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III

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Die hier folgenden kleinen Erlebnisse haben sich nicht wie die andern an dieser Stelle geschilderten in meiner unmittelbaren Nachbarschaft zugetragen. Sie sind aber gleichwohl völlig verbürgt, und auch die Personen, denen sie widerfahren sind, sind so einwandfrei, dass ich nicht anstehen möchte, mich für die Tatsächlichkeit der Vorgänge einzusetzen.

Ein englischer Gesandter, den ich hier Lord L. nennen will, wachte eines Nachts von einem Geräusch auf, das aus dem Garten des Gesandtschaftshotels zu kommen schien. Er stand auf und trat ans Fenster. Helles Mondlicht lag über den Bosketten; aber niemand war zu sehen. Er glaubte schon, sich verhört zu haben, als er plötzlich Schritte vernahm. Und nun erkannte er einen Mann, der den Kiesweg entlang auf das Haus zugeschritten kam. Einen Mann, der eine Last auf dem Rücken trug.

Das Mondlicht fiel dem Fremden ins Gesicht, so dass der Gesandte seine Züge deutlich erkennen konnte. Es war ein junger Mann mit einem fahlen, ziemlich eingefallenen Gesicht. Rötliches Haar lugte unter der Schirmmütze hervor; das Auffallendste an ihm waren seine grossen, sehr breiten Hände, mit denen er den Gegenstand auf dem Rücken umklammert hielt. Über dem linken Auge hatte er eine Narbe.

Lord L. glaubte einen Moment an ein Liebesabenteuer des Dienstpersonals. Eben hatte der Mann sich dem Hause so weit genähert, dass der Gesandte den Gegenstand erkennen konnte, den jener auf dem Rücken trug. Zu seinem Erstaunen war es ein Sarg.

Lord L. beugte sich zum Fenster hinaus und rief den Betreffenden an; jener blickte flüchtig hinauf, ging aber dann, als ob nichts geschehen wäre, ins Haus.

Der Gesandte überlegte einen Augenblick, ob er den merkwürdigen Besucher hinaufrufen solle; dann aber verschob er diese Absicht bis auf den nächsten Morgen.

Am andern Morgen erhielt er zu seinem Erstaunen die Auskunft, dass kein Besuch in dieser Nacht das Haus betreten habe. Auch sei kein Todesfall vorgekommen, und von einem Sargtransport könne füglich nicht die Rede sein.

Der Gesandte musste wohl oder übel an eine Traumerscheinung glauben. Allmählich vergass er das Erlebnis. Später wurde er versetzt, und zwar nach Paris.

Hier in Paris wohnte er einer diplomatischen Festlichkeit bei, die in einem grossen Hotel stattfand. Es war an einem Dienstag abend, kurz nach 12 Uhr, als er an der Seite einer Dame zum Fahrstuhl ging, um in die erste Etage zu fahren. Die Lifttür öffnete sich; der Fahrstuhlführer liess die Dame zuerst eintreten und blickte erwartungsvoll dem Gesandten entgegen, als dieser einen Blick in sein Gesicht warf und zurückfuhr ...

Er erkannte in dem Fahrstuhlführer den Mann, der in jener Mondscheinnacht vor vielen Jahren, einen Sarg auf dem Rücken, ins Gesandtschaftshotel gegangen war: das rote Haar, die Narbe, die grossen, fleischigen Hände.

Wie alle Engländer abergläubischen Regungen nicht unzugänglich, trat er zurück und bat auch die Dame, nicht einzusteigen. Aber schon setzte sich der Lift in Bewegung.

Lord L. ging zur Treppe, als plötzlich ein furchtbarer Aufschrei aus dem Innern des Fahrstuhlschachtes kam, dem ein donnerähnliches Krachen folgte. Alles lief zum Lift. Man riss die Türen auf. Das Seil des Fahrstuhles war gerissen. Beide Insassen waren tot.

Die Tochter des deutschen Botschafters Fürst von Radolin, die Gräfin Moy, verbürgt sich für das nachfolgende Erlebnis, das der Oberhofmeisterin der Grossfürstin Wladimir (geborene Herzogin von Mecklenburg), einer Frau v. Peters, in Cannes widerfahren ist:

Frau v. Peters wohnte mit der Grossfürstin in einem alten Hause, das dem Herzog von Orléans gehörte. Die Grossfürstin wohnte im ersten Stock, neben ihrem Zimmer lag das Schlafzimmer ihrer kleinen Tochter Helene, die später übrigens Prinzessin von Griechenland wurde. In einem grossen Raum zur Rechten, der unbenutzt war, standen schwere Möbel aufgespeichert; eine Tür verband dieses Zimmer mit den Appartements der Grossfürstin. Die Tür war verschlossen.

Frau v. Peters, die mit dem Gefolge das Parterre bewohnte, wurde eines Tages von der Grossfürstin über den merkwürdigen Lärm zur Rede gestellt, der Nacht für Nacht durch das Haus ging. Die Oberhofmeisterin verwahrte sich gegen die Vermutung, dass sie etwa die Anstifterin oder die Dulderin dieser Geräusche sei. Um der Sache auf den Grund zu gehen, benutzte die Oberhofmeisterin eine kleine Reise der Grossfürstin, für einige Tage in den ersten Stock zu ziehen. Die kleine Prinzessin wurde in ihrem Schlafzimmer von der Nurse bewacht.

Eines abends nun, in der Zeit zwischen 10 und 12 Uhr, erwachte Frau v. Peters von einem heftigen Geräusch. Es klang genau so, als ob nebenan in dem unbenutzten Zimmer die Möbel gerückt würden. Sie öffnete die Tür — Alles war still. Befremdet legte sie sich wieder schlafen — der Lärm setzte von neuem ein. Diesmal noch stärker; aber er schien jetzt von der anderen Seite zu kommen. Frau v. Peters legte die Hand auf die Klinke der Tür, die zum Kinderzimmer führte; die Tür war verschlossen. Die Oberhofmeisterin, von einem seltsamen Gefühl beunruhigt, beugte sich nieder, um durchs Schlüsselloch zu spähen. Da bemerkte sie, dass aus dem Zimmer der Prinzessin gelblicher Lichtschein kam: so als ob nebenan mehrere Kerzen brannten. Sie schloss auf und betrat das Kinderzimmer. Ihr erster Blick fiel auf die Nurse, eine junge Engländerin. Sie sass mit weit aufgerissenen Augen in einem Sessel und starrte mit dem Ausdruck des Entsetzens der Oberhofmeisterin entgegen.

„Was ist das für ein Geräusch, Miss Gray?“

Die Engländerin stammelte: „Wenn Sie sehen wollen, was es ist, so löschen Sie Ihre Kerze aus.“ Frau v. Peters blickte der Erregten ins Gesicht; sie sah, dass ihre Zähne vor Entsetzen aufeinanderschlugen.

„Haben Sie diesen Lärm schon mehrfach erlebt?“

„Jede Nacht“, sagte die Engländerin. „Jede Nacht wiederholt er sich. Ich werde wahnsinnig in diesem Hause. Bitte löschen Sie das Licht.“

Die Oberhofmeisterin tat es. Und zu ihrem Entsetzen erblickte sie einen gespenstischen Zug von mittelalterlich gekleideten Gestalten in Zwergengrösse. Sie trugen Fackeln in den Händen und bewegten sich feierlich und ernsthaft um das Bett des Kindes, das übrigens ruhig schlief. Die Erscheinungen waren so deutlich, dass Frau v. Peters die Gesichtszüge der einzelnen genau unterscheiden konnte. Und, seltsam, die beiden ersten Gestalten waren geköpft. Gleichwohl machte die Prozession den Eindruck eines Hochzeitszuges. Frau v. Peters zündete die Kerze wieder an; der Spuk verschwand augenblicklich. Sie löschte sie abermals; der Zug war wieder da.

Man weckte die Hausbesorgerin. Die erklärte, allen Bewohnern des Schlosses sei dieser Spuk seit Jahren bekannt. Man forschte nach der Geschichte dieses Hauses und erfuhr, dass vor langer Zeit hier ein Herzog von Orléans überfallen und getötet und das Brautpaar enthauptet worden sei.

Die Gräfin Moy vermochte diese merkwürdige Geschichte, obwohl sie Frau v. Peters als eine wahrheitsliebende Dame kannte, dennoch nicht zu glauben. Sie wandte sich darum eines Tages direkt an die Grossfürstin. Zu ihrer Überraschung bestätigte diese jedes Wort ihrer Oberhofmeisterin: auch sie hatte den Spuk gesehen und den Lärm gehört. Ebenso wurde er ihr von einem Mitglied des Hauses Orléans bestätigt.

Vor etwa einem halben Jahre erschien bei einem Pfarrer in einer schottischen Kleinstadt eine Dame. Herr Y. sei krank und sehne sich nach geistlichem Zuspruch. Sie habe ihren Wagen draussen stehen; der Pfarrer würde ein gutes Werk tun, wenn er sofort mitkäme. Er kam der Bitte nach. Die Dame kutschierte ihn an die Peripherie der Stadt und bat ihn, in jenes Häuschen zu gehen. Der Name des Herrn Y. stand an der Gartentür.

Ein Herr kam dem Pfarrer entgegen und fragte nach seinem Begehr.

„Herr Y. verlangt nach mir. Bitte führen Sie mich an sein Krankenbett.“

Der Herr schüttelte den Kopf: „Aber ich selbst bin Herr Y.; ich fühle mich wohl und munter.“

Der Parrer zuckte verständnislos die Achseln.

„Wer hat Sie denn hierher geschickt, Reverend?“

„Eine Dame. Warten Sie einmal, sie muss mit dem Wagen draussen halten.“

Die beiden gingen ans Fenster. Weder Wagen noch Dame waren zu sehen.

Nun waren beide Männer überzeugt, einem üblen Scherz zum Opfer gefallen zu sein. Der Pfarrer entschuldigte sich und ging heim.

Am nächsten Morgen wurde er von dem Mädchen des Herrn Y. aus dem Schlaf geklingelt. Die Schluchzende berichtete in stammelnder Eile, ihr Herr sei in dieser Nacht am Schlag verschieden.

Durch diese merkwürdige Prophezeiung — denn eine solche lag zweifellos vor — beunruhigt, fuhr der Pfarrer mit dem Mädchen in die Wohnung des Verstorbenen. Sein erster Blick fiel auf ein Bild, das über dem Bett des Toten hing. Zu seiner Überraschung erkannte er die Dame, die ihn gestern mit ihrem Wagen abgeholt hatte.

„Wer ist diese Frau?“ erkundigte er sich. Und das Mädchen antwortete: „Das ist die Frau des Herrn Y. Sie ist vor drei Jahren gestorben.“

Am 24. Oktober 1850 schrieb Justinus Kerner an A. Schurz, Lenaus Schwager und Biographen:

„Wie locker und leicht beweglich Lenaus Nervengeist war — was bei dem Somnambulen zum zweiten Gesicht, zum Sichselbstsehen, zum Aussichheraustreten Veranlassung gibt und was auch bei Goethe und vorzüglich bei Lord Byron der Fall war —, beweist folgendes Erlebnis:

Wir sassen einmal nach dem Nachtisch, er, ich und meine Gattin, als er auf einmal im Gespräch verstummte, und als wir auf ihn blickten, sass er starr und leichenblass auf seinem Stuhl; im Zimmer nebenan aber, in dem sich kein Mensch befand, fingen Messer und Tassen, die dort auf Tischen standen, auf einmal klingende Töne zu geben an, als würde von jemand an sie geschlagen. Wir riefen: „Niembsch, was ist das?“ Da fuhr er plötzlich zusammen und erwachte wie aus magnetischem Schlaf, und als wir ihm von jenen Tönen im anderen Zimmer während seiner Erstarrung erzählten, sagte er: „Das ist mir schon öfter begegnet; meine Seele ist dann wie ausser mir.“

Hofrat Reinbeck (Stuttgart) behauptete fest, Niembsch sei einmal im Gange seines Hauses auf ihn zugekommen, zu einer Zeit, da er sich gar nicht in Stuttgart befunden habe.

Der preussische General Karl Friedrich v. Steinmetz verlor im Jahre 1854 in Magdeburg seine einzige erwachsene Tochter durch den Tod. Sie war das letzte seiner Kinder, und seine Erschütterung war so furchtbar, dass sich visionäre Zustände bei ihm einstellten. Seine Angehörigen wurden durch seine Erzählungen ausserordentlich beunruhigt — mussten aber zu ihrer eigenen Verwunderung konstatieren, dass der General mit klarer ruhiger Stimme und sichtlich ohne jede Aufregung von seinen Visionen sprach und sie in allen ihren Einzelheiten erzählte, so wie man wohl ein wirkliches Erlebnis berichtet. Bis zum Tode seiner Tochter hatte er, ein robuster Kriegsmann, sich niemals mit übersinnlichen Dingen beschäftigt; das Thema hatte ihn überhaupt nicht interessiert. Er begann nunmehr, sich Lektüre zu verschaffen, die sich mit spiritistischen Erscheinungen befasste. Und er war aufs höchste erstaunt darüber, dass die in diesen Schriften geschilderten Gesichte völlig übereinstimmten mit seinen eigenen Visionen. Der General hatte diese Erscheinungen auch während der Feldzüge (1866 und 1870/71). Allerdings wurden die Visionen allmählich ein wenig schwächer. Der General hat Tag für Tag den Besuch seiner verstorbenen Tochter erhalten; er erzählt, dass er, wenn sie die Wange an ihn geschmiegt habe, die Wärme ihres Körpers gespürt habe. Dann erschien sie eines Tages in Begleitung zweier Geschwister, die vor ihr gestorben waren, die von schemenhaften Gestalten geführt wurden. Der General hat sowohl Theodor Fontane als auch dem Schriftsteller A. E. Brachvogel diese Besuche in allen Details geschildert und dem letzteren eines Tages erzählt: seine Besuche aus dem Jenseits hätten ihm heute die Mitteilung gemacht, seine Schwägerin, die als Gast bei ihm wohnte, werde sterben. Die Voraussetzung ist pünktlich eingetroffen.

Der General, der pünktlich auf seine dienstlichen Pflichten eingestellt war, ein harter, nüchterner, allen Phantastereien abholder Soldat, hat die Erscheinungen ohne jede Sentimentalität, aber auch ohne jedes Sensationsbedürfnis als etwas völlig Reales weiter erzählt und in seinem Bericht hinzugefügt: dass es so sei, darauf gäbe er sein Ehrenwort; auf eine Erklärung müsse er verzichten.

Von einem Erlebnis seltsamer Art, das Ernst Moritz Arndt hatte, erzählt Georg v. Bunsen:

Bunsen hatte Arndt an einem Winternachmittag des Jahres 1856 in vergilbten Papieren kramend angetroffen. Auf die neugierige Frage seines Besuches erklärte Arndt, er bereite auf Wunsch seines Verlegers eine Auslese aus seinen alten Gedichten vor. Er müsse in manchen alten Winkeln suchen, die Arbeit werde voraussichtlich mehrere Jahre dauern. Bunsen sah den alten Herrn, der im 87. Lebensjahre stand, mit erstauntem Lächeln an.

„Sie wundern sich vielleicht, dass ich so freigebig auf mehrere Jahre hinaus disponiere.“

„Nun ja,“ sagte Bunsen, „ich kann es allerdings nicht leugnen.“

Arndt nickte. „Ich will es Ihnen erklären: vor einigen zwanzig Jahren träumte mir einmal, dass ich auf unserem Bonner Gottesacker wandelnd einen aufrechten Grabstein erblickte, worauf deutlich mein voller Name nebst Geburtsort, Jahr, Tag — zu lesen war. Sodann kam nach dem Wort „gestorben“ eine verwischte Zeile. Auf diese aber folgte eine andere „im 91. Lebensjahre“. Nun habe ich ja ernstlich getrachtet, jeden Tag meines Lebens auf das Abscheiden bereit zu sein. Allein seit dem Traume meine ich nun doch immer, das neunzigste Jahr überleben zu sollen.“

Ernst Moritz Arndt starb am 29. Januar 1860, im 91. Lebensjahre.

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