Читать книгу Killer in Texas: Western Sammelband 7 Romane und eine Kurzgeschichte - Pete Hackett - Страница 6

Tot oder lebendig: Western ​Pete Hackett

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Ein CassiopeiaPress E-Book

© by Author (Peter Haberl)

© 2012 der Digitalausgabe 2012 by AlfredBekker/CassiopeiaPress

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Es war schon dunkel. Harrison McQuinn zügelte vor dem Silver Moon Inn sein Pferd und saß ab. Lärm trieb ihm aus dem Saloon entgegen. Aus der Tür und den beiden Frontfenstern fiel Licht auf den Gehsteig und ein Stück in die Main Street. Harrison McQuinn stellte seinen Braunen in die Reihe der anderen Pferde am Haltebalken und knotete die Leine fest. Dann schob er sich den breitrandigen Hut in den Nacken, rückte seinen Revolvergurt zurecht und stieg die drei Stufen zum Vorbau hinauf. Mit beiden Händen drückte er die Batwings auseinander. Schlechte Luft voll Tabakqualm und Schweißgeruch schlug ihm entgegen. Er betrat den Inn. Hinter ihm schwangen die Türflügel knarrend aus.

Im Saloon war der Teufel los. Es war Wochenende, genau gesagt Samstagabend. Die Mannschaft der Brazos-River-Ranch bevölkerte den Inn. Aber auch einige Small Rancher vom California Creek hatten sich eingefunden. Einige der Kerle waren schon angetrunken. Sie grölten und johlten und brüllten voller Ungeduld nach Bier oder Brandy. Die drei Bedienungen hatten alle Hände voll zu tun. Zwei Keeper und der Salooner selbst standen hinter dem Schanktisch, um einen schnellen Service zu bieten.

Harrison McQuinn wurde erkannt. Einige der Small Rancher begrüßten ihn lauthals. Die Männer von der Brazos-River-Ranch allerdings beachteten ihn nicht. Sie waren mit den Animiermädchen oder ihren Karten beschäftigt.

Harrison steuerte einen der Tische an. Er hob die rechte Hand zum Gruß. „Hallo, Ben, habt ihr noch einen Platz frei für mich?“

Ben Walker wies einladend auf einen unbesetzten Stuhl. „Setz dich nieder, McQuinn. Schön, dass du dich wieder mal blicken lässt in der Stadt. Dachte schon ...“

Er brach ab, als jemand wild schrie: „Sieh an, der Kuhbauer, dessen Rinder immer auf meine Weide laufen und meinen Kühen das Gras wegfressen. Heh, McQuinn, wann willst du endlich einen Zaun ziehen? Heute habe ich wieder ein Rudel Rinder mit deinem Brandzeichen zurücktreiben müssen. Zur Hölle mit dir, McQuinn! Ich dulde diesen Zustand nicht länger!“

Die Geräusche versickerten. Harrison, der gerade im Begriff gewesen war, sich zu setzen, richtete sich wieder auf. Sein Blick suchte den Sprecher und heftete sich schließlich auf ihn. Harrison rief mit spröder Stimme: "Warum ziehst du keinen Zaun, Bancroft. Ich war vor dir da. Meine Rinder fragen nicht nach Weidegrenzen. Du willst nicht, dass sie auf dein Stück Land rennen. Also hindere sie daran und baue einen Zaun.“

„Sei vorsichtig, McQuinn“, warnte Walker. Er sprach es zwischen den Zähnen. „Bancroft ist schon ziemlich angetrunken und in diesem Zustand unberechenbar. Außerdem hält er sich stark an Dexter, und der zählt gewiss nicht zu den Freunden der Small Rancher und Siedler.“

Ein großgewachsener Mann mit roten Haaren, der neben Bob Bancroft am Tresen stand, flüsterte ihm etwas ins Ohr. Bancroft nickte, dann heftete er seine vom übermäßigen Alkoholgenuss geröteten Augen wieder auf Harrison. Seine Lippen sprangen auseinander, er rief: „Du stinkst mir, McQuinn. Es sind deine Rinder, die auf mein Land rennen. Also liegt es auch an dir, sie davon abzuhalten. Aber das habe ich dir schon zigmal gepredigt. Ich glaube, es ist an der Zeit, es dir mit den Fäusten in dein Spatzenhirn hineinzuhämmern.“

Bancroft setzte sich in Bewegung. Der Mann, der lässig neben ihm am Tresen lehnte und in der Linken sein Whiskyglas drehte, grinste herablassend, vielleicht sogar zufrieden.

Stuhlbeine scharrten über die rauen Dielen, Männer erhoben sich und bildeten eine Gasse. Harrison atmete tief ein und blickte Bob Bancroft entgegen. Von seinem gestrafften Gesicht war nicht abzulesen, was hinter seiner Stirn vorging. Aber in seinen Mundwinkeln hatten sich zwei tiefe Kerben gebildet. Zeichen dafür, dass ihm diese Entwicklung nicht gefiel. Als Bancroft zwei Schritte vor ihm anhielt, sagte er grollend: „Ich bin nach Stamford gekommen, um mich zu amüsieren, Bancroft und will mich nicht mit dir raufen. Außerdem bist du betrunken. Du weißt wahrscheinlich gar nicht, was du anzettelst. Merkst du denn nicht, dass du dich vor den Karren der Brazos River Ranch spannen lässt, wenn du ...“

„Darum geht es nicht, McQuinn!“, fauchte Bancroft ungeduldig und stur. „Es geht um die Verletzung meiner Weidegrenze. Es ist ein Zustand, den ich nicht leide, und da du nicht bereit bist, für Abhilfe zu sorgen, werde ich dir jetzt die Birne weichklopfen. Was von dir übrig bleibt, werde ich auf die Straße werfen.“

Bancroft riss sich die Jacke herunter und warf sie einem der in der Nähe Stehenden zu. Er begann, sich die Hemdsärmel hochzukrempeln.

„Hör auf mit dem Unsinn, Bancroft!“, mischte sich Ben Walker ein. „Wenn wir Kleinrancher anfangen, uns gegenseitig zu zerfleischen, braucht Big John am Ende nur noch einzukassieren, worauf er schon lange scharf ist - nämlich unser Land. Hast du dich vielleicht mit ihm verbündet, nachdem du schon den ganzen Abend mit seinem Vormann an der Theke stehst?“

„Du hältst dich raus, Walker!“, knurrte Bankroft, hob die Fäuste und winkelte die Arme an. „Das ist eine Sache zwischen mir und McQuinn. Du kannst dich wieder bei mir melden, wenn ich mit McQuinn fertig bin. Jetzt aber solltest du zur Seite treten.“

Er schien richtig begierig darauf zu sein, Harrison zurechtzustutzen. Seine geröteten, wässrigen Augen funkelten kriegerisch. Trotzig hatte er das Kinn vorgeschoben. Wilde Entschlossenheit ging von ihm aus wie etwas Animalisches.

Im Schankraum war es jetzt still. Voll gespannter Erwartung ruhten die Blicke der Gäste auf den beiden Männern, insbesondere auf Harrison. Dieser sagte abgehackt: „Warum ziehen wir nicht gemeinsam einen Zaun, Bancroft? Das wäre doch eine Lösung, nicht wahr? Fangen wir übermorgen gleich an, indem wir Draht bestellen. Was hältst du davon?“

„Nichts!“, grollte Bancroft und machte einen Schritt auf Harrison zu. „Ich habe mir vorgenommen, dich zu verprügeln, und das mache ich jetzt. Pass auf, McQuinn!“

Mit dem letzten Wort stieß er sich ab. Harrison wurde von dem Angriff überrascht. Er stürzte rücklings auf den Tisch, an dem noch Walker und zwei andere Kleinrancher saßen. Gläser fielen zu Boden und zerbrachen. Wie Stahlklammern umschlangen Bancrofts Arme Harrisons Oberkörper, pressten ihm die Arme dagegen und ließen keine Bewegung zu. Es war, als wollte Bancroft ihn zerquetschen.

Und tatsächlich spürte Harrison, wie ihm langsam aber sicher die Luft aus dem Körper gepresst wurde. Bancrofts Whiskyatem streifte sein Gesicht. Nur zwei Handbreit war das hässliche, breitflächige Gesicht vor seinem Blick. Bancrofts Züge waren verzerrt von der Anstrengung, in seinen Augen glühte der Vernichtungswille. Harrison sah es, und es traf ihn wie ein eisiger Guss ...

*

Ben Walker sprang auf, als er seine Lähmung überwand. Seine rechte Hand wühlte sich in Bancrofts Haare. Unerbittlich zerrte Walker an den Haaren den Kopf des Schlägers in den Nacken. Bancroft brüllte wie am Spieß. Seine Umklammerung lockerte sich. Er stand jetzt, griff mit beiden Händen über seinen Kopf hinweg und packte Walkers Handgelenk. Der Schmerz von seiner Kopfhaut ließ seine Augen tränen.

„Du Narr! Du gottverdammter Narr!“, presste Walker zwischen den Zähnen hervor und ließ nicht locker. „Du machst dich zum Werkzeug Big Johns und seiner Kettenhunde. Die Pest an deinen Hals, Bancroft!“

Indessen tauchte Harrison zur Seite weg und atmete tief durch. Seine Lungen füllten sich mit lebenserhaltendem Sauerstoff, er spürte, wie sich sein Körper mit neuen Energien auflud. Und erspürte noch mehr: Da war der lodernde Zorn auf Bob Bancroft, der in seinen Eingeweiden wühlte und der ihn in heißen, giftigen Wogen durchrann. Sein Organ grollte heiser: „Lass ihn los, Ben. Er will den Kampf, also soll er ihn haben. Lass ihn los.“

„Das würde ich dir auch raten, Walker!“, tönte es vom Schanktisch her. Es war der große, rothaarige Bursche, der es mit stahlharter Stimme rief. „Es ist Bancrofts und McQuinns Sache, und du solltest dich heraushalten. Oder muss ich es dir auf die raue Tour klarmachen lassen?“

Einige Männer in Cowboykleidung an den Tischen hatten sich erhoben. Aus der Reihe der Gäste an der Theke traten ebenfalls Männer, die den Sattel der Brazos River Ranch drückten. Sie alle nahmen eine drohende Haltung ein.

„Ich denke, dass du hinter diesem schmutzigen Spiel steckst, Dexter!“, rief Ben Walker. „Es ist mir nicht entgangen, dass du den ganzen Abend über schon Bancorft mit Schnaps abfüllst. Was bezweckst du damit? Handelst du im Auftrag Big Johns? Was steckt letztendlich dahinter?“

In diesem Moment riss Bancroft sich los. Er wirbelte herum und schlug nach Walker, der seine Aufmerksamkeit hauptsächlich auf Flint Dexter, den Vormann der Brazos River Ranch, gerichtet hatte. Seine rechte Faust krachte gegen Walkers Kinn und drückte seinen Kopf auf die Schulter. Und da landete auch schon Bancrofts Linke auf seinem Ohr. Walker taumelte mit einem erschreckten und schmerzhaften Aufschrei zur Seite, stieß gegen einen Tisch, krümmte sich nach vorn und stützte sich im letzten Moment mit beiden Armen ab, ehe er stürzte.

Nun trat wieder Harrison in Aktion. Seine Hand verkrampfte sich in Bancrofts Schulter, er riss den Schläger herum, und ehe Bancroft sich versah, knallte ihm Harrison die Faust mitten ins Gesicht. Es klatschte grässlich. In Bancrofts Brust kämpfte sich ein gurgelnder Ton hoch, erreichte die Kehle und erstickte. Blut sickerte aus seiner Nase. Aus glasigen Augen, mit dem Ausdruck des stupiden Nichtbegreifens starrte er Harrison an, und es wurde deutlich, wie sehr dieser Schlag ihn erschüttert hatte.

Es wäre Harrison jetzt ein Leichtes gewesen, Bancroft den Rest zu geben. Aber er schaffte es nicht, die Hemmschwelle, die den Namen Fairness trug, zu überschreiten. Es entsprach einfach nicht seinem Naturell, die momentane Schwäche des Gegners auszunutzen. Und so wartete er ab, die Fäuste wie ein Faustkämpfer erhoben, den Gegner fixierend, mit angespannten Muskeln und aktivierten Sinnen.

Bancroft schüttelte seine Benommenheit ab. Er schaute Harrison an wie ein Erwachender, wischte sich mit dem Handrücken das Blut von der Oberlippe, ein gefährliches Grollen, das tief in seiner Kehle entstand, kam aus seinem Mund – dem Grollen eines zornigen Kampfhundes nicht unähnlich -, und plötzlich stieß er voll Leidenschaft hervor: „Ich werde dich jetzt zerschmettern, McQuinn, ich werde dich in tausend Stücke schlagen.“

Es war ein tödliches Versprechen. In seinen Augen funkelte es tückisch.

Zwei Schritte weiter kämpfte Ben Walker gegen seine Not an. Langsam zog sich der Kreis aus Gaffern und den Männern der Brazos River Ranch zusammen.

Bancroft hatte seine Schwäche überwunden. Er kam mit katzenhafter Behändigkeit näher. Seine klobigen Fäuste erinnerten an Schmiedehämmer. Er wirkte ausgesprochen konzentriert, seine Trunkenheit schien verflogen zu sein.

Harrison warf sich ihm entgegen. Bancrofts Fäuste flogen auf ihn zu. Er tauchte unter ihnen hinweg, konnte aber nicht verhindern, dass Bancrofts Linke schmerzhaft an seiner Schläfe entlangradierte. Mit dem ganzen Ge­wicht seines Körpers prallte er gegen den Small Rancher, rammte ihn mit der Schulter.

Bancroft taumelte zurück und ruderte mit den Armen, um sein Gleichge­wicht zu halten.

Harrison verlor keine Zeit. Er setzte nach und ließ seine Rechte fliegen. Im letzten Moment konnte Bancroft den Kopf zur Seite reißen. Harrisons Haken streifte nur seine Wange.

Bancroft prallte gegen einen Tisch und verschob ihn. Gläser und Flaschen kippten um, klirrten auf die Dielen, Bier und Whisky versickerte in den Ritzen zwischen den Dielen.

Gierig sog Bancroft Sauerstoff in seine Lungen. In seinen Augen schimmerte glühender Hass. Mit aller Kraft stieß er sich ab, flog förmlich auf Harrison zu, ver­suchte ihn mit beiden Händen zu fas­sen und zu umklammern. Ein Schwin­ger, der blitzschnell und ansatzlos aus der Hüfte kam, fing ihn ab, und einen Herzschlag lang schien er die Orientierung zu verlieren. Tapsig drehte er sich halb um seine Achse. Harrison zog blitzschnell die Linke in die Höhe, um Bancroft mit einem wuchtigen Haken gegen den Kinnwinkel zu fällen, aber sein Gegner wich instinktiv aus. Doch da schickte Harrison schon die Rechte auf die Reise und knallte sie Bancroft mit Wucht gegen die Rip­pen.

Aus dem Mund des Getroffenen drang ein abgehackter Schrei. Sofort schlug Harrison eine Doublette. Es gab dumpfe, trockene Geräusche, als er Bancroft zwei­mal traf. Der Small Rancher verdrehte die Augen. Der verbissene, rabiate Ausdruck verschwand aus seiner Miene und machte grenzenlosem Er­staunen Platz. Seine Beine knickten ein wie morsche Zaunlatten, er sank auf die Knie, sein Oberkörper neigte sich langsam nach vorn, und er konnte den Fall auf das Gesicht gerade noch im letzten Moment mit den vorgestreckten Armen abfangen. Er lag auf allen vieren am Boden. Sein Kopf kippte nach unten und pen­delte wie haltlos nach unten. Bancroft atmete rasselnd. Speichel und Blut tropften von seinen Lippen.

Harrison ließ die Arme sinken. Seine Knöchel schmerzten, sein Atem ging stoßweise. Er verspürte Bitterkeit. Denn er verabscheute diesen Kampf, von dem er genau wusste, dass er gesteuert wurde, dass Bancroft auf ihn gehetzt worden war, dass System dahinter steckte.

Plötzlich waren Flint Dexter, der Vormann der Brazos River Ranch, und die Cowboys da. Harrison war unvermittelt zwischen ihnen eingekeilt, und ehe er sich versah, packten ihn kräftige Fäuste und zerrten ihn herum.

Flint Dexters rohes Gesicht war unversehens ganz dicht vor seinem. Eine metallische Stimme erklang im Hintergrund: „Walker, Faithfull, Hogan! Haltet euch zurück! Wenn ihr euch einmischt, kriegt ihr es, dass ihr auf allen vieren aus der Town hinauskriecht.“

„So billig kommst du nicht weg, McQuinn!“, fauchte Dexter, und Harrison bog den Kopf zurück, weil ihm der Whiskyatem des Vormanns voll ins Gesicht schlug. Es war übelkeitserregend. Der Magen krampfte sich Harrison zusam­men.

Links und rechts wurde er festge­halten. Unerbittliche Fäuste pressten ihm die Arme auf den Rücken. Er war nicht fähig, sich zu rühren. Und plötzlich tauchte Bancroft ne­ben Flint Dexter auf.

„Er gehört mir“, brach es unheilschwanger aus ihm heraus. Sein blutverschmiertes Gesicht erinnerte an eine groteske Maske des Bösen. Die Besessen­heit in seinem Blick sagte Harrison mehr als tausend Worte. Die Verzweiflung begann in Harrison hochzukriechen. Er begriff, dass seine Ranchnachbarn von der Brazos River-Mannschaft ausgeschaltet worden waren. Er war in diesen Sekunden der einsamste Mann auf Erden, und dieser Gedanke ließ ihn innerlich erschauern.

Bancrofts Faust zuckte hoch. Harrison wollte instinktiv ausweichen, aber der Griff der B.R.-Reiter, die ihn festhielten, lockerte sich nicht. Der un­barmherzige Schlag traf Harrison. Sein Kopf ruckte in den Nacken. Der Schmerz wehte wie ein heißer Wind durch sein Bewusstsein und lähmte sein Denken.

Bancrofts Schläge kamen schnell und si­cher. Bald nahm Harrison die vierschrötige Gestalt und das kantige Gesicht nur noch wie durch Nebelschleier wahr. Er wankte zwischen den Kerlen, die ihn gepackt hielten. Die Schwäche kroch wie flüs­siges Blei durch seinen geschundenen Körper.

Für einen Augenblick flac­kerte das Feuer des Widerstandes noch einmal in ihm auf. Er zerrte und riß und warf sich hin und her. Aber es gelang ihm nicht, sich den stahlharten Fäusten zu ent­winden. Ein wuchtiger Schlag traf ihn.

Er spürte nicht mehr, wie sie ihn losließen und er schwer auf dem Fuß­boden landete, wie sie ihn an den Bei­nen hinausschleiften und in den Staub der Main Street warfen. Eine gnädige Ohnmacht umfing ihn.

Einer der Weidereiter lachte iro­nisch, spuckte in den Sand und sagte mitleidlos: „Der hat schätzungsweise für alle Zeit genug. Wahr­scheinlich schleicht er sich aus dem Land wie ein geprügelter Straßenköter, und wir wer­den nie wieder etwas von ihm sehen. An solchen Prügeln zerbricht jeder Mann.“

Sie gingen wieder hinein.

*

Als Harrison zu sich kam, umfing ihn tiefe Dunkelheit. Sein Kopf drohte zu zerspringen, und in seinem Körper jagten sich Wellen ziehender und bohrender Schmerzen.

Es dauerte eine ganze Zeit, bis er seine wirbelnden Gedanken geordnet hatte. Die Dunkelheit vor seinen Augen lichtete sich. Die Konturen einiger Männer zeichneten sich vor seinem Blick ab. Er setzte sich auf. Die Erinnerung setzte ein. Er ächzte und stöhnte, und selbst das Atmen strengte ihn an. Wie aus weiter Ferne vernahm er Ben Walkers Stimme: „Wir konnten nichts für dich tun, McQuinn. Die eine Hälfte der Brazos River-Crew hielt uns mit ihren Waffen in Schach, während die andere Hälfte dich in die Zange nahm und Bancroft unterstützte. Es tut mir leid, McQuinn. Sie haben dich brutal zusammengeschlagen. Und wir mussten zusehen. Hätten wir uns widersetzt, wäre die Gewalt sicherlich eskaliert. Und was dabei herausgekommen wäre, wollte keiner von uns verantworten.“

„Schon gut, macht euch keine Gedanken“, röchelte Harrison. Ziehende Schmerzen durchströmten seinen Körper. Er fühlte sich wie gerädert. Die Haut in seinem Gesicht spannte sich vom eingetrockneten Blut.

Einer seiner Ranchnachbarn reichte ihm eine Flasche. „Trink“, sagte der Mann. Sein Name war Cole Faithfull. „Es wird dir helfen.“

Harrison nahm einen Schluck. Die scharfe Flüssigkeit brannte in seinem Hals. Aber sie belebte ihn auch. Er atmete durch und hatte das Empfinden, als löste sich ein innerer Druck.

„Der Teufel weiß, was in Bancroft gefahren ist“, hörte er Faithfull sagen. „Die Sache mit den Rindern, die auf sein Weideland gelaufen sind, kann doch nicht der wahre Grund dafür gewesen sein, dass er derart ausrastete.“

Harrison räusperte sich den Hals frei. „Big John setzt uns Kleinranchern und auch den Siedlern am Brazos seit Wochen zu. Er will unser Land. Vielleicht will Bancroft diesem Weidepiraten gefallen, indem er Partei gegen uns ergreift. Möglicherweise ist er naiv genug, zu glauben, dass Big John ihn verschont, wenn er erst aus seinem Schafpelz kriecht und sein wahres Gesicht zeigt.“

„Es stinkt zum Himmel!“, kommentierte Dave Hogan, der dritte der Kleinrancher. „Lasst uns aus Stamford verduften, ehe sich die Schufte noch mehr betrinken und sich auf uns besinnen. Wir wollen doch nichts herausfordern.“

Walker und Faithfull halfen Harrison auf die Beine. Schwankend, auf weichen Knien, stand er zwischen ihnen. Jeder Atembezug bereitete ihm Qualen. Heiser sagte er: „Thanks. Es geht schon. Ich kann alleine stehen.“

Es kostete ihm alle Überwindung, auf den Beinen zu bleiben. Er fühlte den pochenden Schmerz, der durch sein Gehirn raste und kämpfte verzweifelt gegen die Benommenheit an, die gegen sein Bewusstsein anbrandete. Schweiß bildete sich auf seiner Stirn. Auf unsicheren Beinen ging er zu seinem Pferd am Hitchrack. Er löste die Leine vom Balken, dann musste er sich sekundenlang gegen das Pferd lehnen, um der aufkommenden Übelkeit Herr zu werden.

„Geht es wirklich?“, fragte Ben Walker besorgt.

„Yeah.“

Harrison nahm all seinen Willen zusammen, biss die Zähne zusammen und stieg in den Sattel. Das Pferd unter ihm tänzelte. Er drängte es aus der Reihe der anderen Tiere. Auch seine Ranchnachbarn saßen auf. Sie verließen die Stadt in östliche Richtung. Dort lag der California Creek, und an dem Fluss hatten sie ihre Ranches gegründet.

*

Es war Mitternacht vorbei, als Harrison in den Ranchhof ritt. Das Mondlicht lag auf den Dächern und funkelte auf den Fensterscheiben. Sein Ranchhaus verfügte nur über zwei Räume. In einem kleinen Anbau befand sich die Küche. In einem zweiten, flachen Gebäude hausten Tex Dooley und Slim Winslow, die beiden Cowboys, die beide um die fünfzig Jahre alt waren und auf keiner anderen Ranch Arbeit gefunden hatten.

Es waren dankbare und treue Burschen. Sie wären für Harrison durchs Feuer gegangen. Jetzt schliefen sie.

Harrison war fix und fertig. Als er absaß, brach er fast zusammen. Er führte das Pferd in die Fence, nahm dem Tier Sattel und Zaumzeug ab und überließ es sich selbst. Dann ging er zum Tränketrog, kniete davor nieder und steckte seinen Kopf ins Wasser. Es war kalt und wusch ihm Staub, Schweiß und Blut aus dem Gesicht. Das Brennen in den kleinen Platz- und Schürfwunden endete. Prustend hob Harrison den Kopf wieder in die Höhe. Sein Verstand arbeitete nun klarer. Er drückte sich hoch. Mit den gespreizten Fingern strich er sich die nassen Haare aus der Stirn. Über den Hof trieb eine mürrische Stimme: „Bist du das, Harrison?“

Es war Tex Dooley, der es gerufen hatte. Er hatte den pochenden Hufschlag vernommen, sich notdürftig angekleidet, und stand nun im Türrechteck. Die absolute Finsternis in der Unterkunft sog seine Gestalt auf. Harrison konnte von dem Cowboy nichts sehen.

„Ja. Leg dich wieder hin, Tex. Es tut mir leid, wenn ich dich geweckt haben sollte.“

„Vor dem Morgen haben wir dich nicht zurückerwartet, Harrison“, rief Tex. „Was ist geschehen?“

Harrison hatte sich aufgerichtet und ging nun mit schleppenden Schritten auf das Ranchhaus zu. „Bancroft hat verrückt gespielt. Er ging auf mich los. Als sich aber abzeichnete, dass er den Kürzeren zieht, mischten die Schufte von der B.R. mit. Du wirst mich morgen bei Tageslicht kaum wiedererkennen, Tex. Ich sehe wahrscheinlich aus, als wäre eine Stampede über mich hinweggedonnert.“

Tex Dooley zerkaute eine Verwünschung. Spontan rief er dann: „Ich komme hinüber und sehe es mir an, Harrison. Hat dich schon jemand verarztet?“

„Ich schaffe das schon, Tex. Schlaf ruhig weiter.“

„Kommt nicht in Frage.“

Harrison betrat das Haus und machte Licht. Im Schein der Laterne sah sein Gesicht zum Fürchten aus. Die Augen waren fast zugeschwollen. Die Unterlippe war dick und aufgeplatzt. Dunkle Blutergüsse verfärbten die Haut.

Er ließ sich auf einen Stuhl fallen und seufzte. Seine Unterarme lagen auf den Oberschenkeln. Seine Hände baumelten zwischen den Knien. Die Handknöchel waren aufgeschlagen. Er vermittelte den Eindruck eines geschlagenen Mannes. Das trübe Licht zeichnete düstere Schatten in seine entstellten Züge.

Tex Dooley kam. Er trug ein Päckchen Verbandszeug. Ihm folgte Slim Winslow auf dem Fuße. Es waren krummbeinige, hagere und falkenäugige Burschen, die die Erfahrungen eines langen Lebens geprägt hatten und die auf den ersten Blick erkannten, ob ein Mann nur angeschlagen oder für alle Zeiten zerbrochen war.

Dooley knurrte: „Big John beginnt also, Nägel mit Köpfen zu machen, wie. Und er spannt unsere eigenen Leute vor seinen schmutzigen Karren. Pfui Teufel! Das ist an Niedertracht kaum zu überbieten.“

„Man müsste Bancroft teeren und federn!“, giftete Slim Winslow.

Harrison hatte das Gesicht gehoben. „Es ist alles so durchsichtig, so durchschaubar. Big John fängt mit mir an, weil mein Land zwischen seiner Nordweide und dem Creek liegt. Auf seiner Nordweide stehen die meisten Longhorns. Weiter südlich gibt es kleine Nebenflüsse und Bäche. Hier im Norden aber braucht er ungehinderten Zugang zum Fluss. Darum will er mich zuerst aus dem Weg räumen, ehe er sich Walker, Faithfull und Hogan widmet.“

„Und dann kommen die Siedler am Brazos River dran, nicht wahr?“, bellte grimmig Tex Dooleys Organ. „O verdammt! Der alte Despot ist drauf und dran, einen Weidekrieg vom Zaun zu brechen.- Hol mal die Flasche Whisky aus der Anrichte, Slim.“

Slim Winslow brachte die Flasche. Tex Dooley machte sich daran, die kleinen Wunden in Harrisons Gesicht zu versorgen. Als er sie mit dem scharfen Schnaps auswusch, stöhnte Harrison. Winslow ging ihm zur Hand. Dann klebten eine Menge Pflaster in Harrisons Gesicht. Slim fragte: „Wirst du die Prügel auf dir sitzen lassen, Harrison? Oder ziehst du Bancroft zur Rechenschaft? Ich würde ihn durch Sonne und Mond prügeln. Und ich würde nicht eher locker lassen, als bis er mir reinen Wein einschenkte, was ihn bewog, sich auf die Seite der Brazos River Ranch zu schlagen.“

„Ich weiß nicht, was ich tue“, versetzte Harrison. „Ich will darüber schlafen. Morgen sieht alles wahrscheinlich schon wieder ganz anders aus. Möglicherweise war es wirklich nur wegen der Rinder, die immer wieder auf Bancrofts Weide laufen. Vielleicht sollten wir wirklich einen Zaun ziehen, um künftigen Verdruss zu vermeiden.“

Die beiden Oldtimer musterten ihn, als zweifelten sie an seinem Verstand. Dann schluckte Tex Dooley fast krampfhaft, und es entrang sich ihm hastig: „Sollte ich mich am Ende in dir getäuscht haben, als ich vorhin zur Tür hereinkam, Harrison? Da sah ich einen Mann, der zwar eine Schlacht verloren hat, der aber deswegen noch lange nicht die Flinte ins Korn wirft. Haben Sie vielleicht doch alles das, was einen Mann ausmacht, in dir zertrümmert? Wenn das so ist, dann brauchst du dir wegen eines Zaunes keine Gedanken mehr zu machen. Dann solltest du aufgeben und das Land verlassen, um irgendwo neu anzufangen. Denn der Zaun wird Big John und seine Sattelstrolche nicht abhalten, über dich zu kommen wie der Bussard über das Wiesel. Und du wirst ihm nichts entgegenzusetzen haben.“

Sekundenlang herrschte betroffenes, drückendes Schweigen in dem spartanisch eingerichteten Raum. Doch dann schlug Harrison einem jähen Impuls folgend die flache Hand auf den grobgezimmerten Tisch. Er hatte sich von einem Augenblick zum anderen entschieden. Und als er sprach, lag in seiner Stimme ein abschließender, endgültiger Tonfall. Er sagte: „Du hast recht, Tex. Wir haben es nicht nötig, klein beizugeben. Du hast dich nicht getäuscht. Ich bin entschlossen, Big John und seinen Handlangern die Stirn zu bieten. Und morgen reite ich hinüber zu Bancroft. Mal sehen, wie weit es mit ihm her ist, wenn ihm nicht ein Dutzend B.R.-Schufte den Rücken stärken.“

„Das ist der Harrison McQuinn, wie ich ihn kenne!“, knurrte Tex Dooley zufrieden.

Slim Winslow nickte wiederholt und unterstrich damit Dooleys Aussage.

*

Bob Bancroft verließ sein Haus. Auch seine Ranch lag am California Creek. Alles wirkte grau in grau, heruntergekommen und abgewirtschaftet. In Bancrofts Zügen hatte die vergangene Nacht unübersehbare Spuren hinterlassen. In seinem vom regelmäßigen Alkoholgenuss aufgedunsenem Gesicht zeigten sich erste Anzeichen von Verwahrlosung und Lasterhaftigkeit.

Harrisons Fäuste hatten Schwellungen, Blutergüsse und Platzwunden hinterlassen. Und sicherlich befand sich Bancroft in einer ähnlich schlechten körperlichen Verfassung wie Harrison, der sich erst der Übermacht geschlagen geben musste.

Bancroft war verkatert. Seine Augen waren gerötet und wässrig. Mundhöhle und Hals waren trocken wie Wüstensand. Am Holm stand noch das Pferd unter dem Sattel. Es ließ müde den Kopf hängen und peitschte mit dem Schweif nach den blutsaugenden Bremsen.

Es war bereits heller Vormittag. Die Sonne hatte den Morgendunst vertrieben. Die Hitze brütete über dem Land. Vögel zwitscherten im Ufergebüsch. Bancroft streckte und dehnte sich, leckte sich über die rissigen, trockenen Lippen, und ging zum Brunnen. Er zog die Füße durch den Staub wie ein alter Mann, der keine Kraft mehr hatte. Seine Muskeln arbeiteten nur noch automatisch, von keinem bewussten Willen gesteuert. Bancroft fühlte sich ausgehöhlt wie eine faule Nuss.

Die Winde knarrte rostig, als Bancroft einen Eimer voll Wasser in die Höhe hievte. Er stellte ihn auf der gemauerten Brunneneinfassung ab und griff mit beiden Händen hinein.

Da peitschte der Schuss. Bancorft verspürte einen furchtbaren Schlag zwischen den Schulterblättern. Die Wucht des Treffers warf seinen Oberkörper über den Brunnenrand und ließ ihn nach unten pendeln. Die Detonation stieß über Bancroft hinweg. Der Knall wurde zwischen die Hügel und Felsen getragen und verebbte nach und nach.

Als gegen Mittag Harrison auf der Bancroft-Ranch auftauchte, um Rechenschaft zu fordern, fand er nur noch einen Toten. Voll zwiespältiger Gefühle schaute er sich um. Er konnte nichts entdecken, was einen Schluss auf den heimtückischen Schützen zuließ. Über dem Leichnam hing eine schwarze Wolke von Stechmücken, angelockt vom süßlichen Blutgeruch.

Harrison war ziemlich ratlos. Angestrengt dachte er nach. Indes er nach einer Lösung suchte, nahm er Bancrofts Pferd Sattel und Zaumzeug ab und tränkte das arme Tier. Dann trieb er es in die Fence zu einem kleinen Rudel weiterer Pferde.

Als ferner, rumorender Hufschlag an sein Gehör drang, wurde er sich bewusst, dass er ein riesiges Problem am Hals hatte. Nach der vergangenen Nacht kam nur einer als Bancrofts Mörder in Frage, und das war er. Also war es besser, wenn er hier nicht gesehen wurde. Harrison lief zu seinem Pferd, war mit einem Satz im Sattel und trieb es auf den Fluss zu. Er verschwand hinter dem Ufergestrüpp und folgte dem Creek nach Nordosten.

Zehn Minuten später zügelten ein halbes Dutzend Reiter im Hof der Bancroft-Ranch ihre Pferde. Kaum die Lippen bewegend presste Flint Dexter, der rothaarige Vormann Big Johns, hervor: „Ich ahnte es! McQuinn hat Bancroft eine blutige Rechnung für die Tracht Prügel von gestern Abend präsentiert. Bei Gott, dafür wird McQuinn hängen. – Legt Bancroft auf ein Pferd. Wir bringen ihn in die Stadt und erstatten Anzeige. Jetzt ist das Gesetz gefordert.“

Als seine Begleiter von den Pferden sprangen und er sich unbeobachtet fühlte, verzog sich sein dünnlippiger Mund zu einem zynischen Grinsen. Es mutete an wie die teuflische Grimasse eines Fauns ...

*

Es war dunkel. Auf dem langgezogenen Hügel westlich des California-Creek zügelten fast ein Dutzend Reiter die Pferde. Das Hufgeräusch verklang. Nur noch Hufestampfen, das Klirren der Gebissketten und das Knarren des Sattelleders war zu vernehmen.

Es war ein Aufgebot aus Stamford. Sheriff Jim Hickock führte es an. Mit ihm ritten Flint Dexter und eine Handvoll Reiter von der Brazos River Ranch. Der Sheriff war nicht glücklich darüber, er hatte aber auch nicht ablehnen können, nachdem man ihm den toten Small Rancher servierte und Dexter anbot, mit seinen Männern das Aufgebot zu verstärken, um den Mörder dingfest zu machen.

Sheriff Jim Hickock wartete, bis die Männer des Auf­gebots ihre Posten eingenommen hat­ten, dann legte er die Hände trichterförmig an den Mund und schrie: „Man hat mir Bob Bancroft gebracht, McQuinn. Er hat eine Kugel zwischen den Schulterblättern. Es sieht ganz so aus, als hättest du ihn umgebracht, denn er hat dich schlimm zusammengeschlagen und du bist nicht der Mann, der das auf sich sitzen lässt. Ergib dich, McQuinn! Dei­ne Ranch ist umstellt. Du hast keine Chance, wenn du jetzt nicht heraus­kommst, wird es schlimm für dich.“

Seine Stimme verhallte.

Unten rührte sich nichts. Jim Hickock fluchte. Dann setzte er noch ein­mal an: „Ich garantiere dir auch eine faire Untersuchung und gegebenenfalls einen ebenso fairen Prozess, McQuinn. Mein Wort dar­auf.“

Er ließ die Hände sinken und zog die Winchester aus dem Sattelhalfter.

„Verdammt!“, rief Flint Dexter ungeduldig. „Was halten wir uns mit langen Reden auf, die sowieso nichts bringen? Wir wissen, dass er Bob Bancroft eine Kugel zwischen die Schulterblätter geknallt hat. Und das reicht aus, um McQuinn am Halse aufzuhängen. McQuinn weiß das und darum wird er kämpfen bis zum letzten Atemzug. Er hat nichts mehr zu verlieren und Worten nicht zugänglich. Also stürmen wir einfach den Bau und räuchern den Schuft aus.“

In diesem Moment ertönte es aus dem Ranchhaus: „Ich habe Bancroft nicht umgebracht, Sheriff. Das war jemand, der mir den Mord in die Schuhe schieben will. Und jeder, der die Verhältnisse hier kennt, kann sich an fünf Fingern abzählen, von wem ich rede. Also wendet euch an ihn und lasst mich in Ruhe.“

„Mit mir sind ein Dutzend Männer hergekommen, McQuinn!“, tönte es durch die Nacht. „Alles spricht gegen dich. Also komm mit uns in die Stadt. Wenn du unschuldig bist, wird sich das herausstellen. Im Moment aber bist du der Hauptverdächtige. Wenn du dich zur Wehr setzt, wird kein Mensch der Welt Verständnis dafür aufbringen. Du würdest alles nur noch viel schlimmer machen.“

„Heavens, ich war es nicht“, antwortete Harrison laut und deutlich. „Als ich heute Vormittag auf die Bancroft-Ranch kam, war Bob schon tot. Er hing über der Brunneneinfassung, das Blut auf seinem Rücken war schon eingetrocknet. Frag doch mal Big John oder seinen Kettenhund Dexter, wer Bancroft die Kugel aus dem Hinterhalt ser­vierte, Hickock. Big John schlägt damit zwei Fliegen mit einer Klappe. Bancrofts Ranch war schon seit langer Zeit — ebenso wie mein Besitz und all die anderen Ranches den Fluss hinunter — Big John ein Dorn im Auge, denn durch unsere Weiden war ihm der Zugang zum California Creek versperrt. Also beginnt Big John, die unliebsamen Nachbarn nach und nach auf die Seite räumen. Mit Bancroft hat er heute angefangen. Er scheut vor keinem noch so niederträchtigen und schmutzigen Mittel zurück.“

„Du warst also auf der Bancroft-Ranch, McQuinn?“, kam es wie aus der Pistole geschossen von Hickock.

„Yeah. Ich wollte Bancroft einige Fragen wegen seiner plötzlich völlig veränderten Einstellung zur Brazos River Ranch fragen. Aber jemand hat ihm vor mir einen Besuch abgestattet. Wahrscheinlich waren es seine neuen Freunde von der B.R.“

„Das ist eine dreckige Unterstellung!“, brüllte Flint Dexter mit überschnappender Stimme. „Ich werde dir dafür mit der Peitsche das Fleisch von den Knochen schlagen, ehe ich dich dem Gesetz überlasse, McQuinn!“

„Aaah, Big Johns erster Kettenhund!“, kam es wild und sarkastisch von Harrison. „Ich hätte es mir ja denken können! He, Sheriff, glaubst du wirklich, dass ich lebend die Stadt erreiche, wenn ich mich ergebe?“

Darauf gab der Gesetzeshüter keine Antwort. Er rief stattdessen: „Du behauptest, dass Big John Bob Bancroft ermorden ließ und den Ver­dacht auf dich lenkte?“

„Ich bin davon überzeugt!“

Der Sheriff biss die Zähne zusam­men. Sein Gesicht verzerrte sich zu einer Grimasse. Es war deutlich, dass ihm widerstrebte, wozu ihn in diesem Fall sein Stern verpflichtete. Er schnappte grimmig: „Okay, McQuinn, du willst es nicht anders. Wir stürmen jetzt deine Ranch. Und rechne nicht damit, dass wir dich schonen.“

„Das wäre Big John auch gar nicht recht, Hickock“, klang es sarkastisch zurück.

„Ausschwärmen!“, befahl der Sheriff. Mit einem Ruck repe­tierte er seine Winchester. Aus schmalen Augen starrte er auf die kleine Ranch in der Senke, die in der Finsternis lag. Die Schatten zwischen den Gebäuden versprachen Unheil.

*

Harrison hatte sich in der Wohnstube des Ranchhauses verschanzt. In der Mannschaftsunterkunft befanden sich Tex Dooley und Slim Winslow. Harrison blick­te hangaufwärts, von wo die Stimme des Sheriffs gekommen war. Oben auf dem Hügel saßen die Rei­ter ab. Er sah sie im Mondlicht ihre Gewehre aus den Scabbards ziehen und geduckt nach den Seiten davonhuschen. Harrison konnte gut die dahingleitenden Schemen durch die Dunkelheit wahrnehmen. Unaufhaltsam näherten sie sich.

Zäh verrannen die Sekunden, wur­den zu Minuten.

Die Angreifer eröffneten schlagartig das Feuer. Sie waren schon sehr nahe. Das verrieten die Mündungsblitze, die wie glühende Speere in die Finsternis stießen. Die Kugeln klatschten gegen die Hauswand, bohrte sich knirschend in Holz, jaulten als Querschläger davon. Krachen erfüllte die Nacht mit infernalischem Lärm.

Harrison riss den Kolben der Winchester an die Schulter, jagte einen Schuss hinaus, repetierte, schoss erneut. Er stand beim Fenster. Geschosse pfiffen an ihm vorbei. Der Fensterrahmen wurde zerfetzt. Kalte Ruhe erfasste von ihm Besitz. Kugel um Kugel jagte er hinaus, jeweils in das Aufblitzen ihrer Schüsse hinein. Ein Mann schrie auf.

Unvermittelt brach das Schießen ab. Harrison wischte sich mit dem Hand­rücken über die Augen.

Angestrengt lauschte er nach drau­ßen. Unheimliche Stille lag über der Ranch. Hart umklammerten seine Hände Kolbenhals und Schaft der Winchester. Gepresst atmete er. Vom Hügelkamm drang das Wiehern eines Pferdes herunter.

Plötzlich wirbelte Harrison herum. War da nicht draußen auf dem Flur ein Geräusch gewesen? Oder narrten ihn schon seine Sinne? Sein Herz hämmerte in wildem Rhythmus. Er schluckte unwillkürlich, hob das Ge­wehr und brachte es in Hüftanschlag.

Knarrend öffnete sich die Tür einen Spaltbreit. Tex Dooley raunte: „Nicht schießen, Harrison. Ich bin’s. Slim hält in der Unterkunft die Stellung. Grundgütiger, warum hast du uns verschwiegen, dass du auf der Bancroft-Ranch nur noch einen Toten angetroffen hast.“

„Was hättet ihr wohl von mir gedacht, wenn ich euch erzählt hätte, dass Bancroft tot und sein Mörder längst über alle Berge war, als ich auf der Ranch ankam? Es ist doch tatsächlich so, dass niemand außer mir einen Grund hatte, Bancroft das Tor zur Hölle aufzustoßen.“

„Was sollen wir jetzt von der Sache halten?“, fragte Tex grollend und zweifelnd. „Du hast uns angelogen als du uns erklärtest, dass von Bancroft weit und breit nichts zu sehen war, als du auf seiner Ranch ankamst. Beim Henker, Harrison, wenn du es wirklich nicht warst, der ihm das Stück Blei verpasste, dann hast du dich verdammt dumm verhalten.“

„Mag sein. Aber du musst es mir glauben, Tex: Bancorft war längst tot, als ich seine Ranch betrat.“

Mit Nachdruck beteuerte es Harrison.

„Na schön. Du bist kein Mörder, Harrison. Ich weiß das, und deshalb glaube ich dir. Es sieht schlecht aus – sehr schlecht. Und ich zerbreche mir den Kopf nach einem Ausweg. In die Hände darfst du ihnen nicht fallen. Denn dann bist du verraten und verkauft. Mag man zu Sheriff Hickock eingestellt sein wie man will, er wird sich höheren Interessen zu beugen haben. Und am Ende hängt man dich für einen Mord, den ein anderer begangen hat.“

„Was schlägst du vor, Tex?“

„Du musst verschwinden und versuchen, dem wahren Mörder die Maske vom Gesicht zu reißen. Noch hast du Zeit. Sie befinden sich alle vor dem Haus. Schleich dich in Richtung Fluss davon und versuche, dich zu Walker durchzuschlagen. Er kann dir ein Pferd, Proviant und all die Dinge geben, die du brauchst, um einige Zeit in der Versenkung verschwinden zu können. Slim und ich werden diese Narren da draußen lange genug beschäftigen, um dir einen guten Vorsprung zu sichern.“

Im Hof wurde wieder das Feuer eröffnet. Harrison warf sich herum, nahm wieder seinen Platz neben dem hochgeschobenen Fenster ein. Pro­jektile sirrten an ihm vorbei in den Raum, zersplitterten Möbel und Wän­de. Sie schossen wie von Sinnen und hielten ihn mit ihren Schüssen in Deckung. Harrison und Tex konnten nicht wagen, auch nur ihre Na­senspitzen zu zeigen.

Pulverrauch wogte über den Ranchhof, gierig leckten die Mün­dungszungen aus den Läufen.

Und wieder brach das Schießen ab­rupt ab. Das Echo der Schüsse ver­hallte in der Ferne.

„Verschwinde endlich!“, knirschte Tex.

„Ich kann euch nicht einfach ...“

Tex Dooley unterbrach Harrison ungeduldig und drängend: „Mach dir unseretwegen keine Sorgen, mein Junge. Jim Hickock ist kein schlechter Sheriff. Er lässt nicht zu, dass sie uns ein Haar krümmen. Wenn wir der Meinung sind, dass du dich in Sicherheit befindest, strecken wir die Waffen. Sie werden uns vielleicht davonjagen - aber sie werden uns sicher nicht über die Klinge springen lassen.“

In Harrison war der Zwiespalt eines Mannes, der hin und her gerissen wurde zwischen Gefühl und Verstand. Das Gefühl sagte ihm, dass er die beiden Oldtimer sozusagen den Wölfen zum Fraß vorwarf, wenn er sie im Stich ließ. Der Verstand aber hämmerte ihm ein, dass es selbstmörderisch war, sich dieser Übermacht zu stellen, wohlwissend, dass die meisten dieser Männer da draußen von seiner Schuld überzeugt waren und keinen Grund hatten, ihn mit Samthandschuhen anzufassen.

„Ist das nicht ein Schuldanerkenntnis, wenn ich fliehe?“, entrang es sich ihm heiser. „Wird man mich nicht als Mörder jagen wie einen tollwütigen Hund und ein Kopfgeld auf meinen Kopf aussetzen? By Gosh, Tex, ich weiß nicht, was richtig ist.“

„Aber ich weiß es, Junge! Verschwinde, ehe sie dir den Hintern bis zum Kragen hinauf aufreißen. Sie sind von deiner Schuld überzeugt, die Sache ist frisch und beschäftigt die Gemüter, und die Emotionen kochen leicht über. Außerdem wird Flint Dexter alles tun, um gegen dich Stimmung zu machen. Wichtig ist, dass du für’s erste den Hals aus der Schlinge ziehst. Du musst aus der Schusslinie verschwinden. In einigen Tagen wird Ruhe einkehren. Und dann sehen wir weiter.“

Harrison entschied sich, dem Verstand zu folgen. „Okay“, murmelte er schwer. „Gebe Gott, dass du und Slim nicht ausbaden müsst, was sie mir zugedacht haben. Ich lasse euch Nachricht zukommen, Tex. Der Himmel sei mit euch!“

„Farewell, Junge“, wünschte Tex Dooley, dann nahm er Harrisons Platz am Fenster ein und begann mit zäher Verbissenheit zu schießen. „Zeigen wir’s ihnen, Slim!“, brüllte er. „Wir wissen, dass Harrison unschuldig ist. Vorwärts, Slim!“

Aus einem Fenster der Mannschaftsunterkunft begann Slim Winslow zu feuern. Er schoss auf alles, was sich bewegte. Sogleich tobte wieder der Kampf.

Innerlich total zerrissen lief Harrison geduckt zum Fluß. Zwischen dem Aufgebot und ihm befanden sich die Gebäude der Ranch, und so wurde er nicht bemerkt. Außerdem lieferten die beiden Oldtimer den Angreifern eine Abwehrschlacht, die deren ganze Konzentration auf sich zog.

Bis zu Ben Walkers Ranch betrug die Entfernung etwa fünf Meilen. Im Schutz des Ufergebüsches folgte Harrison dem Fluss nach Südwesten. Der Kampfeslärm wurde leiser. Harrison war randvoll mit gemischten Gefühlen. Die Sorge um Tex und Slim verzehrte ihn nahezu. Manchesmal war er nahe daran, umzukehren, um in den Kampf einzugreifen. Der Gedanke, dass die beiden Oldtimer für ihn ihre Haut zu Markte trugen, war ihm fast unerträglich.

Aber dann echoten wieder Tex Dooleys Worte durch seinen Verstand, und der Selbsterhaltungstrieb peitschte ihn voran. Du musst deine Unschuld beweisen, Harrison!, durchzuckte es ihn. Im Moment spricht alles gegen dich. Und wenn sie dich kriegen, ist der Rest nur eine Farce. Andererseits aber ...

Harrisons Herz übersprang einen Schlag. Eine Bruchteile von Sekunden andauernde Blutleere im Gehirn ließ ihn taumeln. Was war, wenn er dem wahren Mörder nicht die Maske vom Gesicht reißen konnte? Er würde den Rest seines Lebens als Verfemter, als Gebrandmarkter durchs Land ziehen, und jeder, der ihn erkannte, würde ihn ohne Vorwarnung über den Haufen schießen dürfen.

Finster wie ein Höllenschlund lag die Zukunft vor Harrison. Der wilde und gefährliche Sturm der Vorsehung trieb ihn. Das Rauschen des Nachtwindes im Ufergebüsch mutete ihn an wie höhnisches Gelächter. Und er hatte plötzlich das Empfinden, dass ihm die Schlingen und Schläge eines tückischen Schicksals nach und nach den Todesstoß versetzten.

*

Flint Dexter kroch an der Längsseite des Ranchhauses entlang. Immer wieder hielt er an, um zu wittern wie ein jagender Puma. Aus dem Fenster in der Giebelseite spuckte mit monotoner Gleichmäßigkeit ein Gewehr Feuer, Rauch und Blei. Bei jedem Aufglühen des Mündungsfeuers wurde das Fensterrechteckt für einen Sekundenbruchteil aus der Dunkelheit gerissen.

Dexter vermutete Harrison an diesem Fenster. Er hatte das Gewehr zurückgelassen. Sein Colt steckte im Holster. Vorsichtig bewegte er sich weiter. Über ihm harkten Geschosse in die Wand. Querschläger quarrten grässlich. Der Lärm war ohrenbetäubend und nervenzermürbend. Der ätzende Geruch von verbranntem Pulver lag in der Luft und der Nachtwind vermochte ihn nicht zu vertreiben.

Der Vormann hatte keine Angst, von den Kugeln seiner Begleiter getroffen zu werden. Er hatte dem Sheriff seinen Plan unterbreitet, und dann ging es von Mund zu Mund, dass sich Dexter Einlass ins Haus verschaffen wollte und dass sie ihre Kugeln so platzieren sollten, dass er auf keinen Fall gefährdet war. Also klatschten die Bleistücke hoch über ihm in die Hauswand und gefährdeten ihn nicht. Und sie erzielten den Effekt, den sie erreichen sollten: Tex Dooley und Slim Winslow hatten nur Augen für die Mündungslichter, die zwischen den Gebäuden oder hinter irgendwelchen Deckungen lohten.

Der Sheriff war auf Flint Dexters Vorschlag eingegangen, denn er wollte dem sinnlosen Kampf ein Ende bereiten. Er hatte dem Vormann das Versprechen abgenommen, nur zu schießen, wenn es sich nicht umgehen ließ – nur wenn Harrison nicht Vernunft annehmen sollte und es die Notwehrsituation erforderte.

Dexter hatte keine Skrupel, es dem Sheriff in die Hand zu versprechen. In Wirklichkeit aber wollte er nur töten. Er erreichte die Tür, richtete sich vorsichtig auf, seine Hand ertastete den Türknopf. Er drehte ihn. Langsam schwand die Tür nach innen auf. Dexter stand in dem engen, stockfinsteren Flur, der die beiden Wohnräume voneinander trennte. In dem Raum rechterhand befand sich der Schütze, den der Vormann für Harrison McQuinn hielt.

Dexter wartete, bis sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Er konnte den Eingang zu dem Raum ausmachen. Seine Hand legte sich auf die Türklinke. Krachend flog die Tür auf.

Als Tex Dooley die Gefahr erkannte und die Sekunde, die zwischen Erkennen und Begreifen liegt, überwunden hatte, war es für ihn zu spät. Der Mann auf der Schwelle schoss in rasender Folge. Der Oldtimer, der noch halb her­umgewirbelt war, spürte die Einschlä­ge in seinem Körper, ächzte und tau­melte. Krampfhaft versuchte er, die Winchester abzudrücken. Aber aus seinem Körper floh bereits das Leben. Seine Waffe fiel zu Boden. Wie durch Nebel nahm Dooley den großen Mann in der Tür wahr, dunkel und drohend. Und dann hauchte Tex Dooley sein Leben aus. Er sank zu Boden, streckte sich, seine Gestalt erschlaffte.

Flint Dexter ließ die Hand mit dem Colt sinken. Mitleidlos und ohne jede Re­gung starrte er auf die reglose Gestalt am Boden. Dann stieg er über den Toten hinweg und trat neben das Fenster. Er brüllte: „Aufhören! Ich habe McQuinn. Der Narr schoss auf mich. Nun, es ist nicht zu ändern.“

Der Lärm riss ab. Nur noch vereinzelte Schüsse fielen. Und schließlich schwiegen die Waffen. Dexter riss ein Streichholz an. Vager Lichtschein breitete sich aus und geisterhafte Reflexe zuckten über den Mann am Boden hinweg.

Flint Dexter durchrann es wie ein Stromstoß. Unwillkürlich entfuhr ihm ein lästerlicher Fluch. „Gottverdammt!“

Er sah nur die grauen Haare und wusste, dass er einen von Harrisons Cowboys erschossen hatte. Draußen erklang die barsche Stimme des Sheriffs: „Was für ein Teufel hat euch geritten, Winslow, als ihr – du und Dooley -, die Waffe nahmt, um einen Mordverdächtigen vor dem Gesetz zu beschützen. Weißt du, was das heißt? Weißt, was für eine Strafe darauf steht?“

„Du verblendeter Narr!“, keifte Slim Winslow. „Merkst du denn nicht, dass du dich zum Werkzeug der B.R. machst?“

Flint Dexter ließ das Schwefelholz fallen, als er sich fast schon die Finger verbrannte. Er stieß mit einer wütenden Bewegung seinen Colt ins Holster, dann ging er hinaus. Die Männer aus der Stadt und von der Brazos River Ranch hatten sich im Hof versammelt. Einige Fackeln loderten und verbreiteten trüben Lichtschein, der jedoch schon wenige Yards im Umkreis endete.

Vor der Eingangstür blieb Dexter stehen. Er ließ seine metallische Stimme erklingen: „Die beiden alten Narren haben sich für McQuinn geopfert! Drin liegt Dooley. Ich musste ihn in Notwehr erschießen. Sie haben Harrisons Flucht gedeckt.“

Er setzte sich wieder in Bewegung und näherte sich dem Pulk, der sich um Slim Winslow herum zusammengerottet hatte.

Sheriff Jim Hickock stieß hervor: „Heraus mit der Sprache, Winslow. Wohin ist McQuinn geflohen?“

„Keine Ahnung“, näselte der Oldtimer. Das unwirkliche Licht, das die Fackeln verbreiteten, schien die Linien und Furchen in seinem Gesicht zu vertiefen. Im ständigen Wechselspiel von Licht und Schatten funkelten seine Augen wie Glasstücke.

Obwohl Slim Winslow alles andere als ein Angsthase war, spürte er angesichts der versteinerten, unversöhnlichen Mienen ringsum doch ein mulmiges Gefühl. Es bereitete ihm fast körperliches Unbehagen. Nach außen hin aber zeigte er sich furchtlos und unerschrocken.

„Wir können es aus ihm herausprügeln!“, fauchte einer der Männer im Pulk.

Flint Dexter war heran. „Ein Pferd konnte sich McQuinn nicht nehmen“, gab er zu verstehen. „Er musste zu Fuß fliehen. Die nächste Farm ist die von Ben Walker. Fünf Meilen den Fluss hinunter. Und er hat allenfalls eine Viertelstunde Vorsprung. Mike, Hank und Joe, holt unsere Pferde. Wir folgen ihm.“

Die drei Aufgerufenen eilten davon und verschwanden in der Dunkelheit.

An den Sheriff gewandt sagte Dexter: „Sperr Winslow ein, Hickock. Er hat mit der Waffe in der Faust die Flucht eines Mörders gedeckt und wird sich vor Gericht verantworten müssen. Kümmert euch auch um den Toten im Haus. Die Arbeit mit McQuinn nehmen meine Männer und ich euch ab. Wir liefern ihn bis zum Morgengrauen bei dir ab, Sheriff. So oder so. Es wird ganz an ihm liegen.“

Sekundenlang hing Schweigen zwischen Dexter und dem Sheriff. Es war, als müsste Hickock die Antwort auf dieses Ansinnen erst in seinem Kopf vorformulieren. Schließlich erwiderte er schroff: „Es ist genug Blut geflossen, Dexter. Außerdem ist McQuinns Schuld nicht erwiesen. Sicher, der Anschein spricht gegen ihn, der Beweis allerdings ist nicht erbracht. Und solange er nicht schuldig gesprochen ist, gilt er vor dem Gesetz als unschuldig. Darum reite ich mit euch, damit Recht und Ordnung gewahrt werden, falls euch McQuinn in die Hände fällt.“

„Du traust uns also nicht!“, schnarrte Dexter. Seine Worte fielen wie Peitschenhiebe. „Ist die Saat, die McQuinn in deinen Verstand gestreut hat, aufgegangen? Denkst auch du, dass wir von der B.R. Dreck am Stecken haben? Sprich es schon aus, Hickock! Der Verdacht, den McQuinn äußerte, ist bei dir auf fruchtbaren Boden gefallen.“

Er nahm eine herausfordernde Haltung ein – eine Haltung, die ebenso herausfordernd war wie seine Worte.

„Ich vertrete das Gesetz“, antwortete Hickock fast gelassen. „Und ich dachte darauf, dass alles mir rechten Dingen zugeht. Was ich denke und glaube, das musst du schon meine Sache sein lassen, Dexter.“

Der Sheriff wandte sich nach diesen Worten ab. Er rief: „Harrison, Turner und Tucker, ihr bringt Winslow nach Stamford und sperrt ihn ein. Nehmt auch den Toten mit und liefert ihn beim Undertaker ab. Wir anderen reiten den Fluss hinunter. Es ist wahrscheinlich so, dass McQuinn tatsächlich zu Walker flieht, um sich dort ein Pferd auszuleihen und sich mit allem Notwendigen für seine weitere Flucht zu versorgen.“

Die Pferde wurden herangeführt.

Und schon wenig später hatte Harrison ein Rudel unversöhnlicher Jäger auf seiner Fährte sitzen.

*

Er hörte sie kommen. Der Hufschlag rollte vor ihnen her durch die Nacht. Die Füße brannten Harrison schon in den engen Reitstiefeln. Für den Weg bis zur Walker-Ranch hatte er anderthalb Stunden eingeplant gehabt. Nun war eine halbe Stunde seit seiner Flucht vergangen. Irgendwann war der Schusslärm weit hinter ihm im Rauschen der Blätter und dem Gurgeln des Flusses zu seiner Rechten versunken.

Die Hoffnung, dass Tex Dooley und Slim Winslow kein Leid zugefügt worden war, beherrschte sein Denken. Doch die Sorge um die beiden ließ sich nicht verdrängen. Und jetzt galt es, die eigene Haut zu retten. Denn Harrison sagte sich, dass seine Häscher nicht lange fackeln würden, wenn er ihnen vor die Läufe kam. Sie würden erst schießen und dann die Fragen stellen.

Das Hufgetrappel wurde deutlicher und prallte heran wie eine Botschaft von Unheil und Verderben. Sie kamen direkt auf seiner Fährte. Harrison schlug sich ins Ufergebüsch. Zweige zupften an seiner Jacke, peitschten sein Gesicht, er stolperte in der Finsternis über eine Wurzel und stürzte um ein Haar. Auf dem Fluss spiegelte sich das Mondlicht. Harrisons Hände saugten sich regelrecht am Gewehr fest.

Nach nicht ganz zehn Minuten schälte sich der Trupp aus der Nacht. Unwillkürlich duckte Harrison sich. Er zog den Kopf zwischen die Schultern. In diesen Sekunden stand er unter einer ungeheuren inneren Anspannung und Erregung.

Aber das Aufgebot zog vorüber. Der Hufschlag wurde leiser und leiser und verklang schließlich. Der Aufruhr der Gefühle in Harrison legte sich. Er verließ seine Deckung und setzte seinen Weg fort. Er war hellwach und auf ansatzlose Reaktion eingestellt. Und er fragte sich unablässig, was wohl aus Dooley und Winslow geworden war. Allein der Gedanke, dass sie seinetwegen vielleicht der gnadenlosen Stimmung einiger aufgebrachter, auf Rache erpichter Männer zum Opfer gefallen waren, war ihm unerträglich. Und er quälte sich mit Zweifeln, die auf ihn einstürmten und ihm unbarmherzig einhämmerten, dass es ein Fehler gewesen war, die beiden Oldtimer der rücksichtslosen Horde zu überlassen.

Seine Füße brannten bald wie Feuer. Er schätzte, dass er die halbe Strecke zurückgelegt hatte. dass sein Plan, sich zu Walker durchzuschlagen, durchschaut worden war, wusste er. Darum wollte er sich der Ranch erst nähern, wenn er sicher sein konnte, dass die Luft rein war. Er setzte darauf, dass sie sich bei Walker nicht aufhalten würden, wenn sie ihn nicht fanden.

Harrison zog die Stiefel aus. Die Blasen, die er sich an den Fersen und Zehen schon gelaufen hatte, waren zum Teil bereits aufgeplatzt und stachen, als würde sich ihm glühender Stahl ins Fleisch bohren. Er knüpfte die Stiefel zusammen und hängte sie sich über die Schulter. Auf Socken ging er weiter. Er trat auf einen spitzen Stein und stöhnte vor Schmerz.

Und dann sprang ihn eine höhnische Stimme an: „Ich habe es geahnt, McQuinn. Du hast uns gehört und an dir vorbeireiten lassen. Darum haben wir uns von den Dummköpfen aus der Stadt verabschiedet und sie alleine weiterziehen lassen. Der Sheriff denkt, dass wir uns auf dem Weg zur B.R. befinden. Wir aber haben uns hier auf die Lauer gelegt.“

Ein blechernes Lachen folgte. Gewehre wurden mit hartem Knacken durchgeladen.

Harrison war wie erstarrt. Seine Gedanken wirbelten und überschlugen sich. Im Ufergebüsch steckten die Kerle von der Brazos River Ranch, und die hohntriefenden Worte eben waren aus Flint Dexters Mund gekommen.

Und jetzt erklang wieder Dexters Stimme: „Lass deinen Schießprügel fallen, McQuinn, und schnall den Revolvergurt ab. Du solltest es ohne Hintergedanken tun, denn auf dich zielen ein halbes Dutzend Gewehre, und du bist gut auszumachen im Mond- und Sternenlicht. Wenn wir abdrücken, verwandeln wir dich in ein Sieb.“

Hart stieß Harrison die Luft durch die Nase aus. Die Lähmung, die die letzte Faser seines Körpers erfasst hatte, konnte er überwinden. Mit dem Gedanken, sich ihnen auf Gedeih und Verderb auszuliefern, wollte er sich nicht abfinden. Alles in ihm wehrte sich dagegen. Sicher, das Unabänderliche seiner Lage wurde ihm voll und ganz bewusst. Aber er war nicht der Mann, der sich wie ein Hammel zur Schlachtbank führen ließ.

Von einem Augenblick zum anderen schien er sich in eine große, gefährliche Raubkatze zu verwandeln. Das Feuer der Auflehnung, der Selbsterhaltungstrieb und der Gedanke an die eigene Unschuld ließ Harrison alle Bedenken über Bord werfen. Er stieß sich ab, hechtete in das Gestrüpp, Dornen zerkratzen sein Gesicht und seine Hände, ein Schuss krachte, ein zweiter ...

„Aufhören!“, brüllte einer erschreckt. „Um ein Haar hätte mich die Kugel getroffen! Verdammt, hört auf, blindlings herumzuballern!“

Harrison robbte durch die Büsche, als säße ihm der Leibhaftige im Nacken. Er achtete nicht darauf, dass er sich Hände, Knie und Gesicht blutig riss, dass zurückschnellende Zweige verrieten, wo er sich befand. Sein ganzes Bestreben war nur darauf ausgerichtet, den Fluss zu erreichen. Nur im Fluss konnte er ihnen entkommen.

Um ihn herum war die Nacht voll von den typischen Geräuschen, die ein halbes Dutzend Männer verursachen, die durch dichtes Zweiggespinst eine Hetzjagd veranstalteten. Trockene Äste zerbrachen unter harten Stiefelsohlen, Sporen klirrten, Blattwerk raschelte.

Der Fluss lag vor Harrison. Ein Stück weiter oben brach in diesem Moment einer seiner Häscher aus dem Gebüsch. Geduckt stand er da, in seine, Harrisons, Richtung starrend. Harrison visierte ihn kurz an und drückte ab. Das rechte Bein wurde dem Burschen vom Boden weggerissen, er stürzte und brüllte Schmerz und Schreck hinaus.

Harrison schnellte hoch, überwand mit einem Satz den schmalen Ufersaum und stürzte sich kopfüber ins Wasser. Es schlug über ihm zusammen. Die Stiefel rutschten von seiner Schulter und versanken. Alle Geräusche, die ihn bisher umgaben, waren wie abgeschnitten. In seinen Ohren war nur noch das Brausen der Fluten. Harrison glitt unter der Wasseroberfläche dahin. Er war ein ziemlich guter Schwimmer. Die Strömung ergriff ihn, und er wusste, dass er sich in der Flussmitte befand.

Er musste auftauchen. Wie der Überdruck aus einem Dampfkessel entwich die verbrauchte Luft seinen strapazierten Lungen. Der Druck, der sich in seinem Kopf zu bilden begonnen hatte, ließ nach. Nach wie vor hielt er das Gewehr in der Hand. Sein suchender Blick glitt über das Ufer. Wie eine schwarze, undurchdringliche Wand mutete das Ufergebüsch an. Die Handvoll Gestalten waren vor dieser Kulisse kaum auszumachen. Dennoch entgingen sie Harrison nicht. Er ahnte, dass sie sich nach ihm die Augen ausschauten.

Er legte sich auf den Rücken und ließ sich treiben. Doch einer der Kerle am Flussufer schien über den scharfen Blick einer Eule zu verfügen. Er brüllte: „Dort ist er! In der Flussmitte! Er lässt sich von der Strömung flussabwärts tragen.“

Sie eröffneten das Feuer. Glühender Schmerz durchzuckte Harrison, als eine Kugel seinen Oberschenkel durchschlug. Sekundenlang war er wie betäubt, und in diesem Moment erfasste ihn ein Strudel, wirbelte ihn herum, zog ihn unter Wasser und ließ ihn nicht mehr los. Die Luft wurde ihm knapp. Seine Lungen begannen zu schmerzen, der Kopf drohte ihm zu zerplatzen. Er kämpfte verbissen gegen die unwiderstehliche Kraft an, die ihn unter Wasser drückte, verlor das Gewehr, ruderte verzweifelt mit den Armen, und spürte endlich Untergrund unter den Füßen. Kraftvoll stieß er sich ab. Und aufs Neue durchbrach sein Kopf die Wasseroberfläche. Mit schwindelerregender Vehemenz füllten sich seine Lungen mit frischem Sauerstoff.

Am Ufer rannten die B.R.-Schießer entlang. Flint Dexter brüllte mit sich über­schlagender Stimme:

„Schießt, Leute, haltet drauf! Schießt ihn in Stücke!“

Das Wasser spritzte unter den Einschlägen. Harrison pumpte seine Lungen voll Sauerstoff und ließ sich wieder wegsacken. Die Erkenntnis, dass er ihnen zunächst entkommen war, beflügelte ihn. Weit holten seine Arme aus, die kraftvollen Schwimmstöße und die Strömung brachten ihn schnell flussabwärts.

Irgendwo, weitab, trieb ihn die Strömung ans flache Ufer. Erschöpft blieb er liegen. Die Finsternis hüllte ihn ein wie ein Mantel. Und seine Ein­samkeit wurde ihm bewusst. Verlo­renheit senkte sich in sein Gemüt, und dazu gesellte sich die Verzweiflung, die dem Wissen entsprang, dass inner­halb weniger Stunden sein bisheriges Leben zerstört worden war. Er folgte dem Fluss nach Südwesten. Zerschun­den, blutend und triefend vor Nässe setzte er mechanisch einen Fuß vor den anderen, die Schusswunde mit beiden Händen umklammernd, den Schmerz verbeißend.

Bald überfiel Harrison bleierne Er­schöpfung. Sein eingefallenes, von Blutverlusten und Schmerz gezeich­netes Gesicht verzerrte sich. Aber un­ermüdlich kämpfte er sich vorwärts. Die Schübe der Benommenheit ka­men schneller, die Abstände zwi­schen ihnen wurden immer kürzer.

Wie ein Betrunkener wankte er da­hin. Sie werden nicht ruhen, bis sie dich haben!, durchpeitschte eine un­barmherzige Stimme sein Gehirn. Sie jagen dich, bis sie dich Big John tot vor die Füße legen können. Du bist allein, unbewaffnet, am Ende...

Er ächzte. Immer wieder knickte das zerschossene Bein unter ihm weg. Die Blutung kam nicht zum Stillstand. Er nahm sein Halstuch ab und schlang es um das Bein. Die Angst, dass er es nicht schaffen könnte, durchrann ihn wie ein Fieberschauer. Seine Kehle war wie ausgedörrt. Er fror erbärmlich. Seine Zähne schlu­gen wie im Schüttelfrost aufeinander.

Der Fluss gurgelte und rauschte. Harrison lag im Ufersand. Wasser um­spülte seine Beine. Er brauchte Hilfe. Und Hilfe konnte er nur auf der Walker-Ranch erhalten. Anderthalb, vielleicht sogar noch zwei Meilen! Es war aussichtslos. In sei­nem Zustand konnte er diese Entfer­nung nicht mehr bewältigen. Er würde irgendwo umfallen, und wenn er nicht verblutete, würden ihn Big Johns Sattelfalken finden.

Harrison starrte auf den Fluss. Und dann fasste er einen Ent­schluss: Schwimmen! Nun, wenn er infolge seines Blutverlustes die Besin­nung verlor, dann ertrank er eben. Ein jämmerlicher Tod, aber immer noch gnädiger, als von ihnen abgeknallt zu werden wie ein räudiger Hund oder am Ende eines Lassos elend zugrunde zu gehen.

In jähem Entschluss erhob er sich. Er watete ins Wasser, verlor den Bo­den unter den Füßen. Die Strömung packte ihn. Er legte sich auf den Rüc­ken, sah weit über sich den Nachthim­mel, ließ sich dahintragen. Neue Hoff­nungen beflügelten seine Gedanken.

Die dunklen, drohend anmutenden Buschgruppen am Ufer schienen vor­beizuhuschen. Hin und wieder war­fen ihn unvermutete Stromschnellen herum, zerrten tückische Wirbel an ihm, aber mit wenigen kräftigen Ru­derbewegungen der Arme befreite er sich. Der Fluss wurde breiter und ruhi­ger. Harrison schwamm zum Ufer, kroch auf allen vieren die Uferböschung hinauf und ruhte kurze Zeit zwischen den dichten Büschen aus. Dann schlug er sich hindurch. Verschwommen zeichneten sich die Gebäude der Walker-Ranch durch die Dunkelheit ab. Es gab neben dem flachen Wohnhaus einen Pferdestall, einige Schuppen, zwei Stangencor­rals und einen hohen Turm mit einem Windrad beim Brunnen. Das Windrad dreht sich knarrend im Nachtwind.

Ruhig lagen die Gebäude vor Harrison im silbrigen Mondlicht. Nirgends brannte Licht. Walker und seine Familie schienen zu schlafen. Harrison konnte sich nicht entschließen. Die Ruhe hier kam ihm unecht und trügerisch vor. Schwer hing die Kleidung an ihm. Der Schmerz, den er im Wasser kaum wahrgenommen hatte, kam mit Macht zurück.

Hatten der Sheriff und der Rest des Aufgebots die Ranch bereits wieder verlassen?

Er fand keine Antwort auf diese bohrende Frage. Sie konnten ihre Pferde im Stall untergebracht und sich auf der Ranch verschanzt haben. Weit im Norden glaubte Harrison das Pochen von Hufen zu hören. Er war sich nicht sicher. Vielleicht spielten ihm auch die überreizten Sinne einen Streich. Wahrscheinlicher aber war, dass Flint Dexter und seine Revolvercowboys dort oben durch die Nacht ritten, auf der Suche nach ihm, den Entschluss in den Gemütern, ihm ein weiteres Mal keine Chance mehr zu lassen.

Da schlug Walkers Hund an. Sein wütendes Bellen erfüllte die Nacht. Die Kette, die ihn hielt, rasselte. Harrison staute den Atem. Da erklang auch schon Ben Walkers Stimme: „Bist du da draußen, McQuinn?“

Harrison schwieg.

Der Hund gebärdete sich wie verrückt. Mit scharfem Tonfall gebot ihm Walker, still zu sein. Das wütende Gekläffe endete. Drängend rief Walker: „Der Sheriff war hier, Harrison. Wir wissen, was sich zugetragen hat. Wenn du da draußen bist, dann zeig dich. Komm ins Haus.“

Schwer trug Harrison an seiner Unschlüssigkeit. Unrast ließ sein Herz schneller schlagen. Er war am Ende. Schließlich überwand er sich. „Seid ihr alleine, Ben? Sind der Sheriff und das Aufgebot schon weitergeritten?“

„Ja. Hickock erzählte uns, dass auf deiner Ranch ein Kampf stattgefunden hat. Dexter hat Dooley erschossen. Winslow wurde verhaftet und in die Stadt gebracht. Bist du in Ordnung, Harrison?“

Die Nachricht von Dooleys Tod hallte durch Harrisons Bewusstsein wie höllisches Geläut. Es wollte ihm nicht in den Kopf. Ächzend entrang es sich ihm: „Gütiger Gott, Dooley ist tot? Dexter hat ihn erschossen! Dieser verdammte Bastard! Er hat Dooley abgeknallt, nachdem dieser meinen Platz am Fenster einnahm ...“

Seine Stimmbänder versagten. Denn plötzlich spürte Harrison etwas, das stärker war als alle Erschöpfung und Schmerzen, die ihn quälten: Hass, grenzenlosen Hass. Er kam in rasenden, giftigen Wogen und überwältigte ihn.

„Komm ins Haus, Harrison“, rief nun eine Frauenstimme. Sie gehörte Kathy, Walkers Frau.

Es gelang Harrison, seinen Hass auf Dexter zu unterdrücken. „Ich bin verwundet, außerdem sitzen mir Dexter und seine Reiter im Genick!“, rief er und humpelte auf das Haus zu. „Ich will euch auch keine Umstände oder Ärger bereiten. Aber ich brauche eure Hilfe.“

Knarrend wurde die Haustür aufgezogen. Ben Walker trat ins Mondlicht. Der Hund fiepte leise. Die beiden Männer trafen aufeinander. „Leg deinen Arm um meine Schultern“, murmelte Walker. „Ich helfe dir ins Haus.“

„Sattle mir ein Pferd, Ben, gib mir außerdem ein Gewehr und Munition und Proviant für ein paar Tage. Ich bezahle dir alles, wenn ich meine Unschuld bewiesen habe und wieder auf meine Ranch zurück kann.“

„Du kriegst alles, was du brauchst. Jetzt komm erst mal ins Haus. In deinem Zustand kippst du nach einer Meile aus dem Sattel.“

Kathy erwartete sie mit einer Laterne in der Hand unter der Tür. In der Küche drückte Walker Harrison auf einen Stuhl. Harrison zitterte leicht. Es war nicht zu erkennen, ob aus Schwäche und Erschöpfung oder Hass auf Flint Dexter. Tiefe Linien zogen sich von seinen Nasenflügeln bis zu seinen Mundwinkeln. Seine Augen glühten wie im Fieber. Er war bleich, scharf zeichneten sich die Backenknochen unter der Haut ab.

„Wir dürfen keine Zeit verlieren“, murmelte Harrison lahm. „Ich muss fort sein, wenn die Schufte von der B.R. hier aufkreuzen.“

Eine Woge der Benommenheit spülte ihn hinweg und ebbte dann ab. Nur unterbewusst nahm er wahr, dass hinter ihm eine Tür geöffnet wurde. Ein kühler Luftzug streifte ihn. Ein Mann sagte rau:

„Ich verhafte dich wegen Mordverdachts, Harrison. Heb die Hände und unternimm nichts, was mich zwingen würde, abzudrücken.“

Müde drehte Harrison den Kopf. Aus den Augenwinkeln sah er Sheriff Jim Hickock. Drei Männer drängten hinter ihm aus der Tür zum Nebenraum. Sie alle hielten die Colts in den Fäusten.

Ben Walker und Kathy traten zur Seite.

Harrisons Verstand blockierte. „Du hast mich also verraten, Ben“, presste er hervor, und das war alles, was er an Reaktion zeigte.

*

Jim Hickock baute sich vor Harrison auf. Jemand zog ihm den Colt aus dem Holster. Nachdenklich musterte ihn der Gesetzeshüter. Plötzlich sagte er zu einem der anderen Männer: „Geh hinaus, Matt, und pass ein wenig auf. Ich will nicht, dass uns Dexter und sein schießwütiger Anhang eine böse Überraschung bereiten.“

Der Mann verließ das Haus.

„Nun zu dir, McQuinn. Ich weise dich darauf hin, dass alles, was du jetzt sagst, vor Gericht gegen dich verwendet werden kann. Erzähle uns, was geschah, als du auf der Bancroft-Ranch ankamst.“

Kathy Walker mischte sich ein. Sie sagte: „Sie versprachen, fair zu Harrison zu sein, Sheriff. Er ist verwundet, hat wahrscheinlich viel Blut verloren und ist sicher nicht im Vollbesitz seiner geistigen und körperlichen Kräfte. Lassen Sie mich seine Wunde versorgen, und geben Sie ihm die Zeit, die er benötigt, um wieder klar denken zu können.“

Harrisons Kinn war auf die Brust gesunken. Seine Lider flatterten. In seinem Gesicht zuckten die Nerven.

„Meinetwegen“, murmelte der Sheriff und senkte die Hand mit dem Colt. Von Harrison ging im Augenblick keine Gefahr aus. „Hilf deiner Frau, Ben. Hast du Whisky im Haus? Er wird McQuinn auf die Beine bringen.“

Kathy holte Verbandszeug und eine Flasche Brandy. Ben schlitzte mit einem Messer das Hosenbein Harrisons auf. Die Kugel hatte den Oberschenkel glatt durchschlagen, ohne ein lebensnotwendiges Gefäß zu zerfetzen. Der Knochen war unverletzt geblieben. Es war eine schmerzhafte und stark blutende Wunde, im Grunde aber war sie harmlos.

„Warum, Ben?“, fragte Harrison mit schwacher, verlöschender Stimme, als sich Walker über ihn beugte, um die Wunde in Augenschein zu nehmen.

Ben Walker richtete sich auf. Er legte Harrison die rechte Hand auf die Schulter. Kathy legte eine Kompresse auf die Wunde, um die Blutung zu stoppen. Als sie Brandy zur Desinfektion darüberschüttete, stöhnte Harrison auf. Ben sagte kehlig: „Nachdem dich Bancroft im Saloon mit Hilfe der B.R.-Strolche brutal zusammengeschlagen hatte, kamst nur du als sein Mörder in Frage, Harrison. Und als du dich mit Pulverdampf und Blei deiner Verhaftung widersetzt hast, war das nicht dazu angetan, dir deine Geschichte von dem unbekannten Dritten, der vor dir auf der Bancroft-Ranch gewesen sein soll, abzukaufen. Kathy und ich glauben nicht an deine Schuld. Auch Hickock ist nicht mehr davon überzeugt. Es gibt eine Reihe von Ungereimtheiten. Und der Sheriff versprach, alles zu tun, um Licht in das Dunkel um den Mord an Bancroft zu bringen. Bist du unschuldig, dann wird er es herausfinden.“

„Du wärst chancenlos gewesen, Harrison“, pflichtete Kathy bei, während sie eine neue Kompresse auflegte und begann, Harrison einen Verband anzulegen. „Sie hätten dich als Geächteten gehetzt und am Ende getötet. Unter den Mordfall Bancroft wäre ein Schlusspunkt gesetzt worden, denn Bancrofts Tod würde in den Augen aller gesühnt sein. Ben und ich wollten, dass du eine echte Chance bekommst. Und die kriegst du nur, wenn die Aufklärung der Bluttat von kompetenter Seite betrieben wird.“

„Sie hat recht“, murmelte der Sheriff. „Solange du dich in meinem Gewahrsam befindest, McQuinn, kann dir niemand ein Haar krümmen. Wenn du aber als Geächteter durchs Land ziehst, darf dir jeder ohne jede Vorwarnung heißes Blei servieren. – Mein Wort drauf, McQuinn: Ich werde nicht ruhen, bis der Mord aufgeklärt ist. Ich werde mich allerdings auch nicht scheuen, dich anzuklagen, falls ich zu der Erkenntnis gelange, dass nur du als Mörder in Frage kommst.“

Kathy Walker war fertig. Harrison trank einen Schluck von dem Brandy. Hickock hatte seine beiden letzten Begleiter hinausgeschickt, um die Pferde zu satteln. Das Pferd für Harrison stellte Walker zur Verfügung. Matt, der Mann, der aufpassen sollte, dass die Kerle von der B.R.-Ranch ihnen keine unliebsame Überraschung bereiten konnten, kam herein und berichtete: „Einmal vernahm ich in der Nähe Hufschlag. Aber wahrscheinlich rochen Dexter und sein Verein Lunte und verzogen sich. Sicher fürchteten sie unbequeme Fragen, nachdem sie dich angelogen haben, Jim. Ich denke, Big John und seine Kettenhunde harren jetzt der Entwicklung der Dinge. Sie werden erst wieder auf den Plan treten, wenn sich die Sache mit McQuinn anders entwickelt als sie es sich ausmalen.“

Draußen wieherte ein Pferd.

Harrison würgte nach wie vor an seiner Enttäuschung. Er fühlte sich körperlich wieder besser, und auch die Benommenheit, die Blutverlust und Erschöpfung nach sich zogen, ebbte ab. Irgendwie, das spürte er, meinten es Ben und Kathy Walker ehrlich. Auch Jim Hickock, der Sheriff, schien nicht darauf aus zu sein, ihm einen Strick zu drehen. Aber in Sicherheit konnte er sich nicht wiegen. Es waren schon viele Unschuldige gehängt worden in diesem Land. Er selbst konnte nichts mehr tun, wenn er im Jail saß. Sein Schicksal lag in fremden Händen. Und das beunruhigte ihn.

Ein Mann meldete, dass die Pferde gesattelt seien. Ben Walker half Harrison in die Höhe. Harrison stützte sich schwer auf ihn. Ben geleitete ihn hinaus und half ihm aufs Pferd. „Deine Unschuld wird sich herausstellen, Harrison“, sagte Ben mit fester, präziser Stimme. „Und der wahre Mörder wird hängen. Vertrau auf den Sheriff.“

Dann ritten sie von der Ranch.

*

Schon zwei Wochen später fand die Verhandlung statt. Jim Hickock hatte nichts herausgefunden, was Harrison entlasten hätte können. Er fand überhaupt nichts heraus. Er musste Harrison anklagen, denn Tatsache war, dass nach wie vor nur dieser als Mörder in Betracht kam. Er hatte ein Motiv. Und er war zu Bancroft geritten, an jenem unseligen Vormittag nach der verhängnisvollen Nacht, die Harrison und Bancroft zu Todfeinden gemacht hatte.

Die Jury befand auf schuldig.

Der Richterspruch lautete Tod durch den Strang.

Das Urteil sollte am Morgen des übernächsten Tages vollstreckt werden.

Harrison befand sich wieder in seiner Zelle. In der Nebenzelle saß Slim Winslow. Er schwieg, nachdem er von dem Todesurteil erfuhr. Ihn erwarteten mindestens fünf Jahre Zuchthaus. Darüber hatte der Sheriff keinen Zweifel aufkommen lassen. Der Gedanke daran würgte ihn, und der Schock nach dem Todesurteil gegen Harrison tat ein übriges, um ihn in düstere Gedanken versinken zu lassen. Worte des Trostes wären deplatziert gewesen. Was sollte er einem Mann sagen, auf den der Schatten des Galgens fiel und der so gut wie tot war?

Ben Walker und Kathy hatten soeben den Zellentrakt verlassen. „Wir sind nach wie vor von deiner Unschuld überzeugt, Harrison“, erklärte Ben. „Und weil das so ist, fühle ich mich wie Judas Ischariot, der Jesus Christus für eine Handvoll Silberlinge verkaufte. Ich dachte, ich erweise dir einen Gefallen, wenn ich helfe, dich dem Gesetz auszuliefern. Doch nun ...“

Seine Stimme brach. Seine Augen füllten sich mit Tränen. Er barg das Gesicht in seinen Händen.

„Es tut mir leid, Harrison“, flüsterte Kathy. In ihren Mundwinkeln zuckte es. „Wenn wir das geahnt hätten, würden wir uns niemals hergegeben haben, dir auf unserer Ranch diese Falle zu stellen. Zwei Tage noch – vielleicht geschieht ein Wunder und ...“

„Den Glauben an Gott, an Recht und Ordnung, an die Menschlichkeit und vor allem an Wunder habe ich heute verloren, Kathy“, stieß Harrison rau hervor und unterbrach sie damit. Er kam bis an die Gitterwand heran und umklammerte zwei der zolldicken Stäbe. „Man wird mich übermorgen vor Sonnenaufgang am Ende eines Strickes durch die Klappe fallen lassen, und nach Meinung aller wird dem Gesetz Genüge getan sein. Na schön. Unsere Bestimmung ist es nun einmal, irgendwann zu sterben. Bei mir ist es übermorgen. Geht jetzt, Kathy. Ich will alleine sein.“

Zuletzt hatte er schroff, fast feindselig gesprochen.

Ben und Kathy waren gegangen. Irgendwann kam der Sheriff. Harrison lag auf der Pritsche, hatte die Arme hinter dem Kopf verschränkt und starrte hinauf zur Decke.

„Brauchst du irgend etwas, McQuinn?“, fragte Hickock besorgt. „Soll ich dir irgend etwas besorgen?“

„Ja.“ Harrisons Oberkörper ruckte hoch. „Gib mir einen Colt mit sechs Schuss Munition und den Schlüssel zu dieser Zelle. Dann bin ich wunschlos glücklich, Hickock!“

Hickock presste die Lippen zusammen. Dann brachte er hervor: „Ich hatte keine andere Wahl, McQuinn. Vor dem Gesetz bist du ein Mörder, und auf Mord gibt es eben nur eine Antwort – nämlich den Strick. Persönlich allerdings bezweifle ich deine Schuld. Du bist nicht der erste Mann, den ich unter den Galgen führe und dem ich den Strick um den Hals lege. Aber du wirst der erste sein, bei dem mich tausend Zweifel quälen werden, ob ich nicht einen Justizmord begehe.“

„Vielen Dank für deine Anteilnahme, Hickock!“, fauchte Harrison mit bitterem Sarkasmus im Tonfall. „Es wird mich trösten, wenn ich mir am Ende des Stricks den Hals breche.“

„Ich kann dich verstehen“, murmelte Hickock und es klang nahezu brüchig. „Am liebsten würde ich mir das verdammte Stück Blech von der Weste reißen und Stamford verlassen. Aber davon hättest du nichts, Harrison. - Nun sag schon: Kann ich etwas für dich tun? Hast du einen besonderen Wunsch? Willst du dich betrinken, um zu vergessen. Ich besorge dir eine Flasche Whisky.“

„Such den wahren Mörder, Hickock. Du hast Zeit bis übermorgen früh.“

Hickock bedachte ihn mit einem seltsamen Blick, zuckte mit den Achseln und verließ den Zellentrakt.

In der Nachbarzelle erhob sich Slim. Harrison wandte sich ihm zu. Von draußen wehte ein Geräusch durch kleinen, vergitterten Fenster herein, das sich anhörte, als würde ein Gespann in den Gefängnishof gefahren. Ein zischender Ton kam von Winslow. Er nahm den Hocker, stellte ihn unter das Fenster und stieg hinauf. Seine Wangenmuskulatur vibrierte, als seine Backenzähne übereinander mahlten. „Sie bringen Balken und Bretter“, entfuhr es ihm.

Harrison zuckte zusammen.

Winslow sprang vom Hocker und kam an die Gitterwand, die die beiden Zellen trennte. „Es darf nicht soweit kommen, Harrison!“, drang es heiser über seine Lippen. „Ich zerbreche mir schon die ganze Zeit über den Kopf, wie wir aus diesem Käfig hinauskommen. Aber mir will nichts Vernünftiges einfallen.“

„Ohne Hilfe von außen kommen wir nicht hinaus. Akzeptiere es, Slim.“

Harrison setzte sich auf die Pritsche, stellte seine Ellenbogen auf die Oberschenkel und stützte das Kinn auf die ineinander verschränkten Finger. Schon bald klang von draußen Hämmern und Sägen herein, und die Angst vor der Stunde, in der der Sheriff und einige Helfer kamen, um ihn abzuholen, begann sich in Harrison einzunisten.

Etwas in ihm begann sich zu verkrampfen.

*

Der Tag endete, die Nacht kam. Der Galgen war aufgestellt. Auf der Plattform stand noch der Sandsack, mit dem getestet worden war, ob alles ordnungsgemäß funktionierte. Das dumpfe Geräusch, mit dem sich die Falltür öffnete, der trockene Ton, mit dem sich der dicke Hanfstrick spannte – das alles klang in Harrison nach und ließ ihn innerlich erbeben.

Im Silver Moon Saloon ging es hoch her. Betrunkene brüllten und johlten. Das Orchestrion hämmerte. In Harrison war ein grenzenloses Gefühl des Alleinseins, der absoluten Einsamkeit. Die Dunkelheit in der Zelle verstärkte dieses Gefühl noch. Bis lange nach Mitternacht trieb der Lärm aus dem Saloon durch die Stadt. Dann kehrte Ruhe ein.

Ruhig war es auch auf der Walker-Ranch am California Creek. Ben Walker und Kathy schliefen. Eine schattenhafte Gestalt schlich an der Rückseite des Haupthauses entlang. Der Hund im Hof bemerkte nichts. Auch er schlief. Seine Instinkte waren ausgeschaltet.

Ein Streichholz flammte auf, dann loderte eine Pechfackel. Der Lichtschein zerrte das Gesicht des Mannes aus der Finsternis. Nur die Augen waren zu sehen. Der Bursche hatte sich über Mund und Nase das Halstuch gezogen. Den Hut trug er tief in der Stirn. Er wartete, bis die Fackel richtig brannte. Dann zerschlug er mit dem Coltlauf ein Fenster und hielt den Brandsatz an den Vorhang, der sofort Feuer fing. Er warf die Fackel in den Raum und zog sich zurück.

In der kleinen Schlafkammer rüttelte Kathy ihren Mann wach. „Ben“, flüsterte sie drängend und ängstlich zugleich. „Ben, wach auf. Ich glaube, draußen treibt sich jemand herum. Es hörte sich an, als wäre ein Fenster zertrümmert worden. Ben, ich habe Angst.“

„Unsinn“, murmelte Ben schlaftrunken und wollte sich auf die andere Seite drehen. „Du hast geträumt, Kath. Schlaf weiter.“

„Ben, bitte ...“

In diesem Moment begann draußen der Hund wie irrsinnig zu bellen. Durch einige Ritzen in der Brettertür fiel Lichtschein. Unter der Tür zog beißender Qualm hindurch und stieg in die Höhe. Ben nahm das alles im selben Augenblick war, in dem Augenblick, als er vom Bellen des Hundes aus der Schlaftrunkenheit gerissen wurde, wie elektrisiert hochfuhr und die Augen öffnete.

„Bei Gott, Kathy, es brennt!“, entfuhr es ihm. Er schleuderte die Bettdecke von sich herunter, sprang auf und war mit zwei langen Schritten bei der Tür. Er riss sie auf. Er wurde vom Feuerschein übergossen. Beißender Qualm schlug ihm entgegen und ließ ihn husten. Flammen zuckten beim Fenster an der Holzwand in die Höhe. Der Vorhang brannte lichterloh. Eine Fackel lag beim Geschirrschrank am Boden, die züngelnden Flammen hatten bereits das zundertrockene Holz der Schranktür entzündet.

„Komm her, Kathy, komm!“, schrie Ben. „Wir müssen hinaus. Hier drin ersticken wir.“

„Aber wir können doch nicht zusehen, wie unser Haus niederbrennt!“, schrie sie wie in Panik. „Wir müssen doch wenigstens versuchen, zu retten, was möglich ist.“

„Sicher, Kathy! Zunächst aber müssen wir nach draußen. In diesem Qualm ersticken wir sonst jämmerlich. Schnell, Kathy, schnell!“

Er lief zu ihr, zerrte sie hoch und hinter sich her zur Tür. Die Hitze in der Küche war fast unerträglich. Sie gelangten in den Flur und zur Haustür. Ben entriegelte sie und zog sie auf. Frische Nachtluft schlug ihnen entgegen. Er zerrte Kathy hinter sich her in den Hof, atmete tief durch. Da krachte ein Gewehr. Beim Heuschober zerschnitt ein grelles Mündungslicht die Nacht. Ben stolperte und griff sich mit beiden Händen an die Brust. Seine Lippen klafften auseinander. Aber der Schrei erstickte im Ansatz. Nur ein ersterbendes Röcheln entrang sich seiner Kehle, er drehte sich halb um seine Achse und kreiselte zu Boden.

Kathy begriff gar nichts. Sie war zu keiner Reaktion fähig. Sie presste nur die Fäuste vor den Mund. Und als das furchtbare Begreifen kam, schnürte ihr das Entsetzen den Hals ab. Sie fiel neben ihrem Mann auf die Knie. „Ben“, platzte es über ihre Lippen. Sie packte ihn am Nachthemd und rüttelte ihn. „Ben!“ Und dann kam der verzweifelte Aufschrei: „Mörder! Elende, niederträchtige Mörder!“

Hufschlag entfernte sich.

Hinter Kathy Walker breitete sich das Feuer aus. Sie kniete neben Ben, schluchzte, strich ihm unablässig über das erstarrte Gesicht und murmelte immer wieder: „Mörder! Die Hölle verschlinge dich und deinen Mörderverein, Big John. Ihr gemeinen Mörder ...“

Kathy schien die Hitze nicht zu spüren, die sie wie ein Gluthauch berührte. Mit erloschenen Augen starrte sie in das reglose Gesicht Bens. Zu ihrer Erschütterung, ihrer Fassungslosigkeit, ihrer Verzweiflung und der namenlosen Trauer gesellte sich der Hass. Um sie herum war nur Knistern, Knacken und Prasseln.

Die Gebäude der Ranch brannten lichterloh. Das Flammenmeer machte die Nacht zum Tag. Funken sprühten zum Himmel, verglühten und regne­ten auf sie und ihren ermordeten Mann herunter.

Krachend stürzte das Dach des Ranchhauses ein, wie ein Feuerwerk muteten die hochwirbelnden Funken an. Immer wieder krachte und barst es, und dann fielen die Flammen in sich zusammen. Einsam kniete Kathy vor den glimmenden und rauchenden Trümmern der Ranch, vor den Trümmern einer Illusion, die sie und Ben vor nicht allzulanger Zeit bewogen hatte, hier den Grundstein für eine gute Zukunft zu legen. Blicklos starrte sie auf die Berg von qualmen­dem Schutt, der von ihrem Wohnhaus noch übrig war. Wie durch ein Wunder war das Feuer nicht auf die Nebengebäude übergesprungen. Im Stall tobten die Pferde. Und es war nur noch eine Frage von Minuten, bis sie mit den Hufen ihre Boxen zertrümmerten ...

Etwas in der Frau zerbrach.

Ihr ganzes Denken und Fühlen war nur noch auf tödliche Rache ausgerichtet.

*

Kath begrub ihren Mann. Dann sattelte sie sich ein Pferd und ritt zur McQuinn-Ranch. Ihre gesamte Kleidung und die Bens war verbrannt. Sie war waffenlos. Seit die McQuinn-Ranch verwaist war, hatten sie und Ben sich um das Vieh dort gekümmert. Auf der McQuinn-Ranch würde sie Kleidung und eine Waffe finden. Sie dachte nicht daran, Anzeige bei Sheriff Hickock zu erstatten. Den Glauben an die Gerechtigkeit hatte sie verloren. Zuerst die Sache mit Harrison – und jetzt der Mord an Ben...

Kathy war bereit, ihre Sache selbst in die Hand zu nehmen. Sie war besessen von dem Gedanken, Big John, den Mann, der die Fäden in der Hand hielt und den sie für den Drahtzieher all der himmelschreienden Ungerechtigkeiten hielt, zu töten.

Sie fand auf der McQuinn-Ranch, was sie suchte. Als sie die Ranch verließ, trug sie Männerkleidung. Sie hatte sich Hose, Hemd und Weste und auch die Stiefel aus dem Spint Tex Dooleys genommen, der nur ein mittelgroßer, hagerer Mann gewesen war und dessen Kleidung ihr am ehesten von allem, was sie anprobierte, passte.

Im Sattelschuh steckte eine geladene Winchester.

Und was Kathy im Herzen trug, war tödlicher als jede Waffe der Welt. Es war eine schwelende Glut aus Hass und Leidenschaft, vielleicht sogar Begierde. Ein Hass, der keine Zugeständnisse, keine Versöhnung und kein Entgegenkommen kennen sollte ...

*

Wieder brach eine Nacht an. Es sollte die letzte für Harrison McQuinn sein. Den nächsten Sonnenaufgang sollte er schon nicht mehr erleben. Am Abend waren Big John Steele und seine Revolvergarde in die Stadt gekommen. Sie mieteten sich Zimmer im Hotel, und jetzt befanden sie sich im Silver Moon Saloon.

Auch die Small Rancher vom Califorina Creek und viele der Siedler vom Brazos River fanden sich in der Stadt ein. Die Stimmung in Stamford war angespannt und explosiv.

Sheriff Jim Hickock machte seinen ersten Rundgang durch die Stadt. Er stieg auch auf den Vorbau des Saloons und blickte über die Ränder der Schwingtür in den Schankraum. An einem der Tische saßen Big John, Flint Dexter und noch zwei Männer, deren Namen auf Big Johns Lohnliste standen. Am Ende des Tresens lehnten drei weitere Brazos River-Männer. Im übrigen war der Saloon ziemlich voll mit Männern, die nicht in die Stadt gehörten und die gekommen waren, um der Hinrichtung am kommenden Morgen beizuwohnen. Die Sensationsgier hatte sie nach Stamford getrieben.

Jim Hickock ging weiter. Er schritt durch die Gassen und Seitenstraßen der Stadt, betrat den Gefängnishof, in dem zwei Laternen brannten und den Galgen beleuchteten. Ein Mann stand hier Wache. Er hielt das Gewehr mit beiden Händen schräg vor seiner Brust. An seiner linken Brustseite funkelte der Stern eines Deputys. Hickock hatte kurzerhand eine Handvoll Männer aus der Stadt zu seinen Gehilfen ernannt. Da sich viele der Kleinrancher, die mit Harrison McQuinn sympathisierten, in der Town eingefunden hatten, befürchtete der Sheriff Manipulationen am Galgen. Darum ließ er das Gerüst bewachen.

„Alles in Ordnung, Loney?“, fragte er den Mann.

„Sicher. Ich denke, es wird keine Zwischenfälle geben.“

„Ausschließen kann man nichts“, murmelte der Sheriff. „Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste. Ich will die leidige Sache morgen früh reibungslos zum Abschluss bringen.“

Er verließ wieder den Hof. Vorne an der Straße stand ein weiterer Hilfssheriff. Als er Hickock erkannte, entspannte sich der Mann und sagte: „Die Kleinrancher und ihre Leute werden nicht tatenlos zusehen, wenn wir McQuinn morgen früh den Strick um den Hals legen. Big John und seine Schnellschießer hingegen werden alles tun, um sicherzustellen, dass McQuinn in den Himmel der Gehängten eingeht. Es kann zum Krieg kommen in der Stadt. Und wenn das der Fall ist, dann Gnade uns Gott. Denn dann werden wir alle mit hineingerissen in den höllischen Verdruss.“

„Mal den Teufel nicht an die Wand, Curly“, knurrte Hickock und ließ seinen Blick schweifen. Irgendwie konnte er das Gefühl nicht verdrängen, dass diese Nacht noch eine Reihe böser Überraschungen für sie alle bereit hielt. Die Finsternis zwischen den Häusern schien Unheil zu verkünden. Es war irgend etwas, das im Hintergrund seines Bewusstseins lauerte, das ihn zutiefst beunruhigte - und das sich seinem Verstand entzog.

Er ging weiter.

Währenddessen huschte eine schmächtige, mittelgroße Gestalt durch die Gassen und Winkel der Stadt. Es war Kathy Walker. Aus den Schlagschatten heraus beobachtete sie die Main Street, sie sah den Sheriff, als er sich mit dem Deputy unterhielt, und sie hatte in der Zwischenzeit herausgefunden, dass das Jail von insgesamt drei kurzfristig ernannten Sheriffsgehilfen bewacht wurde.

Kathys Herz war kalt und tot. Sie kannte nur noch ein Ziel: blutige Rache. Alleine aber war sie zu schwach, um sich an der Brazos River Ranch zu rächen. Harrison McQuinn und Slim Winslow, die ebenfalls allen Grund hatten, Big John und seinem Verein einige Dinge gnadenlos und unerbittlich zu vergelten, waren die richtigen Gefährten für sie.

Kathys Entschluss, die beiden aus dem Gefängnis zu holen, war unumstößlich. Sie hatte sich einen Colt umgeschnallt. Außerhalb der Stadt hatte sie drei Pferde bereitgestellt. Sie hatte nichts vergessen. In den Satteltaschen befand sich alles, was für eine längere Flucht notwendig war. In den Scabbards steckten Gewehre.

Kathy gab ihren Platz auf. Hinter den Häusern und Gärten entlang rannte sie zu einem Heuschober, der zum Mietstall gehörte. Ein Schuppen schloss sich an, dann die Remise, deren Dach nur auf einigen armdicken Pfosten ruhte. Ein Stück weiter war der Lagerschuppen des General Store errichtet worden. Ein Wohnhaus folgte ...

Kathy legte in dem Schober Feuer. Wie ein Spuk verschwand sie in der Nacht. Als die Flammen aus dem Holzbau schlugen, war sie verschwunden, als hätte sie sich in Nichts aufgelöst. Heu und Stroh brannten wie Zunder, meterhoch schlugen schon bald die Flammen aus dem Dach.

Innerhalb weniger Sekunden war die ganze Stadt alarmiert. Die Straße war voll Menschen. Jemand brüllte nach dem Löschwagen. Ein Mann schrie: „Die Scheune ist nicht mehr zu retten. Versuchen wir zu verhindern, dass das Feuer auf den Mietstall und den Lagerschuppen übergreift. Verdammt, die ganze Stadt ist gefährdet!“

„Unsere Pferde!“ Flint Dexters Stimme übertönte den Lärm. „Wir müssen unsere Gäule herausholen.“

Der ganze Pulk drängte in die Richtung des Mietstalles. Männer, nur notdürftig bekleidet, verließen ihre Häuser, um beim Löschen zu helfen. Eine Eimerkette wurde gebildet. Rumpelnd und knarrend rollte der Löschwagen die Main Street hinunter. Ein halbes Dutzend Männer zogen und schoben ihn.

Jim Hickock ließ sich von der allgemeinen Aufregung nicht anstecken. Er lief zum Jail. Den beiden Männern, die sich auf dem Gehsteig vor dem Office eingefunden hatten und die er als zwei seiner Gehilfen identifizierte, rief er zu: „Das ist kein Zufall! Passt auf! Duldet niemand in der Nähe des Office!“

Ein Schrei lief durch die Stadt. „Es brennt auch im Norden! Flahertys Schmiede steht in Flammen! Der Wind treibt die Funken in die Stadt!“

Hickock rannte in den Gefängnishof. Der Mann, der den Galgen zu bewachen hatte, hielt die Stellung. „Lass keinen in den Hof!“, brüllte Hickock. „Wer immer es auch ist – niemand darf herein. Du bist legitimiert, im Notfall von der Waffe Gebrauch zu machen!“

Hickock hetzte zurück auf die Straße. Im Norden loderten Flammen zum Himmel. Ebenso im Westen, wo die Vorratsscheune des Mietstalles lichterloh brannte. Hickock sperrte die Officetür auf und ging hinein. Mit einer brennenden Laterne in der Hand betrat er den Zellentrakt. Harrison saß auf der Pritsche. In der Nebenzelle stand Slim Winslow an der Gitterwand. Das Licht der Lampen, die im Gefängnishof brannten, fiel durch die kleinen, vergitterten Fenster und zeichnete Schatten an die gegenüberliegende Wand, die den Trakt vom Office trennte.

„Wer immer diesen Zauber inszeniert!“, presste der Sheriff hervor. „Er scheut vor nichts zurück, um wahrscheinlich euch beide aus dem Käfig zu holen. Aber es wird ihm nicht gelingen. Wenn doch, dann nur über meine Leiche!“

Er warf sich wieder herum und hetzte nach draußen. Die Tür sperrte er ab. Seine Schritte verklangen. Das Geschrei, das durch die Stadt brandete, sickerte auch in die Zellen. Harrison, der schon abgeschlossen hatte, begann wieder Hoffnung zu schöpfen. Er stellte den Hocker unter das Fenster, erstieg ihn und blickte hinaus. Der Hals wurde ihm eng beim Anblick des Gerüstes, von dem die kunstvoll geknüpfte Schlinge mit den vierzehn Windungen baumelte.

Er nahm eine huschende Bewegung im Schatten der Mauer wahr, die das Areal eingrenzte. Der Wachposten lief erregte vor dem Galgen auf und ab. Aus dem tintigen Schatten löste sich eine Gestalt. Geduckt lief sie auf den Posten zu, der ihr den Rücken zuwandte. Harrison staute den Atem.

Der Hilfssheriff wirbelte herum. Aber da traf ihn schon der Gewehrkolben gegen die Schläfe. Wie von einem Blitz getroffen sackte der Mann zusammen. Die dunkle Gestalt nahm sein Gewehr und zog ihm den Colt aus dem Holster. Sie lief zur Wand des Gefängnisses mit den Fenstern.

„Hierher!“, rief Harrison, und im selben Moment erkannte er Kathy. Er war einige Herzschläge lang total perplex, wie vor den Kopf gestoßen. Aber da war Kathy schon bei ihm und hielt die beiden Waffen in die Höhe. Sie keuchte: „Bei Colemans Corral stehen Pferde bereit. Ich erwarte euch dort. Bis später, McQuinn!“

Harrison nahm ihr die Waffen ab. Sie machte kehrt. Für weitere Erklärungen fehlte es an der Zeit. Einem jähen Impuls folgend nahm sie eine der Laternen, die an einem Hacken neben dem Hoftor hing, und schleuderte sie auf die Plattform des Galgens. Klirrend zerbrach der Glaszylinder. Petroleum rann aus dem Tank. Bläuliche Flammen zuckten über die dicken Bohlen, und plötzlich entzündete sich der Brennstoff. Flammen züngelten an den Balken des Gerüstes in die Höhe, und es dauerte nicht lange, dann brannte das Holz.

Kathy verschwand. Von einem flachen Schuppen aus gelangte sie auf die Mauerkrone, sprang hinunter und wurde eins mit der Nacht.

Der brennende Galgen lichtete die Nacht über dem Gefängnishof. Harrison reichte Slim Winslow den Colt. Er richtete die Winchester auf das Zellenschloss und drückte ab. Er spürte den Rückschlag bis in die Schultergelenke. Der Knall staute sich im Raum und drohte ihn aus allen Fugen zu sprengen. Die Wucht der Kugel bog den Schlosskasten nach außen, und nach dem zweiten Schuss schwang die Tür auf.

Harrison rannte ins Office. Er wusste, dass die Zellenschlüssel an einem Nagel hingen, den der Sheriff in den Türstock geschlagen hatte. Trotz der herrschenden Finsternis ertastete Harrisons Hand den Schlüsselbund auf Anhieb. Und eine halbe Minute später war Slim Winslow frei.

Draußen war Geschrei. Jemand brüllte Befehle. Das Gebrüll verlagerte sich in den Gefängnishof. Harrison und Slim standen an der Officetür, die schussbereiten Waffen in den Fäusten. Sie wussten, dass sie die Hölle erwartete, wenn sie das Office verließen.

Plötzlich peitschten Schüsse durch die Stadt. Ein Aufschrei erklang. Hastende Schritte polterten über Holzdielen. Ein Querschläger jaulte durchdringend. Jim Hickocks Stimme erklang: „In Deckung, Curly. Der Schuft, der da auf der Lauer liegt, kennt keinen Pardon!“

Eine schrille Stimme, in der der Schreck mitschwang, antwortete: „Er hat Tanner eine Kugel verpasst. O mein Gott ...“

Harrison stieß die Tür auf. Ein Gewehr krachte. Die Kugel zischte durch das gähnende Rechteck und meißelte den Putz von der Wand hinter dem Schreibtisch des Sheriffs. Weitere Schüsse brachen. Und als die Waffen schwiegen, schob sich Harrison aus der Tür. Und er begann sofort zu feuern. Geduckt rannte er nach links davon. Die Schussverletzung an seinem Oberschenkel war gut verheilt und stellte kein Handicap mehr dar. Seine Schritte dröhnten über den Stepwalk. Ihm folgte Slim. Der Colt in seiner Faust brüllte auf. Schuss um Schuss jagte er aus dem Lauf.

Hickock und sein Gehilfe lagen am gegenüberliegenden Straßenrand flach am Boden. Die blindlings verfeuerten Kugeln der beiden Fliehenden konnten ihnen nicht gefährlich werden. Das Gewehr, mit dem sie unter Feuer genommen worden waren, ehe die beiden Gefangenen das Office verließen, schwieg jetzt.

Hickock drückte ab.

Und er traf.

Slim Winslow wurde gegen die Officewand geschleudert. Der Oldtimer warf sich halb herum und lehnte jetzt mit dem Rücken an der Wand. Soeben verschwand Harrison in der Gasse, von der aus man in den Gefängnishof gelangte.

Winslow spürte den Schmerz in seiner Brust und wusste, dass sein Trail hier zu Ende war. Er hob den Colt. „Hickock, du Narr!“, entrang es sich ihm, und das Sprechen bereitete ihm Mühe. Ein rasselnder Atemzug, er hüstelte. „Du hast den falschen Mann angeklagt. Bancroft wurde nicht von Harrison...“

Eine Salve peitschte über die Straße. Die Geschosse nagelten Slim Winslow regelrecht gegen die Hauswand. Die Detonationen rollten die Main Street hinauf und hinunter und stiegen über die Dächer. Sogar der Lärm, der die ganze Stadt erfüllte wie ein höllischer Choral, wurde für Sekundenbruchteile überlagert.

Langsam rutschte Slim Winslow an der Hauswand zu Boden. Seine Brust war von Kugeln zerfetzt. Er war tot. Auf der anderen Straßenseite zeigten sich Männer. Aus den Mündungen ihrer Waffen kräuselte Pulverdampf. Slim Dexter stieß ohne jede Gemütsregung hervor: „Der braucht nichts mehr. Allerdings sieht es ganz so aus, als wäre McQuinn entkommen. Auf die Pferde, Leute. Wir hetzen ihn und seinen unbekannten Freund, bis ihnen die Zungen zum Hals heraushängen.“

Sie liefen zurück in die Seitenstraße, aus der sie gekommen waren, als hätte sie die Hölle ausgespuckt.

*

Bei den Corrals des Viehhändlers Coleman wartete Kathy Walker auf Harrison und Slim. Sie saß bereits im Sattel eines Rotfuchses und hielt die Leinen der beiden anderen Tiere in der Hand. Vom Lärm, der herantrieb, waren die Pferde ziemlich nervös.

Harrison rannte wie von Furien gehetzt durch den engen Korridor zwischen zwei der Koppeln und langte bei Kathy an. „Es hat Slim erwischt!“, entfuhr es ihm, als er im Sattel saß. „Sie werden dafür büßen. Erst Tex, und jetzt Slim. Und das alles nur, weil ein gieriger Hundesohn Angst um den Bestand seines Rinderreiches hat. Ich werde Tex und Slim rächen! Und wenn ich dabei selbst vor die Hunde gehe!“

„Auch Ben ist tot!“, rief Kathy mit spröder Stimme. Sie warf Harrison die Leinen zu. „Sie brannten unser Haus nieder, und als wir vor dem Feuer ins Freie flüchteten, erschossen Sie Ben aus dem Hinterhalt.“

Harrison traf die Nachricht bis in seinen Kern. Im nächsten Moment hatte er das Ungeheuerliche verarbeitet. Die Erkenntnis, was Kathy bewogen hatte, die ganze Stadt ins Chaos zu stürzen, um ihn zu befreien, fuhr ihm eiskalt in die Glieder, und wie eine furchtbare Flut überkam ihn das Verstehen. Doch jetzt darüber nachzudenken hatte er nicht die Zeit. Denn prasselnder Hufschlag erreichte sein Gehör. Er stieß hervor: „Nichts wie weg jetzt, Kathy. Hörst du das Hufgetrappel? Wenn wir ihnen in die Hände fallen – dann gute Nacht!“

Sie trieben ihre Pferde an. Im stiegenden Galopp jagten sie nach Westen davon, wo sich, so weit das Auge reichte, Dornbuschland und öde Felswüste dehnte. Dort konnten sie ihre Verfolger vielleicht abschütteln und sich verkriechen wie wilde Tiere, bis sich die erste Aufregung im Lande gelegt haben würde und sie ihre nächsten Schritte überdenken konnten.

Im Mondlicht waren sie auf eine Viertelmeile auszumachen. Der Hufschlag, den die wirbelnden Hufe ihrer Pferde verursachten, trieb in die Stadt. Das Rudel von der Brazos River Ranch riss die Pferde zurück. Der unmittelbare Lärm, der sie umgeben hatte, legte sich. Die Reiter lauschten. Flint Dexters Stimme ertönte: „Nach Westen! Sie versuchen in die Wildnis zu entkommen! Vorwärts! Hinterher!“

Rücksichtslos peitschten sie die Pferde vorwärts.

Als Harrison sich einmal umschaute, zeigte nur noch der vom Feuer erhellte Nachthimmel an, wo die Stadt lag. Vor dieser Kulisse jedoch sah er das Rudel Reiter über eine Bodenerhebung jagen. Und er ahnte, dass es sich um Big Johns Sattelwölfe handelte, die an ihren Fersen klebten.

Und während sie in die Einöde flohen, hatten die Menschen in der Stadt die Brände in den Griff gekommen. Brenzliger Geruch durchzog die Stadt. Einer der Hilfssheriff war verwundet. Die Kugel hatte seine Schulter zerschmettert. Sheriff Jim Hickock brüllte über die Köpfe der Menge hinweg, die die Main Street bevölkerte: „Ich brauche Freiwillige für ein Aufgebot. Stellt euch auf eine längere Jagd ein. Versorgt euch mit ausreichend Munition und Proviant. Ich erwarte euch in einer halben Stunde vor dem Sheriffs Office.“

Jemand in der Menge brüllte wütend: „Meine Leute hetzen McQuinn und seinen geheimnisvollen Freund bereits. Es bedarf keines Aufgebots mehr, Sheriff. In einer halben Stunde haben die Banditen überdies einen Vorsprung herausgeritten, den Sie niemals mehr aufholen können. Und da draußen in der Wildnis gibt es tausend Verstecke. Sie werden verschwinden wie ein Staubkorn in der Wüste.“

Es war Big John Steele, der sich in die Menge gemischt hatte. Heißer Zorn durchflutete Jim Hickock. Er rief mit verdunkelter Stimme: „Es ist nicht die Sache der Brazos River Ranch, das Gesetz in die Hand zu nehmen, Steele. Ihr schießwütiger Verein hat bereits genug Blut vergossen. Zuerst musste Tex Dooley ins Gras beißen, und dort auf dem Gehsteig liegt Slim Winslow. Sie und Ihre Leute sind weder Richter noch Henker, Steele.“

„Wenn das Gesetz versagt, Hickock, dann sind Männer wie wir gefordert. Sie haben versagt. Der Mann, den sie morgen früh aufknüpfen sollten, ist über alle Berge. Ja, Sie haben versagt, Hickock. Die ganze Stadt weiß es. Drum spucken Sie lieber nicht so große Töne. Wie leicht könnte man Ihnen den Stern herunterreißen und sie aus Stamford hinausjagen.“

Beifälliges Gemurmel erhob sich. Jim Hickock spürte ganz deutlich, dass die Stimmung gegen ihn umzuschlagen drohte. Die Menschen standen noch voll und ganz im Banne der Geschehnisse. Um ein Haar wäre ihre Stadt niedergebrannt. Es gab eine Schießerei, bei der Blut floss. Ein zum Tode verurteilter Mörder war entkommen. Das alles brachte die Volksseele zum Kochen.

Aber da mischte sich Cole Faithfull ein, einer der Small Rancher. Mit Donnerstimme gab er zu verstehen: „Irgend jemand hat McQuinn befreit, um zu verhindern, dass morgen früh ein Unschuldiger am Galgen stirbt. McQuinn hat in der Verhandlung die Namen der wahren Schuldigen genannt. Aber er stieß damit auf taube Ohren. Wir Rancher vom California Creek werden nicht tatenlos zusehen, wie sich nun die Sattelwölfe von der B.R. auf ihn stürzen. Holt eure Pferde, Leute! Wir reiten mit dem Sheriff. Und wehe, wenn deine Schießhunde kurzen Prozess gemacht haben, Steele!“

Die Atmosphäre in der Stadt war wie mit Elektrizität geladen. Sie knisterte förmlich vor Explosivität. Die Stadt glich einem Pulverfass, in das nur noch der zündende Funke fallen musste.

Jim Hickock rief beschwörend: „Nehmt Vernunft an, Leute. Es hat keinen Sinn, sich hier in Beschimpfungen, Schuldzuweisungen und Bedrohungen zu ergehen. Wir müssen handeln. Darum noch einmal: wir müssen ein Aufgebot bilden und den Fliehenden folgen. Es liegt mir sehr am Herzen, dass auch Männer aus der Stadt mitreiten. Eine halbe Stunde ist kein großer Vorsprung. In drei – vier Stunden wird es hell. Ich verstehe mich einigermaßen darauf, Fährten zu lesen. Es wird an euch, den Bürgern dieser Stadt, liegen, ob Unrechtmäßigkeit und vielleicht sogar Gesetzlosigkeit hier einziehen. Es gilt, gegen derlei Auswüchse einzuschreiten. Also, Männer von Stamford, überlegt es euch gut, ehe ihr die Verantwortung für eure Stadt von euch weist und die Augen vor dem verschließt, was sich anzubahnen droht.“

„Große Worte, Hickock!“, kam es klirrend von John Steele. „Doch wird bald jeder hier auf Ihren Stern spucken, wenn es sich erst herumgesprochen hat, dass Sie nur ein Maulheld sind.“

Jim Hickock winkte verächtlich ab und lief hinüber zum Office. Big John wollte ihn provozieren. Das war deutlich. Und der Sheriff wollte sich nicht darauf einlassen. Seine Stunde kam vielleicht noch.

Als eine halbe Stunde später das Aufgebot die Stadt verließ, stand Steele auf dem Vorbau des Saloons. Mit ausdrucksloser Miene blickte er den Reitern hinterher. Und als der Hufschlag nur noch schwach heranwehte, setzte er sich in Bewegung, um hinüber zum Hotel zu gehen, wo er sich ein Zimmer gemietet hatte. Er murmelte für sich: „Auch du wirst von der Bildfläche verschwinden, Hickock. Dein Platz ist für einen von meinen Männern bestimmt – einen Mann, der mein Gesetz vertritt. Ich werde dem Landstrich hier meinen Stempel aufdrücken. Und nach dir wird kein Hahn krähen, Hickock!“

Die Menschen hatten sich verlaufen. Nur einige Männer hielten beim Mietstall, bei der Schmiede und im Hof des Sheriff’s Office Brandwache. Ruhe kehrte ein in Stamford. Die wilden Impulse, die noch bis vor einer halben Stunde die Stadt wie mit einem giftigen Atem durchzogen, hatten sich verflüchtigt. Die Stadt duckte sich wie unter einer unsichtbaren Knute.

*

Die Pferde stolperten nur noch dahin. Das Land um Harrison und Kathy herum bestand aus Felsgestein und Staub. Das Dornbuschland lag hinter ihnen. Die Tiere unter ihnen röchelten und röhrten. Schaum troff von ihren Nüstern.

Der Morgen graute. Meile um Meile waren sie geritten. Und es war ihnen nicht gelungen, die Verfolger abzuschütteln. Wie Schweißhunde klebten sie auf ihrer Fährte. Es waren ein halbes Dutzend Reiter. Der Wille zum Töten beseelte sie.

Sie folgten den Windungen zwischen den Hügeln. Die Sterne verblassten. Morgendunst hing in den Einschnitten und umwogte die bizarren Felsgebilde. Stachlige Comas und Mesquitesträucher bildeten die Vegetation. Hier und dort fristete ein riesiger Kaktus sein Dasein.

„Geht es noch, Kathy?“, fragte Harrison besorgt.

„Ich schaffe es schon“, erwiderte die Frau lahm und zog die Jacke enger um ihren Oberkörper, denn es war kühl. Dunkle Ringe lagen unter ihren Augen.

Sie ließen die erschöpften Pferde im Schritt gehen. Dort, wo die Tiere die Hufe durch den Staub zogen, blieben tiefe Spuren zurück.

Schnell kam die Helligkeit. Die Sonne stieg über den Horizont im Osten. Es wurde warm.

Harrison wusste Bescheid. Nach ihrer stürmischen Flucht aus der Stadt hatten sie nach einigen Meilen die Pferde anhalten müssen, um sie nicht zuschanden zu reiten. Und während sie den Tieren eine Verschnaufspause gönnten, hatte ihm Kathy alles erzählt. Harrison bewunderte den Mut und die Courage der Frau. Der Hass indes, der ihre Stimme verzerrte und der aus jedem ihrer Worte sprach, gefiel ihm weniger. Hass führte manchmal in die Hölle. Hass konnte selbstzerstörerisch und tödlich sein.

Dann hatte der Tag die Nacht endgültig verdrängt. Zur ihrer Rechten schwang sich ein Abhang nach oben. Vor ihnen bohrte öffnete sich ein Canyon, der die Erde auf einer Breite bis zu einer halben Meile wie eine riesige Wunde zerteilte.

„Reite weiter, Kath“, murmelte Harrison. „Ich will mal vom Hügel aus nach unseren Jägern Ausschau halten.“

„Nehmen wir den Weg durch den Canyon?“, erkundigte sich Kathy.

„Nein. Am Ende hat er keinen Ausgang und wir würden in der Falle sitzen.“

Harrison zog mit seinem letzten Wort das Pferd halb um die rechte Hand. Er lenkte es den Abhang hinauf. Das Tier trat Geröll los. Steine sprangen in die Tiefe. Die Kuppe des Hügels krönte ein ruinenähnlicher Sandsteinfelsen. Als Harrison oben angelangt war, sah er Kathy am Nordrand des Canyons entlangreiten.

Er richtete seinen Blick nach Osten. Deutlich zeichnete sich ihre Fährte im feinkörnigen Sand ab. Und dort, wo sein Blickfeld endete, erhob sich eine Staubfahne. Sie schien von Osten her heranzurollen, und Harrison wusste, dass dieser Staub von den Hufen der Verfolgerpferde aufgewirbelt wurde. Tatsächlich waren vor der hochschlagenden Staubwolke kleine, schwarze Punkte auszumachen, die sich auf diese Entfernung nicht von der Stelle zu rühren schienen, bei denen es sich aber um Reiter handelte, die ihre Pferde nicht schonten.

Harrison vollführte eine halbe Drehung im Sattel und stützte sich mit dem rechten Arm auf der Kruppe des Pferdes ab. Kathy war schon mehr als dreihundert Yards entfernt. Grimmig entschlossen nahm Harrison sein Gewehr aus dem Scabbard. Er riegelte eine Patrone in den Lauf und ließ sich aus dem Sattel gleiten. Nachdem er das Pferd in einen Felsspalt in Sicherheit gebracht hatte, postierte Harrison sich hinter einem hüfthohen Findling, der vor tausenden von Jahren von dem Felsgebilde heruntergestürzt sein mochte und dessen Oberfläche von Regen, Wind und Sonne rundgeschliffen war.

Das Hufgetrappel, das Kathys Pferd verursachte, entfernte sich. Von Osten her wurde anhaltendes, brandendes Tosen laut, mehr einem fernen Donnergrollen ähnlich als dem Hufschlag einer Handvoll Pferde. Aber das Geräusch gewann schon bald an Deutlichkeit. Immer wieder tauchten die Reiter über einer Bodenwelle auf. Je näher sie kamen, umso besser konnte Harrison Einzelheiten unterscheiden. Das rote Haar des vordersten der Reiter leuchtete im Sonnenlicht wie Kupfer. Der Reitwind hatte Flint Dexter den Stetson vom Kopf gerissen. Er hüpfte am Kinnband auf seinem Rücken.

Die Horde vermittelte einen erschreckenden Eindruck von Wucht und Stärke. Sie kam in loser Ordnung. Die Männer von der Brazos River Ranch ließen ihre Pferde jetzt traben. Auch sie waren erfahren genug, um zu wissen, dass sie ihren Pferden Pausen gönnen mussten, wollten sie die Tiere nicht total verausgaben und Gefahr laufen, sie zuschanden zu reiten.

Harrison hob das Gewehr. Und als der Pulk nahe genug war, zog er durch. Der Knall stieß durch die Wildnis, diese Wüste erstarrter Sandwogen und rief ein fernes Echo wach. Harrison nahm sich nicht die Mühe, genau zu zielen. Er jagte seine Kugel einfach in die Masse der herantrabenden Reiter und Pferde hinein. Im Knall sah er eines der Pferde niedergehen und sich überschlagen. Sein Reiter wurde regelrecht aus dem Sattel katapultiert und krachte Hals über Kopf auf den Boden. Im Nu bildete sich ein Knäuel ineinander verkeilter Pferde und Menschenleiber, als das nachfolgende Pferd über das gestürzte Tier stolperte und ein weiteres Tier in das Hindernis hineinlief.

Harrison lud und schoss, so schnell er konnte. Ein weiteres Pferd brach zusammen. Wüstes Geschrei erhob sich. Gewehre dröhnten. Kugeln schrammten über den Fels, hinter dem sich Harrison verschanzt hatte. Wer von den B.R.-Reitern noch im Sattel saß, sprang ab und rannte, sein Pferd am Zügel hinter sich herzerrend, in Deckung. Vom Boden schnellte eine Gestalt in die Höhe und warf sich hinter den Kadaver eines der toten Pferde.

Harrison gab noch ein paar Schüsse ab, dann zog er sich zurück. Er hatte sie aufgehalten und ihnen einen Denkzettel verpasst. Es würde einige Zeit dauern, bis sie ihren Schrecken überwunden hatten. Vielleicht gaben sie sogar auf, nachdem zwei von ihnen keine Pferde mehr hatten. Harrison zog diesen Gedanken allerdings nur halbherzig in Erwägung. Denn er glaubte nicht daran. Er sollte geopfert werden, und Big John hätte zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Über Bancrofts und sein Land würden Big Johns Rinder von der Nordweide der B.R.-Ranch aus freien Zugang zum Canadian Creek haben. Er konnte, solange er lebte, dem Weidepiraten Knüppel zwischen die Beine werfen. Und darum hatten die Kerle, die ihn jetzt belauerten wie ein Rudel Raubtiere, sicherlich Order, die Jagd erst dann abzubrechen, wenn das Wild tot war.

Harrison holte sein Pferd, ritt im Schutze übereinandergetürmter Felsblöcke zur Westseite des Hügels und machte sich an den Abstieg. Der Weg war steil und beschwerlich. Immer wieder musste sich das Pferd gegen das Abgleiten stemmen. Geröll rutschte in die Tiefe. Harrison musste all sein reiterisches Können aufwenden, um einen Sturz des Pferdes zu verhindern. Und so kam er nur langsam vorwärts.

Von Kathy war nichts zu sehen. Wahrscheinlich hatte sie sich beim Brechen der ersten Schüsse zwischen den Felsen, die den Rand der Schlucht säumten, verschanzt.

Harrison überwand die letzten Yards und befand sich auf flachem Terrain, als von rechts um den Hügel herum zwei Pferde heransprengten. Die beiden Reiter eröffneten sofort das Feuer. Harrison, der sein Pferd gerade antreiben wollte, um Kathy am Rand des Canyons entlang zu folgen, konnte diese Richtung nicht beibehalten. Denn bei dem Tempo, das sie vorlegten, würden sie ihm in einem spitzen Winkel den Weg abschneiden und ihn gezielt unter Feuer nehmen können.

Er riss das Pferd herum und trieb es an. An der Südseite des Hügels entlang, von dem aus er den Pulk unter Feuer genommen hatte, stoben zwei weitere Reiter schießend näher. Mit den Sporen und den langen Zügelenden feuerte Harrison sein Pferd an. Die eine oder andere Kugel strich ziemlich dicht an ihm vorüber. Er lag fast auf dem Hals seines Braunen. Die Hufe schienen kaum den Boden zu berühren. Und dann donnerte Harrison zwischen die Felswände, die den Canyon begrenzten. Die Sohle senkte sich. Die Felswände zu beiden Seiten wurden höher. Staub rieselte von oben über die Abbrüche in die Tiefe. Als Harrison zurückschaute, riss einer der Reiter im Maul der Schlucht sein Pferd zurück. Sein Gewehr dröhnte.

Mit bösartigem Knall übertönte der Schuss das Klirren und Krachen des Hufschlags, den sein Pferd produzierte. Aufbrüllend antwortete das Echo, grollte in der tiefen Schlucht und zerflatterte mit geisterhaftem Geflüster zwischen den zerklüfteten Wänden.

Die anderen Reiter tauchten auf. Sie zerrten ihre Pferde in den Stand. Ein Stakkato von Schüssen folgte Harrison. Staubfontänen spritzten auf, wo sich die Projektile in den Boden bohrten. Das wilde Heulen der Querschläger zog durch den Canyon, brüllendes Echo hallte von den Felswänden wider. Harrison jagte das Pferd um einen Felsvorsprung. Sofort endete das Gewehrfeuer. Er saß ab und äugte um die Deckung. Fast bedächtig lud er die Winchester durch.

Die Kerle von der Brazos River Ranch waren verschwunden. Sie hatten ihre Pferde zurückgejagt, waren abgesprungen und arbeiteten sich nun näher.

Harrison schob seinen Kopf eine Handbreit weiter vor, um besser sehen zu können. Eine Kugel pfiff heran und wirbelte ihm Gesteinssplitter ins Gesicht. Schnell zog er das Gesicht zurück. Er lief zu seinem Pferd und war mit einem Satz im Sattel. Immer tiefer ging es in den Leib der Erde hinein. Als die B.R.-Häscher um den Knick rannten, war Harrison schon um den nächsten verschwunden.

Und dann endete der Canyon. Zumindest war der Weg für ein Pferd kaum noch begehbar. Ein Steilhang schwang sich vor Harrison in die Höhe, der auf einer Felsterrasse endete. Weitere Felsterrassen folgten, die Abbrüche dazwischen waren fast senkrecht, nur hier und dort hatten Regen- und Schmelzwasser eine Rinne oder einen natürlichen Pfad eingegraben. Über der obersten Felsenterrasse öffnete sich wieder der Canyon.

Harrison schloss die Möglichkeit, hinaufzukommen, nicht aus. Aber ehe er oben sein konnte, würden seine Jäger auftauchen, und er würde sich ihren Kugeln ungedeckt preisgeben wie auf einem Präsentierteller.

Also verschanzte er sich und erwartete sie. Er spürte eine sonderbare Kälte tief in seinem Innersten. Eiserne Entschlossenheit prägte seine Züge. Sein Gesicht spiegelte äußerste Anspannung wider. Die bleierne, unheilvolle Stille, die zwischen den Felsen nistete, berührte ihn nicht. Harrisons Sinne arbeiteten mit doppelter Schärfe. Der Canyon mit seinen Vorsprungen, Felsnischen und Felsblöcken auf seinem Grund bot tausend Möglichkeiten, sich anzupirschen und ihn in die Zange zu nehmen.

Es stand vier zu eins. Ein schlechtes Verhältnis, wenn man bedachte, dass es ums nackte Überleben ging. Harrisons Blick wanderte in die Höhe. Er fragte sich, wo Kathy steckte. Die beiden Kerle, die keine Pferde mehr besaßen, konnten ihr gefährlich werden, wenn sie nicht ihre Flucht fortgesetzt hatte.

Harrison ließ seinen Instinkten freien Lauf. Du hat nichts mehr zu verlieren, Amigo!, durchfuhr es ihn. Und eigentlich solltest du seit etwa zwei Stunden schon tot sein, wenn es nach dem Willen des Gesetzes gegangen wäre. Gestorben am Ende eines soliden Hanfseiles ...

Der Hals trocknete ihm aus, als er daran dachte. Im letzten Moment war er dem Tod von der Schippe gesprungen. Aber nun, so schien es, streckte der Sensenmann die knöcherne Klaue auf das Neue nach ihm aus. Einen Unterschied jedoch gab es: Er stand dem Untergang dieses mal nicht hilflos gegenüber. Und solange ein Tropfen Blut durch seine Adern pulsierte, würde er sich zur Wehr setzen. Er war bereit, seine Haut so teuer wie möglich zu verkaufen ...

*

Die Minuten reihten sich in zäher Lang­samkeit aneinander. Und plötzlich vernahm Harrison ein klirrendes Ge­räusch, als Metall gegen Gestein stieß. Es hing sekundenlang in der Luft und versank wieder in der Stille. Harrison nahm eine flüchtige Bewegung am Fuß der südli­chen Felswand wahr, starrte auf das Gestrüpp, durch dessen Äste eine Er­schütterung ging, die niemals von dem lauen Wind herrühren konnte, der durch den Canyon zog. Der Lauf der Winchester wanderte etwas herum, Harrison legte sie auf den Stein­brocken und visierte den Busch an.

Aber er schoss nicht. Er wartete nur ab, war angespannte Aufmerksam­keit. Und für ein paar Momente lang sah er aus den Augenwinkeln an der Nordwand ebenfalls eine geduckte Gestalt entlanghuschen. Er reagierte nicht schnell genug. Ehe er das Ge­wehr in die neue Richtung anschlagen konnte, war sie in einer Felsnische verschwunden. Er richtete sein Au­genmerk wieder auf das Gestrüpp. Wenn er sich nicht getäuscht hatte, dann musste der Bursche ja irgend­wann wieder zum Vorschein kom­men.

In der Tat. Ein Mann schob sich vor­sichtig hinter dem Strauchwerk her­vor. Harrison kannte ihn nur vom Sehen. Es war einer der Kerle, mit denen sich ständig Flint Dexter umgab, und so rechnete ihn Harrison der Revolvergarde Big Johns zu. Der Bursche hielt sich eng an der Felswand, ließ seine suchenden Blicke in die Runde schnel­len. Schritt für Schritt tastete er sich voran, und er hatte sicherlich nicht den Hauch einer Ahnung, dass er über Kimme und Korn einer Winchester beobachtet wurde. Er reckte den Hals, hob den Arm und gab dem Mi­ster auf der gegenüberliegenden Canyonseite ein Zeichen. Harrison nahm den Kopf herum und sah den anderen Burschen aus der Felsnische gleiten. Er bewegte sich mit lautloser Ge­schmeidigkeit, und Harrison vermutete, dass Flint Dexter die zwei Kerle vorausge­schickt hatte, um die Lage zu erkun­den.

Der Bursche an der Nordwand be­wegte sich dicht am Fels entlang. Im Gegensatz zum anderen auf der anderen Seite hatte er sei­nen Colt in der Faust. Er nutzte den Schatten und die Felsvorsprünge ge­schickt aus. Sein Kumpan näherte sich Harrisons Stellung auf ähnliche Weise. Sie verschwanden aus seinem Blick­feld, tauchten wieder auf, verschwan­den aufs neue...

Harrisons Vermutung wurde zur Ge­wissheit. Dexter ging kein Risiko ein. Diese beiden Figu­ren sollten auskundschaften, wie groß die Gefahr war, die von ihm ausging.

All right, Freunde, ich werde euch ei­nen gehörigen Strich durch die Rech­nung machen!, versprach er den Kerlen in Gedanken. Denn wenn er die beiden Burschen geräuschlos un­schädlich machen konnte, dann eröff­nete sich ihm noch einmal eine Chance zur Flucht.

Sein Körper beschrieb eine halbe Drehung. Er nahm die Winchester herunter und schätzte die Entfernun­gen. Der Bursche, der an der Südwand entlangpirschte, würde ihn zuerst erreichen. Er sah ihn gerade wieder hinter einem Felsbrocken her­vorgleiten. In grimmigem Entschluss zog Harrison sich zurück. Der Felsen, der ihm Schutz geboten hatte, verbarg ihn auch weiterhin vor ihren Blicken. Bei einer Gruppe übereinandergelagerte Felsbrocken legte er sich flach auf den Bauch und robbte unter einen überspringenden Felsen. Er bewegte sich schlangengleich nach links. Einmal verharrte er um zu lauschen, konnte aber nichts hören, was eine unmittelbare Gefahr schließen ließ. Er kroch weiter. Noch ver­bargen ihn die Felsen vor unliebsa­men Blicken. Aber dann erreichte er das Ende der Felsengruppe. Sein Blick suchte den Burschen, der an der Südwand heranschlich. Der war noch etwa fünfzig Yards von ihm entfernt. Er schien etwas in seiner Wachsamkeit nachgelassen zu haben, denn er bewegte sich jetzt ziemlich schnell und ließ viele Deckungen aus.

Der andere Brazos River-Schießer befand sich ungefähr auf der Höhe seines Komplizen, und da sich Harrison ziemlich auf der Südweise des Canyons verschanzt hatte, war er von Harrison mehr als dop­pelt so weit entfernt als der Bursche an der Südwand.

Sie verständigten sich wieder durch Handzeichen. Jetzt hatte auch der Bursche, der Harrison ziemlich nahe war, den Revolver gezogen. Gleich musste er wieder hinter einem Felsvorsprung, vor dem dichtes Dornengebüsch wucherte, verschwinden. Es reichte bis an die Felswand heran.

Es war soweit. Der Mister verschwand aus Harrisons Sichtkreis. Wie von Furien ge­hetzt robbte er los, kroch im Schutze von Felsen und Sträuchern zur südlichen Wand, wo der Bursche von der B.R. jeden Moment wieder auftauchen konnte.

Atemlos hielt Harrison an. Seine Lun­gen pumpten. Sein Herz schlug einen aufgeregten Takt. Es hätte auch ins Auge gehen können. Er presste sich in einen engen Felsspalt und atmete nur noch ganz flach.

Der Bursche kam. Zuerst war es nur das Schaben von rauem Hosenstoff, das ihn ankündete. Dann zer­brach mit leisem Knacken ein dürrer Ast unter seinem Tritt, und dann ver­nahm Harrison seinen gepressten Atem. Er bewegte sich direkt auf Harrison zu und hatte das Gesicht zur anderen Schluchtseite gerichtet, als suchte er Sichtkontakt mit seinem Kumpanen.

Harrison lachte boshaft und spöttisch in sich hinein. Der Bursche schob sich in sein Blickfeld. Harrison trat auf ihn zu und ließ ihn in die Mündung der Winchester blicken. Der Mann wurde steif wie ein Brett, der Schock ließ ihn den Mund aufklappen, und seine Pupillen weiteten sich vor Be­troffenheit und Überraschung. Einen schrecklichen Augenblick lang starrte er in die Mündung, und ehe er zur Be­sinnung kommen konnte, schlug Harrison mit dem Lauf zu. Ohne einen Ton von sich zu geben sackte der Kerl zu­sammen. Harrison entwaffnete ihn und schob sich den Colt in den Hosen­bund. Dann zog er dem Cowboy den Leibriemen aus der Hose und fesselte ihm die Hände, zuletzt schob er ihn sein eigenes Halstuch als Knebel in den Mund.

Dann tauchte Harrison ab und kehrte zurück zu der Gruppe ineinander verkeilter Felsen. Er schmiegte seinen Körper hart gegen das raue Gestein und richtete seine Aufmerksamkeit auf die Nordwand. Dort schnellte der B.R.-Reiter gerade hinter der Deckung eines Felsens hervor und lief wie ein Hase in Zickzacklinie auf einige dürre Büsche zu, die ihm als einzige Schutz versprachen. Mit einem Hechtsprung warf er sich dahinter. Harrison feuerte in rasender Folge. Die Kugeln peitschten durchs Gebüsch, konnten seinem Gegner aber nichts anhaben, denn er lag in einer Felsmulde, und so strichen die Geschosse nur dicht und bösartig über ihn hinweg.

Er erwiderte das Feuer. Und in das Hämmern seiner Schüsse hinein prasselte Hufschlag durch die Schlucht. Flint Dexter und der vierte Mann kamen. Plötzlich aber richtete sich der Bursche auf. Er taumelte zwei Schritte nach vorn, machte das Kreuz hohl, kippte über seine Absätze nach hinten und schlug lang hin.

Harrison richtete den Blick nach oben. Über dem Canyonrand stieg eine Pulverdampfwolke empor. Um einen Knick des Canyons jagten in diesem Moment die beiden Reiter. Wieder peitschte ein Schuss, und wieder wolkte ein Rauchball über dem Rand des Canyons in die Höhe.

Dexter und sein Begleiter rissen die Pferde herum und drehten ab. Oben trat Kathy hinter einem Felsen hervor und winkte mit dem Gewehr. Harrison erhob sich, winkte zurück und lief zu seinem Pferd. In der Schlucht verhallte der Hufschlag der B.R.-Pferde. Zurück konnte Harrison nicht. Denn irgendwo zwischen hier und dem Ende des Canyons würden seine Feinde auf der Lauer liegen. Der Bursche, den Kathy getroffen hatte, war ausgeschaltet. Aber da waren noch Dexter und drei weitere Kerle, die ihm die Hölle heißmachen konnten, und der Bursche, der gefesselt an der Südwand lag, würde auch wieder mitmischen, sobald sie ihn gefunden und befreit hatten.

Er machte sich an den Anstieg. Mit mühe und Not überwand er den Geröllhang zur ersten Felsterrasse. Das Pferd führte er am Kopfgeschirr. Als sie oben waren, rasselten seine Bronchien. Die Flanken des Tieres zitterten. Es prustete mit geblähten Nüstern.

Oben passte Kathy auf.

Harrison überwand den steilen Abbruch zur zweiten Terrasse. Als er die dritte Terrasse anging, bockte und scheute das Pferd. In einer Rinne, die schräg zum Hang verlief, zerrte er es gewaltsam nach oben. In der Schlucht schlichen wieder Dexter und sein Kumpan an. Sie schossen auf Harrison, dann nahm sie Kathy unter Feuer und trieb sie zurück.

Als Harrison nach über einer Stunde oben ankam, war er fix und fertig. Schweiß rann ihm in Bächen über das Gesicht, brannte in seinen Augen, ließ ihm Hemd und Hose wie eine zweite Haut am Körper kleben.

Wie ein riesiges, steinernes Grab lag die Fortsetzung des Canyons vor ihm. Er schaute nach oben. Gerade trieb Kathy ihr Pferd zwischen zwei haushohen Felsen hindurch auf den natürlichen Pfad, der vom Canyonrand in die Tiefe führte.

Dieser Weg, dem Kathy folgte, soweit man ihn überhaupt als solchen bezeichnen konnte, senkte sich immer steiler nach unten. Das Pferd musste sich gegen das Gefälle stemmen. Hin und wieder schlitterte es ein Stück hangabwärts. Die Hufe hinterließen auf dem Gestein helle Kratzspuren. Kathy hielt die Zügel kurz und bewies, dass sie eine hervorra­gende Reiterin war.

Der Weg gabelte sich. Nach rechts stieg er an und verschwand im Gewirr der Felsen, nach links führte er über eine schmale Felsleiste ebenfalls zwischen die Felsen und weiter in die Tiefe. Noch konnte sie nicht in den Abgrund hinunterblicken. Ihr schauderte davor, denn sie befand sich in schwindelerregender Höhe, und wenn die Felsen zu ihrer Linken aufhörten, fiel die Wand fünfzig Yards steil zur Sohle des Canyons ab. Der Blick zurück war ihr verbaut.

Aber dann traten die Felsen linker Hand zurück, der Abgrund fiel senk­recht ab. Das Pferd scheute und Kathy saß ab. Vorsichtig führte sie das Tier in die Tiefe, immer darauf bedacht, festen Stand zu haben und keinen Blick hinunter zu werfen. Steine lö­sten sich und rollten über den Felsrand, zerschellten unten auf Felsbroc­ken und das scharfe Geräusch des Aufpralls stieg nach oben.

Kathy schaffte es. Mit zittern­den Beinen kam sie unten an. Sie fiel erschöpft in Harrisons Arme und der hielt sie fest, als er merkte, dass sie vor Kraftlosigkeit schwankte.

Die Berührung elektrisierte ihn. Sie lehnte sich an ihn. Tränen rannen über ihre von Staub und Schweiß verklebten Wangen und hinterließen helle Spuren. Harrison verdrängte die Gedanken, die auf ihn einstürmten. Ben war sein Freund gewesen. Und jetzt etwas anderes für Kathy zu empfinden als Freundschaft und Dankbarkeit wäre ihm wie ein Verrat an Ben vorgekommen.

Fürs erste hatten sie ihre Verfolger abgeschüttelt.

Und als die Pferde einigermaßen ausgeruht und sie selbst wieder Energien gesammelt hatten, setzten sie ihre Flucht fort.

Sie waren Verfemte, Ausgestoßene. Und nur der Gedanke, eines Tages doch noch seine Unschuld zu beweisen, trieb Harrison und ließ ihn nicht resignieren. Kathy aber beseelte der Gedanke an Rache. Sie lechzte geradezu nach blutiger Vergeltung.

*

Als Sheriff Jim Hickock und das Aufgebot auf die Brazos River-Mannschaft stießen, wurde allen klar, dass ihnen Harrison McQuinn entkommen war.

Ein Mann von der Brazos River Ranch war gestorben. Sein Tod wurde dem Konto Harrisons gutgeschrieben. Sein Schuldkonto war gewachsen.

Flint Dexter knirschte mit hassgetränkter Stimme: „Kath Walker hat ihm geholfen. Ich sah sie ganz deutlich oben auf dem Rand des Canyons.“ Er hielt kurz inne und ließ seine Worte wirken. Er war sich der Wirkung bewusst, die er mit seiner Eröffnung beim Sheriff und den Reitern des Aufgebotes erzielte. Bedeutungsvoll, jedem Wort eine besondere Bedeutung verleihend, endete er: „Und sicherlich spielte ihr Mann auch irgendeine Rolle bei der Befreiung McQuinns. Das ganze Small Rancher-Gesindel steckt unter einer Decke. Man...“

Cole Faithfull, der im Aufgebot ritt, rief grollend: „Hüte dein loses Mundwerk, Dexter. Oder müssen wir Small Rancher dich auf deine richtige Größe zurechtstutzen?“

Flint Dexter zog den Kopf zwischen die Schultern. Er biss sich auf die Zunge. In dem Aufgebot ritten viele Männer, die am California River Ranches besaßen oder für einen der Kleinrancher arbeiteten. Und der Sheriff sowie die Männer aus der Stadt waren alles andere als Freunde Big Johns und seiner Handlanger. Sich mit dem Aufgebot anzulegen war Dexter eine Nummer zu groß.

„Schon gut“, murmelte er. „McQuinn ist über alle Berge. Du kannst nur noch veranlassen, dass Steckbriefe von ihm und seinen Helfershelfern im Land verteilt werden, Sheriff. Irgendeinem Gesetzeshüter oder Kopfgeldjäger wird es schon gelingen, sie zur Strecke zu bringen.“

„Wir reiten zurück!“, bestimmte Jim Hickock. „Für eine tagelange Verfolgungsjagd sind wir nicht gerüstet.“

*

Drei Wochen später schon hing überall in Texas Harrisons Steckbrief aus. Auf seinen Kopf waren 1000 Dollar ausgesetzt. Tot oder lebendig...

Aber Harrison und Kathy waren nach New Mexiko geflohen. Harrison hatte sich einen Bart wachsen lassen. In einem Grenzort namens Taegue, nur einen Steinwurf von der Grenze nach Texas entfernt, hatten sie sich niedergelassen. Von Hobbs aus hatten sie die Stagecouch benutzt. Pferde und Sättel hatten sie an den Mietstall in Hobbs verkauft, um sich Geld zu beschaffen. Sie gaben sich als Ehepaar aus und nannten sich Sam und Joan Leigthon.

Sie wohnten im Hotel. Das Geld, das sie für ihren Lebensunterhalt benötigten, verdiente Harrison mit Gelegenheitsjobs und am Spieltisch. Auch Kathy hatte einen Job angenommen. Sie arbeitete im Saloon als Bardame.

Weitere Wochen zogen ins Land. Langsam wurde Harrison ungeduldig. Er sagte sich, dass es an der Zeit sei, nach Texas zurückzukehren und sich vom Vorwurf des Mordes zu rehabilitieren.

Er sprach mit Kathy darüber. Es war später Nachmittag. Es regnete. Der Sommer näherte sich seinem Ende. Windböen peitschten graue Regenschleier durch die Stadt. Heulende Windstöße wirbelten um Häuser und fauchten und stöhnten in den Passagen und Gassen. Es war kalt.

Sie befanden sich im Hotelzimmer. Obwohl sie der Glaubwürdigkeit wegen zusammen ein Zimmer bewohnten, waren sie sich nicht näher gekommen. Der ermordete Ben Walker stand zwischen ihnen. Es war wie eine stumme Absprache. Harrison respektierte Kathys Empfindungen. Anders wäre er sich schäbig vorgekommen. Kathy war als Frau für ihn tabu ...

Harrison sagte: „Ich glaube, wir können es wagen, nach Texas zurückzukehren, Kath. Wir haben uns verändert. Es ist kaum wahrscheinlich, dass man uns erkennt. Ich muss den Mord an Bob Bancroft aufklären. Erst wenn der richtige Mörder überführt ist, finde ich Ruhe. Der Schuft, der Bancroft umbrachte, hat auch deinen Mann auf dem Gewissen. Was meinst du, Kath? Uns hält hier nichts.“

Ernst musterte ihn die Frau. Dann erwiderte sie: „Wir haben gerade noch das Geld, um die Zimmermiete für diese Woche zu bezahlen, Harrison. Bis nach Stamford sind es 200 Meilen. Wir können uns keine Fahrkarte kaufen, wir haben keine Pferde, wir haben kein Geld für die lange Reise. Es ist unmöglich. Falls wir je in Stamford ankämen, dann als Bettler.“

„Ich muss nach Hause“, murmelte er. „Der Gedanke daran, dass ich in Texas als Mörder gelte, bringt mich um den Verstand. Ich will meine Unschuld beweisen. Denn eines Tages – davon bin ich überzeugt -, holt uns die Vergangenheit ein. Und dann ist es wahrscheinlich zu spät. Wir sind hier nicht sicher. Solange mein Steckbrief an den Anschlagtafeln der Sheriff’s Office aushängt, solange Kerle durchs Land ziehen, die für weniger als 1000 Dollar einem Mann ein Stück Blei zwischen die Rippen knallen, solange muß ich tagtäglich befürchten, erkannt zu werden.“

„Sicher“, murmelte Kathy. In ihren Augen blitzte es auf. Es mutete an wie ein Signal. „Auch ich will zurück nach Texas. Denkst du, ich habe vergessen, dass diese gemeinen Schufte Ben ermordet haben?“ Sie schüttelte den Kopf. „Nein, Harrison. Ich habe es nicht vergessen. Es verfolgt mich bis in meine Träume. Ich habe Rache geschworen. Alles war ich tue, denke und fühle ist darauf ausgerichtet, Flint Dexter und John Steele für den Mord an Ben zur Rechenschaft zu ziehen.“ In ihren ebenmäßigen Zügen wütete jäher Hass. Die Leidenschaft in ihrer Stimme jagte Harrison einen eisigen Schauer den Rücken hinunter. „Aber wir sind mittellos, und wir werden mutterseelenalleine dastehen. Ein steckbrieflich gesuchter Mörder und eine Frau, die ihn mit Waffengewalt vor dem Henker bewahrte. Das heißt, dass alles, was wir unternehmen, von vornherein zum Scheitern verurteilt sein wird. Um zu verlieren will ich aber nicht nach Texas zurückkehren. Ich will gewinnen. Ich will Big John und seinen skrupellosen Handlanger Dexter tot vor mir sehen.“

Harrison war erschüttert angesichts der Besessenheit, die sie plötzlich verströmte. Er war der Meinung gewesen, dass sie in den vergangenen Wochen ihren mörderischen Hass begraben hatte und nur noch wollte, dass der oder die Mörder ihres Mannes ihre gerechte Strafe erhielten. Aber Kathy wollte gnadenlose, blutige Rache. Sonst nichts.

Sie hatte in all den Wochen nicht mehr darüber gesprochen. Sie hatte ihre Gefühle tief in ihrem Innersten vor ihm verborgen gehalten. Jetzt aber hatte es sich Bahn gebrochen.

Harrison verspürte unvermittelt einen Knoten im Hals. Er versuchte ihn hinunterzuwürgen, aber es gelang ihm nicht. Er zwang sich zu klarem Denken. Es waren die gegensätzlichsten Beweggründe, die sie nach Texas zurücktrieb. Dies erkannte Harrison in dieser Minute klar und deutlich, und es krampfte ihm den Magen zusammen. Er sagte: „Drück dich deutlicher aus, Kath. Ich weiß nicht, worauf du hinaus möchtest.“

Er fixierte sie zwingend, wie jemand, der in den Zügen des anderen zu lesen, der die geheimsten Winkel im Bewusstsein des anderen zu ergründen und zu analysieren versuchte.

„Wir müssen uns Geld beschaffen!“, stieß Kathy hervor. „Und dann heuern wir eine Handvoll Männer an, die Big Johns schnellschießenden Aasgeiern gewachsen sind. Wir führen einen Krieg gegen die Brazos River Ranch, zermürben Big John und am Ende versetzen wir ihm und seinem Anhang den Todesstoß. Das schwebt mir vor, Harrison. Und das will ich auch durchsetzen. Um jeden Preis.“

„Sprich weiter, Kath“, forderte Harrison verwirrt und bestürzt zugleich.

Kathy erhob sich und nahm eine unruhige Wanderung im Zimmer auf. Plötzlich blieb sie beim Fenster stehen und starrte auf die Straße hinunter. Ihr Blick schien sich nach innen gekehrt zu haben. Sie wirkte nachdenklich, um nicht zu sagen geistesabwesend.

„Kath, ich warte!“, drängte Harrison.

Sie machte kehrt und nahm Front zu ihm ein. „Gut, Harrison. Hör mir zu. Man hat uns übel mitgespielt, und ich glaube nicht mehr an Recht und Gesetz. Ich will Gleiches mit Gleichem vergelten. Kennst du die drei Jungs, die Abend für Abend am Tresen herumlungern und mich mit ihren Blicken geradezu verzehren? Ich rede von Winword, O’Leary und Stanton. Sie würden für mich in die Hölle reiten und dem Teufel ins Maul spucken. Die drei wären bereit, mitzumachen.“

Harrison prallte regelrecht zurück. „Mitzumachen – bei was?“, platzte es aus seinem Mund, und er ahnte Schlimmes. Mit einem Ruck stand er. Beinahe kippte der Stuhl um, auf dem er gesessen hatte. Aus engen Lidschlitzen starrte er die Frau an, die ihm plötzlich so fremd erschien wie ein Wesen von einem anderen Stern.

„Ich habe beschlossen, die Bank in Hobbs auszurauben, um mit der Beute meinen Krieg gegen die Brazos River Ranch zu finanzieren.“

Es war heraus. Kathy hatte die Worte regelrecht in Silben zerlegt, als sie sie ausstieß.

Harrison stand da wie vom Donner gerührt. Dann entrang es sich ihm: „Du hast die drei Tagediebe doch nicht eingeweiht, Kath? Wissen sie um unsere wahre Identität?“

„Noch nicht, Harrison. Ich wollte erst mit dir darüber sprechen. Nun, ich kenne deine Einstellung. Du willst nicht der Vergeltung wegen nach Texas zurück, dich treibt der Gedanke zurück, dich freizuwaschen vom Vorwurf des Mordes, und du willst den wahren Mörder Bancrofts entlarven. dass sie dich mit richterlicher Sanktion für ein Verbrechen hängen wollten, das du nicht begangen hast, scheinst du vergessen zu haben. Soviel zu Recht und Ordnung, an die du glaubst und deren Fahne du nach allem immer noch in den Wind zu halten versuchst. Aber Recht und Ordnung sind in unserem Fall zur Farce degradiert. Denkst du denn, sie fackeln lange, wenn du plötzlich wieder auftauchst? Du wirst tot sein, ehe du richtig zum Denken kommst.“

Sie hatte zuletzt fast beschwörend auf ihn eingeredet.

„Bei Gott, Kath, was du vor hast, würde uns noch tiefer hineinreißen in den Sumpf der Rechtlosigkeit. Winword, O’Leary und Stanton sind Maulhelden. Mit ihnen kämen wir vom Regen in die Traufe. Nein, Kath, schlag es dir aus dem Kopf. Wir schaffen es auch auf andere Art, nach Texas zurückzukommen. Ich werde mit den wohlhabensten Männern der Stadt pokern, und ich kann genug Geld gewinnen, um uns das Ticket nach Texas zu sichern. Lass den Gedanken sausen, Kath. Und vergiss auch deine Rache. Die Mörder deines Mannes sollen nach Recht und Gesetz bestraft werden. Alles andere führt zwangsläufig in den Untergang.“

„Über das, was danach kommt, will ich nicht nachdenken, Harrison“, versetzte sie fast schroff. „Ich habe mich jedenfalls entschieden. Du solltest – ehe du ablehnst -, daran denken, dass du mir dein Leben zu verdanken hast.“

Harrison griff sich an den Kopf. Das war nicht die Kath, die er kannte. Diese Frau vor ihm war vom Hass zerfressen, die Gier nach tödlicher Rache vergiftete ihr Gemüt, für sie gab es nur noch ein Ziel: zu zerschlagen, zu zerstören, zu töten. Auge um Auge! Zahn um Zahn!

„Yeah“, murmelte dehnte Harrison, „ich stehe in deiner Schuld. Aber ich bin nicht bereit, meine Schuld bei dir abzutragen, indem ich mich selbst zu dem abstemple, was zu widerlegen mein ganzes Bestreben ist, nämlich dass ich kein Bandit bin.“

Er ging zur Tür, legte die Hand auf die Klinke, schaute noch einmal über die Schulter zurück und gab mit harter Stimme zu verstehen: „Überdenk alles noch einmal, Kath. Ich lasse dich jetzt allein. Ehe es Abend wird und ich in den Saloon gehe, um zu spielen, komme ich noch einmal her. Dann hoffe ich, dass du Vernunft angenommen hast. Andernfalls werden sich unsere Wege trennen müssen. Es täte mir leid, Kath.“

Er verließ das Zimmer.

Kathy warf sich auf das Bett und presste die Hände vor das heiße Gesicht. Ein trockenes Schluchzen ließ ihren Körper erbeben. Sie wusste selbst nicht mehr, was richtig war. Aber der Hass hatte sich unauslöschlich in ihr eingebrannt. Und er gewann wieder die Oberhand über ihre Unschlüssigkeit.

Einer jähen Eingebung gehorchend erhob sie sich. Auch sie verließ das Zimmer. Sie stieg die Treppe hinunter. Verwaist lag die Hotelhalle vor ihr. Nur hinter der Rezeption döste der glatzköpfige Clerk mit der Drahtgestellbrille auf der Nase vor sich hin.

Als Kathy ins Freie trat, packte sie der Sturm wie mit einer Riesenfaust, drohte sie umzuwerfen und nahm ihr den Atem. Regen traf ihr Gesicht. Von Harrison war nichts zu sehen. Sie lief im Schutz der Vorbaudächer den Gehsteig hinunter und erreichte den Saloon. Kurzerhand betrat sie ihn. Hinter dem Tresen polierte der Salooner gerade den großen Spiegel zwischen den Regalen. Drei Kerle um die zwanzig standen an der Theke und tranken Brandy.

„Dein Dienst beginnt erst um acht Uhr, Joan“, empfing der Salooner die Frau.

Wasser lief über ihre Gesicht und tropfte aus ihren Haaren. Sie erwiderte: „Sam und ich haben uns gestritten. Wir gehen uns langsam gegenseitig auf die Nerven. Ich wollte nicht alleine bleiben drüben in dem Hotelzimmer. Ich brauche Gesellschaft. Lass dich also nicht stören, Fred.“

Sie holte sich einen Whisky und setzte sich an den Tisch, der am weitesten von der Theke entfernt war. Die drei jungen Burschen, denen der Leichtsinn in die Gesichter geschrieben stand, nahmen ihre Gläser und die Flasche, die schon halb geleert war, und kamen näher. Einer von ihnen, ein blondhaariger, verwegen grinsender Bursche, sagte: „Du brauchst Gesellschaft, Joan. Nun, du wirst mit uns vorlieb nehmen müssen. Hast du was dagegen, wenn wir uns zu dir setzen?“

„Nein“, gab sie halblaut Bescheid. „Nein, ganz sicher nicht.“

Sie erwiderte das Lächeln. Es sollte ein verführerisches, verheißungsvolles Lächeln werden. Aber der Ausdruck um ihren Mund mutete eher ausgesprochen gequält und aufgesetzt an. Kathy sagte leise, so dass ihre Worte schon nach wenigen Schritten nicht mehr zu hören waren: "Ihr müsst mir einen Gefallen erweisen, Jungs. Ich werde mich euch auch erkenntlich erweisen."

"Für dich reiten wir in die Hölle und spucken dem Teufel ins Maul", gab Ken Winword großspurig zu verstehen.

Die drei Burschen setzten sich.

Kathy begann eindringlich und mit verschwörerischer Miene zu sprechen...

*

"Drei Karten", verlangte Harrison und bekam sie. Er hob sie auf, steckte sie mit den beiden Blättern zusammen, die er in der Hand hielt, und warf das Päckchen verdeckt auf den Tisch.

Er wartete, bis auch die anderen drei Spieler Karten gekauft hatten.

"Die Einsätze", forderte der Bankhalter.

Links von Harrison saß Saul Hannagan, der Mietstallbesitzer von Taegue, rechts von ihm John Kilkeene, der Storehalter. Harrison gegenüber lümmelte Mitch Henderson auf seinem Stuhl. Henderson gehörte die Futtermittelhandlung im Ort. Zigarrenqualm schlierte um die Lampe. Henderson hielt die Bank.

John Kilkeene warf zehn Dollar in den Pot. Harrison erhöhte um weitere zehn. Saul Hannagan warf 20 Dollar dazu. Henderson bezahlte die 20 Dollar und erhöhte um weitere 20. Herausfordernd schaute er in die Runde.

Kilkeene stieg aus. Harrison ging mit. Auch Harrison legte die 20 Bucks in den Pot. "Lassen Sie sehen, Henderson", sagte er.

Henderson hatte drei Buben.

Hannagan warf mit einer Verwünschung auf den Lippen die Karten auf den Tisch.

Harrison zeigte seine Karten. "Drei Damen." Er warf sie in die Tischmitte und zog den Pot zu sich heran.

"Ihre Glückssträhne reißt heute wohl gar nicht ab, Leigthon", knurrte Mitch Henderson. "Oder helfen Sie ein wenig nach?" Er grinste nach diesen Worten.

Harrison musterte ihn unter halb gesenkten Lidern. "Das meinen Sie doch nicht im Ernst, Henderson?"

"Nein!" Der Futtermittelhändler lachte belustigt auf. "Schließlich habe ich selbst Ihnen die Karten gegeben." Sein Grinsen war erloschen. Er schaute in die Runde. "Will jemand anderes die Bank übernehmen?"

"Ich übernehme", gab Saul Hannagan zu verstehen. Er griff nach den Karten und ordnete sie zu einem Packen.

Die Einsätze wurden in den Pot gelegt. Jeweils zehn Dollar. Hannagan mischte die Karten, ließ Harrison abheben, dann gab er aus. In schneller Folge warf er Karte für Karte vor die Mitspieler hin.

Harrison bekam vier Herzen auf die Hand, dazu das Caro-As.

Henderson kaufte zwei Karten. Kilkeene verlangte vier. Harrison warf das Caro-As auf den Packen der abgelegten Karten und bekam eine andere. Es war die Herz-Sieben. Er hatte einen Farbflush auf der Hand. Hannagan selbst ersetzte drei Karten.

Henderson warf 20 Dollar in den Pot. Grinsend sagte er: "Ich habe diesmal ein Gewinnerblatt, Leigthon. Ich hoffe, Sie steigen nicht aus."

"Keine Sorge. Wahrscheinlich bluffen Sie nur." Harrison erwiderte das Grinsen. "Freuen Sie sich also nicht zu früh, Henderson."

"Ich gehe mit", sagte Kilkeene und legte 20 Dollar dazu.

In diesem Moment betraten zwei Fremde den Saloon. Sie trugen lange Staubmäntel. Sporenklirrend schritten sie zum Tresen. Sekundenlang bannten sie die Aufmerksamkeit aller. Auch Harrison beobachtete die beiden. Sie waren stoppelbärtig und verstaubt, und sie trugen die Revolvergurte über den Mänteln.

"Was ist mit Ihnen, Leigthon?", drängte Henderson.

Harrison widmete sich wieder dem Spiel. Er legte 40 Dollar zu den Einsätzen. "Ihre 20, Henderson, und weitere 20."

Hannagan stieg aus. "Mir scheint Fortuna heute nicht besonders hold zu sein", knurrte er. "Ich glaube, ich höre für heute auf. Ich verliere fast schon 200 Dollar."

"Jetzt hab dich nicht so", knurrte Henderson. "Als du das letzte Mal mehr als 300 Bucks gewonnen hast, konntest du gar nicht genug kriegen vom Spiel."

"Das Glück ist ein Rindvieh und sucht seinesgleichen", gab Kilkeene zu verstehen.

Die vier Spieler lachten.

Henderson blieb im Spiel. Er brachte die 20 Dollar und erhöhte noch einmal um 20.

Jetzt stieg auch John Kilkeene aus. "Zu verschenken habe ich nichts", maulte er und schleuderte die Karten auf das Päckchen der abgelegten.

Harrison wollte sehen.

Henderson blätterte ihm genüsslich eine Street hin. Von der Sieben aufwärts. Grinsend wollte der Futtermittelhändler den Pot an sich heranziehen.

"Moment", sagte Harrison und legte die fünf Herzen auf den Tisch. "Farbflush. Das Blatt ist besser als Ihres, Henderson."

"Das darf doch nicht wahr sein!", erregte sich Henderson. "Ich kann haben, was ich will, es reicht einfach nicht."

Harrison holte den Pot zu sich heran.

"Ich höre auf", sagte Hannagan und schob das Geld ein, das vor ihm lag.

"Ich ebenfalls", erklärte John Kilkeene. Er winkte Kathy, die an der Bar die beiden Fremden bedient hatte, zu sich heran und bezahlte seine Zeche.

Auch Hannagan bezahlte.

Kathy warf Harrison einen unergründlichen Blick zu.

Die beiden Fremden starrten zu dem Tisch hin, an dem Harrison saß. Einige Tische weiter lümmelten Ken Winword, Jesse O'Leary und Jed Stanton. Eine fast leere Flasche Brandy stand vor ihnen auf dem Tisch. Ihre Augen waren wässrig vom genossenen Alkohol.

"Bleiben nur noch wir beide, Leigthon", sagte Mitch Henderson zu Harrison. "Spielen wir alleine weiter?"

"Wir sollten aufhören", meinte Harrison McQuinn. "Ein anderes Mal wieder, Henderson."

Harrison sortierte die Geldscheine und Münzen und steckte sie ein. Er hatte an diesem Abend mehr als 500 Dollar gewonnen. Er griff nach seinem Glas und nippte daran.

Einer der beiden Fremden raunte seinem Gefährten etwas zu, dann stieß er sich vom Schanktisch ab und ging nach draußen. Der Blick das anderen der beiden Burschen hatte sich an Harrison verkrallt. Harrison bemerkte es. Ein seltsames Gefühl beschlich ihn.

Hannagan und Kilkeene hatten bezahlt, erhoben sich und schritten zum Ausgang.

Der Fremde, der den Saloon verlassen hatte, kam zurück. Er blieb bei der Tür stehen und nickte seinem Gefährten am Schanktisch zu.

Dieser richtete blitzschnell das Gewehr auf Harrison und rief mit brechender Stimme: "Rühr dich nicht, McQuinn! Auf deinem Steckbrief steht tot oder lebendig. Also zwing mich nicht, auf dich zu feuern."

Auch der Bursche an der Tür hatte das Gewehr auf Harrison angeschlagen.

Harrison blieb ruhig sitzen. Wenn in ihm auch ein Hurrikan der Gefühle tobte - äußerlich war ihm nichts anzumerken. Er sagte abgehackt: "Meinen Sie mich, Mister? Mein Name ist Leigthon. Sam Leigthon. Ich lebe seit kurzer Zeit in der Stadt. Ich..."

"Steh auf, McQuinn." Der Bursche bei Tür holte ein zusammengefaltetes Blatt Papier aus der Tasche seines Mantels und hielt es hoch. "Wir haben deinen Steckbrief. Das Bild, das sie von dir veröffentlicht haben, ist sehr gut. Wenn du dir auch einen Bart hast wachsen lassen. Ich habe dich sofort erkannt. Du wirst in Texas gesucht. Auf deinen Kopf sind 1000 Dollar ausgesetzt. Steh auf und heb die Hände."

Harrison erhob sich langsam. Hinter seiner Stirn wirbelten die Gedanken. Sie hatten ihn in der Zange. Harrison war überzeugt, es mit zwei Kopfgeldjägern zu tun zu haben. Er zerbrach sich den Kopf nach einem Ausweg. Wenn er sich den beiden ergab, würden sie ihn nach Texas schleppen, und dort wartete auf ihn der Galgen. Jede Beteuerung seiner Unschuld wäre in den Wind gesprochen. Jeder Sheriff durfte das Urteil unverzüglich vollstrecken.

Da ließ Kathy ihre Stimme erklingen. Sie rief: "Er heißt Sam Leigthon und ist mein Mann. Möglich, dass er eine Ähnlichkeit mit diesem McQuinn besitzt, von dem ihr einen Steckbrief habt. Lasst Sam in Ruhe. Er ist nicht der Mann, für den ihr ihn haltet."

"Auf dem Steckbrief steht, dass McQuinn mit einer Frau namens Kath Walker auf der Flucht ist!", rief der Hombre bei der Tür. "Bist du vielleicht diese Kath Walker?"

"Mein Name ist Joan Leigthon", rief Kath.

"Ich täusche mich nicht!", erklärte der Mister bei der Tür. "Er ist McQuinn. Los, McQuinn, steh auf. Und versuch lieber nichts. Wir bekommen die 1000 Bucks auch, wenn wir dich umlegen."

Da kam Hilfe von einer Seite, von der Harrison sie am allerwenigsten erwartet hatte. Ken Winword, einer der Burschen, die sich auf Kathys Seite geschlagen hatten, ergriff Partei für Harrison. Wahrscheinlich wollte er der Frau imponieren. Andernfalls hätte ihn sein Instinkt warnen müssen. Aber sein Instinkt schwieg.

Ken Winword stemmte sich am Tisch in die Höhe. "Ihr solltet hier keine großen Töne spucken, Amigo", rief er rau. Seine Rechte legte sich auf den Revolverknauf. "Wir schätzen es hier nicht besonders, wenn Fremde auftauchen und die große Lippe riskieren. Bei dem Gentleman am Tisch handelt es sich um Sam Leigthon. Die Lady ist seine Frau. Ihr solltet sie nicht als Lügnerin hinstellen. Wir dulden das nicht."

"Du solltest dich heraushalten, Junge", warnte der Kopfgeldjäger bei der Tür.

"Verschwindet, ihr beiden Strolche", knurrte Ken Winword. Er kam langsam um den Tisch herum.

Der Kopfgeldjäger beim Tresen richtete das Gewehr auf ihn. "Überleg es dir gut, mein Junge", rief er. "Du wirst Federn lassen. Dieser Mann -" er wies mit dem Kinn auf Harrison, "- ist ein steckbrieflich gesuchter Mörder. Wir sind dabei, ihn festzunehmen. Der Steckbrief legitimiert uns. Du solltest dich nicht einmischen."

Aber Ken Winword war Worten nicht zugänglich. Er duckte sich und riss den Colt heraus.

Der Kopfgeldjäger feuerte.

Harrison zog den Colt und schoss auf den Burschen bei der Tür, der fast gleichzeitig mit ihm abdrückte.

Ken Winword brach zusammen. Jesse O'Leary, sein Kumpel, griff nach dem Sechsschüsser. Ein zweiter Schuss röhrte aus dem Gewehr des Kopfgeldjägers. Jesse O'Leary wurde samt seinem Stuhl umgestoßen.

Der Kopfgeldjäger, der bei der Tür stand, war zusammengezuckt, als ihn Harrisons Geschoss traf. Er konnte aber noch abdrücken. Harrison spürte den sengenden Strahl der 45er Kugel und schoss erneut. Der Kopfgeldjäger taumelte gegen die Wand. Harrison wandte sich dem Burschen am Tresen zu. Dieser war auf das rechte Knie niedergegangen. Er hatte die Winchester auf Harrison angeschlagen. Dessen Colt stach ins Ziel.

Da peitschte es am Tisch auf, an dem Winword und O'Leary gesessen hatten. Jed Stanton griff ein. Seine Kugel traf den Kopfgeldjäger in den Kopf und warf ihn um. Er streckte sich.

Der Bursche bei der Tür rutschte langsam an der Wand zu Boden. Das Entsetzen und die Todesangst weiteten seine Augen. Er kippte zur Seite. Unartikulierte Laute platzten über seine Lippen. Plötzlich brachen seine Augen.

Pulverdampf wölkte im Saloon. Der Geruch des verbrannten Pulvers breitete sich aus und legte sich auf die Schleimhäute.

Harrison ging zu dem reglosen Burschen bei der Tür. Er war tot. Gleich darauf beugte er sich über den Mann, der beim Tresen lag. Er war ebenfalls tot.

Jed Stanton rief heiser: "O'Leary lebt. Er hat eine Kugel in die Schulter bekommen. Großer Gott, Ken ist tot. Das Schwein hat ihn erschossen."

Mitch Henderson ließ seine Stimme erklingen: "Was ist dran an dem Geschwätz der Kerle, Leigthon? Sind Sie vielleicht wirklich ein steckbrieflich gesuchter Bandit, der sich in unserer Stadt verkrochen hat?"

Der Doc kam und stellte ebenfalls den Tod der beiden Kopfgeldjäger und Ken Winwords fest. Dann kümmerte er sich um Jesse O'Leary, der seine rechte Hand auf die linke Schulter presste und vor sich hin wimmerte. Blut quoll zwischen seinen Fingern hindurch. Sein Gesicht war bleich wie ein Leichentuch.

"Das ist Unsinn", versicherte Harrison. Er holsterte seinen Sechsschüsser. Dann wandte er sich Kathy zu. "Ich gehe nach Hause. Komm nach, sobald du hier fertig bist."

Da ließ Jesse O'Leary seine Stimme erklingen. Gepresst stieß er hervor: "Ich denke schon, dass es sich um das Pärchen handelt, das vom Gesetz gesucht wird. Joan wollte Ken, Jed und mich dafür gewinnen, die Bank in Hobbs zu überfallen. Zum Schein sind wir auf ihr Ansinnen eingegangen. Natürlich hätten wir niemals mitgemacht. Wir hielten es für einen Scherz. Jetzt aber..."

Plötzlich wurde es laut im Schankraum.

Einige der Männer machten Anstalten, ihre Waffen zu ziehen. Es war Samstag und in dem Saloon war schon ziemlich viel los, obwohl noch keine Cowboys in Taegue eingetroffen waren. Es waren ausschließlich Männer der Stadt, die den Inn bevölkerten.

Harrison McQuinn wusste, dass das Versteckspielen ein Ende hatte. Blitzschnell zog er seinen Colt. Er ließ die Mündung über Hannagan, Kilkeene, Henderson und ein paar andere Männer pendeln. Seine Stimme erklang: "Okay, Leute. Ich bin Harrison McQuinn, und ich werde in Texas steckbrieflich gesucht. Allerdings für einen Mord, den ich nicht begangen habe. Ich weiß aber, wer hinter dem Mord steckt. Derjenige ließ auch Kathys Mann ermorden. Kath und ich werden jetzt den Saloon verlassen. Ich rate keinem, uns zu folgen. Denkt daran, dass ich nichts zu verlieren habe. - Komm, Kath!"

Kath ging zu Jed Stanton hin. "Feiglinge!", stieß sie hervor. Dann zog sie ihm den Colt aus dem Holster. Sie handhabte das Eisen richtig professionell, hielt es mit beiden Händen und spannte den Hahn. "Ja", rief sie, "derjenige, der Harrison einen Mord in die Schuhe schob, hat auch meinen Mann auf dem Gewissen. Mein richtiger Name ist Kath Walker. Beherzigt den Rat, den euch Harrison gegeben hat, und folgt uns nicht. Es würde jedem von euch schlecht bekommen."

Harrison war schon bei der Tür. Kath näherte sich ihm, bemüht, nicht in seine Schusslinie zu gelangen. Er bedeutete ihr, den Saloon zu verlassen. Hinter der Frau schlugen knarrend die Türpendel aus. Harrison folgte ihr.

Hufschlag brandete an ihr Gehör. Die erste Cowboymannschaft kam in die Stadt. Die beiden verschwanden in einer Gasse. Absolute Finsternis schlug über ihnen zusammen und hüllte sie ein. Einige Gäste verließen den Saloon. Ein Schuss krachte. Die Kugel pfiff über die Köpfe hinweg. Harrison hatte geschossen. Heilloses Durcheinander entstand, als die Kerle in den Schankraum zurückdrängten...

*

Harrison und Kath erstanden zwei Pferde im Mietstall. Mit fliegenden Händen sattelten und zäumten sie die Tiere. Der Stallmann wagte es nicht, Fragen zu stellen. In der Stadt war verworrener Lärm zu vernehmen. Schritte trampelten. Harrison bezahlte dem Stallburschen die Tiere. Dann führten sie sie in den Hof und saßen auf.

Im Hoftor erschienen drei Männer. "Da sind Sie!", brüllte einer. Die drei rissen die Waffen hoch und fingen an zu rennen. Harrison bearbeitete seinen Vierbeiner mit den Fersen. Das Tier streckte sich. Er ritt einen der Kerle einfach über den Haufen. Kath trieb ihr Pferd an. Einer der Männer sprang sie von der Seite an, um sie aus dem Sattel zu zerren. Kath versetzte ihm einen Tritt. Der Bursche ging zu Boden. Ein Revolver krachte. Der Knall staute sich im Wagen- und Abstellhof. Aber die Kugel richtete keinen Schaden an.

Harrison und Kath befanden sich in der stockfinsteren Gasse, die nach links zur Main Street, nach rechts zum Ende der Stadt und in die Wildnis führte. Die Hufe der Pferde wirbelten. Alle anderen Geräusche wurden vom hämmernden Stakkato des Hufschlags verschluckt. Sie stoben in halsbrecherischer Karriere aus der Stadt. Nach etwa einer Meile rissen sie die Pferde in den Stand, um hinter sich zu lauschen.

Es blieb still. Harrison sagte: "Niemand verfolgt uns. Den Cowboys sind einige Stunde Vergnügen wichtiger, als durch die Nacht zu reiten und Kopf und Kragen zu riskieren. Und die Stadtbewohner haben keinen Anführer, der in der Lage wäre, ein Aufgebot auf die Beine zu bringen und die Verfolgung zu organisieren."

"Das war knapp", murmelte Kath.

"Verdammt knapp. Wir hatten mehr Glück als Verstand, dass die Kerle erst die Seitenstraßen und Gassen nach uns absuchten, ehe sie in den Mietstall kamen." Harrison räusperte sich. "Du wolltest also tatsächlich mit Hilfe dieser drei Grünschnäbel die Bank in Hobbs überfallen?"

"Ja. Wir beide sind zu schwach, um Big John Steele und Flint Dexter zur Rechenschaft für ihre Verbrechen zu ziehen. Mit einer Horde Revolvermänner, die ich von der Beute bezahlt hätte, hätten wir ihnen eine höllische Rechnung präsentieren können."

"Und wären tatsächlich ins Banditentum abgerutscht, Kath. Wäre es dir das wert gewesen?"

Die Frau gab darauf keine Antwort.

"Es ist verrückt, Kath", murmelte Harrison. "Und es war wohl eine Fügung des Schicksals, dass die beiden Kopfgeldjäger aufgetaucht sind."

Sie ritten nach Norden. Immer wieder hielten sie an. Von Verfolgern war nichts zu hören. Nach etwa fünf Meilen beschlossen sie, zu kampieren. Sie breiteten in einer Felsengruppe ihre Decken aus. Die Sättel benutzten sie als Kopfkissen. Kath lag dicht bei Harrison. Er hörte sie atmen. Wochenlang hatte er mit ihr unter einem Dach gelebt, ohne dass sie sich näher gekommen waren. Dabei bedeutete Kath dem Mann mehr, als sie vielleicht ahnte. Er spürte ein ungezügeltes Verlangen nach ihr. Nur der Gedanke an Ben Walker, der erst wenige Wochen tot war, hielt Harrison zurück. Er tröstete sich damit, dass die Zeit Wunden heilen würde.

Plötzlich sagte Kath leise: "Du hast recht, Harrison. Es wäre verrückt gewesen. Ich war wohl ziemlich verblendet in meinem Hass. Himmel, ich bin schuld daran, dass Ken Winword sterben musste. Ich machte den drei jungen Narren Hoffnungen. Sie wollten mir imponieren und mischten sich ein, als die beiden Kopfgeldjäger..."

Ihre Stimme erstarb. Sie rollte sich näher an Harrison heran.

"Ken Winword und seine Kumpels hätten sich auch eingemischt, um dir zu imponieren, wenn du ihnen keine Hoffnungen gemacht hättest. Sie waren verknallt in dich, Kath. Du musst dir keine Vorwürfe machen. Dass du sie zu dem Bankraub überreden wolltest, hat mit der Schießerei von heute Abend nichts zu tun. Dadurch, dass sie sich eingemischt haben, haben sie uns gerettet."

"Nimm mich in die Arme, Harrison", sagte sie leise. "Es - es ist zwar erst wenige Wochen her, seit Ben starb. Aber... Großer Gott! Ben würde sicher nichts dagegen haben. Nimm mich in die Arme, Harrison. Ich - ich..."

Er griff nach ihr und spürte die Wärme ihres Körpers. "Du bist mir nichts schuldig, Kath", murmelte Harrison. "Gar nichts. Wir haben wochenlang..."

Sie legte ihm den Zeigefinger auf die Lippen. "Diese Zeit brauchte ich, um über Bens Tod hinwegzukommen. Ich danke dir dafür, dass du mich nicht gedrängt hast." Sie machte eine kleine Pause, dann fuhr sie mit leiser, aber klarer Stimme fort: "Während der vergangenen Stunde habe ich begriffen, dass ich in meinem Hass drauf und dran war, einen nicht wieder gutzumachenden Fehler zu begehen. Ben hätte es sicher nicht gewollt, dass ich mich seinetwegen ins Unglück stürze. - Küss mich, Harrison."

"Bist du dir sicher?"

"Ja. Wenn Ben mit einem Mann an meiner Seite einverstanden wäre, dann mit dir, Harrison."

Er nahm sie in die Arme. Und dann fanden sich ihre Lippen zu einem langen und innigen Kuss. Und irgendwie, das spürte Harrison ganz deutlich in der Minute, in der er sie küsste, würde alles gut werden. Alles...

Sie löste sich von ihm.

Harrison sagte: "Wir werden unsere Ranches zu einer großen Ranch vereinen, Kath. Vorher aber..."

Er verstummte bitter. Solange er nicht vom Vorwurf des Mordes rehabilitiert war, solange gab es keine Zukunft für ihn. Ebenso wenig für Kath, die ebenfalls gesucht wurde, weil sie ihn aus dem Gefängnis befreit und zur Flucht verholfen hatte.

Reinwaschen konnte er sich aber nur, wenn er Sheriff Jim Hickock den wirklichen Mörder Bob Bancrofts präsentierte.

Hoffnungslosigkeit wollte Harrison befallen. Er hatte keine Ahnung, wie er an Big John Steele und Flint Dexter herankommen sollte. Harrison war nahe daran, zu resignieren. Er dachte einen Moment daran, mit Kath nach Kalifornien oder Oregon zu gehen und dort völlig neu zu beginnen. Dann aber sagte er sich, dass Weglaufen nicht die Lösung war. Die Vergangenheit würde ihn einholen. Irgendwann, wahrscheinlich dann, wenn er am wenigsten damit rechnete.

*

Kath blieb in Lamesa zurück. Harrison bestand darauf. Er ritt alleine weiter. Es war Nacht, als er Tage später in Stamford ankam. Niemand erkannte ihn. Er stellte sein Pferd am Holm vor dem Sheriff's Office ab. Jim Hickock war nicht in seinem Büro. Aber die Tür war nicht verschlossen. Harrison setzte sich hinter dem Schreibtisch auf den Stuhl des Sheriffs und wartete.

An der Wand tickte ein Regulator. Dann schnurrte das Schlagwerk, und schließlich waren zehn Schläge zu vernehmen. Eine Viertelstunde später kam der Sheriff.

"Hallo, Jim", sagte Harrison.

Der Sheriff zuckte zusammen. In der Finsternis, die im Büro herrschte, hatte er den späten Besucher nicht gesehen. Jetzt, da sich seine Augen an die herrschenden Lichtverhältnisse gewöhnten, nahm er die schattenhafte Gestalt auf dem Stuhl war. "Wer sind Sie? Was wollen Sie?"

"Mach Licht, Jim. Du wirst mich erkennen." Harrison erhob sich und kam um den Schreibtisch herum. In seiner Faust lag der Colt. Der Daumen lag quer über der Hammerplatte. Harrison hatte keine Ahnung, wie der Gesetzeshüter reagieren würde. Darum hatte er den Sechsschüsser in die Hand genommen.

"O verdammt!", stieß Jim Hickock hervor, als die Lampe brannte und der Lichtschein die Gestalt umriss. "Du..."

Hickock, der am langen Arm die Winchester trug, wollte sie unwillkürlich an die Hüfte ziehen, um auf Harrison zu zielen.

Harrison spannte den Hahn. Es knackte metallisch. Der Sheriff stand starr wie ein Pfahl. Harrison sagte zwischen den Zähnen: "Ich wäre bestimmt nicht freiwillig zurückgekehrt, wenn ich Bancroft tatsächlich ermordet hätte, Jim. Ich bin zurückgekommen, um meine Unschuld zu beweisen."

"Das Gericht hat dich für schuldig befunden, McQuinn. Verdammt! Du bist ein zum Tode verurteilter Mörder."

"Zum Tode verurteilt - ja. Aber kein Mörder, Jim. Den Mord, für den ich verurteilt wurde, hat ein anderer begangen. Ich nehme an, Flint Dexter. Den Auftrag dazu hat Big John gegeben."

"Zur Hölle mit dir, Harrison. Weißt du, dass du mich in einen verdammten Gewissenskonflikt stürzt?"

"Ben Walker wurde ebenfalls ermordet, Jim. Hast du seinen Mörder überführen können?"

"Nein. Kath hat die Sache selbst in die Hand genommen und dich befreit. Mir liegt keine Aussage vor. Niemand weiß, was sich auf der Walker-Ranch zugetragen hat. Sicher ist nur, dass die Ranch niedergebrannt wurde und dass Ben tot ist."

"Wer außer Big John hätte ein Interesse an Bens Tod haben sollen, Jim?"

"Ich war bei Big John Steele", versetzte der Sheriff. "Natürlich wusste er von nichts. Und einen Beweis gegen die Brazos River Ranch gab es nicht."

"Ich werde den Beweis erbringen, Jim", sagte Harrison hart. "Und du musst mir dabei helfen."

"By Gosh, ich kann nicht mit einem flüchtigen..."

"...Mörder? Himmel, Jim, glaub mir doch endlich. Ich habe mit dem Tod Bancrofts nicht das Geringste zu tun. Ich ritt zu ihm, um ihn zurechtzustutzen. Als ich auf der Ranch ankam, war Bancroft tot. Der Streit am Vorabend seines Todes im Saloon war gesteuert. Bancroft war von Dexter aufgehetzt worden. Ich wurde zusammengeschlagen. Der Tod Bancrofts sollte nach Rache meinerseits aussehen. Und der wahre Mörder hat erstklassige Arbeit geleistet. Hätte Kathy mich nicht befreit, hättest du einen Unschuldigen gehängt, Jim."

Der Sheriff schaute versonnen drein. In seinem Gesicht arbeitete es. Plötzlich stieß er hervor: "Wenn es schief geht, bin ich fertig hier, Harrison. Wie hast du es dir vorgestellt?"

"Pass auf..."

*

Vor Harrison lagen die Gebäude seiner Ranch. Er beobachtete. Im Corral standen sechs Pferde. Von Jim Hickock wusste Harrison, dass die Brazos River Ranch hier drei Cowboys stationiert hatte. Der Himmel war düster, und von den Bergen her schoben sich dichte, schwarze Wolkenbänke über das Land. Es war jedoch windstill. In den Bäumen und Büschen regte sich kein Blatt. Schließlich kam weit hinten, über den Bergen, der erste fahle Schimmer des Morgens hoch.

Harrison hatte sich auf dem Kamm eines Hügels bei einem Felsen niedergesetzt. Sein Pferd stand im Schutz einer Buschgruppe. Aus der Mannschaftsunterkunft kam ein Mann. Sein Oberkörper war nackt, über seiner Schulter hing ein Handtuch. Ein zweiter Cowboy folgte. Auch er ging mit einem Handtuch bewaffnet zum Brunnen. Stimmen drangen an Harrisons Gehör. Was die beiden sich zuriefen, konnte er jedoch nicht verstehen. Beim Brunnen trafen sie sich. Einer ließ den Eimer in die Tiefe, dann hievte er ihn mit der Winde nach oben.

Aus dem Schornstein des Haupthauses stieg plötzlich Rauch. Und dann kam auch der dritte Mann der Ranchbesatzung in den Hof. Er verließ das Ranchhaus und gesellte sich zu den beiden anderen Burschen beim Brunnen.

Harrison erhob sich, lief zu seinem Pferd und schwang sich in den Sattel. Mit einem Zungenschnalzen setzte er das Pferd in Bewegung. Es stapfte den Hang hinunter auf die Ranch zu.

Böse Erinnerungen wurden in Harrison geweckt. Er dachte an seine beiden Cowboys, die mit ihm auf der Ranch gelebt hatten und die ums Leben gekommen waren. Ihr Tod ging auch auf das Konto Big Johns. Big John war überhaupt für alles Unglück, das über das Land hinweggefegt war wie ein Tornado, verantwortlich.

Die drei Männer beim Brunnen hatten sich dem Reiter zugewandt. Sie waren waffenlos. Sicherlich dachten sie nichts Schlimmes.

Zwei Pferdelängen vor ihnen hielt Harrison an. Er verschränkte die Hände über dem Sattelhorn und verlagerte das Gewicht seines Oberkörpers auf die durchgestreckten Arme. "Howdy."

Die drei erwiderten seinen Gruß und fixierten ihn aufmerksam. "Wer bist du?", fragte einer. "Was führt dich her?"

"Mein Name ist Harrison McQuinn."

Mehr sagte Harrison nicht.

Die drei wussten Bescheid. Sie nahmen eine sprungbereite, lauernde Haltung an. "Was willst du hier?", brach es über die Lippen eines der Cowboys. Seine Hände öffneten und schlossen sich.

"Ich werde meine Ranch wieder übernehmen", versetzte Harrison. "Ihr hingegen habt hier nichts verloren. Also haut ab. Sofort. Setzt euch in Bewegung. Oder ich mache euch Beine."

Mit seinem letzten Wort griff Harrison nach dem Colt. Er flirrte aus dem Holster. Harrison ließ die Hand mit dem Eisen über die drei Burschen pendeln. "Abmarsch!"

"Lass uns wenigsten unsere Hemden..."

"Keine Chance. Ihr verschwindet, wie ihr seid."

"Was ist mit unseren Pferden. Dürfen wir..."

Wieder schnitt Harrison dem Sprecher brüsk das Wort ab. "Nein!"

"Die Pest an deinen Hals, McQuinn!", knirschte einer der Cowboys. "Denkst du denn im Ernst, dass du deine Ranch wieder übernehmen kannst? Ein flüchtiger Mörder, auf dessen Kopf 1000 Dollar Belohnung ausgesetzt sind? Du wirst nicht nur die Mannschaft der Brazos River Ranch auf dem Hals haben, sondern auch Jim Hickock und ein Aufgebot aus Stamford. Welcher Teufel reitet dich, McQuinn?"

"Ich bin unschuldig. Und ich werde es beweisen. Und jetzt haut ab. Ich wiederhole mich nicht gern."

Den drei Kerlen blieb nicht verborgen, dass Harrison es höllisch ernst meinte. Ein Blick in sein Gesicht verriet es ihnen. Da war nichts von Entgegenkommen oder Versöhnlichkeit zu lesen. Seine Züge muteten an wie aus Granit gemeißelt.

Sie ließen die Handtücher fallen. Dann marschierten sie los. Einer spuckte aus, dann zischte er böse: "Wir werden mit dem Rest der Brazos River Mannschaft zurückkommen. Und dann wird es schlimm für dich, McQuinn. Du wirst die Stunde noch verfluchen, in der du dich entschlossen hast, in diesen Landstrich zurückzukehren."

"Spar dir deinen Atem für den Marsch zur Brazos River Ranch, mein Freund", versetzte Harrison ohne die Spur einer Gemütsregung. "Ich schätze mal, dass du keine großen Töne mehr spuckst, wenn du den Weg hinter dich gebracht hast."

Die drei Männer stapften davon. Sie blickten nicht mehr zurück. Harrison holsterte den Colt, ritt bis vor das Haupthaus und glitt dort vom Pferd. Er schnappte sich die Winchester aus dem Scabbard, hielt noch einmal Ausschau nach den drei Cowboys, dann ging er ins Haus.

Hier hatte sich kaum etwas verändert. Etwas heruntergekommener wirkte alles. Im Ofen brannte ein Feuer. Ein rußgeschwärzter Krug mit Kaffee stand auf der Herdplatte. Harrison schaute in sein Schlafzimmer. In seinem Bett hatte einer der Kerle geschlafen. Er verließ das Haupthaus und ging in das kleine, flache Gebäude, das einst seine Cowboys bewohnten. Die beiden Bunks waren zerwühlt. Harrison sah die Revolvergurte der Brazos River-Cowboys und ihre Gewehre. Die Gurte hingen über Stühlen. Die Gewehre lehnten an der Wand.

Harrison kehrte ins Haupthaus zurück. Er schenkte sich einen Becher voll Kaffee ein. Mit dem Becher in der Hand ging er zum Fenster. Die drei Cowboys waren verschwunden.

Das Warten begann...

*

Am Abend kam Flint Dexter mit einem halben Dutzend Reitern. Die Horde ritt in den Ranchhof. Staub wallte unter den Hufen. Sie zerrten auf die Pferde in den Stand, Dexter ließ seine Stimme erklingen: "McQuinn!"

Harrison stand neben dem Fenster in der Küche. Mit beiden Händen hielt er das Gewehr schräg vor seiner Brust. Sein Kinn war eckig. Er rief: "Ich bin hier, Dexter. Ich habe schon auf dich gewartet. Wenn du denkst, dass ich mich euch ergebe, bist du auf dem Holzweg."

"Wir sind nicht hier, um mit dir zu verhandeln, McQuinn. Du bist ein steckbrieflich gesuchter Mörder. Auf dich wartet der Galgen."

"Du vergisst, dass ich dich vor der Mündung habe."

"Du wirst nicht schießen, McQuinn. Meine Männer würden dich in Stücke reißen."

"Was habe ich schon zu verlieren?"

Dexter gab seinem Pferd die Sporen und riss gleichzeitig an den Zügeln. Das Tier brach zur Seite aus. Der Vormann der Brazos River Ranch sprang vom Pferd und rannte in den Schutz eines Schuppens. Seine Männer ritten auseinander, saßen ebenfalls ab und liefen in Deckung. Sekundenlang herrschte ziemliches Durcheinander auf dem Ranchhof.

Von Harrisons Seite fiel jedoch kein Schuss.

Dexter brüllte: "Auf deinem Steckbrief steht tot oder lebendig, McQuinn. Sieht so aus, als würden wir dich tot bei Hickock abliefern."

"Natürlich, Dexter. Du warst schon immer für die sichere Methode. Wie war das denn bei Ben Walker, nachdem deine Drohungen auf keinen fruchtbaren Boden fielen. Bei Ben bist du doch auch auf Nummer Sicher gegangen. Allerdings hast du versäumt, auch Kath umzubringen. Sie ist nämlich Bens Erbin. Und sie wird das Land der Walker-Ranch von der Brazos River Ranch zurückfordern, ebenso wie ich meines zurückfordere."

"Du bist so gut wie tot, McQuinn. Walker war ein Narr. Ihr wart alle Narren. Habt ihr denn geglaubt, die Brazos River Ranch schluckt es, dass ihr euch am Fluss breit macht und unseren Rindern den Weg zum Wasser abschneidet?"

"Nein, Dexter. Das haben wir nicht geglaubt. Zumindest Walker und ich nicht. Bancroft hat versucht, sich auf eure Seite zu schlagen. Ihr habt ihn benutzt, Dexter. Und als er seine Schuldigkeit getan hatte, wurde er erschossen. Als Mörder konntet ihr ja mich präsentieren. Großer Gott, Dexter, es war eine niederträchtige Inszenierung, die ihr - du und Big John - aufgezogen habt. Doch eure Rechnung geht nicht auf."

"Als Bancrofts Mörders bist du verurteilt worden, McQuinn", rief Dexter. "Und jetzt holen wir dich. Fang an zu beten, Hombre. Dir bleibt nicht mehr viel Zeit."

Kaum, dass das letzte Wort über seine Lippen war, begann Dexter zu schießen. Die Reiter der Brazos River Ranch ließen ebenfalls ihre Waffen sprechen. Der Lärm steigerte sich zu einem höllischen Choral. Querschläger wimmerten durchdringend. Es krachte, knirschte und splitterte.

Harrison McQuinn gab keinen einzigen Schuss ab.

Die Brazos River-Mannschaft deckte das Haupthaus der Ranch mit Kugeln ein. Dexter brüllte mit überschnappender Stimme: "Es war ein Fehler, zurückzukehren, McQuinn. Du wirst genauso tot sein wie Bancroft und Walker."

Unter dem Feuerschutz ihrer Gefährten stürmten drei Cowboys das Ranchhaus. Ungeschoren gelangten sie ins Innere. Einer brüllte: "Hört zu schießen auf! Aufhören! McQuinn hat sich abgesetzt! Der verdammte Hund ist abgehauen! Er ist wahrscheinlich durch eines der rückwärtigen Fenster geflohen..."

Das hämmernde Stakkato endete. Die Gewehre im Anschlag kamen Dexter und seine Männer aus ihren Deckungen.

"Er hat sich im Schutz des Gebäudes abgesetzt!", rief wieder der Bursche im Haus. "Dreißig Yards weiter ist das Ufergebüsch."

"Durchsucht das Strauchwerk!", kommandierte Flint Dexter. "Der Hurensohn darf uns nicht entkommen. Er...«

Aus der Mannschaftsunterkunft der Ranch trat Sheriff Jim Hickock. Er zielte auf Dexter. Aus den Scheunen, Ställen und Schuppen traten Männer aus der Stadt. Sie hielten die Gewehre in den Händen. Jim Hickock rief: "Lasst die Waffen fallen. Das Spiel ist aus, Dexter. Deine Worte vorhin waren so gut wie ein Geständnis. Das Verfahren um den Mord an Bob Bancroft wird wohl neu aufgerollt werden müssen. Außerdem dürfte klar sein, dass der Tod Ben Walkers auf das Konto der Brazos River Ranch geht."

Flint Dexter verlor die Kontrolle über sich. Er vollführte eine halbe Drehung und richtete das Gewehr auf den Sheriff. "Du steckst also mit McQuinn unter einer Decke, Hickock!", fauchte er. "Fahr zur Hölle!"

Jim Hickock feuerte aus der Hüfte.

Dexter bekam die Kugel in die Brust. Er machte das Kreuz hohl, seine Hände ließen das Gewehr fahren, ein Stöhnen kämpfte sich aus der Kehle des Vormannes, dann brach er zusammen.

Die anderen Männer der Brazos River Ranch rührten sich nicht.

Aus dem Ufergebüsch kam Harrison McQuinn. Schnell näherte er sich. Bei Dexter kniete er ab. Der Sheriff war auf der anderen Seite des tödlich Verwundeten auf das linke Knie niedergegangen.

Dexters Atem ging rasselnd. Seine Brust hob und senkte sich unter den stoßweisen Atemzügen.

"Warst du es, Dexter, der Bancroft erschoss?", fragte Harrison.

Die Lider des Vormannes flatterten. In seinen Mundwinkeln zuckte es. Er wollte etwas sagen. Doch es war nur ein unzusammenhängendes Gestammel, das über seine Lippen kam. Speichel rann aus seinem Mundwinkel, Schweißperlen glitzerten auf seiner Stirn. Doch er raffte sich noch einmal auf. Ihm entrang es sich mühsam: "Du - du hast Big John einen Strich durch die Rechnung gemacht, McQuinn. Er - er wollte euch weg haben vom Fluss. Als ich Bancroft erschoss, hätten wir beinahe zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Doch wer konnte ahnen, dass dieses verdammte - Weib - dich - aus - dem - Jail..."

Der Tod erstickte die weiteren Worte. Dexters Augen brachen.

Ringsum herrschte Atemlosigkeit.

Der Sheriff und Harrison richteten sich auf. Harrison sagte: "Du hast es selbst gehört, Jim. Er hat Bancroft ermordet. Es war auch die Brazos River Ranch, die Ben Walker ermordete. Ich bin unschuldig."

"Auch du wärst um ein Haar Opfer der finsteren Machenschaften Big Johns geworden, Harrison", gab der Sheriff zu verstehen, als er alles verarbeitet hatte. "Dem Himmel sei Dank, dass es nicht so weit gekommen ist." Hickock wandte sich an die Männer aus der Stadt. "Holt eure Pferde aus dem Stall. Wir reiten zur Brazos River Ranch, um Big John Steele zu verhaften. Der alte Despot muss büßen für die Schandtaten, die er in seinem Drang nach Macht und Besitz verbrochen hat."

Der Sheriff wandte sich an die Reiter der Brazos River Ranch. "Verschwindet. Wenn ich euch noch einmal in der Gegend antreffe, wandert ihr hinter Gitter."

Die Kerle rannten zu ihren Pferden, warfen sich in die Sättel und stoben davon.

Der Sheriff reichte Harrison die Hand.

Der schüttelte sie.

Jim Hickock fragte: "Du wirst doch deine Ranch wieder in Besitz nehmen, Harrison?"

"Sicher. Vorher aber muss ich nach Lamesa reiten und Kathy abholen. Sie erwartet mich sicherlich schon voll Ungeduld."

"Dann lass dich nur nicht aufhalten", knurrte der Sheriff.

Die Männer des Aufgebots zerrten die Pferde aus dem Stall, in dem sie sie verborgen hatten. Sheriff Hickock ging zu einem der Tiere und schwang sich in den Sattel. Auch die anderen Männer saßen auf.

Harrison blickte dem davonziehenden Pulk hinterher.

Dann holte auch er sein Pferd.

Kath wartete. Die Zukunft gehörte ihnen...

ENDE


Killer in Texas: Western Sammelband 7 Romane und eine Kurzgeschichte

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