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Herrschaftssicherung und Strafgericht Von der Donau nach Theben

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Als die Vorbereitungen zum Angriff auf das Achaimenidenreich ihren Höhepunkt erreichten, traf die Nachricht von Aufständen an den Grenzen Makedoniens ein. Offenbar beabsichtigten einige thrakische und illyrische Stämme das vermeintliche Machtvakuum nach dem Thronwechsel auszunutzen, um sich territoriale Vorteile zu verschaffen.1 Alexander zögerte keinen Augenblick und beschloss, die Militäraktion in Kleinasien zu verschieben: Zunächst sollten die bedrohten Zonen an der Peripherie seines Königreichs gesichert werden.

Die von ihm ins Visier genommenen Operationen hatten den Charakter eines Präventivschlags; sie dienten gleichzeitig als Generalprobe für den geplanten Persienzug. Gewiss erhoffte man eine ansehnliche Beute und neue Rekrutierungsmöglichkeiten für dringend benötigte Hilfstruppen. Außerdem wollte Alexander mit einer raschen Militäroperation gegen die Triballer die Verbindungswege zwischen Europa und Asien unter Kontrolle halten, die für die logistische Versorgung seines Heeres strategisch wichtig waren. Zusätzlich galt es, gegenüber dem Stamm, der unlängst Philipp II. eine schmerzliche Niederlage zugefügt hatte, seine Macht zu demonstrieren.2 Schließlich diente der Feldzug zur Profilierung des jungen Königs, der vor der heimischen Militärelite beweisen musste, dass er die nach den Palastintrigen erworbene Herrschaft nun auf dem Schlachtfeld zu behaupten wusste. Der Erwartungsdruck, der auf ihm lastete, war riesig.

Im Frühjahr des Jahres 335 zog Alexander an der Spitze seiner Streitkräfte von Amphipolis aus, wo sich die Truppen gesammelt hatten, nach Nordosten. Er überquerte den thrakischen Grenzfluss Nestos und danach den Hebros (Maritza) östlich von Philippopolis, von wo aus er bis zum Haimosgebirge (Balkan) vorstieß.3 Hier fand er den Schipkapass von den Feinden besetzt, die eine Wagenburg als Wegsperre errichtet hatten. Durch einen wagemutigen Angriff kämpfte er sich aber den Weg frei: Da seine Fußtruppen sich auf den Boden legten und ihre Schilde zum Schutz über sich hielten, rollten die anbrausenden Wagen über sie hinweg, ohne Schaden anzurichten. Daraufhin erstürmten Alexanders Soldaten die Passhöhe.4 Auf diese Weise verschafften sich die Makedonen Zugang zum Siedlungsgebiet der Triballer. Nun ließ Alexander seine Bogenschützen und Speerwerfer ausschwärmen, um die Gegner aus ihren Verstecken herauszulocken. Dann zwang er sie, sich ihm in einer offenen Schlacht entgegenzustellen. Am Ufer des Flusses Lyginos wurde schließlich das Aufgebot des thrakischen Fürsten Syrmos aufgerieben. Die Fliehenden wurden bis zum Istros (Donau) verfolgt.

Hier vereinigte sich das makedonische Heer mit einer Flottille aus Byzanz, die entlang der Schwarzmeerküste gesegelt und an der Donaumündung in den großen Fluss eingebogen war. Durch eine kombinierte Seeund Landoperation sollte die in der Mitte des Flusses gelegene Insel Peuke eingenommen werden, auf welche sich die Triballer und andere Stämme vor den Makedonen geflüchtet hatten. Doch die aufwändig inszenierte Unternehmung misslang.5 Erfolg hatte Alexander hingegen beim Versuch, mehrere Abteilungen über den Fluss zu bringen und das Nordufer der Donau zu okkupieren. Danach trieb er die hier ansässigen Stämme in die Flucht. Aus Dankbarkeit opferte er dem Zeus, Herakles sowie dem Flussgott, weil sie ihm das Überqueren des legendären Stromes ermöglicht hatten; damit überdeckte er die teilweise missglückte Operation. Die Wirkung dieser Aktion war freilich groß, galt doch die Donau als die nördlichste zivilisatorische Grenzlinie. Alexander durfte sich rühmen, sie als erster Hellene überwunden zu haben. Mit den Triballern, Thrakern und Skythen schloss er Bündnisverträge ab, die seine Vormachtstellung in der Region festigten.6 Mittels einer spektakulären Expedition hatte der junge König wichtige Ziele erreicht: Den gefährlichen Nachbarn wurde die Leistungsfähigkeit der makedonischen Armee vorgeführt, und außerdem erhielt er Zulauf durch thrakische Truppen, die er auf seinem Persienzug einsetzen sollte. Ferner konnte die Niederlage seines Vaters gerächt werden, und schließlich wurden mit dem Übersetzen über die Donau neue geopolitische Maßstäbe gesetzt.7

Zeit zum Ausruhen blieb kaum, denn auf dem Rückweg nach Makedonien, als das Heer das Siedlungsgebiet der Agrianer erreicht hatte, erfuhr Alexander von den in Illyrien ausgebrochenen Unruhen. Zunächst einmal verstärkte er seine Mannschaften durch agrianische Speerwerfer, eine Spezialeinheit, die stets an vorderster Front eingesetzt wurde und bei seinen weiteren Feldzügen von enormer Bedeutung war.8 Dann beschloss er, direkt nach Westen zu ziehen, um unverzüglich eine militärische Antwort auf den Aufstand zu geben.

Der illyrische Fürst Kleitos hatte sich mit Glaukias, dem Fürst der Taulantier, verschworen und die Autarier auf seine Seite gezogen.9 Gegen Letztere schickte Alexander den agrianischen Fürsten Langaros mit dem Auftrag, die Rebellion im Stammesgebiet der Aufständischen zu ersticken, was auch gelang.10 Alexander selbst eilte mit seiner Streitmacht durch Paionien an die illyrische Grenze, wo Kleitos das unweit vom Ochrid-See gelegene makedonische Bollwerk Pelion bereits eingenommen hatte und auf die Ankunft des Glaukias wartete. Nach einer gewaltigen Marschleistung erreichten die Makedonen Pelion, noch bevor Glaukias im Kampfgebiet eintreffen konnte. Sie begannen Kleitos anzugreifen, der aber allen Erstürmungsversuchen tapfer widerstand. Bald sah sich Alexander gezwungen, die Belagerung aufzugeben, denn Glaukias und seine Taulantier hatten inzwischen sämtliche Höhenzüge der Umgebung besetzt. Das makedonische Heer wurde in dem unzugänglichen gebirgigen Gelände eingeschlossen und büßte seine operative Überlegenheit ein.

In dieser kritischen Lage ersann Alexander ein gewagtes Manöver: Er stellte seine besten Einheiten in Schlachtordnung auf. Dann ließ er die tief gestaffelte Phalanx auf dem linken Flügel eine Angriffsspitze bilden, mit der er den Durchbruch schaffte und eine Anhöhe besetzen konnte, die ihm erlaubte, das nächstgelegene Flussufer zu erreichen und sich aus der drohenden Umklammerung zu befreien. Alexander, der dadurch wieder die operative Initiative erlangen konnte, wandte eine weitere List an. Er täuschte einen Rückzug vor, kehrte aber nach drei Tagen, nachdem er seine Kampfverbände umgruppiert hatte, im Eiltempo wieder um und schlug die vor Pelion sorglos kampierenden Truppenverbände des Kleitos und Glaukias im Spätsommer 335 vernichtend. Die angeschlagenen Illyrer, die sich retten konnten, zogen sich daraufhin in ihre Stammesgebiete zurück.11 Alexander hatte sein Ziel erreicht. Er bekam wertvolle illyrische Verstärkungen für seine künftigen Feldzüge, und die makedonischen Grenzen galten von nun an als sicher. Der illyrische Feldzug bestach durch die Flexibilität und Anpassungsfähigkeit der makedonischen Streitkräfte. Er offenbarte erstmalig das beachtliche strategische Talent des jungen Königs, der über hervorragende Berater verfügte und sich selbst als ungemein lernfähig erwies.

Doch wenn Alexander gedacht hatte, er könne nun schleunigst heimkehren, um den aufgeschobenen kleinasiatischen Feldzug voranzubringen, so sah er sich darin getäuscht. Anstatt nach Pella zu marschieren, führte ihn sein Weg direkt nach Süden.12 Das Ziel war Theben. Dort hatte sich das Gerücht verbreitet, Alexander sei in Illyrien gefallen.13 Dies wirkte als die Initialzündung zu einem Aufstand gegen die makedonische Vorherrschaft in Griechenland, der sich zu einem Flächenbrand auszuweiten drohte.14 Philipp II. hatte einst der böotischen Vormacht nach der Niederlage von Chaironeia hart zugesetzt, als er den von Theben abhängigen Städten volle Autonomie gewährte. Ferner hatte er eigene Anhänger an die Macht gebracht und seine Gegner ins Exil befördert. Nun kamen die thebanischen Flüchtlinge zurück, beseitigten die amtierende Regierung und überredeten die Mehrheit der Bürgerschaft, sich gegen Makedonien zu erheben.15 Daraufhin fingen sie an, die Besatzungstruppen, die auf der Burgfestung stationiert waren, zu belagern. Des Weiteren forderten sie die übrigen Griechen auf, von Makedonien abzufallen. Die Parolen zeigten Wirkung. Aus Arkadien rückten Truppen heran, und in Athen standen die Feinde Makedoniens im Begriff, die Oberhand zu gewinnen.

Inmitten dieser aufgeheizten Stimmung erschien Alexander an der Spitze seines kampferprobten Heeres vor Theben. Aufgrund einer spektakulären Marschleistung war es ihm gelungen, eine Streitmacht von etwa 30.000 Mann über schwieriges Terrain in weniger als zwei Wochen von Illyrien nach Böotien zu führen. Sein schnelles Handeln hatte die Gegner schockiert und ihre Gegenwehr paralysiert. Niemand wagte der eingekreisten Stadt beizustehen. Zunächst versuchte Alexander, den drohenden Kampf durch Verhandlungen abzuwenden16, doch die Thebaner ließen sich darauf nicht ein. Tagelang wurde die Stadt attackiert, bis an einer Stelle der Durchbruch gelang. Plötzlich sahen sich die Belagerten von zwei Seiten bedrängt. Die makedonische Wachmannschaft auf der Kadmeia machte einen Ausfall und vereinigte sich mit dem Gros der Angreifer, die inzwischen den äußeren Mauerring überwunden hatten und in die Stadt eingedrungen waren. Es kam zu einem furchtbaren Gemetzel.17 Mehr als 6000 Thebaner fielen den Kampfhandlungen zum Opfer. Doch was darauf folgte, war weitaus schlimmer. Alexander hatte die Militäraktion nominell im Auftrag des Korinthischen Bundes durchgeführt, der gegen ein abtrünniges Mitglied eine Strafexpedition verhängt hatte. Daher wurde die Entscheidung über das Schicksal der Stadt in die Hände derjenigen gelegt, die sich im Verlauf des Feldzuges auf makedonischer Seite beteiligt hatten. Hier führten die Orchomenier, Platäer und Phoker – die ärgsten Widersacher der Thebaner, die in der Vergangenheit Opfer thebanischer Großmachtsucht gewesen waren – das Wort. Da sie offene Rechnungen mit der besiegten Stadt zu begleichen hatten, folgte kein Friedensschluss, sondern ein Strafgericht. Sie verlangten, dass Theben zerstört, sein Territorium aufgeteilt und die überlebende Bevölkerung, über 30.000 Menschen, in die Sklaverei verkauft werden sollte.18 Das überaus grausame Urteil, das die öffentliche Meinung Griechenlands empörte, kam den Intentionen Alexanders durchaus gelegen, der sich bei der Vollstreckung hinter seinen Verbündeten versteckte.19 Er erwirkte lediglich für die Heiligtümer und Priester, für das Haus des Dichters Pindar und dessen Nachkommen sowie für die Parteigänger Makedoniens Immunität. Über den Fall Thebens resümiert Arrian: Der Abfall der Thebaner war plötzlich ohne jede vernünftige Überlegung erfolgt, und die Eroberung Thebens hatte sich in wenigen Tagen ohne besondere Anstrengungen der Eroberer vollzogen, und das Blutbad war so grauenhaft, weil es durch Stammverwandte geschah, die alte Feindschaften zum Austrag brachten. Und nun die Versklavung der gesamten Bevölkerung der Stadt, die damals an Macht und Ansehen in kriegerischer Hinsicht unter den Griechen die Erste war!20

Ansonsten sollte das an Theben statuierte Exempel den Widerstandswillen derjenigen griechischen Städte brechen, die sich der makedonischen Hegemonialpolitik widersetzten.21 Als Begründung für das brutale Vorgehen wurde Thebens Parteinahme für Xerxes während der Perserkriege angeführt.22

Dieses recht fragwürdige Argument hätte allerdings im Falle Athens nicht geltend gemacht werden können. Die unverhohlenen Sympathien für die Abschüttelung der makedonischen Vorherrschaft waren nur durch die rasche Vorgehensweise der makedonischen Armee im Keim erstickt worden.23 Ein athenisches Hilfskontingent für Theben wurde im letzten Augenblick zurückgehalten. Das lag aber im Sinn des Königs der Makedonen, der eine direkte Konfrontation mit Athen unbedingt vermeiden wollte.24 Daher begnügte er sich damit, durch die Beherrschung der Meerengen Druck auf die Stadt auszuüben. Athens Getreideversorgung hing ganz davon ab, ob sich die eigene Flotte ungehinderten Zugang über den Bosporus und die Dardanellen verschaffen konnte, und Alexander besaß die Mittel dazu, diese Passage zu blockieren oder zumindest deutlich zu erschweren. Doch neben praktischen gab es auch propagandistische Motive für einen behutsamen Umgang mit Athen.25 Die offizielle Begründung des bevorstehenden asiatischen Krieges lautete, Rache zu nehmen für die Verwüstung Griechenlands durch die Perser vor mehr als hundertvierzig Jahren.26 Welchen Eindruck hätte die Belagerung jener Stadt gemacht, um deretwillen Alexander die vereinten Griechen nach Asien führen wollte?

Die ersten selbstständigen Handlungen Alexanders nach seiner Thronbesteigung zeigen einen überaus agilen, gezielt handelnden Feldherrn und Staatsmann, der seine militärischen und politischen Vorstöße sorgfältig kalkulierte und dann entschlossen durchführte. Das Darbringen von Opfern und der Besuch von Orakeln und Heiligtümern gehörten ebenso dazu wie die Inanspruchnahme kultischer oder mythischer Identifikationsfiguren als Garanten für seine Aktionen. Ferner offenbarten seine Auftritte auf dem Balkan und in Griechenland einen gewieften Machtpolitiker, der seinen eingespielten Militärapparat energisch und wirkungsvoll einzusetzen vermochte, aber auch den Weg des diplomatischen Ausgleichs einschlug, wenn es opportun erschien, und ansonsten erbarmungslos gegen diejenigen vorgehen konnte, die sich seinem Willen widersetzten.

Mag sein, dass er sich durch die Zerstörung Thebens keine Freunde unter den Griechen gemacht hatte, ihr Respekt aber war ihm von nun an gewiss. Der von Demosthenes als Muttersöhnchen verspottete und verkannte Alexander27 stand nun im Begriff, die Griechen im Verein mit den Makedonen nach Asien zu führen. Nach den erbrachten Beweisen seiner Fähigkeiten standen die Chancen für ein erfolgreiches Gelingen der geplanten Unternehmung auf einmal gar nicht so schlecht. Auf diesem energischen jungen Mann – der im Gegensatz zu seinem Vater sich der Öffentlichkeit glatt rasiert präsentierte und sein Haar betont lässig und lang trug und ansonsten alles tat, um seine unverwechselbare Identität zu betonen – ruhten die Hoffnungen seiner Landsleute und all derjenigen, die sich daranmachten, ihn nach Asien zu begleiten.28


Abb. 13: Marmorkopf Alexanders des Großen. Pergamon, um 200–150.

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