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Wer hat am längsten für denselben Verein gespielt?
Am Abend des 18. Mai 2014 endete eine große Karriere. Zum Spiel zwischen Chievo Verona und Inter Mailand schnürte der Argentinier Javier Zanetti zum letzten Mal seine Fußballschuhe. Viele Dinge an seiner aktiven Laufbahn sind bemerkenswert. Als er zum Beispiel im Oktober 2010 für Inter einen Treffer gegen Tottenham Hotspur erzielte, wurde er zum ältesten Torschützen der Champions League. (Zanetti war zu diesem Zeitpunkt 37 Jahre und 71 Tage alt. Der Rekord wurde allerdings später gebrochen.)
Zanetti hat außerdem auf neun verschiedenen Positionen für Inter gespielt (nur Torwart und Mittelstürmer war er nie), und obwohl er vorrangig als Verteidiger eingesetzt wurde, bestritt er 547 Spiele in der italienischen Serie A am Stück, ohne des Feldes verwiesen zu werden. Als seine Serie schließlich Ende 2011 in einer Partie gegen Udinese Calcio riss, reichte Zanetti einfach nur seine Kapitänsbinde einem Mitspieler und ging ohne jede Diskussion mit dem Schiedsrichter vom Rasen. Er war auch stets ein tadelloser Sportsmann.
Doch nichts von alldem beeindruckte die Fußball-Fans so sehr wie Zanettis Vereinstreue. Er spielte 19 Jahre lang für Inter, bestritt fast 860 Partien in dem berühmten blau-schwarzen Trikot und war 15 Jahre der Kapitän des Teams. Das ist umso bemerkenswerter, da die meisten Leute davon ausgehen, dass alle Bestmarken, die mit Treue und Loyalität zu tun haben, schon vor langer Zeit gesetzt wurden. Im modernen Fußball, so eine weitverbreitete Meinung, gibt es fast nur noch sogenannte Söldner, die ständig von einem Klub zum nächsten ziehen. Doch dieses Vorurteil entspricht nicht unbedingt den Tatsachen. Im Gegenteil, Zanetti hat so einige Zeitgenossen, die noch länger für den jeweils selben Klub aktiv waren als er.
Zuerst fällt einem da natürlich der Waliser Ryan Giggs ein, der nur wenige Tage vor Zanetti sein letztes Spiel für Manchester United absolvierte – nach sage und schreibe 24 Jahren im selben Klub. (Damit ist natürlich nur die Zeit im Seniorenbereich gemeint. Bevor er mit 17 Jahren Profi wurde, spielte Giggs schon knapp drei Jahre im Jugendbereich des Vereins.) Giggs war es auch, der Zanettis Champions-League-Rekord brach: Als er im September 2011 gegen Benfica Lissabon traf, war er 37 Jahre und 289 Tage alt. Aber es gibt sogar einen sehr prominenten und noch aktiven Spieler, der Giggs in allen Bereichen überflügeln könnte: Für den Italiener Francesco Totti ist die Saison 2014/15 schon die 23. als Profi im Trikot des AS Rom. (Auch Totti spielte zuvor schon einige Jahre im Jugendbereich des Klubs, bevor er 1992 Profi wurde.) Noch macht der 1976 geborene Stürmer keine Anstalten, seine Karriere zu beenden. Im September 2013 verlängerte er seinen Vertrag bis 2016!
Oder denken wir an Rogério Ceni vom FC São Paulo. Er genießt gewissen Ruhm, weil ihn die International Federation of Football History & Statistics (IFFHS) als den Torhüter führt, der die meisten Tore in der Geschichte des Spiels erzielt hat (es sind mehr als 120). Ceni gab in der Saison 1992/93 sein Profidebüt, ist immer noch aktiv und gilt dem Guinness-Buch der Rekorde inzwischen als der Spieler, der die meisten Partien für einen Klub bestritten hat. (Es sind mehr als 1.150 in allen Wettbewerben.) Schließlich hätten wir noch Hussain Al-Romaihi, einen weiteren Torhüter. Auch er könnte Giggs noch gefährden. In den letzten Jahren wurde er bei seinem Verein Qatar SC zwar nur sporadisch eingesetzt, doch da der 1974 geborene Keeper sein Debüt schon 1994 feierte, hat auch er schon eine Menge Jahre mit demselben Verein auf dem Buckel.
Paolo Maldini wird am 31. Mai 2009 vor dem Spiel gegen den AC Florenz geehrt und in den Ruhestand verabschiedet. Er hat 25 Spielzeiten in der ersten Mannschaft des AC Mailand gestanden.
Die Bestmarke, die es im modernen Profibereich zu knacken gilt, wird von Paolo Maldini gehalten, der in der Saison 1984/85 sein Debüt in der ersten Mannschaft des AC Mailand feierte. Als er seine Karriere nach der Saison 2008/09 beendete, hatte er 25 Spielzeiten beim AC Mailand verbracht, also eine mehr als Giggs in Manchester. (Und auch eine mehr als Max Morlock, der von 1940 bis 1964 für den 1. FC Nürnberg spielte.) Ein Sonderfall ist der große Ernst Kuzorra. Er bestritt sein erstes Ligaspiel für Schalke 04 im Alter von 17 Jahren am 22. April 1923, sein letztes am 16. Januar 1949. Damit käme er rein rechnerisch auf 27 Spielzeiten am Stück als aktiver Fußballer. Jedoch wurden diese Jahre unterbrochen, zuerst vom Krieg und dann von Kuzorras Tätigkeit als Coach (zwischen 1942 und 1946 trainierte er die SpVgg Erkenschwick).
Doch es gibt jemanden im halbprofessionellen Fußball, der tatsächlich auf die famose Zahl von 27 aufeinanderfolgenden Jahren in der ersten Mannschaft kommt. Es handelt sich um den legendären türkischen Verteidiger Sait Altinordu. Von 1926 bis 1953 spielte er für einen Verein aus Izmir, der heute nach ihm heißt: Altinordu FK. Relativ unstrittig ist also, dass Sait Altinordu 27 Jahre lang seinem Verein die Treue hielt. Nicht ganz so klar ist, wie alt er war, als er im Seniorenbereich begann. Manche Quellen geben sein Geburtsjahr mit 1912 an, was bedeuten würde, dass er schon mit 14 Jahren zur ersten Elf stieß. Doch einiges deutet darauf hin, dass Altinordu bereits 1910 geboren wurde. Das hieße, dass er mit 16 Jahren zu den Senioren kam, also im selben Alter wie Totti, Morlock oder Maldini.
Welcher Fußballer hat die meisten Tore in einer Saison erzielt?
Man ist versucht, eine rasche Antwort zu geben: Lionel Messi. Als er in der Saison 2011/12 für den FC Barcelona in allen Pflichtspielen 73 Tore erzielte, schrieb zum Beispiel Der Spiegel: „Der Argentinier stellte (…) einen Rekord für die meisten erzielten Tore in einer Saison in Europa auf. Bisher hatte diesen Rekord Gerd Müller inne. In der Saison 1972/73 schoss er für den FC Bayern München 67 Tore – darunter waren allein 36 Treffer in Ligaspielen um die Deutsche Meisterschaft.“ Das klingt wasserdicht und seriös. Dennoch gibt es nicht wenige Kandidaten, die beide Legenden – also Messi und Müller – locker überflügelt haben könnten. Manche von ihnen sind wenig bekannt, manche große Stars.
Um das aufzudröseln, müssen wir zunächst einen Blick auf die Art und Weise werfen, wie Müllers und Messis Werte errechnet wurden. Da fällt einem auf, dass es in der zitierten Meldung heißt, Müller habe „allein 36“ seiner 67 Treffer in der Liga erzielt. Das bedeutet aber, dass nicht weniger als 31 Tore aus anderen Wettbewerben stammen müssen. Aber aus welchen? Im DFB-Pokal schieden die Bayern im Viertelfinale aus, bis dahin erzielte Müller sieben Tore. Auch im Europacup war in dieser Runde Schluss, nachdem „der Bomber“ zuvor elf Mal erfolgreich gewesen war. (Er markierte allein sieben Tore in den beiden Spielen gegen Omonia Nikosia.) Fehlen also sage und schreibe 13 Tore bis zur zitierten Marke von 67 Treffern. Was sollen das für Pflichtspiele gewesen sein, in denen Müller so oft traf?
Man muss mächtig in den Archiven wühlen, bis man sie findet. Wegen der Olympischen Spiele 1972 begann die Saison erst Mitte September. Für die Vereine war das eine Katastrophe, denn sie waren damals noch so gut wie vollständig auf Spiele und damit Zuschauer angewiesen, um Einnahmen zu erzielen. Und so schuf man kurzerhand einen neuen Wettbewerb, um die Pause zu überbrücken, den sogenannten Ligapokal. An ihm nahmen 32 Mannschaften teil, 16 aus der ersten Liga und 16 aus den Regionalligen. Die Bayern schieden recht früh aus diesem Wettbewerb aus, doch in fünf Spielen gegen 1860 München, Bayern Hof und den VfB Stuttgart schoss Müller zwölf Tore. So kommen wir zwar nur auf 66 Tore und nicht auf die in der Meldung genannten 67, doch damit muss man sich nicht aufhalten. Entscheidend ist folgende Lehre: Auch Tore aus einem obskuren Pokalwettbewerb zählen, solange sie in Pflichtspielen erzielt wurden.
Und wenn das so ist, dann können weder Müller noch Messi einem Mann namens Fred Roberts das Wasser reichen. In der Saison 1930/31 erzielte er für den nordirischen Verein Glentoran Belfast exakt 96 Tore. Diese Zahl ist sehr gut belegt, denn der alte irische Rekord hatte bei 94 Toren gestanden und wurde von Joe Bambrick aufgestellt, der für Glentorans großen Rivalen Linfield FC spielte. Die Fans und die Presse notierten penibel jeden Treffer von Roberts, weil sie hofften, dass er Bambrick überflügeln könnte. In der Liga und den diversen Pokalspielen – neben dem regulären nordirischen Pokal gab es da auch noch Dinge wie den Gold Cup und den County Antrim Shield – schaffte Roberts bis zum vorletzten Spiel ebenfalls 94 Treffer. Dann, zum Abschluss, trat Glentoran im Belfast Charity Cup gegen den Lokalrivalen Distillery FC an. Nach einer halben Stunde köpfte Roberts das 1:0 und eine Zeitung schrieb, „man konnte den Jubel bis zur Newtownards Road [am anderen Ende der Stadt] hören“. Roberts schoss auch noch ein weiteres Tor in diesem Spiel, und obwohl Glentoran mit 2:3 verlor, stürmten die Fans den Platz und trugen Roberts auf den Schultern vom Rasen – er hatte 96 Pflichtspieltore markiert.
Damit hätten wir also schon mal jemanden, der Messi seinen Europarekord streitig machen kann. Ein Weltrekord ist es eh nicht, denn nach übereinstimmenden Angaben war einer der ganz Großen des Fußballs noch viel torhungriger als Messi – Pelé. Die offizielle FIFAWebsite schreibt: „In der Saison 1959 erzielte er 127 Tore, im Jahr darauf 110.“ (Manchmal liest man „Saison“, manchmal „Jahr“. Das hat damit zu tun, dass es wegen der Größe des Landes lange dauerte, bis eine nationale Liga nach europäischem Vorbild ins Leben gerufen wurde. Bis 2001 gab es vor allem regionale Meisterschaften und verschiedenste Pokalwettbewerbe zu allen möglichen Zeitpunkten des Jahres. In Brasilien war es also lange schwierig, von einer echten „Saison“ zu sprechen.)
Das Guinness-Buch der Rekorde führt aber weder Roberts oder Messi noch Pelé als Rekordhalter, sondern einen Mann namens Paul Moulden, der im Profibereich für Manchester City, Oldham Athletic und Birmingham City spielte. In der Jugend lief er für den Bolton Lads Club auf, und für den schoss er in der Saison 1981/82 in der U-15, also etwa der C-Jugend, in 40 Spielen phänomenale 289 Tore. Sein Großonkel schrieb einen Brief an die Redaktion des Guinness-Buches, und nach eingehender Prüfung bekam Moulden seinen Eintrag.
In seiner späteren Karriere hatte Moulden nicht mehr so viel Erfolg. Zwar schoss er Manchester City mit 13 Toren zum Aufstieg 1989, aber er brach sich allein viermal das Bein und beendete seine Karriere im Amateurfußball. Im Alter von 32 Jahren eröffnete er in der Stadt Glossop, östlich von Manchester, einen Fish-and-Chips-Laden. Er kann immer noch auf die reinen Zahlen pochen und sagen, dass er öfter traf als Messi, Müller oder Pelé. Zieht man aber alle Umstände in Betracht, wie etwa die Qualität der Liga, die Anzahl der Partien und das Niveau der Gegenspieler, dann müsste man wohl Pelé den Rekord zugestehen.
Kann ein Fußballer wirklich beidfüßig sein?
In den 1990er Jahren entbrannte in England – und nicht nur dort – eine Diskussion darüber, dass es kaum noch gute linke Verteidiger gab. Das läge, so hieß es, an einem generellen Mangel an Linksfüßern und führe dazu, dass man auf dem linken Flügel Spieler aufstellen müsste, die zumindest beidfüßig wären, wie in Deutschland Philipp Lahm, der jahrelang auf dem linken Flügel eingesetzt wurde. Diese Debatte weckte das Interesse eines Neuropsychologen der Universität im walisischen Bangor. Dr. David Carey kannte Unmengen von Untersuchungen über Rechts- und Linkshänder, doch kaum jemand hatte sich bisher die Mühe gemacht und sich mit Füßen beschäftigt.
Dr. Carey nahm sich des Themas an und fand zunächst heraus, dass vier von fünf Spielern Rechtsfüßer sind. Dann untersuchte er neun Spiele der WM 1998 in Frankreich Pass für Pass, Schuss für Schuss, um zu sehen, wie beidfüßig Fußballer sein können. Sein Kriterium war ebenso simpel wie einleuchtend. Da man es von einem Berufsspieler selbstredend erwarten darf, dass er einen Pass oder einen Schuss mit links hinbekommt, wenn es nicht anders geht, musste sich Beidfüßigkeit nicht bloß in einem gelegentlichen Benutzen des anderen Fußes zeigen, sondern in einem andauernden. Anders gesagt: Ein wirklich beidfüßiger Spieler müsste beide Füße fast gleich häufig einsetzen.
Doch Dr. Carey kam zu dem Schluss, dass es keinem einzigen Spieler wirklich egal war, mit welchem Fuß er den Ball stoppte oder passte. Jeder hatte eine bestimmte Vorliebe. Selbst Lahm, der so großartig als linker Verteidiger auftrat, bevorzugte ja die Rolle als Rechtsverteidiger, weil er eben mit rechts dann doch besser, härter oder präziser flanken konnte als mit links. Obwohl man also in den Medien immer wieder hört, dass ein Spieler beidfüßig ist, legen die Untersuchungen von Dr. Carey nahe, dass es keinen Profi gibt, der beide Füße mit gleicher Häufigkeit und Intensität einsetzt.
Am nächsten kam dem Idealbild noch der slowakische Nationalspieler Lubomir Moravčík, der in Careys Stichprobe bei 100 Ballberührungen seinen rechten Fuß 64 Mal benutzte, den linken 36 Mal. „Das ist so beidfüßig, wie man nur sein kann“, erklärte Carey 2011 dem Magazin Champions. Moravčík schoss Elfmeter mit seinem rechten Fuß, benutzte aber den eigentlich schwächeren linken bei anderen Standardsituationen.
Ähnlich verhielt sich auch ein deutscher Abwehrspieler, der als Prototyp des beidfüßigen Profis gilt, Andreas Brehme. „In der Jugend hat mir mein Vater bei jedem Training die Bälle abwechselnd rechts und links zugeworfen“, erinnert er sich. „Dadurch ist mein schwächerer linker Fuß so stark wie der rechte. Mit links schieße ich härter, mit rechts platzierter, zum Beispiel alle Elfmeter.“ Und so, mit dem rechten Fuß, verwandelte er auch den Elfmeter im WM-Finale 1990. „Das ist, als ob ich eine Waffe wähle, je nach Bedarf“, sagt Brehme. Folgt man Dr. Carey, dann könnte man allerdings auch sagen, diese Worte legten die Vermutung nahe, dass Brehme eben nicht wirklich beidfüßig war – sonst hätte er nämlich mit beiden Füßen gleich hart und gleich platziert schießen können.
Auch die Untersuchungen eines Bloggers mit dem Namen S. McCarthy, der sich die von Opta Sports erhobenen Daten in der englischen Premier League für die Jahre 2008 bis 2012 genau angeschaut hat, widerlegen die These von Dr. Carey nicht, schränken sie aber ein wenig ein. McCarthy fand heraus, dass der Nigerianer Peter Odemwingie 81 Torschüsse mit dem rechten Fuß abgegeben hatte und fast die gleiche Anzahl, nämlich 85, mit seinem linken. Damit kam er dem 50/50-Ideal schon sehr nahe, erheblich näher jedenfalls als Moravčík, auch wenn man Torschüsse natürlich nicht mit Pässen und Ballannahmen vergleichen kann. Doch in vielerlei Hinsicht unterstreichen McCarthys Ergebnisse die Argumentation von Dr. Carey, denn der Blogger fand nur sieben Spieler, die mehr als 40 Prozent aller Schüsse mit ihrem schwächeren Fuß abgaben.
Da Dr. Carey seine Untersuchungen anhand einer Weltmeisterschaft machte, kann man davon ausgehen, dass Beidfüßigkeit auch in anderen Fußballkulturen nicht verbreiteter ist. Dennoch gibt es in England Bestrebungen, sich in der Trainingslehre anderen Nationen anzugleichen, um – wenn schon nicht mehr Linksfüßer zu bekommen sind – wenigstens eine größere Zahl von ansatzweise beidfüßigen Spielern heranzuziehen. Ein Mitarbeiter des englischen Verbandes sagte dem Magazin When Saturday Comes: „In Brasilien, Holland oder Afrika legt man großen Wert darauf, dass die Spieler während eines Spiels ihre eigenen Entscheidungen treffen. Wenn der Trainer zu viel reglementiert, dann wird ein Spieler unter Druck in alte Muster zurückfallen und kein Risiko eingehen, indem er seinen schwächeren Fuß benutzt.“
Es scheint absolut einleuchtend zu sein, dass ein Trainer Spieler haben möchte, die mit beiden Füßen passen und schießen können. Doch eine Studie, die Alex Bryson vom englischen Institut für Wirtschafts- und Sozialforschung im Jahre 2010 durchgeführt hat, kommt zu dem Schluss, dass eine Mannschaft mit vielen nahezu beidfüßigen Spielern nicht wesentlich mehr Punkte gewinnt als eine mit wenigen. Muss man also annehmen, dass wahre Beidfüßigkeit nicht nur nicht existiert, sondern auch keine echten Vorteile böte? Einer der großen „einfüßigen“ Spieler der Geschichte würde die Frage wohl mit Ja beantworten. Schließlich sagte Ferenc Puskás einmal: „Im Fußball muss man mit dem einen Bein ausholen, während man auf dem anderen steht. Und ich wähle es, auf meinem rechten zu stehen.“
Welchen eigentümlichen Rekord stellte Gareth Bale auf?
Als der Waliser am 1. September 2013 von Tottenham Hotspur zu Real Madrid wechselte, meldeten britische Medien, die Ablösesumme habe 100 Millionen Euro betragen. Das wäre Weltrekord gewesen. Doch inzwischen gilt es als sicher, dass die Spanier nur 91 Millionen bezahlten, womit der Transfer von Cristiano Ronaldo zu Real weiterhin als teuerster der Geschichte gelten darf. Und dennoch hält Bale einen Rekord. Allerdings einen, auf den er vermutlich nicht besonders stolz ist.
Im Sommer 2007 wechselte der damals 18-jährige Bale vom Zweitligisten Southampton in die Premier League, zum Londoner Verein Tottenham Hotspur. Am vierten Spieltag der neuen Saison wurde der Linksfuß zum ersten Mal eingesetzt – bei Manchester United verloren die Spurs mit 0:1. Nur fünf Tage später gelang dem jungen Mann schon sein erstes Tor in der obersten Liga. Beim Spiel in Fulham traf er nach einer Stunde zum 3:1 für sein Team. Doch zu einem Sieg langte es nicht. In der 90. Minute traf Fulhams Diomansy Kamara mit einem akrobatischen Fallrückzieher zum nicht mehr für möglich gehaltenen 3:3.
Tja, und in diesem Stil sollte es weitergehen. Am 6. Spieltag traf Bale zur 1:0-Führung gegen Arsenal, doch die „Gunners“ gewannen 3:1. Wann immer der Waliser in der Liga auf dem Rasen stand, konnte sein Team keinen Sieg feiern. Es klappte zwar im UEFA-Pokal (wo Bale beim 3:2 im November gegen Aalborg durchspielte) und es klappte auch, wenn Bale auf der Bank war (in der zweiten Dezemberhälfte gewannen die Spurs drei von vier Spielen ohne ihn). Doch sobald der Neuzugang in der Premier League einen Fuß auf den Platz setzte, schwanden alle Siegeshoffnungen seines Teams.
Das Verrückte ist nun, dass sich die Serie in der folgenden Saison nahtlos fortsetzte. Am ersten Spieltag wurde Bale beim Stand von 0:0 gegen Middlesbrough eingewechselt, Tottenham verlor 1:2. Zwischen dem 9. und dem 15. Spieltag wurde Bale in vier Partien nicht aufgeboten. Tottenham gewann alle vier. Doch mit Bale? Keine Chance.
Spätestens im Januar 2009 wurde auch die Öffentlichkeit aufmerksam. Unter der Überschrift „Der Fluch von Tottenhams Gareth Bale“ veröffentlichte der Journalist Steve Wilson einen Text, in dem es hieß, dass die Spurs im nächsten Spiel gegen Portsmouth nur dann gewinnen könnten, wenn Bale auf der Bank bleibe. Seit nunmehr 20 Spielen, so hatte Wilson errechnet, wartete Bale auf seinen ersten Ligasieg. Der Premier-League-Rekord stand bei 21, aufgestellt von Derby Countys Giles Barnes. „Zum Wohle des Teams“, schrieb Wilson, „wäre es vielleicht gut, wenn Bale einen Tag frei bekäme.“ Tottenhams Trainer Harry Redknapp stellte den Spieler trotzdem auf. Tottenham kam nicht über ein 1:1 hinaus.
Damit hatte Bale den Rekord von 21 Spielen eingestellt. Schon diese Zahl ist bemerkenswert. Nehmen wir zum Vergleich nur mal die trostloseste aller Bundesligamannschaften, Tasmania Berlin. Selbst in diesem Team, das 1965/66 Niederlage auf Niederlage kassierte und zahllose Negativrekorde aufstellte, blieb kein einziger Spieler länger als 15 Partien sieglos. (Am längsten musste Torwart Heinz Rohloff warten. In seinem 16. Bundesligaspiel wurde der Fluch gebrochen: Tasmania schlug Borussia Neunkirchen 2:1.) Offenbar war nun auch Redknapp von Wilsons Analyse überzeugt. Im nächsten Spiel ließ er Bale 90 Minuten draußen. Tottenham siegte gegen Stoke City mit 3:1.
Aber natürlich konnte Redknapp einen so talentierten Mann nicht ständig auf die Bank verbannen, nur wegen eines angeblichen Fluches. In den letzten Wochen der Saison brachte er den Waliser noch dreimal, alle drei Spiele endeten sieglos. Bales Rekord stand nun bei 24 Partien. Im Juni 2009 unterzog er sich einer Knieoperation und verpasste deswegen die ersten Wochen der neuen Spielzeit – die, fast muss man es nicht mehr erwähnen, mit vier Siegen in Folge für die Spurs begann.
Am 7. Spieltag war Bale für ein Heimspiel gegen den FC Burnley zum ersten Mal wieder im Kader. Es war der 26. September 2009. Zur Pause stand es 2:0. Mitte der zweiten Hälfte erhöhte Robbie Keane durch einen Doppelschlag binnen drei Minuten auf 4:0. Nun, so folgerte Redknapp wohl, konnte nichts mehr schiefgehen. Er wartete noch bis zur 84. Minute, dann wechselte er Gareth Bale ein. Kurz danach traf Keane zum 5:0. Der Bann war im 25. Spiel endlich gebrochen.
Bales Premier-League-Rekord ist natürlich nicht völlig einzigartig. Der Stürmer Helmut Lausen musste zum Beispiel auch 24 Spiele auf seinen ersten Sieg in der Bundesliga warten. Er kam 1974/75 für den Wuppertaler SV 22 Mal zum Einsatz. Keines dieser Spiele gewann der WSV, der am Ende der Saison abstieg. Es dauerte vier Jahre, bis Lausen wieder Erstligaluft schnuppern durfte, diesmal als Profi bei Borussia Mönchengladbach. In seinen ersten beiden Einsätzen für die Fohlen verlor die Elf (in Hamburg und Frankfurt). Erst am 16. September 1978 – im Alter von 26 Jahren und in seinem 25. Bundesligaspiel – konnte Lausen beim 4:1 gegen Bielefeld endlich einen Sieg bejubeln. Doch Lausen war ja auch kein kommender Superstar, der eines Tages für eine galaktische Ablösesumme den Verein wechseln würde.
Wer war der erste Weltstar des Fußballs?
Auch wenn der Begriff „Weltstar“ schwer zu definieren sein mag, kann es keinen großen Zweifel daran geben, dass der ehemalige Straßenmusiker und Schuhputzer José Andrade der erste globale Star des Spiels war. Der rechte Läufer des großen uruguayischen Teams, das Doppel-Olympiasieger (1924 und 1928) und schließlich auch Weltmeister wurde (1930), war unter den Namen „das schwarze Wunder“ und „die schwarze Perle“ bekannt, lange bevor Pelé oder Eusébio von der damals noch politisch sehr unkorrekten europäischen Presse so genannt wurden. Andrade begeisterte das Publikum – einmal sogar dadurch, dass er über die Hälfte des Feldes lief und dabei den Ball auf dem Kopf balancierte. In seiner Würdigung des Stars aus Uruguay schrieb Eduardo Galeano: „Die erste internationale Ikone des Fußballs war schwarz, arm und kam aus Südamerika.“
In den 1920er Jahren war Uruguay nicht nur erfolgreich, die Elf war revolutionär. Sie spielte ein kreatives, komplexes Kurzpassspiel, das man in Europa so noch nicht gesehen hatte. Es war eine Art Rasenschach, das nur dadurch möglich war, dass die Spieler auf einem technischen Niveau waren, an das keiner ihrer olympischen Rivalen heranreichte. Ihre ersten Gegner beim Turnier 1924 in Paris, die Jugoslawen, schickten Beobachter zum Training der Südamerikaner, um sie auszuspionieren. Doch die Uruguayer bekamen davon Wind und trainierten absichtlich unbeholfen. Das anschließende Spiel gewannen sie mit 7:0, obwohl man ihre Fahne falsch herum aufgehängt hatte und aus Versehen die brasilianische Hymne vor dem Anpfiff spielte. Doch das war erst der Anfang. Der Turnierverlauf glich aus uruguayischer Sicht einer feierlichen Prozession. Die Mannschaft gewann alle fünf Spiele, schoss 20 Tore und kassierte nur zwei. Nach dem 3:0-Finalsieg gegen die Schweiz liefen die Spieler eine Ehrenrunde, möglicherweise die erste dieser Art in der Geschichte des Wettbewerbs. (Der spanische Ausdruck für Ehrenrunde lautet „la vuelta olímpica“.)
Die „schwarze Perle“ José Andrade bekommt einen Tee. Die Szene stammt aus einer Halbzeitpause während des olympischen Fußballturniers 1928.
Andrade war der Kopf des uruguayischen Angriffsspiels. Er konnte als Außenverteidiger eingesetzt werden, als Flügelspieler oder im zentralen Mittelfeld. Er war trickreich genug, um einen Gegenspieler zu umdribbeln, aber er konnte auch mit einem Pass die Abwehr aufreißen. Als die Presse ihn einmal bat, den revolutionär neuen Stil seines Teams zu erklären, schwor er Stein und Bein, dass die Spieler beim Training in Schlangenlinien hinter fliehenden Hühnern herliefen. Die Journalisten waren so gutgläubig – und so fasziniert von Andrade –, dass sie ihm auf den Leim gingen und das für bare Münze nahmen.
Der französische Sportreporter Gabriel Hanot, einer der Väter des Europapokals, ließ sich nicht reinlegen, war aber ebenfalls sehr beeindruckt von den Südamerikanern. „Die große Qualität der Sieger“, schrieb er, „bestand in einer fantastischen Virtuosität bei der Ballannahme, Ballkontrolle und Ballmitnahme. Sie erschufen einen wunderschönen Fußball, elegant und komplex, rasant, kräftig, effektiv.“ Hanot ging so weit zu sagen, dass „diese feinen Athleten sich zu englischen Profis verhalten wie arabische Vollblüter zu Ackergäulen“.
Der einzige schwarze Akteur unter diesen Vollblütern war Andrade. Der charismatische Star blieb nach den Spielen noch eine Weile in Paris, sonnte sich in der Bewunderung der Franzosen und lebte, so Galeano, wie „ein umherstreifender Bohemien und König der Cabarets“. In den Worten der Süddeutschen Zeitung: „Er tanzte auf den Bühnen, das Publikum feierte ihn, die Frauen warben um seine Zuneigung.“ Aber er kehrte in die Heimat zurück, als Uruguay zwei kurzfristig anberaumte Freundschaftsspiele gegen den Rivalen Argentinien austrug. Das erste Spiel in Montevideo endete 1:1, das Rückspiel in Buenos Aires ging aus gleich mehreren Gründen in die Geschichte ein (siehe: „Was ist ein olympisches Tor?“). Kurz vor dem Ende bewarfen die Zuschauer Andrade mit Steinen. Die Uruguayer schleuderten die Brocken zurück ins Publikum, woraufhin Polizei den Platz stürmte. Andrade und seine Teamkameraden gingen in die Kabinen und die Partie musste abgebrochen werden.
Andrade und seine Mannschaft revanchierten sich vier Jahre später. Wieder holte Uruguay Gold bei den Olympischen Spielen, diesmal in Amsterdam – und im Finale gegen Argentinien. (Im Achtelfinale besiegten die Uruguayer übrigens die DFB-Auswahl mit 4:1. Diese Partie ist in die deutsche Länderspielgeschichte eingegangen, weil Hans Kalb und Richard Hofmann vom Platz gestellt wurden – als erste Nationalspieler überhaupt.)
Beim Veranstalter der Olympischen Spiele gingen für das Finale sage und schreibe 250.000 Kartenanfragen ein. Das ungeheure Interesse führte dazu, dass man sich am Rande des Turniers entschied, eine Weltmeisterschaft ins Leben zu rufen. Als zwei Jahre später die erste WM ausgetragen wurde, war Andrade einer der besten Spieler, obwohl er bereits an Syphilis erkrankt und auf einem Auge fast blind war (als Folge einer Augenverletzung, die er sich im Halbfinale 1928 bei einem Sturz gegen den Torpfosten zugezogen hatte).
Der deutsche Mittelstürmer Richard Hofmann – selbst das Idol einer ganzen Generation und als „König Richard“ bekannt – sagte später: „Uruguay war damals die beste Mannschaft der Welt. Ihr Star war Andrade. Er war ein Fußballartist, der mit dem Ball einfach alles machen konnte. Er war ein großer Kerl, elastisch in seinen Bewegungen, der stets das direkte, körperlose, elegante Spiel bevorzugte und in seinen Gedanken immer schon mehrere Situationen voraus war.“
Leider begründete Andrade nicht nur die Tradition des Fußballers als Superstar, sondern auch die des Superstars, der auf dem Rasen besser klarkommt als im Leben. Er verbrachte seine letzten Jahre verarmt und alkoholkrank in einer kleinen Wohnung in Montevideo. Seine Medaillen bewahrte er in einem Schuhkarton auf. Am 4. Oktober 1957 starb der Mann, der fast ein Jahrzehnt lang der berühmteste Fußballer der Welt gewesen war, mit gerade 56 Jahren an Tuberkulose.
Wer hat die meisten Tore überhaupt geschossen?
Die offizielle Antwort lautet Pelé. Die FIFA legt sich eindeutig fest und sagt, dass die 1 Tore, die der legendäre Brasilianer im Laufe seiner Karriere erzielt hat, den gültigen Weltrekord darstellen. Ein anderer großer brasilianischer Stürmer, Romário, behauptet, er habe ebenfalls eine vierstellige Anzahl von Treffern markiert. Die FIFA sieht das anders, aber selbst wenn man dem Spieler glaubt, liegt Pelé weiter vorne.
Ein junger und ein alter Goalgetter: Pelé (rechts) und Artur Friedenreich, links der brasilianische Schriftsteller Silvio de Oliveira.
Auch der berühmte österreichische Goalgetter Josef Bican kann nicht mit Pelé mithalten, obwohl die International Federation of Football History and Statistics (IFFHS) ihm einen Preis als erfolgreichstem Torjäger des 20. Jahrhunderts verliehen hat. Der Hintergrund ist, dass Bican zwölfmal Torschützenkönig einer Liga wurde, einmal öfter als Pelé.
Die IFFHS schreibt Bican, einem der Schlüsselspieler des österreichischen „Wunderteams“ aus den 1930ern, 649 Tore zu. Eine andere bedeutende Statistikseite, rsssf.com, führt hingegen weit mehr auf, und zwar mindestens 805. (Auf der Website heißt es: „805+“.) Aus zusätzlichen Informationen geht hervor, dass Bican in Freundschaftsspielen noch weitere 663 Tore geschossen hat. Das brächte ihm eine Gesamtzahl von (mindestens) 1.468, also 187 mehr, als Pelé auf seinem Konto hat. Das Problem ist nun, dass die FIFA bei ihrer Berechnung manche Freundschaftsspiele und inoffiziellen Partien gelten lässt, andere nicht. Der Weltverband wird kaum davon abrücken, Pelé an erster Stelle zu führen, aber da der Brasilianer – genau wie Bican – viele hundert Tore in Begegnungen markiert hat, die keine Pflichtspiele waren, lässt sich dieser Zweikampf nicht eindeutig entscheiden.
Und um die ganze Sache noch ein wenig komplizierter zu machen, gibt es noch einen dritten Spieler, der für den Rekord infrage kommt: der große, leider inzwischen fast vergessene Brasilianer Artur Friedenreich. Manche Leute behaupten, er sei ein größerer Allrounder gewesen als Pelé und eleganter als Alfredo di Stéfano. Friedenreichs große Zeit waren die 1910er und 1920er Jahre (sein Tor gewann 1919 den Südamerikapokal für Brasilien), obwohl es in dieser Ära nicht leicht für ihn war. Er war ein Mulatte, Sohn eines deutschen Einwanderers und einer dunkelhäutigen Wäscherin, und damals wurde der brasilianische Fußball noch von der weißen Elite des Landes dominiert. Wie das Magazin Placar es einmal ausdrückte, konnte Friedenreich überhaupt nur deshalb spielen, weil er vorgab, „ein Weißer zu sein, der das ganze Jahr über von der Sonne gebräunt war“. Er erfand, so Eduardo Galeano in Der Ball ist rund, „einen Stil, der für Fantasie offen war, dem Freude mehr galt als der Erfolg“. Man könnte sagen, dass er – Jahrzehnte vor Pelé, Didi und Garrincha – das definierte, was wir heute für typisch brasilianisch halten. Ach ja, und er schoss wahrscheinlich 1.329 Tore, 48 mehr als sein berühmtester Landsmann.
Friedenreichs Pech ist es, dass die statistischen Aufzeichnungen, die sein Vater Oscar und später sein Mitspieler Mario de Andrade mit großer Hingabe geführt haben, nach Andrades Tod Mitte der 1960er Jahre verschwunden sind. Sie hätten vielleicht über die genaue Anzahl von Friedenreichs Toren Aufschluss geben können, doch Andrades Hinterbliebene warfen die Dokumente wahrscheinlich einfach weg. Als ein brasilianischer Sportjournalist sich auf die Suche nach den Unterlagen begab, waren sie schon irgendwo auf einer Müllhalde in São Paulo gelandet.
Die Medien gaben nicht auf und suchten Friedenreich selbst in seiner Wohnung in São Paulo auf. Doch als die Delegation von Presseleuten und Statistikern vor ihm stand, da wurde ihnen rasch klar, dass er selbst nichts zur Aufklärung beitragen konnte. Friedenreich beantwortete jede Frage ausweichend und starrte dabei einen imaginären Punkt in der Ferne an. Als er schließlich am 6. Februar 1969 im Alter von 76 Jahren starb, hatte er sogar seinen eigenen Namen vergessen. Das hat leider auch die Fußballwelt, denn es könnte durchaus möglich sein, dass niemand mehr Tore geschossen hat als Artur Friedenreich.
Wer hatte sowohl im Fußball als auch im American Football den größten Erfolg?
Einem deutschen Leser fällt vermutlich zuerst Manfred Burgsmüller ein, der als Fußballer Deutscher Meister wurde (mit Werder im Jahre 1988) und dann als sogenannter „Kicker“ im Trikot von Rhein Fire zweimal die inzwischen eingestellte NFL Europe gewann. (Axel Kruse ist der andere bekannte deutsche Spieler, der auch im American Football Fuß fasste, bei Berlin Thunder.) Doch bei allem Respekt vor dem Niveau der NFL Europe muss man sagen, dass ein Österreicher namens Toni Fritsch – oder „Wembley-Toni“, wie ihn eine bestimmte Generation von österreichischen Fans noch heute nennt – die Triumphe von Burgsmüller wohl in den Schatten stellt.
Im Jahre 1965 enteilte der flinke, kleine Außenstürmer Fritsch zweimal seinem Bewacher Nobby Stiles und traf in seinem ersten Länderspiel gleich doppelt. Österreich feierte an jenem Tag einen sensationellen 3:2-Sieg im Wembley-Stadion gegen ein englisches Team, das nur neun Monate später Weltmeister werden sollte. Eines der beiden Tore, ein fulminanter Distanzschuss mit seinem berühmten rechten Fuß, deutete vielleicht schon ein wenig an, welchen zweiten Karriereweg Fritsch einschlagen sollte. Denn als die Dallas Cowboys sechs Jahre später auf einer Europatour durch Wien kamen und erwähnten, dass sie nach einem Spezialisten suchten, der ruhende Bälle weit und präzise treten konnte, empfahl Österreichs Nationaltrainer Leopold Stastny den Amerikanern den Star von Rapid Wien – Fritsch. Der Fußballer hatte einiges von seiner Schnelligkeit eingebüßt, aber er wusste immer noch, wie man Wucht hinter einen Schuss bekam.
Fritsch sprach kein Wort Englisch und hatte noch nie ein Football-Ei gesehen. Die Gäste aus Texas fuhren mit ihm in den 19. Bezirk, denn dort standen noch einige Football-Tore, die US-Soldaten in den 1950er Jahren errichtet hatten. Fritsch trat den Ball über die Querstange und unterschrieb noch an Ort und Stelle einen Vertrag. Der Österreicher war erfreut und auch ein bisschen amüsiert darüber, dass man ihm gutes Geld zahlte, um – wie er sagte – „einen komischen Sport auszuüben“.
Doch er schlug sofort ein. Gleich im ersten Spiel der Saison 1971, gegen die St. Louis Cardinals, wurde Fritsch auf den Rasen geschickt, um ein Field Goal zu erzielen. Einer der Gegenspieler rief ihm zu: „Du versagst, Fritsch, du versagst!“, doch da er ihn ja nicht verstehen konnte, lief der Ex-Fußballer einfach an, trat den Ball durch die Stangen und erzielte damit die siegbringenden Punkte.
„Wembley-Toni“ (Nr. 16) gegen Ende seiner zweiten Karriere als Footballer. Hier kickt er für die Houston Oilers in einem Spiel gegen die Oakland Raiders.
Im folgenden Jahr wurde er der erste – und bisher einzige – Österreicher, der den Super Bowl gewann, den Titel in der NFL. Als Fritsch seine zweite Karriere 1985 beendete, waren ihm 157 Field Goals gelungen, darunter 13 am Stück in den Playoffs. Gil Brandt, der für die Personalentscheidungen der Cowboys verantwortlich war, sagte: „Von dem Tag, an dem er zu uns kam, war er einer der Jungs. Er hatte keine Ahnung von American Football, er wusste einfach nur, wie man einen Ball tritt.“
Fritsch ist nicht der einzige Super-Bowl-Sieger, der als Fußballer begonnen hat. (Der Amerikaner Matt Bahr spielte in der 2. US-Liga Soccer, bevor er mit den Pittsburgh Steelers und den New York Giants Erfolge feierte.) Aber er ist der einzige, der auch im Fußball wichtige Titel holte, denn er sammelte drei Meisterschaften und zwei Pokale in Österreich. Und so vergaß er nie den Sport, der ihn eigentlich bekannt gemacht hatte. Als er 2005 im Alter von nur 60 Jahren an einem Herzanfall starb, hatte er gerade seine Eintrittskarten für ein Champions-League-Spiel zwischen Rapid Wien und dem FC Bayern abgeholt.
Interessanterweise ist der Mann, dessen Leistungen in beiden Sportarten denen von Fritsch noch am nächsten kommen, ebenfalls ein Österreicher: Anton „Toni“ Linhart. Er bestritt in den 1960ern sechs Länderspiele für die Fußballnationalelf seines Landes und war später bei den Baltimore Colts in der NFL unter Vertrag. Zwei Jahre in Folge, 1975 und 1976, kamen die Colts in die Playoffs, schafften es aber nicht zum Super Bowl. In beiden Saisons wurde Linhart allerdings ins Pro-Bowl-Team gewählt (also zum All-Star-Spiel der NFL berufen), woran ersichtlich wird, dass er nicht nur ein großer Fußballer war, sondern auch ein richtig guter Footballer.
Trotzdem kennen manche Leute Linhart aus ganz anderen Gründen. Er spielte nämlich eine wichtige Rolle bei einem der skandalösesten Spiele auf britischem Boden. Es wurde am 8. Mai 1963 zwischen dem Gastgeber Schottland und Österreich in Glasgow ausgetragen und war ein Freundschaftsspiel. Allerdings nur auf dem Papier, muss man hinzufügen, ruft man sich ins Gedächtnis, was der Schotte Dave Mackay über die Partie berichtete: „Ich glaube, alles fing damit an, dass sie uns bespuckten. Die drehten wirklich durch, sie waren nicht mehr richtig im Kopf.“
Elf Minuten vor dem Ende führten die Schotten 4:1. Österreich spielte nur noch mit acht Mann, weil man einen seiner Akteure verletzt vom Platz getragen hatte und zwei andere des Feldes verwiesen worden waren. (Horst Nemec wegen Meckerei, Erich Hof für etwas, das die britische Presse eine „teuflische Grätsche in Hüfthöhe“ nannte.)
Glaubt man Mackay, dann sorgten sich die Schotten nicht um ihre Führung, sondern um ihren Anführer: „Wir versuchten, Denis Law zu beschützen, den sie wie einen Hasen hetzten.“ Der Österreicher, der ihn schließlich kriegte, war der Mann, der auch das einzige Tor der Mannschaft erzielt hatte: der zukünftige NFL-Star Linhart. In der 79. Minute senste er Law um, und als der Gefoulte vor lauter Schmerzen nicht sofort wieder aufstehen konnte, hatte Schiedsrichter Jim Finney genug gesehen. Er brach die Partie einfach ab. „Ich hatte das Gefühl, dass ich das tun musste, bevor jemand wirklich ernstlich verletzt wurde“, erklärte Finney anschließend. Vielleicht war Linhart tatsächlich gar nicht so schlecht beim American Football aufgehoben.
Wer hat die meisten Kopfballtore in einem Spiel erzielt?
Der beste, wenn auch etwas überraschende Kandidat auf diesen Titel ist ein großer, kräftiger Stürmer aus Brasilien, der auf den Namen João Ramos do Nascimento getauft war, den man aber nur als Dondinho kannte. Er spielte in den 1930er und 1940er Jahren für mehrere Klubs, darunter große Vereine wie Atlético Mineiro und Fluminense.
Warum ist es etwas überraschend, dass gerade dieser Spieler Anspruch auf einen Rekord erheben kann? Nun, wie sein Sohn später schrieb, entsprachen wuchtige Kopfbälle eigentlich nicht dem Naturell der Brasilianer: „Normalerweise hätte ein solcher Spieler aus England kommen müssen. Aber damals gab es in Brasilien einen Spieler, der einige tolle Kopfballtore machte. Er hieß Baltazar. Deswegen sagte jeder über meinen Vater, dass er der ,Baltazar vom Lande‘ wäre.“
Eine Mahlzeit bei den Nascimentos. Links Dondinho, in der Mitte der junge Pelé, dem von seiner Mutter, Dona Celeste, eine gute Portion serviert wird.
Der Sohn, der diese Zeilen verfasste, ist der Grund, weshalb sich noch heute viele Leute an Dondinho erinnern, obwohl er kein großer Star war. Er nannte seinen Sohn nämlich Edson Arantes do Nascimento – besser bekannt als Pelé. In dessen Autobiografie heißt es weiter: „Man sagte, dass Dondinho einmal fünf Tore in einem Spiel köpfte. Als ich später in meiner Karriere auf 1 Treffer kam, versuchten einige Reporter herauszufinden, ob diese Behauptung wahr war oder nicht. Und sie war es – die Journalisten vermeldeten, dass der einzige Torrekord, der nicht Pelé gehörte, von seinem Vater aufgestellt worden war!“
Ganz so eindeutig ist die Sache nicht. Es herrscht nämlich ein wenig Unklarheit darüber, bei welchem Spiel Dondinho sich in den Rekordbüchern verewigte. Victor Cunha, ein ehemaliger Präsident des Vereins Atlético Clube Três Corações, behauptet, dass es sich um eine Partie zwischen Atlético TC und Rio Vermelho gehandelt habe, die die Hausherren 6:1 gewannen. Doch die meisten Quellen – darunter zeitgenössische Publikationen und die Homepage von Pelés ehemaligem Klub Santos FC – verweisen auf ein Derby zwischen zwei Klubs aus der Stadt Itajubá: Yuracán FC gegen Smart Club am 5. August 1939. Dondinho spielte für Yuracán und steuerte zum 6:3-Sieg fünf Tore bei, alle per Kopf.
Einer der Augenzeugen war Dondinhos Mannschaftskollege Eloy Menezes, später bekannt als General Eloy Menezes – ein berühmter Reiter, der an drei Olympischen Spielen teilnahm und sogar Präsident des CNE wurde, des einflussreichen Nationalen Sportrates des Landes Brasilien.
Welcher Spieler hat den härtesten Schuss?
Bevor wir versuchen, das zu beantworten, sollten wir uns kurz vergegenwärtigen, wie hart ein wirklich harter Schuss überhaupt ist. Dafür blicken wir kurz auf das Spiel, das gemeinhin als schnellster Mannschaftssport der Welt gilt, Eishockey. Denn wenn wir sagen, dass jemand einen „harten Schuss“ hat, meinen wir ja in Wirklichkeit einen Schuss, der sich mit großer Geschwindigkeit durch die Luft bewegt.
Der russische Verteidiger Alex Riazantsev gilt als Spieler mit dem härtesten Schlagschuss der Welt, nachdem er Anfang 2012 bei einer Showveranstaltung den Puck auf 183,7 km/h beschleunigte. Das Verblüffende daran ist dies: Jene kleinen, kompakten Hartgummischeiben, die von kräftigen Männern mit Hilfe eines Holzschlägers, der als eine Art Wurfmaschine dient, durch die Luft katapultiert werden, fliegen langsamer als ein viel größerer, relativ leichter Fußball, der von einem menschlichen Bein getroffen wird. Denn egal, wo genau nun der aktuelle Rekord stehen mag, es gibt keinen Zweifel daran, dass eine Schussgeschwindigkeit jenseits der 200 km/h nötig ist, um wenigstens in seine Nähe zu kommen.
Im Februar 2007 veröffentlichte die englische Zeitung The Guardian eine Liste der „härtesten Schützen“. Sie wurde angeführt von Sheffield Wednesdays Stürmer David Hirst, dessen Schuss 1996 mit 183,47 km/h gemessen wurde. Doch zum Zeitpunkt des Guardian-Artikels galt vielen anderen Quellen schon ein Schuss von Roberto Carlos aus dem Jahre 2000 als schnellster – der Ball flog damals mit 202 km/h. Und dann tauchte ein Video aus dem November 2006 auf. Es zeigte den Brasilianer Ronny Heberson Furtado de Araújo – ja, genau: der spätere Hertha-Profi Ronny – im Trikot von Sporting Lissabon, wie er mit einem fulminanten Freistoß gegen Naval traf. Anhand des Filmmaterials wurde berechnet, dass der Schuss mit 210,9 km/h im Netz des Gegners einschlug.
Aber können uns Messungen solcher Art wirklich sagen, wie hart jemand schießt? Man denke nur daran, wie radikal sich das Spielgerät im Laufe der Jahre verändert hat. Leute, die sich mit so etwas auskennen, behaupten, dass Luigi Riva, der große italienische Star der 1960er und 1970er Jahre, mit einem modernen Ball ohne Weiteres Geschwindigkeiten von mindestens 200 km/h erreicht hätte. (Riva war berühmt für die Wucht seiner Schüsse. Im Oktober 1970 brach er mit einem von ihnen den Arm eines Jungen, der sich ein Trainingsspiel von Rivas Klub Cagliari Calcio ansah.)
Selbst wenn Messungen aussagekräftig wären: Die meisten Spieler, die für eine „Klebe“ berühmt waren, ließen die Geschwindigkeit ihrer Schüsse nie messen. Wie zum Beispiel der Frankfurter Bernd Nickel, der in den 1970er Jahren wegen seiner gefürchteten Schusskraft den Spitznamen „Dr. Hammer“ erhielt. Nickel verbrachte einen großen Teil seiner Kindheit damit, einen Ball gegen ein riesiges Scheunentor zu schießen. „Die Scheune ist längst abgerissen“, sagt er. „Wahrscheinlich, weil das Holztor morsch war.“ Auch von Ferenc Puskás wissen wir nicht, wie hart er wirklich schoss. Viele seiner Zeitgenossen schwören Stein und Bein, dass niemand jemals einen härteren Schuss hatte. Deswegen nannten sie ihn in Spanien, als er für Real Madrid spielte, „Cañoncito Pum“ – so etwas wie: die kleine, abfeuernde Kanone. Dann wäre da noch der legendäre österreichische Stürmer Franz „Bimbo“ Binder. In Dietrich Schulze-Marmelings Buch Der FC Bayern und seine Juden findet sich eine bezeichnende Anekdote, die auf einen 5:2-Sieg von Rapid Wien 1939 in München zurückgeht. „Nach dem Spiel“, heißt es dort, „überreichen die Bayern Binder ein zerrissenes Tornetz, das der Goalgetter mit seinen Schüssen zerfetzt hat“.
Und manchmal ist ein Schuss so hart, dass man ihn nicht messen kann. Im November 2004 schoss Anderlechts Walter Baseggio in einem Spiel der ersten belgischen Liga vom Strafraumrand aus volley auf das Tor von La Louvière. Baseggio traf den Ball mit solcher Wucht, dass das Spielgerät beim Aufprall explodierte – und mit heraushängender Blase über die Torlinie segelte. Der Schiedsrichter ließ den Treffer gelten, Anderlecht gewann 2:1.
Warum bekam Helmut Haller 180.000 Mark von einem englischen Boulevardblatt?
Als das WM-Finale 1966 im Wembley-Stadion von London abgepfiffen wurde, griff sich Helmut Haller – der Schütze des deutschen Führungstores – den Spielball und marschierte damit in die Kabine. Normalerweise ist es die Aufgabe des Schiedsrichters, den Ball nach dem Ende des Spiels an sich zu nehmen, doch in diesem Fall tat Gottfried Dienst das nicht. Vielleicht, weil Haller ihm einfach zuvorkam. Glaubt man den englischen Medien, dann brachte der Spieler für seine Handlung, die die Augsburger Allgemeine als „Ball-Klau“ bezeichnete, später eine etwas seltsame Erklärung vor: „Das ist eine alte deutsche Tradition. Wenn der Sieger einen Pokal bekommt, kriegt der Verlierer den Ball.“
In England ist es allerdings eine Tradition, dass der Schütze eines Hattricks den Spielball bekommt. Und nach englischer Definition hatte Geoff Hurst das im Finale getan. (In fast allen Ländern der Welt stellen drei Tore einen Hattrick dar – unabhängig davon, wann und in welcher Reihenfolge sie erzielt werden. Nur in Deutschland muss man sie in einer Halbzeit und ohne Unterbrechung durch einen anderen Treffer markieren.) Doch wie Hurst später zugab, vergaß er einfach „inmitten der ganzen Euphorie über die gewonnene Weltmeisterschaft“, sich um den Ball zu kümmern. Er hätte sogar eine gute Gelegenheit gehabt, das Spielgerät dann doch noch an sich zu nehmen, denn beim Bankett nach der Siegerehrung ließ Haller den Ball herumgehen, damit ihn die Spieler unterschreiben konnten.
Daran sieht man schon, dass der Deutsche nicht heimlich handelte und den Ball auch keinesfalls „klauen“ wollte. Und doch entstand im Laufe der Jahre der Mythos, dass Haller den historischen Ball buchstäblich unter den Nasen der Engländer geschickt aus dem Stadion geschleust habe. Sogar die Deutsche Welle schrieb noch im Juli 2009: „Bei der Spielerehrung schmuggelt er die Kugel unter dem Trikot vorbei an Königin Elisabeth.“ Das tat Haller aber mitnichten. Auf den Fotos, die nach dem Finale entstanden, kann man deutlich sehen, wie er der Queen die rechte Hand gibt – und dabei für alle Welt sichtbar den Ball unter den linken Arm geklemmt hat.
Vielleicht kam der Mythos vom verschollenen Ball deswegen auf, weil Haller das Leder einfach in den Keller seines Augsburgers Hauses legte – und dann dort so gut wie vergaß. Bis die britische Presse im Vorfeld der EM 1996 in England plötzlich wissen wollte, wo das wichtigste Spielgerät ihrer Fußballgeschichte abgeblieben war. Allen voran natürlich die berüchtigten englischen Boulevard-Blätter. So schrieb die Sun am 25. April 1996, dass sie „Hursts verlorenen Ball“ gefunden habe, und zwar „nach einer groß angelegten Suchaktion“.
Doch finden heißt nicht haben.
Am folgenden Tag meldete die Konkurrenz-Zeitung Daily Mirror, einer ihrer Reporter habe „seine Hände am Ball“ und sei damit zurück auf dem Weg nach England.
Jener Reporter, Peter Allen, schrieb anschließend sogar ein ganzes Buch (An Amber Glow) über seine Jagd nach dem Ball, obwohl die Recherche nun wirklich nicht schwierig war. Sogar Hurst wusste die ganze Zeit über, dass der Ball sich in Hallers Besitz befand.
Für welche Summe der Ball dann den Besitzer wechselte, ist nicht völlig sicher. Englische Zeitungen schrieben von 80.000 Pfund, von denen ein Viertel an die Kinderkrebshilfe gegangen sei. Der Spiegel vermeldete 180.000 Mark und fügte an: „Haller verschenkte das Geld.“ Wie auch immer, für einen der Beteiligten war es kein gutes Geschäft: für den Ball. Seine neuen Besitzer stellten das Leder in der Nähe des Bahnhofs Waterloo Station aus. „Er war dort der direkten Sonneneinstrahlung ausgesetzt“, klagte einige Jahre später Mark Bushell, Marketingchef des Nationalen Englischen Fußballmuseums. „Deswegen sind alle Autogramme verblasst. Es ist unglaublich.“
Hat schon einmal eine Frau ein männliches Profiteam trainiert?
Am 7. Mai 2014 druckten zahlreiche Zeitungen eine Meldung der Deutschen Presse-Agentur (dpa) unter der Überschrift „Erste Trainerin im Männerfußball“ ab. Es ging darin um die Portugiesin Helena Margarida dos Santos Costa, die als neue Trainerin des französischen Zweitligisten Clermont Foot verpflichtet worden war. Vieles an dieser Personalentscheidung war ungewöhnlich, etwa dass Costa nie selbst auf hohem Level gespielt hatte (sie musste ihre aktive Karriere schon mit 21 Jahren wegen einer Verletzung beenden). Oder dass sie zuletzt an etwas exotischen Orten wie Katar und dem Iran gearbeitet hatte. Doch natürlich war das Erstaunlichste an der Verpflichtung, dass Costa eine Frau war. Sogar die New York Times horchte auf. „Dies ist ein historischer Tag“, sagte die 36-Jährige der amerikanischen Zeitung in einem Telefoninterview. „Ich denke, es geht um mehr als nur die Fußballtrainerin Helena Costa. Es ist für alle Frauen im Sport gut, vor allem natürlich im Fußball.“
Die New York Times wies in ihrem Artikel darauf hin, dass selbst in den USA, wo der Frauenfußball größer und erfolgreicher ist als das Spiel der Männer, es noch keinen weiblichen Coach einer Profimannschaft der Herren gegeben hatte. „Sie wird die erste Trainerin sein“, konnte man lesen, „die in einer der beiden höchsten Klassen in einer der fünf großen Ligen Europas arbeitet.“ An all diesen Einschränkungen ließ sich schon erahnen, dass Costa zwar sicher einen bedeutenden Schritt getan hatte, aber mitnichten die erste Frau war, die Berufsfußballer trainierte.
Schon zwei Jahre zuvor, Anfang Mai 2012, hatte der peruanische Verein Club Deportivo Auxilios Mutuos Hijos de Acosvinchos (zum Glück nennen ihn selbst Einheimische nur „Hijos de Acosvinchos“) eine 43-jährige Bolivianerin namens Nelfi Ibañez Guerra als Trainerin verpflichtet. Der Klub spielte zu diesem Zeitpunkt in der 2. Liga Perus. Das Niveau dieser Spielklasse lässt sich nicht mit der 2. Liga in Frankreich vergleichen und die meisten Spieler von Hijos de Acosvinchos waren auch nur Halbprofis, dennoch machte die Verpflichtung Schlagzeilen. „Ich hätte gerne ein paar weibliche Kollegen“, sagte Nelfi Ibañez der französischen Nachrichtenagentur AFP. „Denken Sie nicht auch, dass ich wohl die Einzige auf der Welt bin? In allen Ländern, in denen ich war, scheine ich die einzige Frau zu sein, die Männer trainiert.“
Zu diesem Zeitpunkt war sie vielleicht die einzige – aber nicht die erste. Schon lange, lange vor ihr hatte eine der bekanntesten Spielerinnen der Welt – und zudem in einer wirklich bedeutenden Fußballnation – diese Vorreiterrolle übernommen. Ende Juni 1999 verpflichtete AS Viterbese Calcio, ein Klub aus der drittklassigen italienischen Serie C, niemand Geringeren als Carolina Morace. Die damals 35-jährige Venezianerin war als Spielerin Vizeeuropameisterin, mehrfache italienische Meisterin und lange Zeit Rekordnationalspielerin (nicht nur ihres Landes, sondern europaweit). Ausgebildete Rechtsanwältin und langjährige Trainerin der Frauen-Nationalelf war sie auch noch. Trotzdem hatte sie nicht damit gerechnet, ein solches Medienecho auszulösen. „Ich wusste, dass man mich genau beobachten würde“, sagte Morace vor Saisonbeginn, „aber nicht, dass man das mit gezogener Waffe tun würde. Es macht mich wütend, dass man ein Urteil über mich fällt, noch bevor ich begonnen habe. Vielleicht scheitere ich, aber das hat dann nichts mit meinem Geschlecht zu tun.“
Mitte September, nach nur zwei Spielen, trat Morace von ihrem Amt zurück. Als Grund gab sie aber nicht etwa die Berichterstattung der Medien an, sondern den Mann, der sie überhaupt erst zum Klub geholt hatte. Das war der umtriebige Luciano Gaucci, der Besitzer des Serie-A-Teams Perugia, der zwei Jahre zuvor auch Viterbese gekauft hatte. (Siehe: „Welcher Spielertransfer war der eigenartigste?“) Nach einer 2:5-Niederlage gegen Crotone, so Morace, habe Gaucci angekündigt, ihre Co-Trainerin Betty Bavagnoli zu entlassen. „Wenn dies das Klima hier ist, dann bin ich nicht die Richtige dafür“, sagte sie. Der Klub hingegen bestritt, dass Bavagnoli gefeuert werden sollte, und bezeichnete Moraces Rücktritt als „völlig unerwartet“.
Auch Helena Costa blieb nicht lange auf ihrem Posten. Oder besser: Sie trat ihn erst gar nicht an. Mitte Juni 2014, noch vor dem Start in die Saison, löste sie ihren Vertrag auf. „Diese Entscheidung kam plötzlich und überraschend“, sagte Claude Michy, der Präsident von Clermont Foot. „Ich bedaure dies zutiefst.“ Die Trauerarbeit war kurz. Schon zwei Tage später präsentierte Michy Ersatz für Costa, nämlich Corinne Diacre. Ebenfalls eine Frau.
Wer hat für die meisten Nationalmannschaften gespielt?
Sieht man einmal von der recht großen Gruppe von Fußballern ab, die in einem bestimmten Land Nationalspieler wurden und dann später noch ein zweites vertraten, nachdem das erste aufgelöst wurde (zum Beispiel im Zuge des Zerfalls der UdSSR), dann stechen vor allem zwei Spieler hervor. Sie wurden in zwei Ländern geboren, die 12.000 Kilometer voneinander entfernt sind, und fanden sich doch eines Tages in derselben Nationalmannschaft wieder – und zwar in der eines dritten Landes. Beide wurden von der FIFA gesperrt, gehörten zu den besten Spielern der Welt und nahmen trotzdem nie an einer WM-Endrunde teil.
Da wäre zunächst der legendäre Alfredo di Stéfano. Er gab sein internationales Debüt für sein Geburtsland Argentinien. Bei der Südamerikameisterschaft 1947 erzielte er in sechs Spielen ebenso viele Tore. Ein Jahr später legten Spielerstreiks die argentinische Liga auf Eis und viele Fußballer gingen nach Kolumbien, um dort Geld zu verdienen. So auch di Stéfano. Er schloss sich dem Klub Los Millonarios aus Bogotá an und bestritt 1949 auch vier Länderspiele für Kolumbien. Diese Partien werden allerdings von der FIFA nicht gewertet, weil der Weltverband in jenen Jahren die Liga und die Nationalmannschaft des Landes nicht anerkannte. Darum stand di Stéfano auch auf einer schwarzen Liste der FIFA, was seinen Wechsel zu Real Madrid 1953 zu einer komplizierten Posse werden ließ. Etwas später, 1956, bekam di Stéfano die spanische Staatsbürgerschaft und bestritt 31 Partien für seine neue Heimat. Er spielte also offiziell für zwei, inoffiziell für drei Nationen.
Vielleicht ist er bis heute der beste Spieler, der nie bei einer WM auflief. Argentinien nahm 1950 wegen eines Streits mit dem brasilianischen Verband, der damals Ausrichter war, nicht an der WM teil. Acht Jahre später scheiterte Spanien in der Qualifikation an Schottland, 1962 konnte di Stéfano wegen einer Verletzung nicht zur WM nach Chile reisen. So bleibt die Frage „Was wäre gewesen?“ – und die stellt sich in gewisser Weise auch in Bezug auf die Vereinskarriere di Stéfanos. Sein Name ist heute sehr eng mit Real Madrid verbunden, aber um ein Haar wäre er beim FC Barcelona gelandet. Und hätte dort vielleicht mit einem anderen rastlosen Könner zusammenspielen können – Ladislao Kubala.
Alfredo di Stéfano als Stürmerstar des kolumbianischen Klubs Los Millonarios. Unsterblich wurde er anschließend bei Real Madrid.
Der verschlungene Karriereweg von Kubala macht deutlich, durch wie viele Tragödien seine Generation gehen musste und wie sehr Kriege oder Revolutionen das Leben vieler Menschen im 20. Jahrhundert bestimmten. Er wurde 1927 geboren, ein Jahr nach di Stéfano, und zwar in Budapest als Sohn slowakischer Eltern. Auch wegen dieser Abstammung bestritt er sein erstes Länderspiel für die Tschechoslowakei, denn nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs siedelte Kubala (angeblich, um dem Wehrdienst in Ungarn zu entgehen) nach Bratislava über. Im Oktober 1946 lief er zum ersten von sechs Länderspielen für das Land seiner Vorfahren auf.
Im April 1948 ging Kubala zurück nach Ungarn, weil er ein Angebot von Vasas Budapest bekommen hatte. (Obwohl es auch Stimmen gibt, die behaupten, dass er diesmal dem tschechischen Wehrdienst entgehen wollte.) Er blieb nicht einmal ein Jahr in seinem Geburtsland, denn im Januar 1949 floh er aus politischen Gründen über Österreich nach Italien. (Kubala wollte nicht in einem kommunistischen System leben.) Doch in diesen paar Monaten spielte Kubala dreimal für jene berühmte ungarische Nationalelf, die bald die beste der Welt werden sollte und deren Siegeszug erst 1954 durch das „Wunder von Bern“ gestoppt wurde.
Auf Druck des ungarischen Verbandes sperrte die FIFA Kubala für ein Jahr. Im Mai 1949 lud ihn der AC Turin ein, die Mannschaft zu einem Freundschaftsspiel gegen Benfica in Lissabon zu begleiten. Kubala sagte nur deshalb ab, weil sein Sohn krank war. Das war sein Glück, denn das Turiner Flugzeug stürzte am Berg Superga ab – es gab keinen einzigen Überlebenden.
Einige Monate später stellte Kubala ein Team von osteuropäischen Exilanten zusammen, das als fußballerische Attraktion durch die Lande zog. Bei einigen Spielen in Spanien erregte Kubala das Interesse der großen Klubs. Er schloss sich dem FC Barcelona an und bestritt nach dem Ablauf seiner Sperre fast 190 Ligaspiele für die Katalanen.
Recht schnell – 1953, und damit drei Jahre vor di Stéfano – wurde Kubala spanischer Staatsbürger. Im Juli 1953 bestritt er das erste von 19 Spielen für Spanien, in denen er elf Tore schoss. Auch Kubala nahm nie an einer WM teil: 1954 und 1958 kam Spanien nicht durch die Qualifikation, 1962 war er – wie di Stéfano – verletzt.
So bleibt Kubala – der 1999 von den Barcelona-Fans zum besten Fußballer gewählt wurde, der je für Barça auflief – der einzige Spieler, der ganz offiziell für drei verschiedene Länder spielte. Inoffiziell sogar für vier. Im Januar 1955 spielte er für die katalanische Nationalelf, die aber von der FIFA nicht anerkannt wird. Der Gegner an jenem Tag war der FC Bologna. Katalonien gewann 6:2. Ladislao Kubala schoss zwei Tore. Ein anderes erzielte Alfredo di Stéfano.
Welcher Fußballer hat für sein Land auf den meisten verschiedenen Positionen gespielt?
„Mister Vielseitigkeit – ein gelernter Mittelläufer – gab stets alles, wo auch immer der Trainer ihn hinstellte: Mittelläufer oder rechter Außenläufer, rechter oder linker Verteidiger. Er spielte auch oft im Tor, und nicht etwa nur aus Jux.“ Als Peter Goulding von der Website „Football Poets“ dies über den irischen Fußballer Cornelius Joseph Martin schrieb, nahm er sich keineswegs dichterische Freiheiten heraus. Man schaue sich nur die Fakten an: Martin schoss als Mittelstürmer in drei Länderspielen vier Tore, wurde dann von Aston Villa als Mittelläufer verpflichtet, spielte für Leeds United Innenstürmer und lehnte ein Angebot von Manchester United ab, als dieser Verein ihn ins Tor stellen wollte. Martins Vielseitigkeit schien grenzenlos zu sein: Er spielte sowohl für Irland als auch für Nordirland Fußball und gewann als junger Mann einen wichtigen Pokal im Gaelic Football.
Martin gab sein Länderspieldebüt für Irland auf einer Tournee über die iberische Halbinsel im Jahre 1946 – im Tor. Danach gelangen ihm in 30 Partien sechs Tore (vier davon vom Elfmeterpunkt). Seine Lieblingsposition war die des Mittelläufers, dem Vorläufer des Liberos. Doch manchmal spielte Martin auch als Sturmführer oder in der Abwehr. Einen seiner Elfmeter verwandelte er übrigens am 21. September 1949 im Goodison Park in Liverpool, als Irland 2:0 gegen die englische Nationalelf gewann. Es war ein historisches Spiel, denn die Niederlage war Englands erste auf eigenem Platz! Martin spielte zu jener Zeit für einen englischen Verein, Aston Villa, deshalb fuhr er nach dem Spiel nicht mit den Iren nach Hause, sondern reiste im Mannschaftsbus der Engländer nach Birmingham.
Noch flexibler als Martin war der belgische Mittelfeldspieler Armand Joseph „Jef“ Jurion, der auch deswegen eine gewisse Berühmtheit erlangte, weil er mit Brille spielte. Während seiner Karriere im Nationaltrikot, die von 1955 bis 1967 dauerte, bekleidete er gleich sieben Positionen im belgischen Team. Doch weder Jurion noch Cornelius Martin können es mit Gerhard Hanappi aufnehmen, denn der legendäre Österreicher spielte für sein Land im Laufe der Jahre auf jeder einzelnen Position im Feld, nur ins Tor ging er nie.
Hanappi lief 1948 zum ersten Mal für die Nationalelf auf, da war er erst 19. (Danach verpasste er keines der folgenden 55 Länderspiele, was bis heute ebenso österreichischen Rekord darstellt wie seine Gesamtzahl von 93 Einsätzen im Nationaltrikot.) Bei seinem Debüt wurde er als rechter Läufer eingesetzt, obwohl Rapid Wien ihn später als Bindeglied zwischen Abwehr und Angriff verpflichtete, also als Mittelläufer. (Verwirrenderweise gab es damals auch noch eine Position, die „Verbinder“ genannt wurde, bei der es sich aber um einen Halbstürmer handelte, weil der die Verbindung zwischen dem Mittelstürmer und den Flügelspielern herstellte.)
„Verpflichtet“ ist vielleicht nicht das richtige Wort, denn Hanappi war 1950 total versessen darauf, zu Rapid zu gehen, dem großen Arbeiterklub des Landes. Doch sein Verein, Wacker Wien, wollte ihn nicht ziehen lassen. Und so verschwand Hanappi einfach. Mit der Hilfe einiger Rapid-Funktionäre tauchte er ein halbes Jahr lang unter. Schließlich gab Wacker nach und erteilte Hanappi die Freigabe für den Wechsel zu Rapid.
Tausendsassa Gerhard Hanappi im Stadion seines geliebten Rapid Wien, 1961.
Das heißt, so völlig verschwand Hanappi nicht. Denn während jener sechs Monate des Versteckens berief Nationaltrainer Walter Nausch ihn weiterhin zu Länderspielen – und stellte ihn auf alle möglichen Positionen. „Der konnte überall spielen“, sagte Nausch später einmal über Hanappi und meinte das auch genau so. In der Saison 1952/53 schoss Hanappi zum Beispiel 21 Tore für Rapid, womit er der zweitbeste Torjäger seines Klubs war. Aber als er im Oktober 1953 im Wembley-Stadion für eine Europaauswahl gegen England auflief, spielte er linker Verteidiger – und nahm den großen Stan Matthews aus der Partie.
Hanappis Vielseitigkeit war nicht auf den Fußballplatz beschränkt. Er kam aus einer armen Arbeiterfamilie und wuchs bei seiner Tante auf, nachdem seine Mutter jung gestorben war. Doch er war klug, aufgeweckt und lernte schnell. Noch während seiner aktiven Karriere studierte Hanappi nebenbei Architektur und schlug später diesen Berufsweg ein. Er plante und baute das 1977 eröffnete Weststadion in Wien. Nur knapp drei Jahre später starb Hanappi an Krebs. Vierzehn Monate darauf wurde das Weststadion umbenannt in Gerhard-Hanappi-Stadion.
Ist bei einem großen Turnier schon mal ein Feldspieler mit der Rückennummer 1 aufgelaufen?
Der holländische Stürmer Ruud Geels hatte eine lange und erfolgreiche Karriere, in deren Verlauf er auch 20 Mal für sein Land spielte. Doch Hollands Nationaltrainer Rinus Michels verbaute ihm die Chance, bei der WM 1974 in Deutschland Geschichte zu schreiben. Zu jenem Turnier brachen die Niederländer nämlich mit der Tradition, die Rückennummern der Spieler mit ihren Positionen zu verknüpfen – also dem Torwart die „1“ zu geben, dem Linksverteidiger die „2“ und so weiter. Stattdessen wurde der Kader einfach nach dem Alphabet durchnummeriert. Deswegen trug Torwart Jan Jongbloed während des Turniers die Rückennummer „8“.
Die große Ausnahme machte wieder einmal Superstar Johan Cruyff. Nach jenem neuen System hätte er eigentlich die „1“ bekommen müssen, doch „König Johan“ bestand auf seiner glücksbringenden „14“ und durfte sie natürlich behalten. So wurde das Trikot mit der „1“ dem Spieler gegeben, der in der alphabetischen Liste der Nachnamen auf Cruyff folgte – Geertruida Maria „Ruud“ Geels. Doch Michels setzte ihn nicht ein. Das auf Kurzpässen und Positionstausch basierende System des „totalen Fußballs“ hatte nur bedingt Verwendung für einen klassischen Torjäger, der ein toller Kopfballspieler war und Flanken brauchte. So wurde den deutschen Fußballfans das Erlebnis verwehrt, einen Feldspieler mit der Nummer „1“ zu sehen. Als Geels beim nächsten Turnier, der EM 1976, tatsächlich eingesetzt wurde, hatten die Holländer ihr eigentümliches System der Nummerierung bereits wieder aufgegeben und der Spieler lief mit der „13“ auf.
Allerdings waren die Holländer nicht die Einzigen, die 1974 die Sache mit den festen Rückennummern etwas exzentrisch angingen. Auch Argentinien nummerierte alphabetisch – machte dabei aber eine Ausnahme für seine drei Torhüter, denn für die wurden die Nummern „1“, „12“ und „21“ reserviert. Vier Jahre später jedoch, als sie selbst Ausrichter der WM waren, ließen die Argentinier auch diese Einschränkung fallen und nummerierten die Trikots stringent nach dem Alphabet durch: Norberto „Beto“ Alonso bekam die Nummer „1“, Osvaldo Ardiles die „2“, Ersatztorwart Hector Baley die „3“ und so fort.
Nationaltrainer Cesar Luis Menotti war kein ausgesprochener Fan von Alonso (und berief ihn vielleicht sogar nur deshalb in den WM-Kader, weil die herrschende Militärjunta ihn dazu drängte), dennoch wechselte er ihn 15 Minuten vor dem Ende des ersten Gruppenspiels gegen Ungarn ein. In diesem Moment betrat ein offensiver Mittelfeldspieler mit der Rückennummer „1“ den Rasen. (Bei seinem Klub River Plate trug Alonso die klassische Nummer des Spielmachers, die „10“, und war stolz darauf.)
Auch bei den beiden folgenden Weltmeisterschaften, 1982 in Spanien und 1986 in Mexiko, hielten es die Südamerikaner so. Sie machten zwar, wie einst Holland für Cruyff, ein paar Ausnahmen, wenn es um Stars wie Diego Maradona, Daniel Passarella und Jorge Valdano ging, doch auch einem verdienten und bekannten Spieler wie Ardiles machte es nichts aus, 1982 die Rückennummer „1“ zu tragen.
Obwohl die Rückennummern heute nur noch wenig mit der Position eines Spielers zu tun haben, ist es noch immer ungewöhnlich, einen Feldspieler zu sehen, der die „1“ trägt. Noch seltsamer ist wohl nur noch die Nummer, die der leider viel zu früh verstorbene Marokkaner Hicham Zerouali im Jahre 2000 wählte. Er spielte damals für den FC Aberdeen in Schottland, dessen Fans ihn wegen seines Nachnamens „Zero“ nannten. Und so suchte er sich als Rückennummer die „0“ aus. Dem schottischen Verband gefiel das gar nicht, und am Ende der Saison wurde das Tragen dieser Nummer verboten. (Allerdings nur in Schottland. In der Saison 2006 hatte Torwart Steve Cronin bei seinem Klub Los Angeles Galaxy in der Major League Soccer ebenfalls die „0“.)
Die Schotten waren nicht die ersten Bürokraten, die die Wahlfreiheit eines Fußballers beschränkten. In den 1990er Jahren bevorzugte der finnische Mittelfeldspieler Mika Lehkosuo die „96.2“ auf seinem Trikot – weil das die UKW-Frequenz einer lokalen Radiostation war. Als sich sein Verein HJK Helsinki 1997 für die Champions League qualifizierte, musste Lehkosuo sich eine neue Rückennummer suchen, da die UEFA für ihre Wettbewerbe nur natürliche Zahlen von 1 bis 99 akzeptierte. (Er wählte die „96“.)
Ein anderer Kontinentalverband, der asiatische, ist liberaler, was die Anzahl der erlaubten Rückennummern angeht. Er muss das aber auch sein, denn in Asien gilt die Regel, dass ein Spieler die Nummer, die er zu Beginn einer Qualifikationsrunde trägt, den ganzen Wettbewerb hindurch behalten muss. Das bedeutet, dass unter einem Trainer, der zum Beispiel gerne experimentiert oder vielen Spielern eine Chance geben will, der allgemein als normal angesehene Zahlenraum bald nicht mehr ausreicht. Als der australische Linksaußen Tommy Oar am 3. März 2010 im letzten Qualifikationsspiel seines Landes für den AFC Asian Cup (die Asienmeisterschaft) sein Länderspieldebüt gab, trug er die Rückennummer „121“.
Welcher Profi hatte das komplizierteste Ritual vor einem Spiel?
Ob er es nun zugibt oder nicht, nahezu jeder Fußballer ist abergläubisch und folgt vor Spielen einem bestimmten Ritual. Dabei kann es sich um eine Kleinigkeit handeln wie eine bestimmte Reihenfolge beim Anlegen der Spielkleidung (der englische Nationalspieler Paul Ince zog stets das Hemd zuletzt an). Oft geht es ums Betreten oder Verlassen des Rasens (Dortmunds Kevin Großkreutz geht nach dem Aufwärmen als Letzter vom Feld, während der ivorische Verteidiger Kolo Touré äußersten Wert darauf legt, dass beim Einlaufen niemand hinter ihm ist). Manche Macken sind amüsant – so hielt der spanische Torwart Pepe Reina während seiner Zeit in Liverpool vor jedem Spiel an derselben Tankstelle und füllte den Wagen auf, ob es nun nötig war oder nicht.
Einige Eigenheiten können für Unannehmlichkeiten sorgen, sind aber immer noch harmlos. In diese Kategorie fällt wohl Krassimir Balakovs Angst vor der Rückwärtsbewegung. Über den Bulgaren, der acht Jahre für den VfB Stuttgart spielte und dann dort Co-Trainer wurde, schrieb die Gmünder Tagespost 2004: „Als [Busfahrer] Rolf Geissler den Rückwärtsgang einlegen wollte, funkte Krassimir Balakov dazwischen. Der Bulgare verhinderte, dass der VfB-Bus rückwärts den engen Parkplatz vor der AWD-Arena ansteuerte. Der Co-Trainer ist abergläubisch und möchte sich immer nur vorwärts bewegen. Die Profis mussten zu Fuß den Weg bis zur Kabine zurücklegen. Danach manövrierte Geissler den Dreiachser durch das Gittertor – rückwärts.“
Andere Spieler haben viel ausgeklügeltere Rituale, denken wir nur an Cristiano Ronaldo von Real Madrid: Er stellt nicht nur an einem Spieltag kurz die Fußballschuhe unter die Büste seines früh verstorbenen Vaters, sondern braucht auch bei der Anreise einen ganz speziellen Sitzplatz (im Bus in der letzten, im Flugzeug in der ersten Reihe), bevor er das Spielfeld dann zuerst mit dem rechten Fuß betritt und kurz vor den Anpfiff einmal in die Luft springt. Doch so ausgefeilt all das auch sein mag, im Vergleich zu John Tudor, der in den 1970ern für Newcastle United spielte, ist Ronaldo praktisch neurosenfrei.
Das Buch The Rough Guide 11s – Newcastle United beschreibt, wie Tudor sich am Tag eines Spiels vor Pech und Unheil zu schützen suchte: „Der Stürmer aß immer um 12 Uhr zu Mittag. Und zwar stets die gleiche Mahlzeit: Bohnen auf Toast mit ein wenig Reispudding. Im Bus musste ihm dann Alec Mutch, der Mannschaftsarzt, persönlich ein nicht mehr in Papier eingewickeltes Kaugummi mit Pfefferminz-Geschmack reichen. Dieses Kaugummi behielt Tudor das ganze Spiel über im Mund und nahm es erst nach dem Abpfiff heraus. Nach dem Verlassen des Busses und kurz vor Erreichen der Umkleidekabine musste er einen Schluck Whisky trinken. Auch der wurde ihm von Mutch gereicht. Dann öffnete er zusammen mit seinem Sturmpartner Malcolm Macdonald eine Dose – keinen Karton – mit Hansaplast und klebte die Heftpflaster straff um seine Knöchel. Anschließend nahm Macdonald die nun leere Dose, füllte sie mit Wasser, nahm seine vier falschen Schneidezähne heraus, legte sie in die Dose, schloss den Deckel und verstaute das Ganze.“ Dann, und erst dann, fühlte sich John Tudor bereit für ein Fußballspiel.
Wer war der älteste Nationalspieler?
Im Frühjahr 2014 vermeldeten die Nachrichtenagenturen, dass ein 20 Jahre alter Rekord gefallen war. Seit der WM 1994, an der er als 42-Jähriger für Kamerun teilnahm, galt Roger Milla als ältester Nationalspieler eines afrikanischen Landes. Doch am 13. April 2014 lief der Stürmer Kersley Appou im Alter von 43 Jahren und 354 Tagen für Mauritius gegen Mauretanien auf und stieß Milla sozusagen vom Sockel. Als die BBC dies meldete, fügte sie hinzu, dass Appou damit „nicht an MacDonald Taylor Sr. von den Amerikanischen Jungferninseln heranreicht, der mit 46 Jahren und 217 Tagen den Weltrekord hält“.
Doch hier war die BBC ungenau. Zwar hält Taylor Sr. seit 2004 den Rekord für den ältesten Spieler, der an einem Qualifikationsspiel zur WM teilnahm, doch wenn es um gewöhnliche Länderspiele geht, dann liegen noch einige Kicker vor ihm. Einer von ihnen kommt sogar aus Europa und nahm an einer EM-Endrunde teil: der Grieche Georgios Koudas. Als er am 20. September 1995 sein 43. und letztes Länderspiel bestritt, war er 48 Jahre und 301 Tage alt. (Und das war, noch bevor Otto Rehhagel griechischer Nationaltrainer wurde, der ja gerne auf erfahrene Spieler setzte!)
Vor Koudas liegt nur noch ein Mann namens Richard Barrie Dewsbury, der im Alter von 52 Jahren bei den „Island Games“ für die Kanalinsel Sark spielte. Bei dem Turnier handelt es sich um einen Wettbewerb unter autonomen Inseln wie Jersey oder Guernsey, aber auch Gibraltar oder den Färöern. Im Gegensatz zu den letzten beiden Teams ist die Fußballauswahl von Sark nicht Mitglied der UEFA oder der FIFA. Es bleibt also dem Leser überlassen, ob er Dewsbury als ältesten Spieler akzeptiert oder diese Ehre lieber Koudas zugesteht.
Über den ältesten deutschen Nationalspieler herrschte übrigens kurzzeitig Verwirrung. Als der kicker 2008 das Sonderheft 100 Jahre Deutsche Länderspiele veröffentlichte, landeten zwei Spieler in der Liste der ältesten Akteure vorne, bei denen das falsche Geburtsjahr zugrunde gelegt worden war (Hermann Lux und Erich Pohl). So ist der deutsche Fußball-Methusalem in Wahrheit Lothar Matthäus, der mit 39 Jahren und 91 Tagen zum letzten Mal das Adlertrikot trug.
Welcher Fußballer kam am weitesten herum?
Der englische Torwart John „Budgie“ Burridge ist in seinem Heimatland für eine Menge Dinge bekannt. So spielte er Anfang der 1980er Jahre zum Beispiel einmal für die Wolverhampton Wanderers gegen Newcastle United in einem Superman-Kostüm. (Er tat das, um eine Wette mit Kevin Keegan zu gewinnen. Der Schiedsrichter meinte, er habe keine Einwände, solange Burridges Outfit den Regeln entsprechend deutlich von den Trikots der Feldspieler zu unterscheiden sei. Und das war es weiß Gott.) Vor allem aber spielte der Keeper in seiner langen Karriere für 29 verschiedene Klubs, davon nicht weniger als 15 im englischen Profifußball.
Diese 15 waren: Workington Town (1969-71), FC Blackpool (1971-75), Aston Villa (1975-78), Southend United (1977-78), Crystal Palace (1978-80), Queen’s Park Rangers (1980-82), Wolverhampton Wanderers (1982-84), Derby County (1984), Sheffield United (1984-87), FC Southampton (1987-89), Newcastle United (1989-91), FC Scarborough (1993), Lincoln City (1993/94), Manchester City (1994-95) und FC Darlington (1995/96).
Burridges Wanderlust war so groß, dass er auch in Schottland spielte, und zwar für den FC Aberdeen, FC Dumbarton, FC Falkirk, Hibernian Edinburgh und Queen of the South (ein Klub aus Dumfries). Nachdem er seine Handschuhe an den Nagel hängte – und eine schwere Depression überstand –, wurde er Torwarttrainer im Oman und entdeckte Ali Al-Habsi, der später in Europa spielte, etwa für Lyn Oslo und Wigan Athletic. Al-Habsi sagte mal: „Nach Gott ist John Burridge die wichtigste Person.“
Und doch wirkt Burridge geradezu bodenständig, wenn man ihn mit Deutschlands Antwort auf Jules Vernes Weltumrunder Phileas Fogg vergleicht. Die Rede ist natürlich von Lutz Pfannenstiel. Der gebürtige Niederbayer sieht zwar ein wenig aus, als habe er eine Karriere als Rock-Gitarrist oder Pornodarsteller hinter sich, doch er ist der einzige Mensch, der von sich sagen kann, in allen sechs Kontinentalverbänden der FIFA als Berufsfußballer aktiv gewesen zu sein, also in Afrika, Asien, Europa, Nordamerika, Ozeanien sowie Südamerika.
Pfannenstiel, der nur im U-17-Bereich Nationalspieler war, begann seine wendungsreiche Karriere als Torwart in Bad Kötzting, einem Kneippheilbad östlich von Regensburg, unweit der tschechischen Grenze. Nur drei Jahre später, da war er gerade 20, wechselte Pfannenstiel, der unbedingt so schnell wie möglich Profi werden wollte, ans andere Ende der Welt, zu Penang FA in Malaysia. Dort blieb er zwar nur sieben Monate, aber die Blaupause für sein Nomadenleben war damit erstellt: In den knapp 20 Jahren, die Pfannenstiel zwischen den Pfosten verbrachte, war er bei mindestens 27 Vereinen in 14 verschiedenen Ländern unter Vertrag, darunter die Orlando Pirates (aus Johannesburg in Südafrika), Dunedin Technical (ein neuseeländischer Klub), die Calgary Mustangs (Kanada) und Atlético de Ibirama (Brasilien), womit er alle FIFA-Kontinentalverbände abgeklappert hatte. Übrigens lautet der korrekte Name des Klubs aus Ibirama „Clube Atlético Hermann Aichinger“. Er wurde nach dem österreichischen Architekten benannt, dem der Verein sein Stadion zu verdanken hat.
Mit der Mischung aus Neugier und Gottvertrauen, die man eher mit Entdeckern des 19. Jahrhunderts verbindet, hütete Pfannenstiel in Albanien, Armenien oder Namibia das Fußballtor und wurde unter dem Verdacht der Spielmanipulation in Singapur festgenommen – obwohl er das fragliche Spiel gewonnen hatte. („Der Staat sorgte sich um sein Saubermann-Image und brauchte Erfolge“, schreibt Pfannenstiel in seiner Autobiografie. „Ich wurde in einem völlig lächerlichen Prozess zu einer Haftstrafe verurteilt.“ Er teilte sich eine Zelle „mit zehn Drogenschmugglern, Mördern und Vergewaltigern“.)
In der Ukraine kam er vermutlich mit der russischen Mafia in Kontakt, weshalb er bis heute verschweigt, für welchen Verein er dort spielte. „Vor dem Klub, bei dem ich dort war, vor dem habe ich einen Heidenrespekt, ja sogar Angst“, sagte er vor einigen Jahren der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung. „Das war alles ziemlich rau dort, und ich bin sehr froh, dass ich da heil rausgekommen bin.“
Fußball gegen den Klimawandel. Weltenbummler Lutz Pfannenstiel im Trikot des Global United FC.
Trotz all seiner Stationen schaffte Pfannenstiel nie in einer der großen europäischen Ligen den Durchbruch. Am nächsten kam er einer „richtigen“ Karriere wohl in England, wo er zunächst beim FC Wimbledon unter Vertrag stand und dann Ersatzkeeper bei Nottingham Forest war. Doch Bekanntheit erlangte er in England nicht etwa wegen seiner Fangkünste, sondern weil er bei einem Spiel mit dem Fünftligisten Bradford Park Avenue an Weihnachten 2003 mit einem Gegner zusammenstieß, das Bewusstsein verlor und dreimal durch Mund-zu-Mund-Beatmung wiederbelebt werden musste.
Das war wahrscheinlich die gefährlichste Erfahrung seiner Karriere, die wohl enttäuschendste machte er ausgerechnet in seinem Heimatland: Sein Engagement beim Regionalligisten Wacker Burghausen brach er 1999 ab, weil seine indonesische Freundin von Rassisten bedroht wurde. „Am Anfang habe ich gedacht, das ist ein Witz. Oder dass irgendein Wahnsinniger versucht, etwas Spaß zu haben“, sagte Pfannenstiel in einem Interview. „Das Ganze wurde jedoch von Woche zu Woche schlimmer und später auch ein Fall für die Kriminalpolizei.“ Er packte seine Koffer und zog mit seiner Familie nach Singapur. (Wo er dann, wie schon erwähnt, im Knast landete.)
Seine aktive Laufbahn beendete Pfannenstiel Ende 2010. Ein Jahr zuvor hatte er zusammen mit Fredi Bobic den Global United FC gegründet, einen gemeinnützigen Verein, der Fußball spielt, um – wie es das Wappen des Klubs sagt – gegen den Klimawandel zu kämpfen. Im März 2012 verbrachte Pfannenstiel fünf Tage in einem Iglu, um auf den Klimaschutz aufmerksam zu machen. Als einer der sehr wenigen Menschen, die einen solchen Vergleich überhaupt anstellen können, ließ er anschließend wissen, dass ein Iglu einer Zelle in einem singapurischen Gefängnis vorzuziehen sei.
Pfannenstiel, der heute als Scout für die TSG Hoffenheim und als Experte für Funk und Fernsehen tätig ist, sagt, dass es nie sein Ziel war, als Weltenbummler in die Geschichte einzugehen: „In England scherzten meine Kollegen, dass ich mehr Klubs hätte als Tiger Woods Schläger [im Englischen heißen auch die Golfschläger „clubs“], aber ich bin kein Abenteurer, wie viele meinen, sondern hatte immer gute Gründe.“ Vielleicht wäre ja auch alles ganz anders gekommen, wenn Pfannenstiel nicht mit 18 Jahren das Angebot eines nicht ganz unbekannten Klubs ausgeschlagen hätte. Es kam vom FC Bayern München.
Hat schon mal ein Fußballer an einem Tag zwei Spiele bestritten?
In der Saison 1956/57 verewigte der türkische Mittelfeldspieler Can Bartu seinen Namen in den Geschichtsbüchern des Sports. Er wurde nämlich als Mitglied des Basketballteams von Fenerbahçe Istanbul Meister seines Landes und lief sechsmal für die Nationalmannschaft auf. In derselben Spielzeit war Bartu für Fenerbahçe aber auch noch als Profifußballer aktiv. Und wie! Er schoss mehr Tore als jeder andere Spieler seines Teams, wurde in die Fußball-Nationalelf berufen und gewann mit Fenerbahçe den Titel in der Istanbuler Liga. (Vor 1959 gab es in der Türkei nur regionale Fußball-Ligen.)
Am Ende dieser ereignisreichen und vor allem anstrengenden Saison musste sich das 21-jährige Multi-Talent jedoch für eine der beiden Sportarten entscheiden. Er wählte den Fußball, und das war wohl die richtige Wahl, denn Can Bartu war so gut, dass er 1961 in die lukrative Serie A wechselte, wo er sechs Jahre lang für mehrere italienische Klubs spielte.
Doch auch wenn einige Internet-Quellen etwas anderes behaupten: Can Bartu spielte niemals am selben Tag für die Fußball-Mannschaft und das Basketball-Team. Er hätte es zwar durchaus tun können, denn damals begannen die Fußballspiele in der Türkei am frühen Nachmittag, während Basketball eine Abendveranstaltung war. Doch die einzelnen Partien in den beiden Ligen fanden stets an unterschiedlichen Tagen statt. So schoss Can Bartu am 23. Januar 1957 beim 4:0-Sieg gegen Beyoğluspor zwei Treffer auf dem Rasen, und einige Tage später (nicht am selben, wie Wikipedia meint) gelangen ihm zehn Punkte beim 44:43-Erfolg im Derby gegen Galatasaray auf dem Basketball-Court.
Es gibt aber mindestens drei Fußballer, die an einem Tag an zwei Spielen beteiligt waren. Seltsamerweise standen zwei von ihnen beim FC Bayern unter Vertrag, als sie zu „Jetsettern“ wurden. Der Erste war der Däne Sören Lerby, der am 13. November 1985 fast eine Stunde lang für sein Land spielte, und zwar in einem WM-Qualifikationsspiel gegen Irland. (Dänemark gewann 4:1 in Dublin.) Nachdem er ausgewechselt worden war, bestieg Lerby einen Privatjet, der ihn in die Nähe von Bochum brachte. Dort spielte der FC Bayern nämlich im Achtelfinale des DFB-Pokals. Lerby kam zu Beginn der zweiten Hälfte beim Stand von 1:0 für sein Team in die Partie. (Sie endete 1:1 nach Verlängerung.)
Fast genau zwei Jahre später organisierten die Bayern einen ähnlichen Trip für den Waliser Mark Hughes. Am 11. November 1987 verlor Hughes erst mit seiner Nationalelf gegen die Tschechoslowakei in Prag, dann gewann er mit den Bayern 3:2 gegen Gladbach im Pokal, auch dieses Spiel ging übrigens in die Verlängerung.
Doch so etwas passiert nicht nur in Deutschland. Am 16. Juni 1996 spielte der Torhüter Jorge Campos zunächst für Mexiko gegen die USA. Die Partie fand in Pasadena, Kalifornien, vor mehr als 90.000 Zuschauern statt. Es war das letzte Gruppenspiel des US Cups, eines Einladungsturniers. Durch ein 2:2 gewann Campos mit seinem Team den Pokal – und spielte nach einer kurzen Pause auf demselben Platz gleich weiter. Denn an jenem Tag wurde ein sogenannter „Doubleheader“ ausgetragen, der den US-Fans zwei Begegnungen zum Preis von einer bot. Campos’ Mannschaft, die LA Galaxy, traf in einem Ligaspiel auf Tampa Bay Mutiny. Wieder lautete das Resultat 2:2. Im Gegensatz zu Lerby und Hughes spielte der Mexikaner in beiden Partien durch.
Doch ein Engländer aus Huddersfield übertraf Campos vermutlich noch, ganz zu schweigen von Hughes oder Lerby. Chris Balderstone betrieb gleich zwei Sportarten, nämlich Fußball und Cricket. Damit steht er zwar nicht ganz alleine (Geoff Hurst, der einzige Fußballer, dem drei Tore in einem WM-Finale gelangen, spielte als junger Mann auch auf höchstem Niveau Cricket), doch Balderstone war der bislang letzte Athlet, der beide Sportarten über einen längeren Zeitraum hinweg berufsmäßig betrieb.
Am Montag, dem 15. September 1975, machte er für die Grafschaft Leicestershire wichtige Punkte bei einem Spiel in der Stadt Chesterfield gegen Derbyshire. Direkt im Anschluss sprang er in ein Taxi und fuhr ins 50 Kilometer entfernte Stadion seines Fußball-Klubs Doncaster Rovers, der an jenem Abend in der 3. Liga gegen Brentford spielte. Die Partie endete 1:1, doch Balderstone hatte nur wenig Zeit zum Durchschnaufen. Er eilte zurück nach Chesterfield, denn erst am folgenden Tag würde die Cricket-Begegnung zu Ende gehen. Der zu diesem Zeitpunkt 34 Jahre alte Allrounder bekam zwar nur wenig Schlaf, doch erneut war er der herausragende Spieler, als Leicestershire zum ersten Mal überhaupt englischer Meister wurde.
Von welchem Spieler lässt sich behaupten, dass er die Weltmeisterschaft ganz allein gewonnen hat?
„Fußball ist ein Spiel von Individualisten.“ Diese Aussage, die ein französischer Nationalspieler im Gespräch mit dem Autor Philippe Auclair machte, wird nicht zuletzt deutsche Fans verblüffen. Fast alle WM-Triumphe der DFB-Auswahl, und ganz besonders der von 2014, standen im Zeichen des Teamgeistes. Sie wurden errungen, obwohl andere Nationen die größeren Stars hatten – man denke nur an Lionel Messi –, weil am Ende die mannschaftliche Geschlossenheit den Ausschlag gab.
Doch auch in Deutschland kennt man den Satz „Große Spiele werden von großen Spielern entschieden“. In der Vergangenheit ließ er sich sogar häufig abändern in: „Große Turniere werden von großen Spielern entschieden.“ Zweifellos hatte Gerd Müller entscheidenden Anteil daran, dass Deutschland 1974 Weltmeister wurde. Und auch die Leistungen von Einzelkönnern wie Garrincha (Brasilien, 1962), Pelé (Brasilien, 1970), Zinedine Zidane (Frankreich, 1998) oder sogar Paolo Rossi (Italien, 1982) waren entscheidend dafür, dass ihre Teams am Ende den Pokal gewannen. Doch nie war ein Einzelner so wichtig für das Ganze wie Diego Armando Maradona bei der WM 1986.
Am Ende eines legendären Dribblings: Maradona macht das zweite Tor für Argentinien im WM-Viertelfinale gegen England, 1986.
Insbesondere seine zwei Tore im Viertelfinale zwischen Argentinien und England sind in Erinnerung geblieben. Das erste wurde durch eine clevere, aber illegale Improvisation mit der „Hand Gottes“ erzielt, das zweite mit göttlichen Füßen nach dem vielleicht tollsten Solo aller Zeiten. Maradona ließ sieben Gegenspieler stehen – über die Eleganz, mit der er den Ball an Terry Fenwick vorbeilegte, schrieb Rob Smyth im Guardian: „Damit wird Fenwick aus dem Spiel genommen, bevor er überhaupt weiß, dass er drin ist“ – und schoss das Tor, das 2002 zum besten Treffer der WM-Geschichte gewählt wurde. Maradonas Teamkollege Jorge Valdano nannte das 13 Sekunden lange Dribbling später „Diegos ganz persönliche Entdeckungsreise“.
Jeder, der dieses Tor sah, wusste sogleich, dass so etwas einem Spieler nur einmal im Leben gelingt. Doch kaum vier Tage später wiederholte Maradona das Kunststück. Im Halbfinale gegen Belgien traf er nach einem Solo über 30 Meter, bei dem er vier Feldspieler und den Torwart umkurvte, zum entscheidenden 2:0. Der Torwart hieß Jean-Marie Pfaff, und er hatte vor dem Spiel gesagt: „Maradona ist nicht außergewöhnlich.“ (Dieser Treffer kam übrigens bei der erwähnten Wahl zum besten Tor der WM-Historie auf Rang vier.)
Was hat Maradona außer diesen drei Toren noch zum Titelgewinn seiner Elf beigetragen? Nun, er schoss noch zwei weitere Treffer (womit er zweitbester Schütze des Turniers wurde) und bereitete fünf vor, darunter das Siegtor im Finale gegen Deutschland. Er war also an zehn der 14 Tore direkt beteiligt, die Argentinien bei diesem Turnier verbuchte. Und seine sonstigen statistischen Werte sind auch nicht von schlechten Eltern: Er setzte 90 Dribblings an (der zweitplatzierte Argentinier in dieser Wertung kam nur auf 30), er holte 53 Freistöße heraus (niemand sonst in seinem Team kam auch nur auf die Hälfte) und war an mehr als 50 Prozent aller Torschüsse der Argentinier mittelbar beteiligt.
Kein Wunder, dass er mit überwältigendem Abstand zum besten Spieler der WM gewählt wurde: Maradona erhielt 1.281 Stimmen, Harald „Toni“ Schumacher kam mit 344 Stimmen auf Rang zwei. (Lange durfte sich der Argentinier aber nicht an dem Pokal für jene Auszeichnung erfreuen. Die Trophäe wurde gestohlen und auf Befehl eines Mafia-Bosses eingeschmolzen, damit man Goldbarren daraus machen konnte.)
Natürlich waren die Argentinier kein Ein-Mann-Team. Der Stürmer Valdano, die Mittelfeldspieler Sergio Batista und Jorge Burruchaga sowie die Verteidiger Daniel Passarella und Oscar Ruggeri waren alle herausragende Akteure. Es wird auch oft vergessen, wie wichtig die Defensivarbeit war: Argentinien kassierte in sieben Spielen nur fünf Tore und blieb dreimal ohne Gegentreffer. Doch Trainer Carlos Bilardo, der nach dem Viertelfinale sein System änderte und Maradona als zweiten Stürmer aufbot und mit allen Freiheiten versah, baute sein Team ganz eindeutig um den Fußballer herum auf, der zu jener Zeit der mit Abstand beste der Welt war.
Man kann sich vorstellen, dass Brasilien die WM 1970 auch ohne Pelé gewonnen hätte. (Wie es dem Team ja 1962 gelungen war, als eine Verletzung Pelé früh stoppte.) Man kann sich auch vorstellen, dass Frankreich 1998 ohne Zidane den Titel errungen hätte. (Nach einer Roten Karte im zweiten Gruppenspiel musste seine Elf ohnehin zwei Spiele ohne ihn auskommen.) Aber es ist unvorstellbar, dass Argentinien ohne das alles überstrahlende Genie Maradona den WM-Titel 1986 geholt hätte. Wie der faszinierte Journalist Clive Gammon kurz nach dem Finale in einem Artikel für Sports Illustrated schrieb: „Wie viele Spiele kann ein einziges Genie wohl ganz alleine gewinnen? Die Antwort lautet: so viele, wie es muss.“