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Vorwort

„Such dir einen Begleiter und mache dich auf die Reise“ (Tob 5,3), sagte der alte Tobit zu seinem Sohn Tobias. Mit diesem Zitat aus dem Alten Testament bekam ich eine Anfrage um Begleitung. Und ich las weiter: „Es sind keine ‚großen Brocken‘, die mich blockieren oder herausfordern. Es ist der ‚ganz normale Wahnsinn‘ des Alltags:

– Wie viele (m. E. richtig gute) Ideen warten (z. T. schon seit Jahren) auf Realisierung – weil das Tagesgeschäft vorgeht?

– Mache ich die richtigen Dinge? Die Dinge richtig zu machen, liegt mir als ‚Perfektionist‘ eher …

– Wie kann ich (noch mehr) Wirkung in Bereichen entfalten, wo der liebe Gott mir besondere Gaben geschenkt hat?

– Was will ich in den (voraussichtlich) noch etwa 11–15 Berufsjahren grundsätzlich erreichen?

– Was muss ich dafür vielleicht bleiben lassen?

Dazu brauche ich eine Begleitung, die mich nicht nur coacht oder mir Supervision gibt, sondern meinen Weg mit mir auch mit dem ‚Wehen des Heiligen Geistes‘ abgleichen kann und mag. Jemanden, der oder die mich auch herausfordern kann – und mag. Sich auch nicht scheut, mich evtl. auf unangenehme Dinge hinzuweisen. Idealerweise eine reflektierte Person, die mich kennt und dennoch keine Befangenheit bei so einer Begleitung empfindet.“

Wegbegleitung als Sehnsucht, jemanden zu haben, der im wahrsten Sinn des Wortes mitgeht, an meiner Seite – oder auch zwischendurch – in regelmäßigen Abständen meinen Weg kreuzt und als Spiegel mitreflektiert oder anfragt, ermutigt und korrigiert. Dabei denken wir meistens an die Begleitung einzelner Personen durch die Begleiterin oder den Begleiter.

Zu bedenken ist, dass unsere Menschwerdung und Reifung mitbestimmt wird durch das Umfeld, durch Situationen und Gegebenheiten. Ganz ohne besondere Erwähnung werden wir von Anfang unseres Lebens an begleitet in der Familie, in der wir aufwachsen. Eltern, Geschwister spielen eine nicht unbedeutende Rolle. Die Schulzeit mit den Gleichaltrigen und den Erzieherinnen und Erziehern, mit den Lehrerinnen und Lehrern begleiten und prägen.

Dankbar denke ich zurück an meine eigenen Wegbegleiter-Menschen, die mich prägten, förderten, mir halfen, Schritte zu setzen, Entscheidungen zu fällen, dem Leben zu trauen. Eine Persönlichkeit greife ich heraus, weil ich immer wieder erkenne, was ich da so ganz einfach, selbstverständlich erleben durfte und dabei für mein Leben Wesentliches lernte: Ich wuchs in einem kleinen Dorf auf. In der Volksschule waren wir in zwei Gruppen (Klassenzimmer) aufgeteilt: die Unterklasse, Schuljahre 1 bis 4, und die Oberklasse, Schuljahre 5 bis 8. Unser Schulleiter beherrschte die Kunst der Wegbegleitung auf verschiedenen Ebenen. Einige Beispiele mögen dies belegen: 40 Kinder in der Oberklasse. Jeden Morgen hatten die Schüler und Schülerinnen einer Klasse zu Beginn des Unterrichts den Tag zu eröffnen. Dies geschah in einem Ritual. Gemeinsamer Auftritt vor den anderen Schülern: ein Lied, ein Gedicht, dann Ansage des Tages mit Erinnern an geschichtliche, politische und kirchliche Ereignisse, Geburts- oder Todestage von Persönlichkeiten wie Dichtern, Künstlern. Danach gab’s den Wetterbericht. Dazu mussten die Beobachtungen und Messungen (Temperatur, Wind, Niederschläge …) vom Nachmittag und Morgen eingeholt werden. Auch Beobachtungen der Natur : Ankunft der Schwalben, erste Schlüsselblume, wurden so wahrgenommen und eingetragen.

Wegbegleitung im Sinne von Aufmerksamkeit wecken, Erinnerungen verlebendigen, Auftritt vor anderen üben, die Gruppenzusammengehörigkeit spüren und Verantwortung übernehmen für einen Teilauftrag. Jeder war gefragt.

Alle konnten mit – eine weitere Erfahrung. In unserer Klasse gab es begabte und schwache Schülerinnen und Schüler. Es war selbstverständlich, dass beim Diktat schwache Schüler zu begabten Schülern gesetzt wurden und „abschreiben“ konnten. So machten sie statt 60 Fehlern nur noch 25!

Unterschiedliche Gaben wurden gefördert und „belohnt“. Wer z. B. in der Tageszeitung einen Artikel entdeckte, der einen Bezug zum derzeitigen Unterrichtsstoff hatte, oder eine neu erblühte Pflanze mitbrachte, bekam einen „Pluspunkt“. So wurde unsere Aufmerksamkeit geweckt und geschult.

Wir lernten Disziplin und Präsenz: alle in einem Raum! Während den einen ein wichtiger Unterrichtsstoff beigebracht wurde, hatten die anderen Stillarbeit. Selbst von uns Schülerinnen und Schülern wurde pädagogisches Geschick gebraucht, wenn zum Beispiel bei Krankheit der Lehrerin in den Unterklassen jemand aus den oberen Schuljahren die Aufsicht übernehmen musste.

Unser Lehrer war gleichzeitig Organist in der kleinen Dorfkirche. So kam es, dass wir als Schülerinnen und Schüler bei jeder Hochzeit oder Beerdigung mit in der Kirche waren. Gottesdienst, Schule und Freizeit, Freude und Leid gehörten zum Leben.

Wichtig war auch der Blick über den Tellerrand hinaus. Kultur und Geschichte wurden erlebt. So kann ich noch heute meinen Neffen die nicht sichtbaren Grundmauern des römischen Gutshofes oder eines Limesturmes zeigen, indem wir die Färbung des Grases an den entsprechenden Stellen beachten. Wir machten herrliche Schulausflüge, erlebten Musik und Theater, Landschaft und Kunst und mussten das Gesehene in einem Bericht festhalten mit dem je eigenen Layout, ohne die digitalen Hilfsmittel von heute.

In einem großen Sandkasten in der Eingangshalle entstanden Landschaften, die uns visuell unsere Heimat nahebrachten. Noch heute kann ich mit Streichhölzern den Verlauf von Flüssen maßstabsgerecht legen.

Wir übten gesellschaftliche Regeln ein mit Vorstellungsrunden, Esssitten, aber auch demokratisches Verhalten bei der Durchführung von Wahlen des Klassensprechers. Dazu wurde von der Gemeinde die Wahlurne geholt, ein Wahlausschuss gebildet und so die kleinsten Schritte der verantwortlichen Mitbestimmung grundgelegt.

Als dann die Nachbarschaftsschulen eingeführt wurden und die oberen Klassen in den Nachbardörfern gemeinsam wichtige Fächer erhielten, wurde eine Verkehrsprüfung eingeführt: Sind die Fahrräder in Ordnung? Wie verhalten wir uns beim Linksabbiegen auf die angrenzende Bundesstraße? Beim Überholen und beim Fahren in der Gruppe? Solche Praktiken brachten uns weiter.

Wegbegleitung als Kunst in einer kleinen Volksschule auf dem Dorf in den 50er/60er Jahren:

– Der/die Einzelne wird gesehen, Gemeinschaft erlebt und eingeübt.

– Gaben und Fähigkeiten werden gefördert und in gemeinsamen Aufgaben zusammengefügt, so dass Grenzen auch angenommen werden können.

Und alles geschieht einfach, gehört zum Alltag, zur Wirklichkeit des Lebens. Wegbegleitung zum Leben, zu einem ganzheitlichen Leben, nicht einseitig und nicht parteiisch, sondern demütig, vertrauend.

Es hat mich neugierig gemacht auf das Leben und gestärkt für das Wagnis.

Begleitung über eine gewisse Zeit, begrenzt, aber eindeutig: Eine Spur wurde gelegt, Erfahrungen gesammelt, eine Weite aufgezeigt, wo Gottes Schöpfung und seine Geschichte mit uns Wirklichkeit sind.

Der Sehnsucht Raum geben

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