Читать книгу Dr. Norden Extra Box 2 – Arztroman - Patricia Vandenberg - Страница 6

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Wendy mußte gleich zweimal hinsehen, als die elegante junge Frau in der Praxis erschien. So etwas wie Michelle Dorant sah man nicht alle Tage. Wendy erkannte sie sofort, denn sie hatte erst gestern ein Foto von ihr in der Zeitung gesehen. Carlos Dorant, der bekannte Schauspieler war mit seiner schönen Frau ­Michelle in München eingetroffen.

Und nun erschien Michelle hier. Wendy hatte freilich keine Ahnung, daß sie Dr. Daniel Norden längst wohlbekannt war.

»Bitte, mich nicht anmelden, ich will den guten Doktor überraschen«, sagte Michelle mit verschwörerischer Miene, und dann schenkte sie Wendy ein umwerfendes Lächeln. »Sie kenne ich allerdings nicht.«

»Annaliesa Wendel, genannt Wendy«, bekam sie erwidert.

»Fein, Wendy, wir werden uns öfter sehen.«

Wendy fand sie hinreißend. Aber sie verstand nicht, daß sie Carlos Dorant geheiratet hatte, der für seine Affären bekannt und auch noch bedeutend älter war als dieses entzückende Wesen.

Auch Dr. Daniel Norden empfing Michelle mit gemischten Gefühlen, da er von ihrer Heirat von seiner Frau Fee informiert worden war, und Fee hatte nur den Kopf geschüttelt.

»Nachdem seine letzten Filme nichts bringen, muß er sich wohl durch diese Heirat sanieren«, hatte sie gesagt, »aber Michelle hätte doch jeden Mann haben können, warum ausgerechnet ihn?«

Das fragte sich Daniel Norden auch, als Michelle jetzt vor ihm stand und ihre wunderschönen Augen ihn anstrahlten.

Entweder ist sie wirklich glücklich, oder sie ist eine großartige Schauspielerin geworden, dachte Daniel Norden, aber Michelle hatte früher nie Neigung zur Schauspielerei gezeigt.

»Ich möchte wissen, ob ich schwanger bin«, sagte sie, nachdem sie sich gegenseitig nach ihrem Befinden erkundigt hatten und Michelle wissen wollte, zu wie vielen Kindern es die Nordens inzwischen gebracht hätten. Fünf? Da hatte sie gestaunt, aber sie hatte auch gesagt, daß diese Kinder sich die richtigen Eltern ausgesucht hätten.

»Und Sie wünschen sich ein Kind?« fragte Dr. Norden.

»Ich nehme es, wie es kommt«, sagte sie leichthin, und zum ersten Mal hörte er da einen Unterton heraus, der zu ihrer Fröhlichkeit nicht ganz paßte.

Sie war schwanger, er konnte es bestätigen, aber er empfahl ihr, doch noch einen Gynäkologen aufzusuchen, wo immer sie sei, da sie ja viel unterwegs sein würde.

»Ich bin gespannt, was Carlos sagen wird«, bemerkte sie beiläufig und hielt sich nicht mehr lange auf.

*

»Michelle Dorant war bei mir«, erzählte Daniel seiner Frau, als

er mittags heimkam. »Sie ist schwanger.«

»Du liebe Güte!« rief Fee aus. »Dorant kann ich mir als Vater nun wirklich nicht vorstellen. Offen gestanden kann ich nicht verstehen, daß sie ausgerechnet ihn geheiratet hat. Sie hatte doch wahrlich die Auswahl.«

»Was spielt das schon für eine Rolle, mein Schatz. Wo die Liebe hinfällt, so sagt man doch.«

»Und wenn sie auf den Misthaufen fällt…« Es klang gar nicht scherzhaft.

Daniel warf ihr einen schrägen Blick zu. »Was hast du gegen ihn, du kennst ihn doch gar nicht.«

»An seinem Wege blieben viele gebrochene Herzen zurück.«

»Es wird viel geklatscht, Feelein.«

»Aber es liegt auch Wahrheit in solchem Klatsch. Ich will nicht unken, Daniel, aber ich kann mir nicht vorstellen, daß das gutgeht.«

»Wenn sie mir die glückliche Frau nur vorgespielt hat, ist sie eine glänzende Schauspielerin. Und wenn es schiefgeht…, nun, bei Scheidungen ist man nicht mehr pingelig.«

»Sie würde das viel Geld kosten, aber vielleicht hat er es darauf angelegt.«

»Du bist ja richtig boshaft«, sagte Daniel erstaunt. »So kenne ich dich gar nicht.«

»Ich mag Michelle und verstehe nicht, daß sie sich das angetan hat. Wieviel Millionen stehen hinter ihr?«

»Das weiß ich nicht, und es interessiert mich auch nicht. Ich mag sie auch, und ihretwegen kann sich ein Mann schon ändern.«

Sie kannten Michelle als temperamentvolle, witzige und charmante junge Frau. Wo sie erschien, war sie umschwärmter Mittelpunkt gewesen. Und Fee konnte sich nicht vorstellen, daß sie diesen Lebemann Dorant aus Liebe geheiratet hatte.

Aber wenn es so gewesen war – das war schon wieder vorbei. Sehr schnell war es vorbei gewesen. Sie hätten es bestätigt gefunden, wenn sie jetzt bei den Dorants hätten Mäuschen spielen können.

Als Michelle ins Hotel kam, schluckte sie erstmal zwei Tabletten, wie sie es schon getan hatte, bevor sie in der Praxis Dr. Norden erschien. Sie ließ sich in einen Sessel fallen und schleuderte die Schuhe von ihren Füßen.

Sie bewohnten die Luxussuite in ihrem Stammhotel. Dank Michelles Vermögen konnten sie sich das leisten.

Carlos Dorant kam nun aus dem Nebenzimmer. Er schwankte leicht, und seine Stimme wollte ihm nicht gehorchen, als er fragte, wo sie so lange gewesen sei.

»Ich habe mir bestätigen lassen, daß ich schwanger bin«, stieß sie hervor, »nun kannst du dich freuen, du großer Künstler. Trink die nächste Flasche leer.«

»Du hast es doch gewollt«, sagte er zynisch. »Du warst doch versessen darauf, mich zu heiraten.«

»Ich muß verrückt gewesen sein«, sagte sie tonlos. »Warum habe ich nur all den Gerüchten keinen Glauben geschenkt. Warum wußte ich nicht, wie sehr du es darauf anlegtest, eine Dumme zu finden, die deine Schulden bezahlt. Du hast wirklich deine allerbeste Rolle als Liebhaber gespielt. Wärest du im Film auch so gut und überzeugend, wäre der letzte Film nicht auch ein Flop geworden.«

»Verdammt, hör damit auf! Was kann ich dafür, daß die Rollen falsch besetzt wurden, daß Mac unbedingt seinem Flittchen die Hauptrolle geben mußte.«

»Hör damit auf«, sagte Michelle wütend, »dieses Flittchen hat auch in deinem Bett gelegen. Aber jetzt wirst du den braven Ehemann spielen. Ich lasse mich nicht zum Gespött machen. Ich gönne Mona den Triumph nicht, daß sie recht hatte, mich vor dir zu warnen.«

»Sie war doch nur wütend, weil sie bei mir nicht landen konnte«, höhnte er.

Michelle warf ihm einen vernichtenden Blick zu. »Mona würde dich nicht mal mit der Feuerzange anfassen, aber all die anderen, die auf der Strecke blieben, werden heute heilfroh sein, mit dem blauen Auge davongekommen zu sein. Ich habe heute jedenfalls bei Daniel Norden bewiesen, daß ich eine bessere Schauspielerin bin als du.

Ich werde meine Rolle weiterspielen, und du wirst künftig das tun, was ich von dir verlange, sonst lasse ich dich mitsamt deinen Schulden über die Klinge springen.«

»Du benimmst dich kindisch, Michelle«, sagte er heiser, aber er war merklich verunsichert.

»Kindisch?« lachte sie auf. »Das war ich, als ich mich in dich verliebte. Ich war kindisch, als ich mit dir in deine Wohnung ging, als du mich mit deinen Drinks betäubtest, weil ich ja nichts vertragen konnte. Endlich hattest du ein dummes Huhn gefunden, das goldene Eier legte. Mein Gott, war ich blöd!« Sie stand auf und ging zum Fenster. »Ja, ich war verliebt in dich, aber jetzt hasse ich dich. Doch du wirst mich nicht loswerden. Du bekommst keinen müden Euro mehr von mir, nicht einen einzigen Cent. Du hast dich verkalkuliert, wenn du gemeint hast, daß du durch die Scheidung reich werden kannst. Ich bin schwanger, und ich werde das Kind zur Welt bringen. Und wehe dir, wenn du fremdgehst, dann kannst du betteln gehen.«

»Du Biest!« zischte er.

»Du niederträchtiger Schuft«, sagte sie kalt. »Ich fahre jetzt zu meinem Haus.«

*

Es war ein wunderschönes Haus, vor den Toren von München und in einen riesigen Park gebettet.

Hier war Michelle mit ihrem Bruder Philipp aufgewachsen, und sie hatten eine glückliche Kindheit und Jugend verlebt. Der Industrielle Laurentis hatte seinen beiden Kindern ein riesiges Vermögen hinterlassen, dessen Umfang sie erst mit der Zeit erfaßten.

Für Michelle hatte der Tod des geliebten Vaters eine Lücke gerissen, die sich nicht schließen wollte. Ihre Mutter war schon kurz nach ihrer Geburt gestorben und ihre Tante Doris, die Schwester ihres Vaters, hatte auf eine eigene Ehe verzichtet, um Michelle und Philipp die Mutter zu ersetzen. Es war ihr gelungen, aber der Vater war für Michelle doch die Hauptperson, das Vorbild, der Mensch, dem ihre ganze Liebe gehörte.

Philipp hatte früh die Nachfolge seines Vaters antreten müssen, zu früh vielleicht, wie manche meinten, aber er hatte sich meisterhaft in diese Position gefunden.

Michelle dagegen hatte sich mehr und mehr in eine Rolle hineingelebt, die ihrem eigentlichen Wesen widersprach. Sie hatte die tiefe Trauer zu überspielen versucht, um nicht zu zeigen, wie sehr der Tod des Vaters sie getroffen und verändert hatte, bis sie dann meinte, in Carlos Dorant einen Ersatz für ihren Vater zu finden. Es wurde zur grausamsten Enttäuschung, die ihr widerfahren konnte. Aber wieder verleugnete sie ihre wahren Gefühle, war sie bereit, ihre Ehe nach außen hin aufrecht zu halten.

*

Mona Holsten wollte es noch immer nicht wahrhaben, daß Michelle Carlos Dorant geheiratet hatte. Als sie hörte, daß die beiden in München angekommen waren, fuhr sie zu Philipp Laurentis ins Büro, was sie vorher noch nie getan hatte.

Er zeigte sich erfreut, aber ihre Augen sprühten Blitze.

»Hast du diese Heirat etwa gebilligt?« fragte sie erregt.

»Meinst du etwa, daß Michelle mich gefragt hätte? Sie war nun mal chloroformiert von ihm. Wenn du daran Anstoß nimmst, daß er soviel älter ist als sie, bedenke, daß sie eine Vaterfigur suchte.«

»Dorant und eine Vaterfigur, da kann ich nicht mal lachen. Ich bin wütend. Ich weiß nicht, was ich tue, wenn wir uns treffen.«

Bis sie mal so wütend wurde, dauerte es schon lange, und es mußte viel passieren. Philipp hatte es noch nie erlebt, daß sie vor Zorn buchstäblich kochte, und er kannte sie schon vier Jahre. Und er hatte sehr viel für sie übrig.

»Wenigstens haben sie kein Aufsehen um ihre Hochzeit gemacht«, stellte er gelassen fest. »Reg dich nicht auf, Mona, wir werden ja sehen, wie es läuft.«

»Du hast die Ruhe weg. Er hat den besten Schnitt seines Lebens gemacht. Er ist doch bald ganz weg vom Fenster, nachdem die letzten Filme der reinste Mist waren. Er wird sie ausnehmen wie eine Weihnachtsgans.«

»Das glaube ich nicht. Wenn sie merkt, daß es darauf hinausgeht, wird sie sauer. Dann hat er nichts mehr zu lachen. Ich kenne meine Schwester. Ich bin auch nicht begeistert von dieser Heirat, aber es ist ihr Bier.«

»Er wird sie fallen lassen wie eine heiße Kartoffeln, wenn sie auf stur schaltet.«

»Unterschätze Michelle nicht. Hast du Zeit, heute abend mit mir zu essen?«

Das kam überraschend. Mit ihm über Michelle zu reden, schien nicht angebracht zu sein, aber sie war gern mit ihm zusammen. Er hatte nur meist noch weniger Zeit als sie, die als Ärztin im Kreiskrankenhaus tätig war.

»Zufällig habe ich heute frei«, sagte sie, »sonst hätte ich dich auch nicht überfallen.«

»Was mich aber sehr freut. Kann ich dich von zu Hause abholen?«

»Okay, wann?«

»Neunzehn Uhr, wenn es recht ist.«

Es war ihr recht. Sie mochte ihn sehr, aber sie war nicht bereit, sich wie eine Klette an ihn zu hängen. An eine feste Bindung schien er nicht zu denken, aber es gab auch keine andere Frau in seinem Leben.

Mona hatte allen Grund, gegen Carlos Dorant eingenommen zu sein, denn er hatte sich ihr einmal in einer Weise genähert, die sie abgestoßen hatte. Für ihn schien jede Frau Freiwild zu sein, und besonders deshalb konnte Mona Michelle nicht begreifen. Sie machte sich trotzdem Sorgen um Michelle. Aber sie konnte nicht ahnen, wie angebracht diese waren.

*

Über diese Ehe machten sich auch andere Gedanken. Michelle machte sich keine mehr. Sie war aller Illusionen beraubt, bis ins Innerste ernüchtert und nun eiskalt.

Sie war nicht so schnell aus dem Hotel gekommen, wie sie gemeint hatte. Das Telefon hatte ein paarmal geläutet, und dann hatte ihr Carlos eröffnet, daß er zu Dreharbeiten nach Spanien müsse.

»So plötzlich?« fragte sie spöttisch.

»Der Film war schon lange geplant, wie du weißt, und wie du siehst, kommen sie ohne mich doch nicht aus. Ich bin noch lange nicht weg vom Fenster.«

»Hoffentlich gibt es genügend Whisky und willige Gespielinnen, aber vergiß nicht, was ich dir gesagt habe. Ich meine das ernst.«

Er drehte sich zu ihr um.

»Du kannst ja inzwischen eine Schwangerschaftsunterbrechung vornehmen lassen«, sagte er.

»Das könnte dir so passen. Du wirst ausbaden, was du dir eingebrockt hast, und du sollst es jeden Tag bereuen.«

»Du bist ja nicht mehr normal«, fuhr er sie an. »Ich möchte nur wissen, was in dich gefahren ist.«

Da ging sie und drehte sich nicht mehr um. Als sie in ihrem Wagen saß, legte sie für ein paar Minuten den Kopf auf ihre verschränkten Hände, mit denen sie das Steuer umfaßt hatte.

Vielleicht bin ich wirklich nicht mehr normal, dachte sie. Was war nur mit ihr, was war aus ihr geworden? Sie blickte in den Spiegel und haßte sich. Ihr war zum Heulen zumute. Warum hast du mich allein gelassen, Daddy, dachte sie. Alles wäre anders, wenn du leben würdest.

Eins wußte sie allerdings ganz genau. Niemals hätte ihr Vater diese Heirat gutgeheißen. Hatte sie nicht ihr Gesicht verloren, sich selbst auch? Wo war ihr Stolz geblieben? Und was würde sie jetzt von Philipp und Mona zu hören bekommen?

Was war eigentlich mit den beiden? Sie kannten sich doch schon so lange? Warum heirateten sie nicht?

Ich hätte einen richtigen Beruf ergreifen sollen, so wie Mona. Ich hätte wenigstens studieren sollen. Sie überhäufte sich mit Selbstvorwürfen, war wütend auf sich und griff wieder zu Tabletten.

Sie war froh, als sie vor ihrem Elternhaus ankam. Sie war müde, ausgebrannt. Sie wollte schlafen und vergessen.

Doris war nicht da, nur das Hausmädchen Marie. Sie schlug die Hände zusammen, als sie Michelle einließ.

»Sie sind wieder zu Hause, wie mich das freut«, stammelte sie.

Michelle war froh, daß sie keine Fragen nach Carlos stellte.

»Ist Tante Doris nicht zu Hause?« fragte sie müde.

»Sie ist in Bad Gastein«, erwiderte Marie. »Kann ich etwas für Sie herrichten?«

»Ich möchte schlafen.«

Marie blickte ihr besorgt nach. Das war nicht die Michelle, die sie kannte. Das war fast eine fremde Frau.

*

Als Philipp heimkam, sagte ihm Marie, daß sich Michelle gleich hingelegt hätte.

»Sie ist hier?« staunte er. »Allein?«

Marie sah ihn verwirrt an. »Warum nicht allein?« fragte sie.

»Sie ist verheiratet.«

Marie riß die Augen auf. »Das wußte ich nicht«, stotterte sie.

»Ich dachte, jeder wüßte es«, murmelte er.

»Darf ich fragen, mit wem sie verheiratet ist?« Marie war verwirrt und verlegen.

»Carlos Dorant heißt er«, erwiderte Philipp ironisch.

»Ist das nicht ein Schauspieler?«

»So ist es, aber wir wollen ihm keine Ovationen bringen, meine Gute.«

»Was möchten Sie essen?« fragte Marie.

»Ich gehe aus. Hat Michelle eigentlich gesagt, ob ihr Mann kommt?«

»Kein Wort. Sie war nur müde. Nach Frau Laurentis hat sie gefragt.«

Doris wird hoffentlich ihre Kur nicht Michelles wegen unterbrechen, dachte er. Doris hatte nämlich gerade erst eine schwere Grippe überwunden.

Er brachte es nicht fertig, an Michelles Zimmer vorüberzugehen. Leise öffnete er die Tür.

Er liebte seine Schwester sehr, und was auch geschehen war, an seinen Gefühlen für sie änderte das nichts.

»Bist du das, Phil?« hörte er sie fragen.

»Ja, Schwesterchen, ich bin es. Darf ich dich stören?«

»Du darfst alles.«

Er setzte sich zu ihr ans Bett und küßte sie leicht auf die Schläfe.

»Warum hast du nicht mal angerufen?« fragte er.

»Es hat sich alles überstürzt.«

»Wo ist Carlos?«

»Nach Spanien zu Aufnahmen. Ich möchte mal wieder zu Hause sein.«

»Das freut mich. Ich bin heute abend mit Mona verabredet. Kommst du mit?«

»Nein, ich bin zu müde. Warum seid ihr eigentlich nicht verheiratet?«

»Sollten wir das?«

»Warum nicht?«

»Muß man immer gleich heiraten?«

»Gleich sicher nicht, das mag ein Fehler sein, aber ihr kennt euch doch schon lange, und sicher schläfst du doch auch mit ihr.«

»Sei nicht so indiskret, Michelle. Wir haben wenig Zeit füreinander.«

»Man kann doch darüber reden. Ist Mona böse auf mich?«

»Sie versteht nicht, daß du Dorant geheiratet hast. Es scheint ein Schock für sie gewesen zu sein.«

Sie wechselte wieder das Thema. »Möchtest du denn keine Kinder haben, Phil?«

»Doch, natürlich. Es ergibt sich dann schon.«

»Du läßt wohl alles an dich herankommen.« Es klang mißbilligend.

Er lachte leise.

»Es genügt doch, wenn du so impulsiv bist. Ich meine, du hättest mir wenigstens vorher mitteilen können, daß ihr heiratet.«

»In England geht es schneller. Und ich wollte kein großes Tamtam. Außerdem hatte Carlos Termine.«

»Sein letzter Film war ein Flop.«

»Er war miserabel. Ich beschönige ja nichts. Ich sage auch nicht, daß er der Größte ist. Aber du bist mit Mona verabredet. Ich will dich jetzt nicht aufhalten.«

Sie will mich loswerden. Ich soll ihr wohl nicht zu direkte Fragen stellen, dachte er.

»Wie lange wirst du bleiben?« fragte er.

»Ich weiß es noch nicht. Aber sicher einige Zeit.«

Na dann, dachte Philipp, da stimmt was nicht.

*

Michelle fühlte sich elend, als Philipp gegangen war. Ihr war schwindelig, und ihr Magen rebellierte. Wahrscheinlich gehörte das zur Schwangerschaft. Dr. Norden hatte ihr gesagt, was sie vermeiden sollte. Keinen Alkohol trinken, nicht rauchen, auch nicht überanstrengen und regelmäßig zu Kontrolluntersuchungen gehen.

Wollte sie denn überhaupt ein Kind von Carlos haben? War es nicht Trotz, es ihm präsentieren zu wollen? Und warum sollte sie sich eigentlich nicht von ihm trennen?

Sie wollte sich mal lieber beim Anwalt erkundigen, was sie eine Scheidung kosten würde, da er ja noch im Geschäft war. Dann war es ja nur eine ganz kurze Ehe. Vielleicht konnte die auch annulliert werden. Die widersprüchlichsten Gedanken bewegten sie nun.

Aber sollte sie sich so blamieren? Jetzt würde die Heirat doch erst recht publik werden, und dann sollte gleich darauf eine Scheidung folgen?

Früher hatte man ihr nachgesagt, daß sie sehr wählerisch sei, und ein paar Männer hatten sie sogar die eiserne Jungfrau genannt.

Verzweiflung packte sie plötzlich, doch dabei mußte sie sich allein die Schuld an dieser Misere geben.

Dr. Norden hatte gesagt, sie solle zu einem Gynäkologen gehen. Vielleicht riet ihr der, die Schwangerschaft zu unterbrechen, wenn es ihr schlechtging. Und es ging ihr schlecht. Dr. Norden wollte sie nicht fragen. Ihm hatte sie ja die glückliche Frau vorgespielt. Hatte sie ihn wirklich getäuscht? Was hatte man denn hier so über Carlos geredet und geschrieben?

Warum dachte sie erst jetzt darüber nach, warum nicht schon früher, bevor sie ja gesagt hatte zu dieser Ehe?

Aber Carlos hatte sie ja auch getäuscht. Er hatte von Liebe gesprochen und daß sie die einzige Frau sei, die ihn festhalten könnte. Keine andere hätte ihm soviel bedeutet. Sie solle die Gerüchte nicht ernstnehmen, und was nicht alles, und sie war wie benebelt gewesen.

Sie wankte ins Bad, stellte sich unter die Dusche. Ihr wurde es ein bißchen wohler. Dann ging sie hinunter zu Marie und ließ sich einen Tee aufbrühen. Sie schluckte wieder die Tabletten.

Marie sah es.

»Sind Sie krank?« fragte sie besorgt. »Soll ich Dr. Norden rufen? Sie kennen ihn doch?«

»Ich war schon bei ihm. Ich fühle mich tatsächlich nicht ganz wohl. Ich werde mich doch gründlich untersuchen lassen.«

»Ich will ja nicht aufdringlich sein, aber Herr Laurentis hat gesagt, daß Sie geheiratet haben. Ich möchte gern Glück wünschen.«

»Das kann ich brauchen, Marie. Aber reden wir jetzt nicht davon.«

*

»Mir geht Michelle nicht aus dem Sinn«, sagte Fee Norden abends zu ihrem Mann. »In der Abendzeitung ist eine kleine Notiz, daß Carlos Dorant in England die reiche Erbin Michelle Laurentis geheiratet hat. Die Hochzeit fand zwischen Filmaufnahmen statt. Das ist alles.«

»Wäre dir eine prunkvolle Hochzeit lieber, Fee?« scherzte er.

»Gar keine wäre mir am liebsten gewesen. Ich kenne Michelle, sie wird es bestimmt schnell bereuen.«

Sie konnte nicht ahnen, wie sehr sie es schon bereute.

Michelle hatte eine Flasche Sekt neben sich stehen und schon zwei Gläser getrunken. Marie hatte nur den Kopf geschüttelt, als sie diese selbst aus dem Keller holte. Früher hatte Michelle Alkohol nie angerührt. Und geraucht hatte sie auch nicht. Jetzt rauchte sie.

Daß sie wieder zwei Tabletten nahm, sah Marie nicht, aber sie sah Michelle an diesem Abend überhaupt nicht mehr, denn sie lag inzwischen schon wieder in tiefstem Schlummer in ihrem Bett, beinahe bewußtlos zu nennen.

Sie ahnte auch nicht, wie sehr man sich um sie sorgte. Philipp versuchte vergeblich, Mona diese tiefe Sorge auszureden. Er wollte sie ablenken und schlug ein ganz anderes Thema an.

»Michelle hat mich gefragt, warum wir nicht verheiratet sind«, sagte er so plötzlich, daß Mona ihn fassungslos ansah. Sie rang nach Worten, und Philipp lachte.

»Jetzt bist du sprachlos. Ja, darüber macht sie sich Gedanken, weil wir uns doch eigentlich lange genug kennen würden. Und wie denkst du darüber?«

Mona hatte sich gefaßt. »Soll ich dir etwa einen Heiratsantrag machen und mir einen Korb holen?« fragte sie ironisch.

»Woher willst du wissen, daß du einen Korb bekommst?«

»Na, du hast doch noch keine Anstalten gemacht, dieses Thema auch nur anzudeuten.«

»Du hast ja auch kein Signal dazu gegeben.«

Sie betrachtete ihn kopfschüttelnd. »Du bist ein seltsamer Mann, Philipp. Wenn du im Geschäft auch so abwartend wärest, hättest du schon längst Konkurs anmelden müssen.«

»Da habe ich es mit Waren zu tun.«

»Aber doch auch mit Menschen, nämlich mit deinen Mitmenschen.«

»Ich weiß ja, was ich von denen zu halten habe. Bei dir weiß ich nie, woran ich bin. Würdest du denn auf deinen Beruf verzichten?«

»Warum denn?«

»Nehmen wir mal an, wir würden heiraten, würdest du dann auch weiterhin beruflich so engagiert sein?«

»Wie ist es denn mit dir? Ich würde mich jedenfalls sträflich langweilen, wenn du die meiste Zeit im Büro verbringst.«

Er warf ihr einen nachdenklichen Blick zu. »Vielleicht tue ich das, weil niemand zu Hause auf mich wartet, hast du daran noch nicht gedacht?«

»Warum hast du dann nicht mal ein Signal gesetzt? Von Liebe war doch zwischen uns nie die Rede.«

»Muß man denn darüber reden? Mich interessiert jedenfalls keine andere Frau, und man muß ja nicht unbedingt heiraten, um dennoch zueinander zu gehören. Ja, wenn wir Kinder haben wollen, ist es selbstverständlich.«

»Eine Ehe ohne Kinder kann ich mir nicht vorstellen«, sagte Mona.

»Fein, daß du dich diesbezüglich mal äußerst. Ich dachte, der Beruf wäre dir wichtiger!«

»Du machst mich langsam wütend«, sagte sie mit blitzenden Augen.

»Es steht dir gut, wenn du wütend bist«, scherzte er. »Jetzt mach kein Gesicht, Mona, es ist doch wirklich an der Zeit, daß wir mal ernsthaft über die Zukunft reden.«

»Nur, weil Michelle Anstoß daran nimmt, daß wir nicht verheiratet sind?«

»Nein, weil sie findet, wie gut wir zueinander passen. Und ich finde das schon lange. Du etwa nicht?«

Sie konnte ihm nicht böse sein. Sie liebte ihn, und das nicht erst jetzt, da er von Heirat sprach. Es hatte ihr auch nichts ausgemacht, so mit ihm zusammenzusein, wenn nicht doch manchmal die Angst gewesen wäre, daß er sich einer anderen zuwenden könnte. Aber Philipp Laurentis war nicht so wie Carlos Dorant.

Er griff nach ihrer Hand. »Werden wir heiraten, und wirst du dann auch Zeit für mich haben, Mona?« fragte er.

»Wirst du dir auch Zeit für Privatleben nehmen?« fragte sie.

»Wir werden uns bestimmt einig werden. Du weißt hoffentlich, was du mir bedeutest.«

»Ich liebe dich«, sagte sie leise.

»Du machst mich glücklich. Aber eigentlich war ich immer glücklich, wenn ich mit dir zusammensein konnte.«

So konnte sich Liebe auch beweisen.

Ihre Blicke versanken ineinander, und er küßte ihre Fingerspitzen.

»Eigentlich müßte ich dir jetzt einen Ring an den Finger stecken, aber ich habe keinen.«

»Es geht auch ohne Ring.« Sie drückte seine Hand an ihre Wange. »Und welchen Eindruck hattest du von Michelle?«

»Sie wirkte erschöpft und alles andere als glücklich.«

»Und das sagst du mir erst jetzt?«

»Mir war es wichtiger, mit dir klarzukommen. Sie hat uns nicht mal von ihrer Heirat informiert, also muß sie auch die Suppe allein auslöffeln, die sie sich eingebrockt hat.«

»Nein, Phil, wir können sie nicht im Stich lassen, wenn sie Hilfe braucht. Ich mag Michelle viel zu sehr.«

»Wir werden sehen, ob sie Hilfe braucht. Natürlich werden wir sie dann nicht im Stich lassen. Aber sie soll auch erst einmal einsehen, daß nicht alles so läuft, wie sie es sich vorstellt.«

Ȇber ihre Heirat wird jetzt

jedenfalls geredet werden«, meinte Mona. »Es war eine Notiz

in der Zeitung, und die anderen werden wahrscheinlich nachziehen.«

Philipp zuckte die Schultern. »Wir werden es schon verkraften, Mona.«

*

Als Michelle am nächsten Morgen aufstand, war Philipp schon wieder aus dem Haus. Ihr war das ganz recht. So brauchte sie keine Fragen zu beantworten, und als sie sich im Spiegel betrachtete, wußte sie, daß er ihr Fragen stellen würde.

Philipp hielt mit seiner Meinung nicht hinter dem Berg. Er war sehr ehrlich und sehr direkt, wie ihr Vater gewesen war. Der Gedanke an ihren Vater verursachte ihr wieder körperlichen wie auch seelischen Schmerz. Sie beschloß, zum Friedhof zu fahren. Aber dann war ihr wieder so übel, daß sie Dr. Norden anrief.

»Ich möchte Ihren Rat befolgen und einen Gynäkologen aufsuchen«, sagte sie. »Wen können Sie mir empfehlen?«

»Dr. Leitner. Er hat auch eine sehr angesehene Privatklinik. Sie können ihn auch schnell erreichen, die Klinik befindet sich im Wiesengrund. Rufen Sie ihn an und sagen Sie, daß ich Sie zu ihm schicke, dann bekommen Sie gleich einen Termin.«

»Aber wenn mir sonst etwas fehlt, kann ich doch zu Ihnen kommen?«

»Jederzeit, Michelle, ich freue mich, Sie zu sehen.«

Unwillkürlich hatte er das Gefühl, ihr zu verstehen zu geben, daß sie Freunde hatte.

Er rief schnell bei Schorsch Leitner an und bereitete ihn auf Michelle vor. »Sei besonders nett zu ihr, Schorsch, ich habe das Gefühl, daß sie Hilfe braucht, es aber nicht zugeben will.«

Gleich danach bekam er Michelles Anruf. Er sagte ihr, daß sie um elf Uhr kommen könne.

Sie trank Kaffee mit viel Milch, was Marie verwunderte, denn früher hatte ihr der Kaffee nicht stark und schwarz genug sein können. Und gerade einen Toast würgte sie hinunter, um Marie nicht nachdenklich zu machen, aber die war schon nachdenklich genug.

Am Steuer fühlte sie sich besser, vielleicht deshalb, weil sie sich konzentrierte und nicht quälenden Gedanken nachhing.

Sie kannte sich in der Gegend gut aus und war nach knappen zehn Minuten schon bei der Klinik.

Sie stellte sich als Michelle Dorant-Laurentis vor. Schwester Inge führte sie zu Dr. Leitner.

»Dr. Norden hat Sie empfohlen«, sagte Michelle ungewohnt beklommen, obwohl Schorsch Leitner wahrlich nicht respekteinflößend war, sondern einfach nur sehr sympathisch und sogar väterlich wirkte.

Er verstand es auch meisterhaft, ohne viel zu reden, die Untersuchung durchzuführen. Bei der Blutabnahme wurde es Michelle allerdings wieder schwindelig, und bei der Ultraschalluntersuchung zeigte sie sich wenig interessiert.

Er war nicht optimistisch, aber er zeigte es ihr nicht. Sehr gewissenhaft führte er die Untersuchung durch, eingehender als bei anderen Schwangeren.

»Sie sollten in den nächsten Wochen sehr vorsichtig sein«, sagte er eindringlich. »Bitte, nicht rauchen. Ein Gläschen Sekt kann nicht schaden, nur sollten Sie auch jeden Streß vermeiden. Haben Sie größere Reisen vor?«

»Nein, ich werde jetzt hierbleiben. Und ich verspreche auch, regelmäßig zur Kontrolle zu kommen. Das hat Dr. Norden mir auch schon ans Herz gelegt.«

»Ich werde Sie anrufen, wenn die Laborbefunde vorliegen.«

»Gibt es irgendwelche Bedenken?«

»Sie sind ein Leichtgewicht und sehr schmal gebaut. Man sollte schon etwas vorsichtiger sein.«

Er machte sich ganz andere Gedanken, aber das zeigte er freilich nicht.

»Nützen Sie das schöne Wetter aus, gehen Sie viel an die frische Luft. Bewegung ist auch wichtig.«

»Ich wandere gern«, sagte sie. »Vielen Dank, Herr Doktor, daß Sie so entgegenkommend waren.«

»Ich freue mich, wenn man mir Vertrauen entgegenbringt.«

Vertrauen, dachte Michelle. Vertrauen ist so unendlich wichtig, aber Carlos kann ich nicht vertrauen. Wie konnte ich mich nur in diese Ehe stürzen, wie hat er es fertig gebracht, mir jede nüchterne Überlegung zu nehmen?

Aber was war denn überhaupt in letzter Zeit mit ihr los, daß Sie so unkontrolliert war und manchmal ganz die Gewalt über sich verlor? Früher hatte ihr Verstand immer das Gefühl beherrscht.

Sie hatte nie unüberlegt gehandelt.

Sie fuhr zum Friedhof. Sie wollte Zwiesprache mit ihrem Vater halten. Vielleicht kam ihr an seinem Grab die Erleuchtung, was mit ihr los war.

Sie kaufte weiße und rote Rosen, einen ganzen Arm voll, und damit bedeckte sie das Grab, das von Tannen umgeben war. Ein schlichter Stein, in den sein Name eingraviert war und der seiner Frau, ihrer Mutter, der gegenüber sie immer Schuldgefühle hatte, weil sie meinte, daß sie ihretwegen sterben mußte. Ihr Vater hatte es ihr auszureden versucht, aber jetzt waren diese Gedanken wieder gegenwärtig.

»Daddy, wenn du doch bei mir wärst«, flüsterte Michelle. »Du würdest mir sagen, wie ich es richtig mache, wie ich mein Leben wieder in den Griff bekommen kann. Oder ist das für immer vorbei? Dann möchte ich lieber tot sein, bei dir, fern von dieser Welt, in der ich doch nicht mehr glücklich sein kann. Ich habe doch gedacht, daß Carlos mich liebt, und ich verliebte mich in ihn, weil er in einem Film dir ähnlich sah. Ich dachte, daß er so sein würde wie du, daß ich mich bei ihm anlehnen könnte und Halt finden könnte, aber er ist so haltlos und egoistisch. Er wollte nur mein Geld. Jetzt weiß ich es. Du hast mich damals gewarnt. Du hast gesagt, daß die Männer oft erst aufs Geld schauen, aber ich meinte ja, daß er selbst genug hat, und es schien ja auch so zu sein. Wie soll ich es nun Philipp und Mona beibringen, daß ich so unglücklich bin? Ewig kann ich die Rolle der glücklichen Frau nicht spielen. Das Lachen vergeht mir.«

Sie kniete nieder und faltete die Hände. Sie fühlte sich als Kind und war unendlich traurig. Dann dachte sie an das Kind, das sie haben würde. Konnte sie dieses Kind lieben? Konnte sie denn durchhalten, was sie von Carlos verlangt hatte? Wollte sie es denn überhaupt, daß diese Ehe aufrecht erhalten wurde?

*

Dr. Leitner hatte die ersten Laborbefunde schon am nächsten Tag auf dem Schreibtisch liegen, und sein Gesicht wurde sehr ernst, als er sie las, denn sie mußten ihm zu denken geben. Zuerst war da der Rhesus-Faktor negativ, der sich kritisch für das Kind auswirken konnte. Im zweiten Befund zeigte sich eine deutliche Vermehrung der weißen Blutkörperchen an. Auch die Blutsenkung stimmte ihn bedenklich.

Er rief Daniel Norden an, und der wußte gleich, um wen es ging. »Sieht nicht besonders gut aus«, sagte Schorsch Leitner. »Wie war deine Diagnose?«

»Ich beurteile nur ihre Stimmung, und die war gut. Ich habe mit großen Komplikationen nicht gerechnet.«

»Aber auf die müssen wir uns gefaßt machen, Daniel. Ich weiß nur nicht, wie ich es ihr beibringen soll.«

»Sie wird es sich wahrscheinlich nicht anmerken lassen, wenn es sie trifft. Nach meiner Meinung hat sie sich zu einer guten Schauspielerin entwickelt.«

»Ist die Ehe nicht glücklich?«

»Das wage ich nicht zu beurteilen. Sie wird es sicher nicht zugeben, wenn sie einen Fehler schon einsieht, und ein Fehler war diese Heirat mit größter Wahrscheinlichkeit.«

»Willst du lieber mit ihr sprechen, Daniel?«

»Nein, das überlasse ich dir, wir kennen sie schon lange, sie soll nicht denken, daß wir hinter ihrem Rücken mauscheln. Aber ich möchte gern informiert werden.«

»Worauf du dich verlassen kannst.«

Dr. Leitner mußte jetzt in den Kreißsaal, denn eine Geburt war im Gange, und die Wehen hatten wieder ausgesetzt. Aber das Baby zeigte sich willig, dennoch bald in Erscheinung zu treten, und so konnte Dr. Leitner es bereits eine Stunde später abnabeln und der erleichterten Mutter in den Arm legen.

Bei ihr hatte es während der Schwangerschaft keinerlei Probleme gegeben, und trotzdem waren kurz vor der Geburt Komplikationen aufgetreten, die nun aber zum Glück ohne Folgen blieben. Mutter und Kind waren wohlauf, und Dr. Leitner war dankbar und zufrieden. Er trank nur eine Tasse Kaffee, dann rief er Michelle an.

Marie war am Telefon und wunderte sich, als sich die Leitner-Klinik meldete. »Es ist für Sie«, sagte sie zu Michelle und verschwand dann gleich in der Küche.

Michelle war überrascht, daß Dr. Leitner sie sobald anrief. Er teilte ihr diplomatisch mit, daß es besser wäre, noch eine zusätzliche Untersuchung zu machen, da sie möglicherweise gerade einen Infekt in sich trüge…

»Nur zu«, sagte sie leichthin, »ich kann gleich kommen. Ich möchte wissen, was mit mir los ist, da mir ständig übel ist.«

Dr. Leitner war erleichtert, aber Michelle war nachdenklich geworden. Zu sich selbst ehrlich, gestand sie sich ein, daß sie während der letzten Zeit nicht gerade solide gewesen war, was essen und trinken anbetraf. Eigentlich konnte es ihr jetzt gar nicht schlimm genug kommen, da ihre Stimmung ohnehin auf dem Nullpunkt angelangt war.

»Du machst deine Sache gut, Michelle«, sagte sie zu ihrem Spiegelbild.

Sie kleidete sich sorgfältig an und widmete auch ihrem Make-up mehr Zeit und Aufmerksamkeit als sonst. Auch das hatte sie sich einer Maskenbildnerin abgeschaut, die sie einmal für ein Fernsehinterview hergerichtet hatte. Carlos war damals wütend geworden, weil er sich in den Hintergrund gedrängt gefühlt hatte.

Sie hatte sich auch über ihn geärgert, und heute dachte sie, wie gut es gewesen wäre, sie

hätte sich sofort von ihm getrennt.

Marie dachte noch immer darüber nach, was wohl die Klinik von ihr wollte, aber sie wagte nicht zu fragen und sah Michelle kummervoll nach. Nichts mehr war da von ihrer Fröhlichkeit, mit der sie dem Haus Leben gegeben hatte. Es war wieder still, zu still.

Dr. Leitner hatte sich auf ihren Besuch sehr gut vorbereitet. Er hoffte, daß sie nicht zu viele Fragen stellen würde, wenn er ihr seine Bedenken erklärte. Er sollte sich täuschen.

Er bewunderte jedoch ihre Selbstbeherrschung, als er ihr sagte, daß die Schwangerschaft gefährdet werden könnte.

»Es hat immer einen Grund, wenn sich die Leukozyten vermehrten und dazu noch die Blutsenkung schlechte Werte zeigte.«

»Und was schließen Sie daraus?« fragte sie.

»Wir müssen das kontrollieren. Wie fühlen Sie sich?«

»Ziemlich mies, appetitlos und schwindelig. Aber das soll ja bei einer Schwangerschaft häufig der Fall sein.«

»Sie freuen sich auf das Kind?«

Ein Schatten fiel über ihr Gesicht. »Ich weiß nicht so recht. Wenn ich mich weiterhin so elend fühle, wird mir die Freude wohl vergehen.«

»Und freut sich der werdende Vater?«

»Der wird nicht viel mitbekommen, da er ständig unterwegs ist.«

Dr. Leitner fühlte sich unbehaglich, da er spürte, daß sie keine klare Antwort geben wollte. Und was dachte sie wirklich? Man konnte nicht in sie hineinschauen, und er kannte sie zuwenig.

Er mußte jetzt die Befürchtung hegen, daß sie keine gesunde Frau war, wenngleich erst eine weitere Untersuchung über den genauen Zustand eine Aussage machen konnte. Er konnte nur hoffen, daß seine Vermutung sich nicht bestätigte.

*

Wenn etwas nicht stimmt, wird Dr. Leitner schon von sich aus einen Abbruch vorschlagen, dachte Michelle. Sie scheute sich davor, davon anzufangen, und es lag auch nicht in ihrem Charakter, sich eines ungeborenen Kindes zu entledigen. Es konnte ihr Trost und Rechtfertigung sein, wenn medizinische Bedenken dazu führen würden. Sie wollte jetzt jedenfalls nicht darüber nachdenken.

Sie fuhr zu Philipp ins Büro, und sie traf ihn auch an.

»Das ist aber eine Überraschung!« rief er aus. »Willst du dich überzeugen, ob ich fleißig genug bin, um Dad würdig zu vertreten?«

»Ich weiß, daß du das tust«, sagte sie weich. »Er wäre sehr stolz auf dich. Ich war auf dem Friedhof und habe mich mit ihm unterhalten.«

Er sah sie mit einem seltsamen Ausdruck an. Rührung überkam ihn. Er fühlte sich versucht, sie in die Arme zu nehmen. Aber sie war schon wieder an der Tür. »Ich wollte dich eigentlich nur fragen, ob wir heute abend mit Mona essen könnten. Ich würde zu Hause alles herrichten.«

»Wird dir das nicht zuviel?«

»Wie kommst du darauf?«

»Weil du ein bißchen angegriffen aussieht, Michelle.«

»Findest du? Nun, die letzten Wochen waren anstrengend, aber nun ist ja Carlos einige Zeit in Spanien. Ich bin ganz froh, mal wieder zu Hause zu sein. Es ist dir doch nicht lästig?«

»Wie kannst du das sagen! Ich freue mich, und das Haus gehört dir genauso wie mir.«

»Aber wenn du heiratest, überlasse ich es ganz dir.«

»Es wird immer auch dein Zuhause sein, Michelle.«

»Dann kann ich heute abend mit euch rechnen?«

»Ich rufe Mona gleich an. Aber mach dir keine Umstände, Michelle.«

Sie hatte es jetzt eilig. Sie wollte für ein festliches Essen sorgen. Sie kaufte ein, und sie überraschte Marie dann mit nahezu euphorischer Begeisterung.

»Das reicht ja für ein halbes Dutzend«, meinte die nur.

»Sie dürfen auch zugreifen, Marie.«

»Kommt Herr Dorant auch?« wagte Marie zu fragen.

»Er ist in Spanien. Er wird einige Zeit dort sein.«

Marie fragte lieber nichts mehr, obgleich sie doch recht neugierig war.

Philipp hatte Mona erreicht, und sie war überrascht von der Einladung.

»Michelle will zu Hause essen?« staunte sie.

»Und will es selbst zubereiten. Lassen wir uns einfach überraschen.«

Sie sollten angenehm überrascht werden. Michelle gab sich keine Mühe, die glückliche Frau Dorant zu spielen. Sie war Michelle Laurentis, und sie begrüßte Mona voller Freude und sehr herzlich. Nein, sie wollte ihnen nichts vorgaukeln, aber sie wollte auch keine trübe Stimmung aufkommen lassen.

Das Essen war delikat. Mona, die sich nie viel Zeit fürs Kochen nahm, kam aus dem Staunen nicht heraus.

»Wo hast du das gelernt?« fragte sie.

»Bei einem Fernsehkoch, während Carlos Aufnahmen hatte.«

»Es duftet verführerisch«, sagte Philipp. »Mir läuft das Wasser im Mund zusammen.«

»Du mußt mir ein paar Rezepte geben, sonst bin ich bei Philipp abgemeldet«, sagte Mona.

»Du hast andere Qualitäten«, stellte Michelle fest. Tatsächlich fand sie, daß Mona überaus attraktiv geworden war, eine beeindruckende Persönlichkeit.

»Deine Heirat hat uns ganz schön überrascht«, sagte Mona, die insgeheim feststellte, daß Michelle sehr verändert war.

»Ihr hättet eigentlich den Vorrang haben müssen«, meinte Michelle, »aber ihr habt es ja anscheinend nicht eilig.«

»Wir haben gestern beschlossen, es doch zu wagen«, sagte Philipp.

»Das freut mich, das freut mich wirklich«, sagte Michelle überstürzt. »Pardon, mir ist nicht gut«, sie sprang auf und lief hinaus.

»Nun wissen wir, warum die Heirat so schnell und ohne Aufsehen über die Bühne ging, Michelle ist schwanger«, sagte Mona.

»Aber vor uns braucht sie sich deshalb doch nicht zu genieren.«

»Sie war diesbezüglich immer leicht verklemmt«, stellte Mona fest. »Man konnte mit ihr ja auch nicht über Sex reden.«

»Sie war naiv, Mona. Sie ist erst dreiundzwanzig.«

»Und hätte noch viel Zeit gehabt, um richtig erwachsen zu werden.«

Michelle kam zurück. Sehr blaß und nervös war sie.

»Mein nervöser Magen, ich habe das öfter«, sagte sie entschuldigend.

»Du brauchst es doch nicht zu verheimlichen, Michelle«, meinte Mona nachsichtig, »du bekommst ein Baby.«

»Meinst du?« tat Michelle erstaunt. »Daran habe ich noch gar nicht gedacht. Macht sich das so früh bemerkbar?«

»Ich bin Ärztin, Michelle. Du kannst mir schon einiges zutrauen. Nicht alle werdenden Mütter leiden jedoch unter Übelkeit. Du solltest regelmäßig essen. Oder beunruhigt es dich, daß Carlos nicht hier ist?«

»O nein, jetzt würde er mir nur auf die Nerven gehen. Ihr habt doch nichts dagegen, wenn ich mich ein bißchen hinlege?«

»Tu das nur, deine Gesundheit ist wichtiger als alles andere. Kann ich etwas für dich tun?« erkundigte sich Mona fürsorglich.

»Nein, es ist lieb gemeint, aber ich möchte mich nur entspannen.«

»Mach ein paar Atemübungen, dann ist dir gleich wohler.« Mona sah Michelle forschend an. »Weißt du schon, wie man das macht? Ich kann es dir erklären.«

»Ich weiß das schon, laßt euch nicht stören. Tut mir leid, daß ich nicht okay bin.«

»Ich mache mir Sorgen, Phil. Es ist nicht nur die Schwangerschaft. Michelle ist in einem desolaten Zustand, aber ich werde sie wohl nicht bewegen können, sich von mir untersuchen zu lassen. Sie wird auch nichts zugeben, auch nicht, daß die Schwangerschaft der Heiratsgrund war.«

»Sie müßte doch wissen, daß wir nicht engstirnig sind«, meinte Philipp. »Aber wie nimmt es der werdende Vater auf?«

Monas Mundwinkel bogen sich abwärts. »Er wird schon dafür sorgen, daß er die Hauptperson bleibt und ihm nichts abgeht. Er ist eitel, selbstgefällig und nicht mal besonders intelligent.«

»Aber er ist doch ein guter Schauspieler«, sagte Philipp.

»Mehr erwartest du nicht von deinem Schwager? Nun, ich muß sagen, daß er anscheinend so überzeugend sein kann, daß Michelle ihm auf den Leim gekrochen ist, und das mißfällt mir gründlich.«

»Ich bin auch nicht begeistert, aber wir müssen ihm doch eine Chance geben und dieser Ehe auch.«

»Wenn du auf mich hören willst, dann sage ich, daß diese Ehe schon kaputt ist, wenn es überhaupt je eine Ehe war.«

Er seufzte. »Rätsel, dein Name ist Weib! Aber glücklich sieht sie wirklich nicht aus.«

Eine glückliche werdende Mutter ist sie auch nicht, dachte Mona, aber sie machte sich noch andere Gedanken.

»Du hast es geschafft, Mona, jetzt mache ich mir auch Sorgen«, sagte Philipp, nachdem sie bemerkt hatte, daß Michelle anscheinend ernsthafte gesundheitliche Störungen hätte.

*

Michelle fühlte sich schwach und elend. Sie wollte es sich selbst nicht eingestehen, aber sie überlegte, ob sie nicht lieber verreisen sollte, damit die anderen es nicht bemerkten. Sie wollte auch lästigen Fragen ausweichen. Sie wollte nicht über Carlos reden und gar nicht an ihn denken.

Dr. Leitner hatte indessen ein langes Gespräch mit seinem Freund Daniel Norden geführt, und Daniel war daraufhin sehr bestürzt. Nachdem nun alle Befunde vorlagen, stand es fest, daß ein nur sehr schwierig zu diagnostizierender Virus die Bauchspeicheldrüse und den Magen angegriffen hatte. Es mußten jedoch erst noch weitere Untersuchungen stattfinden, um festzustellen, inwieweit Zellschädigungen vorliegen könnten. Das Blutbild war erschreckend. Vor allem für die Schwangerschaft waren die Aussichten sehr problematisch. Dr. Leitner wollte sich mit Dr. Norden beraten, was man unternehmen könnte, um wenigstens Michelles Zustand einigermaßen zu stabilisieren.

»Ist es nicht wahrscheinlich, daß es einen Abortus gibt?« fragte Daniel.

»Das wäre natürlich die beste Lösung, aber meinst du, daß sie diese hinnimmt?«

»Ich denke schon. Es fragt sich jedoch, wie stark ihre Widerstandskraft ist, mit einer langwierigen Krankheit fertig zu werden und ob die psychische Belastung den körperlichen Zustand nicht noch verschlimmert. Ich werde erstmal mit Mona Holsten sprechen, die sich ja sicher auch ihre Gedanken macht.«

»Sind sie so eng befreundet?«

»Das auch, aber sie ist sehr eng mit Philipp Laurentis liiert. Sie hat eine ganz persönliche Beziehung zu Michelle. Sie ist eine sehr gute Ärztin. Ich zolle ihr Respekt.«

»Aber sie ist doch nicht verheiratet mit Laurentis«, meinte Schorsch Leitner, der diesbezüglich sehr konservativ dachte.

»Für die beiden ist das nur eine Formsache. Sie hat Charakter, und sie sind schon lange zusammen. Eine bessere Frau kann Laurentis gar nicht finden.«

»Sag mir Bescheid, was ihr austüftelt«, bat Schorsch Leitner, und das versprach Daniel.

Er rief Mona an. Sie war überrascht, aber auch erfreut. »Was verschafft mir die Ehre, Daniel?«

»Haben Sie Michelle schon gesehen und gesprochen?« fragte er ohne Umschweife.

»Gestern abend. War sie bei Ihnen?«

»Schon vor ein paar Tagen. Kann ich mal mit Ihnen über die Befunde sprechen, Mona?«

»Ist es etwas Ernstes? Ich mache mir nämlich Sorgen.«

»Ich auch. Können Sie mal vorbeikommen?«

»Gleich nach dem Dienst. Ich bin siebzehn Uhr fertig.«

»Das trifft sich gut, dann nehme ich mir Zeit.«

*

Sie kam ganz pünktlich, und so konnte sie sich noch ein bißchen mit Wendy unterhalten, die sie recht gut kannte, weil Wendy einmal eine Bekannte von ihr gepflegt hatte, bevor sie die feste Anstellung bei Dr. Norden übernahm.

»Sie sehen ja blendend aus, Wendy«, stellte sie erfreut fest.

»Es geht mir auch sehr gut. Die Arbeit schmeckt, der Chef ist einmalig, und jetzt habe ich auch eine hübsche Wohnung in der Nähe. Was will ich mehr?«

»Also wunschlos glücklich?«

Das Ja kam aus tiefstem Herzen, und nach all den wenig erfreulichen Erfahrungen, die Wendy hatte machen müssen. Es war ihr zu gönnen, daß sie auch mal Glück hatte.

Aber einen Chef wie Dr. Norden zu haben, war schon großes Glück, das konnte Mona nur bestätigen, denn sie schätzte und respektierte ihn über alle Maßen. Was er ihr dann aber mitteilen mußte, ließ sie erstarren.

Verdacht auf Perniziöse Anämie, das hing plötzlich wie ein drohendes Schwert über ihr.

»Der Virus ist einfach nicht festzustellen«, sagte Daniel Norden. »Er gehört zu den ganz seltenen, und sie wird uns kaum sagen können, wo sie den aufgeschnappt hat. Es fing vielleicht ganz harmlos an mit einer Infektion.«

»Vielleicht mit einer Wunde? Sie hatte vor einem halben Jahr einen kleinen Unfall an der Côte d’Azur. Ich erinnere mich, daß sie davon amüsiert erzählte. Sie war am Strand auf eine Glasscherbe getreten, und weil sie nicht mehr auftreten konnte, wurde sie zum Arzt gebracht, das hat sie vor einem gewaltigen Sonnenbrand bewahrt. Sie hatte gar nicht gemerkt, wie gerötet ihre Haut schon war. Aber das war jetzt nur eine Vermutung.«

»Die aber zutreffen könnte. Wahrscheinlich wurde versäumt, eine Tetanusspritze zu geben, und so entwickelte sich langsam eine Sepsis.«

»Aber es wäre ein langer Zeitraum.«

»Es ist möglich.« Ich hatte schon so seltene Fälle. Wenn man ihr den Ernst der Situation klarmachen kann, könnte man durch weitere Untersuchungen und eine gleich einzuleitende Behandlung möglicherweise einen Stillstand erreichen und dann durch die medikamentöse Therapie auch eine Heilung erzielen.«

»Aber Sie sind skeptisch, und ich bin es auch nach Ihrer Schilderung. Momentan bin ich geschockt, was Sie sicher verstehen. Ich mag Michelle sehr, und ich denke auch an Philipp, der das nicht begreifen wird. Wir haben gestern über die Schwangerschaft gesprochen. Michelle wollte darüber anscheinend nichts sagen, und sie verriet auch nicht, daß sie schon bei Ihnen war.«

»Auch bei Dr. Leitner, aber ich darf darauf zählen, daß Sie es für sich behalten.«

»Das ist selbstverständlich. Ich werde auch Dr. Leitner nichts erzählen. Vorerst wenigstens noch nicht. Aber wird sich Michelles Zustand nicht schnell verschlechtern?«

»Ich wage keine Prognose zu stellen. Vielleicht spürt sie, daß etwas in ihr vor sich geht, und deshalb kommt es auch zu sehr impulsiven Reaktionen.«

»Wie zum Beispiel die Heirat. Jedenfalls war das eine falsche Entscheidung, und sie sieht es wohl auch schon ein. Philipp nimmt das noch gelassen, aber froh sind wir natürlich nicht. Jetzt nehmen wir an, daß sie so schnell heiraten wollte, weil die Schwangerschaft eintrat. Michelle ist nämlich recht konservativ, was die Beziehung zwischen Mann und Frau betrifft und möchte, daß wir heiraten. Den Gefallen werden wir ihr auch tun, aber mir wäre es lieber, wir könnten sonst mehr für sie tun.«

»Sie sind doch schon Jahre mit Philipp zusammen.«

»Und ich habe ein bißchen Angst, daß ich vielleicht keine Kinder bekommen kann, aber er möchte Kinder haben.«

»Sie haben sich doch sicher bereits untersuchen lassen.«

»Es gibt auch keinen Grund für meine Besorgtheit, aber ich habe mir früher mal die Karten legen lassen und da stand nichts von Kindern.«

Daniel lachte auf. »Glauben Sie denn daran?«

»Wahrscheinlich ist es Blödsinn, aber der Herzensmann stand vor der Tür, und bald darauf lernte ich Philipp kennen. Das paßte schon.«

»Damals waren ja auch noch keine Kinder vorhanden, und der Mann war auch erst vor der Tür«, meinte Daniel lächelnd. »Es wird schon alles gutgehen, so wie Sie aussehen, Mona.«

»Auch in bezug auf Kinder waren Sie mir ein Vorbild«, sagte Mona.

»So viel Mut wie wir hat aber nicht jeder.«

»Aber Sie möchten keins missen.«

»Nein, es wäre schrecklich, wenn wir eins verloren hätten. Aber im Fall Michelle wäre es besser, es würde zu einer Fehlgeburt kommen.«

»Aber wie würde sich diese auf ihr Befinden auswirken?«

»Gewiß nicht so schlimm, wie eine neunmonatige Schwangerschaft, die sie kaum überstehen würde.«

Mona schloß die Augen. »Es ist zum Verzweifeln. Sie war doch immer so gesund. Nicht gerade die Kräftigste, aber doch zäh, und ich habe sie nie richtig krank erlebt. Sie ist auch nicht wehleidig. Vielleicht können wir auf ein Wunder hoffen.«

Wer tat das nicht, wenn es um einen Menschen ging, den man liebte, aber Wunder geschahen eben nun mal ganz selten. Natürlich gab es in der modernen Medizin Möglichkeiten, von denen man noch vor einigen Jahren kaum zu träumen wagte, aber es gab auch Krankheiten, die man nicht heilen und erst recht nicht verhindern konnte. Ein tückischer Virus konnte einen Menschen aufzehren, und man mußte hilflos zusehen.

*

Michelle machte sich keine Gedanken. Sie war bereits auf dem Weg nach Monte Carlo, das für sie eine ganz besondere Anziehungskraft besaß. Sie hatte ihrem Bruder nur ganz kurz Bescheid gesagt und seinen Einwand mit einem Lachen zerstreut. Sie fühlte sich tatsächlich wieder besser, wie es oft nach einer depressiven Phase der Fall war.

Im Grunde hatte sie immer eine positive Einstellung gehabt, nur in den Tag gelebt und nicht an die Zukunft gedacht. Und jetzt wollte sie nicht über Carlos nachdenken und was er treiben würde. Ihre Stimmung wurde nahezu euphorisch, als sie Monte Carlo erreicht hatte. Es ging alles glatt. Sie konnte wieder eine Terrassenwohnung mieten in dem Haus, in dem sie früher schon gewohnt hatte, denn Adrienne, die Sekretärin des Hausverwalters, war ihr wohlbekannt. Sie wurde mit größter Freude und sehr zuvorkommend empfangen. Adrienne, kurz Jenna genannt, war nur drei Jahre älter als Michelle, hübsch und intelligent, und sie war immer auf dem laufenden, was in Monte Carlo so passierte.

»Sie kommen allein, Madame?« sagte sie nebenbei. »Ich habe gelesen, daß Sie geheiratet haben.«

»Mein Mann filmt irgendwo«, erwiderte Michelle leichthin. »Wie wäre es, wenn Sie mich ab und zu abends begleiten würden, Jenna. Zum Beispiel ins Casino?«

»Sie wollen spielen?« fragte Jenna erschrocken. »Tun Sie das nicht, mein Vater hat uns damit ruiniert, sonst würde ich hier nicht mein Brot verdienen müssen.«

»Ach was, ich habe nie verloren, und Sie haben keine Kosten.«

»Ich würde mich ganz gern mal

ein bißchen umschauen«, gestand Jenna ein

»Sie waren noch nie im Casino?«

»Was meinen Sie, was ich verdiene, und ich muß auch noch für meine Mutter sorgen.«

Michelle hatte sich bisher noch nie Gedanken darüber gemacht, wieviel besser es ihr ging als anderen Menschen. Sie sah Jenna forschend an. Was mochte sie wohl für geheime Wünsche haben?

»Ich weiß nicht, ob ich ein passendes Kleid für einen Casinobesuch habe«, gestand Jenna stockend.

»Suchen Sie sich eins von meinen heraus, wenn Sie mir beim Einräumen helfen«, erwiderte Michelle lächelnd. »Ich werde mir hier sowieso ein paar neue kaufen.« Als sie es gesagt hatte,

kam es ihr plötzlich überheblich vor.

»Ich bin momentan so rastlos«, sagte sie entschuldigend. »Ich brauche dauernd etwas Neues, um mich in Laune zu halten. Verstehen Sie das?«

Jenna hatte einen hellwachen Blick, und sie stellte fest, daß Michelle erschöpft aussah. Sie war nicht mehr das strahlende Wesen, das sie von früher kannte. Sie machte sich Gedanken, aber sie zeigte es freilich nicht, daß sie besorgt war.

»Es gibt solche Stimmungen, ich kenne das«, sagte sie nur.

»Ich werde mich erstmal richtig ausschlafen«, sagte Michelle. »Haben Sie morgen abend Zeit, Jenna?«

»Ja, das kann ich einrichten.«

»Fein, dann suchen Sie sich jetzt ein Kleid aus. Vielleicht muß es noch ein bißchen geändert werden, aber wir haben ungefähr die gleiche Größe, das sehe ich.«

Jenna sah, daß sie um einiges dünner war, ihre Kleidung aber sehr locker saß, was sie zu der Vermutung brachte, daß Michelle in letzter Zeit abgenommen hatte.

Die Kleider entsprachen alle der neuesten Mode und waren sehr geschmackvoll und von dezenter Eleganz, natürlich auch entsprechend teuer. Jenna scheute sich, auf eines zu deuten.

»Das würde Ihnen bestimmt sehr gut stehen, Jenna«, sagte Michelle und hielt ihr ein reinseidenes buntes Kleid in Pastellfarben vor die Figur.

»Es ist viel zu kostbar«, sagte Jenna leise, die gerade noch gedacht hatte, wie gern sie einmal ein solches Kleid tragen würde. Michelle schien ihre Gedanken gelesen zu haben.

»Ach was«, sagte Michelle leichthin, »mir ist es zu lang, Sie sind etwas größer. Ich freue mich, daß Sie mich begleiten wollen.« Sie schenkte ihr ein reizendes Lächeln. »Ich werde mich richtig ausschlafen, damit ich morgen fit bin.«

Jenna bedankte sich verlegen, aber mit einem Leuchten in den Augen, das Kleid mit aller Vorsicht haltend. »Wenn Sie Wünsche haben, Sie brauchen nur durchzurufen, Madame.«

»Sagen Sie doch einfach Michelle, Jenna.«

Jenna errötete. »Wenn ich darf, sehr gern«, erwiderte sie.

*

Mona war mit sehr gemischten Gefühlen zu Philipp gegangen. Ihr fiel Maries besorgte Miene gar nicht gleich auf, weil sie mit ihren eigenen Gedanken so beschäftigt war. Aber Marie platzte gleich mit der Nachricht heraus, daß Michelle weggefahren sei.

»Einfach so«, sagte sie, fast empört. »Als ob das nichts wäre.«

»Wohin ist sie denn gefahren?« fragte Mona gedankenlos.

»Irgendwohin, sie bleibt länger. Kaum ist sie hier, ist sie schon wieder fort. Was ist nur mit ihr los?«

»Ich weiß es auch nicht, Marie. Philipp ist noch gar nicht zu Hause?«

»Da ist er schon«, tönte seine Stimme von der Tür her. »Werde ich bereits vermißt? Das ist aber nett.«

Er küßte Mona vor Maries Augen, was er noch nie getan hatte.

Mona war sprachlos. Sie mußte erst nach Luft schnappen.

»Ich habe eben erfahren, daß Michelle verreist ist«, sagte sie stockend. Und ihre Gedanken waren schon dabei, wie sie es ihm sagen sollte, daß es sehr ernst um Michelles Gesundheit stand.

»Sie ließ es mich wissen. Sie rief kurz an. Hätte ich es ihr verbieten sollen?«

Er sah Monas ernstes Gesicht, ihren besorgten Ausdruck. Er nahm ihren Arm und ging mit ihr ins Wohnzimmer.

»Wann möchten Sie essen?« fragte Marie hinter ihnen her.

»In einer Stunde. Ist dir das recht, Mona?«

Sie nickte und fragte sich, ob sie dann überhaupt noch Appetit haben würden.

»Machst du dir Gedanken über Michelles Ehe?« fragte Philipp.

»Nein, über ihre Gesundheit.« Nun war es heraus.

Philipp sah sie erstaunt an.

»Sie ist nervös, und wahrscheinlich ärgert sie sich auch über sich selbst. Das ist doch verständlich.«

»Es ist etwas anderes. Sie war bei Dr. Norden. Es geht nicht um die Schwangerschaft, Phil. Sie hat einen Virus, der nicht in den Griff zu bekommen ist.«

»Beim heutigen Stand der Medizin, das kann ich nicht glauben.«

»Dr. Norden ist sehr gewissenhaft, und sie war auch bei Dr. Leitner. Die Laborbefunde sprechen von einer schweren, ernsthaften Erkrankung.«

»Aber dann würde sie doch nicht einfach herumreisen, Mona.«

Sie kannte ihn, er wollte Unangenehmes nicht wahrhaben. Er war ein Optimist, der niemals schwarzsehen wollte. Und er hatte Vertrauen zu Dr. Norden, wie auch zu ihr.

»Dr. Norden wird ihr doch gesagt haben, was sie tun und was sie lassen muß«, fuhr er fort.

»Sie hat die Befunde nicht abgewartet. Ich habe davon gerade erst erfahren.«

Er sah sie fragend an. »Du scheinst es sehr ernst zu nehmen, Liebes.«

»Das muß ich, das müssen wir. Wenn nicht ein Mittel gefunden wird, müssen wir mit dem Schlimmsten rechnen.«

Er wurde ganz blaß. Er sagte nichts, schüttelte nur immer wieder den Kopf.

»Aber wir können doch nicht einfach nur zusehen«, sagte er leise. »Was können wir denn tun, Mona?«

»Ich weiß es auch nicht. Daniel Norden will sich etwas einfallen lassen, wenn er sich ein Gesamtbild gemacht hat. Wir werden natürlich alles Mögliche versuchen, aber dazu müssen wir sie erreichen und sie muß mitmachen, Phil.«

»Und wenn sie Bescheid weiß, vielleicht instinktiv, und sich schon aufgegeben hat?«

»Das glaube ich nicht. Sie schiebt alles auf die Schwangerschaft und überlegt vielleicht, ob sie diese nicht abbrechen lassen soll. Wenn ich nur wüßte, was in ihr vor sich geht.«

»Wenn ich dich nicht hätte«, murmelte er, mehr nicht. Aber sie wußte, was er damit sagen wollte und es machte sie in all ihrem Kummer glücklich.

*

Michelle lag in ihrem Bett und starrte zur Decke, an die das sanfte Licht der Stehlampe bizarre Schatten warf.

Sie mußte unwillkürlich denken, wie Carlos wohl aussah, wenn er am Roulettetisch saß und verlor. Sie war nie mit ihm zusammen in einem Casino gewesen. Er hatte es wohl vor ihr verheimlichen wollen, wenn er verlor.

Und wie würde ihr zumute sein, wenn sie verlieren würde? Geld hatte für sie keine entscheidende Bedeutung. Es war gut, es zu haben, aber sie neigte nicht dazu, immer mehr haben zu wollen. Dann wanderten ihre Gedanken zu Jenna. Wie hatte sie sich über das Kleid gefreut! Das machte Michelle froh.

Jenna hatte wohl auch mehr vom Leben erwartet, als hier das Mädchen für alles für betuchte Leute zu sein, die selten freundlich mit ihr sprachen. Michelle wußte aus Erfahrung, wie dumm Jenna manchmal angeredet wurde, wenn etwas zu beanstanden war, für das sie wirklich nicht zuständig war. Plötzlich überkam Michelle bei allen Gedanken der Schlaf, und sie schlief bis in den nächsten Vormittag hinein.

Die Sonnenstrahlen tanzten über ihre Bettdecke, was bedeutete, daß es schon auf Mittag zuging, denn ihre Wohnung lag zur Südseite.

Sie erinnerte sich sofort an ihre Verabredung mit Jenna, aber bis zum Abend hatte sie ja noch viel Zeit. Sie genoß ein Bad in duftendem Wasser, hüllte sich dann in einen weichen Frotteemantel und legte sich auf die sonnenüberflutete Terrasse. Aber bald verspürte sie ein Hungergefühl, wie sie es schon lange nicht mehr kannte.

Sie rief Jenna an und bat sie, ihr einen kleinen Brunch aus dem Restaurant heraufzuschicken.

»Sie können mit den Leuten besser reden, Jenna. Ich mag nur ein paar Kleinigkeiten, nicht gleich ein Büfett, leichte Sachen, Kaffee und Wasser. Und nicht vergessen, daß wir für den Abend verabredet sind.«

»Ich freue mich schon darauf«, sagte Jenna.

Michelle betrachtete sich im Spiegel. Ihr Gesicht hatte schon ein bißchen Farbe. Sie mußte sehr aufpassen, das wußte sie. Dunkle Bräune liebte sie nicht, und ihre Haut war so zart, daß sie leicht einen Sonnenbrand bekam.

Sie war bester Stimmung, keine Beschwerden, sie fühlte sich einfach wohl.

*

Carlos Dorant hatte Beschwerden, wie er sie vorher noch nie gekannt hatte. Und er hatte auch Ärger. Nichts wollte klappen, und seine Stimmung hatte den Nullpunkt erreicht.

Seine Favoritin Nadine hatte sich einem feurigen und zudem auch noch sehr reichen Spanier zugewandt, und das erzürnte ihn erst recht.

Also wanderten seine Gedanken mal wieder zu Michelle, wie immer, wenn er sich vom Schicksal ungerecht behandelt fühlte. Er rief an, und sein Zorn verstärkte sich, als er hörte, daß Michelle verreist sei. Marie sagte dazu sehr barsch, daß Sie nicht wisse, wo sich Michelle jetzt aufhielt.

Philipp anzurufen wagte Carlos nicht. Er hatte jetzt tatsächlich Angst, daß er hören würde, Michelle wolle sich von ihm trennen. Gab es da doch einen anderen Mann? Gar zu gern wollte er jetzt etwas herbeizaubern, was seine eigenen Verfehlungen rechtfertigen könnte. Er hatte nichts gegen eine Scheidung, wenn für ihn dabei nur recht viel herausspringen würde. Eigentlich war er für eine Ehe gar nicht geschaffen. Er wollte seine Freiheiten und vor allem keine Frau, die ihre eigenen Ansichten über Liebe und Moral hatte. Er hatte gedacht, daß Michelle leichtlebiger wäre. Und nun war sie auch noch schwanger, das war ein geradezu entsetzlicher Gedanke für ihn. Er haßte Kindergeschrei, er mochte Kinder überhaupt nicht, und gerade dieser Film, den er jetzt drehte, drohte zu scheitern, weil er keine Einstellung zu den mitspielenden Kindern finden konnte.

Es mußte ihm mulmig werden, denn für ihn stand auch eine ganze Menge Geld auf dem Spiel.

Er trank hastig drei Whisky, aber das besserte seine Stimmung auch nicht. Das Gegenteil war der Fall, ihm wurde es übel, was er sonst auch nicht so schnell kannte. Er legte sich auf die Terrasse, wie es Michelle zur gleichen Zeit auch tat, aber ihre Gedanken trafen sich nicht, sie waren sogar weit voneinander entfernt. Carlos schwanden die Sinne. Ihm war es noch, als falle er in ein tiefes schwarzes Loch, dann wußte er nichts mehr.

Michelle hatte indessen beschlossen, einen Einkaufsbummel zu machen, denn mittlerweile hatte der Uhrzeiger die Drei schon verlassen und in den Straßen ging es wieder lebhaft zu.

Sie schaute erst noch bei Jenna hinein, die gerade telefonierte, aber gleich die Hand auf die Muschel hielt.

»Ich gehe jetzt bummeln, kann ich etwas für Sie mitbringen, Jenna?« fragte Michelle gutgelaunt.

Jenna wurde wieder sehr verlegen. »Nein, danke, ich brauche nichts. Hier gibt es mal wieder Ärger.« Sie deutete auf das Telefon.

»Wir reden heute abend darüber«, sagte Michelle und verschwand. Ich werde mir schon etwas für Jenna einfallen lassen, dachte sie.

Sie kaufte aber nur wenig ein. Nichts wollte ihr so recht gefallen, und sie wurde schnell des Schauens müde. Sie setzte sich in ein Café, weil sie plötzlich Appetit auf Eis bekam. Schräg von ihr saß ein gutaussehender Mann allein an einem Tisch, der sie fasziniert anblickte, dann aufstand und an ihren Tisch kam. Sie hatte ihn nicht bemerkt und erschrak, als er ihren Namen nannte.

»Ich kann es nicht glauben, Michelle, dich hier zu treffen«, sagte er.

Michelle sah ihn irritiert an. »Mick, bist du das wirklich?« staunte sie. »Wie lange haben wir uns nicht gesehen?«

»Sechs Jahre mag das schon her sein. Jedenfalls warst du noch ein Teenager.«

»Und du schon ein gestandener Mann«, lächelte sie.

»In deinen Augen ein alter Herr«, meinte er neckend.

Sie errötete, denn sie hatte das tatsächlich mal gesagt. Und Jetzt war sie mit einem Mann verheiratet, der noch ein paar Jahre älter war als Michael Valerian. Und der wirkte jetzt bedeutend jünger. Er war ein interessanter Mann.

»Was machst du hier allein?« fragte er. »Ich habe kürzlich gelesen, daß du geheiratet hast.« Aus seinem Mund klang es wie ein Vorwurf.

»Carlos filmt in Spanien, ich mache hier ein paar Tage Urlaub. Und du?«

»Ich bin halb geschäftlich hier. Ich habe nach dem Tod meines Vaters das Geschäft übernommen.«

»Immobilien und Kapitalanlagen, wenn ich mich recht erinnere. Da bist du hier ja richtig«, lächelte Michelle. »Ich nehme an, daß die Geschäfte gut gehen.«

»Eure wohl auch. Philipp hat sich bereits einen Namen gemacht…«

»Lebst du in München?«

»Zeitweise. Ich pendele zwischen London, New York und hier hin und her.«

»Und nicht verheiratet?« fragte sie.

»Keine Zeit, und welche Frau möchte solch unruhiges Leben schon teilen.«

»Du magst recht haben. Es ist nicht gut, wenn ein Partner immer unterwegs ist.«

»Bist du glücklich, Michelle?« fragte er.

Sie blickte in seine klugen grauen Augen, und sein Blick traf sie bis ins Innerste. »Nein, das kann ich nicht sagen«, erwiderte sie. »Diese Heirat war ein großer Fehler, aber solche Erkenntnisse kommen meist zu spät.«

»Es tut mir leid, wenn du enttäuscht bist.«

»Es war ein Fehler, aber da muß ich durch.«

Er blickte auf seine Armbanduhr. »Ich habe jetzt leider einen Termin, Michelle. Können wir uns abends sehen?«

»Ich gehe mit einer Bekannten ins Casino, das steht schon fest.«

»Dann sehen wir uns vielleicht dort. Wo bist du sonst zu erreichen? Ich würde dich gern noch sehen, bevor ich abreise.«

Sie gab ihm ihre Adresse. »Danke, nur für den Fall, daß wir uns abends verpassen.« Er verabschiedete sich mit einem Handkuß, und Michelle geriet ins Grübeln, als er verschwunden war.

Ihr Vater und Paul Valerian waren gute Freunde gewesen. Sie hatten auch eine enge geschäftliche Verbindung gehabt, und so hatte Michelle auch Michael kennengelernt. Michelle und Mick, sie wurden oft zusammen gesehen. Aber sie hatte immer das Gefühl gehabt, daß Mick mehr ein väterlicher Freund und Beschützer war. Er war längst mit dem Studium fertig, hatte seinen Doktor und reiste schon damals in der Welt herum. Man munkelte einmal, daß er mit einer Japanerin liiert sei, aber Michelle hatte nie etwas auf Klatsch gegeben. Mick war ein Freund, und sie respektierte ihn.

Warum nicht Mick, warum Carlos, ging es ihr durch den Sinn. Aber damals war sie achtzehn gewesen und voller Träume. Heute würde sie wohl anders denken über eine solche Beziehung. Aber ein Freund war Mick immer noch.

Sie ging zu ihrer Wohnung zurück. Jenna war nicht im Büro. Es ging Michelle durch den Sinn, daß sie von Ärger gesprochen hatte, und sie machte sich jetzt Gedanken.

Sie war noch dabei, ihre Einkäufe auszupacken, als das Telefon läutete. Es war Jenna. Sie fragte, ob sie kurz kommen dürfe.

Keine Frage, natürlich durfte sie. Michelle sah gleich, daß sie geweint hatte.

»Ich bitte um Ihr Verständnis, aber es ist besser, wenn ich heute abend nicht mitkomme«, sagte sie. »Wenn mein Chef das erfährt, ist erst recht die Hölle los.«

»Und warum ist sie eigentlich los?« fragte Michelle.

»Er belästigt mich dauernd, und da ich ihn zurückweise, schikaniert er mich. Aber ich kann nicht kündigen, ich brauche das Geld. Es ist so schwer, etwas zu finden, was halbwegs gut bezahlt wird.«

»Ich wüßte schon was, Jenna. Auf jeden Fall kommen Sie heute abend mit, und wenn er sich aufregt, kündigen Sie gleich. Ich

werde Ihnen das gleiche Gehalt zahlen, wenn Sie zu mir kommen.«

»Das geht doch nicht. Sie brauchen doch keine Sekretärin.«

»Wir haben eine große Firma, das regelt sich alles von selbst. Auf jeden Fall sollten Sie auch mal was von der Welt sehen.«

Jenna wußte nicht, wie ihr geschah. Ungläubig sah sie Michelle an. »Sie meinen das ernst?« fragte sie bebend.

»Natürlich meine ich es ernst. Ich wecke keine falschen Hoffnungen. Wir gehen heute abend aus. Alles andere wird sich finden.«

*

Dr. Norden rief bei Mona an. Er wollte wissen, ob sie Nachricht von Michelle hätte. Sie mußte es verneinen.

»Ich mache mir schreckliche Sorgen«, sagte sie. »Vorhin kam ein Anruf aus Spanien. Dorant ist mit einem Kollaps ins Hospital gebracht worden. Näheres wurde uns nicht gesagt. Nur, daß seine Frau benachrichtigt werden solle, da sein Zustand kritisch sei.«

»Nun, vielleicht ist es in dem Fall sogar gut, daß sie nicht benachrichtigt werden kann«, meinte Daniel Norden.

Mona mußte ihm recht geben. Sie sagte ihm auch, daß Dorant angerufen, aber nur mit Marie gesprochen hatte.

Wenn Daniel nicht gewußt hätte, wie ernst auch Michelles Zustand werden konnte, wäre es ihm nur recht gewesen, daß sie nicht an Dorants Krankenbett sitzen brauchte.

Mona brachte indessen in Erfahrung, was Carlos eigentlich fehlte. Der behandelnde Arzt erklärte ihr, daß er in der Sonne eingeschlafen sei und einen Sonnenstich bekommen hätte. Erschwerend wäre, daß er einen beträchtlichen Leberschaden hätte und nun wohl als Folge der Sonnenbestrahlung eine Meningitis. Das klang allerdings sehr bedenklich, und Mona wußte, daß man sich da auf alles gefaßt machen mußte.

Sollte so das Ende dieser Ehe kommen? Aber war nicht auch Michelles Gesundheit auf das Äußerste gefährdet?

Mona fröstelte es.

Sie konnte nicht mal gleich mit Philipp sprechen, da er erst abends aus Düsseldorf zurückkommen würde.

Michelle, wo bist du? Etwas anderes konnte sie nicht denken.

*

Michelle hatte sich für ein schlichtes grünes Kleid aus leichtem Wollgeorgette entschlossen, da es lange Ärmel hatte, und sie abends so leicht fröstelte. Vielleicht hatte dabei auch der Gedanke mitgespielt, daß Carlos grün nicht leiden konnte. Das Kleid bekam seinen besonderen Pfiff durch eine wunderschöne Gürtelschnalle, auf die auch die goldene Kette mit einem attraktiven Anhänger abgestimmt war. Als sie sich im Spiegel betrachtete, fiel es ihr erstmals so richtig auf, daß sie sehr abgenommen hatte, denn der Gürtel rutschte ihr fast über die Hüften. Aber das fand sie dann ganz apart.

Eigentlich müßte ich doch zunehmen, dachte sie und wunderte sich nun doch ein bißchen. Ich hätte den Befund abholen sollen, ging es ihr dann durch den Sinn. Was sollte Dr. Norden von ihr denken? Sie mochte ihn, sie wollte es mit ihm nicht verderben. Ich werde ihn morgen oder übermorgen anrufen, nahm sie sich vor und beschwichtigte damit ihr Gewissen.

Sie hatte mit Jenna verabredet, sie unten im Foyer zu treffen. Es war nicht weit zum Casino. Sie konnten zu Fuß gehen. Jenna sah sehr apart aus in dem Seidenkleid, das ihre gute Figur besonders zur Geltung brachte.

Kleider machen Leute. Michelle sah dieses Wort mal wieder bewahrheitet, und es freute sie. Jenna trug das Haar offen, und ihr Gesicht wirkte dadurch weicher. Es war wunderschönes blau-schwarzes Haar. Sie war ein exotisches Pendant zu Michelles blonder Schönheit, die neben Jenna aber ein wenig verblaßte. Michelle hätte es nichts ausgemacht, wenn jemand das festgestellt hätte. Sie hatte bezüglich Jenna schon andere Pläne.

Ihr Auftritt im Casino wurde durch bewundernde Blicke gewürdigt. Jenna war scheu, und sie wirkte gehemmt, aber Michelle gelang es, ihr Rückgrat zu stärken, indem sie Bemerkungen über andere Damen machte, die teilweise unmöglich gekleidet waren und sich sehr auffällig benahmen. Man merkte deutlich, daß sie bespöttelt wurden.

Sie konnten an einem Roulettetisch Platz nehmen, da der Besuch noch ziemlich dürftig war, aber bald schon strömten neue Gäste herbei.

Michelles Augen schweiften umher und ließen nichts aus. Sie hatte Carlos nie beim Roulette gesehen, aber sie konnte ihn sich vorstellen, wie verkniffen er die Kugel beobachtete. Sie sah all diese Gesichter, die in ihrem Ausdruck zu einem zusammenzuschmelzen schienen. Die Gier, die Verbissenheit und Ekstase, dann die Resignation oder gar Wut. Jenna blickte starr auf die Kugel, die so munter herumsprang und riß staunend die Augen auf, als ein Haufen Jetons zu Michelle geschoben wurde, die sich mehr auf die Menschen, als auf die Zahlen konzentriert hatte.

Glück im Spiel, Unglück in der Liebe, ging es Michelle durch den Sinn. Auf sie traf es tatsächlich zu, denn sie gewann immer wieder.

»Nimm es, Jenna, du kannst es behalten«, sagte sie gedankenlos, und nun einfach zum Du übergehend.

Darüber war Jenna so verblüfft, daß sie gar nicht begriff, was Michelle meinte.

»Du kannst die Jetons einlösen«, sagte Michelle drängend, »ich möchte jetzt zu den einarmigen Banditen gehen.« Sie wußte, daß die Automaten so genannt wurden.

»Es ist aber wahnsinnig viel Geld«, sagte Jenna leise.

»Darf ich den Damen tragen helfen?« ertönte da Micks Stimme.

»Du kommst gerade recht. Darf ich vorstellen: Mick Valerian, Jenna Roux, meine Freundin.«

Das verwirrte Jenna noch mehr. Mick ließ seinen Blick zwischen beiden hin und her wandern. »Du scheinst ja ganz schön abgesahnt zu haben, Michelle, oder war das Gemeinschaftsarbeit?«

»Jenna war mein Glücksbringer, sie soll es auch haben. Willst du spielen, oder kommst du mit zu den Automaten, Mick?«

»Willst du es nun dort versuchen?« lachte er.

»Ich will alles probieren. Es muß doch sehr amüsant sein.«

»Dir traue ich zu, daß du den Jackpot knackst. Er soll nahe der Million Francs stehen, das wären immerhin auch einige hunderttausend Euro.«

Der Glückspilz sollte aber Jenna sein, die nur zwei Versuche brauchte, um tatsächlich den Jackpot zu bekommen. Sie konnte es nicht fassen, als ein großes Hallo um sie war und viele neidische Blicke sie durchbohrten.

»Wir sollten lieber schnell verschwinden«, meinte Mick, »und aufpassen müßt ihr jetzt auch. Aber erst sollte das Geld in Sicherheit gebracht werden. Am besten gleich am Nachtschalter.«

»Es ist so wahnsinnig viel«, flüsterte Jenna.

»Nun kann dir dein Chef im Mondschein begegnen«, lachte Michelle. »Er wird dir wohl einen Heiratsantrag machen, wenn er das erfährt.«

»Er kann mir gestohlen bleiben. Aber ich kann nicht glauben, daß ich so viel Glück habe, auch wenn man sagt, daß man es mit geborgtem Geld leichter hat.«

Mick warf Michelle einen fragenden Blick zu. Sie nickte unauffällig. Dann deponierten sie das Geld am Nachtschalter. Einige tausend Francs sollte Jenna aber gleich behalten. Sie hatte Tränen in den Augen.

»Und nun darfst du uns zu Champagner einladen«, sagte Michelle.

»Ich weiß ja gar nicht, wohin Sie gehen möchten.«

»Ich übernehme das«, sagte Mick. »Gewinn hin, Gewinn her, ich werde es genießen, zwei schöne Frauen auszuführen.«

Er ging voraus, und Michelle raunte Jenna zu, daß sie auch du sagen solle. »Nur keine Hemmungen, du bist jetzt eine gute Partie«, scherzte sie.

»Ich träume«, sagte Jenna, aber dann schrie sie leise auf, weil Michelle sie gezwickt hatte. »Siehst du, du träumst nicht«, sagte Michelle.

Aber für Jenna war doch alles wie ein Traum, bis ein dramatischer Zwischenfall ihr die Wirklichkeit bewußt machte.

Michelle hatte wenig getrunken, aber sie war immer blasser und stiller geworden.

»Ich bin müde«, flüsterte sie, aber sie krümmte sich vor Schmerzen.

Mick sprang erschrocken auf. Er trug sie fast hinaus, während Jenna sich bemühte, Ruhe zu bewahren.

»Wir sollten eine Ambulanz rufen«, sagte sie mit erzwungener Ruhe. »Ich werde das gleich

tun.«

Michelle widersprach nicht mehr. Sie schien ohne Besinnung zu sein, und Mick hob sie voller Angst empor. Jenna war schon am Telefon, und es dauerte nur wenige Minuten, bis die Ambulanz kam. Michelle wurde auf die Trage gelegt und in den Wagen geschoben. Ein junger Arzt kümmerte sich um sie, aber Jenna und Mick durften nicht mitfahren.

»Wir holen meinen Wagen und fahren zum Hospital«, sagte Mick, sich zur Ruhe zwingend.

Das war schnell geschehen. Jenna kauerte bebend neben ihm. »Ich habe geahnt, daß ihr etwas fehlt. Sie ist ganz anders als früher«, flüsterte sie.

»Wie lange kennen Sie Michelle?« fragte Mick.

»Seit drei Jahren. Sie war jedes Jahr hier. Sie kann noch nicht lange verheiratet sein, denn vor einem Jahr war sie es noch nicht.«

»Was wissen Sie von dieser Ehe?«

»Nichts. Michelle hat mich erst heute zu ihrer Freundin ernannt. Ich war sehr überrascht, aber ich mag sie sehr.«

Er bewunderte ihre Aufrichtigkeit. Das fand man selten. Meistens wollten diese jungen Damen mehr scheinen als sie waren. Er fand Jenna sehr sympathisch, und es gefiel ihm besonders, wie besorgt sie um Michelle war.

Im Hospital mußten sie ziemlich lange warten. Die Zeit schleppte sich dahin, und sie waren innerlich so aufgeregt, daß es zu keiner richtigen Unterhaltung kam. Jenna saß mit gefalteten Händen, ganz in sich versunken, und Mick beobachtete sie ab und zu und so unauffällig, daß sie von seinen Blicken nicht irritiert wurde. Sie sah ihn allerdings auch nur einmal an, als er eine Schwester fragte, wann sie denn endlich den Arzt sprechen könnten.

Es war Nacht, und in der Klinik war nur wenig Personal, aber anscheinend war es eine unruhige Nacht, denn die Schwestern flitzten hin und her, während kein Arzt zu sehen war. Endlich, nach zwei Stunden, erschien der Notarzt, der Michelle auch schon geholt hatte.

Er konnte nach Micks Schätzung kaum älter als Anfang Dreißig sein, hatte ein jungenhaftes Gesicht und wunderschöne dunkle Augen. Er nannte seinen Namen. Dr. Jean Claude Duforet. Er erklärte mit gedämpfter Stimme und ernster Miene, daß die Patientin eine Fehlgeburt gehabt hätte.

Mick sah ihn betroffen an, Jenna entsetzt. »Ich wußte es nicht«, stammelte sie.

»Es ging alles ohne Komplikationen«, erklärte Dr. Duforet weiter, »aber der Allgemeinzustand der Patientin ist sehr bedenklich. Sie müßte jetzt auch eine Bluttransfusion bekommen, aber wir haben kein Plasma zur Verfügung, da sie Blutgruppe AB hat.«

»Die habe ich auch«, sagte Jenna sofort. »Nehmen Sie mein Blut.«

»Wenn Sie es anbieten, werden wir gleich einen Test machen«, sagte der Arzt.

»Ich werde warten«, sagte Mick. Er drückte Jenna die Hand. »Vielen Dank, Jenna, Sie sind eine echte Freundin.«

»Das ist selbstverständlich«, erwiderte sie.

Sie folgte Dr. Duforet. »Würden Sie die Angehörigen verständigen!« sagte er leise.

»Ich weiß nicht, wo sie wohnen. Herr Valerian weiß es sicher. Aber es steht doch nicht so schlimm um Michelle«, sagte sie zitternd.

»Sie ist sehr krank. Ich würde gern ihren Arzt sprechen, sie war sicher in Behandlung, schon wegen der Schwangerschaft.«

»Vielleicht weiß es Herr Valerian. Ich würde gern alles in die Wege leiten, wenn ich Bescheid wüßte, aber ich habe nie jemand sonst kennengelernt. Früher hieß Michelle Laurentis. Sie ist mit dem Schauspieler Carlos Dorant seit kurzer Zeit verheiratet. Aber sie sagte nur, daß er in Spanien filmt, wo, weiß ich auch nicht.«

Ihr wurde Blut abgenommen und getestet. Es wurde für gut befunden, und die Transfusion konnte stattfinden auf direktem Wege. Jenna lag auf einer Trage neben Michelle und ihr Blut floß in Michelles Adern, begleitet von ihren heißen Wünschen.

Schwester Immaculata war bei ihnen. Inzwischen sprach Dr. Duforet mit Mick, der ihm allerdings weiterhelfen konnte, von sich aus in der Aufregung aber noch nicht daran gedacht hatte, Philipp zu verständigen. Inzwischen war es fast fünf Uhr morgens. Mick wollte noch auf Jenna warten und sie heimbringen, aber sie hatte sich bereits entschlossen, in der Klinik zu bleiben.

»Ich rufe Philipp an und komme vormittags wieder her«, erklärte er.

Er war müde und machte sich große Sorgen um Michelle. Sie hatte eine Fehlgeburt. Wollte sie das Kind, und wie würde sie reagieren, daß sie es verloren hatte? Ihm ging vieles durch den Sinn, aber Carlos Dorant wollte er in diese Überlegungen gar nicht einbeziehen, hatte Michelle ihm doch schon eingestanden, daß diese Heirat ein Irrtum gewesen war.

*

Philipp erschrak, als er das anhaltende Läuten des Telefons endlich vernahm. Irgendwie hatte es in seine Träume gepaßt, aber es war Wirklichkeit und noch nicht ganz sechs Uhr morgens.

Seine Stimme war rauh, als er sich meldete, und er glaubte, wieder zu träumen, als Mick sich zu erkennen gab.

»Du hast mich hoffentlich noch nicht ganz vergessen, Phil«, sagte er.

»Wie könnte ich, da dein Name mir dauernd unter die Augen kommt. Was ist los, daß du mich zu nachtschlafender Zeit aufschreckst?«

»Erschrick bitte nicht zu sehr. Ich habe Michelle getroffen.«

»Wo? So rede schon.«

»In Monte Carlo. Sie mußte ins Hospital gebracht werden. Zum Glück waren ich und Jenna bei ihr. Dr. Duforet möchte mit ihrem Arzt sprechen. Kannst du das vermitteln, Phil?«

»Aber ja, selbstverständlich. Michelle ist schwerkrank, Mick. Sie hat einen Virus, der nicht festzustellen ist. Bisher wenigstens nicht. Sie ist einfach weggefahren, ohne die Diagnose abzuwarten, und sie ist außerdem schwanger.«

»Sie hatte eine Fehlgeburt. Kann jemand von euch kommen?«

»Natürlich werden wir kommen. Und Dr. Norden wird sich mit Dr. Duforet in Verbindung setzen. Wenigstens ist diese Schwangerschaft nicht mehr erschwerend. Man muß ihr doch helfen können.«

»Ich bleibe noch hier. Wir sehen uns dann, Phil. Kopf hoch, sie wird es schon schaffen.«

»Dies Wort in Gottes Ohr«, sagte Phil leise. »Danke, Mick, daß du dich um Michelle kümmerst.«

Mick starrte vor sich hin, nachdem das Gespräch beendet war. Sein Herz schlug dumpf. Ein Virus! Er wußte nur zu gut, was das bedeuten konnte. Er hatte einen Freund an der Legionärskrankheit verloren. Kein Arzt hatte helfen können. Er ging in Gedanken alle Länder durch, die er bereist hatte, und die verschiedensten Krankheiten hatte er kennengelernt, ohne davon betroffen zu werden. Ihm war bescheinigt worden, daß er ein sehr intaktes Immunsystem hatte. Konnte es nicht möglich sein, daß er Michelle etwas davon abgeben konnte? Es schien ihm unvorstellbar daß sie dem Tode geweiht sein könnte.

*

Philipp beruhigte sich erst unter der Dusche. Nicht durchdrehen, mahnte er sich. Es nützt nichts, wenn ich Hals über Kopf starte. Erst mit Mona reden, dann mit Dr. Norden, helfen kann ich Michelle doch nicht. Das muß ich anderen überlassen.

Daß sie ausgerechnet nach Monte Carlo gefahren war, wunderte ihn nicht.

Sie war gern dort. Als Teenager hatte sie für Grace Kelly geschwärmt, die Fürstin Gracia, und die Fürstenfamilie war ihr als Verwirklichung eines Märchens erschienen. Philipp hatte sie damit oft geneckt und gemeint, daß sie wohl auch von einem Prinzen träume.

Und nun war sie mit Carlos Dorant verheiratet, der Philipp jetzt wie ein Monster erschien, an dem Michelle zu zerbrechen drohte. Ein schrecklicher Gedanke erfaßte ihn. Wollte Dorant an Michelles Geld kommen, vergiftete er sie deshalb vielleicht? Es gab langsam wirkende Gifte, die man nur schwer analysieren konnte. Darüber hatte er schon gelesen. Eigentlich paßte es gar nicht zu seinem sonst so realistischen Denken, diese Vermutungen aufkommen zu lassen, aber sie setzten sich in seinem Kopf fest.

Michelle war kerngesund gewesen, bis sie ihr Elternhaus verließ. Sie wollte Freunde besuchen im Ausland und die Welt kennenlernen, und dagegen hatte Philipp nichts einzuwenden gehabt, denn schließlich war sie erwachsen und war kein Mädchen, das Abenteuer suchte. Im Umgang mit Männern war sie immer vorsichtig gewesen.

Philipp mahnte sich, nicht ungerechten Verdächtigungen gegen Carlos Raum zu geben, aber alles in ihm sträubte sich gegen diesen Mann, der egoistisch und karrieresüchtig war und keine Rücksicht auf Michelle nahm.

Philipp rief Mona an. Sie war schon fertig angekleidet, da sie Frühdienst hatte.

»Du mußt dir Urlaub nehmen, Mona. Wir müssen nach Monte Carlo fahren. Michelle liegt dort im Hospital.«

Mona hielt den Atem an. »In Monte Carlo«, sagte sie jetzt heiser.

»Mick Valerian hat mich benachrichtigt. Du erinnerst dich an ihn?«

»O ja, hat Michelle sich mit ihm getroffen?«

»Ich weiß nichts Genaues, aber wir werden es erfahren. Ich muß jetzt noch mit Dr. Norden sprechen. Er soll sich mit Dr. Duforet in Verbindung setzen.«

»Duforet, guter Gott, ich kenne ihn. Er hat in Heidelberg studiert, ist mir ein paar Semester voraus gewesen. Welch ein Zufall.«

»Um so besser. Also sieh zu, daß du die Klinik verständigst. Am besten wird es sowieso sein, daß du kündigst.«

»So schnell nicht. Darüber müssen wir erst noch reden.«

Er wußte, wie schwer es ihr fallen würde, ihren Beruf aufzugeben. Sie mußten wohl einen Kompromiß schließen.

Jetzt aber war Michelle wichtiger. Er rief Dr. Norden zu Hause an, denn in der Praxis war er jetzt noch nicht. Im Hause Norden ging es morgens besonders lebhaft zu. Die Schulkinder mußten pünktlich das Haus verlassen, und ohne Frühstück war das nicht üblich, wie es so oft bei anderen war. Die Zwillinge wollten noch mit ihrem Papi schäkern, was der sich auch nicht nehmen ließ, wenn er nicht gerade mal wieder zu einem Notfall gerufen wurde. Und als das Telefon sich meldete, seufzte Fee schon entsagungsvoll.

Aber gleich war sie konzentriert und rief ihren Mann. »Michelle liegt in Monte Carlo im Hospital«, sagte sie hastig. »Ihr Bruder ist am Telefon.«

Nun war auch Daniel gespannt. Er versprach, sich sofort mit Duforet in Verbindung zu setzen. Philipp sagte ihm, daß er gleich mit Mona starten würde.

»Sie wird nicht im Stich gelassen«, sagte Daniel zu Fee. »Philipp Laurentis ist ein guter Bruder.«

»Und Mona eine sehr gute Freundin«, meinte Fee.

»Sie wird Michelles Schwägerin. Wenn sich doch noch alles zum Guten wenden würde, aber wie soll man diese Vergiftung in den Griff bekommen?«

»Vergiftung?« Fee sah ihn erschrocken an.

»Es ist eine Blutvergiftung«, sagte er nachdenklich, »aber wir können nicht feststellen, wodurch sie verursacht wurde. Eine schleichende Sepsis.«

»Dann muß doch aber ein Herd vorhanden sein.«

»Es hätten eingehende Untersuchungen stattfinden müssen, aber sie ist ja weggefahren. Sie ist sich bestimmt nicht über den Ernst ihrer Situation im klaren. Jedenfalls könnte die Fehlgeburt möglicherweise doch zu einer Besserung beitragen.«

»Wenn sie genug Kraft hat«, sagte Fee leise. »Ich wünsche es ihr von Herzen. Ich mag sie sehr, wenn ich auch immer noch nicht begreifen kann, daß sie Dorant geheiratet hat.«

»Das steht ja wohl auf einem anderen Blatt«, sagte Daniel. »Mein Schatz, ich muß jetzt die Nummer vom Hospital wählen.«

»Das mache ich. Hast du sie notiert?«

»Na klar, so was behalte ich doch nicht im Kopf. Auf dem Block steht sie.«

Die Leitung war minutenlang besetzt, aber dann kam endlich das Freizeichen. »Praxis Dr. Norden, München«, sagte Fee ganz sachlich. »Wir möchten Dr. Duforet wegen der Patientin Michelle Dorant-Laurentis sprechen.«

Fee war stolz auf ihre guten Französischkenntnisse, und Daniel meinte, daß besser sie mit Dr. Duforet sprechen solle, falls der auch nur französisch sprach. Aber das war nicht der Fall. Er sprach ein fast perfektes Deutsch, was Fee verblüffte, denn sie wußte ja nicht, daß er in Heidelberg studiert hatte.

Er bedankte sich sehr höflich für den schnellen Anruf und sprach dann ganz ausführlich mit Daniel, dessen Gesicht sich nun doch ein bißchen aufhellte. Er sagte ihm, daß er von seiner Praxis aus die Laborbefunde durchfaxen würde und daß Philipp Laurentis bereits auf dem Wege sei.

»Er scheint jedenfalls sehr viel zu verstehen«, sagte Daniel zu Fee, als das Gespräch beendet war. »Und er redet nicht drumherum. Michelle hat von einer Freundin eine Bluttransfusion bekommen, die ihr anscheinend geholfen hat. Wir können beruhigt sein, daß sie in guten Händen ist.«

In der Aufregung hatte Philipp jedoch vergessen, Dr. Norden zu sagen, daß Carlos Dorant auch schwer erkrankt war und in einem Hospital in Sevilla versorgt wurde. Er hatte die Nachricht noch übermittelt bekommen.

Mona war völlig aufgelöst, als Philipp sie abholte. »Es gibt Ärger«, sagte sie atemlos. »Sie wollten mich nicht beurlauben. Dabei gibt es so viele arbeitslose Ärzte.«

»Du kennst ja meine Meinung. Ich verlange nicht, daß du deinen Beruf ganz aufgibst, aber Familienleben muß Vorrang haben, wenn wir heiraten.«

»Ich kann ja Vertretungen übernehmen«, räumte sie ein. »Dr. Leitner würde sich sicher freuen.«

»Da hättest du dann wenigstens auch gleich mit Babies zu tun.«

Sie wollten sich gegenseitig auf freundlichere Gedanken bringen, aber es blieb doch nicht aus, daß sie immer wieder in nachdenkliches Schweigen versanken.

»Hast du in der Firma Bescheid gesagt, Phil?« fragte Mona plötzlich.

»Ich habe Reimer verständigt. Er macht das schon. Auf ihn ist Verlaß. Sollen sie doch mal sehen, wie sie ohne mich fertig werden. So ein Arbeitstier wie Vater will ich ohnehin nicht werden. Schließlich ist das Leben zu kurz. Man muß es auch genießen können.«

»Hoffentlich kann Michelle das auch«, sagte Mona leise. Und schon herrschte wieder beklommenes Schweigen.

*

Michelle kam zu sich. Sie schlug die Augen auf und sah Jenna verwirrt an.

»Was ist passiert?« fragte sie heiser.

»Wir mußten dich ins Hospital bringen. Du wurdest ohnmächtig.« Jenna wollte die Stimme auch nicht gehorchen. Sie mußte sich zweimal räuspern.

»Mir ist immer noch komisch«, sagte Michelle. »Ich hätte doch noch mal zu Dr. Norden gehen sollen.«

ihr Verstand war hellwach, das spürte Jenna gleich. »Du hattest eine Fehlgeburt, Michelle. Ich sage es dir lieber gleich.«

Michelle atmete tief durch. »Das macht alles leichter. Es sollte so sein.«

Dr. Duforet trat ein. Er hatte inzwischen die Laborbefunde gefaxt bekommen und konnte sich nun ein Bild machen. Er war jedoch überrascht, Michelle wach vorzufinden und er wurde leicht verlegen unter dem Blick ihrer großen fragenden Augen. Er stellte sich vor.

»Tut mir leid, daß ich Sie zu nächtlicher Stunde in Atem gehalten habe«, sagte Michelle.

»Es ist mein Beruf, und Sie sind kein Einzelfall«, erwiderte er stockend. Er war irritiert und zugleich auch fasziniert, denn noch nie hatte er eine Patientin kennengelernt, die trotz ihrer schweren Krankheit eine solche Ausstrahlung hatte. Es mußte ihn auch erstaunen, daß sie schon so gegenwärtig war.

Jenna hatte sich vom Bett zurückgezogen. »Sie sollten jetzt auch ruhen«, sagte Dr. Duforet zu ihr.

»Warst du etwa die ganze Zeit hier?« fragte Michelle.

»Es macht mir nichts aus.

Ich bin nicht müde«, erklärte Jenna.

»Du gehst jetzt in meine Wohnung und schläfst dich aus«, befahl Michelle. »Ich will nicht, daß du auch noch krank wirst. Du kannst wiederkommen, wenn du deine Angelegenheiten geklärt hast.«

»Ich bleibe noch. Wir haben noch einiges zu besprechen«, sagte Jenna nun auch energisch.

»Dann werde ich später mit Madame Dorant sprechen«, erklärte der Arzt nachsichtig.

»Du bist genauso bockig wie ich, Jenna«, fing Michelle gleich an, als er das Zimmer verlassen hatte.

»Ich bin nicht bockig. Ich möchte dich nur fragen, woran du dich erinnern kannst?«

Michelle lachte leise. »Mein Verstand hat nicht gelitten. Wir haben gewonnen. Du hast den Jackpot geknackt und kannst dem Verwalter die Stirn bieten. Da du aber nun eine ganze Menge Geld hast, wird dir vielleicht nicht mehr der Sinn danach stehen, mich zu begleiten, wie ich es mir wünschte.«

»Ich will das Geld nicht. Ich möchte, daß du gesund wirst, Michelle, und ich werde bei dir bleiben, solange du mich brauchst.«

»Reden wir also nicht von dem Geld, das dir gehört. Du kannst damit machen, was du willst. Ich habe selbst genug, Jenna, und leider habe ich einen Mann, der nichts mehr liebt als Geld. Aber ich will mich von diesem Mann trennen und brauche einen Menschen, der mir die Kraft gibt, alles durchzustehen, was auf mich zukommt, denn leicht wird es nicht werden.«

»Und Mick, ist er nicht ein guter Freund?«

»O doch, das ist er, wenn wir uns ab und zu mal sehen. Aber er ist ja ständig unterwegs. Er ist nicht mehr, als ein guter Freund, wenn du das hören willst.«

»Eigentlich wollte ich etwas anderes hören, denn ich glaube, daß du ihm sehr viel bedeutest.«

»Weißt du, er braucht eine Frau, die alles mitmacht, der es gefällt, mal hier, mal dort zu sein. Ich sehne mich nach Ruhe, nach meinem Zuhause. Und ich bin jetzt weit entfernt davon, mein Leben mit einem Mann teilen zu wollen. Ich will gar nicht an die Zukunft denken. Das wollte ich eigentlich noch nie. Mein Wahlspruch ist: Lebe immer, wie du wünschst, wenn du stirbst, gelebt zu haben.«

»Aber ans Sterben sollst du nicht denken, Michelle«, sagte Jenna bebend.

»Vielleicht bin ich dem Himmel viel näher als der Erde«, sagte Michelle leise. »Manchmal habe ich das Gefühl, als würde ich weggetragen.«

Jenna wurde die Kehle eng. »Sag das nicht«, flüsterte sie, »es macht mich traurig. Und jetzt fließt mein Blut in deinen Adern, und ich gebe dir noch mehr, wenn du selbst daran glaubst, daß alles gut wird.«

»Dein Blut fließt in meinen Adern, und ich habe davon nichts gemerkt?« staunte Michelle nun. »Dann muß ich wohl alle Kräfte mobilisieren.«

Es sollte mutig klingen, aber Tränen standen in ihren Augen. »Du bist eine wahre Freundin, Jenna, aber jetzt gehst du und schläfst dich aus. Ich will dich ausgeruht und mit wachen Augen sehen.«

»Mick wird dich auch besuchen. Ich denke, es ist Schicksal, daß du ihn hier getroffen hast.«

*

Dr. Duforet nickte Jenna zu, als sie ging. Er betrat wieder Michelles Zimmer.

»Jenna hat mir schon gesagt, daß ich eine Fehlgeburt hatte, Sie brauchen es mir nicht mehr zu erklären«, sagte Michelle hastig. »Das Kind wollte sicher gar nicht leben.«

»Aber Sie wollen doch leben«, sagte er betont.

»Habe ich denn eine Chance? Ich mache mir nichts mehr vor. Da ist etwas, womit mein Körper nicht fertig wird. Meinen Geist schränkt es noch nicht ein. Sie können offen mit mir reden, Herr Doktor.«

»Ich habe bereits mit Dr. Norden telefoniert, und er hat mir die Laborbefunde durchgegeben, so brauchen wir uns damit nicht mehr aufzuhalten.«

»Und wie lautet die Diagnose?«

»Sie gibt Rätsel auf. Ihr Blutbefund zeigt eine Sepsis. Können Sie mir sagen, ob Sie kürzlich eine Verletzung hatten?«

Ihr Blick irrte ab und kehrte wieder zu ihm zurück. »Wieso sprechen Sie eigentlich so gut Deutsch?« fragte sie zusammenhanglos.

»Ich habe in Heidelberg studiert und habe eine deutsche Großmutter. Was ist also mit einer Verletzung?«

»Eine Verletzung?« wiederholte sie. »Nadines Siamkater hat mich gebissen und gekratzt. Er muß wohl gemerkt haben, daß ich Katzen nicht mag. Ich reagiere allergisch auf die Haare, aber anzuschauen sind sie schön.«

»Wer ist Nadine?« fragte Dr. Duforet.

»Die Lieblingspartnerin von Carlos Dorant«, erwiderte sie mit einem spöttischen Unterton. »Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mich mit Laurentis anreden würden.«

»Wo hat Sie der Kater gebissen und gekratzt?«

»An der Schulter und gekratzt hat er mich an dem Arm. Ich hatte ein schulterfreies Kleid an. Er sprang mich an mit dem gleichen tückischen Blick wie Nadine. Pardon, das klingt gehässig.«

»Sie haben es so empfunden. Sie mögen einander nicht?«

»Nadine mag keine andere Frau, sie steht auf Männer, wie man sagt. Aber sie konnte nichts dafür, daß mich Moritz verletzt hat.«

»Haben Sie eine Tetanusspritze bekommen?«

»So schlimm war es doch nicht. Außerdem bekomme ich die regelmäßig bei Fälligkeit.«

»Einen Anhaltspunkt hätten wir jetzt. Ich darf Sie doch untersuchen?«

Feine Röte überflutete Michelles Gesicht. »Eigentlich erlaube ich das nur Dr. Norden«, sagte sie stockend.

»Er ist aber nicht hier, doch ich stehe in Verbindung mit ihm. Können Sie zu mir kein Vertrauen haben?«

Seine Stimme schmeichelte sich in Michelles Ohren. Sie war so beruhigend, warm und herzgewinnend. Und seine Augen, Michelle meinte, noch nie so schöne Augen gesehen zu haben.

»Doch, ich habe Vertrauen«, erwiderte sie.

»Ich möchte Ihnen helfen, Madame Laurentis.«

»Können Sie das?«

»Wenn Sie mir eine Chance geben? Aber es ist eine ungewöhnliche Art der Behandlung. Es ist ein Rezept meiner deutschen Großmutter, ein Hausmittel, das aber schon in manchen Fällen half, bei denen andere Medikamente versagten.«

»Was ist das für ein Mittel?«

»Ein Gemisch aus Obstessig, Wasser und einer Essenz, deren Zusammensetzung von meiner Großmutter nicht verraten wird. Erst nach ihrem Tode werde ich sie bekommen.«

»Und Sie glauben daran?«

»Weil ich Erfolg schon erlebt habe. Ich weiß, daß allem eine Grenze gesetzt ist, aber Glauben und Vertrauen hilft oft auch mit.«

»Und wie wird das Mittel angewandt?«

»Der Körper wird damit abgerieben. Das wird Schwester Immaculata tun.«

Sie sah ihn wieder voll an. »Ich bin nicht so, daß ich es als Unsinn abtue. Ich habe schon manches gehört, was man mit dem Verstand nicht erklären kann. Und manchmal ist der Verstand ein schlechter Berater.«

Wie meint sie das, überlegte er. Aber er stellte eine andere Frage.

»Möchten Sie erst Ihren Mann verständigen?«

»Nein. Er soll bleiben, wo er ist, und ich will ihn nicht mehr sehen.« Ein trockenes Schluchzen schüttelte sie, das die innere Erregung löste. Er spürte, wie unglücklich und zerrissen sie war.

Er nahm ihre Hand und umschloß sie mit warmem Griff. Sie spürte die Wärme, die zu ihr floß, so tröstend und beruhigend wie seine Stimme.

»Denken Sie nicht an das Negative«, sagte er nun fast beschwörend, »denken Sie, wie schön das Leben sein kann.«

Sie schloß die Augen. »Ich will glauben, daß Sie mir helfen können«, flüsterte sie. Dann schlief sie ein, und er betrachtete ihr gelöstes Gesicht.

Er war todmüde, hatte zwanzig Stunden kein Auge zugetan und nun packte ihn die Erschöpfung mit Macht.

Er wollte wenigstens ein paar Stunden schlafen, bis Philipp Laurentis eintraf, aber er brachte Schwester Immaculata noch die Flasche mit der Essenz und gab ihr Anweisungen. Auf sie konnte er sich verlassen, bei den jüngeren Schwestern war er nicht sicher, ob sie sich nicht mokierten bei solcherlei Anwendung. Er konnte hier nicht schalten und walten, wie er wollte. Er mußte sich nach den Vorschriften richten, und das engte ihn ein. Dies aber war ein Fall, für den er alles riskiert hätte.

*

Als Mick ins Hospital kam, schlief Michelle noch. Er beschloß, Jenna aufzusuchen, da man ihm sagte, daß Michelle sie heimgeschickt hätte.

Er war unruhig, ihn hielt es nicht an einem Ort. Er hatte sich ausgerechnet, wann Philipp hier sein könnte, aber die Zeit verging ihm zu langsam. Das Gefühl der Ohnmacht gegen die unbekannte Krankheit hatte auch ihn erfaßt, und es brachte ihn schier zur Verzweiflung, daß Michelle das Opfer sein sollte.

Als er zu dem Appartementhaus kam, kam Jenna gerade heraus. Auch sie fand keine Ruhe. Ein paar Stunden hatte sie im Halbschlaf dahingedämmert, bei jedem Geräusch aufschreckend. Den Verwalter hatte sie noch nicht gesehen, aber gerade, als Mick auf sie zugehen wollte, kam er aus dem Bistro. Mick konnte nicht hören, was er sagte, sah aber, daß Jenna eine unwillige, abwehrende Handbewegung machte, und als er ein paar Schritte näherkam, hörte er, wie sie sagte, daß sie kündigen würde. Der Verwalter lachte höhnisch und sagte, daß sie doch wieder angekrochen käme.

Mick war schnell bei ihr, als der Verwalter ihren Arm packte und eine unflätige Bemerkung machte.

»Einen anderen Ton, bitte«, sagte er energisch. »Sie haben gehört, was die Dame gesagt hat.«

»Wo ist hier eine Dame«, sagte der Verwalter frech, »sie ist ein Hausmädchen.«

»Vielleicht war sie das in Ihren Augen, das ist jetzt vorbei«, sagte Mick. »Ab sofort sogar, damit sie Ihren Belästigungen nicht mehr ausgesetzt ist.«

Der andere starrte ihn aus engen Augen an. Dann warf er Jenna einen giftigen Blick zu.

»Hast du endlich einen Dummen gefunden«, stieß er zynisch hervor, »aber sicher weiß er noch nicht über dich Bescheid.«

Jenna wandte sich ab. Es schien, als wolle sie die Flucht ergreifen, aber Mick faßte schon nach ihrer Hand.

»Was ist los, Jenna. Womit droht er?«

»Er hat kein Recht dazu. Aber ich werde niemals Ruhe finden, solange ich hier bin. Ich wollte Michelle alles erzählen, aber dann kam ihr Zusammenbruch dazwischen.« Ihre Lippen preßten sich aufeinander. »Es ist alles so sinnlos.«

»Sie werden sich doch nicht von diesem ordinären Kerl einschüchtern lassen. Sagen Sie mir doch bitte, was Sie bedrückt. So schlimm kann es doch gar nicht sein.«

»Es ist aber sehr schlimm.«

Er hatte ihren Arm umfaßt und steuerte den Weg zum Strand an. Dort setzten sie sich auf eine Bank im Schatten.

»Sagen Sie mir, was Sie bedrückt, Jenna. Und denken Sie nicht, daß Michelle Vorurteile hegt. Ich übrigens auch nicht. Wir wissen, daß Sie ein hilfsbereiter, warmherziger Mensch sind.«

Jenna schöpfte tief Atem. »Mein Vater war ein wohlhabender Mann«, begann sie stockend. »Ihm gehörte die Wohnanlage, in der ich jetzt arbeite. Aber er war ein Spieler, er hat alles verspielt, was wir besaßen, und als meine Mutter ihm Vorhaltungen machte, hat er sie so zusammengeschlagen, daß sie starb. Dann hat er mich auch bedroht. Ich habe mich gewehrt, und er stürzte durch die Glastür. Er starb an einer Gehirnblutung. Ich wurde von der Anklage wegen Totschlags freigesprochen. So, nun wissen Sie es. Ich konnte froh sein, hier arbeiten zu können.«

»Wann war das?« fragte Mick. »Vor drei Jahren.«

»Und warum sind Sie nicht weggegangen von hier?«

»Wohin denn? Ich hatte kein Geld. Wer hätte mir schon eine Stellung gegeben. Ich hatte doch keine Referenzen.«

»Michelle hat davon nichts erfahren?«

»Nein, es geschah, bevor sie zum ersten Mal hier war, und um die Gäste nicht zu vergraulen, wurde auch nicht über meinen Vater und dieses Drama geredet. Früher hatte ich auch nur einen rein geschäftlichen Kontakt zu Michelle, einen sehr flüchtigen. Erst in diesem Jahr wurde es anders, weil Michelle anders war, nicht so unbeschwert. Früher betrachtete ich sie als verwöhnte junge Dame, die zum Jet Set gehört. Ich hätte niemals erwartet, daß sie ein persönliches Gespräch mit mir führen würde.«

»Aber sie würde bestimmt Verständnis für Ihre Lage aufgebracht haben.«

»Ich bin doch damit nicht hausieren gegangen. Ich war froh, daß es schnell in Vergessenheit geriet. Man ist hier diskret, wenn es um solche Affären geht. Man hat ja auch genug zu klatschen über die Prominenz.«

»Aber jetzt werden Sie hoffentlich gern von hier weggehen, Jenna.«

»Ja, sehr gern. Wenn ich Michelle nur helfen könnte.«

»Das wünschen wir alle. Aber Ihnen soll auch geholfen werden. Betrachten Sie mich auch als einen Freund.«

»Tausend Dank«, flüsterte sie. »Ich weiß nicht, was ich sonst sagen soll.«

Mick empfand ein starkes Mitgefühl für diese junge Frau, die vom Schicksal so ungerecht behandelt worden war, und die mit ihrer Intelligenz und äußeren Erscheinung ganz andere Chancen haben könnte, wohl aber zu sehr gedemütigt worden war, um sie zu nützen.

»Sprechen Sie mehrere Sprachen, Jenna?« fragte er.

Sie sah ihn erstaunt an. »Das muß ich doch, wir haben internationale Gäste. Deutsch kann ich aber am besten. Englisch geht und italienisch brauche ich nicht so oft. Warum fragen Sie danach?«

»Weil ich Ihnen eine Stellung bieten könnte, bei der Sie auch in der Welt herumkommen würden.«

»Das ist sehr verlockend, aber ich habe mich bereits Michelle verpflichtet.«

»Wie ich Michelle kenne, will sie Ihnen auch zu einer ausbaufähigen Stellung verhelfen, zu einer Position, die Sie in jeder Weise zufriedenstellt. Aber wir werden noch darüber reden.«

»Sie verstehen bitte, daß Michelle jetzt am wichtigsten ist.«

»Das ist sie für uns alle. Übrigens wird heute ihr Bruder kommen.«

»Das ist gut, das wird ihr auch helfen. Ich fühle mich ziemlich unsicher. Hoffentlich betrachtet man mich nicht als Schmarotzerin.«

»Das sollten Sie wirklich nicht denken, Jenna. Sie haben dazu beigetragen, Michelles Leben zu retten. Das wird man Ihnen danken.«

»Dank will ich wirklich nicht. Ich verstehe nur diesen Mann nicht, der sich überhaupt nicht um sie kümmert. Er verdient sie nicht.«

»Da sind wir ganz einer Meinung. Und nun werden wir etwas essen. Sie müssen doch auch Hunger haben.«

*

Philipp und Mona waren in Monte Carlo eingetroffen. Das Hospital fanden sie schnell, und Dr. Duforet war inzwischen auch schon wieder auf der Station. Er hatte ein paar Stunden geschlafen, das genügte ihm. Er war an den unregelmäßigen Dienst gewöhnt, und da der Assistenzarzt zur Zeit Urlaub hatte, mußte er noch mehr arbeiten.

Aber ihm war auch vor allem Michelle wichtig. Schwester Immaculata hatte sie schon einmal mit der Essenz abgerieben, und ihm schien es, als wäre Michelle schon besser durchblutet. Tatsächlich war ihr Puls kräftiger, und der Blutdruck hatte sich auch gebessert.

Und nun kamen Philipp und Mona. »So sieht man sich wieder«, überbrückte Mona die ersten Sekunden, in denen sie sich nur forschend betrachteten.

»Die Welt ist klein, das erlebt man immer wieder«, sagte Jean Claude Duforet. »Ich freue mich, Mona, wenn der Anlaß auch nicht Grund zur Freude gibt.«

»Wie geht es Michelle?« fragte Philipp drängend.

»Ich habe den Eindruck, daß es ihr jetzt etwas bessergeht. Vielleicht schlägt meine unkonventionelle Behandlung doch an.«

»Was ist das für eine Behandlung?« fragte Mona interessiert.

»Das erkläre ich dir später. Ich hoffe doch, daß wir dazu Gelegenheit haben.«

»Aber sicher«, erwiderte Mona und Philipps Miene zeigte Eifersucht. Jean Claude war ein sehr gut aussehender Mann, und obgleich Philipp sonst Eifersuchtsregungen nicht kannte, regte sich in ihm doch der Verdacht, daß ein Arztkollege bei Mona Chancen haben könnte. Die war von solchen Gedanken weit entfernt, denn für sie war Philipp der einzige Mann und selbst Bewunderung von anderen nahm sie nicht zur Kenntnis. Aber Jean Claude zeigte kein persönliches Interesse an ihr. Sie merkte schneller als Philipp, daß Michelle ihn auch menschlich interessierte.

Wahrscheinlich bestand zwischen den Geschwistern doch eine Antenne, denn Michelle schlug die Augen auf, als Philipp und Mona eintraten. Sie blinzelte, dann hoben sich ihre Lider und grenzenloses Staunen lag in ihrem Blick.

»Wache ich, oder träume ich?« fragte sie sichtlich bewegt.

»Wir mußten doch kommen«, sagte Philipp. »Was soll denn das, einfach wegzufahren, ohne ein Ziel zu nennen?«

»Ich wußte zuerst ja selbst nicht, wohin ich wollte«, erwiderte sie. »Es tut mir leid, wenn ich Euch Sorgen bereitet habe. Ich weiß, daß ich einen Termin bei Dr. Norden hatte. Aber nun hat sich doch alles von selbst geregelt. Ich werde kein Kind bekommen«, sagte sie mit klarer Stimme. Mona war doch erstaunt.

»Ich bin nicht traurig«, sagte Michelle in das Schweigen hinein. »Ich bin zu einem Entschluß gekommen.«

»Zu welchem?« fragte Philipp.

»Ich werde mich von Carlos trennen. Ich hoffe, daß es ohne Aufsehen über die Bühne geht.«

»Du mußt erst gesund werden. Carlos liegt übrigens auch im Hospital.«

»Hat er wieder mal zu viel getrunken und ist vom Hocker gefallen?«

Philipp und Mona staunten über ihre lässige Spöttelei. »Er hat einen Sonnenstich, aber tatsächlich auch einen Leberschaden«, erklärte Mona. »Wir haben es erst gestern erfahren.«

»Es ist mir gleichgültig«, sagte Michelle. »Das Band ist zerschnitten. Eine Frau allein genügt ihm sowieso nicht, also wird er schon welche finden, die ihn trösten.«

»Und wenn ihm ein Schaden bleibt und er nicht mehr filmen kann, wirst du ewig für ihn sorgen müssen, Michelle«, sagte Philipp sachlich.

»Das werde ich nicht. Er hat es sich wohl so gedacht. Wo liegt er denn?«

»In Sevilla. Er weiß natürlich nicht, daß du hier ebenfalls im Hospital liegst.«

»Das braucht er auch nicht zu erfahren. Ich bin verreist und nicht zu erreichen.«

Mona und Philipp tauschten einen bedeutsamen Blick. Es stand fest, Michelle hatte diese Ehe im Kopf schon beendet. Aber es war auch sicher, daß sie sich keine Gedanken machte, welche Folge eine Scheidung haben konnte, wenn es um die Vermögensteilung ging. Aber darüber wollten sie lieber nicht mit ihr sprechen.

Michelle ermüdete noch ziemlich schnell, und so sagte Mona, daß sie sich nach einem Hotel umsehen wolle.

»Ihr könnt in meiner Wohnung unterkommen«, sagte Michelle. »Sie ist groß genug. Jenna wird sie euch zeigen. Wo ist Jenna überhaupt? Richtig, ich habe ihr ja gesagt, daß sie von der Wohnung auch Gebrauch machen könne. Aber sie kennt sich hier aus und findet etwas. Ich werde mit ihr sprechen.«

»Wer ist Jenna?« fragte Philipp.

»Meine Freundin. Sie hat ihr Blut für mich gegeben. Ich möchte, daß ihr sie akzeptiert.«

Es klopfte leise an der Tür, und gleich darauf trat Jenna ein. Sie wollte sich sofort zurückziehen, als sie Philipp und Mona gewahrte, aber Michelle winkte ihr, hereinzukommen.

»Das ist meine Freundin Jenna«, sagte sie. »Und das sind mein Bruder und seine zukünftige Frau.«

»Ich will aber nicht stören«, sagte Jenna verlegen.

»Du störst nicht«, erwiderte Michelle. »Ich wollte sowieso mit dir sprechen.«

»Mick möchte dich auch besuchen, Michelle. Er weiß, daß dein Bruder gekommen ist. Er denkt aber, er ist allein und wollte ihm anbieten, bei sich zu wohnen.«

»Das können wir gleich besprechen. Ruf ihn herein, Jenna.«

»Er spricht gerade mit Dr. Duforet.«

Mona hatte Jenna forschend betrachtet und war sehr angetan von der jungen zurückhaltenden Frau, deren ganzes Wesen verriet, daß sie nicht zu den Luxusweibchen gehörte, die sich früher um Michelle herum getummelt hatten. Michelle konnte man nicht zu diesen zählen, aber sie hatte immer gesagt, daß man alles mitmachen müsse, um die Menschen richtig einordnen zu können. Jedenfalls war Jenna anders und wurde sofort von Mona und Philipp akzeptiert. Die beiden gingen dann hinaus und ließen Michelle und Jenna allein.

Von Mick wurden sie freudig begrüßt. »Ich wußte nicht, daß du mitkommst, Mona, aber es freut mich, daß ihr immer noch zusammen seid«, sagte Mick in seiner offenen Art.

»Wir werden sogar heiraten, wenn die Aufregungen überstanden sind«, sagte Philipp, »und wir haben es uns lange genug überlegt. Du bist immer noch Single?«

»Ich bin ja dauernd unterwegs. Es hatte mich so gefreut, Michelle zu treffen, und dann mußte das passieren, als wir feiern wollten.«

»Was wolltet ihr feiern?« fragte Mona neugierig.

»Unser Wiedersehen und Michelles Gewinn. Jenna hatte allerdings auch gewonnen, bei einem Versuch gleich den Jackpot bekommen.«

»Die beiden haben gespielt!« staunte Philipp. »Ist Michelle von Carlos infiziert, oder hat Jenna sie verführt?«

»Keins von beiden. Es sollte einfach nur Unterhaltung sein, aber gerade dann hat man Glück. Und Jenna hat nur mitgemacht, weil Michelle es wollte.«

»Was kannst du uns sonst berichten?« fragte Philipp.

»Eigentlich nichts. Sprecht lieber selbst mit Dr. Duforet.«

»Er hat uns schon gesagt, daß er eine unkonventionelle Behandlungsmethode probiert. Uns soll alles recht sein, wenn es Michelle helfen kann«, sagte Mona.

»Nichts wünschen wir uns mehr. Habt ihr Kontakt zu Dorant?«

Sie erzählten, was sie erfahren hatten. Mick schüttelte tiefsinnig den Kopf. »Es wird gut sein, wenn er ganz aus Michelles Leben verschwindet.«

Dann verabredeten sie, daß sie in Michelles Wohnung sein könnten, und Mick wollte Jenna in seinem Hotel unterbringen.

»Hat sie denn keine Wohnung?« fragte Mona irritiert.

»Sie wird von dem Hausverwalter belästigt, dem wollen wir aus dem Weg gehen.«

»Mick, der edle Ritter«, scherzte Philipp.

»Gut, daß es so was noch gibt«, meinte Mona.

*

Jenna wurde wieder mal in Verwirrung gestürzt, als Mick dann kurzerhand erklärte, daß sie in seinem Hotel ein Zimmer bekommen könne…

»Ihr bringt mich in Verlegenheit«, sagte sie leise.

»Wir sind Freunde, Jenna, und Freunde helfen sich«, erklärte Michelle. »Du mußt endlich zur Ruhe kommen. Du kannst Phil und Mona jetzt zur Wohnung begleiten, aber dann kommst du wieder her. Ich habe mit Mick noch einiges zu besprechen.«

Als ahne sie, was in seinem Kopf vor sich ging, und so müde sie auch war, sie fing gleich mit ihren Überlegungen an.

»Du hast doch gesagt, daß du eine intelligente Sekretärin bräuchtest, Mick, eine, die unabhängig ist und dich auch auf Reisen begleiten würde. Wäre Jenna nicht die Richtige, und sie käme endlich mal weit weg von hier.«

»Wolltest du sie nicht bei dir haben? Und sie würde dich nicht im Stich lassen, Michelle.«

»Das weiß ich, aber es täte ihr bestimmt nicht gut, mein Dilemma zu teilen. Ich muß das alles hinter mich bringen. Ob ich es schaffe, ich weiß es nicht.«

»Du wirst es schaffen, Michelle. Wenn du gesund bist, werde ich Jenna fragen, ob sie bei mir die Stellung annehmen will, aber vorher hat es keinen Zweck. Sie will in deiner Nähe bleiben.«

Michelle schloß die Augen. »Es ist gut zu wissen, daß es Menschen gibt, die mich wirklich gern haben. Ich weiß es zu schätzen, Mick. Man muß lernen, die Spreu vom Weizen zu scheiden. Ich habe es gelernt.«

»Das ist gut, Michelle«, er drückte ihre federleichte Hand an seine Lippen.

»Ich war so töricht, Mick, ich habe mich anstecken lassen von dem oberflächlichen Getue, und dabei ist das doch gar nicht meine Welt.«

»Wenn man jung ist, macht man Fehler, aber es ist gut, wenn man sie in der Jugend macht und nicht erst im Alter, dann hat man noch Zeit, es besser zu machen.«

»Sprichst du aus Erfahrung?«

»Aber sicher, Michelle. Jedoch kann ich sagen, daß ich schon gar nicht mehr an all die Fehler denke, die ich gemacht habe. Man muß den Blick auf das Gute und Schöne richten, das man erlebt und davon kann man zehren.«

»Jenna hat dir aus ihrem Leben erzählt. Es ist schlimm, viel schlimmer, als mein Irrweg. Es wäre schön, wenn du ihr auch helfen würdest.«

Mick beugte sich zu ihr und küßte sie auf die Stirn. »Du bist ein wundervolles Mädchen, Michelle.«

»Ich bin kein Mädchen mehr, Mick, ich würde es gern wieder sein.«

Ich werde sie immer so im Gedächtnis haben, wie sie war, dieses zauberhafte Mädchen mit dem umwerfenden Lachen, dachte er.

Dr. Duforet wußte nun schon mehr über Michelle, und er sollte sich im Gespräch mit Mona am Abend auch ein Bild machen können, wie sie früher war.

Phil hatte sich beruhigt, da Mona ihm versichert hatte, daß kein anderer Mann eine Chance bei ihr hätte, selbst wenn es ein gutaussehender Arzt sei. Er fand Jean Claude nun auch sehr sympathisch. Natürlich war er sehr angetan, daß sich dieser junge Arzt, für den Michelle doch eine völlig Fremde gewesen war, so engagierte und tatsächlich mit seiner Behandlung auch schon einen kleinen Fortschritt erzielt hatte.

»Wenn ich hier nur freie Hand hätte«, sagte Jean Claude, »aber man schaut mir zu sehr auf die Finger, und nur auf Schwester Immaculata kann ich mich verlassen.«

»Machen dir die jüngeren Schwestern das Leben schwer?« scherzte Mona, die ja wußte, wie beliebt er auch schon bei den Kommillitoninnen gewesen war.

»Man tritt leicht ins Fettnäpfchen, wenn man desinteressiert ist«, gab er offen zu, »aber auch der Chefarzt legt mir Steine in den Weg. Ich habe schon zu hören bekommen, daß Michelle hier nicht die einzige Patientin ist. Wenn ich sie anderswo behandeln könnte, wäre es sicher erfolgreicher.«

»Kannst du nicht Urlaub nehmen?« fragte Mona. Er sah sie konsterniert an. »Dann könnte ich mich doch gar nicht um sie kümmern.«

»Ich habe da eine andere Idee und Phil würde sie gutheißen. Die Insel der Hoffnung.«

»Was ist das?«

»Das ist ein Sanatorium, wo auch alternative Medizin praktiziert wird. Dr. Nordens Schwiegervater ist der leitende Arzt. Er ist aufgeschlossen für jede Therapie, wenn sie nur nützt. Und er hätte bestimmt nichts dagegen, wenn du Michelle dort behandeln würdest. Du kennst doch sicher David Delorme, den Pianisten?«

»Natürlich kenne ich ihn. War er auch dort?«

»Ja, vor einigen Jahren, und er ist der Schwiegersohn von Dr. Cornelius geworden. Katja, seine Tochter, war gelähmt, nachdem sie in eine Lawine geraten war. Sie wurde auf der Insel geheilt und hat dann David Delorme, den sie dort kennenlernte, geheiratet.«

»Ich habe sie hier schon gesehen, eine bildschöne Frau«, sagte Jean Claude nachdenklich. »Und vielleicht hat Michelle auch eine Chance. Ich werde Urlaub nehmen. Ich habe schon sehr lange keinen mehr gehabt. Man wird meckern, aber schließlich habe ich auch Rechte.«

»Dann werde ich mich gleich mal mit Daniel Norden in Verbindung setzen«, sagte Mona. »Er kann das am besten mit Johannes Cornelius besprechen. Du wirst ja nicht gleich von heute auf morgen von hier wegkönnen, Jean Claude.«

»Nein, und Michelle auch nicht. Wenigstens eine Woche muß ihr Abwehrsystem noch gestärkt werden, damit ihr ein Transport zuzumuten ist.«

Und was sollte in dieser Woche alles geschehen!

*

Mick hatte Jenna in seinem Hotel untergebracht. Dank seiner guten Beziehungen bekam sie ein schönes Zimmer. Der Name Roux war nicht so selten, daß man sich gleich an diesen Fall erinnerte und Jenna hatte das Flair einer jungen Dame.

Mick konnte seine Geschäftsreise nicht mehr länger aufschieben, und da nun schon Michelles Transport zur Insel der Hoffnung geplant wurde, machte er den Vorschlag, Jenna zur Probe für die fünf Tage mitzunehmen, damit sie entscheiden konnte, ob ihr die Tätigkeit gefallen würde.

Jenna zögerte, aber Michelle war sofort dafür und sie konnte Jenna auch überreden.

Da die Insel der Hoffnung bereits spruchreif geworden war und Dr. Duforet alle Widerstände aus dem Weg räumte, konnte Michelle es kaum noch erwarten, endlich diese Reise antreten zu können.

»Wir werden uns nie mehr aus den Augen verlieren, Jenna«, sagte sie, als die andere Tränen in den Augen hatte beim Abschied.

»Das ist versprochen«, sagte Mick, »und du versprichst uns, daß du zuversichtlich zu deiner Genesung beiträgst.«

»Was meinst du, ich will doch gesund werden. Ich liebe das Leben, und ich kapituliere nicht so schnell.«

Sie war sich bewußt, wie es um sie stand, aber seit es so war, mobilisierte sie ihre Widerstandskräfte erst recht und bewußt. Nur dann konnte man eine schwere Krankheit überwinden. Dr. Duforet hatte es ihr klargemacht. Er sprach ganz offen mit ihr, und sie hatte großes Vertrauen zu ihm gewonnen.

Jean Claude konnte für immer Abschied nehmen von dem Hospital. Der Chefarzt hatte ihm erklärt, daß er sich besser eine andere Stellung suchen solle, da er jetzt ja so einflußreiche Freunde hätte. Er sagte Michelle nichts davon. Für ihn begann ein neuer Lebensabschnitt, denn er wußte, daß er für Michelle alles zu tun bereit war.

Von Carlos hatten sie nur gehört, daß sein Zustand unverändert kritisch sei, aber er hatte inzwischen auch von Michelles schwerer Erkrankung erfahren. Es war bezeichnend für seinen Charakter, daß er sogleich sagte, daß sie ihn wohl angesteckt hätte, obwohl beide Krankheiten wahrhaftig nicht vergleichbar waren. Aber er war vergrämt und unzufrieden, weil sich niemand um ihn kümmerte und er nur auf die Hilfe von Fremden angewiesen war. Das Schlimmste war, daß er keinen Alkohol bekam.

Endlich gelang es ihm, einen Pfleger mit hundert Euro zu bestechen, damit er ihm eine Flasche Brandy besorgte. Es war nicht der Beste, der ihm gebracht wurde und so setzte er dem Bemühen der Ärzte, sein Leben zu retten, selbst ein Ende. Philipp wurde die Nachricht von seinem Tod übermittelt, als sie auf der Insel der Hoffnung eingetroffen waren.

Michelle war so voller Freude, so angetan von der Schönheit der Insel, von dem herzlichen Empfang durch Dr. Johannes Cornelius und seiner Frau Anne, daß Philipp ihr diese Stimmung nicht verderben wollte. Wozu auch. Es genügte, wenn sie es anderntags erfuhr.

Michelle hatte die Fahrt im Sanitätswagen gut überstanden. Jean Claude war ja bei ihr gewesen. Philipp und Mona waren vorausgefahren mit dem Gepäck. Und alles war schon vorbereitet, als Michelle und Jean Claude dann eintrafen. Auch für ihn war der Eindruck überwältigend. Eine Oase des Friedens war dieses Sanatorium, und sie erfuhren auch, wie es entstanden war, wie die großartige Idee von Dr. Friedrich Norden, Daniels Vater, verwirklicht worden war. Er, der große Menschenfreund, hatte es leider nicht mehr erlebt, aber ihm war damit ein Denkmal gesetzt worden, das für viele Menschen zur letzten Rettung wurde. Hier lernten sie zuerst, daß sie sich nicht aufgeben durften, daß die Kraft ihres Geistes unentbehrlich war, ihr Leiden zu bewältigen.

Dr. Cornelius war gespannt, welche Therapie sein junger Kollege anwenden wollte. Er gewann aber schnell den Eindruck, daß Dr. Duforet genau wußte, was er tun wollte und mußte, und er war völlig einverstanden mit seiner Methode, die mit seinen Heilmitteln zu ergänzen war.

»Ich denke, wir werden uns

gut verstehen«, sagte er zu Jean

Claude.

»Das Gefühl hatte ich sofort«, erwiderte der. »Ich habe inständig gehofft, daß ich einmal eine solche Chance bekommen würde, einen Arzt wie Sie kennenzulernen.«

»Und mich freut es ungemein, einen jungen Kollegen kennenzulernen, der sich nicht nur auf die Schulmedizin versteift und den Mut hat, eine sichere Stellung aufzugeben, um seine Ideen zu verwirklichen. Hier können Sie es, solange Sie wollen.«

Sie reichten sich die Hände. Sie verstanden sich, und Jean Claude hatte das Gefühl, eine geistige Heimat gefunden zu haben.

»Es wäre ein Gottesgeschenk, wenn wir ihn halten könnten«, sagte Hannes Cornelius zu seiner Frau Anne.

»Ich glaube, sein Interesse gilt ausschließlich Michelle«, meinte sie.

»Nicht ausschließlich. Er ist Arzt aus Leidenschaft«, beharrte Hannes Cornelius. »Wir haben eine Wellenlänge.«

Anne wußte nur zu gut, wie sehr er sich einen Partner wünschte, der seinen Vorstellungen entsprach, aber bisher war es ein Wunschtraum geblieben. Welcher junge Arzt wollte denn schon lange hier in der Abgeschiedenheit leben, so schön die Insel auch war. Es war eine Insel, weitab von allem Getriebe, auf der die Ruhelosen, die Schmerzgeplagten finden konnten, was ihnen helfen konnte. Aber ein junger gesunder Mensch hatte wohl andere Vorstellungen vom Leben. Daniel konnte sich ja auch noch nicht entschließen, hier zu leben, aber da ging es ja vor allem auch um die Kinder, die die beste Schulbildung haben sollten. Es ging auch um seine Praxis, seine Patienten, die ihm soviel bedeuteten.

Anne war hier bereits genauso verwurzelt wie ihr Mann, aber für sie war ja die Insel und mit ihr Hannes Cornelius einmal die Rettung in höchster Not gewesen. Sie wollte gar nicht mehr anderswo leben.

Mona sah sich alles genau an. Sie meinte auch, daß hier alles vorhanden war, was zur Genesung und zum inneren Frieden nötig war.

»Beneidenswert, wenn man seinem Beruf in dieser Umgebung nachgehen kann«, sagte sie.

»Aber komm du bitte nicht auf den Gedanken, dich bei Dr. Cornelius zu bewerben«, sagte Philipp. »Du weißt, was wir planen, und auf die lange Bank wird es nicht geschoben.«

Michelle schlief bereits in einem breiten Bett, das in einem behaglichen Raum stand, der von den herrlichen Düften, die die vielfältigen Pflanzen auf der Insel verströmten, erfüllt war.

Mona und Philipp verabschiedeten sich. Sie wußten Michelle in den besten Händen. Sie fuhren heim. Es gab manches zu erledigen. Jean Claude würde es übernehmen, Michelle von Carlos Dorants Tod zu unterrichten.

Es war vielleicht besser so, wenn das ein Außenstehender tat, der ohne Aggressionen war.

Sie konnten nicht ahnen, wieviel Michelle dem jungen Arzt schon bedeutete, wie sehr er sich ihr bereits verbunden fühlte.

Jean Claude schaute nach Michelle. Sie schlief ganz ruhig. Ihr Gesicht war entspannt, es war nicht mehr so blaß und der Mund war weich und schien zu lächeln.

Er ging wieder zu den Cornelius’, denn es gab noch manches zu besprechen. Er wollte Anne fragen, ob sie bereit sei, die Einreibungen bei Michelle zu übernehmen.

»Gern, aber warum tun Sie es nicht selbst?« fragte sie.

Er wurde sehr verlegen. »Ich glaube nicht, daß es Michelle recht wäre.« Anne warf ihrem Mann einen vielsagenden Blick zu, der bedeutete, daß sie mal wieder recht hatte. Jean Claude sah in Michelle nicht nur die Patientin.

»Ich bin sehr froh, daß Sie meine Methode nicht belächeln«, lenkte Jean Claude schnell ab.

»Damit würden wir uns ja selbst auch belächeln«, meinte Hannes Cornelius. »Unsere Heilmethoden entsprechen auch nicht immer den überlieferten Vorstellungen, und unsere Tees werden nach uralten Rezepten hergestellt. Und dann haben wir ja auch noch unsere Quelle. Die Quelle der Liebe wurde sie getauft. Wenn Sie sich Zeit nehmen wollen, die Chronik zu lesen, werden Sie manches finden, was Spötter als Hokuspokus bezeichnen und was doch oft Wunder vollbracht hat. Manchmal konnten wir es selbst nicht glauben, was wir erleben durften, wie zum Beispiel bei unserer Katja, die so lange an den Rollstuhl gefesselt war und eines Tages doch aufstand und gehen konnte, geheilt von der Macht der Liebe.«

»Und durch deine Therapie, Hannes, das wollen wir nicht vergessen.«

»Ich schöpfe doch auch jeden Tag aus den Kräften der Natur, die uns so viele Möglichkeiten bietet, wenn wir sie richtig zu nutzen verstehen. Und in Verbindung mit unserer Schulmedizin können wir dadurch manches möglich machen, was unmöglich schien. Daß Obstessig eine große Wirkung haben kann, weiß ich auch, aber was ist das für eine Essenz?«

»Das verrät meine Großmutter nicht. Sie ist besorgt, daß es in die falschen Hände gelangen und vermarktet werden könnte, nicht mit der gleichen Sorgfalt hergestellt und auch nicht mehr so wirkungsvoll. Und es hat sich ja auch immer erwiesen, daß Geschäftemacherei viel zerstört.«

»So steht es auch in unserer Chronik«, sagte Hannes. »Als der fürstliche Herr von der Heilkraft der Quelle erfuhr, wollte er für jeden Becher Geld, und da versiegte die Quelle. Erst unser Sohn Mario hat sie wieder entdeckt. Wir passen auf, daß sich niemand durch sie bereichert. Sie wird nur unseren Patienten verabreicht.«

»Ab und zu trinken wir aber auch mal ein Schlückchen«, sagte Anne lächelnd. »Und wenn man in einer Vollmondnacht um Mitternacht zu der Quelle geht und sich etwas wünscht, was nicht mit Geld und Gut zu tun hat, geht es in Erfüllung.«

»Dafür gibt es Beweise«, warf Hannes ein. »Und so mancher hat auf der Insel sein Lebensglück gefunden.«

»Sie hat ihren ganz besonderen Zauber«, sagte Jean Claude gedankenvoll. »Ich dachte nicht, daß es in dieser lauten Welt noch so etwas gibt.«

»Es freut uns, daß Sie sich wohl fühlen«, sagte Anne.

»Ich glaube fest daran, daß es auch Michelle guttun wird. Sie wäre jetzt doch frei, da ihr Mann nicht mehr lebt.«

Es war ihm nicht bewußt, welche Betonung er in diese Worte gelegt hatte. Anne sah wieder zu ihrem Mann hinüber.

»Darf ich mal an der Essenz schnuppern?« lenkte Hannes ab.

»Natürlich dürfen Sie. Ich habe oft geschnuppert, aber ich bin nicht dahintergekommen, und da jeder Tropfen für mich kostbar ist, wollte ich auch nicht einen Teil analysieren. Und selbst dann, wenn man die einzelnen Kräuter und Gewürze auseinanderdividieren kann, so weiß man dann doch nicht, wie viele Teile von jedem verwendet wurden. Das ist wohl das wahre Geheimnis.«

»Und wenn sie nun alles für Michelle verwenden, wird Ihre Groß­mutter Ihnen Nachschub geben?« fragte Hannes.

»Vielleicht, wenn ich ihr sage, daß sie einem Menschen, der mir sehr viel bedeutet, das Leben gerettet hat.«

»Man könnte noch mehr Menschen damit retten«, meinte Hannes. Jean Claude nickte.

»Aber Sie wissen sicher auch, wie eigensinnig alte Menschen sein können. Meine Großmutter hat ganz bestimmte Vorstellungen. Sie meint, daß es nicht jeder verdient, gerettet zu werden.«

»Eine Weisheit, der ich nicht widersprechen kann«, sagte Hannes, »aber wie man im Fall Dorant sieht, hat ein höherer Wille das letzte Wort, obwohl man bestimmt alles versucht hat, um sein Leben zu erhalten.« Sie wußten noch nicht, daß Carlos es durch seinen Leichtsinn selbst beendet hatte. Sie erfuhren es erst ein paar Tage später, als Dr. Norden den Bericht von Dorants behandelndem Arzt bekommen hatte.

*

Jean Claude brachte es Michelle mit aller Vorsicht bei, wußte er doch nicht genau, wie sie wohl reagieren würde. Sie sah ihn ungläubig an.

»Er ist tot, er ist wirklich tot?« murmelte sie. »Wie kam das so plötzlich?«

Jean Claude konnte ihr nur sagen, was er selbst wußte. »Ich denke, er sollte eingeäschert werden«, sagte sie. »Ich müßte mich wohl darum kümmern.«

»Das macht Ihr Bruder, Michelle. Was empfinden Sie?«

»Ich brauche mich nicht mehr mit ihm auseinanderzusetzen. Wissen Sie, was das für mich bedeutet? Es ist nur seltsam, daß er tot ist und daß ich keine Angst haben muß, daß er noch öfter meinen Weg kreuzt. Dabei wollte er mich doch überleben.«

»Wegen der Lebensversicherung. Er sagte, daß er sie abgeschlossen hätte, damit ich abgesichert bin, aber ich hatte doch sowieso genug Geld.«

»Sie hatten Gütertrennung?«

»Nein, wir waren ja nur kurz verheiratet, und unsere Heirat war wirklich sehr überstürzt. Aber er verdiente ja sehr gut. Ich habe nichts Gegenteiliges erfahren. Ich habe mich nur gewundert, daß er so schnell eine Lebensversicherung abschloß und gleich auf zwei Millionen. Aber er konnte sich schließlich nicht als Alleinbegünstigter einsetzen lassen, also wurde sie auf Gegenseitigkeit abgeschlossen. Dadurch erfuhr ich erst davon, weil ich ja mitunterschreiben mußte. Ich habe mir aber nichts weiter gedacht. Erst später ging mir so manches durch den Sinn. Wie kann man nur so töricht sein! Ich kann es nicht begreifen. Es will nicht in meinen Kopf.«

»Sie sollten einfach einen Schlußstrich ziehen, Michelle.«

Sie sah ihn forschend an. »Was denken Sie denn eigentlich über mich?«

»Daß Sie sehr liebenswert sind. Und würden Sie mir die Freude machen, nicht immer Herr Doktor zu sagen?«

»Was denn?« fragte sie, und ein Blitzen war in ihren Augen.

»Ich heiße Jean Claude, aber Claude würde zum Beispiel genügen. Es wäre schön, wenn wir Freunde werden könnten.«

»Sind wir das nicht schon? Sie haben sehr viel für mich getan.«

»Noch lange nicht genug.«

»Ich fühle mich aber schon sehr viel besser. Ich möchte aufstehen und spazierengehen.«

»Es ist noch ein bißchen zu früh. In ein paar Tagen vielleicht.«

»Bestimmt«, sagte sie mit Nachdruck.

Sie betrachtete ihn, als er ihren Blutdruck kontrollierte und ihren Puls fühlte.

»Was ist das eigentlich für ein Wundermittel, mit dem ich eingerieben werde? Ich fühle mich immer ganz leicht, als würde ich schweben.«

»Wenn es nur wirkt.« Er erzählte von seiner Großmutter, die im Elsaß in ihren Weinbergen lebte. Achtzig Jahre war sie schon.

»Hat sie Zauberkräfte?« fragte Michelle. »Manche Menschen können mit Magnetismus heilen. Wenn Sie mich berühren, ist es mir jedenfalls so, als…, ich weiß nicht, wie ich es erklären soll. Jedenfalls ist es ein gutes Gefühl. Ich fühle mich geborgen. Das darf ich doch sagen?«

»Es macht mich glücklich, Michelle.« Ganz weich und zärtlich klang seine Stimme, und ihre Augen wurden feucht.

»Werde ich wieder gesund, Claude, oder mache ich mir nur falsche Hoffnungen?« flüsterte sie.

»Sie werden es schaffen, ich weiß es.«

»Und Sie geben mir die Kraft dazu.«

Er drückte ihre Hand an seine Wange und dann an seine Lippen.

»Und was bedeutet Ihnen Mick?« fragte er.

»Er ist ein guter Freund, und das bleibt er auch. Und ich hoffe, daß er sein Herz für Jenna entdeckt. Sie passen so gut zueinander.«

*

Das hatte Mick auch schon festgestellt. Jenna ging zwar sehr auf ihn ein, aber sie hatte auch ihre eigenen Meinungen. Außerdem war sie sehr tüchtig und unermüdlich.

»Wir geben ein gutes Gespann ab«, sagte er bereits am dritten Tag.

»Es würde mich freuen, wenn Sie mit mir zufrieden sind.«

»Mehr als das, ich hoffe, Sie bleiben mir erhalten.«

Und so kamen sie sich auch immer näher, wie auch Michelle und Jean Claude. Hannes und Anne Cornelius sahen mit großer Freude, welche Fortschritte Michelle bald machte. Was Daniel Norden nicht für möglich gehalten hatte, war eingetreten, ihr Zustand besserte sich zusehends. Die neuen Blutbefunde bestätigten es.

»Und alles ist dem Obstessig zu verdanken«, sagte Daniel zu Fee.

»Und der Liebe«, meinte sie lächelnd.

»Was meinst du damit?«

»Daß Anne es gleich gemerkt hat, Duforet hat sein Herz an Michelle verloren.«

»Ein neues Leben und ein neues Glück für Michelle, wer hätte das gedacht.«

»Neues Glück ist gut gesagt, mit der ersten Heirat hatte sie doch nur Pech. Nichts als Schulden hat Dorant hinterlassen, hat mir Mona erzählt. Philipp hat sie gleich beglichen, daß darüber nicht geredet wird. Allerdings wird nun die Lebensversicherung an Michelle ausgezahlt werden.«

»Wahrscheinlich sind die Prämien auch von ihrem Geld bezahlt worden«, meinte Daniel gleichmütig. »Ob er wußte, wie krank Michelle ist?«

»Wahrscheinlich hat er sie krank gemacht, aber das ist nun vorbei. Es wendet sich alles zum Guten für Michelle. Mona meint, daß sie nun bald heiraten können.«

»Wer?« fragte Daniel.

»Mona und Philipp, diese Hochzeit ist doch schon überfällig.«

»Und wenn Michelle mitfeiern kann, wird es ein großes Fest. Kannst du dir vorstellen, wie froh ich bin?«

»Ja, das kann ich, und ich brenne darauf, den Wunderknaben Duforet kennenzulernen, der das fertiggebracht hat.«

Daniel interessierte sich noch mehr für das Wundermittel, das eigentlich gar keines war, sondern nur eine segensreiche Mischung aus Kräutern, die in Verbindung mit dem Obstessig eine belebende Wirkung hatte, die die Hautatmung anregte und den Sauerstoff im Blut belebte.

Bald konnte Michelle immer längere Spaziergänge machen, und natürlich war Jean Claude immer an ihrer Seite. Es war eigentlich auch ganz selbstverständlich, daß er sie stützte und den Arm um sie legte, daß ihre Köpfe sich zueinander neigten und sie sich immer näher kamen, beglückend und vertrauensvoll. Ganz andere Gefühle erwachten da in Michelle, die erst nun langsam begriff, was Liebe bedeutete, was sie geben konnte. Das bedurfte keiner großen Worte und Versprechungen, denn darin war Carlos ganz groß gewesen, aber an ihm war wohl nichts echt gewesen.

Große Nachrufe auf ihn hatte es nicht gegeben, in manchen Zeitungen nur eine Fußnote, daß der Schauspieler Carlos Dorant plötzlich verstorben sei. Michelle wurde nicht erwähnt. Wahrscheinlich hatte man diese Heirat gar nicht zur Kenntnis genommen.

Zur Kenntnis genommen wurde aber die Hochzeit von Philipp Laurentis und Mona Holsten. Über diese wurde schon gesprochen, als das Aufgebot bestellt wurde. Und während der drei Wochen des Wartens sollte Michelle völlig genesen.

Von Tag zu Tag ging es ihr besser, sie blühte förmlich auf. Als Anne Cornelius Geburtstag hatte, tanzte sie sogar schon mit Claude und auch mit Hannes Cornelius Walzer. Und da wurde zum ersten Mal darüber gesprochen, daß Claude sehr gern als Partner von Hannes auf der Insel willkommen sei.

Zum »du« hatten Claude und Michelle inzwischen auch gefunden, aber für sie kam das Angebot von Dr. Cornelius überraschend.

»Möchtest du das, Claude?« fragte sie leise.

»Es wäre eine schöne Aufgabe für mich. Eigentlich habe ich von solcher immer geträumt.«

»Dann muß ich ja wohl ewig Patientin bleiben, damit ich in deiner Nähe bleiben kann«, sagte sie.

»Willst du denn, daß wir zusammenbleiben?« fragte er.

»Ich würde dich sehr vermissen, und ich weiß auch gar nicht mehr, ob ich mich in einer Stadt wohl fühlen würde. Ab und zu einmal vielleicht, aber doch nicht ständig.«

»Und wenn du nun als meine Frau bleiben würdest, nicht als Patientin?« fragte er stockend.

»Als deine Frau«, wiederholte sie bebend.

»Ich liebe dich, Michelle, ich möchte auch, daß wir immer zusammenbleiben. Ich weiß nicht, wie ich ohne dich glücklich sein könnte.«

»Du weißt nun ziemlich alles von mir und willst mich doch als Frau haben?«

»Ich sehe nicht den kleinsten Hinderungsgrund. Ein Umweg bedeutet doch nichts, wenn man aus dem Schatten ins Licht geht.«

»Das hast du schön gesagt«, flüsterte sie, dann legte sie die Arme um seinen Hals und küßte ihn.

»Was ich für dich empfinde, ist Liebe, das weiß ich jetzt. Mein ganzes Herz gehört dir, Claude.«

Und da küßte er sie lange und voller Zärtlichkeit. Dann gingen sie eng umschlungen zu Hannes und Anne Cornelius.

»Wir bleiben«, sagte Claude, »das heißt, wenn für uns beide Platz ist.«

»Etwas Besseres kann uns nicht passieren«, freute sich Anne, und Hannes nahm beide gleich in die Arme. »Da wird mein Schwiegersohn aber staunen«, sagte er strahlend.

Und wie Fee und Daniel staunten! »Endlich hat Paps den richtigen Partner gefunden«, sagte Fee.

»Hoffentlich wird es Michelle nicht bald zu langweilig«, meinte Daniel skeptisch. »Sie ist doch ein anderes Leben gewohnt.«

»Ich glaube nicht, daß sie sich danach zurücksehnt, nach allem, was sie mitgemacht hat. Aber wir werden ja mit ihnen sprechen können, wenn sie zur Hochzeit von Mona und Philipp kommen. Für Michelle ist es natürlich wunderschön, daß sie einen solchen Mann gefunden hat. Mona hält große Stücke auf ihn, und wie wir sehen, Paps auch. Das will was heißen.«

Und sie konnten sich überzeugen, daß sich da zwei Menschen gefunden hatten, die füreinander geschaffen waren. Für Mona und Philipp war es das schönste Hochzeitsgeschenk, in Michelles glückstrahlende Augen blicken zu können. Und auch Mick konnte das ohne Wehmut, denn an seiner Seite war Jenna, selbstbewußt und attraktiv. Überglücklich umarmte sie Michelle. Sie brauchten nicht viel zu sagen, sie wußten, wie sehr sie sich zugetan waren und wie sehr jede der anderen alles Glück wünschte.

»Du hast tatsächlich die richtige Frau für mich ausgesucht, Michelle«, sagte Mick mit einem verschmitzten Lächeln.

»Und wann werdet Ihr heiraten?« fragte sie.

»Wir lassen es ganz langsam angehen. Wir werden in der nächsten Zeit sehr viel unterwegs sein.«

»Aber zu unserer Hochzeit werdet ihr doch kommen? Sie wird auf der Insel der Hoffnung gefeiert.«

»Das lassen wir uns nicht nehmen«, versprach er, »sonst wird mir Jenna womöglich untreu.«

Doch nun gaben sich erst einmal Mona und Philipp ihr Jawort, und während sie die Ringe tauschten, blickten sich Michelle und Claude tief in die Augen. Er hielt sie fest in seinem Arm, und auch Jenna und Mick hatten ihre Hände ineinander verschlungen.

»Du siehst sehr zufrieden aus, mein Schatz«, sagte Daniel zu Fee.

»Das können wir doch auch sein. Schließlich profitiert die Insel auch von diesem Glück. Und wir können daran teilnehmen. Das war uns bisher noch nicht vergönnt.«

»Soll das bedeuten, daß wir jetzt noch öfter hinfahren werden?« fragte er.

»Aber sicher soll es das. Schließlich gehören sie ja jetzt auch zur Familie. Für Paps und Anne ist es eine ganz große Freude.«

Dr. Norden Extra Box 2 – Arztroman

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