Читать книгу Dr. Norden (ab 600) Jubiläumsbox 1 – Arztroman - Patricia Vandenberg - Страница 5
ОглавлениеWenn Fee Norden etwas auf dem Herzen hatte, konnte sie kaum erwarten, daß ihr Mann heimkam und sie es ihm erzählen konnte. Zum Glück mußte sie an diesem Abend nicht zu lange auf ihn warten.
Sie begrüßte ihn wie immer mit einem Kuß, folgte ihm dann aber gleich ins Bad.
»Was ist denn los, Feelein, mir geht es gut«, sagte er, weil sie so besorgt aussah.
»Aber was ist mit Kim los?«
»Was soll mit ihr los sein, ich habe sie nicht mehr zu Gesicht bekommen, seit sie aus dem Urlaub zurück ist.«
»Ich habe sie heute getroffen, sie sieht nicht aus, als hätte sie einen erholsamen Urlaub gehabt. Sie ist nur noch ein Strich in der Landschaft.«
»Der Schlankheitswahn der jungen Damen«, sagte er, »diese zaunlattendürren Models sind ein schlechtes Beispiel. Zum Glück werden schon Stimmen laut, auch in dieser Branche, die dagegen ankämpfen. Kim hätte ich für vernünftiger gehalten.«
»Sie könnte auch krank sein«, sagte Fee.
»Sie war kerngesund, bevor sie nach Madeira flog. Wollte sie sich dort nicht mit ihren spanischen Freunden treffen?«
»Kann schon sein, gesagt hat sie nichts davon. Ihr Beichtvater warst doch immer du. Deshalb nahm ich auch an, daß sie bei dir gewesen ist.«
»War sie aber nicht. Ihre Eltern sind wohl mal wieder auf Gran Canaria. Verstehen kann ich das nicht, wo sie hier das schöne Haus haben.«
»Was ihre Eltern machen, interessiert mich nicht, aber Kim liegt mir am Herzen. Sie gehörte zu meinen ersten Patientinnen. Ich weiß noch genau, wie sie zu mir kam. Fünf Jahre war sie da. Sie war in einen Ameisenhaufen gefallen und sah schrecklich aus, aber sie war so tapfer.«
»Ich kenne die Geschichte, mein Schatz, und ich weiß ja, daß du eifersüchtig bist, weil sie dann zu mir wechselte.«
»Unsinn, ich habe doch nicht mehr praktiziert und mit ihren Allergien war nicht zu spaßen.«
»Hast du sie nicht gefragt, ob ihr was fehlt?«
»Das wollte ich nicht, sie war mit Jan Bernold zusammen.«
»Vielleicht schwärmt er für Superdünne, und sie will ihm gefallen.«
»Du nimmst das zu leicht, Daniel«, sagte Fee verweisend.
»Ich kann doch keine Diagnose stellen, ohne sie gesehen zu haben. Vielleicht hat sie sich erinnert, daß es mich noch gibt, als sie dich getroffen hat. Mach dir nicht so viele Gedanken, Fee. Sie ist einundzwanzig und nicht mehr fünf.«
»Jedenfalls machte sie keinen glücklichen Eindruck.«
Er seufzte. »Ich habe Hunger, mein Schatz«, sagte er, und das war das Stichwort, die kleine Diskussion zu beenden.
*
»Worauf hast du noch Lust, Kim?« fragte Jan Bernold, nachdem sich Kim von Fee Norden verabschiedet hatte.
»Auf nichts. Warum mag mich Fee so forschend angeschaut haben?«
»Wahrscheinlich ist ihr aufgefallen, daß du schon wieder abgenommen hast. Gefällst du dir denn so?«
»Wie gefalle ich dir denn, Jan?« fragte sie spöttisch.
»Wie du früher warst, aber ich mag dich trotzdem, Kim.«
Er war zu ehrlich, ihr zu schmeicheln. Er machte sich auch sorgenvolle Gedanken, wenn er sie betrachtete.
Eine kleine Falte hatte sich zwischen ihren schöngeschwungenen Augenbrauen gebildet.
»Wenn du Lust hast, können wir ja noch zu mir fahren. Meine Eltern sind nicht da, also brauchst du keine höfliche Konversation zu treiben. Ich habe keinen Bock auf Disco oder Kino. Zu essen habe ich auch genug.«
»Und was würden deine Eltern sagen, wenn wir allein im Haus sind?«
»Na hör mal, bin ich erwachsen oder nicht? Ich würde auch nicht jeden mitnehmen«, meinte sie lächelnd.
Er hatte das Gefühl, daß sie nicht allein sein wollte. Er hatte überhaupt ein merkwürdiges Gefühl, seit sie aus dem Urlaub zurück war, war sie eigenartig. Sie erzählte auch nicht viel davon.
*
Das Haus der Meyrings war eines der schönsten weit und breit, großzügig gebaut in einem riesigen Grundstück, das schon lange im Familienbesitz war. Die Familie hatte viele solche Grundstücke besessen, die mit der Zeit immer wertvoller geworden waren. Ein paar hatte Arndt Meyring teuer verkauft, mit dem Erlös Häuser in die anderen Grundstücke gebaut und diese dann wieder teuer vermietet. Er verstand es, sein Geld gewinnbringend anzulegen und ein Vermögen zu machen, das seiner Familie ein sorgenfreies Leben garantierte. Er war kein Spieler, bei ihm mußte alles eine solide Basis haben.
Zu seinem Leidwesen war sein einziger Sohn anderer Meinung. Er zog ein Bohemienleben vor, war ein talentierter Maler und schrieb auch hin und wieder Drehbücher.
Constantin Meyring pfiff auf das Geld seines Vaters, er wollte nicht nach seiner Pfeife tanzen, sondern sich frei entfalten. Das war ihm gelungen.
Jan war schon einige Male in diesem wahrhaftig geschmackvoll eingerichtetem Haus gewesen. Es war nicht protzig, wie so mancher wohl meinte, es hatte Atmosphäre. Das war weitgehend Kim und ihrer Mutter Carola zu verdanken. Arndt Meyring liebte es nüchterner.
Kim hatte ihr eigenes Reich, Wohn- und Schlafraum, Bad und sogar eine kleine Küche. Sie wollte auch selbständig sein.
Wie Jan feststellen konnte, war der Kühlschrank reich gefüllt.
»Willst du das alles vertilgen?« scherzte er.
»Warum nicht, am Essen liegt es jedenfalls nicht, wenn ich dir zu dünn bin.«
Das konnte er ihr bestätigen, denn sie aß reichlich. Allerdings verschwand sie dann bald darauf im Bad. Zuerst dachte er sich nichts dabei, ein Verdacht kam ihm erst später, als sie einen Fernsehfilm sahen, in dem zufällig ein junges Mädchen an Bulimie litt.
Jan sah Kim nachdenklich an. »Denkst du etwa, das ist bei mir auch so?« fuhr sie ihn an. »So ein Quatsch!« Sie schaltete den Fernseher aus.
Das machte ihn erst recht stutzig. »Bulimie ist eine Krankheit, die behandelt werden muß«, stellte er fest.
»Ich bin nicht krank, du Klugschnack. Ich brauche keinen Arzt.«
»Was sagt denn Dr. Norden?«
»Ich habe dir gesagt, ich brauche keinen Arzt. Nerv mich nicht so. Denkst du, ich will so dick sein wie Gaby?«
»Gaby ist doch nicht dick, und Hanno ist bis über beide Ohren in sie verliebt. Er will sie gar nicht anders.«
»Soll er glücklich werden mit ihr!« stieß Kim hervor, und plötzlich erinnerte sich Jan, daß sie mal recht eng befreundet war mit Hanno Veltin. Ärgerte sie sich über diese Hochzeit, die schon in zwei Wochen stattfinden sollte?
Kim war eigentlich nie eifersüchtig, und neidisch brauchte sie erst recht nicht zu sein, denn in ihrem Kreis war sie die reichste Tochter und die attraktivste war sie auch – gewesen, mußte er jetzt hinzufügen. Er überlegte, ob es angebracht war, ganz offene Worte mit ihr zu reden.
»Was würdest du denn sagen, wenn ich eine Modelkarriere machen würde?« fragte sie leichthin.
»Du spinnst«, kam die spontane Antwort.
»Du bist auch ein Spießer«, rief sie ihm hin.
»Dann bin ich eben ein Spießer. Was ist bloß in dich gefahren, Kim? Ist etwas passiert, worüber du nicht reden willst? Wir sind doch Freunde. Mit mir kannst du über alles sprechen.«
»Geh jetzt lieber«, sagte sie aggressiv.
Er erhob sich sofort. »Okay, wie du willst, aber wundere dich nicht, wenn ich nicht wiederkomme.«
Sie sah plötzlich unglücklich aus wie ein verunsichertes, bestraftes Kind.
»Ich weiß wirklich nicht, was mit mir los ist«, flüsterte sie.
»Geh zu Dr. Norden, mit dem kannst du über alles reden, wenn du schon zu mir kein Vertrauen hast.«
»Ich will nicht, daß du böse mit mir bist.«
»Ich bin nicht böse, ich verstehe dich nur nicht mehr. Du warst ein so bezauberndes Mädchen, jetzt wage ich nicht mal mehr, dich anzufassen, weil ich fürchte, dir die Knochen zu brechen. Steig mal auf die Waage und betrachte dich im Spiegel. Ich würde es mir nie verzeihen, wenn ich dich nicht gewarnt hätte.«
Er ging zur Tür und sie stand wie versteinert. »Servus, Kim«, sagte er.
Sie brachte kein Wort über die Lippen, aber als er gegangen war, liefen ihr Tränen über die Wangen. Sie warf sich auf ihr Bett und weinte hemmungslos.
*
Jan stand kurz vor dem Staatsexamen und hatte bereits Aussicht auf eine Stellung in einer Computerfirma, da er glänzende Beurteilungen vorlegen konnte. Er hatte sich rechtzeitig um eine solche Stellung bemüht und gehörte zu den Favoriten für eine leitende Position. Jan hatte keinen Vater, der ihn protegierte. Er hatte sich während des Studiums immer etwas verdient, weil er seinen Eltern nicht zugemutet hätte, für seinen Unterhalt aufzukommen, aber er hatte sich großer Anerkennung erfreuen können und immer sehr gute Verdienstmöglichkeiten gefunden, dank seiner vielfältigen Kenntnisse und seiner Flexibilität. Er war dazu einfach ein sehr netter junger Mann und ein Traumschwiegersohn für viele Mütter. Für ihn hatte es immer nur Kim gegeben, aber nun verzweifelte er fast an ihrer Verschlossenheit und Uneinsichtigkeit.
Er fuhr nicht gleich nach Hause, er brauchte erst Abstand. So ging er ins Fitneßstudie, um Luft abzulassen. Er war nicht der Typ, der jähzornig werden konnte, er konnte nicht streiten, wenigstens nicht mit Kim. Irgendwie tat sie ihm jetzt leid, weil sie sich nicht helfen lassen wollte. Schon bald machte er sich wieder Sorgen um sie.
Er ging zum Telefon und rief sie an, aber sie meldete sich nicht. Jetzt bekam er regelrecht Angst und fuhr wieder zu der Villa zurück. Als ihm auf sein Läuten nicht geöffnet wurde, sprang er über den Zaun. Er war so fit, daß ihm das nicht schwerfiel, obgleich der Zaun ziemlich hoch war. Dann lief er zum Haus und um das Haus herum. Er sah, daß die Terrassentür einen Spalt offen war und überlegte nur kurz, was er tun solle und rief nach Kim. Doch nichts rührte sich. Er überwand seine Bedenken und ging über die Terrasse ins Haus. Im Wohnraum konnte er nichts Ungewöhnliches feststellen, aber als er in die Diele kam, konnte er einen Aufschrei nicht unterdrücken. Kim lag am Boden und blutete aus einer Kopfwunde.
Er kniete bei ihr nieder und fühlte ihren Puls. Er war schwach, aber sie lebte.
Er wagte nicht, sie zu bewegen und ging lieber schnell zum Telefon. Es war jetzt schon fast neun Uhr, aber dennoch wagte er es, Dr. Norden anzurufen, denn seine Nummer hatte er im Kopf. Er hatte in Bezug auf die Telefonnummern, die ihm als wichtig erschienen, das absolute Gedächtnis.
Fee Norden meldete sich. Sie kannte Jan, wenn auch nur etwas flüchtig, aber als er sagte, welches Anliegen er hatte, war sie wirklich gleich ganz bei der Sache.
Sie rief Daniel ans Telefon. »Es geht um Kim«, sagte sie, und als Jan ihm sagte, wie er Kim vorgefunden hatte, erklärte er, daß er sofort kommen würde.
»Ich habe doch geahnt, daß da etwas nicht stimmt«, murmelte Fee.
»Das eine braucht nichts mit dem andern zu tun zu haben«, sagte Daniel.
Kim war noch bewußtlos, als er eintraf. Jan war blaß und aufgeregt.
»Ich wollte sie nicht bewegen«, sagte er. »Die Wunde hatte schon aufgehört zu bluten.«
Es war eine Platzwunde, die noch nichts aussagte über diese tiefe Ohnmacht. Sie konnte sich irgendwo angestoßen haben.
»Vielleicht wurde ihr schwindelig, und sie ist auf der Treppe gestrauchelt«, meinte Dr. Norden. »Auf jeden Fall ist es besser, sie wird klinisch untersucht. Dann können wir auch gleich herausfinden, warum sie so abgemagert ist.«
»Das macht mir auch Sorgen. Ich hätte Sie sowieso deswegen aufgesucht. Sie ist auch so verschlossen, wenn man darauf anspielt. Ich war heute mit ihr zusammen, aber sie war derartig stur, daß ich gegangen bin. Jetzt tut es mir leid.«
»Sie sind nicht verantwortlich für ihren Zustand, Jan. Meine Frau hatte mir schon erzählt, daß sie betroffen war über Kims Aussehen. Es kann ja sein, daß sie an Bulimie leidet.«
»Wir haben zusammen gegessen, sie hat tüchtig zugelangt«, erklärte Jan, »aber dann haben wir einen Film gesehen, in dem so ein Fall von Bulimie vorkam, und als ich eine Andeutung machte, ist sie wütend geworden und hat den Fernseher ausgemacht. Sie hat sich seit dem Urlaub verändert. Ich glaube, da ist etwas passiert, was sie aus dem Gleichgewicht gebracht hat, aber sie schweigt.«
Dr. Norden rief in der Behnisch-Klinik an. Sie schickten einen Krankenwagen. Nach der Injektion, die Dr. Norden Kim verabreicht hatte, wurde ihr Puls etwas stärker, aber sie kam noch nicht zu sich.
Dr. Norden fuhr dem Sanitätswagen voraus, Jan fuhr ihm nach. Er hatte erst Türen und Fenster verschlossen und auch die Haustür abgeschlossen, Kims Schlüsselbund hatte er im Schlüsselschrank gefunden.
Als er zur Behnisch-Klinik kam, befand sich Kim schon im Untersuchungsraum. Auch Dr. Norden war bei ihr, aber er kam nach zehn Minuten heraus.
»Sie wird ein paar Tage zur Beobachtung in der Klinik bleiben«, erklärte er. »Die Eltern werden wir nicht benachrichtigen, aber vielleicht wäre es ganz gut, wenn Constantin sich um das Haus kümmern würde. Können Sie ihn erreichen?«
Jan nickte. »Ich werde ihn anrufen. Da es um Kim geht, wird er schon mit sich reden lassen. Er ist halt ein Außenseiter.«
»Ich sehe es nicht so, er hat halt seine eigenen Ansichten und Ziele.«
»Ich finde es ja gut. Ich sorge auch lieber für mich selbst, aber meine Eltern haben dafür Verständnis und sind sogar froh darüber. Die Meyrings denken da anders, vor allem ans Image. Aber ich glaube nicht, daß Kims Zustand mit ihren Eltern zu tun hat.«
»Ich hoffe, daß wir den Grund finden. Ich werde mich um sie kümmern, und meine Frau wird auch versuchen, daß sie sich öffnet. Sie haben einen guten Kontakt.«
»Wir haben Ihre Frau heute getroffen, und ich habe zu Kim gesagt, daß Ihre Frau das beste Beispiel ist, daß Schönheit nichts mit Superschlankheit zu tun hat. Das hat sie sicher in die falsche Kehle gekriegt. Ich war immer ehrlich mit ihr, und ich dachte, sie würde in sich gehen, wenn sie sich im Spiegel betrachtet. Sie war so bezaubernd, es tut weh, diese Veränderung zu sehen.«
»Aber Sie sollten sie jetzt nicht im Stich lassen. Sie braucht einen guten Freund sehr nötig, Jan.«
»Ich lasse sie auch nicht im Stich, aber sie darf sich nicht abkapseln. Dann wird sie ja auch noch gemütskrank.«
»Sie haben keine Ahnung, was der Auslöser sein könnte für diesen labilen Zustand, der doch gar nicht zu der Kim paßt, die wir kannten?«
»Ich habe hin und her überlegt. Vielleicht ist es die bevorstehende Hochzeit von Hanno Veltin. Sie war mit ihm befreundet.«
»Ach was, das war doch mehr eine Kinderfreundschaft. Er war ihr Tanzstundenpartner. Ich kenne beide Familien. Auf die Dauer paßten sie nicht zusammen, aber sie sind sich doch nicht gram. Es hat ihr nichts ausgemacht, als er Gaby Stein kennenlernte, das weiß ich genau. Sie hat zu mir gesagt, daß Gaby viel besser zu ihm paßt als sie. Kim hatte doch große Pläne. Sie wollte Fernsehmoderatorin werden.«
»Ja, das weiß ich, aber im Grunde wußte sie noch gar nicht genau, was sie eigentlich werden will. Vielleicht hat ihr jemand einen Floh ins Ohr gesetzt, daß sie eine Modelkarriere machen könnte. Deshalb will sie superschlank sein, aber sie ist ja schon richtig knochig. Ich kann mir nicht vorstellen, daß sie so noch Erfolg hätte. Sie spricht sich nicht aus, was soll ich denn noch tun?«
»Ja, das ist schwer zu sagen, aber vielleicht hilft es ihr zu wissen, daß sie einen echten Freund hat.«
»Kann ich bei ihr bleiben?«
»Das hat nicht viel Sinn. Sie wird ruhiggestellt und bestimmt sehr lange schlafen. Das gehört zur Therapie.«
»Aber was ist mit der Verletzung?«
»Sie ist nicht bedrohlich. Nur eine leichte Gehirnerschütterung liegt vor. Wir müssen abwarten, was sie sagt, wie sie zu dieser Verletzung gekommen ist.«
»Ich weiß nicht, ich habe so ein ungutes Gefühl, das ich nicht erklären kann. Ich werde jetzt versuchen, Constantin zu erreichen und dann morgen wieder nach Kim sehen.«
»Wenn Sie Fragen haben oder Rat brauchen, ich bin zu erreichen, Jan.«
»Danke, es ist gut, wenn man so einen Arzt hat«, erwiderte Jan.
Einen besseren Partner könnte sich Kim wirklich nicht wünschen, dachte Daniel Norden, als er nun heimwärts fuhr.
Er wurde von Fee, die sehr beunruhigt war, schon an der Tür empfangen.
»Wir haben Kim in die Klinik gebracht, Jenny kümmert sich um sie«, erklärte er, bevor sie eine Frage stellte. »Jan weiß auch nicht, was mit ihr los ist, aber sie kann wirklich von Glück sagen, daß er noch nicht abgesprungen ist. Die meisten Männer haben nicht die Geduld, sich mit solchen Problemen zu befassen.«
»Aber was für Probleme gibt es denn?« fragte Fee.
»Wir tappen im Dunkeln. Jetzt ist sie erstmal in Dauerschlaf versetzt, vielleicht kann man danach vernünftig mit ihr reden.«
*
Jan hatte auch sein eigenes kleines Reich in seinem Elternhaus. Es war nicht so komfortabel wie das von Kim, aber er hatte einen eigenen Eingang. Die Zweizimmerwohnung war seinerzeit für die beiden Hausangestellten gedacht gewesen, aber jetzt kam Hella Bernold mit einer Haushaltshilfe aus, die dreimal in der Woche fünf Stunden kam. Jan sorgte selbst für sich. Er war sehr ordentlich.
Er wollte gleich Constantin anrufen, aber er sah, daß der Anrufbeantworter blinkte und schaltete ihn ein. Er zuckte zusammen, als er Kims Stimme vernahm.
»Es tut mir leid, daß ich vorhin so aggressiv war, Jan. Bitte, sei nicht böse, ich weiß nicht, was in mich gefahren war. Melde dich bitte, wenn du zu Hause bist. – Da ist ein Geräusch, ich muß nachsehen…«
Dann hörte Jan nichts mehr.
Sein Herz klopfte schneller. Es mußte jemand am oder im Haus gewesen sein, das gab zu denken. Vielleicht war es doch besser, die Polizei zu verständigen.
Was mochte da vorgefallen sein? Über sein Grübeln vergaß er fast, Constantin anzurufen. Dessen Nummer hatte er nicht im Kopf, er mußte nachsehen.
Es war ungewöhnlich, daß Constantin in seiner Wohnung war, denn meist kam er erst um Mitternacht nach Hause oder noch später. Er machte gern nächtliche Studien, die er für seine Bilder und Geschichten verwerten konnte. Dafür schlief er dann meist bis in den Vormittag hinein.
An diesem Abend war er anwesend und sehr überrascht, daß Jan ihn anrief.
»Was ist denn los, Boy?« fragte er.
Jan berichtete stockend, was mit Kim geschehen war. Es herrschte am anderen Ende so tiefes Schweigen, daß er meinte, Constantin hätte aufgelegt.
»Bist du noch da?« fragte er.
»Natürlich, was denkst du denn, ich bin geschockt. Was kann denn da passiert sein? Sie hat doch alles, sogar den nettesten Burschen zum Freund, den ich kenne.«
»Danke für deine gute Meinung, aber ich kann auch nichts ausrichten bei ihr. Ich fürchte, sie leidet an Bulimie.«
»Kann schon sein, daß sie das auch ausprobieren will, um mitreden zu können. Die Mädchen haben doch alle einen Schlankheitswahn. Ich weiß schon, warum ich mich distanziere. Es fehlte noch, daß ich mir auch so eine verrückte Diät aufschwatzen lasse wie einige aus meiner Clique, die auf dem totalen Gesundheitstrip sind. Aber zur Sache. In der Behnisch-Klinik liegt Kim, gut, dann werde ich morgen hinfahren und mit den Ärzten sprechen. Die Eltern benachrichtige ich lieber nicht, die machen gleich ein riesiges Tamtam. Damit ist Kim auch nicht gedient. Mit wem war sie eigentlich im Urlaub zusammen?«
»Keine Ahnung, sie hat darüber nicht gesprochen. Sie hat nur gesagt, daß Madeira nicht gehalten hat, was sie sich versprach.«
Sie verblieben so, daß sie sich in der Klinik gegen elf Uhr treffen wollten. Jan sah nachdenklich vor sich hin. Es wäre beruhigend gewesen, daß sie angerufen hatte, aber es beunruhigte ihn sehr, daß da jemand gekommen war, der mit ihrer Verletzung zu tun haben könnte.
Er schlief so unruhig wie schon lange nicht mehr. Eigentlich hatte er einen sehr tiefen Schlaf, aber Kim geisterte durch diesen Halbschlummer. Es war kein richtiger Traum, sie war einfach gegenwärtig.
Er stand früh auf, lief eine halbe Stunde durch den Wald und duschte dann lange, um einen klaren Kopf zu bekommen.
Ganz mechanisch bereitete er sein Frühstück, da klingelte das Telefon. Es war gerade acht Uhr. Es war seine Mutter. Sie stand zwar auch immer früh auf, aber sie rief ihn nie so früh an.
»Ist Kim bei dir?« fragte sie.
»Wie kommst du denn darauf?« fragte er zurück.
»Es hat gerade jemand angerufen und nach ihr gefragt. Es kam mir merkwürdig vor.«
»Mir erst recht. Hat der Jemand einen Namen genannt?«
»Nein, er wäre ein guter Bekannter und müsse sie dringend sprechen.«
»Das wird ja immer dubioser«, sagte Jan. »Wenn es dir recht ist, komme ich rüber und erzähle dir, was passiert ist.«
»Natürlich ist es mir recht, du könntest viel öfter kommen. Schließlich haben wir dich nicht verstoßen.«
Hella Bernold hatte Humor, und sie würde es wirklich gern sehen, wenn Jan öfter bei ihnen wäre. Aber durch seine Examensarbeiten hatte er sich zurückgezogen, und dafür hatte sie auch Verständnis. Außerdem hatte sie Kim sehr gern.
Jan vergaß sein Frühstück und ging hinüber. Sein Vater war schon aus dem Haus, und Hella sorgte dafür, daß er ein richtiges Frühstück bekam.
Er erzählte von Kim, er verschwieg nichts, was ihn beunruhigte.
»Das gibt allerdings zu denken, das paßt nicht zu Kim«, sagte Hella Bernold.
»Genauso sagte es Dr. Norden auch, Mutti. Ich habe gestern mit Constantin telefoniert. Wir treffen uns nachher in der Klinik.«
»Hoffentlich können sie ihr bald helfen.«
»Darauf setze ich meine ganze Hoffnung, aber ich möchte zu gern wissen, wer der Mann ist, der hier angerufen hat. Kim hatte auf mein Band gesprochen, daß sie nicht weiß, was mit ihr los ist, und da schien jemand gekommen zu sein. Sie hörte plötzlich auf, weil sie ein Geräusch vernahm. Dann kam nichts mehr. Ich mache mir wirklich große Sorgen, Mutti.«
»Wenn ich etwas tun kann, sag es mir. Walter ist zur Zeit wahnsinnig im Streß. Du weißt ja, wie angespannt die Marktlage ist, und die Konkurrenz schläft nicht.«
»Mit meinen Angelegenheiten braucht er nicht belastet zu werden. Ich habe meine Anstellung sicher und die Sache mit Kim wird auch zu klären sein. Ich glaube jetzt, daß sie vor etwas oder jemand Angst hat.«
»Es ist ja auch keine Sache, allein in diesem großen Haus zu sein. Die Meyrings sind schon komische Eltern.«
»Kim ist fast einundzwanzig, und sie war nie ängstlich. Sie ist schon oft allein im Haus gewesen.«
»Aber es wird so oft eingebrochen, dauernd liest man davon. Diese Ganoven gehen oft auch brutal vor.«
»Es sah aber nicht so aus, als wäre viel gestohlen worden. Ich weiß zwar nicht, was da so an wertvollen Sachen vorhanden ist, aber auffallende Unordnung war nicht zu bemerken.«
»Wenn es ein Einbrecher war, könnte er gestört worden sein«, sagte Hella nachdenklich.
»Ich habe die Schlüssel mitgenommen und könnte ja mal nachsehen, ob im Haus alles in Ordnung ist.«
»Geh da nicht allein hinein, man könnte dir etwas anhängen. Setz dich lieber mit Dr. Kiesling in Verbindung, er ist der Familienanwalt.«
»Ich werde mich jetzt lieber mit Constantin treffen. In dieser Situation wird er ja hoffentlich mal eine Zeit in dem Haus wohnen.«
»Was ist denn mit dem Hauspersonal, wohnt denn da niemand im Haus?«
»Darüber habe ich mit Kim nie gesprochen. Ich denke schon, daß jemand zum Saubermachen kommt. Vielleicht ist Kim heute ansprechbar.«
»Vergiß über Kim aber nicht dein Staatsexamen, Jan.«
»Bestimmt nicht, Mutti, aber mach dir keine Gedanken, ich habe alles im Kopf gespeichert, da passiert nichts.«
Hella Bernold war stolz auf ihren Sohn, aber sie war keine Glucke, die immer ihre Fittiche über ihn gebreitet hatte. Sie verstand Mütter nicht, die mit ihrer Affenliebe ihren Kindern, vor allem Söhnen, keinen Spielraum für ihre persönliche Freiheit ließen, sich in alles einmischten, auch in ihr Gefühlsleben, und so auch häufig der Grund waren, wenn Partnerschaften in die Brüche gingen. Für ihren Sohn stand die Tür immer offen, aber es gab keine Zwänge, die Konflikte hervorrufen konnten.
»Sag mir bitte, was die Untersuchungen ergeben, und sag Kim auch, daß ich sie sehr gern habe.« Jan küßte sie auf die Wange, als er sich verabschiedete. Seine Gedanken waren schon bei Kim.
*
Constantin kam erstaunlich pünktlich in die Klinik. Die jüngeren Schwestern verdrehten gleich die Augen und himmelten ihn an. Er war genau der Typ, der sofort auf Frauen wirkte, ein großer, jungenhaft wirkender, attraktiver Mann mit störrischem blondem Haar und strahlendblauen Augen. Man konnte ihn als Siegertyp bezeichnen.
Constantin verstand sich aber nicht so. Er freute sich des Lebens, wie er es sich eingerichtet hatte, kümmerte sich nicht um die Meinung anderer und ließ jedem seine eigenen Macken, wie er sich ausdrückte. Er beeindruckte dadurch, weil er so locker und natürlich war und gar keinen Eindruck schinden wollte.
Jan war immer wieder überrascht, wie zufrieden Constantin mit seinem Leben zu sein schien. Sie verstanden sich gut, so selten sie sich auch trafen.
»Meinst du, ich sollte mich mehr um Kim kümmern?« fragte Constantin unverblümt.
»Es wäre vielleicht ganz gut, aber wichtiger wäre es jetzt, daß du dich um das Haus kümmerst. Es könnte sein, daß tatsächlich etwas gestohlen wurde, ich kann das nicht sagen. Ich möchte auch nicht allein ins Haus gehen.«
»Hast du etwa Angst?« fragte Constantin ironisch.
»Nein, aber es könnte ja etwas fehlen.«
»Liebe Güte, dich würde doch niemand verdächtigen.«
»Das kann man nie sagen. Als Kim weggebracht wurde, habe ich alle Fenster und Türen geschlossen. Mit der Alarmanlage kann ich nicht umgehen.«
»Ich auch nicht, sie geht außerdem zum falschen Zeitpunkt los. Wenn meine Eltern so bedacht wären auf ihr Luxushaus, müßten sie ja nicht wochenlang fern sein. Wahrscheinlich ist nichts so wertvoll, daß es nicht zu ersetzen wäre.«
Sie wurden unterbrochen, denn Dr. Jenny Behnisch kam aus einem Krankenzimmer. Sie bat die beiden jungen Männer in ihr Sprechzimmer. Sie war so ernst, daß Jan die Kehle eng wurde.
»Der Zustand von Kim ist jetzt stabil«, begann sie. »Anzeichen von Bulimie sind vorhanden, da sie Untergewicht und Mangelerscheinungen hat. Aber es gibt auch Anzeichen, daß ihr Amphetamine zugeführt wurden.«
»Das ist kaum vorstellbar«, sagte Jan hastig.
Constantin runzelte die Stirn. »Drogen?« sagte er kopfschüttelnd. »Nein, das kommt bei Kim nicht in Frage, dazu ist sie viel zu gescheit.«
»Es besteht die Möglichkeit, daß sie durch eine Erkrankung an solche Mittel gekommen ist und die Magersucht daher resultiert.«
»Als sie vor vier Wochen den Urlaub antrat, war sie gesund, schlank aber nicht mager«, sagte Jan. »Nun ja, viel gehörte ja bei ihr nicht dazu, so mager zu werden. Ich schätze, daß sie dazu ungefähr drei Kilo abnehmen mußte.«
»Sie hat nie mehr als fünfzig Kilo gewogen«, warf Constantin ein.
»Bei einer Größe von ein Meter sechsundsechzig ohnehin wenig«, stellte Jenny Behnisch fest. »Aber wir kennen die Probleme, die sich Mädchen und junge Frauen selbst schaffen. Die Mode, dieses unzählige Diäten, in jeder Illustrierten gibt es andere, und dann werden auch noch Fettblocker und Schlankmacher angepriesen, man macht sich ganz schnell kaputt dabei. Die Folgen können schwerwiegend sein, nicht nur für die Organe, auch für Knochen und Muskeln. Aber wer denkt schon daran.«
»Was also kann für Kim getan werden?«
»Man kann ihr vielleicht diese Folgen schildern, aber zuvor muß man ihr die Sicherheit geben, daß sie nicht im Stich gelassen wird.«
»Sie hat sich in ein Schneckenhaus verkrochen«, sagte Jan, »man kommt nicht an sie heran. Ich war neulich unnachgiebig, und als ich heimkam, hatte sie auf Band gesprochen, daß es ihr leid tut und ich nicht böse sein soll. Also macht sie sich doch Gedanken, aber irgendwie ist eine Blockade da, die sie hindert, sich auszusprechen.«
»Man muß ganz behutsam vorgehen und nach dem Grund suchen. Sie könnte einen Schock erlitten haben oder sehr enttäuscht worden sein.«
»Sie erzählt gar nichts«, sagte Jan.
»Manchmal dauert es lange, bis man einen Durchbruch erzielt, man muß viel Geduld haben«, erklärte Jenny Behnisch. »Schauen wir jetzt mal nach ihr. Es sind ihr schon drei Infusionen zugeführt worden. Sie müßten schon eine Wirkung haben.«
Sie gingen gemeinsam zu dem Krankenzimmer, es war ein größerer heller Raum. Blaß und schmal lag Kim in dem weißen Bett, die Augen geschlossen, die Lippen leicht geöffnet, was Jenny als gutes Zeichen wertete.
Constantin und Jan tauschten einen langen Blick.
»Geh du zuerst«, sagte Jan leise.
Constantin zuckte die Schultern und sah Jenny fragend an. Sie nickte ihm zu, und er näherte sich dem Bett.
Zaghaft streichelte er Kims Hände. »Hallo, Kleine«, sagte er heiser, »dein treuloser Bruder ist da. Ich hoffe, du kannst mich hören.«
In ihrem Gesicht arbeitete es. Man müßte jetzt ihre Gedanken lesen können, dachte Jenny Behnisch, während Jans Mundwinkel zuckten. Sein Gesicht war wie ein offenes Buch.
Wo bin ich, dachte Kim, denn sie hatte Constantins Stimme wie aus weiter Ferne vernommen. Was ist geschehen? Sie wollte sehen, wer da bei ihr war, denn sie konnte nicht glauben, daß es Constantins Stimme gewesen war. Mühsam versuchte sie die Augen zu öffnen, aber die Lider schienen schwer wie Blei zu sein.
»Hörst du, Kim, Constantin ist bei dir«, sagte Jan jetzt wieder.
»Tino«, quälte es sich über ihre blassen Lippen, aber man konnte es hören. Jenny atmete auf. Und nun hoben sich auch die Lider ganz langsam, fielen wieder herab und öffneten sich dann wieder.
»Da bist du ja endlich«, sagte Constantin. »Was ist denn los, Kim?«
Er war nie fürs Schmusen gewesen, immer gradheraus und unsentimental, was aber nicht bedeutete, daß er keine Gefühle zeigen konnte. Allein, wie er nun ihre Wangen streichelte, verriet viel Zärtlichkeit.
»Wo bin ich?« flüsterte Kim.
»In der Behnisch-Klinik.«
»Wieso?«
»Das kann Jan dir besser erklären, aber kannst du dich nicht erinnern, was geschehen ist?«
»Nein. Was ist geschehen?«
Das Sprechen fiel ihr sehr schwer, die Kehle war trocken, Jenny netzte ihre Lippen mit kühlem Tee. Kim sah Jenny verwundert an.
»Dr. Behnisch, ich kenne Sie«, flüsterte sie.
»Das freut mich, wir haben Sie von dem lästigen Blinddarm befreit, ist schon ein paar Jahre her.«
»Ich war siebzehn und wollte auf einen Ball gehen.« Sie konnte sich genau daran erinnern. Es war sicher keine angenehme Erinnerung, aber das Erschrecken, das sich jetzt auf ihrem Gesicht abzeichnete, machte Jenny Behnisch nachdenklich. Wie ein Hauch kam der Name Hanno über ihre Lippen, aber nur Jenny vernahm ihn.
Kims Lippen preßten sich aufeinander und nun waren die Augen wieder geschlossen, und ihr Herz hämmerte.
Jan war ans Bett getreten und griff nach Kims Hand. »Ich bin dir nie böse, Kim. Ich bin noch mal zurückgekommen und habe dich gefunden. Du lagst am Boden und hattest eine Kopfwunde. Was war geschehen? Es muß jemand gekommen sein, als du mir die Nachricht auf Band gesprochen hast.« Er drückte die Lippen auf ihre Hand.
»Der Fisch«, murmelte sie, »Trockner.« Dann schlief sie wieder.
Jan richtete sich langsam auf. »Seltsam«, murmelte er, »was kann das bedeuten?«
»Was hat sie gesagt?« fragte Constantin.
»Fisch – Trockner, sie wollte mir etwas mitteilen, aber ich kann damit nichts anfangen.«
Jenny konnte sich auch nichts zusammenreimen. Sie sagte, daß Kim jetzt wieder schlafen würde.
»Dann fahren wir zum Haus und schauen nach, ob was fehlt«, meinte Constantin. »Hast du Zeit, Jan?«
»Ich nehme sie mir.«
»Ist schon ein komisches Gefühl«, sagte Constantin, als sie durch den Garten gingen, »es sieht aber doch sehr gepflegt aus. Kommt Motzki doch immer noch?«
»Wer ist das?« fragte Jan.
»So ein Hobbygärtner, Moser heißt er, ich habe ihn Motzki genannt, weil er dauernd gemotzt hat bei der Arbeit. Dann hat Vater sich mal mit ihm angelegt, und er ist weggeblieben.«
»Was habt ihr überhaupt für Hauspersonal?«
»Keine Ahnung, von den Frauen ist ja nie eine lange geblieben. Mit Mama ist kein leichtes Auskommen, ihren Feldwebelton verträgt nicht jeder. Ich nehme an, daß sie Putzfrauen hat, die stundenweise kommen.«
»Wie bei uns, Hausarbeit machen doch nur noch die, die steuerfrei dazuverdienen wollen.«
Irgendwie redeten sie vertraut miteinander wie nie zuvor. Die Sorge um Kim hatte sie einander nähergebracht.
Als Jan die Tür aufgeschlossen hatte, wollte er Constantin den Schlüsselbund geben, aber der winkte ab.
»Behalte du ihn nur, ich habe irgendwo einen Hausschlüssel, aber ich werde doch nicht herkommen.«
»Ich wollte dich fragen, ob du nicht hier wohnen würdest, solange deine Eltern nicht hier sind. Man sollte Kim nicht allein lassen.«
Constantins Augenbrauen schoben sich zusammen. »Sie sollte lieber woanders wohnen, wenn sie aus der Klinik kommt. Wäre es nicht bei dir möglich?«
»Möglich wäre es schon, aber sie wird es nicht wollen.«
»Ich kann ja mal mit ihr reden. Bei mir wird es ihr nicht gefallen, weil zuviel Betrieb ist. Was ist eigentlich mit ihrer Freundin Ulrike?«
»Sie studiert in Paris. Es war die Rede davon, daß sie sich auf Madeira treffen, aber Kim hat es nicht erwähnt.«
»Da hat es sicherlich Zoff gegeben, und Kim kommt darüber nicht hinweg. Sie hat sich schon immer alles sehr zu Herzen genommen, wenn Ulli aus der Rolle gefallen ist. Sie ist ganz anders als Kim, sie kann kräftig verteilen, aber keine Kritik annehmen.«
»Ich kenne sie nicht so gut wie du. Ich hatte nur den Eindruck, daß sie mit allen Mitteln und ohne Rücksicht auf andere Karriere machen will.«
»Genauso ist sie. Aber solche suchen sich ja immer Freundinnen, die sie mit ihren Spitzen treffen können. Ich hasse diese Weiber, die so boshaft sticheln, wenn sie sich nicht hinreichend gewürdigt fühlen. Ulrike ist ein Schulbeispiel dafür.«
»Und Kim ist zu tolerant, um zurückzuschlagen«, sagte Jan. »Aber seit dem Urlaub habe ich sie auch aggressiv kennengelernt.«
»Wenn du ihr ordentlich die Meinung sagst, wird sie es sich zu Herzen nehmen, aber sie ist nicht nachtragend.«
Sie standen im Wohnzimmer, und Constantin blickte sich um. »Ein paar Bilder hängen schief, es könnte jemand nach einem Safe gesucht haben, aber wir haben keinen im Haus. Mama hat ein Geheimfach in ihrer Schrankwand, da können wir mal nachschauen, aber das ist durch einen Code gesichert. Vater bringt alles zur Bank, und in seinem Büro hat er einen Tresor. Bargeld in größeren Mengen wird nie zu Hause aufbewahrt, und ihren Schmuck schleppt Mama immer mit, wenn sie verreisen.«
»Siehst du einen Fisch?« fragte Jan.
»Wir hatten nie Fische, das macht zuviel Arbeit. Fisch, das könnte doch auch Tierkreiszeichen bedeuten, aber da kenne ich auch niemanden.«
»Fisch – Trockner, das muß für Kim einen Zusammenhang haben. Was gibt es für Trockner?«
»Mir fällt nur der Wäschetrockner ein, der ist im Keller. Nachsehen kostete ja nichts. Ich bin ein creativer Mensch, ich habe oft Schnapsideen.«
Sie gingen in den Keller, den man als Wirtschaftsbereich bezeichnen konnte. Er war hell getüncht, hatte große Fenster und einen hellen Fliesenboden. Es war geheizt und beinhaltete die Waschküche, ein Bügelzimmer, einen Vorratsraum und den Heizungskesselraum.
Blitzsauber war alles, aber als sie in den Trockner schauten, waren sie momentan sprachlos. Darin lag ein blaugrüner Keramikfisch, der in der Mitte auseinandergebrochen war, aber er war mit einer Plastiktüte ausgestopft.
»Ich kenne so was aus Spanien, diese Keramiksachen werden als Souveniers verkauft. Billig sind sie nicht, und vielleicht hat sich Kim geärgert, daß er zerbrochen ist«, meinte Constantin.
»Aber doch nicht so, daß es ihr so wichtig ist«, sagte Jan. »In ihrem Zustand hätte sie sich doch an etwas Bedeutenderes erinnern können.« Er nahm den Fisch heraus und seine Augen weiteten sich, als er die Plastiktüte berührte. »Da ist was drin, fühlt sich wie Mehl an.«
Constantin stieß einen schrillen Pfiff aus.
»Mamma mia! Das wird doch nicht Koks sein?«
Sie starrten sich an und überlegten krampfhaft. »Ich kann mir nicht vorstellen, daß Kim als Dealerin tätig ist«, sagte Constantin heiser.
»Niemals. Das muß ihr jemand untergejubelt haben. Als der Fisch auseinanderbrach, hat sie es entdeckt und es mit der Angst gekriegt«, stieß Jan hervor. »Und es war jemand im Haus, um nach dem Fisch zu suchen und hat Kim niedergeschlagen.«
»Gut kombiniert, aber ob es stimmt?« überlegte Constantin. »Was machen wir nun?«
»Wir müssen abwarten, bis wir mit ihr reden können«, sagte Jan. »Und wir sollten dieses Ding anderswo sicherstellen.«
»Ich nehme das nicht mit«, winkte Constantin gleich ab. »Ich hatte schon mal Scherereien mit einem sogenannten Freund, der gekokst hat. Ich will damit nichts zu tun haben. Wie Kim in so was hineinschlittern konnte, begreife ich nicht.«
»Sie hat bestimmt keine Ahnung gehabt. Jetzt kann ich mir auch ihren Zustand erklären. Sie hatte Angst.«
»Hast du vergessen, daß Frau Dr. Behnisch von Amphetaminen geredet hat? Davon kann man auch süchtig werden.«
»Und wenn man ihr so was ohne ihr Wissen gespritzt hat?«
»Man kann es auch in Tablettenform einnehmen. Ich will meine kleine Schwester nicht verdächtigen, aber wer weiß, in welche Gesellschaft sie geraten ist. Da kommt man oft ganz schnell auf den falschen Weg.«
»Nein, nicht Kim, sie war verängstigt, das ist mir jetzt klar. Es war Selbstschutz, daß sie so verschlossen war. Sie konnte vielleicht die Hintergründe und Zusammenhänge nicht ganz klären und befand sich in einem Schockzustand. Ja, es muß ein gewaltiger Schock gewesen sein, als sie das entdeckte. Sie wußte, welche Probleme sie bekommen könnte. Sie wird ständig überlegt haben, was sie machen soll, aber sicher war sie sich auch klar darüber, daß irgend jemand diesen Fisch an sich bringen würde. So hat sie ihn in den Trockner gelegt in der Hoffnung, daß man ihn dort nicht suchen würde. Eigentlich ist es ja ein Dekorationsstück, das man irgendwohin stellt. Vielleicht gefiel er ihr so gut, daß sie ihn für sich haben wollte und das hat ein anderer ausgenützt.«
»Warum schreibst du keine Krimis, Jan? Auf solche Ideen wäre ich nicht gekommen.«
»Ich habe mal einen Krimi gesehen, da war Kokain in Puppen versteckt und wurde so von China ins Ausland geschmuggelt. Das ist mir in den Sinn gekommen. Vielleicht war Kim nicht die Einzige, die so eine Figur erworben hat oder geschenkt bekam. Wieviel mag der Inhalt wert sein?«
»Mindestens eine sechsstellige Summe.« Constantin starrte vor sich hin. »Es klingt plausibel, was du gesagt hast. Kim könnte in eine gewaltige Klemme geraten, wenn der Stoff bei ihr entdeckt wird. Oder sie schwebt jetzt in Lebensgefahr.«
»Bei meiner Mutter hat ein Mann angerufen und gefragt, ob Kim bei mir ist. Also muß er doch wohl von unserer Beziehung wissen.«
»Und er weiß, daß sie nicht hier im Haus ist. Das ist doch alles kein Zufall mehr.«
»Ich mache mir Sorgen um Kim. Es darf nicht publik werden, daß sie in der Behnisch-Klinik liegt. Ich werde heute noch mit Dr. Norden sprechen, wie man sie schützen kann.«
Constantin maß ihn mit einem langen Blick.
»Du bist wirklich ein ehrlicher Freund«, stellte er fest, »so was ist selten. Aber jetzt werden wir noch mal das Haus inspizieren, ob sich jemand Zutritt verschafft hat. Aber zuerst schaue ich in den Schlüsselschrank, es sind immer Ersatzschlüssel für die einzelnen Schlösser vorhanden.«
»Oder man kann sich welche anfertigen lassen«, sagte Jan nachdenklich.
»So ist es. Auf jeden Fall werde ich umgehend ein zweites Sicherheitsschloß einbauen lassen. Die Jalousien können auch von innen gesichert werden. An was man alles denken muß! Da stellen sie sich solchen Riesenkasten hin und sind dauernd unterwegs. Aber Prestige muß ja sein. Möchtest du mal hier wohnen?«
»Darüber brauche ich nicht nachzudenken.«
»Wollt ihr denn nicht mal heiraten, Jan?«
»Das müßtest du eher Kim fragen.«
»Sie wird sich wieder fangen, wenn diese Sache in Ordnung gebracht ist.«
»Das hoffe ich sehr. Bringst du das mit dem Schloß in Gang? Ich werde diesen teuflischen Fisch wegschaffen. Gibst du mir eine Reisetasche? Ich kann ihn schlecht unter dem Arm nehmen.«
»Du bist wenigstens nicht zimperlich. Kim sollte begreifen, was sie an dir hat.«
*
Das ging Kim durch den Kopf, als sie wieder einen Wachzustand hatte. Ich kann Jan vertrauen, er hält zu mir, dachte sie. Ich werde damit nicht allein fertig. Warum haben sie ausgerechnet mich ausgesucht für diese schmutzige Sache? Wirke ich denn so naiv, daß mir keiner etwas Schlechtes zutraut? Wer war dieser Mensch, der mich niedergeschlagen hat? Das war die Frage, die sie am meisten bewegte. Sie hatte ihn nicht gesehen, nur gehört, und ehe sie es noch ganz begriff, war sie von hinten niedergeschlagen worden.
Ob sie den Fisch gefunden haben? Das war die nächste Frage, die sie bewegte. Von dem Inhalt hätte sie gar nichts bemerkt, wenn der Fisch ihr zu Hause nicht aus der Hand gefallen und gebrochen wäre. Sie hätte ihn Hanno und Gaby zur Hochzeit geschenkt, weil Gaby sich so einen Fisch gewünscht hatte.
Wieso hat sie sich so einen Fisch gewünscht, warum hatte Ulrike gerade diesen ausgesucht? Mißtraute sie jetzt schon jedem, sogar ihren alten Freunden?
Aber hatte der Urlaub auf Madeira wirklich das gehalten, was sie sich versprochen hatte? Ulrike hatte das Urlaubsziel vorgeschlagen, und in dem Ferienclub hatte sie dann eine ganze Anzahl verrückter Leute kennengelernt, mit denen sie nichts anzufangen wußte. Aber Ulli war Mittelpunkt gewesen, so, wie sie es am liebsten hatte.
Woher hatte sie nur plötzlich soviel Geld, daß sie sich die teuersten Sachen leisten konnte? Sie studierte doch noch, verdiente sich nur nebenbei etwas als Model. Sie hatte behauptet, daß das sehr gut bezahlt würde.
Plötzlich wollte Kim gar nicht mehr nachdenken, vor allem nicht erinnert werden an die Tage, an denen es ihr so schlechtging, wirklich schlecht, ohne daß sie wußte, woher das kommen könnte. Ulli hatte gemeint, es wäre eine Fischvergiftung gewesen. Sie war froh, als sie nach Hause fliegen konnte, denn sie konnte sich nicht mehr richtig erholen. Sie hatte Hunger, fühlte sich schwach, aber wenn sie etwas gegessen hatte, mußte sie sich übergeben. Das war ein Zustand, der ihr zu schaffen machte, aber Jan gegenüber wollte sie es leugnen.
Ob sie hier in der Klinik schon herausgefunden hatten, was ihr fehlte, woran es lag, daß sie so abgenommen hatte? Sollte sie nicht wenigstens Dr. Norden erzählen, was ihr nicht mehr aus dem Kopf gehen wollte?
Sie konnte sich aber nicht erinnern, daß sie Jan die beiden Worte ›Fisch‹ und ›Trockner‹ gesagt hatte. Sie machte sich Gedanken, ob derjenige, der sie niedergeschlagen hatte, fündig geworden war. Vielleicht war es doch nicht ein so gutes Versteck gewesen, aber wenn der Fisch in die Hände dessen gelangt war, der ihn in ihrem Haus gesucht hatte, mußte sie sich doch eigentlich keine Gedanken mehr machen. Aber sie konnte ihn Hanno und Gaby nicht zur Hochzeit schenken. Sie mußte sich etwas einfallen lassen. Vielleicht konnte man hier auch in einem Spezialgeschäft so etwas kaufen. Ihre Gedanken verwirrten sich, wie ein Wirbel überschlugen sie sich in ihrem Kopf.
Als Jenny das Krankenzimmer betrat, wurde Kim von einem wilden Schluchzen geschüttelt. Zuerst war Jenny sehr erschrocken, dann aber nahm sie Kims Hände und sprach tröstend auf sie ein.
»Es wird alles gut, Kim, Sie brauchen keine Angst zu haben. Hier sind Sie sicher.«
Jenny wußte nicht, warum sie diese Worte wählte, da Jan sie noch nicht gebeten hatte, niemanden zu Kim zu lassen.
Aber erst nach einem Beruhigungsmittel, das ihr mit der Infusion zugeführt wurde, schlief Kim wieder ein.
*
Jan hatte die Reisetasche mit dem ominösen Inhalt zu seiner Wohnung gebracht und dort versteckt, wo er meinte, daß niemand ihn finden würde, nämlich in einer Truhe oben auf dem Speicher.
Sicher ist sicher, dachte er, denn auf keinen Fall durfte Kim einem so schlimmen Verdacht ausgesetzt werden. Wie sollte sie denn beweisen, daß sie keine Ahnung von dem Inhalt des Fisches gehabt hatte!
Anschließend fuhr er zu Dr. Norden, eine ganz ähnliche Reisetasche, in die er schnell ein paar Handtücher und Unterwäsche gepackt hatte, mit sich nehmend. Wenn man ihn beobachtete, konnte das irreführend sein, wie er dachte. Er war selbst erstaunt, was ihm alles in den Sinn kam.
Wendy war sehr erstaunt, daß Jan, den sie als einen sehr ruhigen jungen Mann kannte, so nervös und hektisch war.
»Ich müßte Dr. Norden dringends sprechen. Ich mache es ganz kurz, Wendy. Es geht um Kim.«
»Es hat grad jemand angerufen, ob Kim Meyring in der Praxis sei«, erklärte Wendy. »Was ist denn eigentlich los?«
»Das erkläre ich Ihnen später mal. War es ein Mann oder eine Frau?«
»Es war eine Frau. Ich fragte sie nach ihrem Namen, aber sie sagte nur, daß sie eine Freundin sei. Ich habe gesagt, daß wir telefonisch keinerlei Auskünfte geben. Basta.«
»Das ist wirklich gut, danke, Wendy.«
»Heute muß etwas in der Luft liegen«, brummte sie, »die Patienten sind alle schlecht drauf.«
Er konnte im Labor warten. Dr. Norden kam nach fünf Minuten.
»Ich halte sie nicht lange auf«, sagte Jan hastig, »es ist nur so, daß wir annehmen müssen, daß jemand hinter Kim her ist, und daß sie in ziemlicher Gefahr sein könnte.«
»Kennen Sie den Grund?«
»Ich kann ihn nur vermuten, aber ich muß erst mit Kim sprechen. Ich will kein wildes Gerücht in die Welt setzen. Ich möchte Sie nur sehr bitten, mit Frau Dr. Behnisch zu sprechen, daß kein Fremder zu ihr gelassen wird.«
»Das können Sie ihr doch auch sagen.«
»Aber wenn Sie es sagen, hat es mehr Gewicht. Mich nimmt sie vielleicht nicht ernst und denkt, ich sei nur eifersüchtig.«
»Sind Sie eifersüchtig, haben Sie Grund dazu?«
»Nein, ich denke nur, daß Kim unwissend in eine schlimme Situation geraten ist, daß ihr etwas untergejubelt wurde, von dem sie keine Ahnung hatte.«
»Das klingt allerdings sehr geheimnisvoll. Können wir uns nach sechs Uhr in der Klinik treffen?«
»Ich fahre jetzt hin und bleibe bei Kim.«
»Dann sehen wir uns, ich habe jetzt keine Zeit für ein längeres Gespräch.«
»Ich bin sehr froh, daß ich mit Ihnen reden kann. Ich möchte Kim helfen, sie braucht Hilfe.«
»Das weiß ich auch.«
Aber soviel wie Jan konnte er gar nicht wissen. Für ihn ging es um Kims Gesundheitszustand.
*
Constantin hatte inzwischen mit dem Schlosser, der schon viel in diesem Haus gemacht hatte, gesprochen, und er war auch gleich gekommen. Er war noch dabei, das neue Schloß einzubauen, als es läutete.
Sich selbst zur Vorsicht mahnend, schaute Constantin erst hinaus, sah eine weibliche Person, konnte sie aber nicht erkennen. Er ging hinaus, damit der Schlosser ungestört blieb.
Als er zur Gartentür ging, erkannte er Gaby Stein. Er kannte sie nur flüchtig, war aber ganz arglos, da er sie zu Kims Freundeskreis rechnete.
»Ich wollte Kim besuchen«, sagte sie, »muß ich vor der Tür bleiben?«
»Entschuldige, aber ich habe gerade den Schlosser da. Kim ist nicht zu Hause.«
»Wo ist sie denn?«
Constantin fiel es rechtzeitig ein, daß er mit Jan verabredet hatte, zu niemanden etwas über die Behnisch-Klinik zu sagen.
»Kim ist ein paar Tage verreist.«
»Wohin denn?«
»Weiß ich auch nicht genau.«
»Und wozu braucht ihr einen Schlosser? Ist bei euch eingebrochen worden?«
»Nein, es sind Schlüssel verlorengegangen.« Er wurde nun doch stutzig, denn sie hatte plötzlich einen so merkwürdigen Blick.
»Wir heiraten in zwei Wochen, kommst du auch?«
»Ich bin nicht eingeladen.«
»Aber die Einladung gilt für die ganze Familie.«
»Ich bin viel unterwegs, und ehrlich gesagt habe ich es nicht mit Familienfeiern.«
Sie lächelte. »Immer noch der Außenseiter? Wie schade, ich könnte dich mit einer reizenden jungen Dame bekannt machen, die durchaus adäquat ist.«
Jetzt wurde er ungehalten. »Danke, kein Bedarf. Entschuldige, ich muß mich um den Schlosser kümmern. Viel Glück in der Ehe.«
»Du bist und bleibst ein elender Spötter!« zischte sie gereizt.
»Wenn du es sagst«, gab er sarkastisch zurück.
Eine Unterhaltung über den Zaun hinweg, das war eigentlich nicht sein Stil, aber er war froh, als sie weg war. Im Nachhinein kam ihm dieses Zwischenspiel sehr merkwürdig vor.
Im Grunde interessierte sich Constantin überhaupt nicht für andere Leute, aber jetzt dachte er doch über Hanno Veltin nach, der ja Kims erster Freund gewesen war. Warum war es zwischen den beiden plötzlich vorbei gewesen?
Das war lange her, aber Constantin erinnerte sich doch, daß damals Hannos Vater plötzlich gestorben war und seine Firma in finanziellen Schwierigkeiten. Hanno hatte gerade das Abitur gemacht. Er mußte jetzt vierundzwanzig sein. Gaby wirkte eigentlich älter.
Ach was, warum soll ich darüber nachdenken, wenn sie so blöd sind, so jung zu heiraten, sagte sich Constantin, und der Schlosser sagte in diesem Augenblick: »Fertig, jetzt soll mal einer versuchen, die Tür aufzubringen!«
Constatin gab ihm einen Fünfzigeuroschein. »Danke für das schnelle Kommen, die Rechnung bezahlt mein Vater.«
»Wie immer, stets zu Diensten.« Er war noch vom alten Schlag. Für Constantin war es sehr beruhigend, daß er das so gesicherte Haus nun verlassen konnte. Er fuhr auch zur Klinik.
*
Jan war schon eine ganze Zeit bei Kim, als sie endlich die Augen aufschlug.
»Du bist da«, flüsterte sie, »nicht mehr böse?«
»Ich war nie böse, das habe ich dir schon mehrmals gesagt, Kim. Ich habe dich sehr lieb.«
»Immer noch?«
»Immer.« Er beugte sich zu ihr und küßte sie auf die bebenden Lippen. »Bitte, vertrau mir.«
»Ich will gar kein Model werden, und ich möchte gern wieder so sein, wie ich dir gefallen habe.«
»Das kommt schon wieder, Aber vor allem muß jetzt wieder alles in Ordnung kommen, mein Kleinchen.«
Das war das Kosewort, das sie sich gefallen ließ, sonst akzeptierte sie keins.
Sie legte eine Hand an seine Wange. »Es ist soviel passiert, aber du bist immer noch da«, sagte sie gedankenverloren.
»Mich wirst du nicht los, wenn du es nicht willst, deshalb bin ich ja glücklicherweise am Abend auch wieder zurückgekommen. Ich darf gar nicht daran denken, was hätte geschehen können, wenn ich dich nicht gefunden hätte.«
»War noch jemand im Haus?«
»Nein, wahrscheinlich hat mein Erscheinen ihn verscheucht. Aber wie ist er oder sie ins Haus gekommen? Über die Terrasse?«
»Nein, die war geschlossen.«
»Wir wollen mal ganz genau überlegen, Kim. Du hast die Nachricht für mich auf Band gesprochen, wann war das, kannst du dich möglichst genau erinnern?«
Sie griff sich an die Stirn. »Du warst gegangen, und gleich hat es mir leid getan, daß ich so ekelhaft war. Ich wollte mit dir sprechen. Ich habe gedacht, du fährst gleich nach Hause, also habe ich eine Viertelstunde gewartet. Vielleicht waren es auch zwanzig Minuten, denn du warst noch nicht zu Hause.«
»Ich bin zum Fitneßcenter gefahren und wollte mich abreagieren, aber ich war unruhig und fuhr zurück. Also war ich ungefähr fünfundzwanzig Minuten später wieder bei dir. Du hast ein Geräusch gehört, während du die Nachricht gesprochen hast, das sagtest du.«
»Ja, es kam von der Tür. Jemand schloß auf, ja, es wurde aufgeschlossen. Deshalb hatte ich auch keine Angst. Ich wollte aber nachsehen, aber ich konnte nichts entdecken. Da dachte ich, ich hätte mich getäuscht und ging ins Wohnzimmer zurück, weil ich dir noch sagen wollte, daß ich dich gern bald wiedersehen möchte. Da bekam ich von hinten einen Schlag auf den Kopf.«
»Hattest du gar nichts gehört, Kim?«
»Doch, einen Atemzug, und ein Duft stieg mir in die Nase. Ich wollte mich umdrehen, aber da traf mich schon der Schlag. Wahrscheinlich hatte ich durch die Drehung die Platzwunde bekommen.«
»Ich muß wenig später gekommen sein, dadurch hatten sie keine Gelegenheit mehr, das Haus zu durchsuchen.«
»Denkst du, daß es mehrere waren?«
»Es ist alles möglich, auch daß es eine Frau gewesen ist. Viel gehört ja nicht dazu, dich umzupusten. Ich bin heilfroh, daß nichts Schlimmeres passiert ist, Kleinchen.«
Sie schmiegte sich in seinen Arm, als er diesen unter ihre Schultern geschoben hatte. »Wenn ich nur wüßte, was das alles zu bedeuten hat«, flüsterte sie.
»Darf ich dir ein paar Fragen stellen, ohne daß du dich aufregst?«
»Frag nur, ich weiß ja, daß du mir helfen willst.«
»Zuerst mal dieser Duft, kannst du ungefähr sagen, was es für einer war, Deo oder Pafüm?«
»Eau de Toilette würde ich sagen, nicht süßlich, Männer benutzen auch manchmal solche Düfte, die eigentlich mehr zu sportlichen Frauen passen. Aber ich kann mich nicht festlegen, weil ich immer den gleichen Duft habe.«
Er überlegte ein paar Sekunden, dann fragte er: »Was haben die Worte ›Fisch – Trockner‹ zu bedeuten, die du mir sagtest, als ich am Morgen bei dir war?«
»Habe ich das wirklich gesagt?« Als Jan nickte, schloß sie die Augen.
»Gaby und Hanno haben sich einen Fisch aus Keramik zur Hochzeit gewünscht. Auf Madeira werden solche Dinge sehr edel hergestellt, es ist Kunsthandwerk. Ich habe einen mitgebracht, aber er bekam beim Transport einen Sprung, und als er mir aus der Hand rutschte, zerbrach er.«
Jan sah sie forschend an. »Wußtest du etwas über seinen Inhalt?«
Kim zuckte zusammen. »Hast du ihn etwa gefunden?« fragte sie bebend.
»Ich war mit Constantin im Haus, und wir haben alles abgesucht, um festzustellen, ob etwas gestohlen wurde. Da sind wir dann nach einigem Überlegen auf den Wäschetrockner gekommen und haben diesen gräßlichen Fisch gefunden, der als Hochzeitsgeschenk etwas fehl am Platz zu sein scheint.«
»Aber sie haben ihn ausdrücklich gewünscht, und Ulrike hat ihn ausgesucht. Mir war es gleich, was ich ihnen schenke, und allzu teuer war er nicht.«
»Der Inhalt ist einige hunderttausend Euro wert, und wenn dich der Zoll oder die Polizei damit erwischt hätte, müßtest du viele Jahre hinter Gittern verbringen, Kim. Sei nicht böse, daß ich das so deutlich sage, aber wir wollen dir die Tatsachen vor Augen führen und dir aus diesem Dilemma heraushelfen.«
»Dann glaubt ihr mir, daß ich damit nichts zu tun habe?«
»Ich glaube dir, Constantin ist besorgt, daß du in schlechte Gesellschaft geraten bist.«
»Das muß wohl auch so sein«, erwiderte sie gequält, »mir kommen schreckliche Gedanken.«
Da ging die Tür auf, und Constantin erschien. »Hallo, Kleine, es scheint besser auszusehen«, sagte er, um einen leichten Ton bemüht, obgleich ihm schwere Gedanken bewegten.
»Wir sind grade bei dem Fisch angelangt«, erklärte Jan etwas hastig.
»Der wird uns schon noch nachhaltig beschäftigen«, sagte Constantin. »Ich soll dir Grüße von Gaby bestellen, Kim.«
Überraschung zeichnete sich in Kims Mienenspiel ab. »Wo hast du sie denn getroffen?«
»Sie wollte zu dir, aber ich habe sie nicht reingelassen, weil der Schlosser da war.«
»Der Schlosser, wieso?«
»Ich habe noch ein Sicherheitsschloß einbauen lassen, und Gaby erkundigte sich merkwürdig interessiert, was denn bei uns los sei, und natürlich auch, wo du bist. Ich habe ihr gesagt, daß du verreist bist.«
»Das ist gut, ich lege keinen Wert auf ihren Besuch.«
»Und wie ist es mit Hanno?« fragte Jan beiläufig.
»Auf den lege ich erst recht keinen Wert.«
»Aber die Einladung zur Hochzeit hast du angenommen.«
»Sie sollten nicht denken, daß es mir etwas ausmacht, daß sie heiraten. Ich weiß nicht, was sie sich einbilden, aber es könnte ja sein, daß sie großen Wert auf ein besonderes Hochzeitsgeschenk legen, das ich ihnen nun gar nicht präsentieren kann.«
Jan und Constantin tauschten einen bedeutungsvollen Blick. »Was denkst du dir?« fragte Constantin.
»Ich weiß nicht, was ich denken soll, aber ich versuche, Zusammenhänge zu finden. Da ihr euch aber auch etwas denkt, das sehe ich euch an, können wir ja gemeinsam überlegen, welche Zusammenhänge es geben könnte.«
»Du weißt, daß in dem Fisch ein Päckchen Kokain ist?« fragte Constantin in seiner direkten Art.
»Ich habe es vermutet, als ich es sah, ganz dämlich bin ich ja nicht, wenn man mich auch dafür zu halten scheint.«
»Wen meinst du? Die Karten auf den Tisch, Kim«, sagte Constantin.
»Es kann ja alles Zufall sein, aber so langsam bekommt es ein anderes Gesicht«, begann Kim stockend. »Wieso wünschen sich Hanno und Gaby solchen Fisch, und Ulrike redet mir mit Engelszungen zu, daß ich ihn kaufe. Ich wollte es ja gar nicht, aber Ulli hat immer wieder gesagt, daß es wirklich etwas wäre, worüber sie sich freuen würden. Mein Geschmack ist so was ja nicht.«
»Hat sie den Fisch auch ausgesucht?« fragte Constantin.
Kim nickte. »Es war so, daß ich mich ein paar Tage nicht wohl fühlte. Ich wollte nicht darüber reden. Es ging mir sogar verflixt schlecht, angeblich war es eine Fischvergiftung. Ein Arzt war auch bei mir, das heißt, er gehörte zu der Gesellschaft im Ferienclub. Und während ich im Bett lag, hat Ulli den Fisch erstanden und mir dann freudestrahlend erzählt, daß ich mich nicht mehr darum kümmern müsse. Ich war ganz froh darüber. Ich fühlte mich hundeelend. Als ich zum ersten Mal wieder etwas gegessen hatte, nur einen Toast mit Streichkäse, mußte ich mich wieder übergeben. Es ist schon blöd, wenn man in Urlaub fährt und krank wiederkommt. Aber ich hatte keine Hintergedanken.«
»Jetzt hast du aber welche?« Jans Miene war sehr besorgt.
»Das ist doch logisch, nachdem ich das Zeug in dem Fisch gefunden habe. Findet ihr es nicht komisch, daß mir jetzt wieder was passiert ist? Vielleicht wollte man mich im Club auch außer Gefecht setzen. Es waren so merkwürdige Leute dort, ich habe mich nicht wohl gefühlt. Ulli hat mich aufgezogen, daß ich eine Langweilerin sei und so nie einen Mann bekommen würde. Aber wenn ich mir die Männer der Reihe nach ansah, wäre mir sowieso jede Lust vergangen. Ich habe halt an Jan gedacht. Das ist jetzt nicht so hingesagt«, fügte sie, leicht errötend, hinzu. Wenn ich jetzt über alles nachdenke, und das habe ich schon getan, wird es mir bewußt, daß man mich benutzt hat. Ich will es nur noch nicht wahrhaben, daß meine beste Freundin das inszeniert haben soll.«
»Ich habe von deiner ›besten‹ Freundin nie etwas gehalten«, sagte Constantin. »Sie hat dich immer ausgenützt. Sie braucht jemanden, der großzügig und tolerant ist und immer nur das Gute in den Mitmenschen sieht.«
»Das ist nicht mehr so«, sagte Kim leise, »aber es macht mich krank, wenn man so mißbraucht wird. Jetzt wollen wir bei der Sache bleiben und überlegen, wer diese miese Geschichte eingefädelt und was sich diese Person ausgedacht hat, um den Inhalt des Fisches wieder an sich zu bringen.«
»Jedenfalls mußte er dazu unbedingt zerstört werden. Ich habe ihn genau beäugt. Da ich mich selbst künstlerisch betätige, konnte ich feststellen, daß keine Öffnung vorhanden war. Er ist erst verschlossen worden, als der Inhalt untergebracht war. Es muß ein raffiniertes Verfahren sein, da man kaum etwas von einer Verschlußstelle sieht. Es ist also anzunehmen, daß dieser Transport so mehrmals durchgeführt wird, wahrscheinlich inden verschiedensten Keramiken. Jetzt fragt sich nur, ob das Brautpaar auch von dem Inhalt wußte oder sich tatsächlich nur ein so komisches Hochzeitsgeschenk wünschte. Wie es jetzt scheint, sollte es wohl vor diesem Tag gestohlen werden. Du warst nur als Kurier gedacht. Verzeih mir den Verdacht, aber wer anders als deine Freundin Ulrike könnte dir das eingebrockt haben?«
»Den Verdacht hatte ich auch schon. Jetzt denke ich sogar, daß sie ihren aufwendigen Lebensstil mit solchen Geschäften finanziert und ihr das Studium in Paris nur als Alibi dient. Aber wie sollen wir es ihr beweisen und sie festnageln?«
»Indem wir vorerst gar nichts tun, als abzuwarten. Ich habe den Fisch samt Inhalt in Sicherheit gebracht. Ins Haus eindringen können sie jetzt auch nicht mehr.«
»Woher können sie die Schlüssel gehabt haben?« überlegte Kim.
»Du hattest dein Schlüsselbund doch sicher mitgenommen. Als es dir so schlechtging, können sie die Schlüssel nachgemacht haben.«
»Es war bestimmt alles genau geplant«, warf Jan ein. »Warum hast du mir nur nicht vertraut?«
»Einmal habe ich mich geschämt, für so dumm verkauft zu werden, zum andern hatte ich Angst, dich hineinzuziehen.
Aber ich habe schon gemerkt, daß ich allein damit nicht fertig werde. Ich hatte Angst, und das hat wohl auch an mir gezehrt.«
»Und ich dachte schon, daß du Bulimie hast«, sagte Jan beklommen. »Man liest ja jetzt soviel darüber. Früher hat man es taktvoll unter den Tisch gekehrt, aber jetzt wird es als echte Krankheit behandelt.«
»Ich bin jedenfalls froh, daß ich jetzt mit euch reden kann«, sagte Kim.
»Das hättest du längst gekonnt«, meinte Constantin. Jan drückte ihre Hand an die Wange.
»Jetzt ist der erste Schritt getan, jetzt machen wir alles gemeinsam. Und wenn dir noch etwas einfällt, sagst du es uns sofort.«
»Ich möchte nach Hause«, flüsterte Kim.
»Das wäre das Dümmste, was du jetzt machen könntest. Wir müssen doch zuerst recherchieren, wer da noch beteiligt ist und von wem die meiste Gefahr für dich droht.«
»Warum tun sie das, warum macht Ulrike da mit?« murmelte Kim unter Tränen.
»Aus Geldgier«, erwiderte Constantin sofort. »Denen ist es egal, ob andere sich damit umbringen. Aber vielleicht bringt sie sich eines Tages auch damit um. Ich habe schon einen Menschen so sterben sehen.«
Kim sah ihn entsetzt an. »Aber du würdest doch keine Drogen nehmen«, sagte sie zitternd.
»Verrückt müßte ich sein.«
»Ich habe mich viel zuwenig damit befaßt. Ich habe es nur verabscheut. Aber wie diejenigen reagieren, die süchtig sind, konnte ich mir nicht mal vorstellen. Jetzt frage ich mich auch, ob sie nicht high waren, wenn sie so herumalberten und dummes Zeug redeten. Ulli hat sie immer noch angeheizt. Es war das Dümmste, was ich tun konnte, mich von ihr zu diesem Urlaub überreden zu lassen.«
»Sie wird es büßen«, sagte Jan grimmig.
»Die überlaß mal lieber mir«, warf Constantin ein.
»Was wirst du jetzt tun?« fragte Kim.
»Ich lasse mir etwas einfallen. Zerbrich dir nicht den Kopf, sondern denk daran, bald gesund zu werden. Dann werden wir dich irgendwo unterbringen, wo dich niemand findet, bis diese Verbrecher hinter Schloß und Riegel sind.«
»Du meinst, daß sie im Gefängnis landen?« Kim starrte ihn mit aufgerissenen Augen an.
»Natürlich, denn da gehören sie hin, wie alle Dealer. Bisher sind die Strafen nur viel zu niedrig gewesen.
Aber jetzt werde ich mich erstmal auf die Suche nach so einem dummen Fisch begeben, den wir dem Hochzeitspaar unterjubeln können.«
»Das wäre doch eine tolle Hochzeitsüberraschung, aber es könnte doch sein, daß weder Hanno noch Gaby etwas damit zu tun haben«, meinte Jan.
»Gabys Besuch hat mich stutzig gemacht«, sagte Constantin.
»Mich auch, sie hat mich nie besucht«, sagte Kim.
»Warum hast du damals eigentlich mit Hanno Schluß gemacht?« fragte Constantin.
Kim warf Jan einen schrägen Blick zu. Sie wurde verlegen. »Er wurde zudringlich«, erwiderte sie leise. »Er wollte nicht verstehen, daß ich nein sagte. Aber ich hatte auch allerhand an ihm auszusetzen. In jedem Lokal ging er sofort zum Spielautomaten, und er klebte den Kaugummi immer unter den Tisch. Er hat vielleicht dumm geguckt, als ich ihm sagte, er solle sich eine andere suchen, die daran nichts auszusetzen hätte.« Jetzt zeigte Kim wieder einen Hauch von Humor. Aber Constantin dachte, daß es doch sehr bitter für sie sein würde, wenn ihre früheren Freunde sich als Feinde entpuppten. Ihn machte es wütend, daß man seine kleine Schwester so aufs Kreuz legen wollte. Er wollte es ihnen heimzahlen.
Er gab Kim zum Abschied einen Kuß, was sie staunend registrierte, denn sie konnte sich überhaupt nicht erinnern, daß Constantin sie jemals geküßt hatte, seit sie erwachsen war. Er war sehr sparsam mit Liebesbeweisen, und sie hatte auch noch nicht erlebt, daß er je verliebt gewesen wäre.
Vielleicht hat er einfach Angst, enttäuscht zu werden, dachte sie jetzt. Sie war froh, daß Jan noch bei ihr blieb, damit sie nicht gleich wieder in düstere Betrachtungen über diesen dramatischen Urlaub verfiel.
*
Fee Norden fragte ihren Mann, ob sie Kim besuchen dürfe. »Das laß mal lieber«, erklärte er, »es soll möglichst vermieden werden, daß man auf sie aufmerksam wird. Sie scheint sich in Gefahr zu befinden. Ich war eben noch in der Klinik und habe mit Jan gesprochen. Da ist eine ganz heikle Geschichte im Gange.«
»Erzähl schon, spann mich nicht auf die Folter«, drängte sie.
»Nachher, wenn die Kinder im Bett sind.«
Sie mußte sich gedulden, aber die Kinder hatten auch wieder allerhand zu berichten. Diesmal war es Anneka, die aufgeregt erzählte, daß ihre Schulfreundin Saskia von einem fremden Mann belästigt worden wäre.
»Sie war schrecklich aufgeregt, sie konnte weglaufen und hat es mir erzählt. Ich habe ihr gesagt, daß sie es ihren Eltern erzählen muß und der Lehrerin, aber sie traut sich nicht. Dann bin ich zur Frau Mehl gegangen und habe es ihr erzählt. Sie will mit Saskias Eltern sprechen. Frau Mehl hat mich gelobt.«
»Wann war denn das?« fragte Daniel.
»Heute nachmittag, als wir Turnen hatten. Saskia hat sich den Fuß verknaxt und konnte nicht mehr springen. Wir haben nämlich Weitsprung geübt, und ich bin fast drei Meter gesprungen, ist das nicht toll? Frau Mehl hat mich sehr gelobt. Vielleicht kann ich auch mal bei Olympia mitmachen, wenn ich fleißig trainiere.«
»Das schlag dir mal lieber aus dem Kopf«, sagte Danny sofort. »Leistungssport ist viel zu anstrengend für dich. Außerdem kriegst du sowieso gleich Heimweh, wenn du von zu Hause weg bist.«
Daran hatte Anneka noch gar nicht gedacht. Sofort meinte sie auch, daß sie dann lieber nur zu Hause ein bißchen Sport treiben würden.
»Ich werde Tennisprofi, die verdienen einen Haufen Geld«, sagte Felix.
»Werde lieber Fußballer, die verdienen noch mehr«, meinte Danny.
»Geld ist doch nicht alles«, lenkte Fee begütigend ein.
»Aber man braucht’s«, meinte Danny.
»Ich möchte jetzt lieber wissen, was Saskia noch gesagt hat«, ergriff Fee wieder das Wort.
»Der Mann hat gesehen, wie sie gehumpelt ist und hat zu ihr gesagt, daß er Arzt ist und was ihr denn fehle. Da hat sie halt gesagt, daß sie umgeknickt ist. Er hat gesagt, daß er eine Gelenkbinde im Auto hat, sie solle mitkommen. Aber Saskia hat gesagt, daß sie lieber zu Dr. Norden geht, und da wollte er sie zu Dr. Norden bringen.«
»Unglaublich«, sagte Daniel, »war denn niemand in der Nähe?«
»Doch, Frau Mehl wollte gerade nach ihr schauen, und da ist der Mann weggegangen, aber Saskia hat gedacht, daß die Lehrerin sie beschimpfen wird, weil sie überhaupt mit dem Mann gesprochen hat, na ja, mir hat sie es dann erzählt und ich bin gleich zu Frau Mehl gegangen.«
»Das war richtig, Anneka«, wurde sie von Daniel gelobt.
»Du mußt Saskia sagen, daß Kinder in so einem Fall immer Erwachsenen Bescheid sagen müssen. Ihr wißt doch, was alles passiert ist und passieren kann.«
»Ich habe wirklich ernst mit ihr geredet, Papi, das kannst du glauben.«
Es dauerte an diesem Abend lange, bis Fee und Daniel zu ihrem Gespräch kamen. Die Probleme ihrer Kinder gingen allem anderen vor.
*
Jan und Constantin hatten sich entschlossen, Dr. Norden in alle Einzelheiten einzuweihen. Die ganze Geschichte war ihnen einfach zu dubios, und sie wollten Kim vor allem Rückendeckung verschaffen, damit letztlich nicht doch etwas an ihr hängen blieb.
Sie verabredeten sich für den nächsten Nachmittag mit ihm. Es war Freitag, und Dr. Norden hatte keine offizielle Sprechstunde, sondern nur ein paar Dauerpatienten, die Spritzen und Reizstrom bekamen. Er hatte Zeit für die beiden jungen Männer.
Daniel Norden war bestürzt, als er von dem Kokain erfuhr. Er wußte auch ziemlich genau, was eine solche Menge auf dem Schwarzmarkt wert war.
»Wenn man Kim etwas anhängen will, ist das ein erfolgreiches Vorhaben, wenn man sie mit dem Kokain erwischt«, sagte er nachdenklich.
»Ich habe das Zeug in Sicherheit gebracht, aber wir rätseln, wem man es zuspielen will«, sagte Constantin. »Ich denke, daß Kim mit ihrem unschuldigen Aussehen nur der Kurier sein sollte. Daß Ulrike Rahn eine Hauptrolle spielt, ist mir klar. Aber welche Rolle spielt das Brautpaar Veltin-Stein? Es kann ja sein, daß sie gar keine Ahnung haben und ihr geäußerter Wunsch, einen solchen Fisch zu bekommen, Ulrike erst auf den Gedanken gebracht hat. Weiß der Himmel, ob sie solche Unternehmungen nicht auch schon von anderen ausführen ließ.«
»Es ist alles sehr verworren«, sagte Daniel Norden, »aber ich wäre dafür, die Kripo einzuschalten. – Nicht gleich widersprechen«, meinte er, als beide abwinkten. »Ich kenne Kommissar Fechner sehr gut. Er hat mir schon in sehr diffizilen Angelegenheiten geholfen. Er weiß am besten, wie man in solchem Fall vorgehen muß.«
»Wenn Sie es meinen«, sagte Jan zögernd, »aber Kim darf keinesfalls in einen Verdacht geraten. Sie ist nicht nur physisch, sondern auch psychisch schwer angeschlagen.«
»Und vielleicht war es gar keine Fischvergiftung, sondern es wurde ihr etwas ins Essen oder in Getränke getan«, sagte Daniel Norden. »In diesem Fall ist das gar nicht so abwegig. Man sollte noch mal eine ganz genaue Blutanalyse machen.«
Jan war blaß. »Zu denken, daß sie eine Urlaubsreise antritt, um Spaß zu haben, und am Ende ist sie körperlich und seelisch am Ende! Ich werde nicht ruhen, bis die Schuldigen ihre Strafe bekommen.«
»Das überlassen Sie mal lieber der Polizei, Jan«, sagte Dr. Norden. »Es handelt sich wahrscheinlich um eine ganz ausgekochte Bande.«
Er versprach ihnen, gleich Kontakt zu Komissar Fechner aufzunehmen, und ihm erst einmal den Fall zu schildern, ohne Namen zu nennen.
»Das ist okay«, sagte Constantin. »Ich bin froh, daß wir Sie haben.«
Daniel sah ihn forschend an. »Ihnen scheint es ja gutzugehen«, meinte er.
»Ich kann nicht klagen. Ich bereue nicht, diesen Weg eingeschlagen zu haben und nicht mehr anhören zu müssen, daß ich es ohne Vater im Rücken zu nichts bringen werde. Ich bin gesund, und meine Arbeit macht mir Freude. Mehr brauche ich nicht.«
»Eine vernünftige Einstellung«, sagte Dr. Norden. »Ich bedanke mich für euer Vertrauen und bin außerdem sehr froh, daß Kim sich auf euch verlassen kann.«
*
Kim dachte gerade wieder darüber nach, daß sie erst diese schreckliche Erfahrung machen mußte, um Jans Zuneigung und Treue richtig zu würdigen.
Es hatte eine Zeit gegeben, in der er ihr einfach zu ehrgeizig und zielstrebig erschienen war. Er zog es vor, über seinen Büchern zu sitzen, anstatt mit ihr auszugehen. Auch manches Wochenende hatte sie allein verbracht, weil ihm sein Examen wichtiger war.
Sie neigte nicht dazu, mit diesem oder jenem zu flirten, sich auch mal mit einem andern zu treffen, aber sie hatte mehr Aufmerksamkeit erwartet. Deshalb, und auch um ihn zu ärgern, hatte sie sich zu diesem Urlaub entschlossen.
Sie mußte es bitter bereuen. Aber nun wurde ihr auch bewußt, daß sie aus dieser Erfahrung gelernt hatte, auch Ulrike richtig einzuschätzen. Immer hatte sie Ulli bewundert, weil sie alles mit leichter Hand machte und auch erreichte, was sie wollte. Intelligenz war Ulli nicht abzusprechen, und sie war auch so attraktiv, daß sie überall Aufmerksamkeit erregte.
Niemals wäre Kim auf den Gedanken gekommen, daß dieses äußere Bild trügerisch sein könnte, daß sie unehrlich und hinterhältig sein könnte.
Mit meiner Menschenkenntnis hat es schon arg gehapert, dachte sie. Diese Gesellschaft, die sie im Ferienclub angetroffen hatte, hatte sie auch falsch eingeschätzt. Alle hatten sich benommen, als wären sie mit goldenen Löffeln gefüttert worden, dagegen war sie sich tatsächlich wie eine graue Maus vorgekommen.
»Es wird Zeit, daß du mal aus deinem spießigen Milieu herauskommst«, hatte Ulrike gesagt.
Aber in was war sie da hineingeraten! Da wurde in einer Sprache geredet, die sie schockierte, Ausdrücke wurden gebraucht, die sie noch nie gehört hatte und über Sex wurde so ordinär gesprochen, daß sie sich schnell zurückgezogen hatte.
»Wir sind eben keine verlogenen Spießer«, hatte Ulrike gesagt, als Kim sich distanzierte. »Ich habe dich großzügiger eingeschätzt, Kim. Du hast doch wahrlich genug Geld, um dir jeden Luxus leisten zu können. Spendier mal was, und du wirst sehen, wie gut du dich amüsierst.«
Aber diese Art Amüsement sagte ihr gar nicht zu. Zieh dir nie Schuhe an, die dir nicht passen, hatte ihr Vater einmal zu ihr gesagt, nun wußte sie genau, was er damit meinte. Sie wußte jetzt, wie schnell man in die Irre geleitet werden konnte, wenn man neugierig auf Erlebnisse war.
Sie wußte jetzt auch, wie gefährlich es war, ein falsches Vorbild zu haben, sich Maxime anderer zu eigen zu machen, die eine Veränderung der eigenen Lebensweise zur Folge hatten, wenn man sich eben Schuhe anzog, die nicht paßten, wie der Volksmund sagte.
Schuster bleib bei deinem Leisten, sagte man auch, sie wollte es tun, sie wollte so bleiben, wie sie Jan gefallen hatte. Sie wollte wieder so werden, mußte sie wohl sagen.
Kim schämte sich, daß sie entschlossen gewesen war, die Beziehung zu Jan zu beenden, als sie diesen Urlaub antrat, weil Ulrike ihr eingeredet hatte, daß sie einen ganz anderen Mann bekommen könnte. Sie schämte sich, weil sie Ulrike so vertraut, sie für eine echte Freundin gehalten hatte.
Endlich war ihr ein Licht aufgegangen, und nun war es an ihr, sich Jans Zuneigung würdig zu erweisen. Er war der ehrlichste, gradlinigste Mensch, den sie kannte, neben Constantin, aber der konnte auch boshaft und intolerant sein, wenn ihm etwas oder jemand nicht paßte.
Er hatte Ulrike mit drastischen Bezeichnungen bedacht, aber Kim hatte nicht auf ihn gehört. Sie war ihm sogar böse gewesen, und Ulrike hatte herablassend bemerkt, daß er nur sauer sei, weil er bei ihr nicht landen könne. Aber es war umgekehrt, Ulrike hatte bei Constantin keine Chance gehabt.
Kim hatte viel Zeit, über all dies nachzudenken, und es kamen ihr immer mehr Kleinigkeiten in den Sinn, die doch ihre Bedeutung hatten.
*
Dr. Norden hatte ein langes Gespräch mit Kommissar Fechner, der immer gern bereit war, den von ihm sehr geschätzten Arzt mit Rat und Tat zur Seite zu stehen.
Er hörte sich konzentriert an, was Daniel Norden ihm sehr genau schilderte. Er unterbrach ihn nicht, und als der Arzt schwieg, dachte er noch ein paar Sekunden nach.
»Es handelt sich um eine Bekannte von Ihnen«, stellte er fest.
Daniel gab es zu.
»Das ist kein dummer Streich, das ist ein abgekartetes Spiel.«
»Das ist auch meine Meinung. Wir sind darauf bedacht, die Betroffene vor bösen Folgen zu schützen.«
»Ich müßte den Gegenstand genau untersuchen. Es werden sich doch Fingerabdrücke feststellen lassen.«
»Sicher mehrere, aber wohl kaum von der Täterin.«
»Wenn die bekannt ist, könnte man sie unter die Lupe nehmen. Ich weiß sonst nicht, wie dieser Fall zu lösen ist. Wenn mir die Person das Kokain übergibt, kann ich garantieren, daß nichts gegen sie unternommen wird. Wenn sie dazu verhilft, die Dealer aus dem Verkehr zu ziehen, macht sie sich zusätzlich verdient. Sagen Sie ihr das, vielleicht ist sie bereit, mir Informationen zu geben.«
»Sie ist zur Zeit in einem schlechten gesundheitlichen Zustand. Diese Geschichte hat sie sehr mitgenommen und belastet sie, aber ich werde mit ihr sprechen. Sie hat schon genug Ängste ausgestanden, als sie durch Zufall auf die gefährliche Fracht aufmerksam wurde.«
»Sie kann von Glück sagen, daß sie nicht bei der Zollkontrolle kontrolliert worden ist, sonst hätte ihr schon in Spanien der Prozeß gemacht werden können. Es gibt Fälle, in denen Schuldlose, denen Drogen untergejubelt wurde, zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt wurden.«
»Ich will gar nicht daran denken, daß es so hätte ausgehen können. Ich werde alles daransetzen, daß sie mit Ihnen spricht.«
Daniel sprach auch noch mit Fee darüber. »Es gibt keinen anderen Weg«, sagte sie. »Kim könnte sonst noch in Teufels Küche kommen. Man weiß doch gar nicht, was die noch vorhatten. Es ist ihr Glück, daß der Fisch zerbrochen ist. Übrigens weiß ich, daß man solche Keramiken auch in München bekommen kann.«
»Weißt du auch wo?«
»Natürlich.«
»Das muß ich Jan gleich sagen.«
Als er ihn anrief, erfuhr er, daß Constantin schon ein Geschäft gefunden hatte.
Daß er das Kokain Kommissar Fechner geben solle, betrachtete er mit Skepsis.
»Erst müssen wir mit Kim darüber sprechen«, meinte er. Daniel sagte, daß er das vorhabe. Er wolle am nächsten Vormittag Kim aufsuchen. »Sie können ja bei dem Gespräch anwesend sein«, schlug er vor.
Das war Jan recht.
Aber er hatte sich noch etwas anderes vorgenommen. Er wußte, daß Hanno Veltin und Gaby Stein am Freitag meistens im Golfclub waren. Es gehörte zu ihrem Image, sich dort zu zeigen. Jan spielte ab und zu zwar gern mal Golf, aber für die Klüngelei war er nicht zu haben, aber man konnte da doch allerhand hören.
*
Constantin hatte das Kunstgewerbegeschäft aufgesucht, das spanische Keramiken führte. Er sah tatsächlich auch ein paar Fische in unterschiedlichen Farbtönen. Ob es nun das gleiche Grün war wie bei dem zerbrochenen Fisch, konnte er nicht beurteilen. Sehr ähnlich war er auf jeden Fall. Allerdings fand er, daß neunzig Euro ein stolzer Preis sei.
»Es ist Handarbeit«, sagte die Verkäuferin pikiert.
»Ich weiß, es ist aber auch zerbrechlich«, erwiderte er. Er wog ihn in der Hand, er war leicht. Ob sie damit Erfolg haben würden?
Constantin war ein phantasievoller junger Mann und konnte sich alle möglichen Geschichten ausdenken. Diese Story aber, in der Kim die Hauptperson war, bereitete ihm viel mehr Kopfzerbrechen, als ihm lieb war. Er hatte nie verstanden, daß sie ausgerechnet mit Ulrike so befreundet war, die er als kalt und berechnend, aber auch als flatterhaft und schamlos bezeichnete. Ein Flitscherl, wie man in seinem Freundeskreis sagte.
An Kims Ruf konnte das nicht rütteln. Sie galt als das Blümchen Rührmichnichtan, das beruhigte Constantin. Daß diese seltsame Freundschaft mit Ulrike allerdings mal solche Entwicklung nehmen würde, hätte er jedoch nicht gedacht.
Während er den Fisch von allen Seiten betrachtete, betrat eine junge Dame das Geschäft, eine wirkliche Dame, so jung sie auch sein mochte. So was mußte angeboren sein, das war Constantins Meinung, dem es nicht entging, daß sie ihn mit einem merkwürdigen, ungläubigen Ausdruck betrachtete, mehr noch den Fisch in seiner Hand.
»Stört Sie irgend etwas?« fragte er.
»Dieser Fisch, er paßt nicht zu Ihnen«, erwiderte sie kühl. Dann wandte sie sich an die Verkäuferin. »Können Sie dem Herrn nicht etwas Aparteres zeigen, Rosi?«
»Aber er wollte doch unbedingt so einen Fisch, Conchita.«
Constantin war momentan irritiert durch diesen Dialog, wie auch durch den selbstbewußten Auftritt dieser jungen Dame, die genauso blond war wie Kim, aber mit dem spanischen Namen Conchita angeredet wurde. Wie es schien, hatte sie in diesem Geschäft das Sagen, denn auch die andere Verkäuferin beeilte sich, sie sehr höflich zu begrüßen. Wenn sie auch mit dem Vornamen angesprochen wurde, sie genoß Respekt. Aber sie überraschte Constantin noch mehr.
»Sie sind doch Constantin Meyring«, sagte sie. »Ich kenne Ihre Bilder, und deshalb begreife ich diese Geschmacksverirrung nicht.«
»Warum wird es dann hier verkauft?« fragte er spöttisch, und da wurde sie verlegen.
»Wir müssen für jeden Geschmack etwas haben«, erwiderte sie. »Conchita Sanchez, mir gehört das Geschäft. Ich würde allerdings auch gern Bilder von Ihnen verkaufen.«
Ihre direkte Art versöhnte ihn wieder, denn daß man ihm schlechten Geschmack unterstellte, ärgerte ihn, wenn er es ihr auch nicht verübeln konnte. Ihm gefiel der Fisch ja auch nicht.
»Es ist ein Geschenk, ein ganz spezieller Wunsch«, erklärte er. »Ich würde so was nicht schenken.«
»Man sollte bei Geschenken keine Konzessionen machen«, sagte sie. »Man sollte immer nur das schenken, was einem selber gefällt.«
»Ich besorge diesen blöden Fisch nur, ich will ihn nicht selber verschenken«, platzte er heraus. Damit entlockte er ihr ein Lächeln, ein so umwerfendes Lächeln, daß seinen Herzschlag beschleunigte.
»Ich hätte nichts gesagt, wenn ich Sie nicht kennen würde«, sagte Conchita. »Ich hoffe, Sie tragen mir nicht nach, daß ich so spontan war.«
»Nein, mir gefällt das, ich meine Ihre Art, nicht den Fisch. Aber ich nehme ihn trotzdem, es ist wichtig.«
»Verpacken Sie ihn gut, Rosi, damit er heil bleibt.« Sie sah Constantin an. »Vielleicht kann ich Sie überreden, mir das Bild ›Illusion‹ zu verkaufen.«
Seine Augenbrauen ruckten leicht empor. »Wieso gerade das?«
»Es fasziniert mich.«
»Würden Sie mir Modell sitzen?« fragte er.
Jetzt weiteten sich ihre Augen.
»Warum?«
»Weil ich Sie faszinierend finde.« Es war so, und so sagte er es. Das war typisch für ihn.
»Was würden Sie sagen, wenn ich ja sage?«
»Danke, es freut mich, wann können wir anfangen?«
Sie blickte auf ihre Uhr. »Ich muß jetzt zur S-Bahn. Mein Wagen ist in der Werkstatt. Ich wollte nur Bescheid sagen, daß ich heute nicht mehr komme. Ich brauche schnell etwas Kleingeld.«
Constantin atmete tief durch. »Kann ich Sie vielleicht irgendwohin bringen?«
»Auch nach Grünwald?« fragte sie amüsiert.
»Auch nach Gründwald«, erwiderte er. »Ich muß sowieso in die Richtung.«
Das war allerdings geschwindelt.
»Das würde sehr helfen«, sagte Conchita. »Berechne dem Herrn fünzig Prozent, Rosi.«
»Ich werde öfter kommen«, sagte Constantin mit einem leisen Lachen.
»Das würde mich freuen«, erwiderte Conchita, und die beiden Verkäuferinnen waren ganz aus der Fassung gebracht. Man konnte es ihnen ansehen. Sie mühten sich beide, den Fisch gut zu verpacken, Constantin legte einen Fünfzigeuroschein hin, und als Rosi ihm fünf Euro herausgeben wollte, sagte er, daß sie es in die Kaffeekasse stecken solle.
»Das mußte nicht sein«, sagte Conchita.
»Ich habe nicht gedacht, daß ich so billig an den Fisch kommen würde, ist ja noch billiger als in Madeira.«
»Sie waren dort?« fragte sie beiläufig.
»Ich nicht, meine Schwester.«
»Hat es ihr gefallen?«
»Nicht so ganz, wir haben noch nicht viel darüber gesprochen.«
Sehr graziös ließ sie sich auf dem Beifahrersitz nieder. Sie war ein ästhetischer Anblick. Er meinte, nie ein so vollkommenes Wesen gesehen zu haben, wunderschöne Hände und Beine und dieses klassisch schöne Gesicht mit den dunklen Samtaugen, die einen faszinierenden Kontrast zu den blonden Haaren bildeten. Es war ein echtes Blond.
Sie schien Gedanken lesen zu können. »Meine Haarfarbe ist echt«, sagte sie lächelnd, »die habe ich von meiner Mutter.«
»Sehr apart zu diesen Augen. Wann darf ich Sie malen?«
»Irgendwann nächste Woche unter der Voraussetzung, daß Sie mir das Bild verkaufen.«
»Darüber läßt sich reden.«
»Sagen wir am Dienstag?«
»Wenn die Sonne im Westen steht, das ist stimmungsvoll. Es gibt schon seltsame Situationen. Das hätte ich mir wahrhaftig nicht träumen lassen, daß ich diesem dummen Fisch Ihre Bekanntschaft verdanke.«
»Wer wünscht sich denn so was?«
»Ein junges Paar zur Hochzeit.«
Conchita schüttelte den Kopf. »Die Wohnung möchte ich nicht sehen.«
»Es könnte ja eine besondere Erinnerung mit dem Fisch verknüpft sein.«
»Wissen Sie, daß diese Keramiken manchmal zum Schmuggeln benutzt werden?«
»Was Sie nicht sagen! Kann man ihm denn was ins Maul stopfen?«
»Es gibt andere Figuren, die haben ein Loch im Boden, das dann verschlossen wird. Man muß natürlich darauf achten, daß es nicht klappert.«
»Haben Sie schon mal etwas geschmuggelt?« fragte er.
»Nein, mir wäre das wirklich viel zu riskant. Es lohnt doch gar nicht, sich dadurch in Gefahr zu bringen. Fahren Sie doch bitte rechts.«
Constantin befand sich in einer merkwürdigen Stimmung. Zum ersten Mal in seinem Leben fühlte er sich einem Gefühlschaos ausgesetzt, hin und her gerissen zwischen Herz und Verstand.
»Jetzt sind wir gleich am Ziel«, sagte Conchita.
»Schade, muß ich wirklich bis Dienstag warten?« Er glaubte es selbst nicht, daß er das gesagt hatte.
»Es ist doch schon bald.«
»Ich verstehe nicht, daß wir uns nicht schon früher begegnet sind, wenn Sie in der Galerie waren.«
»Es war uns noch nicht bestimmt«, erklärte sie lachend. »Dazu mußte erst der blöde Fisch kommen.«
»Wenn Sie wüßten, was für ein Biest das ist.«
Sie warf ihm einen schrägen Blick zu. »Ich möchte es gern wissen.«
»Ein andermal.«
»Halt!« rief sie aus.
Er trat auf die Bremse. Sie standen vor einem Prachtbau, einer Zuckerbäckervilla, wie Constantin solche Häuser zu bezeichnen pflegte.
»Da würde der Fisch hineinpassen«, sagte Conchita, »innen so geschmacklos wie außen, aber es sind meine besten Kunden.«
»Denen sagen Sie aber doch wohl nicht ins Gesicht, daß sie an Geschmacksverirrung leiden«, scherzte er.
»Zu denen paßt ja, was sie kaufen. Ich glaube nicht, daß diesen Leuten Ihre Bilder gefallen.«
»Gott sei Dank. Also Dienstag?«
»Ich komme gegen siebzehn Uhr.«
Er küßte ihr die Hand, was er sonst auch niemals tat. Er half ihr aus dem Wagen, und als sie vor ihm stand, hätte er sie am liebsten in die Arme genommen. Aber sie eilte nun leichtfüßig zu dem Haus, und er setzte sich wieder gedankenverloren in seinen Wagen.
»Jetzt hat es mich erwischt«, murmelte er, sich über das Kinn streichend, »wie ist das nur möglich?« Na, wenigstens zu etwas war der Fisch gut. Aber diese Episode wollte er lieber für sich behalten.
*
Jan hatte eine sehr unruhige Nacht, obgleich er todmüde ins Bett gesunken war. Seine Mutter hatte noch angerufen, ob er zum Abendessen kommen wolle, aber er war dazu nicht fähig gewesen. Zuviel ging ihm durch den Sinn, und er scheute die Fragen, die ihm sicher gestellt würden. Angerufen hatte niemand, das war wenigstens eine Beruhigung.
Nun aber stand die Unterredung mit Dr. Norden bevor, und er sorgte sich um Kim. Dann fiel ihm ein, daß Constantin gar nichts von sich hören ließ, aber kaum hatte er es gedacht, läutete schon das Telefon. Constantin war dran.
»Das ist Gedankenübertragung«, sagte Jan.
»So was soll es geben, kannst du mal rüberkommen? Ich bin in Vaters Haus.«
»Ein Einbruch?« fragte Jan.
»Nein, aber zwei Anrufe. Hör sie dir selber an.«
»Ich bin um zehn Uhr mit Dr. Norden bei Kim verabredet.«
»Das schaffst du schon noch. Ich warte.«
Also fuhr Jan gleich los. Er überlegte unterwegs, ob er Constantin erzählen sollte, daß Dr. Norden schon mit Kommissar Fechner gesprochen hatte.
Constantin stand schon in der Tür. »Ich werde doch öfter hier nach dem Rechten sehen, aber ich wäre ganz froh, wenn du es auch tun würdest. Ich muß schließlich auch arbeiten.«
»Okay, wenn Kim damit einverstanden ist. Sie darf nicht denken, daß ich mich einnisten will.«
»Sie braucht dich nötiger, als du vielleicht denkst. Jetzt hör mal den Anrufbeantworter ab.«
Zuerst kam unverkennbar Ulrikes hohe Stimme, die sich fast überschlug. »Kim-Schätzchen, was ist los mit dir? Wo steckst du nur, und warum bist du klammheimlich verschwunden? Es tut mir ja leid, daß du krank wurdest, aber so schlimm kann es doch gar nicht gewesen sein. Hast du dem jungen Paar dein Geschenk schon gebracht? Ich rufe dich wieder an, Ulli ist dein Fan.«
»Dieses verruchte Weib spinnt!« stieß Constantin zwischen den Zähnen hervor. Aber schon hörten sie eine Männerstimme mit sehr starkem französischem Akzent.
»Du erinnerst dich an Julien, Kim, ich habe dir ein Angebot gemacht. Du kannst als Model bei mir anfangen, aber du mußt wenigstens vier Wochen nach Paris kommen. Ich erwarte deinen Anruf unter…«, aber da war plötzlich Schluß.
»Er wird sowieso vergeblich warten«, sagte Constantin grimmig. »Du kannst Kim aber mal fragen, wer Julien ist. Und jetzt schaust du dir noch den neuen Fisch an.«
»Du hast einen gefunden?«
»Und dafür Hohn von einer bezaubernden jungen Dame geerntet, die nicht glauben wollte, daß ich so einen schlechten Geschmack habe.«
Jan hörte gar nicht richtig hin. Wer ist dieser Julien, dachte er unentwegt.
Constantin mußte ihn zweimal auffordern, sich den Fisch anzuschauen.
»Das ist doch genau derselbe«, staunte Jan.
»So ziemlich, nur hat er einen leeren Bauch«, sagte Constantin schmunzelnd.
»Ich muß jetzt starten. Mal sehen, was sich heute ergibt. Kommst du in die Klinik?«
»Ich habe noch allerhand zu erledigen. Du weißt doch, ich bin Junggeselle und Selbstversorger, aber ich habe auch so eine Idee, wie ich mal zu einem Plauderstündchen mit Hanno Veltin kommen könnte. Im Golfclub lassen sie sich anscheinend nicht mehr blicken.«
»Das habe ich auch schon gemerkt«, sagte Jan. »Sei vorsichtig, Constantin.«
»Davon kannst du überzeugt sein. Sei lieb zu meiner kleinen Schwester.«
»Das kannst du glauben.« Sie hatten beide das Gefühl, daß sie in diesen Tagen Freunde geworden waren. Sie waren beide nicht gleich mit jedem per du. Sie betrachteten Freundschaft als etwas Besonderes, die vor allem auf gegenseitiger Aufrichtigkeit fußen mußte. Vertrauen war unendlich wichtig. So viele taten dem andern schön ins Gesicht, um hintenherum abwertend zu reden. Sie waren für offene Worte und sagten auch, wenn sie anderer Meinung waren.
Jan fuhr zur Klinik. Dr. Norden und Kommissar Fechner waren noch nicht anwesend. So konnte er noch allein mit Kim sprechen.
Groß war seine Überraschung, als er sie angekleidet im Sessel sitzend vorfand.
»Hallo, wie haben wir es denn?« staunte er.
»Ich bin nicht krank, ich muß mich bewegen, ich soll zu einer Kur geschickt werden, das wollen wir mit Dr. Norden besprechen.«
»Wir müssen auch noch etwas anderes besprechen, Kim. Ich war eben bei Constantin in eurem Haus. Es waren zwei Anrufe auf dem Band, einer von Ulrike und der zweite von einem Julien. Wer ist das?«
Sie sah ihn erschrocken an. »Julien?« überlegte sie.
»Er sagt, daß er dir ein Angebot als Model gemacht hätte, du sollst dich entscheiden.«
»Ich habe das doch gar nicht ernstgenommen.«
»Mir hast du aber auch gesagt, daß du Model werden könntest.«
»Das war blöd von mir. Ich habe viel Unsinn geredet nach dem Urlaub. Ich weiß nicht mal mehr, wie dieser Julien aussieht. Es waren mehr solche Heinis dort. Die haben viel geredet, was keine Aussage hatte. Was wollte Ulrike?« wechselte sie das Thema.
»Sie hat auch so dahergeplappert, warum du dich nicht meldest, so schnell verschwunden bist und ob du dem jungen Paar das Geschenk gebracht hättest.«
»Ganz schön raffiniert, sie wiegt sich in Sicherheit und will sich zusätzlich absichern. Mein Verstand funktioniert wieder, Jan. Ich werde alles, was ich jetzt tue, reiflich überlegen. Ich war so schrecklich ungerecht zu dir, das muß ich noch mal sagen. Verzeih mir bitte, du warst immer so verständnisvoll.«
»Es ist alles okay, mein Liebes«, sagte er weich. »Ich habe dich viel zu lieb, um dir je richtig böse zu sein. Ich möchte dich niemals verlieren, Kim.«
»Ich dich auch nicht«, gab sie zurück und umarmte ihn. Er küßte sie zärtlich und so hingebungsvoll, daß sie nicht hörten, wie die Tür aufging.
Erschrocken blickten sie sich um. »Pardon, ich wollte nicht stören«, sagte Dr. Norden.
»Sie dürfen es«, erwiderte Kim lächelnd.
»Es geht ihnen wieder besser, das freut mich sehr. Von meiner Frau auch herzliche Grüße, Kim. Fühlen Sie sich in der Lage, auch mit Kommissar Fechner zu sprechen?«
Sie sah Dr. Norden erschrocken an. »Muß das sein? Halten Sie es für richtig?«
»Für wichtig«, meinte er. »Es geschieht zu Ihrem Schutz. Wir wissen nicht, ob man Sie hereinlegen will.«
»Aber warum denn nur? Ich bin mir keinerlei Schuld bewußt.«
»Vielleicht ist nicht alles so gelaufen, wie die Initiatoren es sich dachten. Es ist möglich, daß man annimmt, Sie würden falsch spielen. Um es ganz deutlich zu sagen, Kim, Sie haben Kokain im Wert von einer halben Million, grob geschätzt, ins Land gebracht, das gewisse Leute sehr gern schnell verkaufen wollen. Wahrscheinlich ist Ihrer Freundin Ulrike der Gedanke gekommen, daß Sie doch nicht so naiv sind, wie man Sie einschätzte, daß Sie vielleicht sogar viel raffinierter sind und an Ihren eigenen Profit denken. Sie wurden niedergeschlagen, aber man hat den Fisch nicht gefunden. Dann sind Sie verschwunden. Was glauben Sie, was die Beteiligten alles so denken?«
»Das würde ich gar zu gern wissen.«
»Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen, ich habe mit Kommissar Fechner gesprochen. Er wird diese Angelegenheit ganz diplomatisch anpacken. Es ist aber wichtig, daß gegen diese Dealer etwas unternommen wird. Bedenken Sie, wie viele junge Menschen und auch Kinder verführt werden mit den Drogen und dann elend zugrunde gehen. Es ist unverantwortlich, daran verdienen zu wollen.«
»Ich verstehe es ja auch nicht. Ich war schon so lange mit Ulrike befreundet, und jetzt schäme ich mich, daß ich sie nie durchschaut habe. Jetzt denke ich darüber nach, daß sie manchmal doch recht seltsame Sprüche von sich gab, aber ich habe das nie ernstgenommen.«
»Was für Sprüche, können Sie ein Beispiel nennen?«
»Wenn man es schlau anfängt, kann man schnell reich werden, man darf sich nur nicht in die Karten sehen lassen, und man muß genau wissen, wann man abspringen muß, bevor die Karre in den Dreck fährt.«
»Jetzt denken Sie über solche Sprüche nach«, sagte Daniel Norden.
»Dann ergeben sie einen tieferen Sinn. Ich habe mir ja damals auch nichts dabei gedacht, daß sie sich immer an reiche Männer heranmachte, sie konnten noch so gräuslich sein. Sie meinte dazu, daß es ein Hobby von ihr sei zu erkunden, wieviel sie bereit sind, springen zu lassen für einen heißen Flirt. Aber sie war umschwärmt, man hat ihr nichts übelgenommen. Sie verkehrte doch auch in der besten Gesellschaft.«
»In der ja leider alles möglich ist und bemäntelt wird. Es ist nun mal so, daß es kaum noch Tabus gibt. Aber Sie sind eine junge Frau, die Grundsätze hat, die ethische Werte zu schätzen weiß und glücklicherweise einen Freund hat, der Anstand besitzt und zuverlässig ist. Solche Männer gehen an Frauen vorbei, die sich so zur Schau stellen.«
»Aber Jan hat nie etwas gegen Ulrike gesagt. Constantin hat das schon getan.«
»Ich kannte Ulrike doch kaum, und was hättest du wohl gesagt, wenn ich dir diese Freundschaft auszureden versucht hätte«, sagte Jan. »Erfahrungen muß man immer selber machen, um daraus lernen zu können. Mir wäre es allerdings lieber, dir wären solche Erfahrungen erspart geblieben.«
»Es geschieht mir ganz recht, daß ich eins auf den Deckel gekriegt habe«, sagte Kim. »Also, was ist mit dem Kommissar? Was will er unternehmen?«
»Das wird er Ihnen gleich selbst erzählen, Kim«, sagte Dr. Norden, und als sei das ein Stichwort, erschien Kommissar Fechner auch schon.
Verlegen reichte ihm Kim die Hand.
»Ich beiße nicht«, sagte er mit einem freundlichen Lächeln, »und ich möche Ihnen gleich sagen, daß Sie uns sehr nützlich sein können, Frau Meyring.«
»Sagen Sie Kim, ich bin es nicht gewohnt, so formell angesprochen zu werden«, bat sie.
»Also, Kim, vielen Dank für ihr Entgegenkommen. Durch Sie könnten wir möglicherweise einem größeren Drogenschmugglerring auf die Schliche kommen.«
»Ich will damit aber nie mehr etwas zu tun haben«, sagte Kim abwehrend. »Es war ein schrecklicher Schock für mich, als der Fisch zerbrach. Darüber sind Sie wohl schon informiert.«
»Nur andeutungsweise. Mir wäre es lieb, wenn Sie mir die Geschichte genau erzählen würden, angefangen damit, wie Sie dazu kamen, einen solchen Fisch auszuwählen.«
»Eigentlich hatte ich damit kaum etwas zu tun. Es fing damit an, daß ich die Einladung zur Hochzeit von Hanno Veltin und Gaby Stein bekam. Ich hatte die Absicht, sie nicht anzunehmen, aber da rief mich Ulrike an und sagte, wir würden gemeinsam hingehen, sonst könnte man doch denken, ich sei gekränkt, weil Hanno eine andere heiratet.
Wir waren früher mal befreundet. Aber das war längst vorbei. Ich habe Schluß gemacht, nicht etwa er, wie manche wissen wollten. Wahrscheinlich hat er das auch so erzählt. Jedenfalls sagt Ulrike auch, daß sie wüßte, was ich schenken könnte, nämlich diesen Fisch, den sie sich wünschten. Wenn wir zusammen nach Madeira flögen, könnten wir dort einen besorgen. Ich war völlig arglos, und obgleich ich immer noch nicht schlüssig war, ob ich an der Hochzeit teilnehmen wollte, besorgten wir den Fisch. Das heißt, Ulrike hat ihn besorgt. Ich bin kein argwöhnischer Mensch, ich war eigentlich froh, daß es mir abgenommen wurde. Das wäre es eigentlich schon. Ich packte den Fisch in meine Reisetasche. Sie wurde beim Zoll nur durchleuchtet, und nichts wurde beanstandet. Ich habe mir allerdings auch gar keine Gedanken gemacht. Es war in dem Ferienclub soviel vorgefallen, was mich beschäftigte, daß ich nur froh war, wieder heimzukommen.«
»Gab es dort Anzeichen, daß Drogen benutzt wurden?«
»Ich bin wahrscheinlich zu naiv, um das zu bemerken. Geredet wurde nicht darüber, wenigstens nicht in meiner Gegenwart. Dann hatte ich auch die Fischvergiftung.«
»Die wahrscheinlich keine war, sondern etwas anderes, was noch analysiert werden muß«, warf Dr. Norden ein.
»Ich war froh, daß ich von dort fliehen konnte. Es war ja so was wie eine Flucht, denn eigentlich hätte ich noch eine Woche bleiben müssen, aber ich wollte lieber für mich allein sein. Ich kann nicht sagen, woher ich die Kraft nahm, mir den Rückflug selbst zu besorgen. Ich war von einer inneren Unruhe getrieben.«
»Es war also eine Nacht- und Nebelaktion«, meinte der Kommissar. »Sehr mutig.«
»Ganz so war es doch nicht. Ich flog am hellichten Tag, aber damit hatte Ulrike nicht gerechnet. Sie war mit einer Gruppe unterwegs, um Sehenswürdigkeiten zu besichtigen, was mir natürlich sehr willkommen war. Es hatte wohl niemand damit gerechnet. Jetzt überlege ich, daß man beabsichtigt haben könnte, mir den Fisch nach der Landung in Frankfurt abzunehmen.«
»Aber es kann durchaus sein, daß das Brautpaar auch die Abnehmer sein sollten. Eben das müssen wir herausfinden. Ich möchte Ihnen den Vorschlag machen, daß ich den Fisch samt Inhalt auf Fingerabdrücke untersuchen lasse.«
»Es werden unsere darauf sein«, warf jetzt Jan ein. »Und dann sitzen wir in der Tinte.«
»Und Ulrike wird keine hinterlassen haben. Ich glaube nicht, daß sie schon mal verhaftet wurde und man überhaupt einen Vergleich hat«, sagte Kim.
»Die jungen Leute denken sehr logisch«, sagte Kommissar Fechner. »Wollen Sie nicht zur Polizei kommen? Solche Mitarbeiter könnten wir brauchen.«
»Ich habe schon viel nachgedacht«, sagte Kim. »Man könnte Ulrike eine Falle stellen, Jan hat mir erzählt, daß sie angerufen hat. Ich könnte jetzt sie anrufen und geheimnisvoll tun, vielleicht kommt sie dann her und läßt die Katze aus dem Sack.«
»Und was würdest du unternehmen?« fragte Jan erregt. »Wir möchten doch, daß du in Sicherheit gebracht wirst.«
»Sie wird mich doch nicht umbringen wollen«, meinte Kim.
»Weiß man, wie sie reagiert, wenn sie sich durchschaut fühlt?« sagte Dr. Norden.
»Ich habe eine Idee«, erklärte Jan. »Constantin hat einen ähnlichen Fisch besorgt. Der ist sogar sehr ähnlich. Constantin könnte Ulrike anrufen und ihr sagen, daß du krank bist und auch nicht zur Hochzeit gehen kannst. Ulrike könne aber das Geschenk abholen und überreichen. Dann werden wir ja sehen, wie sie darauf reagiert.«
»Das sollte man überdenken«, sagte Kommissar Fechner. »Aber sie könnte es auch so drehen, falls sie sich durchschaut fühlt, daß sie keine Ahnung von alledem hat. Es muß noch einen anderen Weg geben. Wir sollten sie erst einmal überwachen lassen, damit rechnet sie bestimmt nicht. Dann könnten wir eventuell ihre Kontaktpersonen feststellen, was sehr wichtig wäre, und auch klären, ob sie in enger Verbindung zu Veltin und der Stein steht. Ich habe vorerst schon in die Wege geleitet, daß die beiden observiert werden. Das wird nun auch für Ulrike Rahn gelten. Es wäre allerdings hilfreich, wenn Sie auch noch die Namen der Gesellschaft in dem Ferienclub angeben könnten.«
»Ich weiß nur die Vornamen. Ehrlich gesagt war mir keiner sonderlich sympathisch. Dieser Urlaub war ein Fiasko.«
»Die Adresse von Ulrike in Paris haben Sie?«
»Sie steht in meinem Notizbuch, das muß in meiner Handtasche sein. Kannst du mir sie mitbringen, Jan?«
»Wo kann ich sie finden?«
»Die müßte im Wohnzimmer gewesen sein, eine Umhängetasche aus hellbraunem Leder. Da ist alles drin, Paß, Kreditkarten und so weiter.«
»Ich werde gleich noch mal suchen, aber vielleicht hat derjenige, der dich niedergeschlagen hat, sie mitgenommen. Dann müßten wir dein Konto sperren lassen.«
»Viel ist da nicht zu holen vor dem Ersten. Da bekomme ich dann erst wieder die Überweisung von Vater. Es wird Zeit, daß ich wieder einen Job bekomme.«
»Erst wird diese Geschichte zu Ende gebracht«, mischte sich Dr. Norden wieder ein, und Jan nickte dazu.
*
Wie es so ist im Leben, kam alles ein bißchen anders, als sie es sich ausgedacht hatten.
Nachdem Jan Kommissar Fechner das vermaledeite Hochzeitsgeschenk samt Inhalt übergeben hatte, wollte sie das Wort Fisch nicht mehr in den Mund nehmen und am liebsten nie wieder hören.
Die polizeilichen Ermittlungen liefen auf Hochtouren. Jan brachte Kim zur Insel der Hoffnung. Dort war sie sicher vor allen, die ihr Böses gewollt hatten und wohl auch noch wollten, denn Ulrike hatte schon wieder angerufen und recht gehässige Töne angeschlagen. Daraufhin rief Constantin sie an und fragte, was das eigentlich solle. Kim sei krank aus dem Urlaub gekommen und brauche jetzt absolute Ruhe. Er wolle wissen, was sich da eigentlich abgespielt hätte.
»Ich verstehe das überhaupt nicht. Es war doch eine wunderschöne Zeit, und es ist nicht meine Schuld und die der andern, wenn Kim keinen Humor hat und jede Bemerkung in die falsche Kehle kriegt.«
Constantin fragte, wann sie nach München käme, er müsse unbedingt mit ihr sprechen, weil er sich große Sorgen um Kim mache. Sie könne nicht zu der Hochzeit gehen.
»Kommst du?« fragte Ulrike.
»Das weiß ich noch nicht. Ich bin nicht für solche Feiern.«
»Was ist mit dem Geschenk?«
»Das werde ich hinbringen, wenn sich kein anderer findet.« Er war gespannt auf ihre Antwort.
»Ich komme übermorgen nach München, dann können wir darüber reden. Wo kann ich dich treffen?«
»Ich wohne zur Zeit im Elternhaus. Ruf vorher an.«
»Kann ich Kim besuchen?«
»Sie befindet sich in einem Sanatorium und darf keinen Besuch empfangen.«
»So schlimm ist es? Das macht mir Kummer. Ich hatte nicht den Eindruck, daß ihr etwas fehlt.«
»Und was war mit der Vergiftung? War sie die einzige, die krank wurde?«
Ein kurzes Schweigen folgte, das ihm verriet, daß Ulrike nach einer Antwort suchte.
»Ich weiß wirklich nicht, was sie gegessen hat. Vielleicht ist sie besonders empfindlich. Ein paar haben sich nicht wohl gefühlt, aber es war nicht so schlimm wie bei ihr. Wir können noch darüber reden, wenn ich in München bin.«
Ja, wir werden sehen, dachte Constantin. Er überlegte noch ein paar Minuten, dann verließ er das Haus und ging zu Fuß ein paar Straßen weiter zu dem Haus, das der Familie Veltin gehörte. Constantin wußte, daß Hannos Mutter schon bald nach dem Tod seines Vater wieder geheiratet hatte und Hanno mit Gaby schon einige Zeit zusammenlebte. Er wußte es, weil er Hanno manchmal getroffen hatte.
Er blieb vor dem Gartentor stehen und betrachtete das Haus, das einer gründlichen Renovierung bedurfte. Es nahm sich direkt ein bißchen ärmlich zwischen den Prachtbauten aus.
Während er noch überlegte, ging die Haustür auf und ein junger Mann kam heraus, der ihm bekannt vorkam. Als er ihn besser sehen konnte, hielt er den Atem an, denn es war der schon recht bekannte Schauspieler Chris Albers. Sofort erinnerte sich Constantin auch, daß der erst kürzlich in einen Drogenprozeß verwickelt war.
Constantin konnte sich so verstecken, daß er nicht bemerkt wurde, als Chris zu seinem Wagen, einem flotten Flitzer, ging. Constantin überlegte, ob man aus diesem Besuch Schlüsse ziehen könnte. Wenn aber Veltin als Dealer tätig war, mußte man äußerst vorsichtig sein.
Dennoch drückte Constantin nach ein paar Minuten auf die Klingel, und wenig später wurde er überrascht, aber dennoch überaus freundlich empfangen. Hanno hatte ihm die Tür geöffnet. Gaby gesellte sich wenig später zu ihnen. Sie machte allerdings einen übernervösen Eindruck.
»Was verschafft uns die Ehre deines Besuchs, Constantin?« fragte Hanno, während er Gaby einen Blick zuwarf, den man als warnend bezeichnen konnte.
»Ich bin herumgelaufen und habe mir die Neubauten angeguckt, weil ich ein Haus kaufen möchte. Ich hörte, daß du dich auch als Makler betätigst.«
»Es spricht sich herum. Ich habe die marode Firma meines Vaters verkauft und mit ein paar guten Freunden eine Finanzierungsgesellschaft gegründet. Die wollen aber im Hintergrund bleiben. Da ergibt sich dann so manches. Ich kann dir ein paar sehr gute Projekte anbieten, aber zuerst würde ich gern wissen, wie es Kim geht. Gaby sagte mir, daß sie krank sei.«
»Ja, es hat sich als eine langwierige Sache herausgestellt. Deshalb kann sie auch nicht zu eurer Hochzeit kommen. Aber das Geschenk bekommt ihr natürlich trotzdem.«
Er fand es albern so zu reden, aber irgendwie mußte er auf den Punkt kommen.
»Hat sie einen Virus mitgebracht? So was hört man ja jetzt öfter. Kim war ja immer schon so ein zartes Wesen, und zart besaitet war sie auch.«
»Sie ist gesund hingefahren und krank wiedergekommen, und ich würde gar zu gern wissen, was das eigentlich für eine Gesellschaft war. Aber ihr wart ja nicht dabei.«
»Für uns steht die Hochzeitsreise im Programm, und die geht nach USA, ich kann das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden.«
»Er wird nicht mich, sondern ständig Geschäfte im Sinn haben«, sagte Gaby schmollend. »Wo ist Kim denn hingefahren? Ist sie mit Jan verreist? Die beiden passen ja wirklich zusammen.« Sie warf dabei ihrem Zukünftigen einen schrägen Blick zu.
»Kim befindet sich in einem Sanatorium. Sie muß absolute Ruhe haben«, sagte Constantin.
»Das tut mir aber leid«, sagte Gaby in einem Ton, der das Gegenteil bewies.
Constantin wollte das nicht hochspielen. Er merkte schon, daß er nicht viel erreichen konnte. Die beiden waren ein gutes Team, aufeinander eingespielt und unangreifbar.
»Ihr laßt euch kirchlich trauen?« fragte er ablenkend.
»Natürlich«, sagte Gaby überstürzt. »Man heiratet nur einmal. Jedenfalls sollte es so sein.«
»Wie schaut es bei dir aus, Constantin?« fragte Hanno.
»Ich habe noch keine Neigung.«
Es ist vergeudete Zeit, dachte er, so erfahre ich doch nichts, und so ging er einen Schritt weiter.
»Würde es euch etwas ausmachen, wenn ich euer Hochzeitsgeschenk schon bald schicken würde?« fragte er.
Blitzschnell tauschten die beiden einen Blick. »Uns macht das nichts aus«, erwiderte Gaby hastig, »wir haben schon einige Geschenke bekommen. Es ist nur schade, wenn von euch niemand kommt.«
»Ihr habt bestimmt genug Gäste«, sagte Constantin leichthin. »Ich habe mit Ulrike telefoniert. Sie kommt bald, und dann kann sie euch das Geschenk bringen. Ich habe zur Zeit wirklich sehr viel zu tun.«
»Hat Kim eigentlich die Absicht, Jan zu heiraten?« fragte Gaby.
»Ich nehme an, daß sie mal heiraten werden, aber wann, das steht in den Sternen, Sie haben es nicht eilig.«
Constantin erhob sich.
»Ich werde mich verabschieden, entschuldigt den Überfall, aber wenn du mir noch Unterlagen über die Projekte geben könntest, die du mir empfehlen kannst, Hanno?«
»Ich bringe sie dir vorbei, ich muß sie aus dem Büro holen. Bist du noch in eurem Haus?«
»Noch eine Zeit.«
»Gaby hat mir erzählt, daß du neue Schlösser einbauen ließest. Wurde bei euch eingebrochen?«
»Nicht direkt, uns war ein Schlüsselbund abhanden gekommen. Man muß sich vorsehen und absichern.«
»Dem kann ich nur beipflichten«, sagte Hanno. »Wenn Ulli kommt, könnten wir ja mal einen Abend zusammen verbringen«, schlug Gaby vor.
»Ich bin die nächste Zeit ausgebucht. Einen guten Start in die Ehe wünsche ich euch.« Das konnte er sich gerade noch abringen, aber draußen atmete er erstmal tief durch. Es war doch angebracht, daß ich immer so reserviert war, dachte er. Man kann in keinen Menschen hineinsehen.
*
»Er wollte uns aushorchen«, sagte Gaby zu Hanno, »er ist mir nicht ganz geheuer.«
»Er war schon immer ein arroganter Kerl. Was meinst du, wie er dauernd dahinter war, als ich mit Kim zusammen war. Wie ein Wachhund, damit seiner kostbaren Schwester ja kein Härchen gekrümmt würde.«
»Was du aber wohl gar zu gern getan hättest«, sagte Gaby anzüglich.
»Eifersüchtig brauchst du nicht zu sein. Was mir nicht in den Kopf will, ist Kims Krankheit. Wir sollten Ulli mal auf den Zahn fühlen, ob sie damit etwas zu tun hat.«
»Sie sagt doch nur, was ihr nichts schaden kann. Wir müssen viel vorsichtiger sein, Hanno. Ich traue Ulli auch nicht.«
»Du traust doch keiner anderen Frau.«
»Und auch keinem Mann außer dir«, schmeichelte sie. »Aber es ist zu dumm, daß wir nicht an Kim herankommen. Sie wird doch nicht mißtrauisch geworden sein?«
»Wir müssen eben noch vorsichtiger sein, aber wer soll uns schon etwas anhängen?«
»Ulli redet ein bißchen viel.«
»Das ist nun mal ihre Art, aber sie sollte nicht soviel trinken. Wir müssen die Fronten klären.«
*
Jan wäre am liebsten auf der Insel der Hoffnung geblieben, so beeindruckt war er von der Schönheit und dem Frieden dieser Landschaft. Hier würde Kim gut aufgehoben sein. So herzlich war schon der Empfang gewesen, daß sie gleich ganz gelöst war.
Nach dem gemeinsamen Essen hatte Jan einen langen Spaziergang mit Kim über die Insel gemacht. Sie hatten so viele besonders schöne Fleckchen gefunden, daß sie schon ganz von dem Zauber der Insel gefangen waren, wie so viele vor ihnen. Hier konnten sich Körper und Geist erholen, hier konnte man Sorgen und Ängste vergessen.
»Du wirst mich doch nicht vergessen, Jan?« sagte Kim, als der Abschied nahte.
»Wie kannst du nur so was denken! Ich werde jetzt mein Examen machen, und dann besuche ich dich wieder. Zum Glück gibt es ja das Telefon. Denk nur daran, daß du schnell wieder ganz gesund wirst.«
»Und dir wieder gefalle«, sagte sie leise.
»Jetzt gefällst du mir ja schon wieder viel besser.« Er küßte sie auf die Nasenspitze, und sie lachte. Es war noch nicht ganz das strahlende Lachen, das er so geliebt hatte. Er spürte immer wieder, wie sehr sie sich verändert hatte, aber zwischen ihnen war jetzt auch eine viel tiefere Bindung als früher.
Sie sah ihn forschend an, als wollte sie sich sein Gesicht noch einmal einprägen.
Dann legte sie den Zeigefinger auf ihre Lippen und dann auf seine.
»Ich liebe dich, Jan«, sagte sie mit einem Ausdruck, der ihm unter die Haut ging.
Er nahm sie fest in die Arme. »Etwas Schöneres konntest du mir nicht sagen, mein Kleinchen. Für mich gibt es nur dich. Ich werde dich immer lieben bis zum letzten Atemzug.«
»Obgleich ich dir weh getan habe?«
»Das gehört wohl auch zu einer Partnerschaft, daß man sich manchmal weh tut. Es ist nicht immer Sonnenschein, Kim. Aber wenn man sich liebt, findet man immer wieder zueinander. Willst du meine Frau werden?«
Sie schloß die Augen. »Ich möchte auch immer mit dir zusammensein, aber können wir nicht erstmal so zusammenleben? Vielleicht paßt dir doch manches nicht an mir.«
»Daran denke ich gar nicht. Wenn wir zusammenbleiben, soll alles Hand und Fuß haben. Ich möchte, daß deine Eltern einverstanden sind.«
»Meine Eltern, sie leben ihr Leben, wir sind ihnen doch ziemlich egal.«
»Das darfst du nicht denken. Sie lassen euch eure Freiheit, sie nehmen sich die ihre. Ich bin überzeugt, sie wären sofort gekommen, wenn wir ihnen Nachricht gegeben hätten, was dir passiert ist.«
»Um Himmels willen, auf das Theater kann ich wirklich verzichten! Papa hätte sofort Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um die Hintermänner zu finden, und Mama hätte das Drama des Jahrhunderts daraus gemacht, um als tragische Heldin zu posieren.«
Jan lachte herzlich. »Jetzt übertreibst du aber«, scherzte er.
»Du kennst Mama nicht. Sie liebt es, alles zu dramatisieren. Andererseits wird sie auch die Rolle der Brautmutter auskosten, wenn es mal soweit ist.«
»Meine Mutter wird sehr glücklich sein, wenn du meine Frau wirst. Sie hat dich von Anfang an gemocht.«
»Ich mag sie auch, sie ist eine richtige Mutti.«
»Du kannst jederzeit zu ihr kommen, Kim.« Er küßte sie wieder lange und zärtlich. »Blick nie mehr zurück, mein Liebes, denk nur an die Zukunft.«
»Wir werden noch viel Mut brauchen, bis alles überstanden ist«, sagte sie stockend.
»Du hast schon sehr viel Mut bewiesen, Kim.«
»Ohne deine Hilfe wäre ich untergegangen, da gibt es nichts zu beschönigen. Ich war wirklich verzweifelt, und ich habe meinen Frust an dir ausgelassen, ausgerechnet an dir.«
»Das ist doch vorbei, denk nicht mehr daran.«
»Ich verdiene dich gar nicht, so ist es.«
»Du wirst mich trotzdem nicht los, wenn du dir auch noch soviel einredest. Ich liebe dich nämlich, und wie sehr.«
Sie küßten sich noch einmal, und Anne Cornelius sagte später zu ihrem Mann, daß Kim Glück hätte, diesen Partner zu haben.
»Er hat auch Glück«, erklärte Johannes Cornelius, »solche Mädchen werden immer seltener.«
Für Constantin war endlich die Stunde gekommen, der er mit brennender Ungeduld entgegengesehen hatte. Er wurde sich nicht bewußt, wie aufgeregt er war, das merkten nur andere, die ihn kannten und für die er immer ein paar Minuten Zeit und ein paar freundliche Worte hatte. An diesem Nachmittag war er mit seinen Gedanken nur bei Conchita. Er hatte regelrechte Angst ausgestanden, daß die nicht kommen würde.
Doch nun kam sie, hinreißend anzusehen. Ein anderer Ausdruck fiel ihm nicht ein.
»Sie sind hier«, sagte er, und allein das klang schon wie eine Liebeserklärung.
»Ich bin hier«, erwiderte Conchita, »es war gar nicht einfach, einen Parkplatz zu finden.«
»Hätten Sie mich rufen lassen, ich hätte Ihren Wagen in die Tiefgarage gefahren.«
Sie sah ihn nachdenklich an. »Sie sind ein seltsamer Mann, Constantin, aus Ihnen werde ich wirklich nicht klug.«
»Was gibt Ihnen Rätsel auf?«
»Daß Sie so tun, als sei ich wichtig für Sie.«
»Ich tue nicht so, Sie sind wichtig für mich. Sie sind die erste Frau, die eine Bedeutung für mich hat, das müßten Sie doch eigentlich spüren. Ich habe nie etwas Ähnliches zu einer Frau gesagt, das ist kein Gerede. Ich habe nie gedacht, daß ich je so empfinden könnte, es war Liebe auf den ersten Blick, Conchita.«
Sie war tatsächlich aus der Fassung gebracht. Damit hatte sie nicht gerechnet. Eigentlich hatte sie gedacht, daß er nur an ihrer äußeren Erscheinung interessiert sei.
»Ihre Bilder sind realistisch«, sagte sie stockend. »Und so habe ich Sie auch eingeschätzt.«
»Aber Ihnen hat ›Illusion‹ gefallen, weil es Sehnsucht ausdrückt«, sagte er.
»Wie genau Sie das erkannt haben! Eigentlich sind Sie doch ein Mann, der keine Illusionen hat.«
»Aber Träume. Hat nicht jeder Mensch Träume?«
»Sie gehen selten in Erfüllung.«
»Manchmal vielleicht doch.«
»Sind Sie oft von Frauen enttäuscht worden?«
»Nein, weil ich mich nie mit Frauen befaßt habe. Wenn Sie jetzt sagen, daß Sie lieber wieder gehen möchten, wäre ich tief enttäuscht und mehr als das, es würde sehr weh tun.«
»Ich gehe nicht. Ich bin gekommen, um Sie kennenzulernen. Ich habe mich auch noch nie intensiv für einen Mann interessiert, aber ich bin von einem sehr enttäuscht worden.«
»Haben Sie ihn geliebt?«
»Ja, sehr, es handelt sich um meinen Vater. Er hat meine Mutter verlassen wegen einer anderen Frau. Ich möchte niemals so verlassen werden. Er hat meine Mutter zerstört.«
»Ich würde Ihnen niemals weh tun«, sagte Constantin leise.
»Wir werden sehen.«
Er ergriff spontan ihre Hände. »Deswegen gefällt Ihnen ›Illusion‹ so gut.«
»Es hat mich tief beeindruckt.«
»Ich möchte es Ihnen schenken.«
»Ich weiß, daß Ihnen fünfzigtausend Euro dafür geboten wurden.«
»Von einem Spekulanten, der keine Ahnung hat, was es aussagt und nur daran denkt, was meine Bilder eines Tages wert sein könnten. Ich denke darüber nicht nach. Geld hat für mich nur eine untergeordnete Bedeutung. Das Bild gehört Ihnen.«
»Das kann ich nicht annehmen.«
»O doch, das können Sie. Sie haben etwas in mir geweckt, aus verborgenen Tiefen geholt und zum Klingen gebracht, das mich beflügelt. Ich weiß, daß jetzt der richtige Durchbruch für mich kommt. Sie sind meine Muse, wenn Sie es sein wollen, Conchita.«
In ihren Augen war ein geheimnisvolles Leuchten, als sie ihn ansah. »Ich möchte gern das für Sie sein, was Sie in mir sehen, Constantin. Ich habe das Gefühl, noch niemals so von einem Menschen verstanden worden zu sein.«
Er zog sie sanft zu sich heran und umschloß ihre Schultern mit festem Griff.
»Weil wir vom Schicksal füreinander bestimmt sind«, sagte er mit dunkler Stimme.
Sie lehnte die Stirn an seine Schulter.
»Ich habe es gefühlt, daß das Bild für mich eine tiefe Bedeutung hat, daß da ein Mensch ist, der ebenso empfindet wie ich. Und dann standest du plötzlich vor mir, Constantin Meyring, so unerwartet, und ich wußte, daß dieser Tag mein Leben verändert.« Sie blickte mit verklärtem Ausdruck zu ihm auf und war so wunderschön in diesem Augenblick, daß ihm der Atem stockte.
»Bitte bleib so stehen, ich muß das festhalten«, sagte er und griff schon nach seinem Skizzenblock.
»Du bist mein lebendig gewordener Traum«, sagte er leise, während er mit kräftigen Strichen ihr Antlitz auf dem Block festhielt, mit diesem verträumten Ausdruck, dem zärtlichen Lächeln. Er wußte, daß es der Anfang einer großen Liebe war, von der er überwältigt wurde.
»Jetzt brauche ich wohl gar nicht mehr Modell zu sitzen?« fragte sie, als er den Block zur Seite legte.
»O doch, aber diese Skizze und das Bild, das daraus entstehen wird, gehört nur mir. Niemand sonst wird es sehen.«
»Ich auch nicht?« fragte sie lächelnd.
»Das könnte die Ausnahme sein. Weißt du, wie schön du bist?«
»Du Schmeichler, du geheimnist etwas in mich hinein. – Aber vielleicht hast du auch etwas in mir geweckt«, fuhr sie nach einem kurzen Atemholen fort.
»Es ist Liebe«, sagte er leise und küßte sie.
*
Das Läuten des Telefons riß sie aus ihrer zärtlichen Zweisamkeit. Constantin seufzte schwer, erhob sich dann aber doch.
»Es könnte Kim sein«, sagt er, »Kim ist meine Schwester«, fügte er hastig hinzu, als sich Conchitas Augen weiteten.
Aber es war nicht Kim sondern Ulrike, und sie hatte den ungünstigsten Zeitpunkt erwischt.
»Ich habe jetzt keine Zeit«, fuhr er sie unwillig an. »Ruf später noch mal an.«
»Ich habe meine Zeit nicht gestohlen, ich komme jetzt zu dir«, sagte sie. Bevor er etwas erwidern konnte, hatte sie aufgelegt.
»Ich muß dir jetzt etwas erklären, etwas sehr Unangenehmes. Es hat mit dem Fisch zu tun, aber vielleicht kannst du mir einen Rat geben. Ich habe es gespürt, daß du Intuitionen hast. Es wird jetzt gleich eine Frau erscheinen, eine gefährliche Frau, die meine Schwester in eine so mißliche Lage gebracht hat, daß Kim krank wurde. Hoffentlich reicht die Zeit, es dir in kurzen Worten zu schildern.«
»Dann halte dich nicht bei der Vorrede auf«, sagte Conchita.
Sie unterbrach ihn nicht, aber ihr Mienenspiel verriet, wie konzentriert sie lauschte. Er war wenigstens so weit mit seinem kurzgefaßten Bericht gekommen, daß sie sich ein Bild von der Situation machen konnte, als aus seinem Büro heraufgerufen wurde, daß Frau Rahn gekommen sei.
»Würdest du bitte mit herunterkommen und bei dem Gespräch dabei sein, Conchita?« bat er.
»Wenn du es willst, gern«, erwiderte sie.
Er küßte sie rasch auf die Wange. »Danke, es ist lieb von dir.«
Ulrike riß die Augen auf, als er mit Conchita erschien. Sie hatte es schon immer schwer ertragen, attraktiven Frauen zu begegnen, die mehr Ausstrahlung hatten als sie, und neben Conchita verblaßte sie förmlich, wenn sie das auch nicht wahrhaben wollte. Sie hatte zwar alles getan, um so vorteilhaft wie nur möglich zu wirken, weil sie Constantin beeindrucken wollte, aber nun war sie regelrecht geschockt, als er Conchita als seine zukünftige Frau vorstellte.
»Ich bin überrascht! Constantin galt als Frauenverächter«, sagte sie spitz, zu Conchita gewandt.
»Na, na, ich war nur sehr wählerisch, aber wie hätte ich Conchita widerstehen können?«
»Ich habe gehört, daß Sie sich für Keramiken interessieren«, sagte Conchita. »Ich habe ein Kunstgewerbegeschäft, bin sozusagen vom Fach.«
»Und sprechen sehr gut Deutsch«, rang sich Ulrike ab.
»Ich bin in Deutschland aufgewachen. Constantin hat mir erzählt, daß Sie für eine Hochzeit ein Geschenk in Madeira besorgt haben. Das hätten Sie auch bei mir kaufen können mit Sonderpreis«, sagte Conchita mit anzüglichem Lächeln, aber jetzt warf ihr Constantin einen warnenden Blick zu. Ulrikes Augen waren schon ganz schmal geworden.
»Hast du das Geschenk hier?« fragte sie gereizt.
»Nein, ich habe nicht damit gerechnet, daß du schon heute kommst. Ich habe es zu Hause.«
»Wann kann ich es abholen?«
»Morgen vormittag? Wir haben heute abend etwas vor und fahren nicht mehr heim.«
»Hat Kim etwas dazu geschrieben, eine Glückwunschkarte?«
»Nein, dazu ist sie noch nicht fähig. Ich habe dir gesagt, daß sie krank ist.«
»Ich verstehe das nicht. Du scheinst tatsächlich zu denken, daß ich daran schuld bin.«
»Ich denke, daß etwas, was dort geschehen ist, daran schuld sein muß. Aber wir können uns morgen vielleicht länger darüber unterhalten. Wir müssen jetzt aufbrechen, denn wir müssen nach auswärts.«
Sie schob die Unterlippe vor. »Ich will nicht der Grund sein, daß ihr zu spät kommt. Viel Spaß noch, bis morgen dann. Ich komme nach zehn Uhr, ist das recht?«
»Okay. Bis morgen.«
Ulrike tänzelte hinaus, Conchita sah ihr mit einem amüsierten Lächeln nach.
»Sie hat es nötig, die Fassade bröckelt bereits«, sagte sie. »Wir sollten jetzt auch gehen, es könnte sein, daß sie uns beobachtet.«
»Sagt dir das dein sechster Sinn?« scherzte Constantin.
»Er sagt mir noch mehr. Ich habe eine Idee, wie wir sie und ihre Komplicen festnageln können.«
»Bist du sicher, daß sie Komplicen hat? Vielleicht gehört dieser Chris Albers auch dazu.«
»Du meinst den Schauspieler? Da haken wir am besten gleich mal nach. Er ist sozusagen mein Nachbar, ich kenne ihn recht gut.«
»Wie gut?« fragte Constantin eifersüchtig.
»Nicht so, wie du jetzt denkst. Er ist eigentlich ein netter Junge. Jetzt fällt mir ein, daß er kürzlich auch Urlaub auf Madeira gemacht hat.«
Constantins Augen weiteten sich. »Tatsächlich? Dann sollten wir tatsächlich mal mit ihm reden. Vermittelst du das?«
»Das mache ich doch gern«, lachte sie. Er hätte sie am liebsten gleich wieder geküßt, so bezaubernd sah sie aus. »Fahren wir, mein Meister.«
Hätte er sich je träumen lassen, in all dem Durcheinander so glücklich zu sein? Das Leben war voller Überraschungen, aber solch eine wie Conchita ließ er sich mehr als gern gefallen.
*
Sie fuhren mit ihrem Wagen, da sie selbst fahren wollte, um Constantin nicht lange den Weg zu ihrer Wohnung erklären zu müssen. Das Haus war eine sehr große Villa, die in einzelne Wohnungen aufgeteilt war. Conchita gehörte die Dachterrassenwohnung, Chris Albers eine in der zweiten Etage.
»Fahren wir zu mir hinauf, ich möchte dir meine Idee erklären«, sagte Conchita. »Ich brauche auch erstmal einen Kaffee.«
»Entschuldige, daß ich dir nichts angeboten hatte«, sagte er sofort.
»Dazu hatten wir doch gar keine Zeit«, meinte sie mit einem zärtlichen Lächeln. »Komm mit in die Küche, wir dürfen nicht mehr viel Zeit verlieren, wenn wir morgen dem bösen Spiel ein Ende machen wollen.«
»Du hast dir ja schon viel vorgenommen.«
»Ich bin nicht dafür, etwas Wichtiges auf die lange Bank zu schieben.«
Sie brühte den Kaffee auf und schnitt einen Marmorkuchen auf.
»Mein Lieblingskuchen«, sagte sie.
»Meiner auch, wir haben sehr viel gemeinsam.«
»Das weiß ich schon. Sonst wären wir ja nicht hier in meiner Wohnung. Also wieder zu meiner Idee. Wir sollten morgen, anläßlich unserer Verlobung, ein Sektfrühstück bei dir veranstalten.«
»Ein Sektfrühstück«, staunte er, »ab wann denn?«
»Ab zehn Uhr. Ist zwar ein bißchen früh, aber da die Hauptschuldige bereits nach zehn Uhr ihren Besuch angekündigt hat, bleibt uns nichts weiter übrig. Und du mußt jetzt sagen, wer dazu alles eingeladen werden soll.«
Er sah sie ungläubig an. »Einladen kann man ja, aber ob sie auf die Schnelle auch kommen, ist die andere Frage.«
»Ich denke, daß sie alle irgendwie an dem Koks interessiert sind und unbedingt den fetten Fisch haben wollen.«
»Ja, da wären dann Hanno Veltin und Gaby Stein, das Brautpaar, Ulrike kommt sowieso, und auf unsere Seite steht Jan, Kims Freund. Dann müßten wir natürlich auch Kommissar Fechner Bescheid sagen.«
»Und jetzt werden wir Chris Albers einladen«, sagte Conchita nach einem kurzen Schweigen. »Andere Verdächtige gibt es nicht?«
»Ich kenne keine, und Kim konnte sich nur an ein paar Vornamen erinnern. Verdächtigst du diesen Albers?«
»So weit will ich nicht denken, aber man kann ihn ja fragen, ob er Kim auf Madeira getroffen hat. Ich kenne ihn nur als einen netten, harmlosen jungen Mann.«
»War er denn nicht schon einmal in eine Drogenaffäre verwickelt?«
»Nur als Zeuge.«
»Vielleicht ist er gar nicht da.«
»Das werden wir gleich sehen.«
»Und wenn er nicht allein ist?«
»Ich mache das schon, keine Sorge, Constantin.«
Chris war zu Hause. Er war allein, allerdings auch sehr überrascht, als Conchita vor ihm stand.
»Entschuldige die Störung, Chris, ich wollte dir meinen Verlobten vorstellen, Constantin Meyring.«
»Der Drehbuchautor? Da bin ich baff.«
»Er ist in erster Linie Kunstmaler«, erklärte Conchita.
»Davon verstehe ich nicht soviel wie von Drehbüchern. Kommt doch auf einen Drink herein.«
»Danke. Ich habe auch noch etwas auf dem Herzen.«
Es war eine Junggesellenwohnung, aber recht gemütlich eingerichtet.
Chris war ein hübscher junger Mann, fast zu hübsch für Constantins Geschmack.
Er mixte einen Drink, den man ohne Sorge um den Führerschein genießen konnte.
»Du warst doch kürzlich auf Madeira, Chris«, begann Conchita, »hast du da zufällig die Schwester von Constantin getroffen?«
»Ich habe viele Frauen getroffen. Worum geht es?«
»Sie war in dem Ferienclub und heißt Kim.«
Constantin entging es nicht, daß sich der Gesichtsausdruck von Chris veränderte. »Kim? War sie etwa in Ulli Rahns Clique?«
»Allerdings.«
»Damit möchte ich eigentlich nichts zu tun haben.«
»Warum nicht?«
»Einmal, weil ich Ulli nicht ausstehen kann, zum andern, weil da ein Typ namens Julien dabei ist, mit dem ich schon sehr schlechte Erfahrungen gemacht habe. Diesmal wollte er mich wieder ködern, etwas für Bekannte mitzunehmen.«
»Für Hanno Veltin?« fragte Constantin.
Chris sah ihn überrascht an. »Sie wissen das?«
»Ich habe es vermutet, da ich Sie gestern aus seinem Haus kommen sah.«
»Ich war nur dort, um ihm zu sagen, daß man mich aus dem Spiel lassen und er lieber die Finger von solchen Sachen lassen soll. Aber ich glaube viel eher, daß seine Braut das managt.«
»Es geht um Drogen«, sagte Constantin beiläufig.
»Will man mir wieder etwas anhängen? Ich habe damit nichts zu tun.«
»Wir wollen dir nichts anhängen, da mußte ein anderer Sündenbock her«, sagte Conchita. »Aber wir haben eine große Bitte. Würdest du morgen an einem improvisierten Sektfrühstück anläßlich unserer Verlobung teilnehmen, zu dem auch Veltin und seine Verlobte und ebenso Ulrike erscheinen?«
»Und welche Rolle soll ich spielen? Den Butler?« spottete er.
»Du sollst nur unser Gast sein und mit deinem Erscheinen gewisse Leute ein bißchen irritieren.«
»Ich bin ja Schauspieler, warum also nicht. Was ist mit Ihrer Schwester?«
»Sie kann nicht kommen, sie hat sich auf Madeira eine Fischvergiftung zugezogen und leidet unter den Folgen.«
»Dann ist das dieses Mädchen, das sich immer abgesondert hat? Sind Sie sicher, daß es eine Fischvergiftung war?«
»Nein, es bestehen Zweifel.«
»Ich will ja nichts behaupten, aber in diesem Club wird alles gepusht. Wann immer sich die Gelegenheit bietet, wird auch geschmuggelt, und dazu werden oftmals Keramikfiguren verwandt, wie man sie in deinem Geschäft auch bekommt, Conchita.«
Da es Zeit wurde, nun Hanno und Gaby anzurufen, wollten sie sich lieber verabschieden, aber Chris sagte, daß sie ruhig sein Telefon benutzen könnten.
War es ein Risiko, ihn eingeweiht zu haben? Conchita verneinte es später. Sie waren gar nicht mehr überrascht, daß Hanno und Gaby die Einladung freudig annahmen, als Constantin sagte, daß er ihnen das Hochzeitsgeschenk so selbst und nicht zwischen Tür und Angel überreichen könne. Ulrike habe sich ohnehin für den Vormittag angesagt.
Nun brauchte Constantin nur noch Kommissar Fechner zu benachrichtigen, und der war mit ihrem Plan einverstanden. Er verriet Constantin, daß er auch einige Neuigkeiten hätte. Nun konnten Constantin und Conchita alles für dieses Ereignis vorbereiten. Fast hätten sie vergessen, Jan Bescheid zu sagen. Der war allerdings skeptisch, ob dieses Vorhaben denn auch erfolgversprechend sei, aber er wollte früh da sein und Constantin helfen. Von Conchita hatte er noch keine Ahnung, sie sollte auch für ihn eine Überraschung sein.
Und was für eine! Er war völlig konsterniert, als Constantin ihm seine Verlobte vorstellte.
Er schüttelte den Kopf vor Erstaunen, bevor er sagte, warum davon niemand etwas gewußt habe.
Constantin lachte. »Weil wir uns erst ein paar Tage kennen. Ich habe dir doch erzählt, wo ich den Fisch gekauft habe, aber wir werden noch oft genug darüber reden. Hast du Nachricht von Kim?«
»Ja, es geht ihr gut, und auf ihr Gesicht bin ich gespannt.«
»Hoffen wir, daß wir ihr bald eine Erfolgsmeldung übermitteln können.«
»Ich bringe sie ihr selbst, wenn es dazu kommt. Sie wird entzückt sein, eine Schwägerin zu bekommen.«
»Ein unvergleichliches Unikat dazu«, sagte Constantin.
Jan konnte nur noch den Kopf schütteln. Eine Überraschung jagte die andere.
Ulrike erschien zuerst, wie erwartet. Sie wurde sehr nervös, als sie das Bufett sah. »Was soll denn gefeiert werden?« fragte sie.
»Wir haben uns gedacht, daß wir dem Brautpaar das Geschenk bei einem Sektfrühstück überreichen und gleichzeitig unsere Verlobung offiziell bekanntgeben.«
»Du bist wahrhaftig für jede Überraschung gut«, sagte Ulrike mit einem frivolen Lächeln. »Man muß die Feste feiern, wie sie fallen. Ich bin immer dafür zu haben.«
Sie schien kein bißchen argwöhnisch zu sein.
Als Hanno und Gaby kamen, hatte sie bereits zwei Gläser Sekt getrunken und war ganz in ihrem Element.
»Das ist wirklich eine nette Idee von Constantin, nicht wahr? Nur schade, daß Kim nicht da ist.« Sie war irritiert, als es wieder läutete.
Chris erschien.
»Ein Freund von Conchita«, erklärte Constantin. Aber jetzt wurden Hanno und Gaby unruhig, während Ulrike wieder ein Glas Sekt trank und vor sich hinträllerte.
»Wieviel Leute kommen denn noch?« fragte sie.
»Nur noch zwei oder drei, aber vorher werden wir im Namen von Kim das Geschenk überreichen. Er gab das dekorativ verpackte Paket Gaby. Er merkte, daß es ihr anscheinend leicht erschien.
Sie sah Ulrike verwirrt an. »Mach es auf, ich will sehen, ob es dir gefällt«, sagte Ulrike. »Ich durfte es ja mit aussuchen.«
Constantin entging es nicht, daß Gabys Hände zitterten, während alle Blicke gebannt auf ihr ruhten. Nun wurde auch die Tür zum Nebenzimmer einen Spalt geöffnet, was sonst aber niemand bemerkte. Es war eine atemlose Spannung im Raum. Conchita hielt sich an Constantins Arm fest.
Mit glasigen Augen starrte Ulrike auf den Fisch und riß ihn fast aus Gabys Händen.
»Das ist ein anderer Fisch!« stieß sie schrill hervor. »Was hat Kim mit unserem Fisch gemacht?« Sie hatte jede Beherrschung verloren, und Hanno war kreidebleich geworden.
Da kam aus dem anderen Zimmer Kommissar Fechner mit einer silbernen Platte, auf die er den kaputten Fisch mit seinem Inhalt gelegt hatte.
»Dann ist wohl dies der richtige Fisch«, sagte er.
Ulrikes Gesicht verzerrte sich. »Das ist infam! Wenn ihr denkt, ihr könnt uns ausschmieren, dann irrt ihr euch gewaltig. Er gehört mir, mir allein?«
»Sie können ihn gern haben, sagte Kommissar Fechner und zeigte seine Dienstmarke. »Das Kokain wurde der Polizei übergeben. Betrachten Sie sich als verhaftet.« Zwei weitere Beamte erschienen, die ihnen ihre Rechte vorsagten, was aber in Ulrikes hysterischem Geschrei unterging.
Hanno und Gaby waren wie gelähmt, aber dann versuchte Hanno, sich damit herauszureden, daß sie Ulrike nur einen Gefallen hatten tun wollen.
»Wir haben selbstverständlich recherchiert, es kommt auch bei Ihnen so einiges zusammen«, sagte Fechner ruhig.
Ihrer gerechten Strafe konnten alle drei nicht entkommen, aber Kim wollte davon nichts mehr wissen.
*
Es war ruhig geworden, als sie weggebracht worden waren. Schweigend saßen Constantin, Conchita, Jan und Chris am Tisch und tranken nun auch noch ein Glas Sekt.
»Ihr paßt wirklich gut zusammen«, sagte Chris plötzlich, »sogar die ersten drei Buchstaben von euren Vornamen sind gleich.«
»Nomen est omen«, sagte Conchita. »Wir sind füreinander bestimmt, das haben wir gleich gewußt. Es war Liebe auf den ersten Blick.«
»Ich muß zu Kim fahren und ihr alles erzählen«, sagte Jan, der mit seinen Gedanken schon ganz bei ihr auf der Insel der Hoffnung war.
»Es ist schandbar, was sie ihr angetan haben«, sagte Chris. »Ich bin froh, daß ich wenigstens dazu beitragen konnte, daß diese Bande auffliegt.«
Das hatte ihnen Kommissar Fechner noch versprochen. Es war schon alles ins Rollen gebracht worden.
»Dafür kannst du unser Trauzeuge sein«, meinte Constantin großmütig.
»Du redest schon vom Heiraten! Willst du uns nicht den Vortritt lassen, wir kennen uns schon seit Jahren und ihr erst ein paar Tage.«
»Das ist nicht ausschlaggebend, aber wir können ja eine Doppelhochzeit feiern«, meinte Constantin. »Da werden ja auch sämtliche Eltern dabei sein wollen.«
»Ich habe keine«, sagte Conchita leise.
»Jetzt bekommst du welche, die ihr Glück nicht fassen werden«, lachte Constantin. »Jetzt werde ich mal mit ihnen telefonieren.«
»Ich fahre zu Kim«, sagte Jan und erhob sich.
»Fahr vorsichtig!« rief ihm Constantin nach. »Noch eine Aufregung wäre auch für mich zuviel.«
*
Kim konnte es nicht glauben, daß Jan wieder bei ihr war und was er ihr alles zu berichten wußte.
»Dann ist der Spuk wirklich vorbei?« fragte sie bebend.
»Es war ein böser Spuk, aber jetzt blicken wir nie mehr zurück, mein Kleinchen. Es gibt auch etwas sehr Erfreuliches zu berichten. Constantin hat sich verlobt.«
»Das gibt es doch nicht! Mit wem denn?«
»Sie heißt Conchita Sanchez und ist bezaubernd. Es war Liebe auf den ersten Blick, als er in ihrem Geschäft den anderen Fisch kaufte.«
»Und schon sind sie verlobt? Ob das gutgeht?«
»Da bin ich nicht bange, sie sind wie füreinander geschaffen.«
»Und wir?« fragte sie stockend.
»Wir sind jetzt auch verlobt«, sagte er und steckte ihr einen schmalen Goldreif mit kleinen Brillanten an den Finger. »Wir brauchten halt ein bißchen mehr Mut, um unseren Weg gemeinsam zu gehen, aber ich habe immer nur dich gewollt, Kim.«
»Gefalle ich dir wieder?«
»Du bist wieder meine Kim, die ich liebe und nie mehr allein lasse.«
»Du hast mich ja nicht allein gelassen, ich bin diesen falschen Weg gegangen. Ich bereue es so sehr, Jan.«
»Jetzt ist doch alles gut.« Er küßte ihr die Tränen von den Wangen und hielt sie fest in seinen Armen, glücklich und dankbar, daß nun alle Ängste ausgestanden waren.
*
»Jetzt ist alles wieder in Butter«, sagte Daniel Norden voller Freude, als er Fee die gute Nachricht bringen konnte. »Die Übeltäter sind geschnappt, das junge Glück kann gedeihen. Wie es scheint, wird es bald eine Doppelhochzeit geben.«
»Heißt das etwa, daß Constantin endlich auch die Frau seiner Träume gefunden hat?« staunte Fee.
»Und was für eine, du wirst es nicht glauben.«
»Wie heißt sie?«
»Conchita Sanchez.«
»Diese Schönheit? Liebe Güte, ich bin sprachlos.«
»Wen kennst du eigentlich nicht?« meinte Daniel kopfschüttelnd.
»Ich habe damals doch gesagt, daß man solche Keramiken auch bei uns kaufen kann. Da habe ich ihr Geschäft gemeint. Da kann man ihm wirklich gratulieren.«
Das konnten sie bald.
Arndt und Carola Meyring waren eilends von Gran Canaria heimgekehrt. Nachdem sie sich beruhigt hatten über das, was hier alles geschehen war, gaben sie ein großes Fest für die beiden glücklichen jungen Paare. Wenn man sie ansah, konnte man alles Böse vergesssen, denn wo soviel Liebe war, konnte nur Gutes gedeihen.