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II.

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Am nächsten Morgen verliess Jens frühzeitig seine Wohnung. Irgendwo in dieser grossen Stadt musste es für ihn ein Bleiben geben.

Die Briefe der Gläubiger steckten in seiner Brusttasche; er verspürte ein heimliches Brennen, das von ihnen auszugehen schien. Er zweifelte nicht, dass es ihm über kurz oder lang gelingen würde, mit seiner Arbeit so viel zu verdienen, dass er ihnen lachend die paar Scheine hinwerfen konnte. Aber das Gefühl, dass in diesen Häuserblocks, nur durch ein paar Strassenzüge von ihm getrennt, Menschen wohnten, die mit Groll an ihn dachten, denen er vielleicht ernstliche Sorgen bereitete, grub sich schmerzhaft in sein Gehirn. Und doch konnte er nichts tun.

Es blieb ihm nichts übrig, als die Mahner um etwas Geduld zu bitten. Er musste sehen, wo er blieb — ein paar Tage ohne Mittagessen konnte man allenfalls auskommen. Dann würde ihm ein gütiger Himmel schon weiter helfen. Wozu hatte er seine Erfindung zu Hause auf dem Schrank stehen?

Eben kam er an dem Bureauhause der Maschinenfabrik von Holger Tavaststjerna vorüber. Sah das nicht aus wie ein Wink des Schicksals? Er hatte Tavaststjerna einmal flüchtig in einer Gesellschaft kennengelernt. Seine Maschinenfabrik war eine der grössten von ganz Dänemark; ihr Inhaber war lange in England gewesen, und er galt als ein grosszügiger smarter Kaufmann. Und schon stand er vor der kleinen Portierloge und füllte des Besuchsformular aus . . .

Tavaststjerna sah ihn während seiner wohlgesetzten Rede ruhig an; allmählich trat ein Lächeln in sein Gesicht.

„Ihre kohlenlose Maschine, Herr Ose? Das Perpetuum mobile? Ja. Davon habe ich schon gehört. Offen gestanden — mehr als mir lieb ist. Nein, mein Lieber — für solche Phantastereien habe ich keine Zeit. Und auch kein Geld. Wenn ich Ihnen aber vielleicht — — —“

Jens Ose stand auf, machte eine stumme Verbeugung und ging.

Vom Oeresund herüber kam der junge Morgenwind und trug den herzhaft tröstlichten Duft des fernen, freien, unendlichen Ozeans in diese grauen Strassen herüber, durch die Jens Ose ging. Ein Hauch von der Vielgestaltigkeit der Welt zog mit der salzigen Frische durch die Stadt — und ein Gefühl von der Kleinheit der eigenen Sorgen, gemessen an dem Mass der Dinge nah und fern um ihn, überkam ihn. Er ging die Kronprinsensgade hinunter und bog in die Pilestraede ein. Dort drüben wohnte Herr Baker — der Buchhändler.

Aber je mehr er sich dem kleinen Laden näherte, desto mehr sank ihm der Mut. Was wollte er Herrn Baker eigentlich versprechen? Alles, was er sich unterwegs zurechtgelegt hatte, waren nichts als Träumereien, die im klaren Licht des Tages zerstoben wie flüchtiger Rauch. Er hatte weder Geld noch Aussichten, Geld zu bekommen. Seine Maschine war — er hatte es wieder erlebt — zu einem Gegenstand des Spottes der Fachwelt geworden. Nein, sein Selbstbewusstsein war künstlich, aufgebaut auf den leichtfertigen Hoffnungen der Jugend, genährt zu himmelhohem Jauchzen durch das seltsame Abenteuer von gestern. Ach nein — er war ein Bettler, und er hatte mit seiner letzten Krone den Zusammenhang mit der Menschheit aus der Hand gegeben.

Er stand noch immer zögernd vor dem Fenster, in dem allerhand wissenschaftliche und technische Werke lagen, als plötzlich die hölzerne Schiebewand der Auslage auseinanderging.

In der Lücke aber erschien das Gesicht des Herrn Baker.

Jens sah, dass es nun kein Zurück mehr gab; er musste hinein, um seine einstudierte Rede vorzubringen. Merkwürdig, Herr Baker lächelte ihn an. Unwillkürlich seufzte er heimlich. Sein Gläubiger fasste seinen Besuch also falsch auf: er glaubte, er bekomme sein Geld.

Das Gesicht verschwand aus dem Fenster; gleich darauf öffnete Herr Baker die Tür.

„Guten Tag, Herr Ose,“ sagte er, immer mit demselben verbindlichen Lächeln, „ ich weiss, warum Sie kommen.“

Jens trat zögernd näher. In dem sonnenlosen Raum stand eine warme Luft, die angefüllt war von grauem strengen Papierstaub.

„Ich weiss, warum Sie kommen,“ sagte Herr Baker zum zweiten Male. „Die Quittung ist fix und fertig. Hier, wenn ich bitten darf.“ Er reichte seinem Besucher das zusammengefaltete Stück Papier herüber, das dieser unsicher betrachtete. Dann, indem Jens mit einer energischen Bewegung den Kopf schüttelte, sagte er leise:

„Nein, Herr Baker. Ich muss Sie vielmehr um Entschuldigung bitten. Ich kann nicht bezahlen. Ich kann Ihnen auch noch keinerlei Versprechungen für die Zukunft machen. Bitte, lassen Sie die Bücher wieder abholen. Ich bedauere es sehr, schon deshalb, weil ich sie notwendig für meine Arbeit brauche. Aber es bleibt mir nichts anderes übrig.“

Der Buchhändler sah ihn mit Augen an, die grösser und grösser wurden.

Ein wenig unsicherer werdend, fuhr Jens fort:

„ Sie sollen keinen Oere Schaden haben. Die Bücher sind so gut wie neu und ohne weiteres wieder verkäuflich. Ich habe sie sehr geschont.“

Nun geschah etwas Unerwartetes: Herr Baker schlug plötzlich mit der flachen Hand auf den Ladentisch, dass die herumliegenden Hefte erschreckt in die Höhe sprangen. Dann rief er lachend: „ Sie sind der spassigste Kunde, Herr Ose, den ich je gehabt habe. Aber so etwas sollten Sie nicht tun, sich über einen alten Mann lustig machen!“

„Ich will mich nicht über Sie lustig machen, Herr Baker,“ protestierte Jens verwirrt. „Ich würde bezahlen, wenn ich könnte, darauf können Sie sich verlassen. Aber ich bin wirklich nicht in der Lage, und da meine ich, es ist das . . .“

Wieder prustete Herr Baker los. „ Nee so was,“ schrie er mit vor Lachen halb erstickter Stimme, „ . . . auf was für Scherze ihr jungen Herren vom Kongens Nytorv kommt: euch geht’s gut, ihr könnt lachen. Also hier — nehmen Sie nur Ihre Quittung und schicken Sie mir auch ein paar von den anderen jungen Herren her; ich habe gern lustige Leute in meinem Geschäft.“

Jens Ose legte die Quittung mit einem Ruck auf den Tisch und sagte, indem er sich aufrichtete:

„Herr Baker, ich erkläre Ihnen ausdrücklich und ohne irgendeine scherzhafte Absicht, dass ich nicht bezahlen kann.“

Der Buchhändler sah ihm ins Gesicht. Dann, selbst ernst werdend, sagte er erstaunt:

„Ich verstehe Sie nicht, Herr Ose. Die Rechnung ist doch bezahlt!“

„Bezahlt?“ wiederholte Jens verständnislos. „Bezahlt? Wer hat sie denn bezahlt?“

„Vor einer Stunde . . . ein Messengerboy brachte das Geld. Die Quittung würden Sie abholen, sagte er.“

„Haben Sie ihn nicht gefragt, von wem er komme?“

„ Nö: dass einer aus purem Schabernack für einen anderen Rechnungen bezahlt . . . daran habe ich wirklich nicht gedacht. Und offen gestanden: ich kann es mir auch noch nicht denken. Ich muss beinah noch immer glauben, dass Sie mich zum besten haben wollen, Herr Ose . . .“

Jens nahm die Quittung in die Hand:

Zweihundertvierundsiebzig Kronen

zum Ausgleich meiner Forderung

von Herrn Jens Ose, Kopenhagen, dankend erhalten

Svend Baker

stand dort in klaren Schriftzügen.

In diesem Augenblick hatte er ein fremdes, nie gekanntes Gefühl: so als ob aus der Ferne etwas auf ihn zukäme, was langsam grösser und grösser wurde — allmählich ins Riesengrosse wuchs. Er hatte eine fast körperliche Vorstellung von diesem Unbekannten — er glaubte die eisige Luft zu fühlen, die von ihm ausging — er glaubte etwas Flatterndes zu sehen — nein, zu fühlen, das sich vor ihm auftat und die Sonne verdunkelte. Etwas Flatterndes — so wie ein Mantel — und mit einem Schlage wusste er’s: einen solchen Mantel hatte der Fremde getragen, der gestern abend vor seinem Hause gestanden hatte. Ja — so war’s. An den dachte er — er wusste selbst nicht warum. Nur mit Mühe lüftete er den Hut; dann ging er ohne Gruss, ohne ein Wort zu sprechen auf die Strasse hinaus.

Draussen atmete er tief auf. Die reine frische Luft tat ihm wohl, und langsam kehrte das Pulsen des Blutes zurück.

Seine Stimmung schlug um — er musste lachen. Was ihm einen Moment fast wie das Anzeichen eines drohenden Unheils erschienen war, bedeutete in Wahrheit einen Freundschaftsdienst ohnegleichen! Jemand, der ihm wohl wollte, hatte seine Bücherschulden bezahlt. Vielleicht irgendein Fachmann, der unbekannt bleiben wollte, der sich für seine Erfindung interessierte und der ihm die Möglichkeit bieten wollte, an ihr und an sich weiterzuarbeiten. Ja. So musste es sein.

Das Gewühl des Raadhuspladsen tat ihm ordentlich wohl. Dort drüben gingen schon die ersten Mittagsgäste bei Andersen ein und aus. Was Andersen wohl sagen würde? Einen Moment schoss es ihm durch den Kopf: wie wenn auch bei Andersen die Rechnung . . . dann musste er hell auflachen über seine eigene Naivität.

Herr Andersen stand hinter dem Büfett und schenkte Tuborgbier ein. Seltsam — auch er winkte dem eintretenden Jens Ose freundlich zu. „Sie kommen heute früh, Herr Ose,“ sagte er, indem er behutsam den schneeigen Schaum vom Glase strich. „Aber das macht nichts: dort drüben ist schon für Sie gedeckt.“

Jens sah den Wirt schweigend an.

„Übrigens — so eilig wär’s ja nicht gewesen. Und es hätte natürlich auch genügt, wenn Sie die alte Rechnung bezahlt hätten.“

„Wieso?“ wandte Jens schüchtern ein.

„Ich meine: dass Sie einen Monat im voraus bezahlt haben . . . das wäre nicht nötig gewesen. Na also — jedenfalls, ich danke schön, Herr Ose, und ich wünsche guten Appetit.“ Damit steckte Herr Andersen das Schaummesser in eine mit Wasser gefüllte Tulpe.

Jens blieb stehen. „Verzeihung, Herr Andersen. Nur eine Frage. Sie sagen also, das Geld ist gekommen?“

„Versteht sich,“ nickte der Gefragte. „Treu und brav!“

„Hm. Wer hat es gebracht?“

Ein bisschen verwundert sagte Herr Andersen: „ Ein Messengerboy. Nicht wahr — das stimmt doch?“

Wieder fühlte Jens einen Moment den unsichtbaren Schatten, der neben ihm stand, wieder hatte er das Gefühl einer eisigen Kälte, die aus dem Dunkel auf ihn zuströmte. Dann merkte er, dass Herr Andersen ihn kritisch-verwundert betrachtete. Er nickte und ging an seinen Tisch, der blütenweiss gedeckt war.

Er wechselte ein paar gleichgültige Worte mit den Stammgästen rechts und links. Gleich nachdem er das Mahl beendet hatte, verliess er das Restaurant, nicht ohne sich einen besonders respektvollen Gruss des Wirtes zuzuziehen.

Irgend etwas trieb ihn nach Hause. Er ging schnell durch die menschenerfüllten Strassen, über denen der blendende Glanz der Mittagssonne lag. Einmal glaubte er, Daisy Macdonald zu sehen; er lief auf die andere Seite — es war eine vollkommen Fremde. Eine gewisse Ähnlichkeit des Schreitens hatte ihn getäuscht.

Während er die vier Treppen hinaufkletterte, kam ihm ein altes verwegenes Lied in den Sinn. Er spitzte die Lippen zu einem lustigen Marsch und pfiff den tapferen Landsoldat, dass es durch das Stiegenhaus schallte.

Er schloss auf und öffnete die Tür. Betroffen fuhr er zurück.

Die schäbigen Möbel seines Zimmers waren verschwunden; an ihrer Stelle stand eine geschmackvolle eichene Garnitur.

Ihm fiel ein: das waren die Prachtstücke aus Frau Nikolines Salon. Und dann wusste er’s plötzlich — der neue Mieter! Dem waren wohl die armseligen Brocken zu schäbig gewesen.

Ein schurrender Schritt kam näher. Frau Lornsen stand in der Tür. In der Hand hielt sie ein blitzsauberes Tablett, auf dem Tee, Weissbrot und Butter verführerisch leuchteten.

„Guten Tag, Herr Ose!“ sagte sie mit einer Stimme, so butterweich, wie er sie noch nie an ihr gehört hatte. „ Na, so was ist mir noch nicht vorgekommen. Ich bin ja einfach sprachlos. Entschuldigen Sie man, dass ich so eklig war. Na, nun ist ja alles in Ordnung.“

„Wie . . . was . . .“

„Hier ist die Quittung. Und gleich ein Vierteljahr im voraus . . . das wäre nicht nötig gewesen . . . na, Sie sehen, ich bin auch nicht so . . . meine schönsten Möbel hab’ ich Ihnen reingestellt. Und nun lassen Sie sich’s gut schmecken. Da ist übrigens ein Brief.“

Die Tür schloss sich hinter ihr. Jens Ose ging langsam auf den Tisch zu. Da lag der Brief. Einen Augenblick zögerte er. Die Handschrift war ihm fremd — klein, kraklig, wie verstellt. Dann riss er ihn auf.

Ein zusammengefaltetes Formular fiel heraus. Er öffnete es; die Buchstaben tanzten vor seinen Augen.

Es war sein Wechsel über tausend Kronen. Absender war Herr Ben Caspary. Und quer über das Formular geschrieben stand das Wort: „Bezahlt!“

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