch mußte dann Marga Ruhlands Fragen beantworten.

Sie hatte mit ihrem Mann nicht reden können. Er hatte zwar die Augen aufgeschlagen, aber gleich gesagt, er sei müde, als sie nach seinem Gespräch mit Beatrice fragte.

Unsicher und schuldbewußt wie Marga doch war, wollte sie Dr. Behnisch nun erklären, daß ihre jüngere Tochter ein sehr eigenartiger Mensch sei.

»Eine sehr intelligente Frau und hochbegabte Kollegin«, erklärte Dr. Behnisch ruhig. »Ich habe den allerbesten Eindruck gewonnen, Frau Ruhland.«

»Aber sie hat nicht viel Familiensinn«, sagte Marga eigensinnig.

»Dazu kann ich keine Stellung nehmen, aber ich weiß aus Erfahrung, daß dies eine Angelegenheit der gegenseitigen Gefühle und Einstellung ist. Ganz sicher ist sie ein Mensch, auf den man sich verlassen kann. Sie ist sofort gekommen, als sie benachrichtigt wurde. Sie wäre auch früher gekommen.«

»Ich hatte doch nie daran gedacht, daß es so schlecht um meinen Mann stehen könnte. Beatrice hat mir das unverblümt gesagt. Für mich ist dies doch alles schrecklich, Herr Doktor.«

»Das glaube ich Ihnen gern, Frau Ruhland, aber es ist eine Tatsache, mit der Sie fertig werden müssen, und ich bin ganz sicher, daß Frau Dr. Ruhland Ihnen beistehen wird.«

Sie hörte aus seinen Worten doch heraus, daß er wenig auf ihre Andeutungen gab, die sie zu ihrer eigenen Rechtfertigung meinte, vorbringen zu müssen.

Dr. Behnisch wußte nicht, was sich in dieser Familie abgespielt hatte, aber jetzt konnte er Rückschlüsse ziehen. Er hatte viel mit Eberhard Ruhland gesprochen und einen überkorrekten Bürokraten kennengelernt. Er kannte Frau Ruhland, eine labile Frau, die stets darauf bedacht war, alles um sie herum im besten Licht erscheinen zu lassen, die unsicher und verzagt war, daß ihr Mann nun nicht mehr bestimmen konnte. Er kannte auch Irene Ruhland, die trotz ihrer einunddreißig Jahre zwischen kindisch-albern und raffiniert-berechnend einzuordnen war, typisch die verwöhnte höhere Tochter, die sich überall Liebkind machen wollte und nicht zur Kenntnis nahm, wenn sie ignoriert wurde.

Nun hatte Dr. Behnisch auch Dr. Beatrice Ruhland kennengelernt, eine selbstbewußte, kluge und sehr attraktive Frau, die beeindruckend wirkte, ohne wirken zu wollen.

Ja, er konnte sich in etwa vorstellen, was sich da unter den Schwestern abgespielt haben mochte, als Beatrice heranwuchs. Aber sie würde sich ganz gewiß nicht einschüchtern lassen. Sie würde ihren Weg weitergehen wie bisher, dessen war er sicher.

Zum erstenmal machte sich Marga Ruhland darüber Gedanken, als sie auf dem Heimweg war. Sie hatte sich vor dem Wiedersehen mit Beatrice gefürchtet, weil sie wußte, daß sie im Unrecht war, wenn sie das auch gar zu gern leugnen wollte.

Sie mochte auch nicht zugeben, daß Beatrice ihnen allen haushoch überlegen war, als sie zu Hause Irene antraf, von der sie mit mürrischer Miene begrüßt wurde.

»Du kommst spät, Mama«, sagte sie.

»Ich habe noch mit Dr. Behnisch gesprochen, und vorher traf ich Beatrice vor der Klinik.«

Irenes Augen begannen zu funkeln. »Sie hat es aber eilig«, sagte sie boshaft, »sie meint wohl, daß es wieder mal ans Erben geht.«

Es gefiel Marga nicht, sie so reden zu hören, aber sie hatte auch nie gewagt, ihr zu widersprechen. Und nun fuhr Irene auch gleich fort: »Wir sollten lieber schon beiseite schaffen, was von Wert ist, damit sie nicht alles an sich raffen kann.«

»Ich glaube nicht, daß sie das tun würde. Vergiß nicht, daß sie uns nie auf der Tasche gelegen hat.«

»Aha, jetzt kommen schon die Vorwürfe gegen mich. Aber warum bin ich denn immer noch bei euch? Weil ich euch nicht allein lassen wollte. Meine liebe Schwester hat sich ja nie um euch gekümmert. Sie hat es sich gutgehen lassen bei Großmutter und sie dann ja auch ganz allein beerbt.«

»Dir ist es ja wohl auch nicht schlecht ergangen bei uns«, sagte Marga bebend. »Beatrice legt keinen Wert darauf, mit uns länger zusammen zu sein. Sie wohnt bei den Bertrams.«

Irene wurde blaß. Ihr Gesicht verzerrte sich. »Das ist doch typisch, sie hat überhaupt keine Hemmungen. Es macht ihr nichts aus, daß sie von Klaus mal den Laufpaß bekommen hat. Und jetzt tut sie auch noch seiner Frau schön.«

»Ich weiß wirklich nicht, wie du alles siehst«, sagte Marga bestürzt. »Aber darüber will ich nicht diskutieren. Ich habe andere Sorgen. Mit Beatrice hat Eberhard sich unterhalten, als ich kam, war er wieder zu müde dazu.«

»Er weiß doch gar nicht mehr, was er redet. Er war schon das ganz letzte Jahr so eigenartig. Ich bin auch nicht mehr mit ihm klargekommen.«

»Es war wohl auch deshalb, weil wieder mal eine Verlobung auseinanderging, Irene. Er hat sich gefragt, warum du keine dauerhafte Bindung eingehen kannst, und ich frage mich das auch.«

»Guter Gott, ich prüfe mich halt und auch die Männer, und wenn sich herausstellt, daß es nicht gutgehen kann, trenne ich mich lieber.«

»Aber bei Robert hatte es doch den Anschein, daß er sich von dir getrennt hat.«

»Weil er nicht erreicht hat, was er wollte«, sagte Irene mit einem frivolen Lächeln. »Man muß Grenzen setzen.«

Marga war sich allerdings nicht sicher, daß ihre Tochter Irene Grenzen setzte. Sie hatte in all den Jahren schon oft genug erlebt, daß Irene keine Skrupel kannte, wenn ihr ein Mann gefiel. Aber sie wußte auch, daß sie den Kürzeren ziehen würde, wenn sie darauf zu sprechen käme.

Ja, es war schwer, sich so manches einzugestehen, weil sie letztlich nicht mehr rückgängig machen konnte, was sie in einer blinden Liebe zuviel getan hatte für die eine Tochter, zuwenig für die andere. Und was hatte Irene ihren Eltern gedankt?

Jetzt ging ihr auch dies durch den Sinn, aber für sie war Irene das »süße« und wirklich bildhübsche Kind gewesen und später eine Schönheit, die ihresgleichen suchte. Freilich nur in ihren Augen. Beatrice war das Pummelchen und wurde dann ein Trotzkopf. Für Irene erträumte sich Marga einen Märchenprinzen, und nun? Ein Frösteln kroch durch ihren Körper, als sie das blasse Gesicht ihrer Tochter betrachtete, tiefe Ringe unter den Augen, scharfe Falten, die sich von den Mundwinkeln herabzogen. Eine Diätkur in den letzten Wochen trug noch mehr dazu bei, ihr Gesicht härter wirken zu lassen.

Wenn sie Beatrice sieht, wird sie ganz aus den Fugen geraten, dachte Marga, und zum erstenmal war sie ganz ehrlich zu sich selbst, weil sie sich eingestand, daß Beatrice diejenige war, der ihre Freundin Babette ein erfolgreiches und glanzvolles Leben vorhersagte.

Die Vorhersage hatte Babette gemacht, als Beatrice noch gar nicht geboren war.

»Du wirst eine Tochter haben, die eine große Karriere machen wird, und sie wird auch einen sehr angesehenen Mann heiraten«, hatte sie ihr verkündet. Und natürlich hatte sie alles auf ihre Irene bezogen und sie verhätschelt nach Strich und Faden, während das Pummelchen hintenan gestellt wurde.

Eberhard hatte sich darum nicht viel gekümmert. Er war mit seinem Amt verheiratet, dachte nur an seine Beförderungen, und wenn er sich mit den Kindern befaßte, dann meist nur, wenn es Zeugnisse gab, und da hatte er schon manches Mal gesagt, daß in Beatrice wohl doch mehr Ehrgeiz stecken würde als in Irene, aber Margas Argument war denn gewesen, daß Irene eben hübscher und lieber sei und ganz sicher mal eine blendende Partie machen würde.

Ja, sie hatte es erlebt, daß ihr Mann hin und wieder anzügliche oder gar mißbilligende Bemerkungen über Irene machte, und sie hatte dann wie ein begossener Pudel dagestanden und nicht gewußt, was sie sagen sollte. Widersprechen konnte sie ihm ja nicht.

»Warum redest du eigentlich gar nichts mehr, Mama?« fragte Irene. »Außerdem habe ich Hunger. Wollen wir nicht essen gehen?«

»Ich habe keine Lust. Es sind noch grüne Bohnen von gestern da.«

»Dieses Proletenessen. Ihr habt überhaupt keinen Stil. Wie soll man da zu einem Mann kommen, der Wert auf Repräsentanz legt.«

»Dein Boutiquenbesitzer denn etwa?« brach es jetzt aus Marga hervor. »Oder hat er dir auch wieder den Laufpaß gegeben?«

Irene sprang auf. »Was erlaubst du dir? Das ist eine Unverschämtheit.«

»So wie du mit mir redest aber auch.«

»Ich merke schon, Beatrice hat dich aufgehetzt. So habe ich es mir auch gedacht, wenn sie kommt.«

»Du bist gewaltig im Irrtum. Sie will nichts von uns. Sie ist Ärztin und macht Karriere. Nein, sie braucht niemanden. Sie geht ihren Weg.«

»Aber einen Mann hat sie auch noch nicht an Land gezogen«, sagte Irene gehässig.

»Ich glaube nicht, daß sie darauf bedacht ist. Und was hat es dir genutzt, daß du ihr damals Jürgen abspenstig gemacht hast? Gar nichts. Das war auch bloß ein Strohfeuer.«

Ein paar Minuten herrschte Schweigen. Dann sagte Irene: »Du hast verdammt schlechte Laune, Mama, ich gehe lieber noch aus. Ich habe keine Lust, mir dein Gewäsch anzuhören.«

Da packte Marga der Zorn. »Jedenfalls scheinst du auch nicht gerade in den besten Kreisen zu verkehren, was deine Ausdrucksweise anbetrifft«, sagte sie gereizt. »Und jetzt möchte ich meine Ruhe haben.«

So was erlebte Irene allerdings auch zum erstenmal, und ihre Wut richtete sich auf Beatrice, deren Erscheinen anscheinend heftige Reaktionen bei ihrer Mutter ausgelöst hatte.

Ihre negativsten Gefühle regten sich wieder, weil ihre Schwester ihr immer ein Dorn im Auge war, aber vor allem, seit die Großmutter sie zur Alleinerbin eingesetzt hatte.

Daß sie nichts, aber auch gar nichts für die Großmutter übrig hatte, nie etwas für sie tat, darüber dachte sie nicht nach. Sie war ein Mensch, der nur nehmen und wieder nehmen wollte, ohne etwas zu geben.

Man hörte es, daß sie ging. Die Haustür knallte buchstäblich ins Schloß. Marga zuckte zusammen. Ihre Augen begannen zu brennen, und sie starrte auf ihre gefalteten Hände.

Was soll nur werden, dachte sie, was soll werden, wenn Eberhard nicht mehr da ist, da es jetzt schon schlimm ist.

Sie war keine starke Frau. Sie vergoß Tränen und bemitleidete sich selbst, und sie wußte, daß sie sich auf Irene nicht verlassen konnte.

*

Von dem Ehepaar Bertram war Beatrice freudig empfangen worden, und nun saßen sie beim Abendessen in der gemütliche Bauernstube, die sich Klaus und Inge in ihrem Reihenhaus eingerichtet hatten. Kinder hatten sie noch nicht. Sie waren erst seit zwei Jahren verheiratet und beide berufstätig. Erst müsse in den Finanzen Ordnung herrschen, bevor sie sich Kinder anschaffen würden, hatte Inge energisch erklärt.

Beatrice war Trauzeugin bei ihnen gewesen. Sie hatte Inge in Göttingen während der Studienzeit kennengelernt, und als Klaus mal auf der Durchreise kam, um Beatrice zu besuchen, hatte er Inge kennengelernt. Das waren die Tatsachen. Zwischen Klaus und Beatrice hatte nie etwas anderes als Freundschaft bestanden, und wenn Irene behauptete, er hätte ihr den Laufpaß gegeben, so war das eine Verleumdung, die keinen Hintergrund hatte.

Klaus und Beatrice wußten genau, daß sie für ein gemeinsames Leben nicht geschaffen waren, dazu waren sie beide viel zu eigenwillig.

»Nun erzähl mal, Bea«, sagte Inge nach dem Essen, das sie in Blitzesgeschwindigkeit gezaubert und allen geschmeckt hatte. »Ist dein Vater ernsthaft krank?«

»Es besteht keine Hoffnung«, erwiderte Beatrice. »Ich konnte mit ihm sprechen, aber er ist sehr schwach. Ihm mag noch manches durch den Kopf gehen, was ihm zu schaffen machte, aber was soll’s. Mir tut er nur leid. Er kann seine Pension nicht genießen, und er wollte doch so weit wie nur möglich oben sein, um recht viel zu bekommen.«

Inge und Klaus tauschten einen Blick. Sie wußten ziemlich gut, was in Beatrices Kopf vor sich ging.

»Du brauchst dir bestimmt keine Vorwürfe zu machen, Bea«, sagte Klaus.

»Ich mache mir auch keine. Ich habe Mutter getroffen. Sie ist ein Häufchen Elend.«

»Und Irene?« fragte Inge.

»Sie hat angeblich eine Stellung in einer Boutique. Ich kann mir nicht vorstellen, daß sie mal ernsthaft arbeitet, aber auch das ist mir egal. Ich bin so weit weg, und wahrscheinlich werde ich das Angebot von Professor Lorring annehmen, um noch weiter weg zu sein.«

»Wir würden das bedauern. Nach Klagenfurt kommen wir öfter mal«, sagte Klaus, »aber nach England?«

»In Klagenfurt habe ich bereits gekündigt, aber das bleibt unter uns. Ich will bei Gott nicht, daß Mutter sich einbildet, ich würde mich in München niederlassen. Sie hat ziemlich konsterniert reagiert, als ich sagte, daß ich bei euch wohne.«

»Weiß der Himmel, was Irene verzapft hat«, sagte Klaus, »sie hat doch eine perverse Phantasie. Aber du weißt hoffentlich, daß du bei uns willkommen bist, solange du auch hierbleiben wirst.«

»Es ist lieb von euch, aber ich will euch wirklich nicht auf den Wecker fallen.«

»Das tust du doch nicht. Wir sind den ganzen Tag nicht da, und wir freuen uns doch, wenn wir abends mit dir zusammen sein können.«

Darin waren sich beide einig. Da gab es auch keine Eifersucht bei Inge. Sie wußte, was sie von Beatrice zu halten hatte, und beide wußten sie auch, wie Irene war. Bei Klaus hatte sie ja auch mal zu landen versucht, als Beatrice vor Antritt des Studiums ein paar Wochen bei den Eltern zu Besuch gewesen war und sie sich mit Klaus traf, der in München studierte. Wenn auch ein armer Student für sie nicht in Frage kam, so konnte sie es nicht ertragen, wenn sich ein Mann für Beatrice interessierte.

»Hat Irene immer noch keinen Mann gefunden?« fragte Klaus beiläufig.

»Anscheinend nicht, aber es interessiert mich nicht«, erwiderte Beatrice, »wenn es auch für Mutter wohl besser wäre. Aber eigentlich hatte sie es ja nicht anders gewollt. Es ist kein gutes Gefühl, wenn man nur mit widersprüchlichen Empfindungen an seine Eltern denken kann und die einzige Schwester eine völlig Fremde ist.«

Dr. Norden Bestseller 344 – Arztroman

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