Читать книгу Dr. Norden Bestseller Box 14 – Arztroman - Patricia Vandenberg - Страница 6

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»Wird es auch nicht zu spät, Daniel?« fragte Fee Norden, als ihr Mann bald nach dem Essen aufbrach. »Vergiß nicht, daß wir Karten für Davids Konzert haben.«

»Ich vergesse es nicht, mein Schatz, und ich lasse es mir auch nicht entgehen. Ich muß nur zwei Besuche machen, und dann habe ich noch eine Verabredung mit Professor Weissenberger.«

»Warum?« fragte Fee erstaunt.

»Ich bin mir einer Diagnose nicht sicher.«

Fee runzelte leicht die Stirn. »Du bist sicher«, sagte sie nachdenklich. »Du willst sie dir nur bestätigen lassen.«

»Okay, ich will mir meine Diagnose bestätigen lassen, Feelein. Aber schließlich kann ich mich doch auch mal täuschen.«

Er wünschte das, und Fee Norden ahnte es. Doch sie wußte auch, daß sich ihr Mann nur ganz selten täuschte. Den Verlauf einer schweren Krankheit konnte er nicht vorausberechnen. Wer konnte das schon, aber an seinen Diagnosen hatte es noch nie einen Zweifel gegeben.

Er hatte einfach das Gespür, wenn die Symptome auch unklar waren. Sie ahnte jetzt auch, um welche Krankheit es sich handelte, denn Professor Weissenberger war bekannt dafür, daß er sich sehr intensiv mit der Erforschung der Blutkrankheiten befaßte, seit seine Frau und sein einziges Kind an perniziöser Anämie gestorben waren, ohne daß er ihnen hätte helfen können.

Noch geringer waren allerdings die Chancen, wenn es sich um Leukämie handelte, und da Daniel gar nichts gesagt hatte, nahm Fee an, daß ihn ein solcher Fall beschäftigte.

Wenn er sich machtlos fühlte, mußte er es erst selbst verkraften. Fee Norden kannte ihren Mann.

Dr. Daniel Norden hatte schon verschiedentlich mit Professor Walter Weissenberger zusammengearbeitet, und er hatte große Achtung vor diesem Mann, der so leidenschaftlich bemüht war, ein Heilmittel zu finden, das diese schlimmen Krankheiten zum Stillstand bringen konnte.

Von manchen Kollegen, die kein Verständnis für diese Bemühungen hatten, wurde Professor Walter Weissenberger sarkastisch ›Professor Wehweh‹ genannt, abgeleitet von seinen Anfangsbuchstaben, doch ironisch verlängert. Er machte sich nichts daraus. Er führte ein ganz zurückgezogenes Leben und pflegte seit dem Tode seiner Frau keine persönlichen Kontakte mehr.

Um so mehr wunderte sich Dr. Norden an diesem Tag, als der Professor ihm seine junge, sehr aparte Mitarbeiterin Stefanie Linden durchaus nicht formell, sondern mit herzlichem Ton vorstellte. Seit acht Wochen war sie als Medizinalassistentin seine sehr geschätzte Mitarbeiterin, wie er betonte.

Professor Weissenberger schien etwas betroffen, als Daniel erklärte, daß er ihn gern unter vier Augen gesprochen hätte. Stefanie zog sich daraufhin sofort taktvoll zurück.

»Ich habe keine Geheimnisse vor ihr«, sagte der Professor. »Ich kann sie gar nicht haben, denn sie nimmt an jeder Arbeit, an jeder Untersuchung teil. Oder handelt es sich um eine ganz private Angelegenheit?«

»Das nicht, aber um einen Patienten, der sich nicht im geringsten darüber klar ist, in welcher Gefahr er schwebt. Es ist ein junger Mann, und man könnte nicht ausschließen, daß dieser Name bekannt ist. Da ich Sie aber bitten möchte, ihn zu untersuchen, werden Sie ihn kennenlernen, falls Sie meine Bitte nicht zurückweisen.«

Der Professor runzelte die Stirn. »Mein lieber Norden, wie ich Sie kenne, haben Sie die Diagnose doch schon gestellt.«

»Und diesmal hoffe ich sehr, daß sie sich als falsch erweist.«

»Aber wenn sie sich nicht als falsch erweist, haben Sie auch keine Hoffnung, daß ich möglicherweise helfen könnte«, stellte der Professor sachlich fest.

»So ist es.«

»Also lautet die Diagnose Leukämie«, sagte Professor Weissenberger mit schwerer Stimme. »Wieder einmal.«

Daniel nickte zustimmend. Der Professor wandte sich ab und blickte zum Fenster hinaus.

»Kann ich die Anamnese nachlesen?« fragte er rauh.

»Selbstverständlich.«

*

Stefanie Linden saß im Nebenzimmer. Sie konnte jedes Wort verstehen, denn das Diktiergerät war eingeschaltet und Professor Weissenberger hatte nicht daran gedacht, es abzuschalten.

Stefanie wollte nicht lauschen und hatte schon den Finger auf dem Knopf, um es von sich aus auszuschalten, aber da fiel der Name Peter Reinhold, und sie hielt elektrisiert den Atem an.

»Peter Reinhold, achtundzwanzig«, sagte Professor Weissenberger. »Ledig?«

»Ja«, erwiderte Dr. Norden, »glücklicherweise. Er ist seit einem Jahr mein Patient. War ein sehr sportlicher junger Mann, der es nicht begreifen konnte, daß er so schnell ermüdete. Er und sein Bruder Ralph sind die Reinhold-Erben.«

Hatte Stefanie noch gehofft, daß es sich um eine Namensgleichheit handeln könne, wußte sie nun, daß dies nicht der Fall war.

Was die Anamnese besagte, über die Professor Weissenberger und Dr. Norden nun sprachen, konnte sie genau deuten.

Sie hatte großes Interesse an den Forschungsarbeiten ihres Chefs und sich schon bestens in diese Materie hineingearbeitet. Es handelte sich um eine lymphatische Leukämie.

»Nach Ihren Untersuchungsergebnissen spricht leider alles dafür«, bestätigte der Professor. »Nun, ich kann ihn ja noch mal untersuchen, aber nach dem rapiden Anstieg der weißen Blutkörper sehe ich kaum noch eine Chance.«

Stefanie schaltete nun doch das Diktiergerät ab. Ihre Hände zitterten, alles Blut war aus ihrem Gesicht gewichen.

Sie kannte die Brüder Reinhold seit einem Jahr. Sie hatten sich beim Skifahren in Südtirol angefreundet, als sie feststellten, daß sie in München zu Hause waren. Es war eine etwas differenzierte Freundschaft geworden, da beide Brüder sich um sie bemühten, aber Stefanie hatte es sehr diplomatisch verstanden, keine einschneidenden Konflikte aufkommen zu lassen, die eine Trennung herbeigeführt hätten, obgleich sie persönlich dem älteren Ralph den Vorzug gegeben hätte. Aber sie war im Grunde ein nüchtern denkendes Mädchen. Die Reinhold-Brüder waren reiche Erben, sie war ein Mädchen, das sich von früher Jugend an auf eigene Füße hatte stellen müssen. Sie war ehrgeizig, sie wollte sich auch nicht abhängig machen von einem Mann. Das wohl hatte ihr auch den Respekt von Professor Weissenberger eingebracht, mit dem sie nie über ihr Privatleben sprach. Sie war überaus zuverlässig und bestrebt, sich eine Position zu schaffen, die ihren Ansprüchen Rechnung trug, und diese Ansprüche waren nicht gring. Nur wollte Stefanie aus eigener Kraft das Ziel erreichen, das sie sich gesetzt hatte.

Die Freundschaft mit den Brüdern Reinhold bedeutete ihr viel, weil sie auch von ihnen respektiert wurde. Sie hatte Grenzen gesteckt, und die waren akzeptiert und noch von keinem überschritten worden.

Für Stefanie war es eine angenehme Abwechslung, wenn sie einen oder auch mal zwei Abende in der Woche mit den Brüdern verbringen konnte. Was sie sonst taten, interessierte sie nicht, zumindest zeigte sie kein Interesse daran. Sie wiegte sich nicht in dem Glauben, daß sie die einzige Frau war, für die sie Interesse zeigten. Sie ahnte auch nichts von den internen Kämpfen, die die beiden doch untereinander ausfochten, wenn auch in einer sehr dezenten Art, wenn es um sie ging.

So auch jetzt, während sie sich Sorgen um Peter machte. Ralph hatte die nicht leiseste Ahnung, daß Peter krank war. Er hielt ihn einfach für desinteressiert an der Firma, wenn er Müdigkeit zeigte oder über Kopfschmerzen klagte, denn über andere Beschwerden klagte Peter nicht, da er diese von sich weisen, nicht wahrhaben wollte. Er lehnte sich mit aller verbleibenden Energie dagegen auf, tatsächlich krank zu sein. Er zweifelte an Dr. Nordens Können, obgleich er immer Vertrauen zu ihm gehabt hatte.

An diesem Abend waren sie wieder mit Stefanie verabredet, und er wollte ihr gegenüber schon gar keine Schwäche zeigen. Aber erstmals hatte Ralph eine solche wahrgenommen, ohne etwas anderes dahinter zu suchen.

»Du solltest tatsächlich mal gründlich untersucht werden«, sagte er. »Vielleicht hast du Magengeschwüre. Darunter hat Vater auch gelitten. Geh nach Hause, leg dich hin und rufe Dr. Norden an.«

»Das könnte dir so passen«, sagte Peter. »Du willst ja nur allein mit Stefanie ausgehen. Meinst du, ich merke es nicht, daß du mich ausbooten willst?«

»Dazu hat Stefanie ja auch noch etwas zu sagen. Sie bevorzugt keinen von uns, Peter.«

Er war immer der ruhigere, der vernünftigere gewesen, auch der klügere der Brüder. Er war der leitende Kopf der Firma, obgleich man Peter nicht nachsagen konnte, daß er sich nicht bemüht hätte, mit ihm Schritt zu halten. Aber es war ihm schon in der Schule nicht gelungen und im praktischen Leben erst recht nicht. Sein Studium hatte er schon nach vier Semestern aufgesteckt, während Ralph Jura und Betriebswirtschaft studiert hatte.

Er betrachtete seinen Bruder nachdenklich.

»Fahr nach Hause und leg dich wenigstens hin«, sagte er. »Ich werde Stefanie anrufen und ihr vorschlagen, daß wir den Abend bei uns verbringen.«

Peter hob müde den Kopf. »Ja, das wäre doch eigentlich mal nett. Vielen Dank für dein Verständnis, Ralph.«

»Du fährst nicht allein«, bestimmte der Bruder. »Ich sage Henry Bescheid. Er bringt dich nach Hause, und wenn du dich immer noch so schlecht fühlst, rufst du Dr. Norden an.«

Da er nicht wußte, daß Peter in letzter Zeit Dr. Norden immer häufiger in der Praxis aufsuchte, wunderte es ihn, als Peter sagte: »Der weiß auch nicht mehr als andere Ärzte.«

»Er ist einer der besten Ärzte, die ich kenne«, sagte Ralph. »Hast du vergessen, wie genau er Papas Krankheit geholfen hat?«

»Schon gut, schon gut, ich bin aber nicht krank. Mich macht der Föhn müde.«

»Wir haben schon seit Wochen keinen mehr gehabt«, sagte Ralph. »Aber vielleicht ist es der dauernde Regen, der dich trübsinnig stimmt, da wir eigentlich Schnee haben sollten. In vierzehn Tagen starten wir nach Vevier.«

»Ohne Stefanie«, sagte Peter leise. »Sie kriegt doch jetzt nicht gleich Urlaub, da sie erst ein paar Wochen bei diesem Professor ist.«

»Es wird auch andere nette weibliche Unterhaltung geben«, sagte Ralph, um ihn von Stefanie abzulenken.

»Für mich nicht. Wir sollten uns einigen, Ralph. Ich möchte Stefanie heiraten. Vielleicht macht es mich krank, weil ich Angst habe, daß du sie mir wegschnappen könntest.«

»Die Entscheidung muß man schon ihr überlassen«, sagte Ralph. »Sei nicht kindisch, Peter. Vielleicht entscheidet sie sich für einen ganz anderen Mann.«

Er sagte es gegen seine innere Einstellung. Er konnte sich nicht vorstellen, Stefanie zu verlieren. Er gönnte sie keinem anderen Mann, auch nicht Peter. Der war früher immer viel leichtlebiger und flirtfreudiger gewesen als er. Er hatte gehofft, daß ihm eines Tages ein lebenslustigeres Mädchen über den Weg laufen würde, als es Stefanie war.

Nun wurde ihm ganz eigenartig, da Peter vom Heiraten sprach.

Er hatte sich immer für Peter verantwortlich gefühlt. Diese Verantwortung war ihm von seinem Vater aufgebürdet worden, der wohl erkannt hatte, daß Peter nicht zusammenhalten konnte, was er geschaffen hatte.

Ihre Mutter hatte an Peter mehr gehangen als an ihm. Sie war ein Jahr nach dem Vater gestorben, da sie den Halt ihres Lebens verloren hatte. Sie war immer eine schwache, zarte Frau gewesen, die ständig kränkelte, schon seit Peters Geburt, und jeden, der sie kannte, hatte es erstaunt, daß sie überhaupt noch so lange gelebt hatte.

Peter war keineswegs ein zartes Kind gewesen. Er war ein richtiger kleiner Brocken, viel lebhafter als Ralph, im Sport, welcher Art auch immer, bedeutend besser als dieser. Er hatte einen ungeheuren Ehrgeiz, immer zu siegen. Aber als der Vater starb und die Mutter nur noch dahinsiechte, änderte sich das schlagartig.

Beim Tennisspielen ermüdetete Peter rasch, beim Skifahren riskierte er nichts mehr. Rallyes fuhr er überhaupt nicht mehr, und das Schwimmen, in dem er mehrere Meisterschaften errungen hatte, genoß er nur noch vergnüglich. Erst seit sie Stefanie kennengelernt hatten, wollte er wieder fit sein, aber das blieb ein vergebliches Bemühen, und Ralph glaubte, daß es ihn kränkte, sich nicht wenigstens auf sportlichem Gebiet produzieren zu können.

Ja, Ralph dachte über seinen Bruder nach, als der Chauffeur Henry, ein netter junger Franzose, ihn heimgefahren hatte. Ihm war heute auch erstmals so richtig aufgefallen, daß Peter überschlank geworden war.

Er selbst war von kräftiger Statur, sehr groß, breitschultrig, vielleicht sogar ein bißchen zu gewichtig für sein Alter.

Er hatte ein breites, flächiges Gesicht, rostbraunes Haar, hellgraue Augen, einen breiten, aber schmallippigen Mund, eine gerade, ziemlich lange Nase und ein

energisches Kinn.

Peter hatte dunkles Haar, braune Augen, eine romantische Nase, einen hübschen, weichen Mund. Er glich seiner Mutter, Ralph seinem Vater. Die ungleichen Brüder wurden sie auch in ihrem Bekanntenkreis genannt. Peter war sehr beliebt, Ralph bezeugte man Respekt. Aber wehe, wenn jemand etwas gegen Ralph sagte, dann konnte Peter fuchsteufelswild werden, und Ralph hätte es niemals geduldet, daß man Peter einen Schwächling oder gar Nichtstuer nannte.

Der einzige Mensch, der jemals zwischen ihnen stand, war Stefanie, doch keiner sagte es dem andern, wenn solche Gedanken in ihnen aufkamen.

Ralph konnte sich an diesem Nachmittag überhaupt nicht auf seine Arbeit konzentrieren. Den Kopf in die Hände gestützt, saß er an seinem Schreibtisch und rang mir sich.

Peter ist schwächer als ich, dachte er. Er würde es nicht verkraften, wenn Stefanie mir den Vorzug geben würde. Aber kann ich es verkraften? Kann ich zuschauen? Er befand sich wirklich im größten Zwiespalt seines Lebens.

So erging es auch Stefanie. Und als Dr. Norden gegangen war, saß auch sie da und starrte vor sich hin.

Professor Weissenberger kam zu ihr ins Zimmer. »Na, was ist denn, Stefanie?« fragte er verwundert.

Sie schrak zusammen, stand auf und blickte in seine gütigen Augen.

Sie schluckte dreimal, dann sagte sie: »Es tut mir leid, Herr Professor, das Diktiergerät war nicht abgestellt. Ich habe manches gehört«, sagte sie leise.

»Das macht doch nichts. Ich hätte doch mit Ihnen gesprochen. Dr. Norden wollte wirklich nur Diskretion wahren.«

»Ich kenne Peter Reinhold«, sagte sie gepreßt.

Seine schweren Lider senkten sich. »Dann war es ein Schock für Sie, Stefanie.«

»Ja, es war ein schwerer Schock«, sagte sie leise.

»Sie dürfen nichts verlauten lassen, daß Sie es wissen. Dr. Norden ist äußerst korrekt. Ein vorzüglicher Arzt, wie es nur wenige gibt.«

»Ich werde schweigen«, flüsterte sie. »Das ist selbstverständlich. Aber ich würde gern alles erfahren über seinen Zustand. Ich schwöre Ihnen, daß ich kein Wort sagen werde.«

»Ich werde diesen jungen Mann untersuchen, Stefanie. Weiß er, daß Sie bei mir beschäftigt sind?«

Sie nickte zustimmend. »Ich bin mit den Brüdern Reinhold seit einem Jahr befreundet.«

»Es ist gut, daß ich das weiß. Wir wollen diesen jungen Mann nicht verwirren. Wie ist sein Bruder?«

»Groß, stark, mächtig, klug.«

»Und hat er Gefühl?«

»Ja, aber er zeigt es nicht. Er hat früh eine große Verantwortung übernehmen müssen.«

»Würden Sie mir erzählen, wie Sie diese Brüder kennengelernt haben?«

»Ja, gern. Ich werde Ihnen alles sagen. Ich möchte so sehr hoffen, daß Peter geholfen werden kann.«

»Haben Sie heute abend Zeit?«

Bevor Stefanie antworten konnte, läutete das Telefon. Sie nahm den Hörer auf.

»Entschuldige, Stefanie, daß ich dich anrufe«, tönte Ralphs Stimme an ihr Ohr, »aber ich wollte dich fragen, ob es dir recht wäre, wenn wir den Abend bei uns verbringen. Peter scheint es nicht gutzugehen.«

»Okay, ich komme«, erwiderte sie etwas zu hastig. »Bis dann, Ralph.«

Sie legte langsam den Hörer auf und blickte Professor Weissenberger an.

»Das war Ralph Reinhold. Er hat mich noch nie hier angerufen. Wir waren für heute abend verabredet. Peter geht es nicht gut, hat er gesagt, aber ich bin überzeugt, daß er nicht die geringste Ahnung hat, was ihm fehlt. Was kann ich denn nur für Peter tun, Herr Professor?« fragte sie bedrückt.

»Seien Sie nett zu ihm, Stefanie, so nett, wie es Ihnen möglich ist. Mehr kann ich nicht sagen.«

»Darf ich mich auch mit der Anamnese befassen?« fragte sie.

»Erst erzählen Sie mir von Ihren beiden Freunden, wenn das nicht zu indiskret ist.«

»Indiskret überhaupt nicht. Eigentlich war ich ganz froh, daß es zwei waren, weil ich mich nicht entscheiden und schon gar nicht binden wollte. Es sind zwei sehr ungleiche Brüder. Es war sehr interessant für mich, denn man kann da seine Studien machen. Ich gehöre nicht zu den Frauen, die sich Hals über Kopf verlieben und blindlings in ihr Unglück tappen.«

»Es könnte auch das Glück sein«, sagte Professor Weissenberger.

»Vielleicht bin ich dazu nicht geschaffen. Meine Kindheit war nicht gerade sonnig. Meine Eltern ließen sich scheiden. Ich pendelte zwischen Vater und Mutter hin und her, und bei keinem fühlte ich mich wohl. Mein Vater beklagte sich über meine Mutter, meine Mutter über meinen Vater. Wer nun eigentlich recht hatte, wußte ich nie. Wahrscheinlich wollten sie beide mir noch vormachen, daß jeder das Beste für mich wollte. Dann heirateten sie beide wieder. Sie haben mein Studium bezahlt. Ich war froh, als ich ihre finanzielle Hilfe nicht mehr in Anspruch nehmen mußte, denn andere bekam ich ohnehin nicht. Da faßte ich den Entschluß, niemals ein Kind in die Welt zu setzen. Man hat es verflixt schwer, seinen Weg zu finden in solch einem Fall.

Mit der Zeit konnte ich mir auch einiges leisten. Ich bin gern in den Bergen, im Sommer und auch im Winter. Sie setzen einem Grenzen, machen einem bewußt, daß man über manche Hindernisse nur mit äußerster Ausdauer hinwegkommen kann.

Gesellschaft habe ich eigentlich nie gesucht. Aber dann lernte ich Ralph und Peter kennen. Wir stellten fest, daß wir alle in München daheim sind, daß wir unsere Stadt lieben und auch gemeinsame Interessen haben. Sie waren richtig urig und kehrten ihr Geld nicht heraus. Es hat ziemlich lange gedauert, bis ich herausbekam, daß sie so reich sind. Sie brauchen nicht zu denken, daß mir das imponierte. Ich fand es nett, daß sie sich nicht so aufspielten.«

»Darin sind sie sich also gleich«, warf Professor Weissenberger ein.

»Ja, darin sind sie sich sehr ähnlich. In letzter Zeit habe ich jedoch feststellen müssen, daß Peter sehr großzügig mit dem Geld umgeht.«

»Ein psychologischer Affekt dieser Krankheit«, sagte Professor Weissenberger. »Wie reagiert der Bruder?«

»Überhaupt nicht. Er ist sehr nachsichtig mit seinem Bruder. Der ist halt der Kleine.«

»Erzählen Sie weiter, Stefanie«, bat Professor Weissenberger, als sie in Schweigen versank. »Das ist höchst interessant für mich. Es ist ja auch nicht ganz einfach für ein sehr attraktives Mädchen, zwei Männer gleichzeitig im Zaum zu halten.«

Stefanie stieg das Blut in die Wangen. »Es ist verflixt schwierig«, gestand sie ein, »aber diese Freundschaft bedeutet mir viel.«

»Aber Sie würden sich doch für den Stärkeren entscheiden, für Ralph Reinhold«, sagte der Professor sinnend.

»Darüber möchte ich jetzt nicht sprechen. Man muß Peter helfen, er ist krank. Er ist ein lieber Junge. Er könnte nie gemein sein.«

»Ralph eher?« fragte er.

»Dazu ist er zu stolz. Er würde sich zurückziehen. Er hat ja auch seine Arbeit.«

»Immerhin kommen Sie da in eine verzwickte Situation, Stefanie«, sagte er nachdenklich. »Es ist nicht so leicht, einen kranken Menschen zu täuschen. Vielleicht sollte man zu einem gewissen Zeitpunkt den Bruder aufklären.«

»Ralph hängt sehr an Peter«, sagte Stefanie deprimiert. »Entschuldigen Sie bitte, aber mir geht das sehr nahe.«

Er spürte, daß sie jetzt allein sein wollte. »Wir werden uns noch mit der Anamnese beschäftigen, wenn ich Herrn Reinhold untersucht habe«, sagte er. »Jetzt versuchen Sie abzuschalten, Stefanie.«

Das aber konnte sie nicht, und er wußte es. Stefanie war kein oberflächliches Mädchen, und sie wußte über diese Krankheit zu gut Bescheid, um sich nicht einzureden, daß es gar so schlimm nicht sein müsse.

Stefanie fuhr nach Hause, Professor Weissenberger beschäftigte sich mit Dr. Nordens Untersuchungsergebnissen. Erst seit einem Jahr war Peter Reinhold bei Dr. Norden in Behandlung. Immerhin konnte man daraus schließen, daß es sich bei ihm um die schleichend verlaufende chronische Form der Krankheit handelte. Aber wann hatte sie begonnen? Wie lange konnte die Lebensdauer noch sein? Drei, vier Jahre oder gar zehn? Aber war das ein Leben, das möglicherweise durch Bestrahlungen zu verlängern war? Dann konnte man ihn nicht mehr täuschen, dann mußte er mit dieser Krankheit leben und leiden, und die, die ihm nahestanden, würden mitleiden.

Er wußte, wie schwer das war, er hatte es selbst durchlebt. Es war für ihn entsetzlich gewesen, seiner Frau und seinem Kind nicht helfen zu können, da man in manchen Fällen der perniziösen Anämie doch mit Leberextrakten helfen konnte. In diesen beiden Fällen hatten sie versagt. Er rätselte heute noch darüber nach, warum das Knochenmark jegliche blutbildende Tätigkeit versagt hatte. Er hatte sein Leben den Kranken geweiht, der Forschung, da er Glück nicht mehr empfinden konnte. Es schmerzte ihn, daß nun auch die junge lebensfrohe Stefanie so direkt mit diesem Leid konfrontiert wurde.

*

Daniel Norden kam pünktlich nach Hause, aber verständlicherweise nicht gerade frohgestimmt. Fee hatte dafür Verständnis. Sie hoffte, daß ihn das Konzert auf andere Gedanken bringen würde. Sie waren schon lange in keinem Sinfoniekonzert mehr gewesen. Schandbar wäre das, hatte Katja gesagt, da sie doch einen berühmten Pianisten, der sich auch als Dirigent bereits Lorbeeren verdient hatte, zur Familie zählten.

Katja und David Delorme waren nun auch schon drei Jahre verheiratet, und mancher Befürchtung zum Trotz, war ihre Ehe überaus glücklich, obgleich David sehr umschwärmt wurde. Katja, zuerst sehr eifersüchtig, hatte sich daran gewöhnt. Sie wußte jetzt, wie sehr David sich nach der häuslichen Ruhe sehnte, wenn er wieder mal eine Tournee oder auch nur ein Konzert hinter sich gebracht hatte.

Für die, die es nicht anders wußten, galten Fee und Katja als echte Schwestern. Sie waren es erst geworden, als Anne, Katjas Mutter, Dr. Cornelius geheiratet hatte, aber das Wort Stiefschwester war für beide aus dem Wortschatz total gestrichen. Eine tiefe Zuneigung

verband sie, in der keinerlei Eifersucht aufkommen konnte.

David, der gebürtige Engländer, hatte hier eine neue Heimat gefunden, eine Familie, der er sich ganz zugehörig fühlen konnte und die ihn für seine armselige, lieblose Kindheit entschädigte.

Er hatte Mäzene gefunden, die sein großes Talent gefördert hatten, seine Karriere vollzog sich in einem komentenhaften Aufstieg. Aber er wurde nicht eitel und überheblich wie so mancher. Er arbeitete ständig an sich. Er jagte dem Ruhm auch nicht nach. Er war nur bemüht, ihm gerecht zu werden, und seit er die Professur in München bekommen hatte, war er sehr wählerisch, bevor er ein Engagement annahm, denn die Familie sollte nicht zu kurz kommen.

Aber wen von dieser Familie und von seinen vielen Bewunderern hätte es nicht gefreut, daß auch dieses Konzert wieder zu einem großartigen Erfolg wurde. Noch jung an Jahren, zeigte David in seinem Spiel eine Reife, die andächtig stimmte. Auch Daniel vergaß alles um sich her. Er ließ sich mitreißen und emportragen. Er vergaß alles, was ihn beschwert hatte.

Stefanie konnte das nicht. Für sie sollte dieser Abend einen dramatischen Verlauf nehmen. Sie war nicht zum ersten Mal in diesem schönen Haus, das die Reinholds schon in der dritten Generation bewohnten. Es war zwar den modernen Ansprüchen angepaßt worden, aber doch so dezent und mit künstlerischem Sinn, daß die Atmo-sphäre nicht verlorengegangen war.

Ralph kam ihr entgegen und begrüßte sie herzlich. »Peter hat sich hingelegt, weil er sich anscheinend nicht ganz wohl fühlte«, erklärte er. »Er schläft noch immer. Ich wollte ihn nicht wecken.«

Stefanie nahm sich zusammen, aber es fiel ihr doch schwer, ihrer Stimme einen ruhigen Klang zu geben, als sie sagte: »Es kursiert wieder mal eine Grippe. Hoffentlich hat es Peter nicht zu arg erwischt.«

»Er ist manchmal einfach schlapp«, sagte Ralph. »Vielleicht hat er Vitaminmangel oder so was.«

Sollte sie es ihm verübeln, daß er so leicht dahinredete? Er war völlig arglos. Er strotzte vor Gesundheit, und ihm mochte es unbegreiflich sein, daß Peter Schwäche zeigte. Wie würde er reagieren, wenn sie ihm jetzt sagte, welchen Grund das hatte? Sie konnte es nicht. Sie hätte es nicht über die Lippen gebracht. Sie hatte ihr Wort gegeben.

Und dann stand Peter plötzlich in der Tür, blaß, erregt und so aggressiv, wie Stefanie ihn noch nie erlebt hatte.

»Warum hast du mich nicht geweckt, Ralph?« stieß er hervor. »Du wolltest wohl den Abend mit Stefanie allein verbringen? Ist das die feine Tour, mich auszubooten?«

»Peter«, sagte Ralph beschwichtigend. »Ich dachte, du könntest krank sein.«

»Ich bin nicht krank«, ereiferte sich Peter. »Ich bin eingeschlafen. Das blöde Wetter ist dran schuld, oder gar diese Tabletten, die mir Dr. Norden verschrieben hat.«

»Du warst bei Dr. Norden?« fragte Ralph.

»Ja, ich war bei ihm«, brauste Peter auf. »Aber er kann auch nur Rezepte ausstellen.« Er machte eine Pause, und die anderen sagten auch nichts. »Ich habe Hunger«, erklärte er dann. »Gehen wir zum Weinbauern.«

»Ich habe alles herrichten lassen. Wir wollten doch den Abend hier verbringen«, sagte Ralph betont ruhig, aber Stefanie nahm den grollenden Unterton wahr.

»Ich habe nicht viel Hunger«, sagte sie leise. »Es war ein ziemlich anstrengender Tag.«

»Fühlst du dich auch nicht wohl, Stefanie?« fragte Peter, und das klang sogar hoffnungsvoll.

»Nein, so ganz wohl fühle ich mich auch nicht«, erwiderte sie ablenkend. Es entsprach allerdings nur ihrer seelischen Verfassung.

»Du solltest dich schonen, Stefanie«, sagte Peter sogleich besorgt. »Du scheinst ziemlich ausgenützt zu werden in dieser neuen Stellung.«

»O nein, nicht im geringsten. Es ist interessant, mit Professor Weissenberger zu arbeiten.«

»Womit beschäftigt er sich?« fragte Peter, erstmalig solches Interesse zeigend.

»Überwiegend mit der Erforschung unbekannter Krankheitssymptome«, erwiderte Stefanie vorsichtig.

»Was gibt es denn da für welche?« erkundigte sich Peter beiläufig.

»Ziemlich viele, deren Ursache man erst finden muß, um helfen zu können.«

Peter trank einen Schluck Wasser. »Dann soll er mal meine Müdigkeit erforschen«, sagte er mit einem Seufzer, der allerdings von einem Lächeln begleitet war, wenn auch von einem etwas gequälten. »Wieviel verstehst du davon?«

»Vielleicht brauchst du nur eine Luftveränderung«, sagte sie.

»Wir fahren ja in vierzehn Tagen«, warf Ralph ein.

»Wenn Stefanie nicht mitkommen kann, macht es mir keinen Spaß«, sagte Peter mürrisch. »Du kannst allein fahren, Ralph.«

Der wartete auf Stefanies Widerspruch, doch solcher blieb aus, und seine Miene verdüsterte sich. Dafür glomm in Peters Augen ein triumphierendes Leuchten auf. Er geriet plötzlich in eine fast euphorische Stimmung, aber es verging keine Viertelstunde, dann stand er auf und ging mit einer gemurmelten Entschuldigung hinaus.

»Merkst du nicht, daß er es darauf anlegt, dein Mitgefühl zu erregen, Stefanie?« fragte Ralph ungehalten.

»Er hat vielleicht nur ein Stimmungstief«, sagte sie ausweichend.

»Ich möchte dich einmal allein sprechen, Stefanie«, sagte Ralph nun drängend.

»Ich möchte nicht, daß unsere Freundschaft irgendwie gestört wird«, erwiderte sie rasch.

»Aber wenn Peter hierbleibt, dann wirst du ihm keinen Korb geben, wenn er mit dir zusammensein will.«

Bevor sie etwas sagen konnte, war Peter schon wieder zurück. »Entschuldigung«, sagte er, »mir wurde plötzlich so heiß.«

»Du hast Fieber«, stellte Stefanie fest. »Es ist besser, wenn wir unser Beisammensein nicht ausdehnen. Ich fühle mich auch nicht wohl. Ruf doch lieber Dr. Norden an, Ralph.«

»Nein, ich brauche ihn nicht«, widersprach Peter. »Es tut mir leid, daß ich heute ein richtiger Störenfried bin, aber man ist nicht immer in Form.«

Hoffentlich sagt Ralph jetzt nicht etwas Unpassendes, dachte Stefanie, aber Ralph schwieg.

»Ich wünsche dir gute Besserung, Peter«, sagte sie. »Wir werden uns ja noch sehen, bevor ihr in Urlaub fahrt.«

»Aber das steht doch fest«, sagte Peter stockend. »Es tut mir so leid, daß ich so mies beieinander bin.«

»Ich möchte nicht, daß du allein heimfährst, wenn du dich auch nicht wohl fühlst, Stefanie«, sagte Ralph.

»So schlimm ist es bei mir nicht. Hoffentlich erwischt dich die Grippe nicht auch noch, Ralph.«

Ihm gelang es nicht, ein paar Worte mit ihr allein zu wechseln, denn Peter blieb bei ihnen, bis Stefanie gegangen war. Und dann brauste er auf.

»Du wirst sie mir nicht wegnehmen, Ralph. Entweder ich bekomme sie oder keiner von uns beiden«, sagte er drohend. Zum Glück hörte das Stefanie nicht mehr.

Ralph blieb ruhig. »Du hast Fieber, Peter. Geh wieder zu Bett.«

»Du machst mich krank«, zischte der Bruder. »Du willst unbedingt, daß ich mit dir fahre, aber ich fahre nicht mit. Und du wirst es nicht verhindern können, wenn ich Stefanie treffe.«

»Es ist ihre Entscheidung«, sagte Ralph ruhig. »Ich finde dein Benehmen, bei allem Wohlwollen, reichlich albern.«

Er schnippte mit den Fingern. »Gute Besserung, Peter.« Dann zog er sich in sein Zimmer zurück.

Es hätte ihn wohl doch erschreckt, hätte er gesehen, wie mühsam sich Peter nun in sein Zimmer schleppte, so, als wäre er betrunken, aber er hatte ja keinen Schluck Alkohol zu sich genommen.

Ralph wartete eine halbe Stunde, dann wählte er Stefanies Nummer, doch es kam das Besetztzeichen. Peter konnte nicht mit ihr telefonieren. Mit wem sprach sie dann? Eifersucht brannte in ihm, denn jetzt wurde es ihm erst recht bewußt, wie eigenartig ihr Benehmen gewesen war, ganz anders als sonst. Gab es schon einen anderen Mann in ihrem Leben? War es gar der Professor, mit dem sie arbeitete?

*

Mit dem telefonierte Stefanie allerdings, aber nicht er hatte sie, sondern sie hatte ihn angerufen, um ihm zu berichten, was ihr an Peter aufgefallen war. Sie mußte einfach mit jemandem darüber sprechen, wenn es auch schon spät war. Daran hatte sie zuerst gar nicht gedacht, aber Professor Weissenberger nahm es ihr nicht übel. Wann konnte er denn schon mal früh einschlafen? Bis tief in die Nacht hinein grübelte er immer über die mageren Erkenntnisse nach, die er in all den Jahren gesammelt hatte. Er jedenfalls betrachtete sie als mager, obgleich sie für andere schon wegweisend waren. Er behielt sein Wissen nicht für sich. Er war nicht darauf erpicht, Ehren einzuheimsen, wenn er einen Schritt weitergekommen war. Ihm bedeutete es viel, wenn es ein paar Kollegen gab, die sich für sein Bemühen interessierten.

Er notierte sich alles, was Stefanie ihm sagte. Einen Kommentar gab er nicht dazu, denn erst wollte er Peter selbst kennenlernen.

Stefanie hatte kaum den Hörer aufgelegt, als das Telefon wieder läutete. Sie dachte, es wäre Peter, aber es war Ralphs Stimme, die an ihr Ohr tönte.

»Sei nicht böse, Steffi, daß ich so spät noch anrufe, aber deine Leitung war besetzt«, sagte er.

»Ja, ich habe telefoniert«, erwiderte sie.

Es wäre unpassend gewesen, sie zu fragen, mit wem sie telefoniert hatte. Sie hätte es ihm auch nicht gesagt.

»Ich muß unbedingt mit dir allein sprechen, Stefanie«, sagte Ralph bittend. »Peters Benehmen ist mehr als eigenartig, findest du nicht?«

Ob er sich auch ernsthaft Gedanken macht, fragte sich Stefanie. Aber am Telefon wollte sie dies nicht erörtern.

»Gut, morgen in der Mittagspause«, schlug sie vor, »wenn es dir paßt. Bei uns in der Nähe ist ein kleines Lokal. Klosterstüberl heißt es. Da esse ich.«

»Wann?« fragte er.

»Zwölf Uhr, aber mehr als eine Stunde habe ich nicht Zeit.«

»Ich bin pünktlich«, erwiderte er. »Danke, Stefanie, und jetzt wünsche ich dir eine gute Nacht.«

Ein frommer Wunsch war das. Sie konnte keine Ruhe finden. Sie wanderte in ihrer hübschen kleinen Wohnung hin und her, und endlich griff sie zu einer Beruhigungstablette. Es war die letzte von jenen, die ihr verschrieben worden waren, als sie vor drei Monaten Ärger mit ihrem früheren Chef bekommen hatte. Es waren ganz persönliche Differenzen gewesen. Er wollte sich ihretwegen scheiden lassen, obgleich sie ihm niemals Hoffnungen gemacht hatte. Er drohte, sich umzubringen, wenn sie ihn nicht erhören würde. Und dann hatte seine Frau einen Selbstmordversuch unternommen. Es war eine schlimme Zeit für sie gewesen, aber sie hatte mit niemandem darüber gesprochen, auch nicht mit Ralph und Peter. Sie hatte gekündigt, dann aber sehr schnell die Stellung bei Professor Weissenberger gefunden.

An diesem Abend kam Stefanie zu der Überzeugung, daß Männer ihr nur Unglück brächten.

*

Ausnahmsweise waren die Nordens und die Delormes an diesem Abend nicht gleich heimgefahren, wie es eigentlich vorgesehen war. Sie hatten sich im Foyer getroffen, aber dort wurden sie schon von einem jungen Paar erwartet.

David bemerkte es erst, als sein Name gerufen wurde. Die Überraschung war perfekt. Er erkannte in dem Mann einen Studienfreund, den ebenfalls sehr begabten Geiger Christopher Bentham. Die Frau an seiner Seite war eine auffallende Schönheit, aber von so mädchenhaftem Liebreiz, daß sie sofort Sympathie gewinnen mußte.

David und Christopher hatten sich herzlich begrüßt. Man machte sich bekannt. Christophers junge Frau Va-nessa blickte Daniel forschend an, als David erklärte, daß sein Schwager Arzt sei. Ihr zartes Gesicht belebte sich.

»Oh, Christopher, vielleicht kann Dr. Norden uns behilflich sein, einen Spezialisten zu finden«, sagte sie leise.

»Was für einen Spezialisten?« fragte David.

»Mit ein paar Worten ist das nicht zu erklären«, sagte Christopher. »Und fast habe ich die Hoffnung auch schon aufgegeben. Aber…«

Seine Frau unterbrach ihn. »Aber vielleicht dürfen wir Sie zu einem Drink einladen. Wir würden uns sehr freuen.«

»Ein Glas Wein könnte nicht schaden, aber vorher eine große Flasche Wasser«, sagte David. »Ich habe höllischen Durst. Die Luft war so trocken im Saal. Mir kam es auch so vor, als hätten die Töne nicht richtig angesprochen.«

»Du hast wundervoll gespielt, David«, sagte Christopher. »Dir ist das Glück treu geblieben.«

Eigentlich gaben diese Worte den Ausschlag, daß auch Daniel und Fee sich zu dem Umtrunk bereit fanden, und Daniel wie auch Fee war es inzwischen aufgefallen, daß Christopher Bentham seinen linken Arm nur mühsam bewegte.

Sie gingen zu einem Weinlokal. David Delorme war immerhin so bekannt, daß man sich schnellstens bemühte, in einem kleinen Nebenraum einen Tisch für die drei Paare zu decken, und hier sollten sie auch ganz ungestört bleiben.

David hatte seinen Studienfreund nicht so genau beobachtet wie Daniel Norden.

»Wo bist du eigentlich abgeblieben, Christopher?« fragte er. »Warum hört man nichts von dir?«

»Ich kann nicht mehr spielen«, erwiderte der andere leise. »Schon seit einem Jahr nicht mehr.«

»Christopher hatte einen Unfall«, warf Vanessa ein. »Aber irgendwo muß es doch einen Arzt geben, der ihm helfen kann.«

Ein paar Sekunden herrschte betretenes Schweigen.

»Was war das für ein Unfall?« fragte Fee dann. Bloß nicht schon wieder eine von diesen unheilbaren Krankheiten, hatte Daniel unwillkürlich gedacht, denn für diesen Abend wünschte er sich wirklich einen erfreulicheren Abschluß. Aber ihm schien es tatsächlich bestimmt zu sein, immer und überall mit Krankheiten konfrontiert zu werden.

Krank sah Christopher allerdings nicht aus, er wirkte nur ein bißchen sehr melancholisch, und seine kleine Frau schien sehr bemüht zu sein, ihm darüber hinwegzuhelfen.

»Es war ein ganz dummer Unfall«, sagte Christopher sarkastisch. »So was kann auch nur mir passieren.«

»Das kann jedem passieren«, warf Vanessa nachsichtig ein. »Wir verbrachten den Urlaub bei meinen Eltern in Florida, und ausgerechnet am letzten Tag glitt Christopher aus, als er aus dem Swimming-pool stieg, und fiel auf den Arm.«

»Ich wollte mich noch abstützen und habe das sehr ungeschickt angefangen«, bemerkte er. »Der Ellenbogen und der rechte Daumen wurden gestaucht.«

Florida, Swimming-pool, dachte Daniel unwillkürlich, sie scheint aus gutem Hause zu kommen. Nun, man sah es ihr an, ihrem feinen Gesicht, ihrem dezenten Benehmen, der damenhaften Eleganz.

»Leider hat sich Christopher nach der Behandlung nicht geschont«, sagte Vanessa sanft und ohne vorwurfsvollen Ton.

»Du weißt genau, warum, Liebling«, sagte er rasch.

»Und was ist nun mit dem Arm?« fragte Daniel, der seine Verlegenheit bemerkte.

»Jede Bewegung schmerzt«, sagte Christopher. »Ich kann ihn kaum noch heben. Ich werde mir einen anderen Beruf suchen müssen, wenn nicht bald etwas geschieht.« Er sah David an. »Du hast mir mal von der Insel der Hoffnung erzählt, Dave, und das ist der eigentliche Grund unseres Hierseins.«

David zwang sich zu einem Lächeln. »Bitte, Daniel ist der Mitbesitzer des Sanatoriums. Du kannst direkt mit ihm sprechen.«

»Sagtest du nicht, daß dein Schwiegervater das Sanatorium leitet?« fragte Christopher überrascht.

»So ist es, aber über unsere etwas verzwickten Familienverhältnisse reden wir nicht gern so nebenbei.«

»Was aber nicht besagt, daß die verzwickten Verhältnisse konfliktreich wären«, warf Fee lächelnd ein. »Dr. Cornelius ist mein Vater, seine Frau Anne ist Katjas Mutter. Außerdem war mein Vater der beste Freund von Daniels Vater. Ich bin im bereits fortgeschrittenen Alter zu einer reizenden Schwester gekommen und zu einem berühmten Schwager.«

»Und wir können uns glücklich schätzen, die besten Ärzte in der Familie zu haben«, gab Daniel seinen Kommentar dazu. Der Ton hatte sich gelockert. Man lächelte nicht mehr so gezwungen.

»Ich würde vorschlagen, daß Dieter den Arm erst einmal röntgt«, sagte Daniel. »Dr. Behnisch ist ein guter Freund von mir, der sehr viel von der Behandlung von Unfallfolgen versteht. Er ist Chrirurg.«

Christophers Gesicht verdüsterte sich wieder. »Eine Operation kommt nicht in Frage«, sagte er störrisch. »Da wird es nur noch schlimmer. Kannst du dich noch an Levell erinnern, Dave?«

»Aber gewiß.«

»Er hatte einen anscheinend einfachen Beinbruch. Jetzt hat er ein künstliches Hüftgelenk bekommen und ist fast steif. Er kann nicht mehr dirigieren.«

David war bestürzt. »Ich habe nur gehört, daß er sich ins Privatleben zurückgezogen hätte.«

»Was blieb ihm übrig? Zum Glück ist er ja vermögend, aber ich möchte nicht auf Kosten meiner gutsituierten Schwiegereltern leben.«

»Du sollst nicht so denken, Christopher«, sagte Vanessa. »Sie wollen dir gern helfen.«

»Aber du kennst meine Einstellung«, sagte er heftig.

Also auch eine psychische Belastung, dachte Daniel. Er wollte jetzt keine Fragen nach den persönlichen Verhältnissen stellen. Da würde David wohl doch manches wissen. Er wollte Christopher die Angst vor einer Operation nehmen. »Röntgen bedeutet nicht operieren«, meinte er. »Aber die Insel der Hoffnung ist ein Sanatorium, kein Krankenhaus. Eine Röntgenabteilung gibt es dort nicht. Wir können uns darüber noch eingehend unterhalten, wenn Sie sich entschließen, meinem Rat zu folgen.«

»Das werden wir tun«, sagte Vanessa rasch. »Wir werden nichts unversucht lassen.«

Sie verabschiedeten sich für den nächsten Nachmittag. Daniel und Fee, David und Katja fuhren gemeinsam heim, und auf der Fahrt erzählte David von Christopher, der ähnlich wie er aus bescheidenen Verhältnissen stammte.

Sie hatten sich auf dem Konservatorium kennengelernt, und da beide vom gleichen Ehrgeiz beflügelt waren, schnell voranzukommen, hatten sie sich auch bestens verstanden.

»Vanessas Vater besitzt eine Maschinenfabrik, und er hätte es wohl lieber gesehen, wenn sie einen Mann geheiratet hätte, der seine Nachfolge übernehmen könnte, da sie das einzige Kind ist. Aber sie hat ihren Willen durchgesetzt. Gerade deshalb will sich wohl Christopher nicht von den Schwiegereltern abhängig machen. Ich kann das gut verstehen.«

»Es muß schrecklich für ihn sein, daß er dieses Handicap hat«, meinte Katja.

»Eine schwere seelische Belastung, die Verkrampfungen hervorruft«, stellte Daniel fest. »Wie oft erleben wir es, daß ein seelisches Tief den Heilungsprozeß verzögert. Wollen wir doch mal sehen, ob dem guten Christopher nicht zu helfen ist.«

Für ihn war dies jedenfalls kein aussichtsloser Fall wie Peter Reinhold, und das stimmte ihn zuversichtlich.

*

Stefanie war in dieser Nacht von schweren Träumen geplagt worden. Aber pünktlich wie immer war sie auch am Morgen des neuen Tages im Institut.

Professor Weissenberger hielt Vorlesungen, und sie beschäftigte sich mit Peters Anamnese. Was Dr. Norden bisher festgestellt hatte, war allerdings besorgniserregend. Der Wert der weißen Blutkörperchen war erschreckend angestiegen und sie wußte sehr gut, daß es kein Mittel gab, diese Entwicklung zu bremsen. Demzufolge wucherten auch die Gewebe, die diese weißen Blutkörperchen erzeugten, die Milz und die Lymphknoten. Blässe, Appetitlosigkeit, häufig auftretendes Fieber waren die Begleiterscheinungen.

Auch Professor Weissenberger würde nichts anderes feststellen können. Ein Frösteln kroch durch ihren Körper bei dem Gedanken, daß es keine Hilfe für Peter gab und man ihm nur noch damit helfen konnte, daß man ihm seine verbleibende Lebensdauer so angenehm wie nur möglich machte.

Sie nahm sich vor, mit Ralph zu sprechen. Er mußte mehr Verständnis für seinen Bruder aufbringen. Sie war dazu fest entschlossen, als sie sich im Klosterstüberl mit ihm traf. Sie kamen fast zur gleichen Zeit.

»Wie geht es Peter heute?« erkundigte sie sich.

»Nicht besonders. Ich habe Dr. Norden angerufen. Er wird jetzt wohl bei ihm sein. Ich weiß nicht, was Peter plötzlich gegen ihn hat. Aber ich möchte jetzt mit dir

über uns sprechen, Stefanie.«

Sie zuckte zusammen. Sie ahnte, was kommen würde, aber es geschah etwas anderes. Ein paar neue Gäste kamen, unter ihnen eine sehr elegante, auffällig gekleidete junge Dame, die sich umblickte und dann auf Ralph zugeeilt kam.

»Ralph, mein Schatz!« rief sie ungeniert aus. »Wie schön, dich zu sehen. Ich bin erst seit gestern zurück. Wir haben uns viel zu erzählen.«

Ein herablassender Blick traf Stefanie. »Ach, du bist in Begleitung«, fuhr sie fort, »aber das macht ja eigentlich nichts.«

Sie hatte eine maßlos arrogante Art, sich aufzuspielen. Stefanie nahm Ralphs unwillige Meine nicht zur Kenntnis. Im Augenblick war sie sogar froh über diesen Zwischenfall.

»Darf ich bekannt machen«, sagte Ralph rauh, »Gitta Bartosch, Stefanie Linden.«

»Sollte ich sie kennen?« fragte Gitta ironisch.

»Kaum«, erwiderte Stefanie. »Ich muß ohnehin aufbrechen.«

»Wir hatten einiges zu besprechen, Stefanie«, sagte er heiser.

»Das ist jetzt wohl kaum möglich«, erwiderte sie kühl, und fast hätte sie hinzugefügt, daß er Gitta so schnell doch nicht loswerden würde. Sie unterdrückte jedoch diese Bemerkung.

»Die ist aber schnell eingeschnappt«, stellte Gitta fest, als sich Stefanie rasch entfernte, wobei sie aber Ralph am Arm festhielt, als er Stefanie folgen wollte. Ihre Augen verengten sich. »Doch nicht was Ernstes?« fragte sie anzüglich.

»O doch«, entgegnete er jetzt zornig. »Mußt du dich immer so aufführen, Gitta? Schließlich bist du verheiratet.«

»War ich, mein Bester. Ich bin seit acht Tagen geschieden und wieder zu haben. Ich habe meine Erfahrungen gesammelt, Ralphiboy und…«

»Ich bitte dich wirklich sehr darum, mich nicht mit diesem albernen Namen anzureden«, fiel er ihr hart ins Wort. »Verschwende deine Zeit nicht an mich, Gitta, um es ganz deutlich zu sagen. Mein Herz ist nicht mehr frei.«

Ein häßlicher Zug verzerrte ihr Gesicht. »Wenn es sich um dieses Mädchen handelt, scheinen deine Gefühle nicht erwidert zu werden«, sagte sie gehässig. »Du tust mir leid, Ralph.«

»Dann lassen wir es dabei. Ich muß jetzt auch gehen, und du bist ohnehin in Gesellschaft gekommen.«

Er hatte eine Mordswut auf sie. Endlich hatte sich ihm eine Gelegenheit geboten, einmal mit Stefanie allein zu sein, und nun hatte er diese Chance nicht nutzen können. Es war alles so unklar wie zuvor.

Peters gestriger Gefühlsausbruch hatte ihm klargemacht, daß sie harte Konkurrenten um Stefanies Gunst geworden waren, und er hatte heute nicht in Erfahrung bringen können, wer die größeren Chancen bei Stefanie hatte. Allerdings war es ihm nun ganz bewußt geworden, wie schwer es ihn treffen würde, wenn Peter der Sieger werden würde. Zum ersten Mal in seinem Leben liebte er wahrhaft. Stefanie bedeutete ihm viel mehr, als er sich bisher eingestanden hatte. Sie bedeutete ihm alles.

*

Peter setzte eine abweisende Miene auf, als Dr. Norden kam. Er fühlte sich elend, aber das versetzte ihn in einen noch aggressiveren Zustand. Die Haushälterin Katinka hatte es schon zu spüren bekommen, aber sie war nicht so leicht aus der Ruhe zu bringen. Sie kannte die Brüder Reinhold schon als Buben, und sie empfand für beide wie eine Mutter, die sich auch mit unterschiedlichen Charakteren und auch Launen abfand.

Dr. Norden nahm Peter nichts übel. Auch nicht, daß er sagte: »Nun tun Sie doch endlich mal etwas, damit dieser Zustand nicht anhält.«

»Ich würde vorschlagen, daß Sie sich klinisch untersuchen lassen, Herr Reinhold«, sagte er jetzt freundlich. »Ich bin nicht allwissend, aber selbstverständlich daran interessiert, daß die eigentliche Ursache gefunden wird.«

»Es tut mir leid, wenn ich unhöflich war«, sagte Peter leise, »aber so lange haben diese Fieberanfälle noch nie angehalten.«

»Ich verstehe Sie sehr gut, und ich würde vorschlagen, daß wir doch einige Spezialisten zu Rate ziehen. Bitte, haben Sie dafür Verständnis, daß in der Praxis eines Allgemeinmediziners die Möglichkeiten doch beschränkt sind und bei Ihren kurzen Besuchen eine so genaue Diagnose nicht zu erstellen ist.«

»Wie lange soll ich in der Klinik bleiben?« fragte Peter müde.

»Zwei bis drei Tage zur Beobachtung.«

Peter wandte sein Gesicht zur Wand. »Ich will nicht, daß Stefanie es erfährt«, flüsterte er.

»Es braucht niemand etwas zu erfahren«, erwiderte Dr. Norden, der bei dem Namen Stefanie stutzte. Aber das war kein seltener Name, und er wollte sich darüber jetzt keine Gedanken machen.

Die machte er sich erst dann, als er am Nachmittag eine Unterredung mit Professor Weissenberger hatte.

Jetzt sagte er: »Sie könnten eine Reise vorschützen, Herr Reinhold.«

»Ja, das ist ein guter Gedanke«, erklärte Peter nun lebhafter. »Ich will dieses Unbehagen loswerden. Ich beginne schon, mir manches einzureden. Bitte, haben Sie Verständnis. Ich möchte heiraten.«

Dr. Norden stockte das Blut in den Adern, aber er war es gewohnt, seinen Patienten immer eine zuversichtliche Miene zu zeigen.

»Ich werde mit Dr. Behnisch sprechen. Es wird sicher noch diese Woche möglich sein, daß die Untersuchung stattfinden kann.«

»So schnell wie möglich«, sagte Peter. »Sie gestehen wenigstens ein, wenn Sie nicht mehr weiter wissen.«

Aber was soll man ihm sagen, wie soll man es ihm erklären, daß es nicht mehr besser, sondern immer schlimmer wird, dachte Dr. Norden verzagt. Er konnte jetzt nichts anderes tun, als ihm eine Injektion zu geben, die ihn beruhigte und ihm über die Depressionen hinweghalf. Er konnte nur darauf hoffen, daß diesem so labilen Stadium dann wieder ein optimistischeres folgen würde.

Er rief seinen Freund Dieter Behnisch von zu Hause aus an. In zwei Fällen brauchte er nun seine Hilfe, aber Dieter versagte sie nie, wenn es ihm nur einigermaßen möglich war.

Was Christopher Bentham betraf, war er sofort bereit, ihn schon am Nachmittag zu röntgen. Peter Reinhold sollte dann am Donnerstag in die Klinik kommen, da wurde ein Einzelzimmer frei, das man zwischenzeitlich für zwei Tage belegen konnte. Da Daniel sagte, daß er über diesen Fall noch persönlich mit ihm sprechen müsse, ahnte Dieter Behnisch schon, daß es sich mal wieder um einen sehr schwierigen handelte. Doch darauf mußten sie immer gefaßt sein. Viele hatten sie in freundschaftlicher Zusammenarbeit schon durchgestanden! Oft genug hatten sie auch helfen können, weil sie miteinander und nicht gegeneinander arbeiteten.

Daniel rief Christopher im Hotel an. Der und Vanessa hatten schon mit brennender Ungeduld auf diese Nachricht gewartet.

Fee sah sich um eine ruhige Mittagstunde mit ihrem Mann gebracht, da er nun noch zu Professor Weissenberger fahren wollte. Die Kinder, Danny, Felix und Anneka, waren damit auch nicht einverstanden. Sie schmollten. Sie hatten während der letzten Tage ihren heißgeliebten Papi zu selten zu Gesicht bekommen.

*

Als Professor Weissenberger von der Universität ins Institut zurückgekehrt war, wunderte er sich, daß Stefanie bereits an ihrem Platz saß.

»Was ist mit der Mittagspause?« fragte er erstaunt.

»Ich habe keinen Hunger«, erwiderte sie.

»Reinhold beschäftigt Sie, Stefanie«, stellte er nachdenklich fest.

»Beide Reinholds«, gab sie zu. »Meinen Sie nicht, daß Ralph über Peters Zustand informiert werden müßte?«

Er atmete schwer. »Da steckt man immer in einer Zwickmühe, Stefanie«, sagte er gedankenvoll. »Würden Sie diese Aufgabe denn übernehmen wollen?«

»Ungern.« Sie wollte nicht daran denken, daß sie noch vor einer Stunde dazu entschlossen gewesen war. Gittas Auftritt hatte sie so schockiert, daß sie in einen tiefen Konflikt gestürzt worden war.

»Dr. Norden wird heute zu mir kommen. Sind Sie einverstanden, wenn ich ihm sage, daß Sie die Brüder Reinhold kennen?«

»Ja, gewiß«, erwiderte Stefanie, ohne zu überlegen. »Ich würde sehr gern mit ihm sprechen.«

»Dann ist alles in Ordnung, Stefanie. Ich schätze keine Unklarheiten.« Mit väterlicher Zuneigung ergriff er ihre Hand. »Es ist eine sehr schwierige Situation für Sie.«

»Aber es ist gut, wenn ich die Wahrheit kenne«, erwiderte sie leise. »Ich weiß jetzt, wie ich mich verhalten muß. Ralph kann mehr aushalten als Peter.«

Es war seltsam, wie nahe sie sich durch dieses Geschehen gekommen waren. Die große Achtung, die Stefanie vor Professor Weissenberger hatte, war nun auch in vertrauensvolle Zuneigung umgeschlagen.

»Sie dürfen aber nicht zuviel von Ihrer seelischen Substanz investieren, Stefanie«, sagte er gedankenverloren. »Sie sind jung. Sie sind gesund. Für Sie geht das Leben weiter. Sehen Sie, damals, als wir unser Kind verloren, versuchte ich, meiner Frau zu helfen. Es konnte mir nicht gelingen, weil sie selbst kaum Widerstandkraft aufbrachte. Sie dachte eine Zeit, alles wäre nun auch für mich zu Ende, aber so war es nicht. Ich mußte leben und mit dem fertig werden, was mich aus dem Geleise geworfen hatte. Sich selbst darf man nicht aufgeben. Mir liegt jetzt Ihr Wohl am Herzen. Sie könnten meine Tochter sein, und ich möchte Ihnen sagen, wie sehr ich mir eine solche Tochter wünschte. Wenn Sie sich jetzt nicht umwerfen lassen, können wir gemeinsam vielleicht noch manches für die Menschheit tun.«

»Ich lasse mich nicht umwerfen«, sagte Stefanie, »aber ich weiß jetzt, daß ich Peter über diese schweren Tage hinweghelfen muß. Es ist doch wohl nicht verwerflich, einen Menschen zu belügen, wenn man ihm helfen will?«

»Nein, das ist nicht verwerflich. Sie glauben an Gott?«

»Ja.«

»Sie glauben, daß er Wunder vollbringen kann?«

»In diesem Fall nicht. Alles spricht dagegen. Aber geschehen nicht immer wieder Wunder?« Ganz leise war ihre Stimme.

»Und wenn ein Wunder geschähe, würden Sie bei ihm bleiben, obgleich Sie ihn nicht lieben?«

Stefanies Blick schweifte zum Fenster hinaus und zum Himmel empor. »Wenn dieses Wunder geschähe, würde ich auch daran glauben, daß man einen Menschen liebenlernen kann«, sagte sie.

Professor Weissenberger straffte sich. »Ich habe ein solches Wunder noch nicht erlebt, Stefanie. Sie werden sehr viel Kraft brauchen, wenn Sie Peter Reinhold zur Seite stehen wollen. Vielleicht über Jahre hinaus. Dar-über müssen Sie sich klar werden. Diese Kraft wird an Ihnen zehren.«

»Daran denke ich jetzt nicht«, sagte sie. »Wann kommt Dr. Norden?«

»Er wird wohl in einer halben Stunde hier sein.«

»Dann werde ich jetzt Teewasser aufsetzen.«

Als sie an ihm vorbeigehen wollte, hielt er sie am Arm fest. »Sie werden nicht vergessen, daß ich immer für Sie da bin, wenn Sie nicht mehr weiterwissen, Stefanie?« fragte er.

»Ja, das weiß ich. Ich danke Ihnen.«

*

Nur mit ein paar Minuten Verspätung war Daniel gekommen. Ohne lange Vorrede hatte ihm Professor Weissenberger erklärt, in welchen Konflikt er gebracht worden sei.

»Stefanie Linden kennt die Brüder Reinhold schon längere Zeit«, begann er ohne Umschweife. »Peter Reinhold weiß, daß sie meine Assitentin ist, also könnte er stutzig werden, wenn er meinen Namen hört, und den wird er ja hören, wenn ich ihn untersuche.«

»Man könnte Sie schlicht und einfach als Professor Berger vorstellen«, sagte Daniel nach kurzem Überlegen. »Persönlich kennen Sie sich doch nicht?«

»Nein. Stefanie hat Kenntnis erlangt über diesen Fall, weil ich vergessen hatte, das Diktiergerät abzustellen. Es ist verständlich, daß es ihr nahegeht. Sie möchte auch gern selbst mit Ihnen sprechen. Selbstverständlich wird die ärztliche Schweigepflicht gewahrt werden, obgleich Stefanie der Meinung ist, daß Ralph Reinhold vorbereitet werden sollte.«

»Ich halte das für verfrüht«, sagte Daniel. »Sie wissen, wie sehr das Mitleiden zehrt. Wir zwei brauchen uns da keiner Täuschung hinzugeben. Wie nervenstark ist Stefanie Linden?«

Professor Weissenberger zuckte die Schultern. »Sie macht sich stark. Bilden Sie sich selbst ein Urteil. Ich lasse Sie mit ihr allein.«

Wie charaktervoll Stefanie war, konnte Daniel Norden bald herausfinden. Sie schlug nicht den leisesten wehleidigen Ton an. Als er ihr dann aber sagte, daß Peter ihm gegenüber geäußert hatte, er wollte heiraten, glomm sofort ein Schimmer von Furcht in ihren schönen Augen auf.

»Er hat auch den Namen Stefanie genannt«, sagte Daniel. »Er will nicht, daß Sie erfahren, wie elend er sich fühlt.«

»Er soll es nicht erfahren«, sagte sie. »Er ist ein lieber Junge. Ich werde mich nicht verraten.«

»Sie würden ihn auch heiraten? Auch auf die Gefahr hin, daß man Ihnen später zum Vorwurf machen könnte, Sie hätten dies aus materiellen Erwägungen getan?«

Maßlose Verwunderung zeichnete sich auf ihren Gesichtszügen ab. »Auf solchen Gedanken wäre ich nie gekommen, und Ralph würde dies auch nicht vermuten.«

»Sind Sie dessen so sicher?« fragte Daniel skeptisch.

Sie legte ihren Kopf in den Nacken. »Wenn Ralph so etwas glauben würde, wären unsere Beziehungen abgebrochen«, sagte sie. »Selbstverständlich würde ich auf ein etwaiges Erbe verzichten. Sie denken zu weit, Herr Dr. Norden.«

»Ich habe schon manches erlebt, was ich für unwahrscheinlich hielt«, sagte er. »Sie nehmen jetzt hoffentlich nicht an, daß ich solche Motive bei Ihnen voraussetze. Aber in diesem Fall wollen wir doch offen miteinander sein. Ich möchte es nicht versäumen, Sie auf alle Probleme, die aus dem Verlauf einer solchen Erkrankung entstehen können, aufmerksam zu machen.«

»Ich werde mich eingehend mit diesen Problemen beschäftigen«, erwiderte Stefanie.

*

Als Dr. Norden in seine Praxis zurückkehrte, in der andere Patienten mit ihren Problemen auf ihn warteten, beschäftigte sich Dr. Dieter Behnisch schon mit Christopher Bentham.

Die Kraftlosigkeit seines Armes war tatsächlich besorgniserregend. Man gewahrte sie erst, wenn dieser nackt und von der verdeckten Kleidung entblößt sichtbar wurde. Aber die Kraftlosigkeit ging nicht vom Unterarm aus, nicht vom Ellenbogen, der bei einem Sturz verletzt worden war, sondern vom Schultergelenk, wie die Röntgenaufnahmen bewiesen. Dieses war total versteift, und ob das noch zu korrigieren sein würde, mußte eine gezielte Behandlung beweisen.

»Ich werde Ihnen jetzt eine Spritze geben«, sagte er zu Christopher. »Sie kann ziemlich schmerzhaft sein, und wir müssen diese noch zweimal wiederholen.«

»Was könnte mich noch erschüttern«, sagte Christopher. »Und was kommt danach?«

»Die Kur auf der Insel der Hoffnung, die einige Wochen strikt durchgeführt werden müßte, bis der Arm gekräftigt ist.«

»Kann ich dann auch wieder spielen?« fragte Christopher.

»Das kann ich nicht voraussagen. Aber denken Sie mal an Katja Delorme. Sie war an den Rollstuhl gefesselt und ist heute eine gesunde Frau. Sie wollte gesund werden! Sie dürfen nicht resignieren. Sie müssen mithelfen, Mr. Bentham.«

»Daran soll es nicht liegen. Ich will nur nicht vertröstet werden.«

»Und wenn nach vier Wochen noch keine Besserung ersichtlich ist, würden Sie aufstecken, obwohl schon ein paar Tage später alles anders aussehen könnte?«

»Ich würde nicht aufgeben«, sagte Christopher. »Meine Frau erwartet ein Baby. Ich muß für eine Familie sorgen. Ich will nicht, daß es nur das Enkelkind meiner Schwiegereltern wird. Sie warten jetzt schon auf einen männlichen Erben. Der Gedanke macht mich verrückt.«

»Machen Sie sich frei von diesem Gedanken, wenn Sie Ihre Frau lieben«, sagte Dr. Behnisch ruhig.

»Es wird doch niemand daran zweifeln, daß ich Vanessa liebe!« rief Christopher aus.

»Wenn man Sie reden hört, könnte man doch daran zweifeln«, sagte Dr. Behnisch. »Es ist doch eine ganz natürliche Folge, daß Ihr Kind auch das Enkelkind Ihrer Schwiegereltern sein wird. Ist es nicht wundervoll, wenn Kinder auch Großeltern haben? Unser Kind hat leider keine. Ihre Frau hätte sich doch längst von Ihnen trennen können, wenn sie Sie nicht lieben würde. Haben Sie daran nicht auch schon einmal gedacht? Ich will doch nicht wegleugnen, daß Sie mit großen Schmerzen und seelischen Belastungen zu kämpfen haben, aber Sie machen nichts besser, wenn Sie sich einreden, daß es keine Besserung gäbe. Kann ich Ihnen jetzt die Injektion geben?«

»Worauf warten Sie denn noch?« sagte Christopher.

Und Dr. Behnisch konnte staunen. Er zuckte nicht mal zusammen, als die Injektionsnadel in die Armkugel stieß. Der erfahrene Arzt wußte, daß dies ein höllischer Schmerz war.

Langsam, Christopher schien es gar nicht zu bemerken, zog er die Nadel wieder heraus.

»Und nun bewegen Sie mal Ihren Arm«, sagte er, wissend, daß Christopher dies unter der Wirkung der Betäubung konnte. Aber auch dies war ein psychologischer Effekt.

»Es geht ja«, sagte Christopher verwundert.

»Na also, nur nicht nachgeben, junger Mann«, meinte Dr. Behnisch.

Christopher blinzelte. »Soviel älter als ich sind Sie auch nicht«, sagte er.

»Aber was meinen Sie, wie viele schlimmere Fälle als Sie mir schon unter die Augen gekommen sind«, sagte Dr. Behnisch.

*

Daß Peter Reinhold ein aussichtsloser Fall war, wußte er ein paar Tage später. Da hatte Christopher schon seine dritte Injektion bekommen und sich bedeutend optimistischer gezeigt. Anfang der nächsten Woche, das war schon beschlossen, wollte er mit Vanessa zur Insel der Hoffnung fahren.

Als Peter seinem Bruder erklärt hatte, daß er ein paar Tage verreisen wolle, war Ralph deprimiert. Er hatte ein paarmal versucht, Stefanie zu erreichen, aber sie hatte sich im Institut verleugnen lassen und zu Hause hatte sie den Hörer ausgehängt.

Sie wollte jetzt auch nicht mit Peter sprechen, aber er hatte es auch gar nicht erst versucht.

Er hatte sich im Spiegel betrachtet und erschrocken feststellen müssen, wie fahl und eingefallen sein Gesicht war. So sollte ihn Stefanie nicht sehen.

»Wohin fährst du?« fragte Ralph, als er am Donnerstagmorgen das Haus verließ.

»Irgendwohin, nur ein paar Tage Luftveränderung«, erwiderte Peter. »Die Grippe hat mich arg geschlaucht.«

Ralph glaubte an die Grippe, aber er hegte doch die Vermutung, daß Peter mit Stefanie fahren würde. Er rief wieder im Institut an, und diesmal war sie selbst am Apparat.

»Endlich kann ich mit dir sprechen, Stefanie«, sagte er erleichtert. »Es gibt da etwas zu erklären.«

»Was denn?« fragte sie.

»Diese Sache mit Gitta. Du hast das doch nicht etwa ernst genommen? Sie übertreibt immer. Können wir uns heute oder morgen sehen?«

»Tut mir leid, Ralph, ich habe keine Zeit. Wir haben viel zu tun.«

»Aber abends könnte doch eine Stunde herausspringen«, meinte er.

»Ein Abend zu dritt?« fragte sie nach kurzem Überlegen.

»Peter verreist ein paar Tage«, erwiderte er.

Sie wußte es besser. »Warten wir, bis er zurück ist. Entschuldige, aber ich habe eine Besprechung.«

Auch das war freilich eine Ausrede, aber sie wollte sich nicht in ein längeres Gespräch mit ihm einlassen. Professor Weissenberger machte sich schon bereit, in die Behnisch-Klinik zu fahren. Stefanie wußte, daß er dort als Professor Berger in Erscheinung treten würde, um jedes Mißtrauen bei Peter auszuschließen.

»Wir wissen beide, daß bei dieser Untersuchung nicht viel herauskommen wird, Stefanie«, sagte er, als er sich von ihr verabschiedete.

Sie nickte nur, und als er gegangen war, sagte sie in der Telefonzentrale Bescheid, daß sie für niemanden zu sprechen sei.

Sie mußte drei Stunden warten, bis der Professor zurückkam. »Wollen wir uns nicht in einer freundlicheren Atmosphäre unterhalten, Stefanie?« fragte er.

»Darf ich vorschlagen, daß wir zu mir fahren?« fragte sie zurück.

»Einverstanden.«

Stefanie konnte nicht ahnen, daß Ralph vor ihrem Haus auf sie warten würde. Er hatte sich dazu entschlossen, weil er unbedingt mit ihr sprechen wollte.

Als er ihren Wagen halten sah, wollte er schon auf sie zugehen, aber dann sah er den Mann, der diesem Wagen ebenfalls entstieg. Ein schlanker, hochgewachsener Mann war es, ohne Kopfbedeckung, doch in der Dämmerung war es nicht zu unterscheiden, ob sein Haar grau oder blond war.

Für den von Eifersucht geplagten Ralph stand es in diesem Augenblick fest, daß es in Stefanies Leben doch einen anderen Mann gab, aber es konnte ihn nicht beruhigen, daß es nicht Peter war. Ihn brachte es aus dem Gleichgewicht, als dieser Mann mit Stefanie das Haus betrat. Im Schatten eines Baumes auf der gegenüberliegenden Straßenseite stehend, beobachtete er, wie hinter ihren Fenstern das Licht aufflammte, wie sie dann die Jalousien herabließ. Er wartete mehr als eine Stunde, daß ihr Begleiter wieder aus der Türe treten würde, aber er wartete umsonst.

Stefanie und Professor Weissenberger hatten sich eine ganze Stunde unterhalten, bis sie die Frage stellte, wie lange er Peter noch an Lebensdauer geben würde. Ihre Stimme zitterte dabei, sosehr sie sich auch zusammennahm.

»Ein paar Monate«, erwiderte er. »Genau kann es niemand sagen. Was immer wir auch unternehmen, es werden nur Versuche sein, Stefanie. Ich will Sie nicht täuschen. Er muß diese Krankheit schon längere Zeit in sich tragen. Es kann eine langsame Entwicklung gewesen sein, doch jetzt wird sie rapide fortschreiten. Dr. Norden hat dies sehr genau erkannt.«

»Ich habe nicht mit einer besseren Nachricht gerechnet. Ich fürchte mich nur davor, wie er reagieren wird, wenn sich keine Besserung einstellt.«

»Wir haben uns zu einer medikamentösen Behandlung entschlossen, die ihm Besserung vortäuschen wird«, erklärte Professor Weissenberger zögernd.

Stefanie wußte, was er meinte. Opiate! Ja, diese Behandlung würde ihm wohl die Ängste nehmen, aber er würde sie immer häufiger in Anspruch nehmen müssen. Und er würde immer mehr verfallen. Er würde sich im Spiegel sehen und diesen Verfall feststellen. Der Hochstimmung würde das Tief folgen und eines Tages das Ende.

Sie würde ihn nicht im Stich lassen, so schwer diese Wochen auch sein würden. Sie dachte an den lustigen, lebensfrohen Peter, mit dem sie so übermütig hatte lachen können, daß Ralph manchmal nur nachsichtig den Kopf geschüttelt hatte. Das Lachen würde ihr in Zukunft schwerfallen.

*

Peter machte sich keine Gedanken. Er fühlte sich so wohl wie schon lange nicht mehr und war froh, daß er in die Klinik gegangen war.

Er war felsenfest davon überzeugt, daß dies der erste Schritt zu seiner Genesung war.

Die Ärzte hingegen zerbrachen sich den Kopf, wie die Behandlung durchgeführt werden könnte, ohne daß er dahinterkam, welche Medikamente ihm verabreicht wurden.

Dr. Norden hatte dann die Idee, ihm die Kapseln in einer neutralen Dose zu geben. Er brachte ihm auch vorsichtig bei, daß hin und wieder eine Infusion nötig sein würde.

»Hauptsache, es hilft«, meinte Peter, der sich jetzt in einem euphorischen Zustand befand.

»Sie dürfen keinesfalls mehrere Tabletten am Tag nehmen«, erklärte Dr. Norden. »Das wiederum könnte eher schaden als nützen.«

»Jetzt möchte ich aber wissen, um was für eine Krankheit es sich handelt«, sagte Peter.

»Um eine vegetative Dystonie«, sagte Dr. Norden. Immerhin konnte er sicher sein, daß Peter ähnliche Symptome feststellen würde, wenn er auf den Gedanken kam, sich darüber zu informieren. Aber auf solchen Gedanken kam Peter gar nicht. Medizin interessierte ihn überhaupt nicht. Ihm war es nur wichtig, daß ihm geholfen wurde und daß er mit Stefanie so fröhlich beisammen sein konnte wie früher.

»Es wäre auch vorteilhaft, wenn Sie einige Wochen in einem milderen, gleichmäßigeren Klima zubringen würden. Viel frische Luft, vitaminreiche Ernährung, und nur das essen, was Ihnen schmeckt und bekommt«, sagte Dr. Norden.

»Welche Gegend schlagen Sie vor?« fragte Peter.

»Vielleicht den Schwarzwald. Jedenfalls kein Hochgebirge, und Skifahren sollten Sie vorerst auch nicht.«

Dr. Norden war heilfroh, daß Peter nicht eindringlichere Fragen stellte, die ihn in Verlegenheit bringen konnten.

»Ich werde ein folgsamer Patient sein«, sagte Peter, »aber eine richtige Krankheit ist das doch nicht.«

Er sollte in dem Glauben bleiben, solange es möglich war. Es blieb nur zu hoffen, daß nicht irgendein Außenstehender diesen Glauben erschütterte.

*

Kaum war Peter wieder daheim, rief er Stefanie an. Sie war insgeheim darauf schon vorbereitet. Er sagte ihr, daß er ein paar Tage hatte verreisen müssen, daß ihm dies aber gut bekommen sei, und er entschuldigte sich bei ihr, weil er sich an jenem Abend so schlecht gefühlt hatte.

»Das kann jedem passieren, Peter«, sagte Stefanie. »Mir war auch nicht gut.«

»Können wir uns heute sehen?« fragte er.

»Ja, gern.«

»Allein?«

»Wenn du es willst?«

Eine größere Freude konnte sie ihm nicht machen. Er wollte sie um sieben Uhr von ihrer Wohnung abholen. »Wir gehen ganz schick aus«, sagte er. »Ich habe auch eine Überraschung für dich.«

Sie erwähnte Ralph nicht, aber sie überlegte beklommen, was er seinem Bruder wohl sagen würde.

Peter triumphierte. Er fühlte sich als Sieger, und daraus wollte er auch kein Geheimnis machen.

Als Ralph aus der Fabrik kam, fragte er: »Wo hast du gesteckt, Peter?«

»Ich habe mich ein bißchen erholt. Wie du siehst, ist es mir gut bekommen. Ich brauchte Tapetenwechsel, um Abstand zu gewinnen.«

»Wovon?« fragte Ralph.

»Wir können nicht immer wie siamesische Zwillinge zusammenhängen. Es tut mir leid, wenn du eine Enttäuschung hinnehmen mußt, Ralph, aber ich werde Stefanie heiraten.«

Ralphs Gesicht erstarrte zu einer steinernen Maske. »Hast du sie schon gefragt?« stieß er hervor.

»Das werde ich heute abend tun, aber sie wird mir keinen Korb geben, nachdem sie zugestimmt hat, mich allein zu treffen. Ohne deinen Begleitschutz«, fügte er anzüglich hinzu. »Ich werde mir auch eine eigene Wohnung nehmen.«

»Wie du willst, und wie ist es mit deiner Tätigkeit in der Fabrik?«

»Legst du Wert darauf? Ich muß mich erst noch auskurieren. Es ist eine vegetative Dystonie. Nichts Besonderes, aber Dr. Norden hat mir Schonung verordnet. Und schließlich kann ich mit meinem Geld ja machen, was ich will.«

Der seltsame Glanz in seinen Augen irritierte Ralph, aber Peters Erklärung hatte ihn so erschüttert, daß er sie nur als Ausdruck des Triumphes deutete.

»Ja, dann kann ich dir und Stefanie nur Glück wünschen«, sagte er heiser.

»Und du wirst dich nicht einmischen?« fragte Peter lauernd.

»Ich werde nicht den eifersüchtigen Rivalen spielen«, sagte Ralph.

»Ich liebe Stefanie. Ich liebe sie wirklich. Du bist gar nicht fähig, eine Frau so zu lieben. Bei dir kommt zuerst doch immer die Arbeit.«

»Die muß ja wohl auch sein, sonst wären wir längst am Ende«, sagte Ralph kühl. »Das Geld gibt sich schneller aus, als es verdient ist.«

»Was nützt das Geld, wenn man am Leben vorbeigeht. Ich werde Stefanie ein schönes Leben bereiten. Ich will nicht, daß sie arbeitet.«

Ralph äußerte sich nicht dazu. Er ging zu seinem Arbeitszimmer. An der Tür drehte er sich um. »Sag Katinka Bescheid, daß sich jetzt manches ändert«, sagte er tonlos.

Auch das tat Peter in so heiterem Ton, daß Katinka sich ihre Gedanken machte. Merkwürdig verändert

schien ihr der Junge. Sie bezeichnete ihn noch immer so. Ralph war ein Mann geworden, aber Peter schien ihr noch immer nicht richtig erwachsen. Aber als Peter ihr verkündete, daß er sich eine eigene Wohnung suchen würde, wurde ihr ganz eigenartig zumute.

»Es ist wegen Stefanie, Katinka«, erklärte Peter. »Ich will nicht, daß es zu Differenzen zwischen Ralph und mir kommt. Er wird sich damit abfinden, daß sie mich heiratet, und er wird auch mal eine Frau finden.«

Katinka war da ganz anderer Meinung. Sie hatte einen gesunden Instinkt. Sie wußte längst, daß Ralph Stefanie liebte. Und sie traute ihm tiefere Gefühle zu als Peter. Sie verspürte auch einen Groll gegen Stefanie, daß sie Peter den Vorzug gab.

Die gute Katinka wäre ganz anderer Ansicht gewesen, hätte sie die Wahrheit gewußt. Dann wäre sie von Schmerz und Mitleid so überwältigt worden, daß sie sich nicht hätte beherrschen können.

Doch jetzt war Peter nichts anzumerken, äußerlich nicht und auch stimmungsmäßig nicht.

*

Auch Stefanie war überrascht, wie gut er aussah, als er dann vor ihrer Tür stand, einen großen Rosenstrauß in der Hand, ein strahlendes Lächeln auf den Lippen.

»Ich freue mich so sehr«, sagte er zärtlich.

Alles Blut strömte ihr zum Herzen. Sie konnte ihm das Gefühl vermitteln, glücklich sein zu dürfen. Jedes andere Gefühl mußte da zurücktreten.

Er nahm sie in die Arme und küßte sie. Seine Lippen waren warm, dennoch lief ein Frösteln über ihren Rücken. Er hatte sie noch nie auf den Mund geküßt. Ralph hatte das schon einmal getan, gleich damals, als sie sich kennenlernten. Sie waren aufgestiegen zur Skihütte. Peter hatte nicht mitgehalten. Damals war er noch durch ein anderes Mädchen abgelenkt worden, ein sehr hübsches und bedeutend entgegenkommenderes Mädchen, als es Stefanie war.

Aber sie durfte jetzt nicht an Ralphs Kuß denken. Sie durfte überhaupt nicht mehr an ihn denken.

»Ich habe dir auch etwas mitgebracht, mein Liebes«, sagte Peter. »Hoffentlich gefällt es dir.«

Es war ein unerhört kostbarer Ring, gewiß ein Einzelstück, von Künstlerhand entworfen. Stefanie hielt den Atem an.

»Das sollst du nicht tun, Peter«, sagte sie stockend.

»Ich möchte dich verwöhnen, Stefanie. Ich werde dich sehr verwöhnen, wenn du meine Frau bist. Du wirst doch ja sagen?«

Auch damit hatte sie rechnen müssen, aber es kostete sie große Überwindung, zustimmend zu nicken.

»Sag, daß du mich liebst«, drängte er.

»Ja, ich liebe dich«, erwiderte sie leise. Und es war keine Lüge. Sie liebte ihn wie einen Bruder, einen kranken Bruder, der sie brauchte, aber sie empfand kein Glück. Wie konnte sie das auch?

»Denkst du an Ralph?« fragte er. »Ich habe ihm gesagt, daß wir uns treffen. Ich habe ihm auch gesagt, daß ich dich heiraten werde. Ich werde mir auch eine eigene Wohnung suchen. Eine für uns, Stefanie. Vorerst genügt eine Wohnung, denn wir werden viel auf Reisen sein. Später lassen wir uns ein Haus bauen, ganz nach deinen Wünschen.«

»Du vergißt, daß ich einen Beruf habe, Peter«, wagte sie jetzt einen Einwand.

»Du wirst kündigen, sofort«, sagte er unwillig.

»Aber ich habe einen Vertrag. Einen Jahresvertrag. In solch einer Stellung kann man nicht von heute auf morgen kündigen.«

»Aber eine Heirat ist doch ein Grund. Und wenn es nicht anders geht, werden wir uns schnellstens ein Kind anschaffen. Ich mag Kinder eigentlich nicht, aber es entbindet von jedem Vertrag.«

»Ich mag Kinder auch nicht«, sagte sie, und das war die erste richtige Lüge. Aber sie bedeutete einen Rettungsanker für sie.

»Überhaupt nicht?« fragte er.

»Nein. Ich tauge nicht zur Mutter. Ich wollte eigentlich auch nicht heiraten, deshalb hat mir die Freundschaft mit euch beiden Brüdern so gut gefallen.« Jetzt quälte sie sich sogar ein leises Lächeln ab. »Findest du nicht, Peter, daß man eine Heirat nicht so zu überstürzen braucht? Man kann doch auch so beisammen sein.«

»Und dann läuft dir ein Mann über den Weg, der dich mir wegschnappt«, sagte er unwillig.

»Mir läuft keiner über den Weg. Warum hast du es denn so eilig?«

»Ich weiß genau, daß Ralph dich auch heiraten will«, sagte er.

»Ich werde ihn nicht heiraten, genügt dir das? Ich tauge weder zur Mutter noch zur Hausfrau. Ich brauche meinen Beruf. Ich kann nicht daheim hocken, während du auch deinen Pflichten nachgehen mußt.«

»Wir werden noch darüber sprechen. Ich muß mich in den nächsten Wochen noch ein bißchen schonen. Das hat mir Dr. Norden empfohlen. Ich habe eine vegetative Dystonie, keine richtige Krankheit. Kannst du mir genauer erklären, was das ist?«

»Eine Störung der Organe«, erwiderte sie und schickte dabei einen stillen Dank zu Dr. Norden, der diese Ausrede gefunden hatte. »Wahrscheinlich hast du eine Zeit lang zuviel Sport getrieben.«

»Du nimmst das aber auch nicht tragisch?«

»Aber nein. Es kann kommen, wenn die Nerven ein bißchen zu sehr strapaziert werden.«

»Meine waren auch strapaziert, weil ich immer Angst hatte, daß du dich für Ralph entscheiden könntest. Jetzt wird es schnell wieder besser werden. Ich fühle mich schon sehr wohl. Könntest du nicht wenigstens ein paar Wochen Urlaub nehmen und mit mir verreisen? Der Schwarzwald wäre gut, sagt Dr. Norden.«

»Ich werde mit meinem Chef sprechen.«

»Er muß es gestatten. Aber jetzt gehen wir. Steck doch bitte den Ring auf.«

Ihre Finger wurden kalt, als sie es tat. »Er ist ein bißchen zu weit«, sagte sie leise. »Und er ist sehr kostbar. Ich könnte ihn verlieren. Ich habe noch niemals ein so wertvolles Schmuckstück besessen.«

»Wenn du ihn verlierst, bekommst du einen anderen«, sagte er leichthin. »Ich möchte, daß du ihn trägst. Wenigstens heute. Wir lassen ihn dann enger machen.«

*

Diesen Abend würde Stefanie wohl schwer vergessen können. Peter hatte in einem exklusiven Speiselokal einen Tisch bestellt. Er war festlich gedeckt.

Sie waren schon verschiedentlich zu besonderen Anlässen hier gewesen, sonst bevorzugte Ralph mehr die gemütliche Atmosphäre.

Zuletzt hatten sie vor zehn Wochen hier in größerer Runde Peters achtundzwanzigsten Geburtstag gefeiert. Einige von den Bekannten waren auch heute anwesend. Sie schienen sehr überrascht, Peter allein mit Stefanie zu sehen. Peter ließ sich nicht in Gespräche verwickeln. Stefanie hatte sich immer als Außenseiterin unter diesen Leuten gefühlt.

»Ich mag diese Gesellschaft nicht mehr«, sagte Peter. »Ich bin froh, wenn wir München für ein paar Wochen den Rücken kehren können.«

Sie wurden bevorzugt bedient und auch nicht mehr gestört, doch Stefanie fragte sich, was hinter ihrem Rücken wohl schon alles geredet wurde.

Peter war ein Gentleman vom Scheitel bis zur Sohle, wie sie es von ihm gewöhnt war. Er hatte das ihm anerzogene Benehmen eines Internatsschülers erster Klasse noch beibehalten. Früher hatte sie darüber manchmal lächeln müssen, weil Ralph soviel lässiger war. Aber Ralph war diesmal nicht dabei, und sie vermißte ihn schmerzhaft. Das war die erste quälende Erkenntnis an diesem Abend. Weitere folgten. Peter stellte ein lukullisches Menü zusammen, das für mindestens drei Personen gedacht war. Ihm war das also auch in Fleisch und Blut übergegangen.

Er nahm von den Vorspeisen nur ein paar Bissen und diese mit sichtlichem Widerwillen, wie Stefanie feststellen konnte, obgleich der Lachs delikat war und auch die Ochsenschwanzsuppe jeder Kritik standhalten konnte.

»Ich muß mit dem Essen etwas vorsichtig sein«, sagte er entschuldigend. »Laß es dir schmecken, Stefanie. Ich hoffe, deinen Geschmack getroffen zu haben.«

Das hatte er, aber ihr fehlte auch der Appetit. Sie mußte sich zwingen, wenigstens etwas mehr als er zu essen.

Den Wein trank er in durstigen Zügen, und eine vor-übergehende Müdigkeit, die sie schon wieder ängstlich stimmte, schien er zu vertreiben. Aber so lebhaft wie anfangs wurde er nicht mehr. Auf einen arglosen Menschen hätte er wohl einen besinnlichen Eindruck gemacht, aber Stefanie spürte, wie schwer ihm das Sprechen fiel.

Er faßte sich an den Hals. »Es ist entsetzlich schlechte Luft hier«, stellte er fest. »Ich kann kaum noch atmen. Die Klimaanlage scheint ausgefallen zu sein.«

Sie war nicht ausgefallen. Stefanie fand es sogar ein wenig kühl, aber ihm traten Schweißtropfen auf die Stirn.

»Wir können ja noch zu mir fahren«, sagte sie. »Da ist es auch gemütlicher, und wir treffen keine Bekannten.«

Er war einverstanden. »Hat es nicht geschmeckt?« fragte der Ober bestürzt, als Peter die Rechnung verlangte.

»Doch, sehr gut«, erwiderte Stefanie rasch, »aber wir haben noch mit einer Grippe zu kämpfen.«

»Ich glaube tatsächlich, daß ich damals die Grippe verschleppt habe«, sagte Peter, als sie im Wagen saßen. Ganz selbstverständlich hatte sich Stefanie ans Steuer gesetzt, und ganz mechanisch hatte er ihr auch die Autoschlüssel gegeben.

»Ich hatte damals eine, als wir uns kennenlernten. Seither hatte ich immer diese komischen Zustände.«

»Warst du früher eigentlich öfter krank, Peter?« fragte sie beiläufig.

»Du fragst schon wie Dr. Norden«, sagte er unwillig. »Nein, ich war nie richtig krank. Ich war immer ein gu-ter Sportler. Da konnte Ralph nicht mithalten. Er ist ein Schreibtischhocker. Er setzt ja auch schon Fett an, das wirst du bei mir nicht erleben.«

Nein, das würde sie nicht erleben. Jetzt nicht mehr. Sie hatte Peter bewundert, wie elegant er Ski fuhr, wie schnell und wendig er beim Tennis war. Freilich wirkte Ralph neben ihm schwerfällig und unsportlich.

»Daß ich damals meine Grippe nicht auskurierte, daran bist du schuld, Stefanie«, fuhr Peter fort. »Ich hatte immer Angst, daß Ralph mir den Rang ablaufen könnte.«

»Diese Angst brauchst du nun nicht mehr zu haben, lieber Peter«, sagte sie sanft.

»Er würde dich auch nicht so verwöhnen, wie ich es tun werde. Hast du deinen Ring noch?« fragte er sprunghaft.

»Ja, ich habe ihn noch.« Sie spürte sein Gewicht. Er war viel zu schwer für ihre schmalen Finger.

»Ich kann einfach nicht verstehen, daß ich so schnell ermüde«, sagte Peter. »Aber vielleicht sollte ich doch zwei von den Tabletten nehmen.«

»Was hat Dr. Norden gesagt?« fragte Stefanie rasch.

»Daß ein Zuviel schaden könnte. Aber ich habe mich doch so wunderbar wohl gefühlt, als ich heute vormittag die Tablette genommen habe.«

»Hat er dir für die Nacht nicht andere verordnet?«

Er warf den Kopf herum. »Meinst du, ich will mich vollpumpen mit Medikamenten? Mir waren nur die Leute lästig. Du magst unseren Bekanntenkreis doch auch nicht.«

»Ich mag überhaupt keine Ansammlungen«, sagte Stefanie ruhig, »aber jetzt sind wir ja allein.«

»Ich sehne mich danach«, sagte er.

»Du hast dich sehr verändert, Peter«, sagte Stefanie.

»Wundert dich das? Das macht die Liebe. Ich will dich mit niemandem teilen, auch nicht mit Ralph. Als Trauzeugen werden wir ihn allerdings bitten müssen. Ich will mich nicht mit ihm zerstreiten, Stefanie. Ich bewundere ihn wirklich. Er ist wie Vater, wie ein Fels in der Brandung.«

Und wie gut wäre es, könnte ich mich an ihn lehnen, dachte Stefanie, würde er wissend und verstehend hinter mir stehen und meine Angst und Sorgen teilen.

»Hast du ihm eigentlich jemals Hoffnungen gemacht?« fragte Peter.

»Nein, wie kommst du darauf?« fragte sie verwundert.

»Wir haben uns nie gestritten. Nur wenn es um dich ging, waren wir Rivalen, echte Rivalen, Stefanie. Aber diesmal war ich stärker.«

Du armer Junge, dachte sie, du armer lieber Junge, und nur mühsam konnte sie die aufsteigenden Tränen unterdrücken.

In ihrer Wohnung angekommen, sank Peter auf das Sofa. »Ich mache dir einen Tee und dann gebe ich dir eine Tablette, Peter«, sagte Stefanie. »Eine ganz leichte, damit es dir leichter wird.«

»Du bist lieb«, flüsterte er. »Du hast soviel Verständnis.«

»Wie es sich gehört, wenn man jemanden sehr lieb hat«, sagte sie weich.

Sie gab ihm die Tablette, und bald schlief er ein. Sein Kopf lag an ihrer Schulter. Lange Zeit wagte sie nicht, sich zu rühren, und sie betrachtete sein erschöpftes Gesicht, in dem sich die Spuren seines Leidens schon prägten. Er wachte nicht auf, als sie langsam den Arm unter seinem Nacken hervorzog. Sie nahm den Telefonhörer ab, legte ihn neben den Apparat und legte sich auf ihr Bett. Schlafen konnte sie nicht, und als der Morgen graute, fragte sie sich, wie viele solcher Nächte sie noch würde durchstehen müssen.

Peter erwachte, als der Wasserkessel pfiff. Benommen stand er auf und stand dann leicht schwankend in der Küchentür.

»Lieber Gott, ich bin eingeschlafen«, sagte er stockend. »Was mußt du von mir denken, Stefanie?«

»Daß dich der Wein müde gemacht hat, Lieber, ist doch nicht schlimm. Ich bringe dich heim und fahre dann ins Institut.«

»Kannst du nicht anrufen und sagen, daß du krank bist?«

»Man soll den Teufel nicht an die Wand malen, Peter. Ich bin nicht krank und will nicht krank sein. Hast du die Tabletten bei dir, die Dr. Norden dir gegeben hat?«

»Ja, aber ich fühle mich jetzt auch so ganz wohl. Bitte, behandle mich du auch nicht wie einen Kranken.« Das klang störrisch.

Es wird schlimmer werden und nicht besser, ging es Stefanie durch den Sinn, und was soll ich dann noch für Ausreden erfinden?

*

Ralph hatte in dieser Nacht auch unruhig geschlafen, aber er hatte sich in der Gewalt, als er sich an den Frühstückstisch setzte, auf dem nur ein Gedeck stand.

»Ist Peter nicht nach Hause gekommen?« fragte er Katinka.

»Nein. Er ist einfach komisch in letzter Zeit. Stimmt es, daß er Fräulein Stefanie heiratet?«

»Wenn sie ja sagt, wird es wohl so sein«, sagte Ralph betont gleichmütig.

»Und ausziehen will er auch«, meinte sie ungehalten.

»Es wird Zeit, daß er erwachsen wird.«

Er nahm die Zeitung vor die Nase, denn nun drohte ihn die zur Schau gestellte Beherrschung zu verlassen.

Katinka entschwand in die Küche. Sie hatte ihr Frühstück schon eingenommen. Sie tat sich schwer mit ihrem Gebiß und wollte keine Zuschauer haben, wenn sie die Brötchen in den Kaffee tunkte. Sie war auch nicht gerade froher Stimmung, obgleich sie eine Frohnatur war. Es gefiel ihr nicht, daß sich plötzlich alles so schlagartig ändern sollte. Und daß es Ralph auch nicht gefiel, hatte sie von seiner düsteren Miene ablesen können.

Er und ich allein in diesem großen Haus, dachte sie. Und die meiste Zeit werde ich ganz allein sein.

Und dabei hatte sie sich doch so gewünscht, daß wenigstens einer von den Jungen mal heiraten würde und auch daß Kinderchen hier lachen und herumtoben würden.

Stefanie hätte ihr schon gefallen als Hausherrin, aber jetzt war ihr Katinka gram, denn sie war von Anfang an der Meinung gewesen, daß sie bedeutend besser zu Ralph gepaßt hätte.

Aber sicher war auch er dieser Meinung, wie sie dann dachte, als er wenig später grußlos das Haus verließ, was auch noch nicht passiert war. Und er hatte nicht mal ein halbes Brötchen gegessen, wo er sonst doch mindestens drei zu sich nahm.

Eine Stunde später kam Peter, bestens gelaunt und wieder recht munter.

»Katinka, ich habe mich gestern abend verlobt«, sagte er mit glänzenden Augen.

»Und die ganze Nacht gefeiert«, brummelte sie vor sich hin.

Seine Miene verdüsterte sich. »Vorhaltungen lasse ich mir nicht machen«, sagte er barsch.

»Ich werde mich hüten«, erwiderte sie. »Wollen Sie jetzt schlafen?«

»Nein, ich fahre gleich wieder weg. Ich gehe auf Wohnungssuche.«

»Immer nur zu«, brummte Katinka, »dann wissen wir wenigstens, woran wir sind.«

*

»Fühlen Sie sich nicht wohl?« fragte Professor Weissenberger Stefanie.

»Ich bin müde, unsagbar müde.«

»Dann legen Sie sich hin«, erwiderte er, »und schlafen Sie erst mal.«

»Nein, ich muß mit Ihnen sprechen. Sie sind doch der einzige Mensch, mit dem ich offen reden kann.« Ihre Stimme bebte.

»Es ist gut, wenn Sie sich dazu entschließen können, Stefanie. Was ist geschehen?«

Sie erzählte ihm von dem Verlauf des Abends. Er unterbrach sie nicht. Erst als sie schwieg, fragte er: »Und wie soll es nun weitergehen?«

»Ich hoffe, daß ich ihm die Heirat ausreden kann. So kann ich nicht lügen, nicht vor Gott«, erwiderte sie leise. »Aber ich würde Sie bitten, mir einen Urlaub zu genehmigen, Herr Professor. Er möchte in den Schwarzwald fahren.«

»Der Ihnen zur Qual werden könnte, Stefanie? Es wird über Ihre Kräfte gehen.«

»Ich muß es durchhalten. Er tut mir so leid.«

»Möchten Sie nicht lieber mit Ralph Reinhold sprechen?« fragte er.

»Er hätte kein Verständnis für meine Entscheidung. Ich weiß es. Er würde Peter die Wahrheit sagen.«

»Vielleicht wäre es für alle Beteiligten tatsächlich am besten, wenn er die Wahrheit wüßte«, sagte Professor Weissenberger.

»Wollen Sie das wirklich? Ihm jede Hoffnung nehmen? Nein, ich kann es nicht. Wenn er sterben muß, soll er in dem Bewußtsein sterben, daß ich ihn nicht verlassen habe.«

»Das ist Ihre Entscheidung, Stefanie. Dann fahren Sie mit ihm in den Schwarzwald.«

»Ich warte ab, ob er darauf besteht.«

»Und Sie warten auch ab, ob er auf der Heirat bestehen wird, Stefanie? Wenn er nun aber darauf drängt?«

»Ich werde sehen. Seine Stimmungen wechseln schnell.«

Aber während der nächsten drei Tage schien es, als hätte sie sich darin getäuscht, und so flüchtete sie sich in die Ausrede, daß es ihr gar nicht gutgehe, denn er bedrängte sie mit einer Leidenschaft, die ihr Angst einjagte. Die seelischen Qualen, die sie ausstand, zeichneten sich allerdings auf ihrem Gesicht ab, die unruhigen Nächte machten sich bemerkbar. Durchsichtig blaß war sie, und dunkle Schatten lagen unter ihren Augen, was man nun gar nicht bei ihr gewöhnt war.

»Ich bestehe jetzt darauf, daß du auch mal zu Dr. Norden gehst«, sagte Peter. »Er wird dir ein Attest ausstellen, und dagegen kann dein Chef gar nichts machen.«

Stefanie wäre es nur recht gewesen, mit Dr. Norden sprechen zu können, aber mit Hangen und Bangen sah sie dann auch der Zeit entgegen, die sie Tag für Tag mit Peter verbringen mußte, ohne Ablenkung in der Arbeit zu finden, ohne ihm ausweichen zu können. Aber sie befand sich jetzt schon in einem Zustand, der es ihr unmöglich machte, schwierige Untersuchungen korrekt durchzuführen.

Vielleicht hatte man mehr Durchstehvermögen, wenn man einen Menschen wahrhaft liebte, wenn man schon einen Teil des Lebens ausschließlich mit ihm verbracht hatte und die Hoffnung einfach nicht aufgeben wollte. Aber sie konnte ja keine Hoffnung in sich nähren und dachte, daß wohl doch jene besser dran wären, die die Wahrheit nicht kannten, mochten sie auch dem Kranken gegenüber manchmal ungerecht sein.

Ob es Peter mit der Wohnungssuche ernst meinte, hatte sie noch nicht in Erfahrung gebracht. Sie hütete sich, ihn zu fragen, und von sich aus sprach er nicht darüber.

Katinka machte sich jedenfalls ihre Gedanken, mehr und mehr. Peter vermied es zwar, Ralph zu begegnen, aber er kam jetzt jeden Abend nach Hause, schlief dann bis in den Vormittag hinein, aß zum Frühstück Zwieback, trank Tee und verzog sich dann wieder in seine Räume.

Er hatte Stefanie bei Dr. Norden angemeldet und begleitete sie dorthin. Dr. Norden war bestürzt, als er nun Stefanie wiedersah. Das war nicht mehr das frische Mädchen, das er bei Professor Weissenberger kennengelernt hatte.

»Ich bin nicht krank, Herr Dr. Norden«, sagte sie rasch, als er sie so forschend musterte, »aber ich mußte die Gelegenheit wahrnehmen, mit Ihnen über Peter zu sprechen. Ich bin über seinen Zustand informiert.«

»Das weiß ich von Professor Weissenberger. So spielt das Schicksal. Eine Wahrheit ist der anderen wert. Ich weiß von Herrn Reinhold, welche Pläne er hat. Er will Sie heiraten.«

Sie nickte und verschlang die Hände ineinander. »Ich habe mich stark gemacht, um ihm über schlimme Stunden hinwegzuhelfen, aber schon jetzt weiß ich manchmal nicht mehr, wie ich mich aus der Affäre ziehen soll.«

»Als Arzt darf ich Sie wohl fragen, ob Sie eine enge, eine intime Bindung zu ihm haben«, sagte er nach kur-zem Überlegen.

»Nein, so ist es nicht, und soweit möchte ich es auch nicht kommen lassen. Ich habe ihn gern, zwischen den Brüdern Reinhold und mir bestand eine schöne Freundschaft. Es sollte so bleiben. Jetzt habe ich ihm gewisse Rechte eingeräumt, weil ich Mitleid mit ihm habe. Er ist doch noch so jung.« Tränen traten in ihre Augen. Sie schluckte, und er ließ ihr Zeit, die Beherrschung wiederzugewinnen.

»Aber Mitleid ist keine Grundlage für ein Zusammenleben. Ich kann mich nicht einem Mann hingeben, dessen Lebenslicht nur noch ab und zu aufflackert. Ich kann aus meiner Haut einfach nicht heraus, Herr Dr. Norden«, schluchzte sie trocken auf. »Ich bitte Sie um Ihre Hilfe.«

»Wie kann ich Ihnen helfen ? Wir wollen ganz offen darüber sprechen, Fräulein Linden. Es wird niemand erfahren.«

»Ich bin weder verklemmt noch prüde, aber ich habe bisher meinem Beruf immer den Vorzug vor einem Mann gegeben«, sagte Stefanie leise. »Ich halte nichts von Liebeleien. Meine einzige Freundin, die ich sehr gern hatte, hat böse Erfahrungen gemacht. Das war ein Schock für mich. Der ersten Enttäuschung folgten meist andere nach. Die Jagd nach dem Glück zahlt sich doch meist nicht aus, wenn man nicht den Mann bekommt, den man haben möchte. Man hat doch eine bestimmte Vorstellung.«

»Nicht nur das, man sollte auch die Überzeugung haben, daß man mit diesem Partner alt zu werden wünscht. Sie sind bisher noch keine enge Bindung eingegangen?« fragte er vorsichtig.

»Nein.« Kurz, bestimmt und klar kam diese Antwort. »Die Ehe meiner Eltern war nicht glücklich, das hängt mir wohl auch nach, und dann beging meine Freundin Selbstmord. Ich war immer in Abwehrstellung Männern gegenüber. Als ich Ralph und Peter kennenlernte, taute ich auf. Sie sind so grundverschieden, aber gerade das war interessant für mich. Es war immer nett, wenn wir zusammen waren. Der richtige Ausgleich für den Alltag.«

»Und wenn sich nun beide für andere Frauen entschieden hätten?« fragte Dr. Norden.

»Damit mußte ich rechnen. Ich hätte immer eine schöne Erinnerung an das vergangene Jahr behalten. Inzwischen habe ich ja auch eine Tätigkeit, die mich fasziniert.«

»Die doch aber diese Freuden nicht ersetzen kann«, sagte Dr. Norden nachdenklich.

»Ich dachte, daß diese Freundschaft so beständig sein könnte, daß sie hält«, sagte sie kleinlaut. »Ralph hat sich nun schon zurückgezogen. Ich kann Peter daraus keinen Vorwurf machen, und ich denke, daß Ralph mich sicher verstehen würde, wüßte er, warum Peter jetzt eine Sonderstellung bei mir einimmt. Aber darum geht es ja nicht. Ich denke, daß man Peters Euphorie dämpfen könnte, wenn man ihn in dem Glauben ließe, daß meine Gesundheit angegriffen ist.« Heiße Glut stieg in ihre Wangen und belebte ihr Gesicht. »Ich bin eine schlechte Lügnerin, Herr Dr. Norden, aber irgendwie muß ich diese Zeit überstehen. Können Sie mir dabei nicht ein klein wenig helfen?«

»Es gäbe einen Weg, wenn Herr Reinhold nicht protestiert«, sagte Dr. Norden nachdenklich. »Ich könnte ihm sagen, daß Sie eine Kur machen müssen. Dafür würde sich die Insel der Hoffnung anbieten, die mein Schwiegervater leitet. Mit ihm könnte ich ganz offen über die Probleme sprechen, die ja auch mich beschäftigen. Wenn Herr Reinhold auch dorthin gehen will, hätte man ihn immer unter Kontrolle. Es wäre immer besser als ein Urlaub zu zweit, der Sie in manche Schwierigkeiten bringen könnte. Ich habe Sie doch richtig verstanden?«

»Besser, als ich zu hoffen wagte«, sagte Stefanie dankbar.

»Ja, dann werde ich mal mit Herrn Reinhold sprechen. Von unserem kleinen Geheimnis abgesehen, würde Ihnen solch ein Erholungsaufenthalt wahrlich guttun. Wann haben Sie denn das letzte Mal Urlaub gemacht?«

»Vor einem Jahr. Da lernte ich Ralph und Peter beim Skifahren kennen.«

Dr. Norden fiel auf, daß sie Ralph immer zuerst nannte, und er zog seine Schlüsse daraus. Er hatte Respekt vor dieser tapferen jungen Frau, aber er hielt nichts von Selbstaufopferung.

Dr. Norden bewies wieder einmal, daß er großes diplomatisches Geschick besaß, als er zu Peter Reinhold sagte, daß er doch morgen vormittag nochmals zu ihm kommen möchte. Fräulein Linden sei krank, aber er würde darüber gern doch noch mit ihm sprechen.

Das hatte einen doppelten Effekt. Peter fühlte sich plötzlich stärker als Stefanie, und sie erlebte nun, daß er sie äußerst rücksichtsvoll behandelte.

Daniel Norden rief Professor Weissenberger an und erzählte ihm, was er sich mit Stefanie ausgedacht hatte.

»Das ist gut, das ist sogar sehr gut!« rief der Professor aus. »Mir wäre so etwas nicht eingefallen. Es wird mir schwerfallen, auf Stefanie zu verzichten, aber früher oder später werde ich mich damit abfinden müssen.«

Nach diesem Gespräch führte Dr. Norden ein weiteres mit Dr. Cornelius, seinem Schwiegervater, und das wurde ein langes Gespräch. Sie konnten sich in jeder Lebenslage aufeinander verlassen.

Daniel konnte auch hören, daß sich Christopher und Vanessa Bentham inzwischen schon sehr wohl fühlten auf der Insel der Hoffnung. Da würde Stefanie auch gleich nette junge Gesellschaft finden.

Fee Nordens Kommentar zu dieser Absprache traf wieder einmal den Nagel auf den Kopf. »Wenn wir die Insel nicht hätten, hätten wir schon manches Mal dumm aus der Wäsche geschaut«, erklärte sie.

Da konnte man ihr nur recht geben. Schon manches Wunder war auf der Insel der Hoffnung Wirklichkeit geworden. Zwar konnte man für Peter keines erwarten, doch der tapferen Stefanie konnte dort seelischer Beistand geleistet werden. Es schien dann auch, als würde Peter von seinen eigenen Beschwerden abgelenkt, da er besorgt um Stefanie war. Dr. Norden gewann am nächsten Vormittag diesen Eindruck, als er Peter erklärte, daß Stefanie unter ähnlichen Symptomen leide wie er.

Hatte er schon mehrmals die Erfahrung gemacht, daß Kranke schon dadurch beruhigt wurden, wenn andere die gleichen Beschwerden hatten, so wurde es bei Peter ganz deutlich, wie er sich selbst stark machte für Stefanie. Dr. Norden war jetzt überzeugt, daß er Stefanie ehrlich liebte.

Er zögerte nicht einen Augenblick, seine Bereitschaft zu erklären, Stefanie auf die Insel der Hoffnung zu begleiten, und sie atmete auf, als er ihr dies dann auch gleich mitteilte.

Ganz behutsam tat er es. »Du wirst sehen, daß wir beide wieder völlig okay sind, Liebling, wenn wir dort ein paar erholsame Wochen verbracht haben. Dann wird geheiratet. Versprichst du mir das?«

Sie nickte und konnte es dabei nicht verhindern, daß ihr wieder Tränen in die Augen stiegen.

»Nicht traurig sein, Liebes«, sagte Peter zärtlich. »Ich komme ja mit. Ich bleibe bei dir.«

*

An diesem Abend wartete er auf Ralph. Katinka schöpfte schon ein bißchen neuen Mut, daß sich doch alles wieder einrenken würde. Und Ralph erfüllte die Hoffnung, daß Stefanie Peter zur Vernunft gebracht hätte.

Ein wahnsinniger Schrecken durchzuckte ihn dann, als Peter sagte, daß Stefanie krank sei.

»Wie das?« fragte er heiser.

»Sie hat ähnliche Symptome wie ich. Dr. Norden hat sie untersucht und ihr eine Kur auf der Insel der Hoffnung empfohlen. Ich werde sie begleiten. Ich kann auch Erholung brauchen. Nach diesen Wochen werden wir dann heiraten, und ich hoffe, daß du mir nicht mehr böse bist, daß Stefanie sich für mich entschieden hat.«

Ralph betrachtete ihn forschend. Da er Peter ein paar Tage nicht gesehen hatte und ihn ganz bewußt betrachtete, fiel ihm auf, wie hager sein Gesicht geworden war, wie tief sich Falten um Augen und Mund eingekerbt hatten. Jetzt schob er es darauf, daß er sich um Stefanie sorgte.

»Ich begreife nicht, daß Stefanie krank ist«, sagte er leise. »Sie war doch immer kerngesund.«

»Es fliegt einen halt an. Du hast es ja bei mir auch gesehen.«

Ralph kam der wahnwitzige Gedanke, daß Peter Stefanie angesteckt haben könnte. Er schalt sich, daß er Peters Zustand bisher so wenig Beachtung geschenkt hatte und daß er nicht einmal mit Dr. Norden gesprochen hatte, was Peter fehlen würde.

»Wann fahrt ihr?« fragte er tonlos.

»Übermorgen. Du fährst nun ja bald zum Skilaufen. Aber du wirst ja zurück sein, wenn wir heiraten, und ich hoffe, du schlägst uns die Bitte nicht ab, unser Trauzeuge zu sein.«

»Okay«, sagte Ralph heiser.

»Darf ich Stefanie sagen, daß du uns Glück wünschst?«

»Ja, sicher, sag es ihr.«

Ihm fiel jedes Wort unsagbar schwer, und er fühlte sich versucht, Stefanie anzurufen, aber er verdrängte diesen Wunsch. Ein anderer Gedanke kam ihm, aber den wollte er erst in die Tat umsetzen, wenn Peter und Stefanie die Stadt verlassen hatten.

*

Auf der Insel der Hoffnung hatte man sich auf die Ankunft der beiden vorbereitet. Alles war wohlüberlegt worden. Stefanie sollte ein Appartement in dem Haus bekommen, in dem auch Christopher und Vanessa einquartiert worden waren.

Peter sollte im Gästezimmer der Privatwohnung von Dr. Cornelius untergebracht werden, damit man ihn ständig unter Aufsicht halten konnte. Es blieb nun die Frage offen, wie er darauf reagieren würde.

Für Stefanie hatte der Start schon mit dem Problem begonnen, wer fahren sollte. Peter bestand darauf, sich ans Steuer zu setzen.

»Du mußt dich schonen«, erklärte er.

»Mir geht es aber schon bedeutend besser«, sagte sie.

»Aber nicht so gut wie mir.«

Angst und bange wurde ihr, daß die List, die angewandt worden war, zu einer Katastrophe führen könnte, aber erstaunlicherweise zeigte Peter keinerlei Ermüdungserscheinungen. Er war auch keineswegs unkonzentriert. Sie erreichten die Insel ohne Zwischenfall.

Selbst im Winter bot sie einen anmutigen Anblick. »Wie schön«, sagte Stefanie leise, »wie friedlich.«

Johannes und Anne Cornelius kamen zur Begrüßung, mit der gleich der persönliche Kontakt hergestellt wurde.

Durch nichts wurde betont, daß es sich um ein Sanatorium handelte. Mit Takt und Einfühlungsvermögen verstanden es Dr. Cornelius und seine Frau Anne, das Vertrauen ihrer Patienten zu erringen. Zu ihrer Erleichterung zeigte Peter keinerlei Unwillen, daß er im Gästezimmer wohnen sollte. Vielleicht betrachtete er es als Auszeichnung oder auch als einen Beweis, daß man ihn nicht als Patienten betrachtete. Zu gern hätte Dr. Cornelius erforscht, was Peter dachte. Es hätte ihn jedenfalls sehr erstaunt, denn die räumliche Distanz, die zwischen ihn und Stefanie gelegt wurde, war ihm sehr willkommen. Er fühlte sich bedeutend schlechter, als er zeigen wollte. Aber wie viele Kranke, die schon ganz unter dem Einfluß von schmerzstillenden Medikamenten standen, waren seine Stimmungen beträchtlichen Schwankungen unterworfen und das logische Denkvermögen sehr beeinträchtigt.

Dies sollte Dr. Cornelius dann ganz deutlich bemerken, als er später unter vier Augen mit Peter sprach, der sich nur mit Stefanies Gesundheitszustand beschäftigte. Es wäre wohl übertrieben gewesen zu sagen, daß dieser ihn zufrieden stimmte, aber es war sozusagen eine Rechtfertigung für seine Beschwerden, daß sie scheinbar der Schonung bedurfte.

Dr. Cornelius war ein ausgezeichneter Psychologe, und aus manchen Bemerkungen konnte er schließen, daß Peter das geläufige Wort, daß geteilter Schmerz den halben Schmerz bedeutet, zu seiner Devise gemacht hatte.

Anne unterhielt sich indessen mit Stefanie in dem hübschen Appartement, das so wohnlich eingerichtet war, daß man sich darin wahrhaftig wohl fühlen konnte.

»Sie werden nette Gesellschaft finden, die Sie ablenken wird, Stefanie«, sagte sie, »und wenn es kritische Momente gibt, werden wir immer zur Stelle sein. Versuchen Sie jetzt mal abzuschalten. Wir werden Herrn Reinhold sagen, daß Sie sehr viel Ruhe brauchen, und nach allem, was wir von ihm wissen, wird er die Ruhe auch für sich selbst dringend suchen.«

Stefanie hatte ein sehr starkes Bedürfnis nach Ruhe, und als sie sich niedergelegt hatte, schlief sie sofort ein.

*

Als Dr. Norden von einem dringenden Krankenbesuch zurückkam, überraschte ihn Loni mit der Nachricht, daß Ralph Reinhold angerufen und um einen Termin gebeten hatte.

»Wann kommt er?« fragte Daniel.

»Gegen halb fünf Uhr.«

Dr. Norden sah diesem Besuch mit Spannung entgegen. Fee hatte indessen mit Anne telefoniert und erfahren, daß Peter und Stefanie gut gelandet waren. Daniel kam an diesem Tage mal wieder pünktlich zum Mittagessen, und die Kinder waren zufrieden, daß er sich auch noch eine Stunde mit ihnen beschäftigen konnte.

In der Praxis ging es am Nachmittag verhältnismäßig ruhig zu. Es machte sich bemerkbar, daß viele Patienten im Winterurlaub waren, und da von überall her verlockende Schneeverhältnisse gemeldet wurden, bekam auch Daniel richtige Sehnsucht, mal wieder ein paar Tage in den Bergen zu verbringen. Eigentlich konnten sie am Wochenende doch mal wieder wegfahren, wenn das Wetter so schön blieb, ging es ihm durch den Sinn.

Das Privatleben war in letzter Zeit sehr kurz gekommen, aber er brachte es einfach nicht fertig, schwerkranke Patienten im Stich zu lassen. Manchmal wurde seine Gutmütigkeit allerdings auch weidlich ausgenützt, wie zum Beispiel von Frau Lederer, die regelmäßig am Wochenende ihre Migräneanfälle bekam und ihn damit ebenso in Atem hielt wie ihre Familie.

An diesem Tag aber erschien sie in der Praxis, und da staunte er nicht wenig. Schick gekleidet, frisch frisiert, ohne griesgrämige Miene stand sie vor ihm.

»Ich will Sie gar nicht lange aufhalten, Herr Doktor«, erklärte sie. »Ich habe über Ihre Worte nachgedacht, ich meine, über das, was Sie als Wochenendpsychose bezeichnet haben. Jetzt will ich mal ausprobieren, ob ich die Migräne auch bekomme, wenn ich meine Familie am Wochenende mal allein lasse. Ich fahre zu einer Schulfreundin, die in der Nähe von Stuttgart wohnt. Wir haben uns lange nicht gesehen. Mein Mann und meine Kinder haben ganz schön dumm geguckt, als ich ihnen das eröffnet habe. Leicht ist es mir auch nicht gefallen, das muß ich zugeben, aber ich muß es mal packen. Jeder will am Sonntag seine Ruhe haben, lange schlafen und faulenzen, nur Mutter muß immer zur Stelle sein, kochen, backen, herumflitzen, und abends fliegen alle aus, und ich sitze allein vor dem Fernseher. Jetzt sollen sie mal sehen, und wenn ich meine Migräne nicht kriege, werde ich es öfter mal so machen. Finden Sie es richtig?«

»Nichts dagegen zu sagen. Ich bin selbst gespannt, ob sich Ihr Entschluß positiv auswirkt.«

»Ich auch. Mit Ihnen kann man wenigstens reden. Ich werde Sie diesmal jedenfalls nicht schikanieren.«

»Und ich wünsche Ihnen ein paar schöne Tage, Frau Lederer«, sagte Daniel herzlich.

»Ich will doch mal sehen, ob es bei meiner Freundin auch so zugeht wie bei uns. Sie ist genauso lange verheiratet wie ich und hat auch drei Kinder. Ja, dann werde ich mal abdampfen.«

Ganz wohl schien es ihr bei dem Gedanken auch wieder nicht zu sein, aber Dr. Norden meinte, daß es zumindest ein Trost für sie sein könnte, wenn sie bei der Freundin auch keine anderen Verhältnisse vorfinden würde.

Frauen in den Wechseljahren neigen oft dazu, sich benachteiligt zu fühlen, vor allem, wenn die Kinder flügge wurden und eigene Wege gingen. Aber sehr viele Ehen versandeten auch im Alltragstrott.

Bei ihm war das glücklicherweise nicht der Fall. Wenn sie mal ein ungestörtes Wochenende verbringen konnten, waren sie überglücklich. Würde das auch so bleiben, wenn die Kinder dann größer wurden? Der Gedanke schoß ihm durch den Sinn, und er tröstete sich damit, daß bis dahin ja wirklich noch einige Jahre vergehen würden.

Noch zwei Patienten warteten, und es war fast fünf Uhr geworden, als er mit diesen fertig war. Ralph Reinhold hatte zehn Minuten warten müssen, aber es war ihm nur recht, daß Dr. Norden jetzt Zeit für ihn hatte.

»Wo drückt der Schuh?« fragte Dr. Norden, als er bemerkte, daß es Ralph sichtlich schwerfiel, einen Anfang zu finden.

»Mein Bruder hat mir gesagt, daß Stefanie krank ist«, begann Ralph stockend. »Ich möchte Sie fragen, was ihr fehlt.«

»Ich dürfte Ihnen keine Auskunft geben, Herr Reinhold, wenn es sich um eine richtige Erkrankung handeln würde«, erwiderte Daniel bedächtig. »Wenn Sie mich allerdings fragen würden, was Ihrem Bruder fehlt, da Sie der nächste Angehörige sind, könnte ich es verantworten, Ihnen eine Auskunft zu geben.«

Nervös strich sich Ralph das Haar glatt, was allerdings ein vergebliches Unterfangen war, denn er hatte sehr widerspenstiges Haar. Wenn man daraus auf den Charakter schließen wollte, mußte man ihn zumindest als einen schwierigen Menschen einstufen.

»Peter sprach davon, daß bei Stefanie die gleichen Symptome auftreten würden wie bei ihm, und ich mache mir Gedanken, ob er an einer ansteckenden Krankheit leidet.«

»Nein, es ist keine ansteckende Krankheit, und das Befinden von Fräulein Linden ist psychisch bedingt. Ich denke, daß es an der Zeit ist, Ihnen reinen Wein einzuschenken, zum besseren Verständnis, Herr Reinhold. Doch die Wahrheit könnte Sie erschrecken.«

Ralphs Augen richteten sich forschend auf ihn. »Erschrecken? Wollen Sie damit sagen, daß Peter sehr krank ist?«

»Es ist nicht einfach für mich, es Ihnen zu erklären. Es fällt mir immer schwer, einem Angehörigen zu sagen, daß…« Er unterbrach sich, weil Ralph aufgesprungen war, kreidebleich im Gesicht.

»Es ist eine unheilbare Krankheit?« flüsterte er tonlos. »Oh, mein Gott«, und dann sank er schwer auf den Stuhl zurück und legte die schmalen, sehnigen und kraftvollen Hände vor sein Gesicht. »Das ist entsetzlich. Damit hatte ich nicht gerechnet.«

Er war so tief erschüttert, daß kein Wort des Trostes etwas genützt hätte. Wie sollte man da denn auch wohl trösten!

Dr. Norden wartete, bis Ralph die Hände sinken ließ. »Aber ich muß es doch wissen«, murmelte er. »Einer muß es doch wissen.«

»Stefanie Linden weiß es auch«, sagte Dr. Norden leise.

»Was sagen Sie da?« rief Ralph bestürzt aus. »Aber Sie haben kein Recht, ihr so etwas zu sagen!«

»Sie hat es als Medizinalassistentin bei Professor Weissenberger zufällig erfahren. Selbstverständlich bewahrt auch sie Schweigen, und wie ich nun weiß, hat sie es auch Ihnen gegenüber gewahrt.«

»Aber warum? Warum hat sie es mir nicht gesagt? Warum ist sie sogar bereit, Peter zu heiraten?«

»Es gibt Mitleid und menschliche Entscheidungen, die darauf fußen. Ich denke, es ist gut, wenn wir jetzt dar-über sprechen, damit auch Sie das nötige Verständnis für eine verzweifelte Situation aufbringen, die auch uns Ärzte nicht unberührt läßt.«

»Nehmen Sie etwa an, mich würde das Schicksal meines Bruders ungerührt lassen, Herr Dr. Norden?« fragte Ralph mit erstickter Stimme. »Ich war Bruder und Freund zugleich für ihn und habe ihm auch manchmal den Vater ersetzen müssen. Mein Gott, ist denn Peter nicht zu helfen? Ich würde doch alles für ihn tun.«

»Er hat Leukämie. Wir sind machtlos. Nur Verständnis kann ihm noch helfen, damit er noch gute Stunden hat. Stefanie Linden ist dazu bereit.«

»Aber welchen schrecklichen seelischen Belastungen wird sie ausgesetzt«, stöhnte Ralph.

»Deshalb haben wir sie auf die Insel der Hoffnung geschickt, und deshalb haben wir auch eine Krankheit bei ihr vorgeschützt. Es ist freilich nicht einfach für sie, Peter zu täuschen, es ist noch schwieriger, ihm keine schmerzhafte Enttäuschung zu bereiten. Wir haben uns offen darüber ausgesprochen. Sie hat Peter sehr gern und tiefes Mitleid mit ihm, aber mehr ist es nicht, und sie kann sich nicht selbst verleugnen.«

Ralph senkte den Kopf, starrte blicklos auf den Boden.

»Wenn ich das doch gewußt hätte«, murmelte er.

»Nun wissen Sie es, aber Sie können und dürfen nichts tun, was Ihren Bruder in dem Glauben erschüttern könnte, daß er von Stefanie geliebt wird.«

»Und wie sie es durchsteht, danach fragt man nicht?«

»Wir tun alles, um es ihr leichter zu machen.«

»Kann ich sie nicht wenigstens besuchen?« fragte Ralph.

»Das halte ich nicht für angebracht. Nicht, solange Ihr Bruder Sie nicht um einen Besuch bittet. Vielleicht wird das bald der Fall sein. Diese Krankheit erzeugt eigenartige Reaktionen. Ich weiß, daß es für Sie nicht leicht ist abzuwarten, aber jetzt könnten Sie Stefanie nicht helfen. Sie schon gar nicht.«

»Wie meinen Sie das?«

»Denken Sie einmal nach. Sie war mit zwei Brüdern befreundet. Es hat sich herausgestellt, daß einer krank ist. Diese Freundschaft hat ihr unendlich viel bedeutet, soviel, daß sie sich für keinen von beiden entschieden hätte. Nein, ich brauche nicht mehr zu sagen. Sie wissen besser als ich, was Stefanie auch Ihnen bedeutet. Der kranke Peter will sie mit allem ihm bleibenden Willen festhalten. Es bleibt ihm nur noch kurze Zeit, Herr Reinhold. Wünschen wir ihm doch, daß ein Hauch von Glück diese Tage begleitet. Er ist nicht mehr in der Lage, etwas von einer Frau zu fordern, wenn er sie auch noch so sehr liebt. Er will an seine Genesung glauben, er will es, aber manchmal wird er daran insgeheim schon zweifeln. Es ist sehr schwer, die Psyche eines Kranken zu ergründen. Als kleinen Trost kann ich Ihnen jetzt nur sagen, daß mein Schwiegervater alles tun wird, seine Schmerzen zu lindern.«

»Und es bleibt nicht die geringste Hoffnung?« fragte Ralph leise. »Verstehen Sie mich bitte, Herr Dr. Norden. Wenn Peter gesund würde, und wenn Stefanie dann seine Frau werden würde…«, er geriet ins Stocken.

»Wir brauchen diesen Gedanken nicht zu Ende zu führen«, sagte Dr. Norden. »Die Krankheit ist sehr weit fortgeschritten.«

»Und mir bleibt nichts anderes als zu warten«, sagte Ralph deprimiert.

Ein um Jahre gealtert scheinender Mann verabschiedete sich von Daniel Norden, der ihm den Gedanken nachschickte, daß er gewiß keinen Triumph empfinden würde, am Ende doch Sieger in dem Kampf um eine geliebte Frau zu bleiben. Aber würde das auch so sein? Peters Schatten konnte für alle Zeiten zwischen ihnen stehen.

Aber das dachte Ralph auch. Er fuhr nicht nach Hause. Er konnte jetzt der guten Katinka nicht in die Augen blicken. Er fuhr hinaus in den Forst und lief ein paar Stunden durch den Wald. Ein Föhnsturm kam auf und fraß den Schnee von den Bäumen, beraubte sie dieser leuchtenden Pracht, zerzauste sein störrisches Haar noch mehr und vermochte nicht, den bohrenden Schmerz aus seinem Kopf zu vertreiben.

Stefanie, Peter, nichts anderes vermochte er zu denken, und keine Erinnerung an frohe Stunden wurde wach in ihm.

Es regnete in Strömen, als er heimkehrte, und zur gleichen Zeit sagte Dr. Norden zu seiner Frau Fee: »Eigentlich wollte ich mit euch in die Berge fahren, wenn das Wetter bis zum Wochenende gehalten hätte.«

»Petrus ist dagegen. Wer weiß, wozu es gut ist«, meinte sie. »Es passiert so schrecklich viel.«

Gefreut hätte sie sich schon, wenn sie mal wieder gemeinsam hätten wegfahren können, aber sie hatte sich längst daran gewöhnt, alles so zu nehmen wie es kam, und wenn aus einem Vorhaben mal wieder nichts wurde, hatte dies ihrer Meinung nach sicher auch seine Bedeutung. Was sollten sie auch bei schlechtem Wetter in den Bergen, da war es zu Hause viel gemütlicher. Und überhaupt war es bei diesem unbeständigen Winterwetter gefährlich auf den Straßen, noch dazu, wenn man auf drei kleine Kinder aufpassen mußte.

*

Katinka, die nicht wußte, was Ralphs Herz beschwerte, schimpfte auf das Sauwetter. »Zwei Tage Winter, dann regnet es schon wieder. So was hat’s früher nicht gegeben. Daran sind bloß diese Astronauten schuld, die das ganze Weltall durcheinanderbringen.«

Ralph ließ sie schimpfen. Er verschwand für eine ganze Weile im Bad. Als er dann herauskam, schon in den Bademantel gehüllt, fragte Katinka vorwurfsvoll, ob er heute wieder nichts essen wolle.

»Höchstens ein Schinkenbrot. Ich habe keinen Hunger«, erwiderte er, und um sie nicht noch tiefer zu kränken, fügte er hinzu, daß er schon mit Geschäftsfreunden gegessen hatte.

»Jetzt bin ich schon beinahe arbeitslos«, brummte Katinka. »Schmutzig gemacht wird auch nichts mehr, gegessen wird kaum noch zu Hause.«

»Aber was sollte ich denn ohne Sie machen, Katinka«, sagte Ralph.

»Auch mal ans Heiraten denken«, sagte sie. »Das Haus ist viel zu groß für einen.«

»Wir sind doch zwei.« Zu ihrer Überraschung stellte er dann den Fernsehapparat an. Ihm ging es nur darum, daß es nicht gar so still war im Hause. Der Sendung selbst schenkte er keine Beachtung.

Katinka brachte ihm eine appetitlich angerichtete kalte Platte, natürlich viel zu reichlich, aber nach dem langen Marsch durch Regen und Wind verspürte er nun doch Hunger. Dazu trank er eine ganze Flasche Wein aus. Er konnte schon etwas vertragen, und ein kleines bißchen entspannter fühlte er sich nun doch. Er war müde, als er sich zu Bett legte, aber der Schlaf wollte dann doch nicht kommen.

Es mußte Stefanie wohl genauso hart getroffen haben wie ihn, als sie diese schreckliche Wahrheit erfuhr. Wie aber hätte sie sich verhalten, wenn sie es nicht gewußt hätte? Hatte sie es auch an jenem Mittag schon gewußt, als er sich mit ihr getroffen hatte und Gitta dann dazwischenkam? Hatte sie es ihm sagen wollen?

Diese Gitta! Er verwünschte sie jetzt noch mehr. Dauernd hatte sie ihn während der vergangenen Tage mit ihren Anrufen belästigt, immer und immer wieder mit einer Hartnäckigkeit ohnegleichen.

Wie ganz anders war doch Stefanie. Wie froh waren sie immer gewesen, wenn sie beisammensaßen. Er sehnte sich nach ihr, wünschte, sie in den Armen zu halten, ihr zu sagen, daß er nun alles verstünde. Sollte er tatsächlich nur warten?

*

Die ersten Tage auf der Insel der Hoffnung zeigten bei Peter eine scheinbare Besserung. Es überraschte Dr. Cornelius nicht. Die Luftveränderung, die völlige Umstellung in der Ernährung rief bei solchen Erkrankungen oftmals positive Reaktionen hervor.

Ein Grund zur Freude war damit nicht gegeben, obgleich Peter so verblüffend gut aussah, daß Stefanie nur staunen konnte. Gleichzeitig aber war ihr wieder bange, daß sein stürmisches Liebeswerben erneut einsetzen könnte. Doch diese Sorge erwies sich als überflüssig. In seinem Wesen war auch eine Veränderung eingetreten. Er wirkte ausgeglichen, besinnlich und verinnerlicht, so als würde er in sich hineinlauschen.

Sie hatten Christopher und Vanessa Bentham kennengelernt und erfahren, weshalb Christopher hier weilte.

Peter äußerte sich bedauernd und mitfühlend über ihn, als er dann mit Stefanie über die Insel wanderte.

»Es muß schlimm sein, wenn man seine ganze Existenz gefährdet sieht«, sagte er nachdenklich. »Da bin ich doch besser dran. Bei uns geht alles weiter, auch wenn ich mal ein paar Wochen ausfalle. Ralph wird sehr gut ohne mich fertig, ich würde ohne ihn nichts zustande bringen. Das ist der Unterschied. Ich habe Ralph immer bewundert. Er war mir immer so weit voraus, daß ich mich wundern muß, daß du nicht ihm den Vorzug gegeben hast.«

Ahnte er etwas? Konnte er fühlen, daß sie soviel an Ralph dachte und daß er es war, dem ihr Herz gehör-

te?

»Ich bin natürlich sehr froh, daß es anders gekommen ist«, fuhr er fort, »aber früher hatte ich doch manchmal das Gefühl, daß du dich für ihn entscheiden würdest. Es hätte mich fürchterlich getroffen.«

»Du brauchst dir doch darüber nicht mehr den Kopf zu zerbrechen. Ich habe mich für dich entschieden, Peter.«

»Dafür werde ich immer dankbar sein. Ich werde dich auf Händen tragen, mein Liebes. Geht es dir auch schon besser?« fragte er sprunghaft.

»O ja, ich bin nur immer so leicht müde«, erwiderte sie ausweichend.

»Ich eigentlich gar nicht. Ich fühle mich viel frischer als in München. Dr. Cornelius ist ein großartiger Arzt. Dr. Norden kann noch viel von ihm lernen.«

Stefanie hätte Dr. Norden gern in Schutz genommen, aber sie hielt ihre Zunge doch lieber im Zaum. Selbstverständlich schätzte sie Dr. Cornelius auch hoch ein, aber viel brauchte Dr. Norden gewiß nicht mehr zu lernen.

Peter war außerordentlich rücksichtsvoll. Er bestand darauf, daß Stefanie sich nach dem Spaziergang wieder niederlegte.

»Ich werde mich auch ausruhen, Liebes«, erklärte er. »Es ist doch herrlich, mal so richtig zu faulenzen. Man kann sich daran gewöhnen.«

Vanessa kam gerade aus der Tür, als Stefanie das Haus betrat. Sie war Stefanie sehr sympathisch in ihrer stillen, zurückhaltenden Wesensart.

»Wollten Sie gehen oder kommen Sie?« fragte sie mit einem anmutigen Lächeln.

»Ich komme«, erwiderte Stefanie.

»Mein Mann schläft«, flüsterte Vanessa. »Ich kann Sie wohl nicht noch zu einem kleinen Ausflug verleiten?«

»Peter könnte mich sehen. Er befiehlt mir Ruhe«, erwiderte Stefanie auch im Flüsterton. »Aber vielleicht könnten wir bei mir ein bißchen plaudern?«

Vanessa stimmte freudig zu. Sie schloß sich nicht leicht an, aber Stefanie entsprach ganz ihrem Geschmack.

»Christopher strengt die Therapie sehr an«, sagte sie. »Er muß viel ruhen, und da schäme ich mich richtig, daß ich mich so pudelwohl fühle und so unternehmungslustig bin wie lange nicht mehr. Ich hoffe nur, daß Christopher bald eine Besserung verspürt. Er ist so schrecklich ungeduldig.«

»Ich stelle es mir auch schlimm vor, wenn ein Musiker sein Instrument nicht spielen kann. Aber ihm wird zu helfen sein.«

Es war ihr so herausgerutscht. Vanessa blickte sie betroffen an. »Sie können doch nicht schwerkrank sein, Stefanie«, sagte sie stockend.

»Ich nicht, aber es gibt viele Kranke, für die es keine Hoffnung gibt.«

»Ein schrecklicher Gedanke«, sagte Vanessa. Dann hob sie lauschend den Kopf, da ihr Name gerufen wurde. Sie seufzte.

»Mein Mann ist wie ein kleines Kind. Wehe, wenn ich den Rücken drehe. Er kann noch so tief schlafen, aber dann wacht er bestimmt auf. Aber wir werden uns ja noch öfter zusammensetzen können, Stefanie. Es freut mich sehr, wenn ich so angenehme Gesellschaft habe.«

Sie eilte zu ihrem Appartement zurück. »Du sollst bei mir bleiben«, wurde sie von Christopher empfangen.

»Ich war nur bei Stefanie drüben, Darling. Wir haben uns ein bißchen unterhalten.«

»Mein Arm tut so schrecklich weh. Es ist schlimmer als vorher«, klagte er.

»Dr. Cornelius hat gesagt, daß es ein Zeichen ist, daß sich die Muskeln wieder stärken. Du darfst jetzt nicht die Geduld verlieren. Ich lasse dir einen Tee bringen.«

»Immer diesen Tee. Was soll der schon helfen«, murrte er.

»Du wirst sehen, daß er hilft. Diese starken Schmerzmittel haben nur deinem Magen geschadet.«

Sie legte eine Engelsgeduld an den Tag. Und Christopher wurde dann ganz kleinlaut. Er entschuldigte sich bei ihr.

»Ich verstehe dich doch, Liebster«, sagte sie sanft. »Es dauert halt schon so lange. Aber ich habe Vertrauen zu Dr. Cornelius. Er wird dir helfen.«

Seine Hand legte sich an ihre Wange. Es war die rechte Hand. Sich selbst nicht bewußt, hatte er sie erhoben. Vanessa stieß einen glucksenden Laut aus und hielt seine Hand fest.

»Christopher, Liebling, du kannst den Arm heben«, jauchzte sie auf.

Verwundert sah er sie an, dann seine Hand. »Ich kann den Arm heben«, wiederholte er. »Mein Gott, ich kann ihn tatsächlich heben, und jetzt tut es gar nicht weh. Wie kann das nur geschehen?«

»Du hast vielleicht unglücklich gelegen«, sagte Vanessa. »Und vielleicht wird es auch noch weh tun, aber du kannst ihn heben, bis zu meinem Gesicht. Wir müssen es Dr. Cornelius sagen. Du darfst nichts tun, was schaden könnte.«

Sie legte ihre Lippen in seine Handfläche, sie streichelte seine Finger. »Es wird gut werden, Liebster, es wird bestimmt gut werden.«

*

Dr. Cornelius war in der Ordination und hatte gerade einen Patienten untersucht, der morgen die Heimreise antreten wollte. Ungern, wie er sagte. Aber die Arbeit müsse auch mal wieder getan werden. Es war einer jener Glücklichen, die die Gewißheit mitnehmen konnten, völlig gesundet zu sein. So war es Dr. Cornelius freilich am liebsten.

Er begleitete den Patienten zur Tür, und da kam Peter auf sehr unsicheren Füßen daher. Sein Gesicht war fahl, seine Lippen blutleer. Dr. Cornelius war sehr erschrocken, verabschiedete den anderen Patienten rasch und stützte Peter.

»Was ist geschehen?« fragte er, nachdem er Peter auf die Liege gebettet hatte.

»Ich weiß nicht. Mir war plötzlich so schlecht. Ich wollte noch einmal zu Stefanie gehen…«, er konnte nicht weitersprechen und keuchte nur noch.

Dr. Cornelius sah sich gezwungen, ihm eine Injektion zu geben, zu der er nur sehr ungern griff. Sie wirkte. Peters Puls besserte sich, er schlief auf der Stelle ein.

Dr. Cornelius breitete eine leichte warme Decke über ihn und ging dann zu Anne, die eben noch den Telefonhörer in der Hand hielt.

»Herr Bentham kann seinen Arm bewegen«, sagte sie freudig.

»Dafür liegt jetzt Peter auf der Nase«, sagte er düster. »Das kam mir zu überraschend. Ich muß mit Stefanie sprechen.«

»Geh aber erst zu Benthams. Vanessa ist außer sich vor Freude.«

Er konnte sich augenblicklich nicht freuen. Zu unerwartet war Peters Zusammenbruch gekommen nach dieser scheinbaren Besserung. Gewiß hatte diese keine Hoffnungen in ihm geweckt, aber dieser jähe Umschwung war ihm rätselhaft. Es beschäftigte ihn mehr als Christophers Arm, denn für diesen sah er eine stetige Besserung voraus. Er hatte damit gerechnet, daß sich bald eine positive Reaktion einstellen würde. Allerdings hatte er auch damit gerechnet, daß Peters vorübergehende Erholung länger anhalten würde.

»Kümmere dich bitte um Peter, Anne«, sagte er geistesabwesend. »Er schläft jetzt. Sorge dafür, daß niemand in die Ordination kommt.«

Sie nickte ihm zu. Sie sah, wie er sich kopfschüttelnd entfernte, und sie wußte, daß er wieder einmal vor einem Rätsel stand.

Peter lag ganz ruhig da. Er atmete flach, aber regelmäßig. Als sie einen Schritt seitwärts trat, berührte ihr Fuß einen kleinen Gegenstand. Sie bückte sich und hielt eine Pillendose in der Hand. Verwundert betrachtete sie diese. Sie hatten hier auch für ihre Patienten Pillendös-chen, in denen ihnen die Tagesrationen zugeteilt wurden, aber solche nicht. Anne öffnete den Deckel. Die Dose war leer. Sie stellte das Döschen auf den Schreibtisch.

Dr. Cornelius war schnell zu den Benthams gegangen. Vanessa fiel ihm in ihrer Freude gleich um den Hals. Er nahm sich zusammen, um diesen beiden überglücklichen jungen Menschen keine trübe Miene zu zeigen.

»Ich habe es doch gesagt, daß es Schritt für Schritt vorangehen wird«, sagte er.

»Nun wird aber schön gefolgt und nur das getan, was ich anordne.«

»Ich werde mich genauestens danach richten«, versprach Christopher.

Und was mag bei Peter diesen Zusammenbruch hervorgerufen haben, fragte sich Dr. Cornelius wieder. Hat Stefanie ihm etwas gesagt, was ihn erschüttert hat?

»Ich muß noch mit Stefanie sprechen«, sagte er. »Sie ist doch da?«

»Ich war eben bei ihr. Sie kam von einem Spaziergang zurück«, erwiderte Vanessa. »Was dürfen wir denn jetzt tun?«

»Einen kurzen Spaziergang machen, aber nur eine Viertelstunde und dann gemütlich Tee trinken«, erwiderte Dr. Cornelius.

Er klopfte bei Stefanie an. Sie war sehr überrascht, daß er zu ihr kam.

»Setzen wir uns«, sagte er. »Hier können wir ungestört sprechen. Meine Frau ist bei Peter.«

Ihre Augen weiteren sich schreckensvoll. »Was ist mit ihm?« fragte sie ahnungsvoll.

»Er stand plötzlich wie ein Geist vor mir und klappte zusammen. Ich habe ihm eine Injektion gegeben, und nun schläft er. Haben Sie etwas Ungewöhnliches an ihm bemerkt? Bitte, sagen Sie mir alles.«

»Aber nein. Wir sind spazierengegangen, und er war sehr frisch, wenigstens wirkte er so. Er machte keinen müden Eindruck.«

»War er erregt?«

»Nein, bestimmt nicht. Er ist überhaupt sehr ausgeglichen, so sehr, daß man vergessen könnte, wie krank er ist.«

»Er hat keine Äußerung getan, die darauf schließen läßt, daß ihn etwas bedrückt?«

»Nein. Ja, er hat über Ralph gesprochen, aber nicht deprimiert.«

»Ich stehe vor einem Rätsel, Stefanie. Diese Reaktion paßt nicht in das Krankheitsbild. Ich werde jetzt wieder zu ihm gehen.«

»Ich werde mitkommen«, sagte Stefanie. »Ich werde bei ihm bleiben, bis er aufwacht.«

*

Das aber dauerte Stunden. Stefanie rührte sich nicht von Peters Lager. Sie beobachtete ihn unentwegt. Als seine Lider zu zucken begannen, läutete sie nach Dr. Cornelius, wie sie es versprochen hatte.

Der hatte sich inzwischen mit Anne über das Pillen-döschen unterhalten und er hatte nur die eine Erklärung dafür, daß Peter es verloren haben könnte. Aber solche Gedanken bereiteten ihm noch mehr Kopfzerbrechen.

Als die Glocke ertönte, sprang er auf und lief im Eilschritt zur Ordination.

Peter schlug die Augen auf, und in diesen Augen war ein seltsamer Glanz.

»Stefanie«, flüsterte er, »was war nur mit mir los?«

Dr. Cornelius blieb in der Tür, die er leise geöffnet hatte, stehen und machte Stefanie ein Zeichen, daß sie seine Anwesenheit nicht beachten solle.

»Ich weiß es nicht, Peter«, sagte sie. »Du hast dich doch so wohl gefühlt, als wir uns trennten.«

»Ja, ich habe mich wohl gefühlt«, sagte er monoton. »Ich war müde und legte mich hin, aber dann konnte ich plötzlich nicht mehr richtig atmen. Seltsam. Die Tabletten haben mir doch immer so gut geholfen.«

»Welche Tabletten?« fragte sie.

»Die mir Dr. Norden gegeben hat. Ich habe jeden Tag eine genommen, wie er es gesagt hat. Mehr könnte schaden, hat er gesagt. Sie sind mir aus der Dose gefallen, Stefanie, ins Becken. Ich habe keine mehr. Ich brauche sie. Da ist dieses Angstgefühl wieder. Ich brauche die Tabletten. Hol sie mir, bitte.«

»Ja, Peter, ich hole sie dir«, sagte Stefanie bebend. »Ich hole sie dir gleich.«

»Und Ralph soll kommen. Ich muß mit ihm sprechen. Ich muß ihm sagen, daß wir weggehen, weit weg, du und ich. Er muß es doch wissen.«

Was muß er wissen, fragte sie sich. Ihr Herz schlug dumpf. Dr. Cornelius war nähergetreten und griff nach Peters Puls.

»Es geht mir schon wieder besser, viel besser«, sagte Peter klarer, aber dann schlief er wieder ein.

Dr. Cornelius wäre es lieber gewesen, wenn man ihn in sein Bett hätte bringen können, aber jetzt würde er das Sprechzimmer ohnehin nicht mehr brauchen, und hier konnte man ihn auch besser beobachten.

»Welche Tabletten meint er?« fragte Stefanie.

»Die ihm mein Schwiegersohn gegeben hat. Ich weiß darüber Bescheid.« Eine grüblerische Falte erschien auf seiner Stirn. »Er braucht jetzt stärkere, Stefanie. Ich glaube nicht, daß sie ins Waschbecken gefallen sind. Sie sind aufgebraucht, und da es ihm zur Gewohnheit geworden ist, eine zu nehmen, wenn ihm schwindelig wurde, war er entsetzt, als das Döschen leer war. Oder er hat noch eine genommen, und die hatte nicht die stimulierende Wirkung wie sonst. Aber wie dem auch sei, irgendwie muß ihm bewußt geworden sein, wie ernst sein Zustand ist. Ja, wir Ärzte lernen nie aus. Jedenfalls werden wir seinen Bruder herbeirufen.«

»Bitte, rufen Sie ihn an«, sagte Stefanie leise. »Ich kann es nicht.«

*

Ralph hatte sich an diesem Tag nur mühsam konzentrieren können. Eine wichtige Konferenz konnte er nicht absagen, aber es fiel allgemein auf, daß er nicht bei der Sache war, und das war man von ihm gar nicht gewöhnt. Freilich wurde auch schon über Peter gemunkelt, der so plötzlich der Fabrik ferngeblieben war. Man war es ja gewöhnt, daß die Brüder den Urlaub immer gemeinsam nahmen.

Das außergewöhnlich harmonische Verhältnis zwischen beiden war bekannt und hatte stets großen Beifall gefunden. Sollte sich das nun geändert haben?

Ralph machte keine Mittagspause. Er beschäftigte sich mit wichtiger Post. Er versuchte es wenigstens, aber nichts blieb ihm im Gedächtnis haften. Immer wieder irrten seine Gedanken ab zu Stefanie und Peter.

Er war ein dynamischer Mann. Geduld war nicht seine Sache, wenn es etwas zu klären gab. In Geduld hatte er sich nur gezwungenermaßen in bezug auf Stefanie gefaßt.

Er verließ sein Büro gegen vier Uhr. Auch das war ungewöhnlich, und er sollte es bereuen, denn er lief Gitta in die Arme.

»Wenn der Prophet nicht zum Berge kommt, muß der Berg zum Propheten kommen«, sagte sie mit einem hintergründigen Lächeln. »Fein, daß wir uns hier draußen treffen und ich mich nicht erst in die Höhle des Löwen begeben muß.«

»Was willst du eigentlich von mir?« fragte Ralph barsch.

»Ich brauche deinen Rat, Ralph«, sagte sie. »Sei doch nicht so abweisend. Es handelt sich um eine Kapitalanlage. Du weißt ja wohl, daß ich nicht gerade zu den Armen gehöre.«

»Ich bin kein Finanzberater«, erwiderte er.

»Und wenn ich mein Geld in deiner Fabrik anlegen möchte?«

Er starrte sie fassungslos an. »Wie kommst du denn auf solche Gedanken?«

»Nun, man munkelt so allerlei. Ein Vögelchen hat mir gesungen, daß sich Peter geschäftlich von dir getrennt hat, und…«

»Das Vögelchen piept«, fiel er ihr sarkastisch ins Wort. »Dieser widerliche Tratsch ist völlig aus der Luft gegriffen.«

»Aber wo steckt Peter?« fragte sie hartnäckig.

»Wen geht das was an? Kann er nicht Urlaub machen, ohne daß die Klatschblätter unterrichtet sind?«

»Ihr habt immer gemeinsam Urlaub gemacht, das ist doch stadtbekannt. Die unzertrennlichen Brüder!« Ihr Ton wurde frivol. »Peter wurde neulich mit dem Mädchen gesehen, mit dem ich dich einmal überraschte. Sie speisten in festlichem Rahmen und brachen überraschend schnell auf. Meine Freunde haben sie erkannt, und Peter war es sichtlich unangenehm, gesehen worden zu sein.«

Ralph blickte sie von oben herab an. »Was ihr euch alles zusammenreimt«, sagte er kalt. »Habt ihr denn gar nichts anderes zu tun? Wir sind mit Stefanie befreundet. Wir, sage ich. Aber laß deiner Phantasie freien Lauf. Unser Unternehmen ist jedenfalls so fundiert, daß wir nicht auf Investitionen angewiesen sind. Und was dein Privatleben anbetrifft, Gitta, such dir ein anderes Opfer. Ich bin vergeben.«

Das nahm ihr denn doch den Wind aus den Segeln, aber sie zwang sich zu einem Lächeln. »Darf man dann wenigstens erfahren, wer die Glückliche ist?«

»Nein«, erwiderte er lakonisch. »Und jetzt habe ich keine Zeit mehr. Du verschwendest die deine, wenn du mich dauernd anrufst.«

»Du hast deine gute Kinderstube vergessen, Ralph«, sagte sie. »Verkehrst du jetzt nur noch mit Proleten?«

Er gab ihr keine Antwort. Er würdigte sie auch keines Blickes mehr. Er ging zu seinem Wagen und fuhr davon.

Gitta versuchte, ihm zu folgen, aber sie hatte seinen Wagen aus den Augen verloren. In ihr brannte die Neugierde herauszufinden, ob es wirklich eine Frau in seinem Leben gab, und wer das war. Diese Stefanie? War zwischen Ralph und Peter ein Streit um sie entbrannt? Was war das überhaupt für ein Mädchen? Wie war doch gleich ihr Name? Stefanie und wie noch? Ralph hatte sie doch vorgestellt. Gitta überlegte, und dann fiel es ihr ein. Stefanie Linden.

Ob sie im Telefonbuch stand? Sie fuhr heim und schaute gleich nach. Ja, sie fand eine Stefanie Linden, und kurz entschlossen wählte sie auch gleich die Nummer. Aber es meldete sich niemand.

Gitta wurde von Neugierde geplagt. Sie hatte nichts zu tun, was sie abgelenkt hätte.

Sie hatte keine Verabredungen für diesen Nachmittag, und eine nützliche Arbeit hatte sie noch nie in ihrem Leben verrichtet.

Sie hatte Geld, aber bei ihren Ansprüchen und dem Nichtstun schmolz es unter ihren Fingern zusammen. Bei Ralph investieren zu wollen, war der letzte Versuch gewesen, sich wieder einen vermögenden Mann zu angeln, und sie hatte sich alles so schön ausgedacht.

Daß er ihr solche Abfuhr erteilt hatte, wollte sie ihm schon heimzahlen. Irgendwie mußte es ihr gelingen.

Wenn auch in ihren Kreisen der Klatsch in voller Blüte stand, ein Körnchen Wahrheit war immer dabei. Und vielleicht hieß dieses Körnchen Stefanie.

Gitta schrieb sich ihre Adresse ins Notizbuch und fuhr dann quer durch die Stadt zu diesem Wohnviertel. Mit einem zynischen Lächeln betrachtete sie das Haus, in dem Stefanie wohnte. Sozialer Wohnbau, dachte sie abfällig, aber dann betrachtete sie die Namensschilder und fand heraus, daß es auch einen Hausmeister gab. Gitta drückte auf die Klingel. Der automatische Türöffner summte. Sie trat ein. Eine Tür tat sich auf. Eine rundliche Frau erschien.

»Sind Sie die Hausmeisterin?« fragte Gitta im freundlichsten Ton.

»Ja, die bin ich.«

»Ich wollte meine Freundin Stefanie Linden besuchen«, sagte Gitta, »aber sie ist anscheinend nicht da. Können Sie mir vielleicht sagen, wann ich sie antreffen kann? Ich bin nur kurze Zeit in München und hätte sie gern getroffen.«

Die einfache Frau war irritiert durch die elegante Erscheinung und das selbstsichere Auftreten Gittas.

»Fräulein Linden ist verreist«, erwiderte sie. »Sie wird wohl zwei bis drei Wochen abwesend sein. Genau weiß ich es nicht.«

»Aber Sie wissen doch sicher, wo sie zu erreichen ist«, sagte Gitta mit ihrem liebenswürdigsten Lächeln. »Ich lebe im Ausland, und wir haben uns so lange nicht gesehen.«

»Ja, die Post soll ich nachschicken zur Insel der Hoffnung«, erklärte die Hausmeisterin arglos.

»Insel der Hoffnung? Was ist denn das?« fragte Gitta.

»Ein Sanatorium. Fräulein Linden muß wohl eine Kur machen.«

Gitta gab ihrem Gesicht einen bestürzten Ausdruck. »Oh, sie ist krank? Das tut mir aber leid.«

»Sie arbeitet halt zuviel«, sagte die Frau. »Da muß man sich ja mal erholen. Gerade in so einem Beruf, wenn man immer mit Krankheiten zu tun hat.«

Gitta nickte nur und drückte der Frau einen Fünfeuroschein in die Hand.

»Ich danke Ihnen jedenfalls für die Auskunft.« Dann eilte sie wieder zu ihrem Wagen.

Insel der Hoffnung, dachte sie, ich werde doch in Erfahrung bringen können, wo sich die befindet. Aber sie wollte doch lieber alles reiflich überlegen und noch herumhorchen, was man so über die Brüder Reinhold redete.

Aber in ihren Kreisen kursierten nur Gerüchte. Man wußte gar nichts, und so erging man sich in Vermutungen. Ralph war in dieser Gesellschaft der Nichtstuer sowieso immer ein Außenseiter gewesen, und Peter hatte dem Nachtleben schon lange adieu gesagt. Es gab Leute, über die man weit mehr erfuhr, es gab Skandale und Affären, die genug Stoff zum Gerede gaben. Vielleicht hätte Gitta ihr Vorhaben vergessen, wenn ihr nicht ihr geschiedener Mann Julian Bartosch über den Weg gelaufen wäre.

*

Ralph bereitete Katinka Sorgen. Er hatte gegessen, um sie nicht wieder zu kränken, aber dann lief er so ruhelos durch das Haus, daß sie nervös wurde.

Um acht Uhr kam der Anruf von der Insel der Hoffnung. Ein paar Minuten später erschien Ralph bei Katinka in der Küche.

»Ich muß verreisen, Katinka«, sagte er rauh. »Peter ist krank.«

Irgendwann mußte er sie vorbereiten, wenn er es auch nicht fertigbrachte, ihr den Ernst der Situation zu erklären, als er ihr bestürztes Gesicht sah.

»Schlimm?« fragte sie mit erstickter Stimme.

»Ziemlich schlimm«, erwiderte er. »Ich weiß nicht, wann ich zurückkomme. Sie sprechen zu niemandem darüber, darum möchte ich Sie bitten.«

Er tätigte noch zwei Anrufe mit leitenden Angestellten, damit man nicht in Panik geriet, wenn er am nächsten Tag nicht in der Fabrik erschien.

In Windeseile warf er ein paar Sachen in seine Reisetasche, drückte Katinka die Hand, die ihm mit tränenfeuchten Augen nachblickte, und dann saß er schon wieder in seinem Wagen. Katinka verschloß die Tür sorgfältig. Sie fühlte sich unendlich einsam in dem großen stillen Haus und wurde nun von bangen Ahnungen gepeinigt. Sie wußte nichts und wußte doch, daß alles noch viel schlimmer war, als Ralph sagen wollte.

Zu dieser Stunde traf Gitta, Ausschau haltend nach Gesellschaft, mit der sie sich die Zeit vertreiben konnte, ihren geschiedenen Mann.

Die Überraschung war auf beiden Seiten gleich groß. »Was machst du in München, Julian?« fragte Gitta. »Wolltest du etwa mich besuchen?«

»Das ja nun bestimmt nicht«, erwiderte er spöttisch. »Aber dir begegnet man wohl überall.«

»Ich bin hier zu Hause«, konterte sie ebenso spöttisch. »Aber schließlich brauchen wir uns nicht anzugreifen. Du siehst ja flott aus. Bist du auf Brautschau?«

Neugierde war ihre hervorstechendste Eigenschaft. Julian sah tatsächlich blendend aus, tief gebräunt, elegant gekleidet, und dabei war er doch finanziell am Ende gewesen, als sie sich von ihm trennte, was schließlich auch der Anlaß zu diesem Entschluß gewesen war.

»Nehmen wir doch einen Drink. Unterhalten wir uns ein bißchen«, schlug sie vor. »Ich freue mich, wenn es dir wieder gutgeht.«

»Was du nicht sagst«, spottete er. »Aber als du aus meinem Leben verschwandest, hatte ich wieder Glück.« Man sah es ihm an, daß es ihm Genugtuung bereitete, ihr das unter die Nase zu reiben. »Okay, ich lade dich auf einen Drink ein, aber viel Zeit habe ich nicht. Ich bin verabredet. Ich bin geschäftlich hier.«

»Was für Geschäfte machst du?« fragte sie lauernd.

»Gute«, erwiderte er lässig, »sehr gute sogar.«

»Tu doch nicht so geheimnisvoll.«

»Ich kenne eure Klatschgesellschaft«, sagte er anzüglich. »Was treibst du?«

In diesem Augenblick trat ein Page an die Bar. »Sie hatten ein Gespräch mit Mr. Bentham angemeldet, Herr Bartosch«, sagte er diskret. »Die Leitung ist jetzt frei.«

»Bentham? Gibt’s den auch noch?« fragte Gitta, aber Julian hatte sich erhoben. »Entschuldige bitte«, sagte er höflich und eilte davon.

Der Name Bentham war Gitta bekannt. Sie hatte einige Zeit mit Julian in den Staaten gelebt, und er hatte zu dieser Zeit viel Geld in der Filmbranche verdient. Sie hatten in Künstlerkreisen verkehrt und dabei auch Christopher Bentham und seine Frau Vanessa kennengelernt. Aber dann hatte Julian einen schweren Autounfall gehabt, und wie es in dieser Branche üblich war, war er auch weg vom Fenster. Bis er wieder genesen war, hatte sich längst ein anderer seines Postens bemächtigt. Auch von Christopher Bentham wurde plötzlich nicht mehr geredet.

Welche Bedeutung er jetzt für Gitta bekommen sollte, ahnte sie noch nicht, sie wollte nur in Erfahrung bringen, was Julian jetzt trieb und wie er doch wieder so schnell nach oben gekommen war.

Julian kam zurück. Schließlich hatte er Gitta eingeladen und wollte auch die Zeche bezahlen.

»Was ist denn jetzt mit Bentham?« fragte sie. »Hatte er nicht auch einen Unfall? Kann er wieder spielen?«

»Er kuriert sich in einem Sanatorium aus. Ich werde ihn besuchen. Und wenn alles klappt, wird er wieder groß herauskommen. Insel der Hoffnung ist ja auch ein vielversprechender Name.«

Gitta stockte der Atem. »Da ist er?« fragte sie. »Ich habe schon davon gehört. Eine Bekannte von mir erholt sich dort. Ich wollte sie besuchen. Wenn du hinfährst, könntest du mich doch mitnehmen.«

Seine Augenbrauen ruckten leicht empor. »Nein«, sagte er abweisend, »belassen wir es bei dem Drink. Ich bin anderweitig verpflichtet.«

Gitta lachte auf.

»Also eine Frau«, bemerkte sie. »Du brauchst doch daraus nicht ein solches Geheimnis zu machen. Wie ist sie? Natürlich anders als ich.«

»Ganz anders«, entgegnete er.

»Willst du uns nicht bekannt machen?«

»Nein, das will ich nicht.«

»Du kannst doch nicht unterschlagen, daß du schon mal verheiratet warst.«

»Das ist ihr bekannt. Ich muß mich jetzt verabschieden. Adieu, Gitta.«

Er ärgerte sich, daß er sich überhaupt auf ein Gespräch eingelassen hatte. Er kannte schließlich ihre Hinterhältigkeit und Taktlosigkeit.

Mehr noch als Stefanie Linden interessierte es Gitta jetzt, was sich Julian für eine Frau geangelt hatte. Vielleicht die reiche Daisy, die damals schon hinter ihm her gewesen war? Es ließ ihr keine Ruhe. Sie brannte darauf, in Erfahrung zu bringen, welche Frau jetzt in Julians Leben eine Rolle spielte, und wenn sie zur Insel der Hoffnung fuhr, konnte sie gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Das reizte sie maßlos. Aber wo sich diese Insel der Hoffnung befand, wußte sie noch immer nicht. Aber nun setzte sie alles daran, es in Erfahrung zu bringen.

*

Ralph hatte währenddessen sein Ziel schon erreicht. Er wurde erwartet. Peter war in der Zwischenzeit erwacht und auf sein Zimmer gebracht worden.

Er schien verhältnismäßig klar denken zu können, aber vergessen zu haben, daß Stefanie vorher bei ihm gewesen war.

»Bitte, sagen Sie Stefanie nicht, daß es mir nicht gutging«, bat er Dr. Cornelius. »Ich möchte nicht, daß sie beunruhigt wird.« Es schien seine größte Sorge zu sein. Er hatte wohl aber auch vergessen, daß er um den Besuch seines Bruders gebeten hatte.

Dr. Cornelius blieb bei ihm und war wirklich froh, daß er Stefanie überredet hatte, sich zur Ruhe zu begeben, denn auch jetzt war Peters Zustand noch sehr bedenklich.

»Können Sie mir erklären, was mit mir los ist?« fragte Peter. »Sie müssen es doch wissen.«

»Sie brauchen jetzt Ruhe«, erwiderte Dr. Cornelius ausweichend. »Sie dürfen die Spaziergänge nicht zu lange ausdehnen.«

»Ich bin krank, ich bin krank«, murmelte Peter. »Diese Angstzustände hören nicht auf. Ich kann nicht mehr atmen.«

»Es geht doch schon wieder besser. Haben Sie Schmerzen?«

»Nein, jetzt nicht.«

»Sie werden schlafen«, sagte Dr. Cornelius beruhigend, »und morgen fühlen Sie sich wieder besser.«

»Bis es wiederkommt. Mir fehlen die Tabletten.«

»Die werden Sie bekommen, Peter.«

»Ja, das ist gut. Dr. Norden ist doch ein guter Arzt.« Seine Stimme klang schon wieder sehr matt. »Aber Sie sagen Stefanie nichts«, bat er wieder.

»Nein, ich sage ihr nichts.«

»Ich bin gern hier. Es ist so schön, und ich habe mich so wohl gefühlt. Ich bin müde, so müde.«

Er schlief ein. Dr. Cornelius beobachtete ihn noch einige Minuten, dann ging er zu Anne, und sie hatte gerade Ralph begrüßt.

»Ihr Bruder schläft jetzt«, erklärte Dr. Cornelius. »Wir können uns unterhalten.«

»Was ist mit Stefanie?« fragte Ralph.

»Ich habe sie zu Bett geschickt. Sie ist einer großen Nervenbelastung ausgesetzt.«

»Wenn man mich nur gleich unterrichtet hätte«, sagte Ralph heiser, »ich hätte das nicht zugelassen.«

»Ich glaube nicht, daß Sie etwas hätten ändern können«, sagte Dr. Cornelius ruhig. »Mit dieser rapiden Verschlechterung war nicht zu rechnen. Er hatte zwei gute Tage. Immerhin scheint mein Anruf Sie nicht unvorbereitet getroffen zu haben.«

»Ich habe Dr. Norden aufgesucht. Er hat mir die nötige Aufklärung gegeben. Sie werden verstehen, daß ich erschüttert bin.«

»Wir sind es auch, Herr Reinhold. Es hat keinen Sinn, Ihnen die Wahrheit vorzuenthalten. Wir können nur noch Peters Schmerzen lindern. Aber er wird bald von diesen erlöst werden.«

»Er ist noch so jung«, stöhnte Ralph auf, »und er liebte das Leben!« Er fuhr sich mit der Hand über die Augen. »Kann ich Peter sehen?« fragte er leise.

»Trinken Sie erst eine Tasse Tee«, sagte Anne. »Ich werde inzwischen nach ihm schauen.«

*

An Schlaf war bei Stefanie nicht zu denken. Ruhelos wanderte sie in dem Zimmer umher. Lange stand sie dann am Fenster und blickte zu dem sternenklaren Himmel empor, aber sie wußte, daß bei allem Wünschen und Wollen auch von dort keine Hilfe mehr kommen würde.

Ihre Augen brannten, aber erlösende Tränen kamen nicht.

Sie schlüpfte in ihren Mantel und ging auf Zehenspitzen hinaus, aber dieser Rücksichtnahme hätte es nicht bedurft, denn aus dem Appartement der Benthams klang Lachen.

»Es geht aufwärts«, hörte Stefanie Christopher sagen. »Bartosch kommt mit einem Angebot.«

Bartosch – dieser Name weckte eine Erinnerung in Stefanie. Wo hatte sie den schon gehört? Aber zuviel anderes beschäftigte sie, als daß sie darüber länger nachgedacht hätte. Sie ging hinaus. Drinnen ging die Unterhaltung weiter.

»Ich möchte nur wissen, wie er herausbekommen hat, daß wir hier sind«, überlegte Christopher.

Vanessa hätte ihm die Antwort darauf geben können, denn sie war es gewesen, die sich mit Julian Bartosch in Verbindung gesetzt hatte. Von ihren Eltern wollte Christopher ja keine Hilfe annehmen, also hatte sie sich für einen Umweg entschieden.

»Er scheint wieder gut im Geschäft zu sein«, bemerkte sie beiläufig.

»Dafür wird Daisy gesorgt haben. Nun hat sie ihn doch noch bekommen«, meinte Christopher. »Jedenfalls ist sie eine gute Partie.«

»Sie liebt ihn«, sagte Vanessa.

»Sie würde ihn in einer Notsituation nicht im Stich lassen wie Gitta.«

»In eine solche Situation wird er wohl nun nicht mehr kommen«, meinte Christpher.

»Was wissen wir denn schon, was alles kommen kann«, sagte Vanessa leise. »Wichtig ist doch nur, daß man sich liebt.«

Sie ließ sich von ihm in die Arme nehmen. Sie wußten, daß sie sich liebten und zusammengehörten. Sie hatten es bewiesen, Vanessa mehr noch als Christopher. Sie hatte ihm immer wieder Mut zugesprochen, immer und immer wieder, wenn er der Verzweiflung nahe war. Und nun schwanden die düsteren Schicksalswolken.

Doch über der Insel der Hoffnung braute sie sich zusammen. Stefanie sah die Sterne am Himmel nicht mehr, als sie zu Dr. Cornelius’ Haus ging. Sie hatte den Blick zu Boden gesenkt. Sie wurde vorwärtsgetrieben von Angst und nahm nichts wahr, was auch in der Nacht so anheimelnd und friedlich wirkte.

Dann trat sie durch die Tür, hinter deren Glasscheiben Licht leuchtete. Sie blickte mitten hinein in Ralphs Augen. Alles um sie begann sich zu drehen, und mit letzter Kraft suchte sie nach einem Halt. Doch da wurde sie schon von seinen starken Armen umfangen und wurde sich schnell bewußt, daß sie nicht an einer Halluzination litt.

Dr. Cornelius zog sich leise zurück, als Stefanie ihre Arme um Ralphs Hals warf.

»Oh, Ralph, es ist so schrecklich«, flüsterte sie.

Er streichelte ihr Haar. »Nun werden wir gemeinsam versuchen, damit fertig zu werden, Stefanie«, sagte er mit erstickter Stimme.

Sie hielten sich umklammert wie Ertrinkende, vergaßen Zeit und Raum. Doch sie dachten nicht an sich. Solchen Gedanken wollten sie keinen Raum geben.

»Du bist gleich gekommen«, sagte Stefanie, zu ihm aufblickend.

»Hast du etwas anderes erwartet?«

»Ich kann keinen klaren Gedanken mehr fassen. Es geschieht kein Wunder.«

»Und die Erde wird sich weiterdrehen, Stefanie. Auch unser Leben geht weiter. Warum wolltest du die Last allein tragen?«

»Was hätte ich tun können, als seine Wünsche zu erfüllen? Was hätte ich denn sonst für Peter tun können? Hätte ich ihn zurückstoßen sollen?«

»Du hättest es mir sagen können. Du hättest es mir sagen müssen, Stefanie. Er ist mein Bruder.«

»Für mich ist er auch wie ein Bruder, Ralph. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Ich will nicht, daß ihm von dem winzigen bißchen Glück etwas genommen wird.«

»Ich werde ihm nichts nehmen, Stefanie. Aber er soll wissen, daß ich auch da bin, daß ich ihn liebe, daß ich bereit bin, alles für ihn zu tun.«

»Aber du kannst ihm so wenig helfen wie ich auch, Ralph.«

»Du hast ihm auf deine Art geholfen, und ich werde ihm auf meine Art helfen. Hättest du es lieber gesehen, ich würde an seinem Grab stehen und die Last mit mir herumschleppen, daß ich nichts mehr für ihn getan habe? Wir haben ein ganzes Leben gemeinsam verbracht, wie kurz sein Leben auch sein mag. Ich habe mit ihm gespielt und später mit ihm die Hausaufgaben gemacht. Es gab nie etwas, das zwischen uns stand.«

»Bis ich kam«, sagte Stefanie mit erstickter Stimme.

»Dafür kann ich nichts, und du auch nicht. Du solltest jetzt schlafen. Dr. Cornelius wird dir ein Schlafmittel geben.«

Trotz aller Anstrengung gehorchte ihm seine Stimme nicht.

In diesem Augenblick war die Liebe zu ihr und die Sorge um sie stärker als jedes andere Gefühl.

Er wollte sie in die Arme nehmen, doch sie drehte sich um und hastete wieder hinaus in die Nacht.

Ralph rief nach Dr. Cornelius, und als der in der Tür erschien, bat er: »Würden Sie sich bitte um Stefanie kümmern, Herr Doktor? Ich finde wohl nicht die richtigen Worte.«

*

Dr. Cornelius sah nur noch eine schattenhafte Gestalt zwischen den Bäumen verschwinden. Er folgte Stefanie auf gut Glück.

Auch wenn man die Insel genau kannte, brauchte man nicht immer den richtigen Weg gleich zu finden. Es gab wirklich viele Wege, ganz verschlungene Pfade, dichte Büsche und uralte Bäume. Es gab die Quelle der Liebe, die Jahrhunderte versiegt gewesen war und seit ein paar Jahren wieder munter sprudelte. Entdeckt worden war sie von Mario, Johannes und Anne Cornelius’ Adoptivsohn.

Aber da war auch der See, in den die Insel hineinragte, die mit dem Hinterland nur durch eine schmale Landzunge verbunden war.

Aber nur für den Bruchteil einer Sekunde überkam Dr. Cornelius die Angst, daß Stefanie dorthin eilen würde.

Nein, sie war nicht der Mensch, der sich in Stunden der Verzweiflung aus dem Leben davonstehlen würde. Die Begegnung mit Ralph war es wohl, die sie restlos aus dem Gleichgewicht gebracht hatte.

Dr. Cornelius blieb stehen und lauschte, ob er Schritte hören könne, aber es waren andere Laute, die an seine Ohren drangen. Ein schmerzliches, ersticktes Weinen, das ihm zu Herzen ging. Es kam von der Quelle her. Das leise Plätschern des Wassers mischte sich in dieses Weinen.

Leise, Schritt für Schritt, um kein Geräusch zu verursachen, trat er näher. Er gewahrte die Umrisse der Knienden und sah dann, wie sie das Quellwasser mit den Händen auffing und ihr Gesicht damit netzte.

Er trat noch näher an sie heran, griff nach ihrem Arm und zog sie sanft empor.

»Sie gehören jetzt ins Bett, Stefanie«, sagte er gütig. »Sie dürfen nicht auch noch krank werden.«

Wie eine Schlafwandlerin ging sie neben ihm her. Kein Wort kam über ihre Lippen.

»Ich bin so müde«, stammelte sie, als er sie zu ihrem Appartement begleitete, »so entsetzlich müde, und ich kann doch nicht schlafen.«

»Anne wird kommen und Ihnen etwas bringen«, sagte er. »Sie werden schlafen.«

Anne hatte indessen auf der bequemen Couch in Peters Zimmer ein Bett für Ralph gerichtet.

»Sie können nicht die ganze Nacht hier sitzen«, sagte sie, als er widersprach.

Peter merkte nichts von dem, was um ihn vorging. Seine Hand zu nehmen, hatte Ralph nicht gewagt. Er konnte nicht begreifen, daß diese wachsbleiche Hand Peter gehörte. Es tat ihm weh, ihn anzuschauen. Es war ein vertrautes und doch fremdes Gesicht, schon so entrückt in seiner Stille.

»Nehmen Sie ein paar Tropfen oder eine Tablette«, sagte Anne. »Ich habe alle auf das Tischchen gestellt. Und wenn etwas ist, läuten Sie. Wir hören es. Versuchen Sie zu schlafen, Herr Reinhold.«

Einige Minuten war er mit Peter allein. Er wagte kaum zu atmen, da auch Peters Atem noch ganz schwach zu vernehmen war.

Dann kam Dr. Cornelius herein. Er brachte ihm noch eine Karaffe Wasser. »Es ist ein besonderes Wasser«, erklärte er. »Von unserer Quelle. Es hat schon vielen geholfen.«

Peter nicht, dachte Ralph, aber als Dr. Cornelius dann auch gegangen war, trank er davon, erst ganz kleine Schlucke, dann gierig. Er streckte sich aus, sein Körper entspannte sich, der beengende Druck wich, seine Augen fielen zu.

Er wußte nicht, wie spät es war, als er träumte, daß Peter seinen Namen rief. Er schrak empor. Die matte Lampe brannte. Er sah Peter kerzengerade in seinem Bett sitzen. Er hatte nicht geträumt. Peter wiederholte seinen Namen mehrmals mit einer Stimme, die aus weiter Ferne zu kommen schien.

Er sprang aus dem Bett und eilte die paar Schritte zu ihm. Peter blickte ihn mit starren Augen an. »Ralph, Ralph«, sagte er wieder.

»Ich bin da, Peter«, erwiderte er und drückte den Kranken sanft auf das Kissen zurück.

»Wir sind wieder beisammen. Es ist alles wie früher«, murmelte Peter.

»Es ist alles wie früher, kleiner Bruder«, sagte Ralph tiefbewegt. »Was kann ich für dich tun?«

»Stefanie, du mußt dich um Stefanie kümmern. Ich bin krank, Ralph. Vielleicht werde ich nie mehr gesund werden. Diesen Schmerz kann man nicht lange ertragen.«

»Hast du Schmerzen?« fragte Ralph.

»Jetzt nicht, aber sie kommen immer wieder. Ich kann nicht mit Stefanie spazierengehen. Es ist nicht nur der Arm wie bei Christopher. Aber bei ihm hat es auch sehr lange gedauert, bis er den Arm wieder bewegen konnte. Man muß einfach Geduld haben, viel Geduld, aber ich will einfach nicht, daß Stefanie sieht, wie schwach ich bin.« Kaum vernehmbar war seine Stimme, als er dann fortfuhr: »Ich vertraue sie dir an. Du mußt all das für sie tun, was ich ihr versprochen habe. Du wirst es tun, Ralph?«

»Ich werde alles tun, was du verlangst, Peter.«

»Ich liebe sie sehr. Niemand kann sie so lieben wie ich, aber du wirst ihr Freund bleiben, Ralph.«

»Ja, ich werde ihr Freund bleiben.«

»Schwöre es mir.«

»Ich schwöre es dir, Peter.« Ganz fest umschloß seine Hand die kalte des Kranken, die schwerelos zwischen seinen kräftigen Fingern lag.

»Es wird wieder alles so wie früher«, murmelte Peter. »Katinka soll mir einen Schokoladenkuchen backen, und das Marzipankonfekt möchte ich haben.« Ralphs Augen begannen noch mehr zu brennen. Der wilde Schmerz drohte seine Brust zu sprengen.

»Stefanie muß den Ring enger machen lassen«, sagte Peter plötzlich mit ganz klarer Stimme. »Sie darf ihn nicht verlieren. Schick ihr morgen Rosen, rote Rosen, Ralph.«

Es war eine Ewigkeit her, daß Ralph geweint hatte. Das letzte Mal um seinen Vater. Doch nun rannen ihm dicke Tränen über die Wangen und tropften auf die Bettdecke.

»Mein kleiner Bruder, mein lieber kleiner Bruder«, flüsterte er, und da sah er ein Lächeln auf Peters Lippen. Und mit diesem Lächeln schlief er ein – diesmal für immer.

Ralph wollte es nicht glauben. Er drückte auf die Klingel. Dr. Cornelius kam herbeigelaufen.

»Ich spüre keinen Puls mehr«, stieß Ralph tonlos hervor. Auch Dr. Cornelius spürte ihn nicht mehr. Er richtete sich langsam auf.

»Er ist eingeschlafen, ohne Kampf, mit einem Lächeln auf den Lippen, Herr Reinhold. Was konnte man ihm sonst noch wünschen.«

Wie in Trance griff Ralph nach seinen Sachen und ging ins Bad. An der Tür wandte er sich halb um.

»Stefanie muß es wissen. Sie würde es mir nicht verzeihen, wenn ich bis zum Morgen warte.«

Aber der Morgen stieg schon empor. Die Sonne schien aus dem See zu tauchen, färbte den Horizont rot, während der Mond noch als dunkelgraue Scheibe am Himmel stand.

*

Ralph ging hinüber zu dem Haus, das Dr. Cornelius ihm gezeigt hatte. Er verharrte vor der Tür, um die Kraft zu sammeln, die er jetzt brauchte.

Da tat sich die Tür wie von selbst auf, und Stefanie stand vor ihm, angekleidet. Seine Hände hoben sich, streckten sich ihr entgegen, und sie legte ihre Hände hinein.

Sie wußte es in diesem Augenblick. Er brauchte es ihr nicht zu sagen.

»Er hat nur auf dich gewartet, Ralph«, flüsterte sie. »Dich hat er immer am meisten geliebt.«

»Nein, dich, Stefanie«, erwiderte er.

»Ich danke dir für alles, was du für Peter getan hast.«

Er neigte sich über ihre Hände und küßte sie. Dann legte er seinen Arm um ihre Schultern und führte sie zurück zu dem Haus, in dem Peter mit einem Lächeln auf den Lippen gestorben war. Er ließ sie allein mit ihm, bis der schwarze Wagen kam, in dem er weggebracht wurde, bevor das richtige Leben auf der Insel begann.

Ralphs Wagen fuhr eine Viertelstunde später diesem nach. Stefanie saß an seiner Seite.

Es war ein Samstag, und das erste Frühlingsahnen erfüllte die Luft, während die Berge noch in tiefen Schnee gehüllt waren.

Mario hatte schulfrei und sich wieder mal richtig ausgeschlafen, weil er sonst immer so früh aufstehen muß-te.

Er kam pfeifend die Treppe herunter, hielt aber erschrocken inne, als er sah, wie seine heißgeliebte Mami sich Tränen aus den Augen tupfte.

»Warum weinst du, Mami?« fragte er, seine Arme um sie schlingend.

»Tut dir etwas weh?«

Dieses Kind hatte auf der Insel der Hoffnung das größte Glück gefunden, das einem Waisenkind beschieden sein konnte. Eltern, die er über alles liebte, und die ihn zärtlich liebten. Er konnte eine frohe, unbeschwerte Kindheit genießen auf dem schönsten Fleckchen der Welt, wie Mario selbst immer sagte. Und er hatte Anne noch nie weinen sehen. Wenn ihr mal danach zumute gewesen war, hatte sie es immer vor ihm verbergen können.

»Sag es mir, Mami«, drängte Mario. »Papi ist doch nicht etwa krank?«

»Nein, mein Kleiner«, erwiderte sie. »Ich bin sehr traurig, weil Herr Reinhold gestorben ist.«

Mario konnte man auch solche Dinge sagen. Er hatte ohnehin ein ganz besonderes Gefühl.

»Er war sehr krank«, sagte er leise, »ich habe es gemerkt.«

»Du hast es gemerkt?« fragte Anne. »Wieso?«

»Einfach so. Ich kann es auch nicht beschreiben. Ihr wart bei ihm auch immer besonders aufmerksam. Er hat jetzt keine Schmerzen mehr, Mami.«

Sie nahm ihn fest in den Arm. »Nein, jetzt hat er keine Schmerzen mehr, mein Junge.«

Jetzt erst kam es ihr in den Sinn, daß Mario Peter immer aus dem Weg gegangen war, obgleich er doch Gast in ihrem Hause war. Und das war bei Mario ungewöhnlich.

Er schenkte zwar nicht jedem seine Sympathie vorbehaltlos, aber Gäste, die in den Privaträumen einquartiert wurden, durften sich an diesem lebhaften, klugen Jungen erfreuen, der alles über die Insel wußte und stets bereit war, die sagenhafte Chronik zu erzählen.

Jetzt blickte er Anne sinnend an. »Ist er noch hier?« fragte er.

»Nein, Mario«, erwiderte Anne.

»Und Stefanie?«

»Sie ist mit Peters Bruder nach München gefahren.«

»Ich weiß gar nicht, daß Peters Bruder gekommen ist.«

»Du hast schon geschlafen. Es war ziemlich spät.«

»Ihr habt ihn gerufen, Mami?«

Anne nickte. »Dann habt ihr es schon geahnt«, sagte Mario.

»Man mußte damit rechnen. Er wollte seinen Bruder sehen. Willst du jetzt nicht frühstücken, Mario?« fragte sie, um ihn abzulenken.

»Ich würde gern erst noch ein bißchen rumlaufen, Mami«, sagte er. »Darf ich?«

Anne küßte ihn auf die Stirn. Sie wußte, was er jetzt fühlte. Die Quelle, seine Quelle hatte kein Wunder vollbracht, und er glaubte doch so fest daran. Wurde ihm nun doch bewußt, daß allem Wünschen und Wollen Grenzen gesetzt waren?

Sie griff zum Telefon. Sie mußte Daniel benachrichtigen.

*

»So schlimm es auch ist, für Peter Reinhold war es so am besten«, sagte Daniel zu Fee.

»Leben wollen und sterben müssen«, flüsterte Fee. »Sein Wille mag erloschen sein, als er zu der Erkenntnis gelangte, wie schwer sein Leiden ist.«

Stefanie und Ralph hatten auf der Heimfahrt viel gedacht, doch wenig gesprochen. Als Ralph dann vor seinem Haus hielt, sagte Stefanie: »Ich möchte heim.«

»Hier bist du zu Hause«, sagte Ralph. »Peter wollte es so. Du sollst jetzt nicht allein sein, Stefanie.«

Mit schreckhaft geweiteten Augen stand Katinka in der Diele. Ihre Lippen bewegten sich, aber sie brachte kein Wort hervor.

»Stefanie wird jetzt bei uns wohnen«, sagte Ralph leise. »Peter wird nicht mehr heimkehren, nie mehr, Katinka.«

Katinka schlug die Hände vor das Gesicht und schluchzte trocken auf. Tröstend legte Ralph den Arm um sie.

»Wir alle werden Zeit brauchen, um es zu begreifen«, sagte er heiser.

Obgleich Katinka nun nicht mehr allein in dem großen Haus war, herrschte doch diese beklemmende Stille. Das Telefon wurde auf den automatischen Anrufbeantworter gestellt.

Ralph mußte sich gewaltsam dazu zwingen, all das zu tun, was nun noch getan werden mußte.

Währenddessen fuhren zwei Wagen zur Insel der Hoffnung. Nicht hintereinander, sondern im Abstand von etwa einer Stunde. Im ersten Wagen saßen Julian Bartosch und seine Frau Daisy.

»Übrigens traf ich gestern abend Gitta«, sagte er beiläufig.

Daisy warf ihm jetzt einen ganz schrägen Blick zu. »Irgendwann mußte sie dir ja über den Weg laufen«, bemerkte sie. »Hast du ihr gesagt, daß wir verheiratet sind?«

»Ich habe deinen Namen nicht erwähnt«, erwiderte er.

»Sie wird es schnell herausbringen, und ich kann mir gut vorstellen, was sie sich in ihrem boshaften Hirn ausdenkt.«

»Sie wird denken, daß ich dich deines Geldes wegen geheiratet habe.«

War das nicht auch so gewesen? Julian wollte sich nicht belügen.

»Schließlich habe ich dich geheiratet«, sagte Daisy mit einem leisen Lachen. »Ich habe dir keine andere Wahl gelassen, liebster Julian. Ich wollte dich haben und habe dich bekommen. Ich wollte ein Kind von dir, und wir werden es haben.«

»Ja, wir werden es haben«, sagte er und strich ihr schnell und zärtlich über die Wange. Er hatte sie liebengelernt in diesen Wochen seiner Ehe. Sie war so ganz andes als jene Daisy, die ihm manchmal so auf die Nerven gefallen war, daß er sie ebenso oberflächlich einschätzte wie Gitta. Jetzt spielte ihr Geld keine Rolle mehr. Er wußte, daß sie mit ihm durch dick und dünn gehen würde.

»Ich bin ein glücklicher Mann«, sagte er.

»Und ich bin eine sehr glückliche Frau, und mir ist es wirklich ganz egal, was andere denken. Gitta soll sich nur giften.«

Gitta saß in dem andern Wagen, und in ihrem boshaften Hirn, wie Daisy es genannt hatte, wirbelten die Gedanken durcheinander. Im Intrigenspinnen war sie Meisterin.

Sie fieberte dem Augenblick entgegen, wo sie Verwirrung stiften und Aufregung verursachen konnte.

*

Vanessa und Christopher hatten erfahren, was sich in der Nacht zugetragen hatte. Dr. Cornelius hatte es ihnen schonend beigebracht, da sie Stefanie und Peter am Frühstückstisch vermißten, an dem sie sich immer gemeinsam eingefunden hatten.

Die empfinsame Vanessa brachte keinen Bissen mehr über die Lippen. Christopher empfand nun erst recht, wie glücklich er selbst dran war, da ihm geholfen werden konnte.

»Sie hatten gestern abend noch einen Anruf bekommen«, lenkte Dr. Cornelius ab. »Hoffentlich war es etwas Erfreuliches.«

»Wir bekommen heute Besuch«, erwiderte Christopher. »Es ist doch gestattet?«

»Selbstverständlich«, erkärte Dr. Cornelius. »Wir gestatten Besuche nur nicht, wenn sie unerwünscht sind. Würden Sie mir bitte den Namen nennen, damit wir Bescheid wissen?«

»Herr und Frau Bartosch.«

Eine halbe Stunde später erschienen Julian und Daisy. »Sag bitte den Benthams Bescheid, Mario«, rief Anne dem Jungen zu. »Sie machen einen Spaziergang.«

Christopher und Vanessa hatten nicht damit gerechnet, daß Julian und Daisy schon so früh kommen würden, und die hatten nicht gedacht, daß sie so schnell zur Insel gelangen würden.

Mario wußte schon, welchen Weg die Benthams eingeschlagen hatten. Er hatte sie getroffen, als er von der Quelle kam, wo er sich genau den Gedanken hingegeben hatte, die Anne vermutete.

Aber Mario war zu der Überzeugung gelangt, daß die Quelle schon soviel Segen gestiftet hätte, daß man nichts Unmögliches verlangen dürfe. Am Ende war es doch der Herrgott, der über Leben und Tod bestimmte. Und weil man nicht zuviel wünschen durfte, wünschte sich Mario nur, daß der Herrgott die beschützen möge, die er so sehr liebte.

Er lief Christopher und Vanessa entgegen. Mit ihnen hatte er sich längst angefreundet.

»Ich möchte nur sagen, daß Herr und Frau Bartosch gekommen sind«, erklärte er atemlos.

Die Freude, die beiden wiederzusehen, verdrängte die traurigen Gedanken, die beide bewegt hatten.

Herzlich umarmten sich Vanessa und Daisy, die Hände der Männer fanden sich zu einem festen Druck.

»Ihr habt euch ja ein wunderschönes Plätzchen ausgesucht«, sagte Daisy.

»Sieht gar nicht aus wie ein Sanatorium«, meinte Ju-lian.

»Es ist auch ein ganz besonders Sanatorium«, sagte Christopher. »Schau mal, wie kräftig mein Arm schon ist. Hier geschehen Wunder.«

»Um so besser«, sagte Julia. »Dann können wir ja planen.«

»Nun möchte ich doch wissen, was du planst«, sagte Julia. »Wer hat dir verraten, daß wir hier zu finden sind?«

Vanessa warf Julian einen warnenden Blick zu, aber Daisy hatte die Situation schon erfaßt. »Vanessas Eltern«, erwiderte sie rasch. »Ich wußte ja, daß ihr auf einem Europatrip seid.«

»Du bist jetzt unter die Manager gegangen, Julian?« fragte Christopher.

»Ich habe den Start in ein neues Leben begonnen, dank Daisys Hilfe.«

»Du sollst das nicht immer betonen«, fiel ihm Daisy ins Wort, bevor er noch mehr sagen konnte.

Julian fand, daß sie sich sehr zu ihrem Vorteil verändert hatte. Viel weicher waren ihre Gesichtszüge geworden, und der arrogante Zug um den Mund war völlig verschwunden. Sie hatten sich viel zu erzählen. Zum Geschäftlichen wollte man später kommen.

Julian wollte sich darüber erst mit Vanessa unterhalten, und geschickt verstand es Daisy, Christopher in ein Gespräch zu verwickeln, damit auch Vanessa Julian ihre Vorstellungen darüber sagen konnte, wie Christopher zu helfen sein würde.

»Es wird noch einige Zeit dauern, bis er wieder spielen kann«, sagte Vanessa, »und auch, bis er seine Form wieder erreicht hat. Aber wichtig ist es, daß er diese Zeit überbrückt.«

»Ich habe schon Verbindungen aufgenommen. Er könnte vorerst unterrichten.«

Sie konnten ihre Unterhaltung nicht fortsetzen, denn Julian sah Gitta kommen. Ihm erstarb das Wort auf den Lippen.

»Diese Unverschämtheit«, sagte er. »Mein Gott, wie wird Daisy das auffassen? Sie erwartet doch ein Baby. Sie darf sich nicht aufregen.«

Daisy war noch ahnungslos. Sie hatte sich mit Christopher ziemlich weit entfernt. Und Gitta wurde von Mario begleitet, der völlig verwirrt war.

»Die Dame hat gesagt, daß sie Bartosch heißt«, sagte er zu Julian.

»Leider«, stieß Julian hervor, was für Mario ein Zeichen war, sofort zu Anne zu laufen, um ihr das zu berichten.

»Sie kam einfach daher«, sagte Mario. »Sie hat nicht auf mich gehört, als ich ihr sagte, daß sie sich erst anmelden muß, Mami. Jetzt ist Herr Bartosch wütend.«

Auf Anne war in der Nacht und an diesem Vormittag soviel eingestürmt, daß sie nicht überall sein konnte. Freilich war es auch ihr peinlich, wenn ein unerwünschter Besuch bis in die Insel vordringen konnte, aber Mario konnte sie keine Schuld geben.

»Wir werden das schon in Ordnung bringen, Mario«, sagte sie beruhigend.

»Ich habe dir doch gesagt, daß ich meine Freundin Stefanie besuchen wollte, Julian«, sagte Gitta gerade, als Anne nahte. »Nett dich zu sehen. Ich freue mich auch, Sie wiederzusehen, Vanessa. Wie geht es Ihnen?«

Es war alles leichthin gesagt, doch Anne kannte Gitta nicht und konnte die Zusammenhänge nicht durchschauen.

»Verzeihung, wenn ich störe«, sagte Anne, »aber ich müßte Sie etwas fragen, Vanessa«, mischte sie sich ein. »Oh, Sie haben noch mehr Besuch bekommen?«

Gitta maß sie mit einem herablassenden Blick. »Mein Besuch gilt eigentlich Fräulein Linden. Wir sind befreundet.«

»Fräulein Linden ist heute morgen abgereist«, erwiderte Anne. Es bedurfte ihrer äußersten Beherrschung, eine gleichmütige Miene zu wahren.

»Oh, sie hat ihren Erholungsurlaub abgebrochen? Warum denn?« fragte Gitta.

»Unsere Patienten brauchen uns dafür keine Gründe zu nennen«, entgegnete Anne.

»Sie hat mich doch aber erwartet«, erklärte Gitta nun dreist.

»So?« Anne runzelte die Stirn. »Davon sagte sie nichts.«

»Ist Peter Reinhold hier, oder war er hier?« fragte Gitta.

Vanessa zuckte zusammen und blickte zu Boden.

»Nein, er ist nicht hier«, erwiderte Anne. »Es ist bei uns üblich, daß sich Besucher anmelden und wir bei unseren Patienten zurückfragen, ob ihnen der Besuch willkommen ist.«

Da kamen Christopher und Daisy zurück, und Daisy verhielt den Schritt, als sie Gitta gewahrte. Sie hatte Annes Worte, die in sehr energischem Ton gesprochen worden waren, verstanden.

»Dieser Besuch ist uns nicht willkommen«, sagte Daisy eisig.

Gitta fuhr herum. »Oh, sieh an, Daisy. Habe ich es mir doch gedacht«, sagte sie zynisch. »Du wirst wohl die zweite Frau Bartosch.«

»Ich bin die zweite Frau Bartosch«, erwiderte Daisy.

»Und da Fräulein Linden hier nicht vorhanden ist, besteht kein Anlaß für dich, deine Zeit zu vergeuden«, warf Julian ein, Gitta mit einem vernichtenden Blick musternd.

Anne konnte jetzt schon kombinieren. Jetzt reagierte sie geistesgegenwärtig. Sie blickte auf ihre Armbanduhr.

»Es ist Zeit für das zweite Frühstück«, sagte sie. »Darf ich bitten? Auf unangemeldete Gäste sind wir allerdings nicht eingerichtet.«

»Wir auch nicht«, sagte Daisy.

*

Als sich die Gemüter wieder beruhigt hatten, fanden alle, daß Gittas Abgang etwas Komisches gehabt hatte, das eigentlich zum Lachen reizte. Aber Anne fragte sich, was diese Frau mit Stefanie Linden zu schaffen hätte.

Nun war sie informiert, daß Julian mit ihr verheiratet gewesen war, aber ihre Beziehungen zu den Reinhold-Brüdern kannte sie nicht. Da Julian wiederum nichts von der Verbindung zwischen Stefanie und den Reinholds wußte, sprach er nicht darüber, und daß Gitta nach Peter Reinhold gefragt hatte, kam ihm erst später wieder in den Sinn, als Vanessa über das tragische Geschehen sprach, weil sie Gitta und Stefanie auch nicht unter einen Hut bringen konnte.

Jedenfalls hatte Gitta einen für sie sehr peinlichen Rückzug antreten müssen. Hatte sie auch von Ralph und Julian Abfuhren hinnehmen müssen, diese war doch die schlimmste.

Zwei Tage verzehrte sie sich in grimmigem Zorn. Sie war nicht nach München zurückgefahren, sondern hatte sich entschlossen, ein paar Tage in Campione zu verbringen. Dort hoffte sie alte Bekannte zu wiederzutreffen, aber auch diese Hoffnung zerschlug sich. Sie traf niemanden an.

So blieb ihr nur das Spielcasino,und da verlor sie so viel, daß sie am Mittwochmorgen ernüchtert über ihre weitere Zukunft nachdenken mußte.

Es blieb ihr jetzt nichts anderes mehr übrig, als vor ihrem Vater zu Kreuze zu kriechen, von dem sie schon längst abgeschrieben worden war.

Zwar hatte er ihr damals, als sie Julian geheiratet hatte, ihre Mitgift ausgezahlt und erklärt, daß sie nichts mehr zu erwarten hätte, aber vielleicht konnte sie ihn mit dem Argument versönlich stimmen, daß ihre Ehe an Julians Verschwendungssucht gescheitert sei. Skrupel hatte sie nie gehabt, die Schuld am eigenen Versagen anderen zuzuschieben.

Sie trat die Heimfahrt mit gemischten Gefühlen an. In Lindau beschloß sie, sich erst einmal zu stärken, bevor sie ihren Vater auf seinem Ruhesitz aufsuchte.

Sie kaufte sich ein paar Zeitungen, bevor sie sich die ausgehändigte Speisekarte mehrerer Restaurants anschaute, bis sie sich dann doch nicht für das teuerste entschied.

Es schaffte ihr doch Unbehagen, daß sie Schecks ausgeschrieben hatte, die kaum noch gedeckt sein konnten. Wenn ihr Vater dahinterkam, würde sie keine Nachsicht zu erwarten haben.

Sie sah recht mitgenommen aus, als sie sich einen entlegenen Tisch aussuchte, die Speisekarte studierte und sich entsagungsvoll für ein Hühnerfrikassee entschied.

Dann schlug sie die Zeitung auf, die gleich darauf wieder ihren Händen entglitt, als ihr Blick auf die Todesanzeigen fiel. Es war eine schlichte Anzeige. Gitta glaubte ihren Augen nicht zu trauen. Peter Reinhold war tot.

Es trauern um ihn Ralph Reinhold und Stefanie Linden las sie. Die Beerdigung fand im engsten Kreise statt.

Gittas Gedanken überstürzten sich. Sie ließ das Essen stehen, zahlte und machte sich auf den Weg zu ihrem Vater. Jetzt hatte sie eine Idee, wie sie ihn versöhnlich stimmen könnte.

*

Gittas Vater, Siegfried Weber, war ein friedfertiger Mann, der sein beschauliches Leben liebte. Er hatte sich damit abgefunden, daß seine Tochter ein anderes vorzog und seine Zuneigung ausschließlich seinem wohlgeratenen Sohn und seinen zwei Enkeln zugewandt. Als Gitta plötzlich vor ihm stand, war er weit davon entfernt, sich zu freuen, aber sie spielte ihre Verzweiflung perfekt.

»Ich weiß nicht mehr weiter, Vater. Du darfst mich jetzt nicht wegschicken. Peter ist tot. Das Unglück verfolgt mich.«

»Was hast du mit Peter zu schaffen?« fragte er. »Ich habe gelesen, daß er gestorben ist. Du warst doch früher aber hinter Ralph her.«

Da Tote nicht widersprechen konnten, hatte Gitta sich ihren Plan zurechtgelegt.

»Peter und ich mochten uns sehr. Wir wollten heiraten, Vater. Er hat mich verstanden. Ich konnte nicht ahnen, daß Julian mich so enttäuschen würde. Er hat mich um alles Geld gebracht, aber Peter hat mir geholfen. Wir waren heimlich verlobt. Ralph war natürlich dagegen. Er wird auch nicht akzeptieren, daß ich Ansprüche geltend machen kann.«

Siegfried Weber sah seine Tochter scharf an. »Was denn für Ansprüche?« fragte er verwundert.

»Wir wollten doch heiraten«, sagte Gitta.

»Ihr wolltet, aber es ist nicht dazu gekommen. Woran ist Peter denn eigentlich gestorben? Man hat überhaupt nichts gehört.«

»Ich weiß es auch nicht so genau. Er hat nicht darüber gesprochen. Er hat nur manchmal gesagt, daß er mich versorgt wissen will, wenn ihm etwas passieren sollte.«

Der alte Weber kniff die Augen zusammen. »Wer war auf der Beerdigung?« fragte er.

»Ich weiß es nicht. Ich konnte nicht hingehen. Ich konnte es nicht über mich bringen. Er war noch so jung, Vater.«

»Jünger als du«, sagte Siegfried Weber, »und ich finde es recht merkwürdig, daß du diese angeblich große Liebe so schnell nach deiner Scheidung von Julian gefunden hast.«

Gitta warf den Kopf in den Nacken. »Julian ist schon wieder verheiratet«, stieß sie hervor. »Er hat sich eine steinreiche Frau geangelt.«

»Na, dann kann er doch zurückzahlen, was er dir abgenommen hat«, sagte Siegfried Weber. »Wir werden einen Anwalt beauftragen. An einen Toten kann man keine Forderungen stellen, und da ich dich kenne, bin ich diesbezüglich auch etwas mißtrauisch. Ich werde zu gegebener Zeit mit Ralph reden.«

»Das wirst du nicht tun!« brauste sie auf. »Ich will mit ihm nichts mehr zu schaffen haben. Er hat es nicht verwunden, daß ich ihm mal einen Korb gegeben habe. Er hat alles versucht, meine Verbindung mit Peter zu verhindern.«

»Die Worte hör’ ich schon, allein mir fehlt der Glaube, Gitta. Du hast in deinem Leben schon zuviel gelogen. Ich werde mir Klarheit verschaffen. Ich möchte nicht, daß unser Name in den Schmutz gezogen wird, aber ich zerfließe auch nicht in Mitleid mit dir. Was immer du getan hast, hast du dir selber eingebrockt.«

»Für dich zählt immer nur dein Sohn, der dir nach dem Mund redet«, schluchzte sie. »Du hast es mich immer spüren lassen. Ich habe meine Mitgift bekommen, und damit war alles für dich erledigt.«

»Denk mal in Ruhe darüber nach, was du alles vor deiner Heirat mit Julian angestellt hast«, sagte Siegfried Weber.

»Wenn du Schulden hast, werde ich sie bezahlen. Wenn du Forderungen an Julian zu stellen hast, werde ich dir zur Seite stehen. Aber dann wirst du endlich auch mal etwas Nützliches tun und dich nicht nur mit Nichts-tuern herumtreiben. Meinetwegen kannst du jetzt erst mal hierbleiben.«

»Nein, ich muß nach München«, sagte Gitta. »Ich habe morgen eine Verabredung mit dem Bankdirektor. Ich bin plötzlich in einer verzweifelten Situation, Vater.«

»Plötzlich«, sagte er heiser. »Aber mein Name wird nicht in den Schmutz gezogen, Gitta. Einmal helfe ich dir noch aus der Klemme, aber dann sind wir geschiedene Leute. Ich komme morgen nach München. Ich werde mit dem Bankdirektor sprechen. Und bis dahin überlegst du dir gut, was du gegen Julian unternehmen willst. Für Märchen hatte ich nie etwas übrig, das solltest du wissen.«

»Glaub mir doch, Vater. Ich bin wirklich verzweifelt.«

Ja, sie war verzweifelt, weil er sich nicht täuschen ließ und sie nicht mehr wußte, wie sie ohne seine Hilfe ihr Defizit ausgleichen sollte. Ihre Lügen um Peter bedrückten sie weniger. Er konnte sie nicht mehr widerlegen, und schließlich kannte sie ihn genausolange wie Ralph.

Sie wußte auch schon, was sie nun tun würde.

*

Peters Beerdigung hatte wirklich im engsten Kreise stattgefunden. Mit Ralph, Stefanie, Katinka und Professor Weissenberger hatten nur die leitenden Angestellten an seinem Grabe gestanden, genauso erschüttert wie die, die mehr gewußt hatten. In der Fabrik ging die Arbeit weiter. Strengste Diskretion war gewahrt worden. Erst am Nachmittag wurde den Angestellten Peters Tod mitgeteilt.

Als dann am nächsten Tag die offizielle Todesanzeige erschien, zweifelte niemand daran, daß Stefanie Linden zu Ralph gehörte. Er sprach mit Stefanie darüber.

»Es ist besser so, Stefanie«, sagte er. »Ich kann nur hoffen, daß du eines Tages meine Frau werden wirst. Ja, ich kann es nur hoffen. Jetzt kann ich dich nicht fragen.«

»Am Montag werde ich wieder ins Institut gehen«, sagte Stefanie. »Wir müssen Abstand gewinnen, Ralph.«

Er nickte.

»Ich werde auch wieder in meine Wohnung zurückgehen«, sagte sie. Er nickte wieder. »Katinka wird traurig sein, wenn du uns verläßt«, sagte er nach einem langen Schweigen.

»Ich verlasse euch nicht«, erwiderte Stefanie, dann streckte sie ihm die Hand entgegen.

Am nächsten Morgen fuhren sie zum Friedhof. Über Nacht war der Winter zurückgekommen, nachdem Bäume und Sträucher schon zu treiben begonnen hatten. Reif breitete sich über die Wiesen und wie glitzernde Kristalle lag er auf den Rosen, die Peters Grab deckten.

Und da lag auch ein pompöser Kranz mit einer weißen Schleife. In Liebe, Deine Gitta, stand darauf zu lesen.

Stefanie preßte die Hand an die Lippen und wich zurück. »Der Gipfel der Geschmacklosigkeit«, sagte Ralph erzürnt, nahm den Kranz und trug ihn zum Abfallkorb.

Dann ging er zu Stefanie zurück, nahm ihre Hand und zog sie mit sich.

»Es lohnt sich nicht, über sie zu sprechen«, sagte er tonlos. »Sie hatte in Peters Leben keine Bedeutung und in meinem auch nicht. Wenn du willst, werde ich dir später erzählen, wer sie und wie sie ist. Was sie damit bezweckt hat, weiß ich nicht. Aber nun weiß ich, daß sie nicht mal vor dem Tod Respekt hat.« Er legte seinen Arm um sie. »Du frierst, Liebes«, fuhr er mit weicher Stimme fort. »Wir fahren jetzt heim.«

Als sie im Wagen saßen, lehnte sie ihren Kopf an seine Schulter. Er war da. Er gab ihr Kraft. Ihr Leben war mit seinem untrennbar verbunden. Sie brauchten es nicht in Worten auszudrücken. Sie wußten es. Peter stand nicht zwischen ihnen. Er blieb in ihnen lebendig.

*

Siegfried Weber hatte an diesem Vormittag das Konto seiner Tochter ausgeglichen, ohne eine Miene zu verziehen.

»Das wäre also erledigt«, sagte er zu Gitta, als sie die Bank verließen.

»Ich danke dir, Vater«, sagte sie demütig.

Er lachte blechern auf. »Ich habe festgestellt, daß dein Konto erst in den letzten Wochen überzogen worden ist«, sagte er. »Das kannst du Julian wohl nicht in die Schuhe schieben. Aber ich will darüber nicht streiten. Du suchst dir jetzt eine Stellung und verdienst dir deinen Lebensunterhalt, genauso, wie ihn dein Bruder für seine Familie verdient. Aber wenn du in der Gosse landest, brauchst du nicht nach mir zu rufen. Ich gebe dir jetzt noch fünftausend Euro als Starthilfe. Sieh zu, was du daraus machst.«

»Können wir nicht wenigstens noch zusammen essen?« fragte sie.

»Nein, ich habe noch etwas zu erledigen. Da ist das Geld. Du bist mir einiges schuldig, Gitta. Vielleicht steigst du vorerst mal auf einen billigeren Wagen um, oder noch besser, du gehst zu Fuß. Wenn du die Wohnung verkaufst, könnte das viel einbringen. Streng mal dein Spatzenhirn an.«

»Das nennt man väterliche Liebe«, sagte sie, den Umschlag mit dem Geld in ihre Handtasche schiebend.

»Du bist dreißig Jahre alt, vergiß das nicht. Du hast immer auf meine Kosten gelebt. Und du bist immer nur gekommen, wenn du mein Geld gebraucht hast. Meinen Rat hast du nie angenommen.«

»Du hast ja deine Enkel«, rief sie ihm höhnisch nach, als er ging.

»Gott sei Dank«, rief er zurück, und dann stampfte er davon. Er fuhr zum Friedhof. Er fragte bei der Verwaltung nach Peter Reinholds Grab.

Er ging den langen Weg mit schweren Schritten, und er sah dann den Kranz im Abfallkorb liegen, der noch nicht geleert worden war.

Seine Lippen preßten sich aufeinander. Er schaute sich um, ob niemand in der Nähe war. Dann riß er die Schleife von dem Kranz und knüllte sie zusammen, schob sie in seine Manteltasche und blickte aus gemessener Entfernung auf das rosenbedeckte Grab.

»Tote sind zum Schweigen verdammt«, murmelte er vor sich hin, als er gesenkten Hauptes den Weg zurückging.

Gitta saß indessen in einem Café und überlegte bei einem Mokka, was sie nun tun könnte. Die Wohnung verkaufen? Ja, dreihunderttausend Euro konnte sie bringen – mit dem Inventar vielleicht sogar mehr.

Man konnte damit etwas anfangen. Vielleicht sollte sie eine Boutique aufmachen? Ach was, dachte sie, es gibt andere Möglichkeiten. Und dann fuhr sie zu einem Makler.

*

Die Tage reihten sich aneinander, das Wetter blieb wechselhaft. Eine Woche war schnell herum, und als am nächsten Samstagmorgen die Sonne schien, sagte Daniel Norden zu seiner Fee: »Jetzt überlegen wir nicht mehr lange und fahren los.«

»Wohin denn?« fragte sie. »Es taut überall. Weit fahren lohnt sich nicht. Dazu ist die Zeit zu kurz.«

»Meinst du nicht, daß Paps und Anne sich freuen würden, wenn wir sie mal ohne Ankündigung überraschen?« fragte er.

»Und wenn sie keinen Platz für uns haben?« fragte Fee.

»Dann fahren wir halt abends wieder zurück. Aber du glaubst doch selbst nicht, daß sie das zulassen würden.«

Danny, Felix und Anneka brauchten nur Opi und Omi zu hören, dann waren sie schon ganz kribbelig. Da nahmen sie es auch widerspruchslos in Kauf, daß sie angeschnallt auf dem Rücksitz ausharren mußten.

Wie groß war dann die Freude, als sie von Anne und Johannes in die Arme geschlossen wurden.

»Solche Überraschung lassen wir uns gefallen«, sagte Anne, und dann kam auch Mario herbei, der jetzt immer sehr vorsichtig aufpaßte, wenn unerwarteter Besuch kam, denn die Benthams waren ja immer noch auf der Insel, und er hatte noch nicht vergessen, was er sich mit Gitta eingehandelt hatte.

»Geht es wieder?« fragte Daniel seinen Schwiegervater.

»Es muß immer weitergehen, mein Junge«, erwiderte Dr. Cornelius. »Wir sind froh, euch hier zu haben. Es war eine gute Idee.«

Fee lauschte indessen schon, denn aus dem Haus klang Musik. Klavier und Geige mischten sich.

»David und Katja sind gestern aus Zürich gekommen«, sagte Anne lächelnd. »Wir sind alle wieder mal beisammen.«

»Und Christopher übt«, warf Dr. Cornelius ein.

Nun lauschte auch Daniel. »Es klingt aber schon sehr schön«, meinte er.

»Wir haben auch Erfolge zu verzeichnen«, gab ihm Johannes Cornelius zur Antwort. »In ein paar Monaten werden sie ein Konzert geben.«

»Und wir werden dabei sein, komme, was da wolle!« sagte Anne.

*

Auch diese Monate gingen vorbei. Ralph und Stefanie hatten in ihrer Arbeit Vergessen gesucht, und sich nur ein- oder zweimal in der Woche getroffen wie früher, als Peter noch bei ihnen war.

Professor Weissenberger hatte sich als väterlicher Freund erwiesen, und Ralph wußte inzwischen auch, daß er jener Mann war, der Stefanie damals in ihre Wohnung begleitet hatte. Wenn sie beisammen waren, sprachen sie über alles, was in der Vergangenheit gewesen war, auch über Gitta, die untergetaucht zu sein schien.

Sie hatte ihre Wohnung besser verkauft als gedacht, das Geld eingesteckt und ihre Koffer gepackt. Selbst ihr Vater wußte nicht, wo und wie sie jetzt lebte.

Für Ralph und Stefanie begann ein neuer Lebensabschnitt, als sie die Einladung zu dem Konzert bekamen, das auch für Christopher ein neuer Anfang werden sollte.

»Nun wird auch Vanessas Baby bald zur Welt kommen«, sagte Stefanie gedankenvoll, als sie die Einladung las. »Ich wünsche Christopher einen großen Erfolg.«

»Wir werden ja dabei sein, Stefanie«, sagte Ralph.

»Du willst das Konzert besuchen?« fragte sie.

»Wir werden es besuchen und Professor Weissenberger auch. Dr. Cornelius und seine Frau werden auch kommen, und ich hoffe, daß Daniel und Fee Norden nicht fehlen werden.«

Es war Sommer geworden. Hier blühten die Rosen wie auch auf der Insel der Hoffnung, und jeden zweiten Tag standen auch auf Peters Grab frische Rosen.

»Du willst, daß wir das Konzert besuchen, Ralph?« fragte Stefanie.

»Du möchtest doch Vanessa wiedersehen. Sie hat dir so oft geschrieben, Stefanie.«

»Ja, ich möchte sie wiedersehen, aber es werden viele Menschen dort sein«, sagte sie verhalten.

»Hast du Angst, welchen zu begegnen, die uns nicht behagen? Man kann allen aus dem Wege gehen, Stefanie. Wir werden unter guten Freunden sein.«

»Ich weiß aber nicht, was ich anziehen soll«, sagte sie kleinlaut.

Ralph lächelte. Endlich zeigte sie wieder eine typisch weibliche Reaktion, auf die er lange gewartet hatte. Er nahm ihre Hände und zog sie an sich.

»Morgen gehen wir ein Kleid für dich kaufen«, sagte er zärtlich.

»Mir ist es ja egal, was du anziehst. Für mich bist du die schönste und liebenswerteste Frau der Welt. Aber ich muß es dir wohl endlich auch mal sagen.«

Ihre Hände legten sich um sein Gesicht, ihre Finger strichen sanft über die Falten auf seiner Stirn.

»Ich liebe dich, Ralph«, flüsterte sie. »Ich habe immer nur dich geliebt. Aber ich danke dir, daß du mir so viel Zeit gelassen hast, es auszusprechen.«

Sie blickten sich tief in die Augen, und ihre Lippen fanden sich zu einem langen, innigen Kuß.

»Ich habe mich so sehr nach diesen Worten gesehnt«, sagte er und bedeckte ihr Gesicht mit zärtlichen Küssen.

*

Christopher Bentham feierte ein rauschendes Comeback. Eigentlich hatte David Delormes Name den Saal gefüllt, aber ihm bereitete es Freude, daß Christopher dann so gefeiert wurde.

Er hatte für seine Frau Vanessa gespielt, für Anne und Johannes Cornelius, die ihm geholfen hatten. Er hob seinen rechten Arm und winkte ihnen zu. Und Ralph nahm Stefanies Hand und drückte sie an seine Brust, unter der sein Herz so kräftig schlug, nicht mehr dumpf und angstvoll.

Stefanies Augen leuchteten. Wunderschön sah sie aus in dem taubenblauen Chiffonkleid, das Ralph ausgesucht hatte.

Auch Julian war gekommen. Nur Daisy fehlte, da sie den Flug über den Ozean nicht mehr gewagt hatte, denn ihr Kind, das nun bald auf die Welt kommen sollte, war ihr wichtiger als alles andere.

Vanessas Baby war schon vor sechs Wochen in der Leitner-Klinik zur Welt gekommen, und erst nach diesem Konzert wollte sie mit ihrem Mann zu ihren Eltern fliegen, um ihnen das erste Enkelkind vorzustellen. Mit diesem Erfolg, der nur ein Anfang für eine neue Karriere sein sollte, fiel es Christopher leichter, das Haus seiner Schwiegereltern wieder zu betreten, und noch immer ahnte er nicht, wieviel auch sie dazu beigetragen hatten, daß sein Schicksal eine so glückliche Wende genommen hatte.

Dieser Abend mußte auch einen festlichen Abschluß finden. Es sollte das erste und auch das letzte Mal sein, daß sie an einem Tisch vereint waren.

Jetzt sollten sich ihre Wege trennen, hin und wieder zusammenführen, aber nicht alle zur gleichen Zeit. Jeder hatte seine Pflichten zu erfüllen, der eine hier, der andere dort.

David und Christopher würden sich noch oft genug treffen, das stand schon fest. Julian hatte für das kommende Jahr schon sechs Konzertabende für sie abgeschlossen. Und fest stand auch, daß Katja ihren Mann dann immer begleiten würde.

Die Ärzte aber würden wieder mit ihren Patienten beschäftigt sein und hoffen, noch vielen so helfen zu können, wie Christopher geholfen worden war, wenn es auch nicht immer ein Künstler sein konnte.

Und für Stefanie und Ralph sollte das kommende Jahr die Erfüllung ihrer sehnsüchtigen Wünsche bringen. An dem Erfolg der andern, die ihren Weg gekreuzt hatten, konnten sie sich freuen, für sich selbst wünschten sie nur ein stilleres Glück.

Es sollte ihnen beschieden sein, und das schönste Geschenk war es für sie, daß David Delorme die Orgel spielte, als sie sich das Jawort gaben.

Es war ein langer, entsagungsvoller Weg gewesen, den sie bis zu dieser Stunde gegangen waren, überschattet von der Trauer um Peter, an den sie auch in dieser Stunde dachten, aber ihre Liebe war stark genug, um auch mit den Erinnerungen leben zu können.

Katinka war glücklich. Sie konnte jetzt nichts mehr erschüttern. Sie wartete nur noch darauf, daß fröhliches Kinderlachen das Haus erfüllte, in dem sie bleiben wollte, solange sie ihre Füße trugen. Und die waren so flink wie immer.

Sie konnte nur strahlen, wenn Ralph heimkam und seine Stefanie ihm um den Hals flog.

Lange brauchte Katinka auf den Nachwuchs nicht zu warten. Er stellte sich pünktlich ein. Stefanie brachte an einem Sonntagmittag einen gesunden Buben zur Welt, der den Namen Peter erhalten sollte.

Er war drei Monate alt, als Ralph und Stefanie wieder ausgingen, zur Feier ihres Hochzeitstages. Sie wußten ihr Baby in guter Hut bei Katinka.

Sie besuchten das zweite Konzert, das Christopher Bentham in München zusammen mit David Delorme gab. Auch Dr. Norden und seine Frau Fee zählten zu den Gästen.

Auf der Insel der Hoffnung aber herrschte Hochbetrieb, so daß Johannes und Anne Cornelius nicht hatten kommen können.

Als sie dann gemütlich in der Weinstube saßen und Christopher von seinem Sohn erzählte und von Julian und Daisy, die zu ihrer Tochter gerade Zwillinge bekommen hatten, wurden von Tisch zu Tisch die neuesten Zeitungen angeboten, die in fetten Schlagzeilen von einem neuen Flugzeugunglück kündeten, das mehr als zweihundert Todesopfer gefunden hatte.

Erst am nächsten Tag erfuhren sie, daß auch Gitta unter diesen Opfern war. Ein wildes Leben war beendet. Ein alter Mann im Allgäu machte ein schwarzes Kreuz hinter dem Datum dieses Tages, aber er konnte keine Trauer empfinden.

»Und niemand weint um sie«, sagte Ralph hart, als er die Nachricht las.

Dann nahm er seinen jauchzenden Sohn in den Arm und gab Stefanie einen innigen Kuß.

Dr. Norden Bestseller Box 14 – Arztroman

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