Читать книгу Dr. Norden (ab 600) Jubiläumsbox 4 – Arztroman - Patricia Vandenberg - Страница 5

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Es war Frühlingsanfang, aber der April kündigte sein baldiges Erscheinen schon mit Sturm und Regen an. Jana Haemlin schüttelte sich, als sie die Praxis von Dr. Norden betrat, und sie mußte auch gleich niesen.

»Entschuldigung, Wendy«, sagte sie.

»Wofür denn«, meinte Wendy lächelnd, »Husten und Schnupfen sind angesagt. Eigentlich geht es schon seit Weihnachten so.«

»Und jetzt steht Ostern vor der Tür.« Janas Stimme klang traurig. Schmal und blaß war die junge Frau, nicht mal der heftige Wind hatte ihre Wangen rosiger gefärbt.

»Brauchen Sie ein Rezept, Frau Haemlin, oder wollen Sie auf den Doktor warten?«

»Ich brauche ein Gesundheitsattest. Meinen Sie, daß Dr. Norden es mir ausstellt? Ich bin doch wieder gesund.«

»Wofür brauchen Sie es denn?«

»Ich will mich für eine Stellung als Kinderbetreuerin bewerben. Ich muß endlich wieder etwas tun, sonst fällt mir die Decke auf den Kopf.«

»Wollen Sie nicht in Ihren alten Job zurück?« fragte Wendy erstaunt. »Als Systematikerin würden Sie doch bedeutend mehr verdienen.«

»Es geht mir nicht ums Geld. Finanziell hat mich Rolf abgesichert. Ich möchte nicht in den Betrieb zurück, wo ich an ihn erinnert werde. Ich will nicht ständig bemitleidet werden. Außerdem möchte ich lieber mit Kindern zu tun haben als mit Maschinen.«

Wendy hatte auch ein tiefes Mitgefühl mit der jungen Frau, die vor knapp zwei Monaten ihren Mann bei einem Lawinenunglück verloren hatte. Nur achtzehn Monate waren sie verheiratet gewesen, und durch den Schock hatte Jana eine Fehlgeburt erlitten.

»Sie können gleich mit dem Chef sprechen«, sagte Wendy, »die Damen im Wartezimmer sind mit dem Erzählen sowieso noch nicht fertig.«

Gleich darauf begleitete Dr. Norden eine weißhaarige ältere Dame zur Tür. Ein flüchtiger Blick aus wachen grauen Augen streifte Jana, dann verabschiedete sich die Patientin freundlich von Wendy. Gleichzeitig begrüßte Dr. Norden nun Jana, die ihm ihr Anliegen vortrug.

»Welch seltsamer Zufall«, sagte er nachdenklich, »eben war Frau Liborius bei mir. Sie sucht eine Betreuerin für ihren vierjährigen Enkel, der seine Mutter vor zehn Monaten verloren hat. Eine solche Stellung könnte ich für Sie verantworten, weil ich die Verhältnisse kenne, aber sonst hätte ich Bedenken. Sie haben schon zuviel durchgemacht, Frau Haemlin, Sie dürften nicht schon wieder zwischen die Fronten geraten. Ich nehme an, daß die Beziehung zu Ihren Schwiegereltern sich nicht gebessert hat.«

»Im Gegenteil, jetzt haben sie einen Anwalt eingeschaltet, der prüfen soll, wieviel ihnen von Rolfs Sachen zusteht. Sie demütigen mich, wo sie nur können und tun gerade so, als sei ich schuld an dem Unglück. Ihnen wäre es freilich lieber, wenn ich tot wäre. Weil ich wegen der Schwangerschaft die Tour nicht mitmachen wollte, warfen sie mir auch vor, daß ich nicht bei meinem Mann war. So traurig es ist, aber jetzt bin ich fast dankbar, daß ich die Fehlgeburt hatte, sonst würden sie wohl auch noch um das Kind streiten.«

»Sie haben sich überhaupt nichts vorzuwerfen«, sagte Dr. Norden, »es ist schandbar, wie sich diese Leute benehmen.«

Das Ehepaar Haemlin war für seine Großspurigkeit bekannt. Sie hatten das Glück gehabt, große Grundstücke zu erben, mit deren Verkauf sie einen ungeheuren Gewinn erzielen konnten. Rolf hatte von seinen Eltern selbst gesagt, daß sie größenwahnsinnig geworden wären, denn alles was teuer war, mußten sie haben. Ein großartiges Haus und die kostspieligsten Autos. Natürlich wollte die stets mit auffallendem Schmuck behängte Frau Haemlin auch eine Schwiegertochter edlen Geblütes haben und nicht eine unscheinbare Angestellte, die eine geborene Bauer war. Nichts an Jana paßte ihr, von ihrem Vornamen angefangen, und daß Rolf sich Jana nicht hatte ausreden lassen, zahlten sie ihr nach Rolfs tragischem Tod erst recht heim.

Dr. Norden wußte, wie sehr Jana unter diesen Kränkungen litt, denn sie und Rolf waren glücklich gewesen und hatten sich durch nichts beeinflussen lassen. Aber jetzt war sie allein und anstatt um ihren Sohn zu trauern, wie Jana um ihn trauerte, überschütteten sie sie mit Beschimpfungen und Beleidigungen.

»Wäre es Ihnen recht, wenn ich ein Gespräch mit Frau Liborius vermittele?« fragte Dr. Norden.

»Vielleicht kennt sie die Haemlins und wird gleich gegen mich aufgehetzt«, sagte Jana stockend.

»Mit solchen Leuten gibt sich Frau Liborius bestimmt nicht ab«, sagte Dr. Norden. »Sie können ganz beruhigt sein. Sie ist eine sehr feinfühlige, gebildete Dame.«

»Aber ich möchte Sie nicht in Verlegenheit bringen, wenn ich die Erwartungen nicht erfülle.«

»Ich denke, daß ich Sie schon recht gut kenne und Sie mich auch, Frau Haemlin.«

»Vielleicht sollte ich doch wieder meinen Mädchennamen annehmen, um nicht mit den Haemlins in Zusammenhang gebracht zu werden«, sagte Jana leise, »aber es käme mir dann so vor, als würde ich mich von Rolf scheiden lassen. Ich habe ihn geliebt, und er hat immer zu mir gehalten, obgleich seine Eltern alles versucht haben, uns zu trennen. Hätte sie doch nur mehr Kinder.«

Es war Freitag, und sie verblieben so, daß Dr. Norden Anfang der nächsten Woche mit Frau Liborius sprechen wollte, falls sich Jana nicht anders entschied, wenn sie ein paar Mal darüber geschlafen hatte.

Es war ja so, daß sie keine finanziellen Sorgen hatte. Sie konnte eine halbe Million aus Rolfs Lebensversicherung erwarten. Sie hatte auch ein ganz ansehnliches Sparkonto, außerdem eine sehr schöne Vierzimmerwohnung, die ihr gehörte und für die sie monatlich nur noch achthundert Euro abzahlen mußte.

Die Haemlins hatten zwar geltend machen wollen, daß die Wohnung von ihrem Geld bezahlt worden sei, aber dafür konnten sie keine Beweise erbringen und Jana wie auch Rolf sehr gut verdient hatten. Ja, auch das war diesen Leuten ein Dorn im Auge, daß Jana nicht nur eine sehr gute Schul- und Ausbildung gehabt hatte, sondern auch im Beruf erfolgreich war. Zu gern hätten sie ihr auch diesbezüglich alles Schlechte nachgesagt.

Dr. Norden sprach auch mit seiner Frau Fee am Abend darüber, was das für Menschen waren, die in dieser traurigen Situation nichts anderes wußten, als Jana das Leben schwer zu machen.

»Typische Parvenüs«, meinte Fee sarkastisch, »und sie haben bloß das Glück gehabt, daß heutzutage diese irrsinnigen Preise für Bauland gezahlt werden. Wieviel Profit sie da herausschlagen, haben sie gleich begriffen. Ich bin froh, daß sie nicht deine Patienten sind.«

»Und ich erst, aber da sie wußten, daß die junge Frau Haemlin zu mir kommt, bin ich verschont geblieben. Ich wünsche den Behnischs wirklich nur das Beste, aber mit Haemlins Leber muß er sich leider herumquälen.«

»Hoffentlich quält sie den dicken Haemlin sehr«, meinte Fee, die sonst wahrhaftig keinem Menschen Böses wünschte. Ihr tat Jana leid, aber sie war auch der Meinung, daß ein Kind noch mehr Streitigkeiten verursacht hätte.

»Es wäre gut, wenn Jana einen lieben Mann finden würde, mit dem sie zufrieden und glücklich leben könnte«, sagte Fee nach einem längeren, gedankenvollen Schweigen.

»Möglichst einen, der keine Eltern mehr hat«, fügte Daniel hinzu.

»Es gibt auch sehr nette Eltern und sogar liebe Schwiegermütter, wie wir wissen, mein Schatz.«

»Aber daran hat sie den Glauben verloren. Hoffentlich entscheidet sie sich für die Stellung bei Liborius, da wüßte ich wenigstens, daß sie nicht schamlos ausgenützt wird, denn an eine neue Heirat verschwendet sie bestimmt keinen Gedanken.

*

Er hatte ja so recht. Jana betrachtete die Fotografie ihres Mannes, die vor ihr auf dem Tisch stand. Sie hielt oft stumme Zwiesprache mit ihm, aber sie wußte auch, daß manche Fragen offen blieben.

Sie hatten sich so auf den Urlaub in der Schweiz gefreut, der ihnen zum Schicksal werden sollte. Rolf war ein guter Skifahrer, aber Jana war wegen der Schwangerschaft vorsichtig und hatte deshalb auf die Tour verzichtet, an der auch ein anderes junges Paar teilnahm, das sie im Hotel kennengelernt hatten. Es war ein herrlicher Tag, der nicht ahnen ließ, wie schnell das Unheil über sie hereinbrechen würde. Ihre Schwiegereltern hatten ihr später vorgeworfen, daß sie Rolf in den Tod gehetzt hätte. Noch andere Gemeinheiten hatte sie zu hören bekommen, als sie dann die Fehlgeburt gehabt hatte.

Manchmal dachte sie darüber nach, wie sich ihre Ehe wohl gestaltet hätte, wenn alles gutgegangen wäre. Rolf hatte schon manchmal erwähnt, daß sie das Kind seinen Eltern nicht ganz vorenthalten könnten, da er ihr einziger Sohn sei und sie sonst keine Enkel haben würden. Daß sie ihm wichtiger war, hatte er auch oft gesagt. Er hatte auch nicht geduldet, daß seine Eltern boshaft zu ihr waren, hatte selbst darunter gelitten, daß sie so ungebildet und taktlos waren und dazu so herausfordernd protzig. Aber sie waren seine Eltern, und er wollte es nicht zu einem Bruch kommen lassen.

Wieder dachte sie jetzt, daß es besser sei, da sie das Kind nicht bekommen hatte, so schmerzlich der doppelte Verlust zuerst auch gewesen war.

Dr. Norden war der einzige, mit dem sie über ihren Kummer offen reden konnte. Sie hatte sich nach Rolfs Tod von den gemeinsamen Bekannten zurückgezogen, sie traf sich nur manchmal mit einer Schulfreundin, die bereits zwei Kinder hatte und bei der sie manchmal Babysitting übernahm. Das wollte sie auch beibehalten, aber sie überlegte, ob Frau Liborius damit einverstanden wäre. Jedenfalls wollte sie ihre Selbständigkeit keinesfalls aufgeben.

Es konnte nicht schaden, wenn sie erstmal in die Samstagzeitung schaute, wie es mit den Stellenangeboten aussah. Sie befand sich schon wieder in einem Zwiespalt, ob es überhaupt für sie gut war, sich eine solche Tätigkeit zu suchen, denn es gab dabei sicher nicht viel zu verdienen, und wenn sie dann später in ihren eigentlichen Beruf zurückkehren wollte, hatte sie womöglich den Anschluß verpaßt. War ihr Entschluß nicht nur aus der Verzweiflung heraus geboren, keinen Menschen mehr zu haben, dem sie Liebe schenken konnte?

»Wenn du mir doch raten könntest, Rolf«, sagte sie leise, aber dann kam ihr der Gedanke, daß in dieser Ehe eigentlich sie es gewesen war, die die Entscheidungen traf und Rolf derjenige war, der immer Rat bei ihr gesucht hatte.

Morgen wollte sie zum Friedhof fahren. Obgleich seine Eltern ihr zu verstehen gaben, daß sie an seinem Grab unerwünscht sei, ließ sie es sich nicht nehmen, wenigstens jede Woche einmal ein paar Blumen dorthin zu bringen. Viel Platz war ja nicht dafür auf dem Grab, das überladen war, da die Haemlins auch dort ihren Reichtum demonstrieren wollten. Jana hatte einen anderen Geschmack, und sie hatte wahrhaftig keinen Grund, sich zu verstecken, denn sie war in einem Elternhaus aufgewachsen, in dem ein anderes geistiges Niveau herrschte als bei den Haemlins. Dr. Norden hatte ihr das oft gesagt, aber sie konnte nicht all die Gemeinheiten einfach abschütteln, mit denen man ihr das Leben schwergemacht hatte. Seit Rolfs Tod hatte sie den anderen aus dem Weg gehen können, aber ab und zu trug man es ihr doch zu, wie über sie geredet wurde.

Eigentlich habe ich mit diesen Leuten doch gar nichts mehr zu tun, dachte sie jetzt. Rolf lebt nicht mehr, und wenn ich wieder meinen Mädchennamen annehmen würde…, aber da war sie wieder an jenem Punkt angelangt, der ihr wie Verrat an dem Mann vorkam, den sie geliebt hatte, allen Problemen zum Trotz.

Um sich schnellstens auf andere Gedanken zu bringen, bevor sie in Depressionen verfiel, schaltete sie den Fernseher ein. Ein Krimi hatte gerade angefangen. Es ging um die Entführung eines Kindes und war sehr spannend. Sie lebte richtig auf.

Sie atmete tief durch.

Gott sei Dank habe ich nicht soviel Geld, und ich habe auch kein Kind, dachte sie, aber gleich kam ihr doch der Gedanke, daß es Rolfs Eltern auch zuzutrauen gewesen wäre, ihr Kind an sich zu bringen, wenn es zur Welt gekommen wäre. Wenn…, aber so war es nicht gekommen, und sie mußte sich endlich von der Vorstellung befreien, daß man ihr noch schaden könne.

Nach einer unruhigen Nacht erlebte Jana einen sonnigen Morgen. Sie war schnell auf den Beinen, denn sie hatte sich für diesen Tag viel vorgenommen. Sie setzte die Kaffeemaschine in Gang, bevor sie duschte, dann kleidete sie sich schnell an, richtete den Frühstückstisch her, so wie sie es immer getan hatte, als Rolf noch lebte. Sie holte die Zeitung von draußen herein und traf Frau Merten, die im Parterre wohnte.

»Wie geht’s, Frau Haemlin?« fragte sie freundlich.

»Ganz gut«, erwiderte Jana.

»Haben Sie schon gehört, daß Ihr Schwiegervater einen Schlaganfall hatte?« fragte die andere. Ihr war anzusehen, daß sie diese Frage schnell loswerden wollte.

»Nein, das höre ich zum ersten Mal. Sie wissen doch, daß wir keinen Kontakt haben.«

»Ich will ja nicht schadenfroh sein, aber jetzt wird Frau Haemlin die Bosheit vergehen. Ich bin gestern zufällig vorbeigefahren, als sie ihn abgeholt haben.«

Dann werden sie mir auf dem Friedhof nicht begegnen, war alles, was Jana denken konnte.

Auf die Annoncen konnte sie sich aber doch nicht konzentrieren, bis ihr Blick auf eine große Anzeige fiel.

»Wir suchen eine versierte, gebildete Betreuerin für einen vierjährigen Jungen, die möglichst auch englische und französische Sprachkenntnisse hat, gesund ist und sportlich. Bestes Honorar und auf Wunsch auch eine Wohnung und Auto werden geboten. Bewerbungen mit Foto und Lebenslauf sind zu richten an…

Es war die Adresse einer Agentur, die Jana bekannt war.

Das klang recht vielversprechend, aber Jana wußte aus Erfahrung, daß die Wirklichkeit dann doch anders aussah. Sie wollte erst Besorgungen machen, dann zum Friedhof fahren und irgendwo essen gehen. Dann konnte sie sich noch mal mit der Zeitung beschäftigen.

Beinahe hätte sie ihren Einkaufszettel vergessen, auf dem sie im Laufe der Woche alles notierte, was sie brauchte, weil sie in dem Einkaufszentrum in der Nähe des Friedhofs alles bekommen konnte und nicht in der Gegend herumlaufen mußte.

Als sie die Wohnung verlassen wollte, läutete das Telefon. Es war Dr. Norden, und Jana war sehr überrascht.

»Ich wollte Ihnen nur Bescheid sagen, daß Herr Haemlin einen Schlaganfall hatte und in die Behnisch-Klinik eingeliefert wurde. Ich dachte, Sie sollten es wissen.«

»Danke für die Nachricht. Wie geht es ihm?« fragte sie.

»Sein Zustand ist sehr ernst.«

»Wahrscheinlich werde ich dafür auch verantwortlich gemacht«, sagte Jana spöttisch.

»Deswegen wollte ich Sie informieren, damit Sie vorbereitet sind. Seine Frau redet nur noch dummes Zeug.«

»Mehr brauchen Sie gar nicht zu sagen. Ich bin daran gewöhnt, an allem schuld zu sein.«

»Sie können Strafanzeige wegen Verleumdung erstatten.«

»Sie bekommen auch so ihre Strafe. Die meisten Leute wissen, was sie von all dem Gerede zu halten haben.«

»Ich bin nur besorgt, daß Sie sich aufregen könnten.«

»Ich glaube, ich bin darüber hinweg. Aber ich danke Ihnen, daß Sie so besorgt sind.«

Ja, er war besorgt, denn er hatte gehört, welche Drohungen Frau Haemlin gegen Jana herausgeschrien hatte, daß sie nur Unglück über die Familie gebracht hätte und eine Hexe sei, die man vernichten müsse. Hochnäsig und unverschämt sei sie, und Rolf hätte nur immer Geld für ihre Ansprüche herbeibringen müssen. Das Kind hätte sie auch nicht gewollt, nachdem sie Rolf damit nicht mehr hätte erpressen können.

Er wollte Jana all dies nicht sagen, aber er traute Herta Haemlin alles zu, da sie in ihrem Haß auf Jana völlig die Kontrolle über sich verloren hatte. Dr. Behnisch hatte gesagt, daß sie eigentlich in eine Nervenanstalt gehöre.

*

Nach diesem Anruf hatte Jana schnell ihre Wohnung verlassen, war in ihr Auto gestiegen und zum Einkaufszentrum gefahren. Dort tätigte sie ihre Einkäufe und war ganz konzentriert bei der Sache. Sie kaufte auch wunderschöne Rosen für Rolfs Grab, verstaute die Taschen im Auto und fuhr dann zum Friedhof.

Die Sonne hatte sich verkrochen, ein kühler Wind wehte. Sie streifte das Stirnband über und schlug den Mantelkragen hoch, bevor sie ausstieg. Sie hatte einen günstigen Parkplatz gefunden, nicht weit vom Eingang entfernt und im Eilschritt legte sie den Weg zum Grab zurück.

Wie immer war das Grab mit Blumen überladen, die diesmal aber nicht mehr ganz frisch waren. Jana wagte aber nicht, welche zu entfernen, überzeugt, daß sie auch deshalb mit Schmähungen belegt würde. Sie stellte ihre Rosen dicht an den pompösen Marmorstein. Ich kann nichts dafür, Rolf, dachte sie. Wenn ich zuständig wäre, sähe dein Grab anders aus.

Sie ging langsam und ganz in Gedanken versunken auf einem anderen Weg zurück zum Eingang, doch plötzlich kam ein kleiner Junge auf sie zugelaufen und rief: »Mami, Mami, schau Papi, Mami ist wieder da.«

Erst als der Junge sie umarmte, begriff Jana, daß sie gemeint war. Noch ganz verwirrt sah sie den großen, breitschultrigen Mann näherkommen. Schnell griff er nach dem Kind, das Jana nun mit großen, tränenfeuchten Augen anblickte.

»Entschuldigen Sie bitte, gnädige Frau«, sagte der Mann heiser, »und haben Sie bitte Verständnis. Mein Sohn begreift noch nicht, daß seine Mutter nicht wiederkommt.«

»Aber das ist doch meine Mami, ich habe sie gleich erkannt«, stieß der Kleine trotzig hervor.

»Die Dame sieht ihr nur ähnlich, Bobby. Wir wollen jetzt weitergehen.«

»Ich will aber, daß meine Mami wiederkommt«, schluchzte der Junge auf, »und daß du wieder lachst, Papi!«

»Es tut mir leid, sehr leid«, flüsterte Jana mit erstickter Stimme.

Der Mann hob den Jungen empor und sah Jana verzeihungsheischend an.

»Wenn solche Wünsche nur in Erfüllung gingen«, flüsterte sie und eilte dann schnell davon. Völlig außer Atem gelangte sie zu ihrem Wagen und mußte nun erst verschnaufen. Das eben Erlebte ging ihr nicht mehr aus dem Sinn. Was war wohl schlimmer – den Mann zu verlieren, oder wenn einem kleinen Kind die Mutter genommen wurde? Aber sie hatte ihren Mann und ihr werdendes Kind verloren, und jetzt war es ihr wieder elend zumute.

Sie hatte keine Lust mehr, in diesem freundlichen Restaurant zu essen, das sie immer aufsuchte, wenn sie vom Friedhof kam, zuviel gab ihr an diesem Tag wieder zu denken. Wenn sie wirklich Hunger bekam, konnte sie sich zu Hause etwas zubereiten. Eingekauft hatte sie genug für die nächsten Tage.

Als sie die Wohnungstür aufschloß, hörte sie schon das Telefon läuten. Es läutete lange, bis sie es dann aufnahm. Es war eine angenehme Überraschung, als sie die Stimme ihrer Freundin Simone vernahm, mit der sie schon die Schulbank gedrückt hatte. Simone wohnte immer noch in Regensburg, wo sie beide aufgewachsen waren, aber wie sie jetzt hörte, hatte Simone eine Stellung in München angenommen, bei der Dalibo-Chemie.

»Ist dir das ein Begriff?« fragte sie.

»Sie hat einen guten Ruf. Ich hatte damit nichts zu tun«, erwiderte Jana.

»Arbeitest du wieder?«

»Ich will etwas anderes machen. Wir können darüber noch reden. Wir werden uns ja hoffentlich bald sehen.«

»Das will ich meinen. Du hattest doch eine Bombenstellung, willst du die wirklich aufgeben?« fragte Simone.

»Es hat sich so viel verändert, Mone. Wann kommst du?«

»Ich bin schon auf dem Wege.«

»Dann komm doch gleich zu mir. Du kannst auch bei mir wohnen, ich habe genug Platz.«

»Wir werden viel zu erzählen haben. Ich kann in zwei Stunden bei dir sein.«

»Ich freue mich. Endlich mal etwas, worauf ich mich freuen kann.«

*

Sie bereitete alles für ein Essen vor. Eine Fleischbrühe hatte sie schon angesetzt, und der Tafelspitz war butterweich. Dazu Gemüse und Kartoffeln. Als Dessert einen frischen Obstsalat mit Schlagrahm.

Aber während sie alles zubereitete, mußte sie wieder an den kleinen Jungen denken, der in ihr seine Mami gesehen hatte. Es mußte schön sein, ein solches Kind zu haben. Das würde sie nun nie mehr erleben. Nicht einen Augenblick dachte sie daran, daß es in ihrem Leben wieder einen Mann geben könnte.

Gewaltsam brachte sie sich auf andere Gedanken. Fast zwei Jahre hatte sie Simone nicht gesehen. Das letzte Mal auf ihrer Hochzeit. Da war sie mit ihrem Verlobten Hanno gekommen, aber die Verlobung war in die Brüche gegangen. Aus welchem Grunde eigentlich? Simone hatte darüber nie gesprochen.

Sie war mit ihren Vorbereitungen gerade fertig, da erschien Simone schon. Groß, schlank und sehr attraktiv stand sie da, sah Jana an und nahm sie so behutsam, als sei sie zerbrechlich, in die Arme.

»Du Krischperl«, sagte sie weich und ein bißchen wehmütig. »Es wird wohl Zeit, daß sich jemand um dich kümmert.«

»Freundliche Gesellschaft kann mir nur willkommen sein«, meinte Jana lächelnd, »aber ich mag ja auch nicht reden. Es ist schön, daß du gekommen bist, Mone.«

Es war wie früher. Die alte Verbundenheit war wieder da. »Es ist schon komisch, aber ohne Männer läßt sich’s besser reden«, meinte Simone, »und kochen kannst du auch besser als ich. Die Wohnung ist zauberhaft, Jana. Ich bin froh, daß du anscheinend keine finanziellen Sorgen hast.«

»Habe ich nicht, aber denk ja nicht, daß Rolfs Eltern dafür sorgen.«

»So habe ich sie auch nicht eingeschätzt. Nichts gegen Rolf, aber mit seinen Eltern wäre ich auch nicht ausgekommen und ich bin nicht so zart besaitet wie du.«

»Sie sind bösartig, aber heute habe ich grad erfahren, daß Herr Haemlin einen Schlaganfall hatte und in der Behnisch-Klinik liegt.«

»Das sollte kein Anlaß zur Trauer sein.«

»Wir haben keinen Kontakt. Sie machen mich runter, wo sie nur können. Ich habe schon zu Dr. Norden gesagt, daß sie mich auch für Rolfs Tod verantwortlich machen.«

»Das müssen ja die reinsten Sadisten sein. Aber jetzt bin ich hier und jederzeit erreichbar. Es soll niemand wagen, dir zu nahe zu treten. Ich habe ja geahnt, daß dich etwas bedrückt, so wie du aussiehst.«

»Wie sehe ich denn aus?«

»Durchsichtig, zum Umblasen.«

»Ich hatte unser Baby verloren«, sagte Jana leise.

Simone sah sie forschend an. »Es mag herzlos klingen, aber ich denke, es ist besser so. Immerhin hätte das Kind schreckliche Großeltern gehabt.«

»Daran habe ich allerdings auch gedacht.«

»Doch ein Zeichen von gesundem Lebenswillen. Du wirst bald einsehen, daß das Leben schön sein kann.«

Jana schwieg kurz. »Jetzt erzähle mir mal, wie du darauf gekommen bist, nach München zu wechseln. Du hattest doch auch eine tolle Stellung.«

»Ich mußte mich verändern. Alles war so festgefahren. Hanno wollte sich wieder bei mir einnisten, nachdem zwei Fehlversuche mit anderen Bienen sein Konto überbeansprucht haben. Da dachte er, daß die großzügige Simone ihn wieder aufrichten würde. Soviel Unverschämtheit kannst du dir gar nicht vorstellen. Aber da er in derselben Firma beschäftigt ist, war es nun mal so, daß wir uns ständig in den Weg liefen. Da er meinte, daß wir uns in aller Freundschaft getrennt hätten, könnte alles wieder von vorn beginnen.«

»Du hast nie darüber geredet«, sagte Jana.

»Wozu auch, jedes Wort war überflüssig. Aus Schaden wird man klug.«

»Gut, daß du es so siehst.«

»Gewurmt hat es mich schon, daß ich auf ihn hereingefallen bin, aber man wird vorsichtiger. Dann habe ich beim Skifahren einen Münchner kennengelernt, und wir verstehen uns ganz gut. Er hat gemeint, daß es schön wäre, wenn wir uns öfter sehen könnten. Nun will ich mal ausprobieren, ob er das ernstgemeint hat. Er hat noch keine Ahnung, daß ich die Stellung angenommen habe bei Dalibo.«

»Als was?«

»Public Relation und Kundenbetreuung. Gehaltsmäßig ein Sprung nach oben.«

»Und welchen Beruf hat er?« fragte Jana.

»Er ist Rechtsanwalt.«

»Hat er auch einen Namen?«

Simone lachte. »Du bist aber neugierig. Natürlich lernst du ihn auch kennen, wenn ich sicher bin, daß er sich über meinen Wechsel nach München freut. Vorher sage ich nichts, dann verdaue ich es leichter, wenn es ein Reinfall ist. Jetzt erzähl du aber, was du dir vorgenommen hast. Was für eine Stellung strebst du an?«

»Ich möchte für Kinder sorgen, als Pflegerin oder Betreuerin.«

»Guter Gott! Wie kommst du auf solche Gedanken? Du hast doch gar keine Erfahrung.«

»Erinnere dich bitte, daß ich nach dem Abi ein Jahr in Amerika als Au-pair-Mädchen war. Es hat mir viel Spaß gemacht mit Jilly und Jeremy. Ich möchte etwas Konstruktives tun, etwas, was mir wirklich Freude macht.«

»Und plötzlich kannst du ein paar schikanöse Gören am Hals haben, die dir das Leben zur Hölle machen. Denk lieber noch mal gründlich nach. Außerdem werden da meist Hungerlöhne gezahlt.«

»Es geht mir dabei nicht ums Geld. Ich liebe Kinder, und da ich keine mehr haben werde, kann ich doch so etwas Gutes tun.«

»Wieso kannst du keine Kinder mehr haben, Jana? Du bist noch jung genug, und es gibt wirklich nette Männer. Auch welche, die keine boshaften Eltern haben.«

»Aber ich denke nicht daran, wieder zu heiraten.«

»Jetzt denkst du natürlich nicht daran, aber das kann sich ändern. Um Kinder zu bekommen, muß man außerdem nicht unbedingt heiraten.«

»Ich bin diesbezüglich altmodisch. Kinder sollten Vater und Mutter haben. Manchmal ist das nicht zu machen, aber man sollte es nicht von vornherein ausschließen. Rolf hatte alles geplant. Erst eine Wohnung einrichten, dann heiraten und an Familienplanung denken.«

»Und das fandest du richtig?«

»Ich fand es vernünftig.«

»Na schön, ich lasse ja jedem seine Meinung, aber vom Hocker würde mich das nicht reißen. Ich hasse es, wenn Frauen einen Mann durch ein Kind zur Heirat zwingen wollen, aber echte Liebe in ein Schema pressen zu wollen, ist auch nicht gut. Dein Rolf war in Ordnung, ein Wunder bei diesen Eltern, aber ich weiß nicht, ob es zwischen euch auf die Dauer gutgegangen wäre. Es ist müßig darüber nachzudenken, aber dein Vorhaben halte ich, mit Verlaub gesagt, für eine Schnapsidee.«

»Dr. Norden würde mir eine Stelle bei der Familie Liborius vermitteln.«

Simone sah erstaunt auf.

»So heißt mein zukünftiger Chef! Kennst du ihn?« fragte sie überstürzt.

»Nein. Ich habe auch erst kürzlich gehört, daß seine Frau nicht mehr lebt. Für seinen vierjährigen Sohn wird eine Betreuerin gesucht. Ich habe mich noch nicht entschieden.«

»Ich bin gespannt, wie er ist, denn ich habe bisher nur mit dem Personalchef gesprochen, der auch nicht übel ist.«

Jana warf Simone einen Seitenblick zu. »Ich denke, du bist wegen eines Rechtsanwaltes nach München gekommen«, meinte sie anzüglich.

»Deshalb kann ich doch auch andere Männer nett finden! Man soll alles nicht so eng sehen. Ich bin nicht der Typ, bei dem es Liebe auf den ersten Blick gibt. Es hat sogar ziemlich lange gedauert, bis ich Hannos Schwachstellen erkannt habe. Jetzt bin ich doppelt vorsichtig, aber man muß vergleichen können.«

Diesbezüglich hatten sie schon immer verschiedene Meinungen gehabt. Das hatte jedoch ihrer Freundschaft nicht geschadet, und auch jetzt fühlten sie wieder die alte Verbundenheit. Es tat Jana gut, einen Menschen um sich zu haben, mit dem sie offen reden konnte.

»Du wirst dir das noch reiflich überlegen, Jana«, sagte Simone. »Es wäre schade, wenn du nicht in deinen Beruf zurückfinden würdest.«

»Ich habe noch überlegt, aber dann war ich auf dem Friedhof, und plötzlich kam ein kleiner Junge angelaufen, der meinte, ich sei seine Mami. Es war so rührend, wie er sagte, daß seine Mami doch wiedergekommen sei. Sein Vater erklärte mir, daß er es nicht begreifen wolle, daß sie gestorben sei. Es hat mir richtig weh getan. Ich habe mich sogar gefragt, ob es nicht schlimmer ist, wenn Kinder ihre Mutter verlieren, als wenn man seinen Mann verliert.«

»Das mag von Fall zu Fall verschieden sein«, sagte Simone ernst. »Wenn du meinst, daß es dir hilft für Kinder zu sorgen, dann tu es. Ich will es dir nicht ausreden.«

»Es kommt immer auf einen Versuch an. Ich bin keine Träumerin mehr, Mone. Ich habe mir auch schon Gedanken gemacht, wie es bei uns weitergegangen wäre.«

»Man soll sich aber nicht das Herz schwermachen mit Gedanken, die völlig überflüssig geworden sind. Wenn du nicht anderer Meinung geworden bist, würde ich gern ein paar Tage bei dir wohnen, bis ich eine passende Wohnung gefunden habe.«

»Ich freue mich, Mone, du kannst bleiben, solange du willst. Du siehst ja, daß Platz genug ist.«

»Aber ich übernehme dann die Kosten für den Haushalt.«

»Darüber wird jetzt nicht geredet. Trinken wir ein Glas Wein oder lieber Sekt?«

»Keinen Sekt bitte, ich reagiere allergisch darauf. Am liebsten einen leichten Rosé.«

»Als ob ich es geahnt hätte. Ich habe ein paar Flaschen im Haus. Es ist schon komisch, Mone, immer wenn ich eingekauft habe, dachte ich unwillkürlich an dich und daß du mich vielleicht doch mal besuchst. Und jetzt bist du da, gerade zur rechten Zeit.«

*

Ganz anders war die Stimmung bei Agnete Liborius, denn es wäre der Geburtstag ihrer verstorbenen Schwiegertochter gewesen.

Die Stimmung war auch bei ihrem Sohn David entsprechend. Er hatte kaum zwei Worte gesprochen, seit er mit Bobby vom Friedhof zurückgekommen war, und er hatte sich auch nicht geäußert, als Bobby gesagt hatte: ›Ich habe meine Mami gesehen, Granny, aber sie war es dann doch nicht.‹

Sie hatte den Jungen zu Bett gebracht, und da hatte er wieder damit angefangen.

»Ich habe bestimmt gedacht, daß es Mami ist, und sie hat mich auch so lieb angeschaut, aber Papi hat zu ihr gesagt, daß ich es nicht verstehe, daß sie nicht wiederkommt. Und wenn sie nun doch wiederkommt? Was meinst du, Granny?«

»Daß solche Wünsche leider nicht in Erfüllung gehen, Bobby. In Gedanken ist Mami immer bei dir.«

»Aber ich kann nicht mit ihr reden, und sie kann mir nichts mehr vorsingen. Ich habe es so gern gehört.«

Er sprach oft davon, obgleich Julie schon lange nicht mehr hatte singen können. Bobby hatte auch vergessen, wie krank sie gewesen war und kaum noch sprechen konnte. Er dachte nur an das, was ihm gefallen hatte, und Julie hatte wirklich alles getan, um seine Wünsche zu erfüllen. Sie hatte eifersüchtig darüber gewacht, daß er nicht zuviel Zeit mit seiner Granny verbrachte.

Bobby war zu klein gewesen, um diese Eifersucht zu begreifen und warum Julie immer und immer wieder sagte, daß er sie am allerliebsten haben müsse. Da er nicht mit anderen Kindern spielen durfte, auch das verhinderte Julie, war sie die wichtigste Bezugsperson für ihn. Julies Eltern hatten kein Interesse an dem Enkel und kamen auch nicht, als Julie todkrank war. Da ahnte Agnete Liborius, daß sie wohl ein schlechtes Gewissen hatten, weil sie von Julies Krankheit gewußt haben mußten.

Julie war ein bezauberndes Geschöpf gewesen, wie eine seltene Blume, die aber vor dem vollen Erblühen schon zu welken begann. Im Nachhinein hatte Agnete sich gewundert, wie sie die Beschwerden der Schwangerschaft überstanden hatte, aber sie hatte einen so starken Lebenswillen, daß sie selbst die Ärzte verblüffte. Es war vieles an Julie, was rätselhaft war und niemand so recht hatte begreifen können. Agnete hatte manchmal das Gefühl, daß es auch David so erging.

David saß in Gedanken versunken in seinem Sessel, als seine Mutter den Wohnraum wieder betrat.

»Bobby ist nicht gleich eingeschlafen«, sagte sie.

»Hat er von der jungen Frau auf dem Friedhof gesprochen?«

»Es beschäftigt ihn sehr, jetzt meint er, sie sei vielleicht das Christkind. Er hat viel Phantasie. Hatte sie Ähnlichkeit mit Julie?«

»Für Bobby vielleicht. Ich kann mich in seine Gedanken nicht hineinversetzen…«

»Dr. Norden kennt eine junge Witwe, die sich als Betreuerin für Bobby eignen würde.«

»Du kannst ja mal mit ihr reden. Mir ist alles recht, was gut für Bobby ist, und es kommt nur auf ihn an, ob er sie akzeptiert. Du hast ja auch ein gutes Gespür, Mama.«

»Und du solltest auch mal etwas anderes tun als nur arbeiten.«

»Was denn schon? Vielleicht auch Skifahren gehen? Jürgen will mich ja oft genug dazu verleiten. Und was wird, wenn mir auch was passiert?«

»Das solltest du nicht denken. Dem Schicksal kann man nie davonlaufen, David, aber du begibst dich doch nicht wissentlich in Gefahr. Und es muß ja nicht Skifahren sein, du kannst auch mal in ein Konzert gehen oder in die Oper. Das hast du doch früher gern getan.«

»Julie zuliebe, aber diese modernen Operninszenierungen sagen mir nichts. Ja, in ein gutes Konzert werde ich mal gehen, am liebsten mit dir, aber zusammen können wir ja nicht weg, solange wir keine zuverlässige Betreuung für Bobby haben.«

»Ich werde gleich am Montag mit Dr. Norden sprechen«, erklärte sie. »Wenn er jemand empfiehlt, ist es in Ordnung.«

»Hoffentlich bleibt uns Klara erhalten.«

»Sie ist doch nur zwei Tage weg zur Beerdigung ihrer Tante und froh, wenn sie wieder bei uns ist.«

»Und wenn sie recht viel erbt?«

»Das interessiert sie gar nicht. Ich habe ihr zureden müssen, daß sie nicht gleich abends wieder zurückkommt.«

Sie war froh, daß David jetzt wieder geredet hatte, und er wirkte auch entspannter als in den letzten Tagen.

»Tut sich was in der Firma?« erkundigte sie sich.

»Da tut sich immer was. Am Ersten fängt die neue PR-Managerin an. Sie hat Format, und ich hoffe, daß die Kundenbetreuung dann auch besser klappt. Sie macht einen energischen Eindruck.«

»Wie alt ist sie?«

»Um die Dreißig, aber sie hat schon Erfolge vorzuweisen. Wecker hat das Gespräch geführt. Er ist ganz hingerissen von ihr. Nun, man wird sehen.«

Sie sprachen nicht von der Vergangenheit, Julie wurde nicht mehr erwähnt und so versanken sie auch nicht in Trübsinn. Agnete Liborius war ganz zufrieden mit dem Verlauf des Abends.

*

Das Ehepaar Behnisch hatte einen anstrengenden und ärgerlichen Tag hinter sich. Der Zustand von Gustav Haemlin hatte sich nicht gebessert, seine Frau hatte nach der Beruhigungsspritze geschlafen. Jenny Behnisch hatte gehofft, daß sie auch die Nacht durchschlafen würde. Aber gegen zehn Uhr wachte sie auf und begann gleich wieder zu räsonieren. Doch Jenny war diesmal vorbereitet und wurde energisch.

»Wir wollen gleich mal klarstellen, daß ich Sie in die Nervenklinik einweisen lasse, wenn Sie wieder so hysterisch werden wie heute vormittag, Frau Haemlin. Ihre Schwiegertochter ist mir zufällig bekannt und hat nicht das geringste mit dem Zustand Ihres Mannes zu tun. Sie könnten wegen böswilliger Verleumdung belangt werden, wenn Sie solche Unterstellungen und Drohungen nicht lassen.«

Momentan verschlug es Herta Haemlin die Sprache, aber dann sagte sie anklagend, ob man so mit Erster-Klasse-Patienten reden dürfe.

»Bei uns gibt es keine Klassen, wenn es um ungerechtfertigte Beschimpfungen geht. Wir sind solchen Wortschatz wie Ihren hier nicht gewöhnt, nehmen Sie das bitte zur Kenntnis.«

Frau Haemlin erstarrte. »Ich will nach Hause!« stieß sie dann hervor. »Ich bleibe keine Stunde länger hier.«

»Und was ist mit Ihrem Mann, nehmen Sie den auch mit?« fragte Jenny.

»Wird er wieder gesund?« ächzte die andere.

»Ganz gesund nicht mehr, er wird ein Pflegefall bleiben, wenn er die nächsten Tage überlebt, aber Sie erinnern sich hoffentlich, daß ihm schon mehrmals gesagt wurde, welche Folgen seine Lebensweise für ihn haben könnte, wenn er diese nicht ändert. Und ihnen muß das auch gesagt werden.«

»Wozu sind wir denn reich, wenn wir fasten sollen«, erregte sich Herta Haemlin. Immer wieder mußte sie betonen, daß sie reich waren und demzufolge auch so gewürdigt werden wollten. Sie waren so primitiv, daß es Jenny übel wurde. Aber ihre Standpauke schien doch gewirkt zu haben, denn stöhnend sank Frau Haemlin wieder auf ihr Bett zurück und erklärte, daß sie doch zu schwach sei, um jetzt nach Hause zu fahren. Aber sie konnte sich nicht verkneifen, Jenny zu fragen, ob Jana gedroht hätte, sie anzuzeigen.

»Sie weiß gar nicht, was passiert ist und daß Sie hier sind. Jeder der Jana kennt, weiß, daß Ihr Gerede völlig aus der Luft gegriffen ist. Sie schaden sich nur selbst damit, Frau Haemlin. Jana ist eine sehr gebildete junge Frau, die die allerbeste Erziehung genossen hat.«

»Sie scheinen sie ja gut zu kennen«, kam die giftige Erwiderung.

»Allerdings.«

Und danach herrschte Schweigen.

»Der hast du es aber gegeben«, sagte Dieter Behnisch, als Jenny aus dem Zimmer kam.

»Hast du etwa gelauscht?« fragte sie.

»Na ja, so ein bißchen. Ich wollte dir zu Hilfe kommen, falls es nötig sein würde, aber das war es ja nicht. Du hast ordentlich Dampf abgelassen.«

»Es war auch höchste Zeit. Man kann ja nicht alles schlucken.«

»Wenn sie nichts gegen ihren hohen Blutdruck tut, wird sie auch bald am Ende sein. Es nützt doch gar nichts, wenn man mahnt und verordnet und alles nur in den Wind geredet ist. Er wird an der Leberzirrhose sterben, das wird durch den Schlaganfall noch beschleunigt, und sie könnte tatsächlich in der Nervenklinik landen, denn was ihre Schwiegertochter betrifft, leidet sie an Verfolgungswahn. Sie ist ein ernstzunehmender Fall und neigt zur Gewalttätigkeit.«

»Diese Protzerei ist auch nicht normal. Sie kann einen auf die Palme bringen. Hoffentlich schläft sie jetzt, wenn sie schon nicht geht.«

»Woher kennst du Jana Haemlin eigentlich so gut?« fragte er neckend.

»Durch Daniel, aber ich mußte es einfach sagen, um sie zum Schweigen zu bringen. Es ist unglaublich, was sie der jungen Frau alles anhängt.«

»Und so was soll es ja leider oft genug geben.«

»Du bist froh, daß du keine Schwiegermutter hast«, meinte Jenny nachsichtig.

»So will ich das nicht sagen. Wir haben ja auch schon liebe Schwiegermütter kennengelernt.«

*

Jana und Simone verbrachten den sonnigen Sonntag völlig unbeschwert und frei von trüben Gedanken, während es in der Behnisch-Klinik turbulent zuging. Der Zustand von Gustav Haemlin hatte sich rapide verschlechtert, worauf seine Frau nun die Ärzte dafür verantwortlich machte und wilde Drohungen ausstieß, daß sie alle vor Gericht bringen würde, sollte ihr Mann sterben. Sie bekam einen Tobsuchtsanfall, zuerschlug alles, was sie in die Hände bekommen konnte, so daß Dr. Dieter Behnisch sich veranlaßt sah, sie in die Psychiatrie bringen zu lassen.

»So was haben wir wirklich noch nicht erlebt«, sagte Dieter Behnisch, der so leicht nicht zu erschrecken war, aber Jenny war ziemlich fertig, als nun wieder Ruhe einkehrte. Ihr war es jetzt klar, daß Frau Haemlin schon lange nicht mehr zurechnungsfähig war. Vielleicht hatte der Tod ihres Sohnes ihr den Rest gegeben, aber es mochte wohl auch, wie bei ihrem Mann, übermäßiger Alkoholkonsum mitspielen. Für ihn wäre es ohnehin besser, wenn er nicht mehr aus dem Koma aufwachen würde, und für Herta Haemlin stellten auch die Ärzte, die sie jetzt behandelten, düstere Prognosen.

Von alldem wußte Jana zum Glück nichts, es hätte wohl doch ihre Stimmung getrübt und wieder zu der Überlegung geführt, wie Rolf wohl mit solchen Entwicklungen fertig geworden wäre.

Sie machte mit Simone einen Ausflug nach Kochel, aßen dort in einem Gasthof zu Mittag und wanderten am Kochel-See entlang. Es war kühl, aber die Sonne schien und die Luft war klar und würzig.

»Jetzt hast du wenigstens ein bißchen Farbe bekommen«, sagte Simone zufrieden. »Das Leben geht weiter, Jana, laß dich nicht unterkriegen.«

»Jetzt ist mir schon viel wohler. Du hast mir gefehlt, Mone.«

»Du hättest dich ja mal aufraffen können zu einem Anruf. Wenn ich es versucht habe, lief immer nur der Anrufbeantworter und mit dem spreche ich nicht gern.«

»Ich wollte niemand auf die Nerven fallen. Es war alles so trostlos. Ich hatte viele Laufereien und dauernd diesen Ärger mit seinen Eltern. Ich wollte dir auch nichts vorjammern, aber es gab nur Ärger und Kummer in diesen Wochen.«

»Ich weiß ja, wie dir zumute war, aber jetzt denkst du auch mal an dich und eine bessere Zeit. Du kannst noch das Beste aus deinem Leben machen, und vielleicht hilft dir wirklich ein Kind aus dem Tal der Tränen, Jana. Kinder sind ehrlich. Wenn sie jemand Zuneigung schenken, ist es echt.«

Jana nickte gedankenverloren, und unwillkürlich dachte sie wieder an den kleinen Jungen auf dem Friedhof, nicht ahnend, daß es dieses Kind war, für das Dr. Norden sie erwärmen wollte. Erst recht konnte sie nicht ahnen, daß der kleine Bobby auch an sie dachte. Er saß zu dieser Zeit neben seiner Granny auf dem Sofa und lauschte den Geschichten, die sie ihm vorlas. Er konnte nicht genug davon hören.

»Jetzt muß ich aber erstmal eine Pause machen, Bobby«, sagte Agnete Liborius seufzend, »ich bin schon ganz heiser.«

Ein paar Sekunden schwieg Bobby rücksichtsvoll, denn er wollte sie jetzt nicht gleich mit all den Fragen quälen, die ihm schon eine ganze Zeit durch den Kopf gingen. Aber lange hielt er es nicht aus.

»Denkst du nicht auch, daß der liebe Gott Mami wieder zu uns schickt, weil er weiß, daß ich ein kleiner Junge bin und sie so sehr vermisse?«

»Das ist nicht möglich, Bobby, wirklich nicht.«

»Aber ich glaube doch, daß das meine Mami war, sie hat mich genauso lieb angeguckt. Du würdest es auch glauben, wenn du sie gesehen hättest.«

»Es war nur eine Ähnlichkeit.«

»Können Kinder auch sterben, Granny?«

Agnete erschrak.

»Leider ja, aber schau, jetzt ist deine Mami dein Schutzengel und paßt auf, daß dir nichts passiert.«

»Aber es kann sein, daß die Frau ein Kind verloren hat und es auf dem Friedhof besucht hat.«

»Ja, das kann möglich sein.«

»Dann hat sie vielleicht kein Kind mehr und will gern meine Mami sein.«

Was nur alles in seinem Köpfchen vor sich geht, dachte Agnete, aber sie war weit entfernt davon, dem Jungen solche Gedanken auszureden.

Sie streichelte sein Haar. »Vielleicht kommt eine liebe junge Dame zu uns, die dir die Mami ersetzt, mein Liebling«, sagte sie sanft, »die mit dir spielt und sehr viel mit dir unternimmt, was ich nicht mehr so kann.«

»Ich will das gar nicht, Granny, ich habe dich sehr lieb. Aber ich habe wirklich gedacht, daß ich Mami gesehen habe.«

Agnete seufzte wieder schwer. Irgendeine, sie könnte auch noch so nett sein, wollte er gar nicht um sich haben. Bisher hatte er auch noch nie solche Gedanken oder Wünsche geäußert, es war diese eine, ganz bestimmte junge Frau, von der sogar David gesagt hatte, daß sie Ähnlichkeit mit Julie hatte.

»Können wir nicht auf den Friedhof gehen, Granny, vielleicht treffen wir sie wieder?« fragte er drängend.

»Klara wird bald hier sein und sie bringt dir bestimmt etwas mit, Bobby«, versuchte Agnete den Jungen abzulenken, »und außerdem kommt Papi mit Onkel Jürgen vom Tennisplatz her zum Kaffee. Dann kannst du noch mit ihnen Minigolf spielen.«

»Ich würde aber lieber zum Friedhof gehen«, beharrte er.

Zum Glück stieg Klara aus einem Taxi, und sie brachte einen Haufen Gepäck mit, anscheinend hatte sie einiges geerbt. Aber sie war heiter und guter Dinge, man merkte nicht, daß sie von einer Beerdigung kam. Klara hatte ihre eigene Philosophie, die da lautete, daß der Mensch geboren würde, und auch wieder sterben müsse und sonst das Beste aus seinem Leben machen solle. Klara konnte sich am Guten erfreuen und das Böse einfach nicht beachten.

»Es war schon ein rechtes Theater«, meinte sie, »wie doch die Leute heucheln können! Dann raufen sie sich um alles und platzen vor Neid, wenn andere gut dabei weggekommen sind. Ich bin froh, daß ich wieder zu Hause bin.«

Ja, hier war ihr Zuhause, und Bobby interessierte es nun doch, ob sie ihm etwas mitgebracht hätte.

»Dann werden wir mal auspacken, und du kannst dir aussuchen, was dir gefällt. Aber ich habe schon was besonders Schönes für dich ausgesucht. Jetzt bringen wir die Koffer in meine Wohnung, du kommst doch gleich mit? – Oder soll ich erst was für Sie herrichten, Madame?«

Seit sie vor vielen Jahren mal mit in Frankreich gewesen war, sagte sie zu Agnete Madame, weil sie das schön und passend fand und es nicht so lang war wie ›Frau Liborius‹, denn ›gnädige Frau‹ wollte Agnete nicht genannt werden.

»Packt ihr nur aus«, bekam sie zur Antwort, »den Kaffee kann ich selbst zubereiten.«

Sie war tatsächlich froh, nicht mehr Bobbys Fragen standhalten zu müssen. Sie ahnte aber schon, daß er auch Klara damit unterhalten würde.

Zuerst sagte er allerdings nichts, denn was sie da auspackten, ließ ihn staunen. Silbersachen und Bestecke, zwei schöne Bilder in wertvollen Rahmen, Bettwäsche aus feinstem Damast und dann wertvollen alten Schmuck.

»Die Tante war wohl reich«, fragte Bobby.

»Weißt du, in den alten Bauernfamilien legte man großen Wert auf solche Sachen. Schau mal, was ich für dich habe.«

Sie zeigte ihm eine goldene Kette mit einem wunderschönen Amulett, auf dem ein B eingraviert war.

»Das paßt doch zu dir, da du Bobby heißt«, meinte Klara.

»Eigentlich heiße ich Roberto«, erklärte er.

»Für mich bist du Bobby, und die Kette schenke ich dir.«

»Ich habe aber schon eine von Mami, die ich immer trage.«

»Dann hebst du dir diese für deine spätere Frau auf. Du kannst dir aber noch was aussuchen.«

»Ich muß dir etwas erzählen, Klara, und dann gehst du mit mir zum Friedhof.«

»Eigentlich möchte ich nicht sobald wieder auf einen Friedhof gehen, das ist so traurig. Und jetzt bin ich zu müde.«

»Ich würde aber gern die Dame wiedersehen, die so aussieht wie Mami. Wir haben sie auf dem Friedhof gesehen.«

»Was du dir einredest, Bobby!«

»Ich habe bestimmt gedacht, daß Mami kommt«, behauptete er, »ich will sie wiedersehen.«

»Ich glaube, dein Papi und Onkel Jürgen sind gekommen«, sagte Klara, »geh jetzt zu ihnen, und nimm die Kette mit.«

Bobby schwenkte die Kette hin und her. »Schaut mal, was ich von Klara bekommen habe, die Kette kann ich mal meiner Frau schenken, hat sie gesagt, weil ich doch schon eine von Mami habe.«

»Das hat aber noch Zeit, bis du mal eine Frau hast«, scherzte Jürgen Stern, der meistens gute Laune verbreitete. »Das ist aber eine sehr wertvolle Kette, woher hat Klara die?«

»Von der Tante, die gestorben ist. Sie hat schöne Sachen mitgebracht, aber sie ist jetzt müde. Sie wollte nicht mit mir zum Friedhof gehen.«

»Wir waren doch erst gestern auf dem Friedhof«, sagte David.

»Aber vielleicht ist die liebe Dame jeden Tag dort.«

Agnete seufzte hörbar, und Jürgen sah David fragend an. Der zuckte aber nur die Schultern.

»Jetzt trinken wir Kaffee«, sagte er.

»Und dann spielen wir Minigolf«, sagte Jürgen.

»Lieber Kegeln«, meinte Bobby. »Wer hat beim Tennis gewonnen?«

»Na, wer schon, Jürgen natürlich. Er spielt ja öfter.«

»Hat Klara viel geerbt?« fragte David leise und leicht besorgt.

»Das weiß ich nicht, aber sie ist froh, wieder zu Hause zu sein, also brauchst du nicht zu fürchten, daß sie uns verläßt.«

»Das käme mir auch sehr ungelegen, weil ich nächste Woche ein paar Tage nach Frankreich muß. Es hat sich plötzlich ergeben.«

Sie warf ihm einen fragenden Blick zu, aber er sagte nur, daß sie später darüber reden würden.

Jürgen beschäftigte sich mit Bobby. Er konnte das sehr gut und war auch sehr einfallsreich.

Er versteht es besser als David, dachte Agnete. Es tat ihr immer weh, daß ihr Sohn so ernst war. Es war nicht so, daß sie etwas gegen Julie gehabt hätte, aber ihr hatte auch der natürliche Frohsinn gefehlt, der ansteckend wirkte. Sie war immer mehr verträumt gewesen, manchmal auch melancholisch, aber der Grund dafür war die Krankheit, die sie schon in sich hatte.

Sie hing mit abgöttischer Liebe an David und dann auch an Bobby. Damit hatte sie auch Agnetes Herz gewonnen, obgleich ihr eine vitale, heitere Frau lieber gewesen wäre.

Wenn doch David auch so lebensfroh wäre wie Jürgen, dachte sie jetzt, als der mit Bobby durch den Garten tobte.

»Er wäre ein guter Vater«, sagte Agnete sinnend.

»Wohl ein besserer als ich«, meinte David ironisch.

»Das wollte ich damit nicht sagen, aber Bobby tut es nicht gut, ständig an Julie erinnert zu werden. Er dichtet sich etwas zurecht, daher kommt es dann auch, daß er sie wieder lebendig sieht.«

»Ich rede es ihm nicht ein, und so groß war die Ähnlichkeit dieser Frau mit Julie wirklich nicht.«

»Er hat heute nachmittag dauernd von ihr gesprochen. Er muß sich instinktiv zu ihr hingezogen gefühlt haben.«

»Soll ich sie etwa suchen lassen, damit sein Wunsch erfüllt wird?« fragte David aggressiv.

Agnete war richtig erschrocken.

»Du hast gesagt, daß Dr. Norden dir jemand offeriert hat. Schau dir die Dame doch mal an, und vielleicht fühlt sich Bobby zu ihr auch hingezogen. Ich habe nichts dagegen. Ich denke nicht daran, ihn zu bewegen, Julie wie eine Heilige anzubeten.«

So hatte er noch nie geredet, und sie wurde sehr nachdenklich. »Warum mußt du nach Frankreich?« fragte sie ablenkend.

»Julies Eltern trennen sich, und er will sich auch von der Firma trennen. Da wir gute Geschäfte gemacht haben, will ich klären, ob wir sie übernehmen können.«

»Warum nicht, wenn es ein seriöses Geschäft ist? Warum wollen sie sich nach dieser langen Ehe trennen?«

»Gestimmt hat es da schon lange nicht mehr. Ich weiß nichts Genaues, und es interessiert mich auch nicht. Sie haben wohl beide andere Beziehungen geknüpft. Marcel kann ich das nicht verdenken. Es geht uns nichts an, Mama.«

»Du sagst es«, erwiderte sie mit einem ironischen Lächeln.

Jürgen und Bobby kamen lachend und erhitzt ins Haus zurück.

»Na, du Langweiler, warum drückst du dich immer?« scherzte Jürgen.

»Du hast mich beim Tennis genug herumgehetzt«, konterte David. »Jürgen wird mich nach Frankreich begleiten, Mama, ich brauche einen juristischen Beistand.«

»Das ist sehr beruhigend«, erwiderte sie. »Wann fliegt ihr?«

»Morgen mittag, ich will es nicht auf die lange Bank schieben.«

Warum hat er es nicht schon erwähnt, dachte Agnete, er kann es doch nicht erst seit heute wissen. Aber wahrscheinlich hatte er erst mit Jürgen sprechen wollen. Sie war froh, daß er diesen Freund hatte.

*

Eine neue Woche nahm ihren Anfang. David war früh auf den Beinen. Klara beeilte sich, ihm das Frühstück zu bereiten. Eigentlich war er sonst eine Stunde später dran.

»Es wäre auch ohne Frühstück gegangen, Klärchen«, sagte er freundlich. »Ich muß noch mal in die Firma, und heute mittag fliege ich nach Frankreich.«

»Das habe ich mitgekriegt, aber nicht, daß Sie so früh aufstehen. Der Kaffee ist schon fertig. Nüchtern gehen Sie nicht aus dem Haus.«

»Was würden wir ohne Sie machen? Ich bin sehr froh, daß Sie uns erhalten bleiben.«

Sie lachte. »So reich war das Erbe auch nicht, daß ich mich zur Ruhe setzen könnte, und das würde mir auch gar nicht behagen. Sie würden mir ja auch fehlen, sie alle.«

Er tätschelte ihr den Rücken, und das war für seine Verhältnisse sehr herzlich gemeint.

Er tat ihr den Gefallen und aß ein Brot, aber zu mehr nahm er sich nicht die Zeit, nachdem er zwei Tassen Kaffee getrunken hatte.

»Falls Mama ein Kindermädchen einstellt, geben Sie bitte Ihren Kommentar dazu, Klärchen. Sie müssen auch mit ihr auskommen. Es kann nicht nur nach Bobbys Meinung gehen.«

»Ich verlasse mich da ganz auf Madame«, sagte Klara. »Sie hat das richtige Gespür. Aber es wäre gut für Bobby, wenn er nicht bloß auf uns fixiert ist, wenn er schon nicht in den Kindergarten gehen darf.«

»Sie wissen, warum ich das nicht will.«

Ja, sie wußte es. Er hatte Angst, man könnte Bobby entführen. Diese Angst hatte ihm schon Julie eingeredet, und ganz von der Hand zu weisen war es ja nicht, da bei den Liborius’ Geld zu holen war. Außerdem waren in letzter Zeit ein paar kleine Buben verschwunden.

David war längst aus dem Haus, als Bobby erschien. »Granny schläft noch«, sagte er.

»Sie muß auch nicht so früh aufstehen. Kommst du zu mir in die Küche?«

»Klar, bekomme ich Hörnchen?«

»Frisch gebacken, ich weiß doch, was du magst.«

»Du bleibst immer bei uns. Ist das versprochen, Klärchen?«

»Das ist versprochen.«

»Du bist nämlich unser Juwel, sagt Granny.«

Klara fuhr sich schnell über die Augen. »Und du bist unser ganz großer kleiner Schatz.«

»Ich bin mächtig gewachsen, meine Schuhe sind schon wieder zu klein.«

»Das mußt du der Granny sagen.«

»Es strengt sie aber zu sehr an, wenn sie mit mir in die Stadt fahren muß. Sie muß sich schonen, hat Dr. Norden auch gesagt. Was machen andere Kinder, die keine Mami mehr haben und vielleicht auch keine Granny?«

»Die sind wirklich arm dran. Wenn es nicht anders geht, muß ich halt mit dir zum Schuhekaufen fahren, wenn ich auch nicht gern in die Stadt gehe.«

»Wenn wir mal die Dame vom Friedhof treffen, frage ich sie, ob sie mit mir Schuhe kaufen geht«, erklärte Bobby, bevor er in sein Nußhörnchen biß.

Klara kam eine Idee, um ihn von jener Dame wegzubringen.

»Und wenn die Dame nun sagen würde, daß es nicht gesund ist, morgens schon Nußhörnchen zu essen, was tust du dann?«

»Dann esse ich was anderes«, erwiderte er, ohne zu überlegen. »Sie gefällt dir bestimmt, Klärchen.«

*

Wenn Jana nur geahnt hätte, wie intensiv Bobby an sie dachte, sie hätte nicht gezögert, gleich mit Dr. Norden zu sprechen.

Sie wollte den Tag noch mit Simone verbringen, denn die mußte am nächsten Tag ihre neue Stellung antreten. Sie wollte noch einen Einkaufsbummel mit Jana machen, die auch dringend ein paar neue Sachen brauchte. Jana hatte nie viel Geld für sich ausgegeben, denn für ihre mädchenhafte Figur war ohnehin nur schwer etwas Modisches zu bekommen, und was ihr gefallen hatte, war ihr zu teuer gewesen. Jetzt brauchte sie nicht mehr darüber nachzudenken, da die Wohnung komplett eingerichtet war und sie monatlich auch nichts für eine teure Urlaubsreise zurücklegen mußte. Das war zwischen ihr und Rolf genau besprochen worden. Er unterschied sich auch darin sehr von seinen Eltern, deren Aufwand er als größenwahnsinnig bezeichnet hatte. – Nein, Rolf war nicht einverstanden gewesen mit dem Lebensstil seiner Eltern, die alles nur nach dem Preis beurteilten und das kauften, was am teuersten war, wenn es auch nicht das Geschmackvollste darstellte.

Sie bewunderte elegante Frauen neidlos und bewunderte auch Simone, hinter der viele Männer herblickten. Simone bewegte sich so selbstsicher und locker, als wäre sie allein im größten Trubel. Jana bewegte sich in ihrem Schlepptau wie ihr Anhängsel. Aber sie war schon wochenlang nicht mehr in der Stadt gewesen, und die vielen Menschen verwirrten sie. Früher war das auch nicht so gewesen. Erst langsam taute sie auf, als Simone ihr Kleidung einreden wollte, die zwar supermodern war, aber gar nicht ihrem Stil entsprach.

»So was kannst du tragen, ich nicht«, erklärte sie energisch.

»Recht so, sag nur deine Meinung«, erwiderte Simone lachend. »Aber wie du siehst, trage ich so was auch nicht. Ich wollte nur mal sehen, wie du reagierst.«

Sie konnte feststellen, daß Jana genau wußte, was sie wollte und erstanden beide einige hübsche Sachen. Simone bevorzugte kräftige Farben, Jana standen Pastelltöne besser zu Gesicht. Sie bewunderten sich gegenseitig und waren bestens gelaunt.

»Jetzt siehst du gleich wieder besser aus«, stellte Simone fest. »Einen neuen Haarschnitt könntest du auch brauchen.«

»Ich bleibe bei der Frisur, mit der komme ich am besten zurecht, aber etwas kürzer möchte ich sie schon haben. Ich werde mich morgen beim Friseur anmelden, wenn du im Büro bist.«

»Ich bin gespannt, wie es laufen wird. Es ist ja wieder ein neuer Lebensabschnitt«, meinte Simone nachdenklich. »Und du, hast du jetzt einen Entschluß gefaßt?«

»Ich werde noch mal mit Dr. Norden sprechen. Du hast mich ein bißchen verunsichert.«

»Das wollte ich nicht, Jana. Ich meine nur, daß es nicht einfach ist, ein so ganz neues Terrain zu betreten.«

»Das mag ja sein, aber in meine alte Stellung wollte ich nicht zurück. Da sind so ein paar Kollegen, die mich schon früher anmachen wollten, aber da hatte ich einen Ehemann. Und Männer vertragen es auch nicht, wenn Frauen im Beruf besser sind als sie. Dann versuchen sie es mit Anzüglichkeiten.«

»Mich juckt das nicht«, sagte Simone spöttisch. »Von mir kriegen sie die passenden Antworten und da fällt ihnen meistens nichts mehr ein.«

»Das habe ich früher auch schon an dir bewundert, und das Tollste war, daß sie dir alle nachgelaufen sind.«

»Was hat es mir gebracht? Eigentlich doch nur Ärger. Es hat lange genug gedauert, bis ich die Spreu vom Weizen trennen konnte.«

»Gehen wir erst essen, mein Magen knurrt«, sagte Jana. Und ausruhen wollten sie sich auch.

*

Agnete Liborius hatte mit Dr. Norden telefoniert. Der plötzliche Föhneinbruch machte ihr zu schaffen. Sie wollte auch nicht aus dem Haus gehen, bevor David sich verabschiedet hatte. Er war gegen zehn Uhr aus dem Büro zurückgekommen und hielt sich nur eine halbe Stunde zu Hause auf. Dann kam Jürgen und holte ihn ab.

»Ich möcht auch fliegen«, sagte Bobby.

»Wir besuchen mal Disney-Land«, versprach David, »heute muß ich geschäftlich nach Paris.«

»Du hast immer bloß Geschäfte, und keiner geht mit mir Schuhe kaufen.«

»Ich bin der Stadt zur Zeit nicht gewachsen«, sagte Agnete fast entschuldigend.

»Ich gehe mit dir Schuhe kaufen, wenn ich zurück bin«, versprach Jürgen.

»Klärchen geht nämlich auch nicht gern in die Stadt«, erklärte Bobby. »Ich kann nichts dafür, daß meine Füße so schnell wachsen.«

Bobby lief noch mit bis zum Auto. »Fliegt dein Auto auch mit, Jürgen?« fragte er.

»Das bleibt am Flughafen stehen.«

»Wird es nicht gestohlen?«

»Nein, das wird im Parkhaus bewacht.«

»Es ist nämlich ein schönes Auto, die sind teuer.« Jürgen fuhr ihm durch das dichte Haar. David hob ihn kurz empor. »Sei ein lieber Bub«, sagte er leise.

»Ich habe euch lieb, alle beide«, sagte Bobby und dann winkte er ihnen noch lange nach.

*

»Du solltest öfter was mit Bobby unternehmen, Dave«, sagte Jürgen, »er ist so wissensdurstig. Es wird zuviel für deine Mutter, immer allein mit ihm zu sein.«

»Mama sucht ja eine Betreuerin, aber man kann nicht irgendeine nehmen. Es passiert zuviel.«

»Du kannst ihn nicht unter eine Glasglocke setzen, in zwei Jahren kommt er zur Schule, da kommt er auch mit anderen Kindern zusammen und wird sich hin und wieder blaue Flecken einhandeln. Wenn ich mal Kinder habe, werden sie mit drei Jahren in den Kindergarten kommen, um sich anpassen zu lernen.«

»Und wann wirst du mal Kinder haben?« fragte David ironisch.

»Das kann manchmal schneller gehen, als man denkt.«

»Gibt es da etwas, wovon ich noch nichts weiß?«

»Du wirst es schon noch früh genug erfahren. Ich will erstmal auf Nummer Sicher gehen.«

»Vorsicht ist die Mutter der Weisheit.«

»Man kann nicht alles vorher wissen, aber wer nicht wagt, der nicht gewinnt.«

»Und manchmal kommt es anders, als man denkt. So, jetzt haben wir genug Weisheiten von uns gegeben. Reden wir über unsere Strategie. Monsieur Dubois ist ein Schlitzohr.«

»Du sprichst von deinem Schwiegervater.«

»Na und, er ist trotzdem ein Schlitzohr und sie eine Katze. Wenn sie die Krallen zeigt, muß man auf Distanz gehen.«

»Hast du das vorher gewußt?«

»Ich habe sie vor der Hochzeit nur einmal gesehen, und Julie kannte ihre Eltern auch kaum.«

Jürgen hatte seine eigene Meinung über das Ehepaar Dubois, aber er hatte sie auch nur ein paarmal gesehen. Sie schätzte er als exzentrische und gefallsüchtige Frau ein, die immer Mittelpunkt sein wollte. Er war eine Spielernatur und jederzeit zu einem Abenteuer bereit. Daß Julie ein bezauberndes Geschöpf gewesen war, hatte auch Jürgen zugeben müssen, aber er stellte sich eine richtige Frau anders vor.

Er hatte sich oft gefragt, was David an ihr so fasziniert hatte, denn David war ein Realist, aber schließlich hatte Jürgen sich gesagt, daß Gegensätze sich anzögen. Vielleicht hatte es ihm gefallen, eine Frau zu haben, die keinen eigenen Willen hatte, die zu allem ja und amen sagte, was er wollte, die ihn anhimmelte und ihm völlig hörig war. Jürgen hatte mit ihr nichts anzufangen gewußt, und es hatte fast den Anschein gehabt, daß die Freundschaft zwischen ihm und David in die Brüche ging. Da hatte David erfahren, daß sie an Leukämie litt. Er brauchte einen Vertrauten, mit dem er reden konnte.

Jürgen war sein Freund und sein einziger Halt in einer Zeit, die ihn völlig aus dem Gleichgewicht brachte. Jetzt war die Freundschaft enger denn je.

»Dubois will mich über den Tisch ziehen«, sagte David, als sie im Flugzeug saßen. »Mal sehen, was er sagt, wenn ich erkläre, daß ich an seiner Firma nicht interessiert bin.«

»Aber du bist doch interessiert.«

»Sie muß aber erstmal modernisiert werden, das kostet Geld und das werden wir ihm vorrechnen. Er wird sich in Reminiszenzen ergehen und Julie ins Spiel bringen. Ich werde ihm sagen, daß er mir etwas schuldig sei, weil mir Julies Krankheit verheimlicht worden war.«

Jürgen war maßlos überrascht über diese offenen Worte. »Wußte denn Julie auch von ihrer Krankheit?«

»Ich weiß es nicht. Wir haben darüber nie gesprochen. Natürlich will man so etwas nicht wahrhaben. Da ich damit nicht gerechnet habe, hielt ich sie nur für etwas anfällig und durch die Geburt geschwächt. Aber das ist Vergangenheit, jetzt dreht es sich um ein Geschäft und wenn das erledigt ist, ist das Band zwischen mir und Dubois zerschnitten.«

Jürgen verspürte eine Beklemmung, weil es gefühllos klang. Aber wenn es um Geschäfte ging, war David unsentimental und auch in diesem Fall. Es klang aber auch nicht nach unsterblicher Liebe für Julie.

*

Jana und Simone hatten leckere Delikatessen mit nach Hause genommen und machten es sich am Abend gemütlich. Aufs Fernsehen verzichteten sie, da die Nachrichten über schwere Lawinenunglücke Jana so erschreckt hatten, daß sie gleich zu zittern begann. Simone gab sich dann die erdenklichste Mühe, sie wieder auf andere Gedanken zu bringen, aber das war nicht so einfach.

Sie schliefen beide unruhig. Simone war am nächsten Morgen schon sehr früh wach. Sie gab sich Mühe, aber schon klirrte es. Ihr fiel immer etwas aus der Hand.

Davon wachte Jana auf. Ihr machte es allerdings auch nichts aus, früh aufzustehen, denn das war ihr in Fleisch und Blut übergegangen, als sie berufstätig war.

»Entschuldige, ich bin ein Trampel«, sagte Simone, als Jana in die Küche kam. »Kaputtgegangen ist nichts, mir ist ein Deckel ’runtergefallen.«

»Das passiert mir auch alle Nase lang.«

»Du hättest aber noch schlafen können.«

»Ich stehe immer früh auf, aber wieso bist du schon so früh auf den Beinen?«

»Ich will um keinen Preis am ersten Tag zu spät kommen. Ich erwarte von andern, daß sie pünktlich sind, ich bin es auch. Außerdem bin ich wenigstens im Berufsleben korrekt. Und es soll auch an meinem Outfit nichts auszusetzen sein.«

»Dafür brauchst du nicht viel zu tun. Ich möchte einmal so perfekt aussehen wie du.«

»Ach was, an dir ist auch nichts auszusetzen. Als Kindermädchen wird man dich sicher nicht einstufen. Ich bin sehr gespannt, wie das ausgeht.«

Jana äußerte sich dazu nicht mehr. Sie frühstückten gemeinsam, und Simone war wieder ganz fröhlich und nicht mehr nervös.

Als sie sich in ihren Wagen setzte, winkte ihr Jana zu. Sie war wirklich gespannt, wie es Simone bei der Firma Dalibo gefallen würde.

Sie rief Wendy an und fragte, ob viel Betrieb in der Praxis sei. Es wunderte sie ein bißchen, daß Wendy sagte, sie könne gleich kommen, aber sie dachte sich weiter nichts dabei und machte sich gleich auf den Weg.

Wendy hatte mal wieder ein bißchen Schicksal spielen wollen, denn Frau Liborius wollte mit Bobby kommen, der beim Rollschuhlaufen auf dem Gartenweg gestürzt war und beide Knie aufgeschlagen hatte.

Wendy war zufrieden, daß Jana noch vor Frau Liborius und Bobby da war, aber es vergingen nur wenige Minuten, bis die beiden auch kamen.

Jana unterhielt sich noch mit Wendy und sie drehte sich verblüfft um, als die helle Kinderstimme rief: »Das ist die Dame, Granny, sie ist es ganz bestimmt!«

Schon kam Bobby zu Jana gelaufen.

»Gell, du kennst mich auch? Du weißt, daß ich dich auf dem Friedhof getroffen habe. Ich dachte, daß du meine Mami bist, aber jetzt weiß ich, daß das nicht sein kann. Ich bin aber sehr froh, daß ich dich wiedersehe und meine Granny dich kennenlernt.«

»Du kannst nicht einfach du sagen, Bobby«, wurde er von seiner Granny ermahnt.

»Ich habe nichts dagegen«, erwiderte Jana lächelnd.

»Ich heiße Bobby«, warf der Junge ein, »und wie heißt du?«

»Jana.«

»Mein Name ist Liborius«, sagte Agnete.

Der Blick aus ihren warmen grauen Augen nahm Jana den ersten Schrecken, weil vor ihr die Dame stand, die sie als Betreuerin für ihren Enkel engagieren wollte. Außerdem war sie die Mutter von Simones neuem Chef.

Ein seltsames Zusammentreffen war das, aber irgendwie erschien Jana alles jetzt wie eine Schicksalsfügung.

Dr. Norden kam aus dem Sprechzimmer und verabschiedete eine Patientin. Er war überrascht, daß er Jana und Frau Liborius zusammen reden sah, denn Wendy hatte ihm nichts von ihrem Arrangement verraten.

»Sie haben sich schon bekanntgemacht?« sagte er sichtlich erfreut. »Dann kann ich mich ja gleich um Bobby kümmern. Wie hast du denn das wieder angestellt, junger Mann?«

»Tut ja gar nicht weh, ich möchte lieber mit der Jana reden«, sagte Bobby kategorisch, ihren Namen hatte er sich sofort gemerkt.

»Das kannst du nachher auch noch. Du mußt erst eine Tetanusspritze bekommen, die war sowieso fällig.«

»Wenn Jana mitkommt, lasse ich es mir gefallen. Granny regt sich immer gleich auf.«

»Wie ist es, Frau Haemlin?« fragte Daniel Norden.

»Gut, ich komme mit. Eigentlich bin ich ja ohnehin wegen dieser Sache gekommen.«

Agnete hatte schnell begriffen, worum es ging und blickte wohlwollend hinter Jana her.

»Das ist ein sehr günstiger Zufall«, sagte sie zu Wendy.

Diese lächelte in sich hinein, froh, daß es so gut geklappt hatte. »Sie kennen die junge Dame, Wendy?«

»Sehr gut, sie hat ihren Mann bei einem Lawinenabgang verloren. Sie waren noch keine zwei Jahre verheiratet. Und mit ihren Schwiegereltern hatte sie nur Ärger. Deshalb ist sie ein bißchen arg dünn geworden, aber krank ist sie nicht.«

»Bobby redet dauernd von ihr. Kinder sind schon eigenartig, wenn ihnen jemand gefällt, aber anscheinend hat er seine Mutter anders in Erinnerung als sie war. Die Ähnlichkeit ist nur flüchtig, weil Frau Haemlin auch sehr zierlich ist, aber sie ist blond. Sie gefällt mir. Was meinen Sie, Wendy, haben wir eine Chance, daß sie zu uns kommt?«

»Bobby wird das schon richten«, erwiderte Wendy schmunzelnd.

*

Bobby war lammfromm und sagte nicht mal au, als er die Tetanusspritze bekam. Seine Knie bluteten nicht mehr, aber sie hatten ganz schön was abbekommen. Seine Augen strahlten Jana so an, daß Dr. Norden sehr nachdenklich wurde. Schließlich war Bobby ein Kind, das geliebt wurde und alles bekam, was es sich wünschte, und Jana war eine völlig Fremde für ihn gewesen.

»Da haben Sie aber eine Eroberung gemacht, Frau Haemlin«, scherzte er. »Wie denken Sie jetzt über meinen Vorschlag?«

»Wir reden noch darüber.«

»Bobby soll sich jetzt ausruhen. Inzwischen können Sie mit Frau Liborius sprechen«, schlug er vor, um die Gelegenheit gleich beim Schopf zu packen.

Jana sah Bobby an, und ein weiches Lächeln war um ihren Lippen. Sie spürte beglückt die Zuneigung, die ihr dieses Kind entgegenbrachte und brauchte nicht lange zu überlegen. Außerdem war die Granny ihr sofort sympathisch gewesen.

»Hast du ein Kind?« fragte Bobby jetzt.

»Nein, leider nicht.«

»Was hast du auf dem Friedhof gemacht?«

»Das Grab meines Mannes besucht.«

»Granny wird nicht wollen, daß ich so viel frage, aber ich will nicht, daß du traurig bist.«

»Du bist doch auch traurig, daß deine Mami nicht mehr wiederkommt, Bobby.«

»Jetzt nicht mehr, jetzt bist du da.« Es klang so bestimmt, daß sie ein wenig erschrocken war.

»Du bleibst jetzt ein paar Minuten liegen, Bobby«, sagte Dr. Norden. »Wendy kommt und verbindet deine Knie, damit kein Schmutz hineinkommt. Tut es sehr weh?«

»Nein. Das mußte ja sein, damit ich Jana wiedersehe«, erwiderte Bobby, »da kann es gern weh tun.«

»Sie haben sein Herz gewonnen, Frau Haemlin. Sie würden das Kind sehr glücklich machen. Wie sehen Sie es?« fragte Dr. Norden.

»Sprechen wir erst mit seiner Granny. Vielleicht gefällt es ihr nicht, daß durch mich die Erinnerung an seine Mutter verdrängt wird.«

»Ich denke, es wird ihr sogar sehr gefallen«, meinte er, so daß Jana überrascht aufsah.

Nun betrat Agnete Liborius das Sprechzimmer. Sie schenkte Jana ein warmes Lächeln.

»Bobby hat mir schon viel von Ihnen erzählt, daß Sie mir nicht mehr fremd sind, Frau Haemlin. Allerdings habe ich erst jetzt erfahren, welch harter Schicksalsschlag Sie getroffen hat. Ich möchte Ihnen meine aufrichtige Anteilnahme ausdrücken.«

Jana neigte nur leicht den Kopf. Ihr ging momentan vieles durch den Sinn. Sie konnte keinen klaren Gedanken fassen.

»Dr. Norden hatte Ihnen wohl schon gedeutet, daß ich eine liebevolle Betreuung für Bobby suche. Ich bin ihm einfach nicht mehr gewachsen, bei aller Liebe, die ich für ihn empfinde. Mein Sohn ist beruflich so eingespannt, daß er sich auch nicht viel um Bobby kümmern kann. Zur Zeit ist er in Frankreich, aber was unsere mögliche Zusammenarbeit betrifft, kann ich frei entscheiden. Bobby hat seine Entscheidung ja schon getroffen. Fühlen Sie sich überrumpelt?«

»Ich konnte nicht ahnen, daß es sich um dieses Kind handelt. Ich habe seit Samstag viel an Bobby gedacht. Allerdings dachte ich auch, daß seine Mutter für ihn existent ist.«

»Er hat sich ein Bild von ihr geschaffen, und wie es scheint, entspricht es mehr Ihnen. Die Ähnlichkeit mit Julie ist nicht so groß. Sie hat Bobby abgöttisch geliebt und dabei den Fehler gemacht, ihm immer zu sagen, daß sie allein die wichtigste Person für ihn sei. Er gewöhnte sich erst nach ihrem Tod daran, daß ich auch einen wichtigen Platz in seinem Leben einnehme. Diese spontane Zuneigung für Sie hat mich sehr überrascht und meinen Sohn auch. Es wäre ein Glücksfall für uns, wenn Sie seine Bezugsperson werden würden.«

»Sie und sein Vater nehmen die ersten Plätze ein, daran würde sich nichts ändern«, sagte Jana.

»Und ich wäre nicht gekränkt, wenn Bobby das anders sähe«, sagte Agnete. »Meine Schwiegertochter litt an Leukämie, es war eine große seelische Belastung für mich, seit ich das wußte. Es hat mich auch viel physische Kraft gekostet. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mein Angebot annehmen würden. Sie können selbstverständlich Ihre Forderungen für Ihr Entgegenkommen stellen und damit rechnen, daß Sie großzügig honoriert werden.«

»Darum geht es mir nicht. Ich bin finanziell abgesichert und möchte nur eine sinnvolle Aufgabe haben. Wenn nicht nur Bobby froh ist und auch Ihnen geholfen wird, können wir es ja versuchen. Referenzen kann ich Ihnen nicht vorweisen. Ich war Systemanalytikerin und hatte bisher nie mit Kindern zu tun. Vielleicht haben Sie sich doch etwas anderes vorgestellt.«

»Nein, ich glaube, daß Sie für uns richtig sind.«

Agnete streckte ihr die Hand entgegen, die Jana ergriff.

Sie hatte das Gefühl, daß diese Frau ihr die Zuneigung entgegenbrachte, die Bobby für sie empfand. Ein Glücksgefühl erwachte in ihr, das sie wie eine Woge emportrug, als Bobby sie glückstrahlend umarmte, als seine Granny ihm sagte, daß Jana zu ihnen kommen würde.

»Jeden Tag und jede Nacht?« fragte er.

»Nachts nicht, ich habe meine Wohnung und die möchte ich auch behalten«, erklärte Jana.

»Darf ich die auch mal sehen?« fragte er, zu allen Zugeständnissen vorerst bereit.

»Das darfst du. Zur Zeit wohnt eine Freundin bei mir.«

Sie wollte nicht gleich sagen, daß Simone heute eine Stellung in der Firma seines Vaters angetreten hatte. Ihr kam alles so seltsam vorbestimmt vor.

Bobby ging gleich zur Tagesordnung über. »Dann kann doch Jana mit mir Schuhe kaufen gehen, Granny«, sagte er.

»Er braucht tatsächlich dringend welche, weil er so schnell gewachsen ist«, meinte Agnete lächelnd.

»Das könnten wir ja gleich morgen machen, falls du nicht zu arge Schmerzen hast«, sagte Jana.

»Mir tut nichts mehr weh«, erklärte Bobby triumphierend. »Weißt du, was ich glaube? Ich bin bloß hingefallen, damit ich dich hier wiedersehe. Das hat der liebe Gott so gemacht.«

Wer hätte ihm das ausreden wollen? Agnete und Jana tauschten einen vielsagenden Blick und lächelten.

»Darf ich Sie dann heute nachmittag bei uns erwarten, Frau Haemlin«, sagte Agnete bittend. »Sie könnten sich dann gleich mit unseren Häuslichkeiten vertraut machen und unsere Klara kennenlernen. Wir haben nur unsere Haushälterin und zweimal wöchentlich eine Hilfe.«

»Jana könnte doch gleich mitkommen«, meinte Bobby, der es gar nicht mehr erwarten konnte, sie um sich zu haben.

»Jana hat sicher auch noch einiges zu erledigen«, meinte Agnete. »Wann könnten Sie kommen?«

Sie einigten sich auf drei Uhr, und Bobby gab sich zufrieden. Sie verließen gemeinsam die Praxis, und draußen lernte Jana den Chauffeur Döberl kennen, der ihr auch zur Verfügung stehen sollte.

»Das ist sehr nett, aber ich habe meinen eigenen Wagen«, erklärte sie.

»Und das ist auch ein schönes Auto«, gab Bobby seinen Kommentar.

*

Simone war von Direktor Wecker empfangen worden, der sie im Namen von Herrn Liborius willkommen hieß.

»Der Boß mußte plötzlich nach Paris fliegen und kommt erst in ein paar Tagen zurück, aber bis dahin werden Sie sich auch so eingelebt haben.« Er sah auf die Uhr. »Sie waren ja überpünktlich«, stellte er fest.

»Da ich den Weg noch nicht kannte, bin ich lieber rechtzeitig losgefahren«, erwiderte sie beiläufig.

»Haben Sie schon eine Wohnung gefunden?« erkundigte er sich. »Sonst würden wir Ihnen gern behilflich sein.«

»Ich wohne zur Zeit noch bei meiner Freundin in der Bergstraße, aber ich möchte schon gern eine eigene Wohnung haben. Wenn Sie also etwas wissen, bin ich dankbar. Drei Zimmer und Nebenräume brauche ich, und preislich sollte es auch stimmen.«

Ihr Selbstbewußtsein und ihr sicheres Auftreten beeindruckten auch ihn, abgesehen davon, daß er sie überaus attraktiv fand, aber er wußte sehr gut, daß der Boß private Beziehungen innerhalb der Firma nicht so gern sah. Außerdem sah Simone Roswald auch nicht so aus, als würde sie sich gleich in eine solche einlassen.

Was sie so sah, gefiel ihr sehr. Die Räume waren groß und hell, praktisch ausgestattet, aber durchaus individuell. Die Schreibkräfte grüßten unbefangen, ohne sie mißtrauisch zu mustern. Ihr Büro hatte eine besondere Ausstattung, und sie fand auch gleich eine Liste mit den wichtigsten Geschäftspartnern und Kunden vor. Mehrere Namen waren ihr von ihrer früheren Stellung her bekannt, und ein Name machte sie sogar ein bißchen nervös.

»Wer ist Dr. Stern?« fragte sie die ihr zugeteilte Sekretärin.

»Der Firmenanwalt und ein persönlicher Freund vom Boß«, erwiderte Tina Fiedler. »Er ist sehr nett.«

Das auch noch, dachte Simone, da scheint ein Teufelchen am Werk zu sein.

*

Als Jana heimkam, läutete gleich das Telefon. Es war ihr Anwalt, Dr. Heinrich, der ihr mitteilte, daß Gustav Haemlin gestorben und seine Frau in die Nervenklinik eingeliefert worden sei.

»Wieso denn das?« fragte Jana. »Sie hat doch ein dickes Fell.«

»Sie hatte in der Behnisch-Klinik einen Tobsuchtsanfall nach dem andern und war nicht zu beruhigen, da gab es nur diese Lösung. Sie werden jetzt wenigstens von ihr verschont werden, Jana.«

Sie kannten sich schon lange, da er bereits der Anwalt ihrer Eltern gewesen war. Er hatte auch nach Rolfs Tod alles für sie geregelt.

»Wissen Sie, wie es ihr jetzt geht?« fragte Jana. »Weiß sie, daß ihr Mann gestorben ist?«

»Man konnte sie endlich ruhigstellen, sie ist nicht ansprechbar und ihr Gesamtzustand soll auch bedenklich sein. Aber ich muß Ihnen auch mitteilen, daß Haemlin kein Testament gemacht hat, und da Rolf sein einziger Sohn war, werden Sie erbberechtigt sein.«

»Das wird sie schon zu verhindern wissen. Außerdem lege ich keinen Wert darauf.«

»Sie wären mit Verlaub gesagt schön dumm, wenn Sie verzichten würden, nach allem, was Ihnen angetan wurde. Sie sind die einzige Verwandte, wie das Verhältnis auch immer gewesen sein mag. Wenn Frau Haemlin für unzurechnungsfähig erklärt wird, wird man an Sie herantreten wegen der Kostenabrechnungen und dergleichen. Dr. Brennicke, Haemlins Anwalt, ist diesbezüglich schon an mich herangetreten und würde gern Verbindung zu Ihnen aufnehmen. Aber es kann auch sein, daß er die Vermögensverwaltung anstrebt. Lassen Sie sich nicht überfahren.«

»Wenn da tatsächlich etwas auf mich zukommt, können Sie das doch für mich erledigen. Ich bin gerade dabei, die Betreuung für ein Kind zu übernehmen. Es handelt sich um den Sohn von Herrn Liborius.«

»Wie kommen Sie denn auf die Idee, Jana?« staunte der Anwalt.

»Sagen wir es mal so, der kleine Bobby hat sein Herz für mich entdeckt und er ist unwiderstehlich.«

»Jedenfalls scheinen Sie ja ein bißchen Humor wiedergefunden zu haben, und das freut mich. Und was Ihre Schwiegereltern anbetrifft, wird ihnen wohl niemand nachtrauern. Was sie Ihnen zugefügt haben mit ihren Gemeinheiten ist mit Geld sowieso nicht gutzumachen.«

»Aber dieses Geld könnte endlich auch Gutes bewirken«, sagte Jana leise, »und wenn ich dazu beitragen kann, können Sie auf mich rechnen. Ich würde keinen Euro davon haben wollen.«

Nach dem Gespräch mußte sie erst einen klaren Kopf bekommen. Es kam plötzlich so viel zusammen, aber irgendwie schien es, als würde sich der Himmel lichten und alle dunklen, bedrückenden Wolken vertreiben.

*

Um drei Uhr erschien sie in der Villa Liborius. Es war ein wunderschönes, stilvolles Haus. Bobby, der voller Spannung auf dieses Klingelzeichen gewartet hatte, kam so schnell angerannt, daß Klara ihm nicht zuvorkommen konnte.

»Jana, das ist Jana!« jubelte er. Klara musterte die junge Frau eingehend, aber ihre Miene war wohlwollend.

»Ich bin die Klara, und wie Sie sehen, Frau Haemlin, werden Sie ungeduldig erwartet. Ich darf Sie herzlich willkommen heißen.«

Es kam Klara wirklich aus dem Herzen, und ihres hatte Jana bereits gewonnen, wenngleich auch Klara nicht wußte, wieso Bobby in ihr seine Mami gesehen hatte.

Agnete Liborius empfing Jana im Wintergarten, in dem auch der Teetisch gedeckt war. Es war eine wunderschöne, anheimelnde Atmosphäre. Jana verlor ihre Befangenheit schnell.

»Ich freue mich, daß Sie gekommen sind, Frau Haemlin«, sagte Agnete mit mütterlicher Wärme. »Seit Bobby Sie gesehen hat, gab es für ihn kein anderes Thema, als von Ihnen zu sprechen, und ich wußte nicht, was ich dazu sagen sollte, da ich Sie nicht kannte. Kinder haben ja manchmal fixe Ideen und sind sehr enttäuscht, wenn sie nur ein Trugbild bleiben. Aber Bobby scheint sie mit magischer Kraft herbeigewünscht zu haben.«

»Was ist magisch, Granny?« fragte er sofort.

»Daß du Jana unbedingt wiedersehen wolltest.«

»Wollte ich ja auch. Bleibst du jetzt bei uns, Jana?«

»Wir wollten uns darüber unterhalten, Bobby. Schau, es ist so, daß ich bisher einen ganz anderen Beruf hatte und vielleicht hat deine Granny ganz andere Vorstellungen und Erwartungen. Ich bin keine Erzieherin, ich wollte nur etwas Sinnvolles tun. Ich dachte, daß es gut ist, mit Kindern umzugehen, wenn man allein ist. Mit Kindern kann man reden, man kann sie liebhaben.«

Janas Stimme zitterte ein bißchen, und Bobby lehnte sich gleich an sie.

»Wolltest du gern ein Kind haben, Jana?« fragte er ernst.

»Ja, ich hätte gern eins gehabt.«

»Jetzt hast du mich«, versicherte er mit überzeugender Betonung, und Jana errötete, als ihr Agnete ein liebesvolles Lächeln schenkte.

Ein Gespräch unter vier Augen war nicht möglich, da Bobby nicht zu bewegen war, zu Klara in die Küche zu gehen. Er sei sonst nicht so eigensinnig, meinte seine Granny, es würde sich ihnen aber schon eine Gelegenheit zu einem Gespräch bieten.

»Wollen Sie nicht erst Rücksprache mit Ihrem Sohn nehmen, bevor Sie die endgültige Entscheidung treffen?« fragte Jana zögernd.

»Das brauche ich nicht. Das überläßt David mir. Er ist ja froh, wenn wir uns ganz einig sind. Bobby hätte ohnehin niemand anderen akzeptiert.«

»Papi ist so selten zu Hause«, warf Bobby ein. Bobby war ein Einzelkind, und es war ihm wohl nie ein Wunsch abgeschlagen worden. Er hatte nie teilen müssen und auch schon einen starken Willen entwickelt. Dennoch war er nicht rechthaberisch und herausfordernd trotzig. Er hatte eine ganz besondere Art, mit kindlichem Charme das zu erreichen, was er wollte. Und außerdem hatte er, wie Jana feststellen konnte, ein ausgezeichnetes Benehmen bei Tisch, ohne daß er dazu ermahnt wurde.

»Darf ich fragen, wie Sie sich den Tagesablauf vorstellen, Frau Liborius, damit ich mich darauf einstellen kann?« Jana wagte es endlich, darüber zu reden.

»Können Sie um neun Uhr hier sein?« fragte Agnete. »Sie haben natürlich Spielraum.«

»Kann Jana denn nicht bei uns wohnen, Granny? Das wäre doch viel schöner.«

»Du hast gehört, daß Jana eine Wohnung hat, und außerdem hat sie auch Besuch von einer Freundin.«

»Meine Freundin wohnt vorerst bei mir. Sie hat heute eine Stellung angefangen, übrigens bei der Firma Dalibo.«

»Was Sie nicht sagen! Ist das etwa die neue PR-Managerin? Mein Sohn erwähnte es.«

»Ja, das ist sie, Simone Roswald, wir sind zusammen aufgewachsen.«

»Es ist schön, wenn Freundschaften so beständig sind, es spricht auch für Sie«, sagte Agnete. »Wir könnten Ihnen hier auch eine abgeschlossene Wohnung zur Verfügung stellen, wenn es für Sie bequemer wäre. Ich will auch keine festen Arbeitszeiten ansetzen, Sie sollten genügend Zeit für sich haben. Bobby soll von vornherein daran gewöhnt werden, daß Sie nicht ständig für ihn da sind. Es war eine Eigenart meiner Schwiegertochter, solange sie noch nicht krank war, ihm ständig einzureden, daß sie für ihn die wichtigste Bezugsperson sei. Deshalb mußte sich Bobby erst an mich gewöhnen, als Julie nicht mehr lebte.«

Jana spürte die Resignation in dieser Bemerkung und dachte, daß Julie wohl sehr eifersüchtig auf jeden gewesen war, wenn es um ihr Kind ging. War die Krankheit der Grund? Es mußte wohl für eine junge Mutter eine schlimme Situation sein, an einer unheilbaren Krankheit zu leiden und vielleicht zu denken, daß ihr Kind einmal eine Stiefmutter bekommen könnte. Rolf war auch sehr eifersüchtig gewesen, aber zum Glück hatte er nie daran gedacht, daß er vor ihr sterben könnte. Er hatte überhaupt nicht über das Sterben und den Tod nachgedacht.

»Wir werden uns schon einig, Frau Haemlin«, sagte Agnete. »Jetzt sehen wir erst einmal, wie es Ihnen bei uns gefällt.«

»Dürfte ich eine Bitte äußern, Frau Liborius?«

»Jede, wenn ich sie erfüllen kann.«

»Sagen Sie bitte auch Jana zu mir. Der Name Haemlin hat mir nach dem Tode meines Mannes nur Unerfreuliches eingebracht. Ich habe gestern erfahren, daß mein Schwiegervater verstorben ist. Seine Frau wurde in eine Nervenklinik eingewiesen, so daß ich diesen kummervollen Lebensabschnitt zu Ende bringen kann. Mein Mann war ein guter Mensch, er hat immer zu mir gehalten. Das möchte ich gesagt haben, was immer auch über mich geredet wurde.«

»Ich denke, daß das Ehepaar Haemlin und wir Liborius’ uns auf sehr unterschiedlichem Terrain bewegten. Intrigen und Verleumdungen wie auch Klatsch finden bei uns kein Gehör. Wir verlassen uns auf unsere Menschenkenntnis, Jana, wenngleich ich auch sehr bedauere, daß Sie solchen Anfeindungen ausgesetzt waren. Bei uns sollen Sie sich wohl fühlen.«

Bobby war nun doch mal kurz verschwunden, so daß er das nicht mithörte, aber er war schnell wieder da.

»Klärchen fragt, ob Jana zum Abendessen bleibt.«

»Heute muß ich heim, weil meine Freundin mir sicher berichten will, wie ihr erster Arbeitstag verlaufen ist.«

»Papi ist doch gar nicht da, aber wenn er zurück ist, werde ich ihm sagen, daß er nett sein soll zu deiner Freundin, damit sie nichts dagegen hat, wenn du nun so viel bei uns bist.«

»Bobby weiß für alles ein Rezept«, sagte Agnete lächelnd. »Wir sehen uns morgen, Jana. Ich freue mich.«

»Ich freue mich auch«, erwiderte Jana.

Bobby griff gleich nach ihrer Hand, ging mit ihr hinaus und begleitete sie bis zur Gartentür.

Er umarmte sie. »Ich habe dich lieb, Jana«, flüsterte er.

»Ich dich auch, Bobby«, erwiderte sie gerührt.

Agnete sah von der Tür aus, wie sich Jana zu Bobby herabbeugte und ihn auf die Stirn küßte. Tränen drängten sich in ihre Augen, aber ihren Mund umspielte ein glückliches Lächeln.

Ganz langsam kam Bobby zurück ins Haus, als müsse er sehr nachdenken. Er war auch eine ganze Weile still, und Agnete ließ ihn in der besinnlichen Stimmung.

»Weißt du, Granny, Jana ist doch ganz anders als Mami«, stellte er dann nachdenklich fest.

»Wie anders?«

»Das kann ich nicht erklären, ich bin ja auch noch klein und kann es nicht richtig sagen. Sie hatte wohl sehr viel Kummer.«

»Ich glaube schon.«

»Wie kann man sie bloß nicht liebhaben? Was waren das für Leute, die böse zu ihr waren?«

Er hatte doch wieder das meiste mitgekriegt und machte sich Gedanken.

»Das waren die Eltern von ihrem Mann, aber ihr Mann war gut zu ihr«, erklärte sie, um ihn zu beruhigen.

»Mamis Eltern waren auch nicht so lieb wie du. Kommen sie überhaupt nicht mehr her?«

»Wahrscheinlich nicht.« Sie hatte ja immer gehofft, daß sie sich fernhalten würden, denn zu ihnen hatte sie gar keinen Kontakt gefunden.

»Sie brauchen auch nicht kommen, ich habe ja dich und Papi und jetzt Jana.«

»Warum magst du sie eigentlich sosehr, Bobby?«

Er überlegte. »Weil sie aussieht wie das Christkind«, erwiderte er.

»Aber du hast doch das Christkind nie richtig gesehen.«

»Ich habe es mir aber so vorgestellt. Als ich Jana auf dem Friedhof gesehen habe, da kam die Sonne durch die Wolken und umleuchteten sie, ja, genauso war es, Granny. Ich weiß jetzt aber wirklich nicht mehr, warum ich dachte, es sei die Mami.«

»Du hast deine Mami sehr lieb gehabt, Bobby.«

»Sie hat immer gesagt, daß ich sie sehr lieb haben muß, und daß niemand so wichtig ist wie sie. Aber sie kommt nicht wieder, das weiß ich jetzt. Sie ist im Himmel und hat keine Schmerzen mehr. Warum war sie so krank, Granny?«

»Wenn man das wüßte, Bobby,«

»Ich weiß, daß ich zu klein bin, um das zu verstehen. Meinst du, daß mir Jana viel beibringen wird?«

»Das denke ich schon, sie ist klug und war tüchtig in ihrem Beruf.«

»Was ist das für ein Beruf?«

»Das muß dir Jana erklären, ich verstehe nichts davon.«

»Aber du weißt doch sonst alles.«

»Liebe Güte, ich weiß nicht alles.«

»Aber Klara sagt, daß ich dich fragen soll, weil du alles weißt.« Sie kannte diese Fragespiele zur Genüge, aber was sollte so ein intelligentes Kind sonst tun, wenn es keine Spielgefährten hatte. Unwillkürlich paßte es sich den Erwachsenen an. Julie hatte es so gewollt. Es sollte ein besonderes Kind sein, das sich von anderen unterschied, wie sie auch immer etwas Besonderes sein wollte. Wie gut hatte David sie eigentlich gekannt vor der Heirat?

*

Das fragte sich David auch, als er mit Marcel Dubois sprach. Das heißt, er hörte vorher zu, denn Julies Vater redete wie ein Wasserfall, pries seine eigene Geschäftstüchtigkeit an und welcher Gewinn es für Davids Firma wäre, die seine zu übernehmen.

David ließ ihn reden, denn Jürgen war ja anwesend, wenn er sich auch diplomatisch im Hintergrund hielt. Er registrierte bestimmt, wenn etwas Wichtiges gesagt wurde.

Julie hatte es tunlichst vermieden, ihn mit ihren Eltern zusammenzubringen, bevor die Heirat noch nicht geplant war, aber sie hatte es um so geschickter verstanden, ihn schnell zu einem Heiratsantrag zu bringen. Sie war so ganz anders als die Frauen, denen er vorher begegnet war. Viel Gelegenheit, andere kennenzulernen hatte er nicht gehabt. Julie war bezaubernd, kapriziös, charmant. Die Art, wie sie ihm zeigte, daß er der einzige und wichtigste Mann der Welt für sie sei, hatte ihm geschmeichelt. Sie war eine anspruchsvolle, aber zugleich auch bequeme Frau, hatte keinen eigenen Willen, ließ alles ihn bestimmen, kannte keinen Widerspruch und keine Kritik. Erst als ihm ihre Krankheit bewußt wurde, dachte er darüber nach, daß er für sie Stärke und Leben bedeutete und sie sich deshalb an ihn klammerte.

Marcel Dubois war indessen die Puste ausgegangen.

David tauschte einen langen Blick mit Jürgen, und der nickte, was seine Zustimmung zu diesem Vertrag bedeutete. Sie waren so aufeinander eingespielt, daß sie sich mit Blicken verständigen konnten.

»Es ist in Ordnung, Marcel«, sagte David. »Dr. Stern wird den Preis mit dir aushandeln. Du weißt ja selbst, wieviel ich investieren muß, um den Betrieb wirtschaftlich zu gestalten.«

»Eliette verlangt zwei Millionen Abfindung«, jammerte Marcel.

»Wieso eigentlich? Sie ist schon mit einem anderen Mann liiert und du auch mit einer anderen Frau. Da ist doch eine Trennung im gegenseitigen Einvernehmen angebracht.«

»So siehst du das, aber Eliette ist hartnäckig.«

»War sie es auch, die dafür war, mir Julies Krankheit zu verschweigen?« fragte David.

Marcel zuckte zusammen und wurde blaß.

»Wir hatten keine Ahnung, daß es so schlimm werden könnte! Es schien alles in Ordnung zu sein, als ihr euch kennenlerntet. Hättest du sie etwa nicht geheiratet, wenn du eine Ahnung gehabt hättest? Du hast sie doch geliebt. Ihr wart wie die Turteltauben.«

»Irgendwie habe ich mich schon hintergangen gefühlt.«

»Aber Julie hatte keine Ahnung.«

»Warum hat sie sich nicht von unserem Hausarzt betreuen lassen während der Schwangerschaft?«

»Das weiß ich nicht. Sie war überaus sensibel, wahrscheinlich wollte sie sich nicht von einem Mann untersuchen lassen. José war eine sehr gute Gynäkologin und lange mit uns befreundet. Müssen wir jetzt noch darüber reden? Julies Tod hat uns hart getroffen und letztlich auch zu unserer Trennung geführt.«

Er war unsicher und konnte Davids Blick nicht standhalten. »Warum rührst du das alles auf?« fragte er zittrig.

»Ich wollte nur endlich Klarheit haben. Ahnst du, welche Ängste ich ausstehe, daß mein Sohn diese Krankheit auch in sich haben könnte? Habt ihr ihn deshalb gemieden, weil ihr auch so etwas denkt?«

»Wir denken, daß es für ihn besser ist, wenn er nicht hin und her gezogen wird. Es ist auch nicht in deinem Sinne. Julie hat dich förmlich angebetet. Du warst für sie der einzige Mann überhaupt. Sie lebte wahrscheinlich in ständiger Angst, daß du sie verlassen würdest wegen ihrer Krankheit.«

»Ich hatte großes Mitleid mit ihr, aber ich war ihr niemals untreu.«

»Sie hat uns mit eurer Heirat vor die Tatsache gestellt. Es war eine Überraschung für uns, aber was hätten wir tun sollen? Du bist immerhin ein Mann, der genau weiß, was er will, also war anzunehmen, daß du auch diese Heirat wolltest.«

»Ich leugte es nicht, aber es hat mich immer beschäftigt, warum Julie uns nicht vorher bekannt gemacht hat.«

»Es war so, daß es in unserer Ehe schon lange Unstimmigkeiten und Probleme gab. Julie wollte nicht, daß es bekannt wurde. Ihr seid eine sehr konservative Familie. Aber wozu reden wir jetzt noch darüber? Julie ist tot, ihr kann nichts mehr schaden. Uns wäre auch lieber gewesen, wenn sie gesund alt mit dir geworden wäre. Du wirst bestimmt eine andere Frau finden, mit der du glücklicher werden kannst.«

»Daran denke ich nicht. Wo ist Eliette jetzt?«

»In Florida. Sie hat von den Franzosen genug, diesmal muß es ein Amerikaner sein. Wenn ihre Ansprüche nicht wären, könnte ich nur noch froh sein.«

»Du brauchst nur den richtigen Anwalt«, sagte David sarkastisch.

Jürgen hatte sich erhoben und trat zu ihnen. »Machen wir jetzt den Vertrag?«

»Wenn Marcel mit unserem Angebot einverstanden ist?«

»Wenn der Preis stimmt…«

»Du kannst ja Vergleiche einholen. Ich brauche nichts zu überstürzen.«

So gleichmütig seine Stimme auch klang, Marcel wußte, daß er keine Zugeständnisse machen würde.

Er wußte auch sehr gut, daß er kein besseres Angebot bekommen würde, eher nur schlechtere.

»Ich denke, daß wir uns einig werden«, sagte er.

David nickte Jürgen unauffällig zu, es war eigentlich nur ein Wimpernschlag. Er erwartete auch gar nicht, daß Marcel Dubois wenigstens für Bobby einen kleinen Betrag abzweigen würde. Wahrscheinlich dachte er in diesem Augenblick schon gar nicht mehr daran, daß er einen Enkel hatte.

»Wir sehen uns später noch einmal, ich habe etwas zu erledigen«, sagte David kühl.

Er ging hinaus. In der Empfangshalle räkelte sich eine mondäne Blondine in einem Sessel und warf ihm einen feurigen Blick zu, den man deuten konnte, wie man wollte. David war nicht beeindruckt. Er ging auf einen schlanken Mann mittleren Alters zu, der ihm voller Spannung entgegenblickte.

»Wie ist es gelaufen?« fragte er.

»Er wird unterzeichnen.«

»Zu Ihren Bedingungen?«

»Selbstverständlich. Meinen Sie, ich mache Zugeständnisse?«

»Was er aber erwartet hat.«

David lächelte spöttisch. »Er hat mich immer unterschätzt. Aber auf Sie wird viel Arbeit warten, Monsieur Lavelle, und Sie wissen, daß ich da keinen Spaß verstehe.«

»Jetzt wird es mir aber wieder Spaß machen. Ich danke Ihnen, daß Sie mir Ihr Vertrauen schenken.«

David ging an die Bar und ließ sich einen Campari Soda geben. Er überlegte, ob er zu Hause anrufen sollte, aber sie würden sicher noch beim Mittagessen sein, wie auch in der Firma.

Jürgen gesellte sich schon zu ihm. Er lächelte breit. »Er hat natürlich unterschrieben, es konnte ihm gar nicht schnell genug gehen. Aber er konnte es sich auch nicht verkneifen zu fragen, ob es eine neue Frau in deinem Leben gibt.«

»Ich heiße ja nicht Dubois. Er hat die Frauen gewechselt wie die Hemden. Daß er sich nicht schon früher von Eliette offiziell trennte, war nur, um einen triftigen Grund zu haben, nicht erneut aufs Standesamt geschleppt zu werden.«

»Du kannst ja richtig boshaft sein«, meinte Jürgen anzüglich.

»Die Wahrheit klingt manchmal zynisch. Ich werde mich jedenfalls nie wieder dem Druck aussetzen, aus Pietät bei einer Frau zu bleiben.«

Jürgen warf ihm einen schrägen Blick zu, aber über Davids Schulter hinweg fiel dieser auf eine exotisch wirkende Schöne, die direkt zu ihnen herübersah.

»Hast du eine Verabredung, Dave?« fragte Jürgen.

»Nein, wieso?«

»Wenn du schräg nach rechts blickst, siehst du sie. Sie verschlingt dich förmlich mit Blicken.«

»So ein Blödsinn«, sagte David, aber er sah nun doch in diese Richtung.

»Das ist Fiona, Julies Freundin. Merkwürdig, daß sie auch in Paris ist.«

»Vielleicht deinetwegen, sie wär doch eine Sünde wert.«

»Nein danke, in diese Gefahr sollte sich niemand begeben, aber sie naht.«

»Soll ich verschwinden?«

»Bloß nicht. Hallo, Fiona, welche Überraschung«, sagte er hastig.

»Ich glaubte, meinen Augen nicht trauen zu können! Du in Paris?«

»Das kann ich genauso sagen. In Monte Carlo ist es doch um diese Zeit viel schöner. Darf ich vorstellen, Dr. Stern, mein Freund und Anwalt.«

»Dann hast du dich wohl mit Marcel getroffen. Ich habe etwas läuten hören, daß du seine Firma übernehmen willst.«

»Die Leute reden schneller, als ich handele«, sagte er spöttisch.

»Ich bin für Santonelli tätig. Ist dir Robert Santonelli ein Begriff?«

»Nein, sollte er das? Es klingt nach Modebranche.« Er überlegte, wie er sie loswerden konnte, ohne unhöflich zu sein, aber sie sagte, daß sie sich in einer ruhigen Ecke unterhalten könnten.

»Ich habe nicht viel Zeit, wir fliegen heute zurück.«

»Aber ein bißchen reden könnten wir doch. Wie geht es deinem Sohn Roberto? Wie seid ihr eigentlich auf den Namen gekommen? Habt ihr einen Robert in der Familie?«

Jetzt merkte er, daß sie auf etwas Bestimmtes hinauswollte und wurde doch neugierig.

»Ich muß noch mit Lavalle reden, sonst wird es zu spät«, sagte Jürgen und er ging mit einer leichten Verbeugung.

»Mein Vater hieß Karl Robert«, sagte David gleichmütig.

»Ach so, ich dachte schon, Julie hätte aus Sentimentalität diesen Namen gewählt. Roberto Santonelli war doch ihre erste Liebe, aber das wußtest du ja sicher.«

Er sah sie aus schmalen Augen an. »Worauf willst du hinaus, Fiona?« fragte er eisig.

Sie wurde nun doch etwas unsicher, überspielte es aber mit einem frivolen Lächeln.

»Ich denke, daß du ziemlich hinters Licht geführt wurdest von der Familie Dubois und es dir nützlich sein könnte bei deinen Verhandlungen mit Marcel, ein paar Trümpfe in der Hand zu haben. Ich habe mit ihm auch ein Hühnchen zu rupfen.«

Zuerst fühlte er sich versucht, ihr einfach den Rücken zu kehren, aber dann war die Versuchung doch da, mehr erfahren zu können. Ein Körnchen Wahrheit war oft im Klatsch. Ihm fiel sehr schnell ein, daß Julie nach der Heirat alle Beziehungen zu früheren Freundinnen und Freunden abgebrochen hatte und auch keinen engeren Kontakt zu ihren Eltern haben wollte.

»Ich denke, ihr wart Freundinnen, Julie und du«, sagte er. »Und jetzt, da sie tot ist, redest du so, als wäre das nicht der Fall gewesen.«

»Freundinnen, was heißt das schon. Man unternimmt etwas zusammen, man hat die gleichen Bekannten, vielleicht eine Clique, aber ich war bei ihr in Ungnade gefallen, als Roberto mich als Starmodel wollte.«

»Okay, und was hat das mit mir zu tun?«

»Es hat mich natürlich beschäftigt, daß Julie ihren Sohn Roberto nannte. Wahrscheinlich hast du auch nicht gewußt, daß sie von Marcel auf dich angesetzt wurde. Du hast in ihr einen Engel gesehen, aber so war sie nicht, David. Kehr ins Leben zurück, und laß dich nicht von Marcel über den Tisch ziehen.«

Es gefiel David nicht, was er da zu hören bekam, aber er verzog keine Miene, obgleich er seltsamerweise ahnte, daß Fiona das nicht einfach aus der Luft griff.

»Was hast du davon, jetzt mit diesen Geschichten hausieren zu gehen?« fragte er.

»Ich finde, du hast es nicht verdient, von Marcel und Eliette betrogen zu werden. Für die bist du ein sentimentaler Deutscher, der bis ans Ende seiner Tage um die schöne Julie trauert. Marcel meint, dir seine Schrottfabrik für ein Heidengeld andrehen zu können.«

»Und du bist so töricht, mir zuzutrauen, daß ich deren Wert nicht kenne? Ich kaufe keine Katze im Sack.«

Sie lächelte herausfordernd. »Ich denke doch, daß du das getan hast, zumindest was Julie betrifft. Aber sie hatte sich ja ein wunderschönes, kurzes Leben erkauft. Ich denke nur, daß du etwas Besseres verdient hättest. Ich könnte dir sehr nützlich sein, David.«

»Als was?« fragte er sarkastisch.

»Zum Beispiel als PR-Managerin, das beherrsche ich.«

»Danke, ich habe eine ganz perfekte. Mit Julies Vergangenheit, zu der du ja auch gehörst, will ich nichts zu tun haben.«

Und nun nahte zu seiner Erleichterung Jürgen und drängte zum Aufbruch.

»Es war mir ein Bedürfnis, offene Worte zu sagen, David, und ich hoffe, du hast sie richtig verstanden. Viel Glück weiterhin. Vielleicht sehen wir uns bald in München.«

»Da sei Gott vor«, seufzte David mit Klaras Worten.

Jürgen sah ihn fragend an.

»Denkst du, daß wir Dubois einen zu guten Preis zahlen?« fragte David.

»Das nicht, ich habe alles überprüft, aber ich habe eingefügt, daß wir zwanzig Prozent des Kaufpreises erst in einem halben Jahr zahlen, wenn alles Inventar überprüft ist.«

»Gut gemacht, auf dich kann man sich wirklich verlassen.«

»Und was wollte die feurige Schöne von dir?«

»Mich mit wahren Geschichten verunsichern, was ihr auch fast gelungen ist. Wie gern hattest du eigentlich Julie?«

Jürgen war konsterniert, auch nicht auf solche Frage eingestellt.

»Will man mir etwas unterstellen?« fragte er unwillig. »Sie war deine Frau, und ich bin dein Freund, dein bester Freund, so hoffe ich.«

»Mein einziger Freund«, nickte David. »Dann frage ich so: wie hat dir Julie gefallen?«

»Was soll denn das? Sie war bezaubernd, aber nicht mein Typ. Ich liebe etwas Handfesteres, aber das wußtest du doch immer.«

»Glaubst du, daß sie mich geliebt hat?«

»Sicher auf ihre Weise. Sie hat sich geklammert, aber das wurde mir verständlich, als ich von ihrer Krankheit erfuhr. Mir ist solche Anhimmelei suspekt, und sie hat mich auch nicht gemocht. Sie war eifersüchtig auf unsere Freundschaft. Sie wollte ja auch Bobby mit niemand teilen. Was soll plötzlich die Fragerei? Hat dich diese Fiona verunsichert? Solche Frauen würde ich mit der Feuerzange anfassen, Frauen wie Julie mit Samthandschuhen, was du ja auch getan hast.«

»Sie war krank, sie war schon krank, als wir geheiratet haben«, sagte David geistesabwesend.

»Sicher kommen solche Krankheiten nicht von heute auf morgen, aber das heißt nicht, daß sie es gewußt haben muß.«

»Es scheint aber so, daß ich manches nicht gewußt habe.«

Das wollte Jürgen nun gar nicht gefallen. Er ahnte, daß Fiona ihm solche Gedanken eingegeben hatte, aber er wollte keine Fragen stellen. Wenn David reden wollte, war es gut, wenn nicht, war es auch in Ordnung. Jürgen spürte, wie nachdenklich er war.

Sie kamen auf den letzten Drücker zum Airport, und in der ersten Viertelstunde nach dem Start herrschte Schweigen zwischen ihnen. Die Stewardeß wollte ihnen einen Imbiß bringen, aber sie lehnten beide ab und wollten beide nur einen Whisky.

»Hattest du das Gefühl, daß Dubois nervös war?« fragte David.

»Er fragte mich nur, ob du dich gut mit Julie verstanden hättest und wie du mit ihrer Krankheit zurechtgekommen wärest. Ich habe ihm gesagt, er solle dich das selber fragen, und da meinte er, daß Julie sich ihm und seiner Frau gegenüber so verhalten hätte, als wären sie Fremde. Aber wahrscheinlich sei ihr seltsames Benehmen wohl auf die Krankheit zurückzuführen.«

»Wahrscheinlich war es so«, murmelte David.

»Sie war völlig auf dich fixiert«, stellte Jürgen fest. »Und ich habe ihr lange nichts angemerkt.«

»Das ist manchmal so bei dieser Krankheit, hat Dr. Norden gesagt. Er hat sie ja erst im letzten Stadium behandelt.«

»Habt ihr euch jetzt wegen einer Betreuerin entschieden?« lenkte Jürgen ab.

»Das überlasse ich Mama. Da Bobby jetzt aber eine ganz spezielle Vorstellung von einer Idealfigur hat, wird es schwierig sein, seine Zustimmung zu erhalten.«

»Ihr solltet ihm nicht alles durchgehen lassen und ihn zu sehr verwöhnen. Er muß sich im Leben auch behaupten können. Julie hat ihn mit ihrer fixen Idee, daß er nur sie brauche, zu abhängig gemacht. Nimm es mir nicht übel, aber das war auch krankhaft.«

»Es war meine Schuld, daß ich mich nicht eingemischt und mich mehr um ihn gekümmert habe. Ich glaube, daß bei mir der Verstand zeitweise ausgesetzt hat, aber man kann sich doch nicht so täuschen.«

»Was ist denn bloß los mit dir?«

»Das weiß ich selbst nicht.«

»Diese Fiona wird dir doch nicht den Kopf verdreht haben?«

»Es ist wohl eher so, daß sie ihn mir geradegerückt hat.«

»Vielleicht redest du mal deutsch mit mir, da dir das Französische nicht bekommen zu sein scheint.«

»Es könnte sein, daß Julie in manchen Dingen nicht ehrlich war, und ich war so verliebt in sie, daß mein Verstand ausgeschaltet war.«

»Das soll den klügsten Männern passieren. Und manchmal ist Verschweigen nicht mit Unehrlichkeit gleichzusetzen, sondern eher mit Angst. Und jetzt solltest du dir damit den Kopf nicht schwermachen, Dave.«

»Du meinst, weil sie tot ist? Tod, wo ist dein Stachel, Hölle, wo ist dein Sieg? Wer hat das gesagt?«

»Das weiß ich auch nicht. Es steht in der Bibel, soviel ich weiß. Aber wenn dir meine Meinung etwas bedeutet, Julie hat dich geliebt, sie hat dich angebetet. Was vorher gewesen sein mag, hatte für sie keine Bedeutung mehr. Meinst du nicht, daß das zählt?«

»Wenn du es so siehst, zählt es schon.«

Der Flug war ruhig, die Maschine landete pünktlich. Jürgen holte den Wagen.

»Wir fahren erst ins Büro. Ich möchte dich mit unserer Neuen bekannt machen«, sagte David. »Ich muß sie auch erst kennenlernen.«

»Na, hoffentlich taugt sie was.«

»Das hoffe ich auch. Ich werde sie bald nach Frankreich schicken, damit sie den Laden dort in Schwung bringt.«

»Das wäre ja gleich die Feuerprobe.«

David schwieg wieder, und Jürgen konzentrierte sich auf den Verkehr. Sie waren kurz vor Büroschluß in der Firma. Sie trafen nur ein paar Angestellte auf dem Weg zu Davids Büro, aber da kam Simone gerade aus ihrem und erstarrte, als sie die beiden Männer sah. Aber Jürgen starrte sie auch fassungslos an. »Was machst du denn hier, Simone?« fragte er rauh.

David schaltete schnell, »Ach, ihr kennt euch«, sagte er. »Dann brauche ich dich ja nicht mit meiner neuen PR Managerin bekannt zu machen, Jürgen. Und Ihnen ist Dr. Stern auch bekannt«, fügte er lächelnd hinzu. »Das finde ich ja nett.«

»Entschuldigung, aber es kam überraschend«, sagte Simone hastig.

»Haben Sie sich schon eingelebt, Frau Roswald?« fragte David. »Ich nehme an, Sie wissen, daß ich hier der Boß bin.«

»Ich habe es vermutet. Einigermaßen habe ich mich mit meinen Belangen schon vertraut gemacht. Herr Wecker hat mich herumgeführt.«

»Was er bestimmt sehr gern getan hat. Wir werden uns morgen länger unterhalten, Sie wollten anscheinend gehen.«

»Hoppla, nicht so schnell«, sagte Jürgen. »Wir sollten auch miteinander reden.«

»Dann entschuldigt mich, ich muß zu Hause anrufen, daß ich bald eintreffe.«

*

Jürgen hatte Simone fest am Arm gefaßt. »Wieso hast du mir nichts gesagt, daß du dich hier beworben hast?« fragte er.

»Es sollte eine Überraschung für dich sein. Ich habe leider nicht vorausgesehen, daß wir uns hier so plötzlich treffen. Ich wußte ja auch nicht, ob ich genommen werde.«

»Wenn du mir gesagt hättest, daß du an dieser Stellung interessiert bist, hätte David dich selbstverständlich genommen.«

»Aber mir ist es lieber, ich werde auf Grund meiner Eignung eingestellt und nicht, weil wir uns zufällig kennen.«

»Hattest du sonst noch einen Grund, nach München zu wechseln?«

»Ja, meine Freundin Jana, bei der ich zur Zeit wohne. Sie hat vor ein paar Wochen ihren Mann durch einen Unglücksfall verloren.«

»Dieses Lawinenunglück, du hast davon gesprochen, als wir uns zuletzt trafen. Es ist schon vier Wochen her. Wir haben nur ein paarmal telefoniert.«

»Du hast gesagt, daß wir uns öfter sehen könnten, wenn ich in München wohnen würde. Ich wollte sehen, ob du das ernst meinst.«

»Und ob ich das ernst meine! Hast du etwa daran gezweifelt?«

»Es gibt viele attraktive Frauen in München.«

»Jetzt fang nicht damit an, und komm ja nicht auf den Gedanken, dich in David zu verlieben. Er ist bedeutend attraktiver als ich.«

Sie warf ihm einen verschmitzten Blick zu. »So genau habe ich ihn mir noch nicht angeschaut. Ich war sprachlos, als ich dich plötzlich sah.«

»Und was machen wir jetzt?« fragte er.

»Ich fahre jetzt zu meiner Freundin Jana, bei der ich auch wohne, um ihr zu berichten, daß ich meinem Boß zum ersten Mal begegnet bin.«

»Deinem Boß, und warum sollte sie das interessieren?«

»Weil sie von Frau Liborius auserwählt ist, den Sohn von meinem Boß zu betreuen.«

»Guter Gott, das sind ja Neuigkeiten. Du wirst jetzt deine Freundin anrufen und ihr sagen, daß du auch deinen Freund Jürgen getroffen hast und ein wichtiges Gespräch mit ihm führen mußt. Meinst du, ich lasse dich gleich laufen?«

»Wir können uns ja ein andermal treffen. Du wirst müde von der Reise sein. Es war doch sicher anstrengend in Paris.«

»Nicht so anstrengend, daß ich unser Wiedersehen nicht zu würdigen wüßte. Wir nehmen uns vom Chinesen das Essen mit und fahren zu mir.«

»Lieber Jürgen, ich bin Angestellte von David Liborius und der Firma ein korrektes Benehmen schuldig. Ich werde nicht mit in deine Wohnung gehen.«

»Dann essen wir eben in einem Restaurant, aber du solltest bemerkt haben, daß Dave nichts dagegen einzuwenden hat, daß wir uns bereits kennen. Wie ich ihn einschätze, wird er mich baldigst ermahnen, dich festzuhalten, was ich auch tun werde, da wir uns jetzt täglich sehen können und du mir bewiesen hast, daß du daran auch interessiert bist.«

Was sollte sie dazu sagen? Ihr fehlten momentan die Worte, weil sie glücklich war, daß ihre geheimen Befürchtungen, er würde sich über ihren Wechsel nach München nicht freuen, nicht eingetroffen waren. Sie rief Jana von dem Restaurant an, in das Jürgen sie geführt hatte.

Sie wußte, daß Jana nicht zu Hause sein würde, aber sie sprach eine Nachricht auf den Anrufbeantworter, daß es bei ihr ziemlich spät werden würde.

»Na, wie sieht es aus?« fragte Jürgen, »ist dein Gewissen beruhigt?«

»Bei Jana wird es ja auch später, sie ist nicht zu Hause.«

»Was mich auch wundern würde, wenn sie Gnade vor Bobbys Augen gefunden hat. Es erstaunt mich nur, daß er so schnell einverstanden war, denn er schwärmt doch für sein Traumbild vom Friedhof.«

»Das weißt du auch schon«, staunte Simone.

»Er konnte gar nicht genug von ihr schwärmen. Er hat schon seine eigenen Vorstellungen, aber er ist ein liebes Kerlchen.«

»Und er hat sein Traumbild vom Friedhof«, sagte Simone. »Das Schicksal hat sie zusammengeführt in der Praxis von Dr. Norden.«

»Dann meint es das Schicksal endlich gut mit ihnen. Die Granny kann auch Freude brauchen, und Dave wird zufrieden sein mit diesem Ergebnis, nachdem er in Paris ein anderes Kapitel abgeschlossen hat.«

»Ich habe gehört, daß er sehr um seine Frau trauert.«

»Das ist nun wieder ein anderes Kapitel, über das wir heute nicht sprechen sollten. Es ist nicht so, daß Dave in Depressionen versinkt. Jetzt reden wir über uns, Simone. Wie bist du ausgerechnet auf ›Dalibo‹ gekommen?«

»Es war die einzige Anzeige, die mich angesprochen hat, und siehe da, es hat auf Anhieb geklappt. Allerdings hatte ich immer mit Herrn Wecker zu tun, der anscheinend sehr angetan von mir ist.« In ihren Augen blitzte der Schelm.

»Er soll sich unterstehen. Ich werde ihm den Marsch blasen, wenn er dich nicht in Ruhe läßt.«

»Ich kann mich sehr gut meiner Haut wehren«, meinte sie lächelnd, »aber wenn du mir die kalte Schuler gezeigt hättest, müßte ich nicht lange nach Ersatz suchen«, fügte sie verschmitzt hinzu.

»Wie konntest du überhaupt auf den Gedanken kommen, daß ich es nicht ernstgemeint habe?«

»Bei Männern muß man darauf gefaßt sein. Sie machen schnell eine Kehrtwendung, wenn sie sich an die Kette gelegt fühlen. Aber die Angst brauchst du nicht zu haben. Ich will dich nicht aufs Standesamt schleppen.«

»Du müßtest mich nicht schleppen, ich würde dich sogar hintragen.«

Da stockte ihr der Atem. »Wie soll ich das verstehen?«

»Daß ich dich auf der Stelle heiraten würde, wenn du es erwartest.«

»Wir sollten uns erstmal richtig kennenlernen, Jürgen. Wir haben uns insgesamt genau sechs Tage und achtzehn Stunden gesehen.«

»Die Minuten hast du nicht gezählt«, scherzte er. Aber in seinem Blick lag so viel Zärtlichkeit, daß ihr Herz gleich noch schneller schlug. »Ich bin glücklich, Simone. Ich habe nämlich auch nicht glauben können, daß du wirklich etwas für mich übrig hast. Ja, wenn ich David Liborius wäre, aber…«

»Und ich werde dich festhalten, da kannst du ganz sicher sein.«

Der Ober brachte Champagner, und Jürgen bestellte ein wahrhaft festliches Menü.

»Das ist ja fast so wie das Hochzeitsessen bei Jana und Rolf«, sagte Simone.

»Es ist nur ein Vorgeschmack auf unseres, Skihase.«

Sie verschluckte sich fast, denn so hatte er sie gerufen, als er ihren Namen noch nicht wußte. Sie erinnerte sich genau an diesen Augenblick, als er erst am Lift neben ihr stand, sie dann auf der Piste überholte und unten wartete. ›Hallo, Skihase‹, hatte er gesagt, und sie hatte gleich gefühlt, daß sie die gleiche Wellenlänge hatten.

»Was hast du dir eigentlich gedacht, als wir am Lift standen?« fragte sie.

»Daß du genau die richtige Frau für mich bist, und ich war heilfroh, daß du nicht schneller warst als ich und mir davonfahren konntest. Wärest du davongefahren?«

Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe mein eigenes Erfolgsrezept. Wenn mir etwas gefällt, überlege ich nicht lange. Lieber etwas bei späterem Nichtgefallen zurückgeben, als riskieren, daß es ein anderer wegschnappt.«

Jürgen lachte herzlich und man sah es ihm an, daß er zufrieden und glücklich war.

*

David war mit gemischten Gefühlen nach Hause gefahren, da er von seiner Mutter gehört hatte, daß Jana bereits ständiger Gast im Hause Liborius war. Er hätte nicht sagen können, warum es ihn hemmte, aber jene Begegnung auf dem Friedhof erschien jetzt auch ihm schicksalhaft, war es doch so, daß Bobby von Anfang an fest daran glaubte, daß sein heißer Wunsch in Erfüllung ging.

Er dachte an Jürgen und seinen Skihasen. Natürlich hatte er diese Bekanntschaft David nicht verheimlicht, aber wie hätte er ahnen sollen, daß Simone Roswald ›der Skihase‹ war. Jürgen war sehr überrascht gewesen, sie zu sehen, also hatte sie ihm nicht verraten, daß sie sich um diese Stellung beworben und sie auch bekommen hatte. Daß Simone sich selbst gut einzuschätzen wußte, hatte er aus den Bewerbungsunterlagen ersehen, aber er hielt mehr von praktischen Erfahrungen und traute sich eine gute Menschenkenntnis zu. Sollte diese bei Julie so versagt haben, wenn er Fionas Worten Glauben schenken wollte? Hatte sie das nicht aus purer Bosheit gesagt? Aber hatte er nicht selbst auch Zweifel gehegt, als er während Julies Krankheit zum Nachdenken kam? War ihre demütige Anhänglichkeit nicht aus der Angst geboren, daß er mancher Wahrheit auf die Schliche kommen könnte?

Warum quälte er sich jetzt mit Zweifeln, es war doch alles bereits Vergangenheit, und er war sicher, daß Julie ihm während ihrer Ehe niemals untreu war. Und doch konnte er es nicht verhindern, daß die Saat des Zweifels, die Fiona gelegt hatte, aufging und wie Nadelstiche in ihm bohrten.

Bobby kam ihm nicht so wie sonst entgegengelaufen, sondern eher zögernd und abwartend.

»Jana ist hier«, sagte er, jetzt wohl Fragen seines Vaters erwartend.

»Das freut mich, jetzt wirst du ja zufrieden sein«, erwiderte David.

»Ich bin so froh, Papi, und Granny freut sich auch. Ich kann soviel lernen von Jana, sie weiß sehr viel. Du wirst staunen.«

»Da bin ich wirklich gespannt, aber jetzt möchte ich sie auch kennenlernen und erst Granny begrüßen.«

Jana hielt sich dezent zurück, aber es gefiel ihr, wie liebevoll sich Mutter und Sohn umarmten. Auf dem Friedhof hatte sie dem Mann keine Beachtung geschenkt, weil sie durch das Kind so irritiert gewesen war, jetzt kam sie nicht umhin, ihn als eine sehr beeindruckende Erscheinung wahrzunehmen. Eine imponierende Persönlichkeit war David Liborius.

»Das ist mein Papi, gefällt er dir, Jana?« fragte Bobby nicht gerade leise, worauf Jana errötete.

»Jana hat uns gebeten, sie nicht mit Frau Haemlin anzureden«, sagte Agnete gedämpft zu ihrem Sohn. »Wir sprechen noch darüber.«

Jana konnte das nicht verstehen, denn Bobby redete lebhaft auf sie ein. Sie wollte auch gar nicht hören, was Mutter und Sohn sprachen. David begrüßte sie sehr höflich und fragte, ob ihr die neue Tätigkeit gefalle und sie von Bobby nicht zu sehr beansprucht würde.

»Er ist sehr lieb«, sagte sie, gegen ihre Verlegenheit ankämpfend.

»Sie sollten schon auf Ihre Freizeit pochen«, sagte er mit einem flüchtigen Lächeln. »Bobby muß sich daran gewöhnen, daß er nicht über Sie verfügen kann.«

»Ich habe ja sonst keine Verpflichtungen und kann ihn auch mitnehmen, wenn ich etwas für mich zu erledigen habe. Es ist für ihn auch eine Abwechslung, neue Erfahrungen zu sammeln.«

»Ich darf nämlich morgen mal mit zu Janas Wohnung gehen und ihre Freundin kennenlernen.«

»Wenn Sie es erlauben, Herr Liborius«, sagte Jana hastig.

»Janas Freundin ist nämlich in unserer Firma die Neue, Papi.«

Ein durchdringender Blick traf Jana.

»Frau Roswald ist Ihre Freundin?«

»Ich hatte keine Ahnung, daß sie nach München wechseln wollte. Sie wohnt jetzt bei mir.«

»Ja, solche Zufälle gibt es«, warf Agnete ein.

»Sie ist Ihretwegen nach München gekommen?« fragte David mit einer Betonung, die Jana stutzig machte.

»Nein, nicht meinetwegen. Wir kennen uns zwar schon sehr lange, aber oft waren wir nicht zusammen. Bei ihr ging es wohl um eine andere Beziehung, aber darüber hat sie nicht geredet.«

»Und diese andere Beziehung scheint Jürgen zu sein«, sagte er zu seiner Mutter. »Jedenfalls waren beide überrascht, sich in der Firma zu treffen, aber wohl ebenso erfreut. Was sagen Sie nun, Jana?«

»Nichts mehr, ich kann nur staunen. Sie hat nie einen Mann erwähnt und war wohl auch nicht sicher, wie sich das entwickeln würde.«

»Das ist doch endlich mal etwas Erfreuliches für Jürgen«, sagte Agnete.

Bobby hatte angestrengt überlegt, aber nun meldete er sich auch zu Wort. »Jürgen kennt deine Freundin, Jana«, sagte er aufgeregt, »deine Freundin ist seine Freundin?«

»Ich kann dazu gar nichts sagen.« Das klang fast entschuldigend.

»Können wir jetzt essen, Mama? Ich sehne mich nach Klärchens Kochkunst.«

»Dabei ist die Französische Küche weltberühmt«, meinte Agnete.

»Aber Klärchens ist besser. Sie bleiben doch, Jana?«

Jana wunderte sich, daß er sie so selbstverständlich mit Jana anredete, und Agnete wunderte sich auch. Irgendwie kam er ihr verändert vor.

»Wie ich Jürgen kenne, wird Ihre Freundin heute bestimmt nicht auf Sie warten, also können Sie ruhig mit uns essen«, sagte David.

»Eigentlich wäre es am besten, wenn Jana bei uns wohnen würde, Papi«, sagte Bobby.

»Du darfst nicht zu egoistisch sein, Bobby. Sie möchte sicher auch mal etwas unternehmen, abends allein sein oder auch bei Freunden.«

»Aber Jana hat doch nur Simone, und wenn sie Jürgens Freundin ist, wird sie bestimmt immer mit ihm zusammensein.«

»Wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hat, läßt er nicht locker«, sagte David, »aber es bleibt ganz Ihnen überlassen, wieviel Zeit Sie bei uns verbringen wollen.«

»Das habe ich ihr auch schon gesagt«, nickte Agnete. »Wir sind uns im Prinzip einig.«

»Und ich freue mich, wenn alle zufrieden sind. Es wird sich ja wohl mal eine Gelegenheit bieten, daß wir uns unter vier Augen unterhalten können, Jana.«

Sie errötete wieder und ärgerte sich fürchterlich darüber, aber Agnete fand, daß sie so besonders reizend aussah.

*

Bei den Nordens wurde an diesem Abend mal wieder über die Haemlins geredet. Gerüchte schwirrten herum, daß Herta Haemlin in der Nervenklinik bleiben mußte und über den Tod ihres Mannes wurden auch die wildesten Vermutungen angestellt.

Natürlich hatte Fee sich bei ihrem Mann zuerst nach Jana erkundigt und er sagte, daß sich für sie im Hause Liborius alles sehr positiv entwickelte.

»Das ist ja erfreulich, dann kommt Jana endlich zur Ruhe«, meinte Fee.

»Allerdings habe ich von Dr. Heinrich erfahren, daß Haemlin kein Testament gemacht hat und Jana somit erbberechtigt ist. Wenn Frau Haemlin auch stirbt, ist sie sogar die Alleinerbin. Sollte Frau Haemlin entmündigt werden, kann Jana mitbestimmen, wer den Nachlaß verwalten soll.«

»Wenn Frau Haemlin das noch mitkriegt, ist nicht auszudenken, was sie gegen Jana unternehmen wird.«

»Darüber brauchen wir gar nicht nachzudenken. Ihr Zustand ist äußerst ernst.«

»Und was haben sie nun von ihrem Geld?«

»Sie konnten sehr viel Alkohol und Delikatessen kaufen«, sagte Daniel sarkastisch. »Das waren die Sargnägel.«

»Jana wird von diesem Erbe nichts haben wollen«, meinte Fee.

»Aber es könnte damit viel Gutes getan werden. Das war wohl auch ihr erster Gedanke, als Heinrich mit ihr gesprochen hat. Natürlich ist es ihr schon suspekt, daß sie auf diese Weise mitbestimmen soll.«

»Es ist doch gut, daß kein Testament vorhanden ist, Daniel. Wer weiß, wo das Geld gelandet wäre.«

»Sie dachten, sie würden ewig leben, weil sie ja alles kaufen konnten, aber das Leben ist nun mal nicht käuflich.«

Sie hatten jetzt wieder ein bißchen mehr Zeit füreinander. Die Grippewelle war abgeklungen, die Kinder waren auch wieder ganz gesund, nur Fee hatte noch mit Schnupfen und Husten zu kämpfen, aber sie setzte mehr auf Hausmittel und kam ohne Antibiotika aus. Sie dramatisierte Erkältungen auch nicht.

Aber sie freuten sich jetzt auf die warmen Tage, die nur leider noch auf sich warten ließen.

*

Es wurde ziemlich spät, bis Simone heimkam und die beiden Freundinnen nun endlich über den erlebnisreichen Tag sprechen konnten.

»Du bist mir vielleicht eine«, empfing Jana Simone schon an der Tür, »ich muß von deinem Chef erfahren, daß sein Freund dein Traummann ist.«

»Er hat darüber geredet?« fragte Simone fassungslos. »Aber er hat doch nicht ›Traummann‹ gesagt?«

»Nein, das habe ich gesagt, aber ich war ganz schön überrascht, als er davon anfing. Anscheinend war er sehr gut gelaunt. Es ist wohlwollend aufgenommen worden, daß du meine Freundin bist. Er hat keine Hintergedanken dabei gehabt.«

»Wieso denn auch, es hat sich alles so gefügt, das sagt Jürgen auch. Er ist wirklich genauso, wie ich ihn mir wünsche. Ich habe mir ganz umsonst Gedanken gemacht, daß er hier noch eine andere haben könnte. Aber er hat mir Liborius als einen sehr verschlossenen Mann geschildert.«

»Ich fand ihn locker. Wir sind zwar nicht zu einem Gespräch gekommen, aber ich denke, daß er mich akzeptiert hat.«

»Das wird auch gut sein, da du dich von seinem Sohn so unterbuttern läßt.«

»Das ist nicht so«, widersprach Jana heftig, »Bobby ist sehr rücksichtsvoll und lieb. So einen Sohn hätte ich mir auch gewünscht.«

»Aber der wäre wahrscheinlich so geworden wie sein Großvater, wie das bei der Vererbung üblich ist«, erklärte Simone drastisch. Aber gleich entschuldigte sie sich für diese Bemerkung. »Tut mir leid, das ist mir so herausgerutscht. Es ist bestimmt besser, daß du kein Kind hast.«

»Das sage ich mir auch immer wieder. Ich bin ja glücklich, daß Bobby mich so mag, andererseits macht es mich aber auch besorgt, daß er seine Mutter überhaupt nicht mehr erwähnt.«

»Man muß sie ja auch nicht mit einem Heiligenschein umgeben, Jana. Jürgen hat so ein paar Andeutungen gemacht, daß da sicher nicht alles so war, wie man meinte. Wenn einem Kind von der Mutter immer und immer wieder eingeredet wird, daß sie die beste und liebevollste Mutter weit und breit sei und es keine gäbe, die sie ersetzen könne, dann muß so ein kleines Kerlchen doch glauben, daß es wirklich so ist. Und plötzlich war da eine Lücke, und weil man ihm nicht weh tun wollte, wurde die Erinnerung an seine Mami wachgehalten, obgleich sich ihr Bild schon auflöste. Plötzlich sah er dich, und jetzt bist du die Hauptperson für ihn.«

»Unsinn, seine Granny und sein Papi sollen die Hauptpersonen sein. Er wird in die Schule kommen und mit anderen Kindern zusammensein, andere Mütter sehen, liebe und strenge Mütter unterscheiden lernen. Ich werde keine Rolle mehr in seinem Leben spielen, weil sein Vater sicher wieder heiraten wird.«

»Jürgen sagt, daß er nicht wieder heiraten wird. Er hat die Firma seines Schwiegervaters gekauft und damit jegliche Verbindung zu Julies Eltern abgebrochen. So rosig waren die Beziehungen also nicht. Jürgen hält große Stücke auf Dave, das ist eine echte Männerfreundschaft, wie unsere eine echte Frauenfreundschaft ist. Es wird sich zwischen uns auch nichts ändern, wenn ich mal verheiratet bin. Und jetzt gehen wir zu Bett, sonst kommen wir morgen beide nicht aus den Federn. Ich bin sehr froh, daß du wieder froh bist, Jana. Die Zeit heilt alle Wunden, bei dir und auch bei David Liborius.«

»Und du bist sehr glücklich, man sieht es.«

*

Erst am nächsten Tag konnte Agnete Liborius unter vier Augen mit ihrem Sohn sprechen. Er war schon zur Teestunde heimgekommen, weil sie ihn darum gebeten hatte.

Jana hatte Bobby mit in ihre Wohnung genommen, er sollte Simone kennenlernen, die für ihn doppelt interessant war, weil sie Jürgens Freundin war. Er war ein aufgeweckter Junge, wie Jana sich schon überzeugen konnte, wohl deshalb, weil er nur mit Erwachsenen aufwuchs und seine ersten Lebensjahre von einer sehr egoistischen Mutter beeinflußt worden waren. Zu dieser Erkenntnis hatte Jana auch kommen müssen, da in Bobbys Zimmer etwa zehn verschiedene Fotos von Julie standen und hingen, als sie das Zimmer zum ersten Mal betreten hatte. Am zweiten Tage fehlten schon ein paar, und am vierten Tag hing nur noch eines an der Wand. Da hatte sie doch gewagt, den Jungen zu fragen, wo denn die anderen Fotos wären.

»Jetzt bist du da, und ich kann dich alles fragen«, erwiderte er. »Mami wollte, daß ich mit ihr rede, auch wenn sie nicht da ist. Ein Bild, wenn ich mich ärgere, eins, wenn ich traurig bin, eins wenn ich mich freue, eins wenn ich was Schönes erlebe und die anderen, wenn ich Wünsche habe. Ich sollte nur immer an sie denken, das mußte ich ihr versprechen. Ich sollte auch immer aufpassen, daß Papi keine andere Frau gern hat. Aber sie kommt doch nicht wieder, das habe ich schon verstanden. Dich habe ich lieb, Jana, und mit dir kann ich über so viel reden. Ich möchte auch, daß Papi dich gern hat, so wie Granny. Und mit Fotos kann man doch gar nicht reden.«

»Deine Mami hat gehofft, daß du sie immer in Erinnerung behältst, Bobby«, sagte Jana sanft.

»Aber jetzt ist sie schon so lange fort und ich kann mich nicht mehr so erinnern, wie es war, als sie noch bei mir war.«

Jana kannte nur die Fotos. Julie war eine schöne Frau gewesen, aber darauf bedacht, auf den Fotos sehr vorteilhaft zu wirken. Daher wirkte auch ihr Lächeln gekünstelt. Aber sicher hatte sie mit diesen großen rätselhaften Augen eine große Wirkung auf Männer gehabt.

Jana dachte nicht an Julie, als sie mit Bobby an der Hand ihre Wohnung betrat. Viel wichtiger war ihr dieser vertrauensvolle kleine Junge, der ihr so spontan sein Herz geschenkt hatte. Über das Warum wollte sie auch nicht mehr nachdenken. Es gab auch zwischen Mann und Frau Liebe auf den ersten Blick, und bei Simone und Jürgen war es wohl so gewesen. Warum also sollte sich nicht auch Bobby ganz impulsiv zu ihr hingezogen gefühlt haben?

»Du hast es aber sehr schön, Jana«, stellte Bobby bewundernd fest. »Schade«, fügte er bedauernd hinzu.

»Wieso schade?« fragte sie irritiert.

»Wenn du es nicht so schön hättest, würdest du vielleicht lieber bei uns wohnen.«

»Ich bin gern mit dir zusammen, Bobby, und auch gern bei euch, aber es kann nicht für immer sein.«

»Warum nicht?«

»Du wächst heran und brauchst dann keine Betreuerin mehr. Du wirst bald klüger sein als ich. In ein paar Jahren hast du ganz andere Interessen.«

»Aber ich werde dich immer liebhaben. Granny hat dich auch lieb, und wenn Papi dich erst länger kennt, wird er dich auch liebhaben. Du darfst nicht wieder von mir weggehen, Jana.«

Sein Blick fiel auf das Foto von Rolf, und er verstummte.

Er ging näher hin und betrachtete es intensiv. »Ist das dein Mann?«

»Ja, das ist Rolf.«

»Aber er ist genauso tot wie Mami und kommt nicht mehr wieder. Ich konnte es mir nicht vorstellen, daß man einfach tot sein kann, aber jetzt weiß ich, daß andere Menschen auch sterben. Manche haben einen Unfall und waren gar nicht krank. Hatte dein Mann auch einen Unfall?«

»Er wurde beim Skifahren von einer Lawine verschüttet.«

»Aber du nicht. Da sage ich dem lieben Gott vielen Dank.«

Er verblüffte Jana immer wieder mit seinen Gedanken und wie er diese auch auszudrücken verstand, aber jetzt trieb es ihr Tränen in die Augen, weil es so rührend klang. Sie nahm ihn in die Arme.

»Ich habe dich sehr lieb, Bobby. Du hast mir schon sehr geholfen«, sagte sie weich.

Da wurde die Tür aufgeschlossen, und Simone erschien.

»Hallo, da seid ihr ja schon«, sagte sie vergnügt. »Das freut mich sehr, daß ich dich nun auch kennenlerne, Bobby.«

»Ich freue mich auch. Warum hast du Jürgen nicht mitgebracht?«

Simone war nur momentan verblüfft. »Er holt uns nachher ab«, erwiderte sie. »Er lädt uns zum Abendessen ein, das hat er schon mit deinem Papi verabredet.«

»Das ist toll«, freute sich Bobby. »Granny muß sowieso mit Papi reden.«

*

Das taten sie bereits. David hatte seiner Mutter auch gesagt, daß sie viel Zeit hätten, weil Jürgen und Simone mit Jana und Bobby essen gehen wollten.

»Und du bist einverstanden?« staunte Agnete.

»Warum denn nicht?«

»Immerhin ist sie deine Angestellte.«

»Du bist doch sonst nicht so pingelig«, meinte er anzüglich.

»Aber du bist auf Trennung geschäftlicher und privater Interessen bedacht.«

»Das ist vorbei. Ich mache Fortschritte. Simone Roswald hat Format. Jürgen hat eine gute Wahl getroffen, und Jana scheint auch ihre Qualitäten zu haben.«

»Das kann man sagen. Eine bessere Wahl hätten wir nicht treffen können.«

»Die hat ja wohl Bobby getroffen. Hättest du gedacht, daß dieses dauernde ›Mami hat gesagt, und Mami hätte das nicht gern‹ so schnell aufhört?«

Agnete sah ihn überrascht an. »Hat es dich etwa gestört?« fragte sie.

»Ja, das hat es, aber reden wir jetzt von Paris. Das willst du doch auch wissen.«

»Wie hat sich Dubois verhalten?«

»Peinlich. Er hat gejammert, er wollte feilschen und an meine Gefühle appellieren. Er hat wohl gedacht, mich auf schamlose Weise über den Tisch ziehen zu können, aber letztlich mußte er sich doch mit dem zufriedengeben, was ich bereit war zu zahlen. Dann habe ich Fiona getroffen, ich denke, daß sie es arrangierte, und sie hat mir einige merkwürdige Dinge erzählt, die mir zu denken geben. Es war kein boshafter Tratsch.«

»Aber du willst nicht darüber sprechen.« Sie sah ihn forschend an.

Er trank einen Schluck Tee und aß von dem Gebäck, das Klara extra für ihn gebacken hatte.

»Kannst du dich erinnern, wie es war, als wir für das Baby einen Namen suchten?«

»Wie kommst du denn jetzt darauf?« wunderte sie sich. »Für Julie stand es fest, daß ein Junge Roberto heißen sollte. Du hast sowieso zu allem Ja und Amen gesagt.«

»Übertreib bitte nicht, Mama. Es war ja wohl Julie, die sonst niemals Widerspruch erhob. Was das Kind anbetraf, habe ich ihr natürlich nicht dreingeredet und immerhin hieß Vater ja auch Robert.«

»Ich habe es auch als eine Reverenz an ihn empfunden, obgleich sie ihn ja gar nicht gekannt hatte. Wäre es dir lieber gewesen, er wäre David getauft worden, nach dir?«

»Ach was, Fiona hat da nur so eine Bemerkung gemacht, daß Roberto Santonelli Julies erste große Liebe gewesen sei.«

»Liebe Güte! Bist du darauf noch eifersüchtig?«

»Nein, aber es stimmt mich nachdenklich. Sie hat nie darüber gesprochen.«

»Jetzt will ich mal ganz offen sein, David, wenn mir auch manches an Julie nicht gefallen hat, betrogen hat sie dich bestimmt nicht. Ich möchte eher sagen, daß sie besessen von dir war.«

»Und jetzt will ich dir etwas sagen, Mama, was ich erst lange überlegen mußte, weil ich Fiona nicht traute. Aber es kann durchaus möglich sein, daß Julie von ihrem Vater auf mich angesetzt wurde. Ich habe mir durch den Kopf gehen lassen, wie wir uns kennenlernten auf dem Wohltätigkeitsball in Monte Carlo. Sie war mir zuerst gar nicht aufgefallen, weil sie umgeben war von ihren Freunden. Eigentlich wollten Marcel und Eliette Dubois mich dort treffen, aber dann waren sie plötzlich verhindert, und weil ich solche Bälle sowieso nicht mag und niemanden kannte, wollte ich gehen, aber da stand plötzlich Julie vor mir und wollte mir Lose verkaufen.«

»Die du auch gekauft hast. Die Story ist mir bekannt.«

»Aber sie erscheint mir jetzt in einem anderen Licht, nachdem mich Fiona darauf aufmerksam machte.«

»Seit wann gibst du etwas auf das Gerede einer sogenannten Freundin? Und wie es auch gewesen sein mag. David, es ist vorbei, begraben und vergessen.«

»Vergessen noch nicht, es wurmt.«

»Du wirst doch nicht etwa Zweifel hegen, daß du Bobbys Vater bist? Nun, da kannst du ganz beruhigt sein. Als du gerade mit Jürgen nach Paris gestartet warst, ist Bobby beim Rollschuhfahren auf dem Gartenweg gestürzt. Ich war mit ihm bei Dr. Norden. Er hat eine Tetanusspritze bekommen, und Dr. Norden hat scherzhaft gesagt, wenn Bobby mal eine Blutübertragung brauche, sei der Spender ja in unmittelbarer Nähe, da eure Blutgruppen ganz genau übereinstimmen. Dann haben wir glücklicherweise an diesem Vormittag auch Jana in der Praxis getroffen. Wenn das keine Schicksalsfügung war! Bobby ist restlos zufrieden und glücklich, und ich bin es auch.«

Sie betrachtete ihren Sohn, der sich zurückgelehnt und die Augen geschlossen hatte. Er hatte sich verändert. Er überraschte sie, daß er so offen darüber redete, was ihn bewegte, denn das hatte er früher nie getan. Und sie hatte auch aus seinen Worten die Zweifel an Julie herausgehört. Er mochte wohl blind verliebt in diese Ehe hineingetappt sein, aber diese Zweifel konnten nicht erst durch Worte von Julies Freundin hervorgerufen sein. Sie mußten ihn schon länger bewegt haben.

»Ich möchte dich nicht verletzen, David, aber war etwas zwischen dir und Julie, von dem ich nichts weiß?«

Er richtete sich auf.

»Es war diese Krankheit, Mama. Ich habe mit Dr. Norden darüber gesprochen, und er sagte mir, daß sie nicht plötzlich ausbricht, jedenfalls nicht bei Erwachsenen. Und du weißt auch, daß sie sich während der Schwangerschaft nicht von Dr. Norden behandeln lassen wollte. Fiona sagt auch, daß jeder von der Krankheit wußte und es Berechnung von ihren Eltern gewesen sei, sie mit mir zu verheiraten. Wenn sie mich auch geliebt hat, was ich nicht wegreden will, so bleibt doch ein bitteres Gefühl, in eine Falle getappt zu sein.«

»Willst du damit sagen, daß du sie nicht geheiratet hättest, wenn du von ihrer Krankheit gewußt hättest?«

»Ich hätte sie nicht geheiratet«, sagte er tonlos. »Der Gedanke, eine kranke Frau zu haben, die vielleicht lange Jahre von Schmerzen geplagt würde, hätte mich davon abgehalten. Ich kannte sie doch noch nicht lange genug, um sie so zu lieben, Mama. Es ist etwas anderes, wenn man schon in einer langjährigen Ehe verbunden ist und dann von einem solchen Schicksalsschlag getrofffen wird. Ich hätte nur von Anfang an Mitleid für sie empfinden können, wenn ich es gewußt hätte, und Liebe kann nicht aus Mitleid erwachsen. Als ich dann Gewißheit hatte, beschäftigte mich der Gedanke unentwegt, daß ich getäuscht worden sei, denn ihr einziger Gedanke war, daß ich mich einer anderen Frau zuwenden könnte. Ich sollte ihr versprechen, nie wieder zu heiraten und Bobby niemals eine Stiefmutter zu geben. Sie hat den Jungen ja auch diesbezüglich suggeriert, nur sie zu lieben.«

»Und hast du es ihr versprochen?«

»Ich habe die Antwort diplomatisch umgangen, indem ich sagte, das wäre kein Thema für mch, da sie ja wieder gesund werden würde. Aber ich gebe zu, daß mir die Lust an einer neuen festen Beziehung vergangen ist. Was ist eigentlich Liebe, das frage ich mich jetzt.«

»Man weiß es erst, wenn man einen Menschen, der einem viel bedeutet, verloren hat«, erwiderte Agnete.

»Dann habe ich Julie nicht wirklich geliebt. Ich fühle mich jetzt befreit.«

»Und was ist mit Bobby? Ihn liebst du doch?«

»Ich weiß nur, daß ich dich liebe, Mama. Du bist mir unendlich wichtig, aber vielleicht finde ich jetzt zu Bobby eine andere Beziehung, da er ein ganz normaler Junge zu werden scheint.«

»Was Jana zu verdanken ist. Ich wage gar nicht daran zu denken, daß sie sich wieder einem Mann zuwenden könnte, nachdem die seelische Belastung durch die Haemlins von ihr genommen wird.«

Und nun war dies das Thema für den Abend, bis Jürgen seine Gäste heimbrachte.

Bobby hatte rosige Bäckchen, und seine Augen strahlten. »Es war ganz toll«, sprudelte es gleich über seine Lippen. »Mone ist lustig. Jana sagt nämlich Mone zu ihr, und sie sind schon ganz lange Freundinnen. Vielleicht können wir bald eine Hochzeit feiern, das wäre erst recht toll. Und Jana hat eine sehr schöne Wohnung, da wird sie wohl leider nicht hier wohnen wollen. Warum ist Mone denn nicht mit reingekommen?«

»Ja, warum nicht? Ich möchte sie auch kennenlernen«, sagte Agnete.

»Sie wartet im Auto, aber ich kann sie holen«, meinte Jürgen, der auch den Eindruck eines sehr zufriedenen Mannes machte.

Agnete konnte feststellen, daß Jürgen eine sehr gute Wahl getroffen hatte. Bobby ließ sich von Jana zu Bett bringen. Er legte die Arme um ihren Hals und küßte sie auf beide Wangen.

»Sagst du Papi, daß er noch mal zu mir kommt? Ich möchte ihm gern was sagen.«

Aber David stand schon in der Tür. Sie hatten ihn nicht kommen hören, und er hatte mit einer ihm unbekannten Rührung gesehen, wie zärtlich Bobby seine Jana umarmte und sie ihn an sich drückte.

Jana wurde sehr verlegen, als sie David sah.

»Ich möchte dir eine gute Nacht wünschen, Bobby«, sagte er.

Jana ging jetzt schnell hinunter.

»Wir werden auch mal zusammen einen Ausflug machen«, sagte David, als der Junge schwärmte, wie schön es gewesen war.

»Mit Jana?« fragte Bobby sofort.

»Mit Jana und Jürgen und Simone, und vielleicht kommt Granny auch mit.«

»Das versprichst du, Papi?«

»Es ist versprochen, mein Sohn.«

»Ich wollte dir noch sagen, daß es bei uns jetzt viel schöner ist. Du bist doch nicht böse mit mir, weil ich Jana so liebhabe?«

»Ich war nie böse. Mir gefällt es auch, daß sie bei uns ist.«

»Ich möchte, daß sie immer bleibt«, flüsterte er.

David strich ihm zärtlich übers Haar. »Wir werden sehen, was wir machen können, daß es ihr bei uns gefällt. Jürgen wird uns dabei schon helfen.«

Bobby schlief mit einem glücklichen Lächeln ein und David hatte das Gefühl, ihm noch nie so nahe gewesen zu sein wie jetzt, in diesen Minuten.

Agnete erlebte es voller Freude, daß David zu Jana sagte, wie dankbar er ihr sei.

»Ichmuß dankbar sein«, erwiderte sie leise. »Er macht mir so viel Freude.«

Jürgen blinzelte zu Simone hinüber, und als er sich von ihr verabschiedete, nachdem er Jana und sie heimgebracht hatte, sagte er mit einem vielsagenden Lächeln, daß Bobby die beiden schon zusammenbringen würde.

»Lassen wir ihnen Zeit«, meinte sie diplomatisch, »so schnell wie bei uns wird das nicht gehen.«

*

Jedenfalls erfuhr Dr. Norden von Frau Liborius, daß sich bei ihnen alles sehr erfreulich entwickelte.

Er sah außerdem, daß sie dabei auflebte.

In Sachen Haemlin hatten die Anwälte das Sagen, aber sie waren sich einig, da Herta Haemlin in ihrem desolaten Zustand gar nicht mehr mitbekam, was sich da außerhalb der Klinik abspielte.

Jana nahm keine Notiz davon, daß sie eine reiche Frau werden könnte. Simone fand es zwar unsinnig, daß sie auf alles verzichten wollte, aber Jana hatte ihre Entscheidung getroffen. Das Teil, das ihr zufiel, sollte kranken Kindern zugutekommen und da konnte vielen geholfen werden.

David erfuhr durch Zufall davon. Seine Mutter hatte ihm zwar erzählt, wie übel die Haemlins Jana mitgespielt hatten, aber über ihre Ehe und das Verhältnis zu ihrem Mann war nie gesprochen worden. So war Jana sehr erstaunt, als David sie eines Tages fragte, ob sie in ihrer Ehe glücklich gewesen sei.

»Wenn man davon absieht, daß seine Eltern mir das Leben zur Hölle machten, ging eigentlich alles ganz gut bei uns. Er war anders als seine Eltern, wir waren beide berufstätig und ich war eigentlich auch unabhängig. Wir brauchten seine Eltern nicht und konnten uns auch so einiges leisten, wie auch den Urlaub in der Schweiz, der unsere kurze Ehe dann beenden sollte. Danach wurde ich von seinen Eltern nur noch schikaniert. Deshalb würde ich auch keinen Euro von ihrem Geld annehmen.«

Sie hatte schon lange keine Hemmungen mehr, auch solche persönlichen Gespräche mit ihm zu führen. Bobby hatte die Brücke zwischen ihnen geschlagen, und im Zusammensein mit Jürgen und Simone war ein freundschaftlicher Ton zwischen ihnen entstanden. Über Julie wurde nicht gesprochen, und es war dies auch das erste Mal, daß Rolf erwähnt wurde.

Bobby war im Grunde ganz zufrieden, aber er hätte es lieber gesehen, wenn sie auch du zueinander sagen würden, wie Jürgen und Simone.

Er fragte aber lieber erstmal bei seiner Granny an, ob er das vorschlagen dürfte.

»Das laß mal lieber, Bobby«, meinte sie. »Jürgen und Simone wollen bald heiraten, da ist es was anderes.«

»Meinst du nicht, daß sie auch heiraten könnten, Granny? Es wäre doch so schön.«

»Aber das ist nicht so einfach. Das müssen wir ihnen schon selbst überlassen. Ja, schön wäre es schon«, fügte sie dann leise hinzu.

Die Tage gingen dahin, die Wochen und auch die Monate. Im Sommer waren sie zwei Wochen an die Nordsee gefahren. David liebte die See, und das Klima war gut für Bobby, der öfter mal mit den Nebenhöhlen zu tun hatte. Die Granny erholte sich indessen auf der ›Insel der Hoffnung‹ und blieb dort auch noch zwei Wochen länger. In dieser Zeit blieb Jana auch über Nacht in der Villa, was Klara sehr begrüßte, hegte doch auch sie die Hoffnung, daß David merken würde, wie gut Jana in dieses Haus paßte.

Es lag nicht am merken, sondern einfach an seinen Hemmungen, sich einen Korb einzuhandeln, denn Jana blieb sehr zurückhaltend, wenn sie mal allein waren. Scheu war wohl der richtige Ausdruck. Da nützte es auch nichts, daß Simone schon kräftig nachhelfen wollte.

»Wie steht es denn so zwischen euch? Seid ihr euch endlich nähergekommen?« fragte sie, aber damit verschreckte sie Jana noch mehr.

»Was denkst du dir eigentlich?« sagte sie empört. »Meinst du, weil du seinen Freund heiratest, werfe ich mich ihm an den Hals?«

»Reg dich nicht gleich auf! Ich weiß, daß er dir gefällt. Bobby wäre überglücklich, wenn aus euch ein Paar würde, und Jürgen sagt, daß David bloß einen kleinen Schubs braucht, um mehr aus sich herauszugehen. Ihr wart doch zusammen im Urlaub. Hat sich da gar nichts getan?«

»Wir hatten sehr gute Gespräche, aber denk bitte daran, daß ich nicht seine Freundin, sondern seine Angestellte bin.«

»Das ist doch Quatsch. Ich bin auch seine Angestellte, aber für ihn in erster Linie Jürgens Verlobte. Und wenn wir nächsten Monat heiraten, werdet ihr unsere Trauzeugen sein.«

»Rolf ist noch kein Jahr tot«, sagte Jana leise, »und ich glaube, daß die Erinnerung an Julie sehr lebendig ist.«

»Bei Bobby nicht mehr, und David ist ein Licht aufgegangen, sagt Jürgen. Ich sage ja gar nicht, daß du ihm den Kopf verdrehen sollst, aber ein bißchen könntest du ihm schon zeigen, daß du ihn gern hast.«

Jana blockte ab, aber sich selbst gestand sie doch ein, daß er schon einen festen Platz in ihrem Leben einnahm.

Bobby überlegte unentwegt, wie er es anfangen könnte, seine Wünsche in die Tat umzusetzen. Sollte er das wirklich bis zu seinem Geburtstag im Dezember aufschieben? Es gefiel ihm sowieso nicht besonders, so kurz vor Weihnachten Geburtstag zu haben.

Im Oktober wollten Jürgen und Simone heiraten, und da gab es natürlich ein Fest. Er wollte Jana schon mal auf den Zahn fühlen, was sie sich dazu ausgedacht hatte.

»Bis dahin sind es noch sechs Wochen«, erklärte sie, »jetzt holen wir erstmal Granny heim. Du freust dich doch auch, wenn wir wieder zusammen sind.«

Natürlich freute er sich, obgleich er nichts hatte vermissen müssen. Überrascht waren sie aber, als David erklärte, daß er die Granny abholen würde.

»Ihr dürft natürlich mitkommen, und wir machen ein verlängertes Wochenende daraus.«

»Mit Übernachten?« fragte Bobby. »So im Hotel, wie an der Nordsee?«

»Wir fahren am Freitag, und am Sonntag fahren wir mit Granny zurück. Ich habe schon mit ihr telefoniert. Es ist Ihnen doch recht, Jana?«

»Wenn Sie es so geplant haben?«

»Hatten Sie etwas anderes vor?«

»Ich habe nie etwas vor.«

»Jana ist am liebsten mit uns zusammen«, sagte Bobby.

»Stimmt das auch, Jana?« fragte David.

Sie nickte. »Dann werde ich schon mal die Sachen für Bobby richten.«

»Vergessen Sie Ihren Koffer nicht«, sagte er lächelnd, und sie wurde verlegen unter seinem Blick.

»Wir fahren so gegen zehn Uhr los. Essen können wir unterwegs, wo es uns gefällt.«

Er war bei bester Laune, und Jana fragte sich, was plötzlich in ihn gefahren war.

»Jürgen und Simone werden übrigens eine Woche nach Frankreich fahren, das haben wir heute besprochen. Geschäftlich natürlich«, fügte er mit einem vielsagenden Lächeln hinzu.

»Es ist dort hoffentlich alles in Ordnung, oder gibt es Schwierigkeiten?«

Es war das erste Mal, daß sie eine solche Frage stellte und es freute ihn, daß sie sich dafür interessierte.

»Jürgen und Simone werden das schon in Ordnung bringen. Ich hätte dieses Geschäft nicht machen sollen, aber hinterher ist man immer klüger. Ein Verlust ist es ja nicht, nur Ärger bringt es mit sich. Wie steht es eigentlich mit der Haemlin-Geschichte, wenn ich fragen darf?«

»Das machen die Anwälte, ich will damit nichts zu tun haben.«

»Sie verzichten auf viel Geld, das eigentlich eine Wiedergutmachung für Sie sein könnte.«

»Ich habe nur den einen Wunsch, mich nie mehr an diese Zeit erinnern zu müssen. Bobby hat mir geholfen, ein neues Leben zu beginnen.«

Da Bobby gerade mal zu Klara gelaufen war, um ihr von dem Ausflug zu berichten, sagte David leise: »Ich möchte ihm gern dabei helfen, Jana, denn Sie haben mir auch geholfen…«, weiter kam er nicht, denn Bobby war schon wieder zur Stelle.

*

Es war ein schöner, sonniger Morgen, als sie losfuhren. Klara konnte sich ungestört an die Arbeit machen und das Haus auf Hochglanz bringen. Dabei dachte sie nur, daß es doch wunderbar wäre, wenn David und Jana ein Paar würden und Bobby noch ein paar Geschwister bekäme. Klara hatte ihre Vorstellungen von einem harmonischen Familienleben, und in das hatte Julie nicht gepaßt mit ihren ständigen Eifersüchteleien.

David und Jana dachten nicht an die Vergangenheit, als sie in den sonnigen Tag hineinfuhren, der den Sommer noch einmal zurückzubringen schien. Bobby wollte genau erklärt haben, welche Orte das waren, an denen sie vorbeifuhren. Er hatte seine Augen überall, entdeckte jede Burg und jeden Kirchturm.

Jana war froh, daß sie die Gegend ganz gut kannte, während David zugab, wohl noch manches lernen zu müssen, um Bobby zufriedenstellen zu können.

»Man kann nicht alles wissen«, sagte Jana. »Wir können ja die Ortsschilder lesen, und das wird Bobby auch bald lernen.«

»Eigentlich möchte ich noch lange klein bleiben«, sagte Bobby, »damit Jana bei uns bleibt.«

»Wenn wir sie bitten, bleibt sie vielleicht auch, wenn du größer wirst«, meinte David.

»Bittest du sie auch, Papi?«

»Ich werde mir etwas einfallen lassen.«

Jana bekam Herzklopfen, und Bobby fand das schon sehr verheißungsvoll. Er dachte aber auch daran, was Klara ihm mit auf den Weg gegeben hatte, sich nämlich nicht zu sehr einzumischen und ihnen lieber mal ein bißchen Zeit zu geben, allein zu sein.

Leicht fiel ihm das nicht, aber nachdem sie einen sehr abwechslungsreichen Tag verbracht hatten und in einem schönen an einem Hang gelegenen Hotel übernachten wollten, war Bobby nach dem Essen so müde, daß er doch freiwillig schlafen gehen wollte. Allerdings wünschte er sich, daß sie beide noch bei ihm bleiben sollten. Jana mußte die Gutenachtgeschichte erzählen, und David lauschte genauso andächtig wie sein Sohn. Als dann Bobbys tiefe Atemzüge verrieten, daß er tatsächlich schlief, gingen sie leise hinaus auf den Balkon. Tief atmeten sie die würzige Luft ein und blickten zum Himmel empor, an dem unzählige Sterne funkelten.

»Es ist schön, daß wir mal allein sein können, Jana«, sagte David leise. »Und eigentlich weiß ich auch nicht, wie ich es sagen soll, um es nicht falsch zu machen. Wir haben ja beide einiges zu bewältigen gehabt, und ich weiß nicht, inwieweit Sie den Tod Ihres Mannes verkraftet haben. Würden Sie mir ein bißchen weiterhelfen?«

»Es ist so viel geschehen in der kurzen letzten Zeit, daß ich manchmal meine, Jahre wären vergangen. Ich weiß, daß ich nie so glücklich war wie jetzt. Die Zuneigung, die mir Bobby entgegenbringt, hat mein Leben völlig verändert.«

»Bobby liebt Sie, meine Mutter liebt Sie und ich liebe Sie auch, Jana. Ich möchte Sie bitten, immer bei uns zu bleiben, nicht nur wegen Bobby.«

Sie konnte es nicht verhindern, daß sich Tränen aus ihren Augen lösten und über ihre Wangen rollten. Ihr Herz schlug bis zum Hals. Sie hätte kein Wort über die Lippen gebracht.

David legte den Arm um sie und zog sie an sich. Sanft küßte er ihr die Tränen von den Wangen.

»Ist es ein Grund zu weinen?« fragte er zärtlich. »Wirst du ja sagen, Jana?«

»Es war so schön, wie du es gesagt hast«, flüsterte sie.

»Ich kann es jeden Tag sagen, wenn du es hören willst. Ich hatte nur Angst, daß es noch zu früh für dich sei.«

»Die Dunkelheit liegt hinter mir. Das Licht in unserem Leben ist die Liebe.«

»Eine Liebe, die alles umschließt, Vertrauen, Verstehen und Geduld. Ich bitte dich, meine Frau zu werden.«

In ihren Augen spiegelte sich der Glanz der Sterne, als sie zu ihm aufblickte, und ihre Lippen fanden sich zu einem langen, innigen Kuß.

Strahlend nahm es Bobby am nächsten Morgen zur Kenntnis, daß sie du zueinander sagten.

»Habt ihr gestern noch mit Sekt angestoßen?« fragte er.

»Wieso?« fragte David.

»Weil man das macht, wenn man du sagt, und dann gibt man sich einen Kuß.«

»Wir brauchten dazu keinen Sekt«, sagte David schmunzelnd. »Ich habe Jana gefragt, ob sie meine Frau werden will und sie hat ja gesagt.«

»Endlich«, sagte Bobby erleichtert. »Wird Granny sich freuen und Klara auch! Und wann heiraten wir?«

»Da scheint es hinter unserm Rücken schon Diskussionen gegeben zu haben«, scherzte David.

»Ich hätte es mir sonst zum Geburtstag gewünscht«, erklärte Bobby. Und nun bekam Jana einen zärtlichen Kuß von ihm.

*

Gewünscht hatten es sich alle, die ihnen nahestanden, gerechnet hatte jetzt noch niemand damit, aber die Granny war überglücklich, als Bobby die Neuigkeit gleich hinausjubelte, als sie auf der Insel ankamen. David und Jana brauchte man allerdings nur anzuschauen, um zu sehen, wie glücklich und gelöst sie waren. Und Bobby war dann außer sich vor Freude, als beschlossen wurde, daß die Hochzeit an seinem Geburtstag stattfinden sollte, im engsten Familien- und Freundeskreis. Sie brauchten kein rauschendes Fest, sie wollten den Tag in Dankbarkeit verbringen, daß das Schicksal ihnen dieses Glück geschenkt hatte.

Natürlich war die Freude bei Simone und Jürgen groß und auch bei den Nordens, die es aber zuerst gar nicht fassen konnten, was sich da entwickelt hatte, so ganz im stillen.

Für Bobby kamen aufregende Wochen. Erst die Hochzeit von Simone und Jürgen, dann wurde im Haus einiges umgebaut, und dann wurden schon die Vorbereitungen für ›ihre‹ Hochzeit und seinen Geburtstag getroffen, seinen fünften Geburtstag, den er niemals im Leben vergessen würde, das stand jetzt schon für ihn fest.

»Und wenn ich Geschwister kriege, kann ich ihnen immer erzählen, daß wir an meinem Geburtstag Hochzeit gefeiert haben, und ich habe Jana als unsere Mami ausgesucht.«

Darauf war er ganz besonders stolz, und David ließ ihm diese Ehre, für die er einen Orden verdiente. Er bekam ihn in Form eines Medaillons, in dem Fotos von David und Jana waren. Auf dessen Rückseite eingraviert war: Das Licht in unserem Leben ist die Liebe.

Diese Worte sagte auch der Pfarrer am Ende seiner Traurede, und er fügte hinzu: »Es leuchtet auch in tiefster Dunkelheit.«

Agnete und Klara hatten sich bei den Händen gefaßt, und David küßte Jana unendlich zärtlich.

»Sie schaut aus wie das Christkind, ich habe es gleich gesagt«, war Bobbys Kommentar.

Dr. Norden (ab 600) Jubiläumsbox 4 – Arztroman

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