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Im Märchenwalde

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Ich verzichtete darauf, eine neue Redaktionssitzung anzuberaumen. Ich beauftragte Herrn von Stimpekrex schriftlich, eine politische Umschau binnen vier Tagen auszuarbeiten und mir einzureichen; Dr. Nein würde alsdann den Auftrag von mir erhalten, über dieselben Dinge zu schreiben. Beide Artikel würden veröffentlicht werden. Der Leser möge sich dann aus Meinung und Gegenmeinung die eigne Meinung bilden.

Beide Redakteure protestierten heftig gegen eine solch unerhörte Praxis. Sie meinten auf eine eigne Meinung der Leser zu rechnen, sei eine wilde Spekulation. Ich beachtete aber diese Proteste nicht. Herrn von Stimpekrex antwortete ich nur, daß er nunmehr seinen Artikel schon binnen drei Tagen zu liefern hätte; Herrn Dr. Nein, in dessen Brief eine Injurie enthalten war, schrieb ich, er möchte freiwillig tausend Mark Geldstrafe in die »Hilfskasse für unbemittelte Schriftsteller« legen, wenn er nicht sehr unliebsame Erfahrungen machen wolle. Tausend Mark waren eine sehr bescheidene Summe, denn ein Mehrfaches davon erhalten in Herididasufoturanien die Parlamentarier an täglichen Diäten.

Am nächsten Tage schickte mir Dr. Nein eine offene Karte, auf der er schrieb, er habe die tausend Mark zwar bezahlt, aber es sei eine »Schweinerei« usw.

Wenn ich nun auch einsah, daß ein Mann, der jahrhundertelang Parlamentarier war, notwendig in seinem Stil verwildern mußte, so fand ich es doch für unerläßlich, meine Selbstherllichkeit wie einen ehernen Felsen zu befestigen, und gab also Herrn Dr. Nein die Weisung, zu den ersten tausend Mark noch weitere fünftausend hinzuzulegen. Darauf schrieb er, die Korrespondenz mit mir sei ihm auf die Dauer zu teuer, weswegen er vorläufig seine Proteste einstelle.

Schnaff beauftragte ich, für einige Spalten »Lokales« zu sorgen; ich selbst übernahm den belletristischen Teil.

Es war an einem Nachmittag, als ich nachdenklich die Straßen von Marilkaporta entlang schlenderte. Ich hatte Sorgen. Nicht, daß es mir meine Mitredakteure schwer machten – ich hoffte, mit ihnen schon fertig zu werden–, aber ich wußte nicht, wie ich die literarischen Aufgaben, die mir selbst zufielen, am besten lösen solle. Ich sollte Erzählungen, vielleicht gar einen Roman schreiben über Wesen, die mir fremd waren, über ein Land, das ich so wenig kannte.

Jenseits der Tore der Stadt kam ich in einen herrlichen Wald. Riesige Bäume mit wildverworrenem Geäst spannten ein Dach über mich. In ihren Zweigen wohnten seltsame Vögel; in ihren hohlen Stämmen hausten Tiere, die ich nicht kannte. Herzförmige Blätter wuchsen aus der Erde; ganz frei standen sie, und mitten aus den grünen Herzen sproßten rote Blüten. Große, rätseläugige Blumen träumten zwischen verwittertem Gestein, und die Bäche und Quellen waren alle buntfarbig. Es war ein Wald der Furcht und Freude: viel Schauriges viel Geheimnisse, viel Herrlichkeit, verträumte Weiher und versteckte Einsiedeleien, zerfallene Hexenhäuslein und graue Burgtrümmer. Felsenhöhlen und schmale, wilde Räubersteige, leise surrende Mühlen und rotleuchtende Waldschmiedefeuer. Dort, wo die Nebel im Tal zwischen den Bäumen aufstiegen, kochten die Waldweiber ihr Mahl, Unter den großen Pilzen saßen kleine Elfenkinder, auf einer Wiese hütete ein Knabe eine Herde weißer, rotäugiger Mäuse. Den Schlangenkönig sah ich thronen auf einem rubinroten Stein. Ganz kleine Wasserkobolde badeten in den Bächen; sie ritten auf den Fischen und fürchteten sich vor den Fröschen; sie segelten auf abgefallenen, großen Laubblättern und warfen sich mit Sandkörnchen. Und im Märchenwalde fand ich auch die, die ich vom deutschen Walde her kenne: die Sehnsucht und die Stille. Die Sehnsucht, die am Baume lehnt und die kein Wunder um sich sieht, kein Glück, keine Schönheit, die blind ist für alle Nähe und nur immer zur Ferne schaut, immer zur Ferne ...

Das letzte Märchen

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