Читать книгу Don Juans Frau - Paul Oskar Höcker - Страница 4
ОглавлениеAls Felix nach Mitternacht das Auto verliess und durch den Vorgarten schritt, sah er im Flurfenster neben Kordulas Schlafzimmer Licht. Sie hatte ihn also erwartet, obgleich ihr das streng verboten war.
„Nur heute einmal, ausnahmsweile — ich tu’s so bald nicht wieder!“ sagte sie bittend, wie ein ängstliches Kind, als sie von dem Marmorsäulengang her zur breiten Treppe kam.
Er war stehengeblieben. „Erst dacht’ ich: Ein Gespenst. Dann: Das gibt bombensicher einen Schnupfen. Aber wenn du so den Kopf senkst, dann bist du’s doch wieder: ganz so wie damals immer, wenn du zur Sitzung kamst.“
Sie umarmte ihn. „Ach, Felix —!“
Er kam noch mit in ihr Zimmer, in dem sie meist abends bei ihren kunstvollen Handarbeiten oder ihren italienischen Kunststudien sass. Aber ablegen wollte er nicht; sie musste jetzt doch schleunigst zu Bett.
Prüfend sah er sie an. Ihr feines Profil, ihr charakteristischer Haaransatz, die kluge Stirn waren ihm damals erst nach zahlreichen Sitzungen gelungen. „Weisst du, was das Schwerste war? Dein Mund. Das Lächeln um ihn herum. Es liegt ein bisschen Schmerz in dem Lächeln. Oder Wehmut. Ich war oft ganz verzweifelt unzufrieden mit meiner Arbeit. Aber ich konnte doch nicht zu dir sagen: Bitte, lächeln Sie wieder schmerzlich, gnädiges Fräulein!“
„Mammi fand die erste Fassung am ähnlichsten. Aber du warst ja so trotzig, du Schlingel, und hast richtig an dem Entwurf festgehalten, den sonst niemand mochte — nur ich.“
„Ja, du hast mich tatsächlich verstanden, Kordula.“ Er hielt ihren Kopf zwischen beiden Händen und sah ihr in die dunkelblauen Augen. „Bist ein feiner Kerl, Kordula! Ja. Gerade, wenn du so schmerzlich lächelst.“ Er küsste sie auf die Nase und stülpte sich quer den Hut auf. „Entschuldige, Kind, ich bin leider gar nicht betrunken. Es packt mich nur manchmal so. Ich fehle dir oft — ich weiss es, Kordula. Du fehlst mir natürlich auch.“
Er duldete nicht, dass sie noch mit aus den Gang hinauskam. Von draussen steckte er noch einmal den Kopf herein und sagte: „Manchmal find’ ich’s vom Schicksal sehr gemein, mindestens unpraktisch, dass es dir nicht erlaubt, die schrecklich leere Wartezeit jetzt mit einer ähnlichen neuen Hoffnung auszufüllen, wie sie mich im Labor quält. Nein, nicht mehr reden! Sonst denke ich wieder die ganze Nacht an all den Unsinn!“
Einzelheiten aus dem Tagesleben vergass er immer wieder ihr mitzuteilen. Im Atelier, im Laboratorium, im Direktionsbüro der Optischen Anstalt arbeitete er ja unermüdlich. Aber es gab daneben auch ganz lustige Stunden. Seine bedeutend ältere Schwester, die darüber von Edu wohl etwas unvorsichtige Andeutungen hörte, füllte ihr oft genug damit die Ohren. Sie wunderte sich, dass Kordula nicht vor Eifersucht verging.
Für viele galt Felix Haddendahl als echter, rechter Don Juan. Dabei war er äusserlich durchaus keine auf den ersten Blick anziehende Künstlererscheinung. Er war sportgeübt, wendig, fast hager; winters und sommers sah man ihn tagsüber in der Fabrik oder in der Werkstatt — oft auch im Grunewald, wenn er Geländeübungen anstellte — in einem Trainingsanzug, aus dem sein schmaler, kluger Kopf mit den wenig bewimperten hellgrauen Augen und dem ganz kurz geschorenen rötlichen Haar wie nackt auftauchte. Ein spöttischer Zug lag um seinen Mund und gab seinem jungen Gesicht etwas Überlegenes, wenn nicht Herausforderndes oder Abwehrendes. Dass er trotzdem in seiner akademischen Studienzeit viele Herzen geknickt hatte, war bekannt. Die Mädchen, die Frauen liefen ihm nach. Sein Reichtum, sein rascher künstlerischer Aufstieg, das Unglück seiner jungen Frau, die fast nie mehr an seiner Seite zu sehen war, jetzt das grosse Aufsehen, das seine Erfindung nicht nur in Fachkreisen erregte, machten ihn immer wieder zum Tagesgespräch.
Kordula lachte darüber, dass manche in ihm einen eleganten und verwöhnten Salonhelden vermuteten. Für sie war er weit mehr. Er war ein ganz eigener, dabei innerlich wertvoller Mensch.
Es konnte vorkommen, dass irgendeine Bekannte ihr am Fernsprecher den neuesten Klatsch zutrug. Zuckersüss, dabei doch offenbar in der Absicht, sie eifersüchtig zu machen. Frau von Y. sei vorige Woche mit ihm auf einer Autofahrt in Schloss Saarow gesehen worden. Und Fräulein Fritzi, seine Privatsekretärin, habe sich nun plötzlich eine eigene Wohnung am Botanischen Garten eingerichtet.
Kordula besass nicht die Gabe, aus Lust an Sensationen oder Skandälchen hinter ihrem Manne herzuspionieren. Aber das sah sie ihm an, seinem Augenblitzen, seiner ganzen reizvoll jungen Art, wenn er mit den künstlerischen Fortschritten seiner Arbeit zufrieden war. In seiner sprunghaft-lebendigen Redeweise sprach er dann über scheinbar Fernliegendes, das er ihr näherbringen wollte, weil es irgendwie zusammenhing mit gemeinsam Erlebtem. Als Verlobte und Jungverheiratete waren sie aufrichtig verbundene Kampfgenossen gewesen.
Über seine Erfindung redete sie heute früh, weil sie glaubte, es freue ihn, dass auch der Assistenzarzt aus dem Aufsatz in der „Technischen Rundschau“ Bescheid darüber gewusst hatte.
„Bedeutung wie das Lichtbild?“ Da musste er doch lachen. Er ging in seiner immer etwas eilenden Art an der Dreifensterreihe des Vitrinensaals, in dem sie stehengeblieben war, hin und her. „Ja, wenn es darauf ankommt, rasch den Kopf oder die Hand oder den Fuss eines plötzlich bekanntgewordenen lebenden Wesens plastisch wiederzugeben, etwa eines Staatsmannes, einer Tänzerin, eines Renners, eines Sportgenies, eines flüchtigen Verbrechers, einen preisgekrönten Schosshund, oder auch das kleine Modell eines grossen Kunstwerks, einer neuen Maschine. Ich kenne die Grenzen selbst noch nicht. In ein paar Jahren ärgere ich mich vielleicht über die ganze verdammte Mühe, die ich mir damit gegeben habe. Zum Glück passt Schwager Edu mit Argusaugen auf, dass uns die Versuchsabteilung nicht etwa zu kostspielig wird. Ich bin lange nicht töricht genug, um mich ihm zu widersetzen, falls er mir eines Tages ein beschwörendes Halt zurufen sollte. Leid täte mir’s dann nur um die verlorene Zeit.“
Er war neben sie getreten. Sie standen nun am grossen Tiergartenfenster. Kordula spielte mit seiner nervösen Hand, die auf ihrer Schulter lag.
„Deine Zeit ist nie verloren, Felix“, sagte sie. „Wer so mit sich selber ringt wie du, der schreitet vorwärts. Auch wenn es ein Zahlenmensch wie Edu, ein Schrittmesser oder Zeitmesser, nicht mit Ziffern aufzeichnen kann.“
„Du willst wieder Geigenunterricht nehmen?“ fragte er plötzlich. Er wusste selbst nicht, wie er darauf kam.
Sie nickte fast erschrocken oder schuldbewusst. Dann gestand sie: „Ich hatte neulich die alten Violinstücke von Vivaldi wieder vor. Du, es war unerträglich! Vor zwei Jahren gingen sie schon so sicher. Zuerst wollte ich also die Geige dafür verantwortlich machen, aber dann habe ich Artur Kern angerufen, den Professor, und ihn gefragt, ob er mir wöchentlich zwei halbe Stunden Unterricht geben könne. Kern ist so streng, dass ich schon aus Angst vor ihm wieder fleissig üben werde.“
„Und er schwärmt doch noch immer für dich.“
„Meinst du?“
„Unbedingt!“
Er blieb nun noch etwas länger als geplant bei ihr, obgleich der Wagen schon unten stand, und gab ein sprühendes Feuerwerk zum besten, hauptsächlich auf Artur Kerns Kosten, den er als Geiger zwar schätzte, als Weltmann aber äusserst spassig fand.
„Soll ich lieber einen ändern — ?“ fragte sie zögernd.
Er lachte. „Weil ich eifersüchtig werden könnte? Nein, Kordula, ich freue mich! Arbeit ist der schönste Zeitvertreib. Selbst Tonleitern!“ Er nickte ihr zu und ging.